Was bedeutet es wirklich, "pädagogisch zu handeln"? Diese Frage dringt tief in das komplexe Geflecht von Erziehung, sozialer Interaktion und individueller Entwicklung ein. Entdecken Sie in dieser aufschlussreichen Analyse die vielschichtigen Definitionen und Differenzierungen des Begriffs "pädagogisches Handeln", wie sie von renommierten Theoretikern wie Max Weber und Hermann Giesecke geprägt wurden. Die Arbeit beleuchtet das Spannungsfeld zwischen sozialem und pädagogischem Handeln, indem sie die positivistische Grundhaltung des pädagogischen Ansatzes hervorhebt, der stets auf die bestmögliche Förderung des Individuums ausgerichtet ist. Anhand eines persönlichen Fallbeispiels aus dem betreuten Wohnen wird die grundlegende Paradoxie pädagogischen Handelns aufgedeckt: das fragile Gleichgewicht zwischen exemplarischem Vormachen und der Gefahr, Klienten in die Unselbstständigkeit zu treiben. Tauchen Sie ein in die Debatte um implizites Wissen und seine Bedeutung für pädagogische Fachkräfte. Untersuchen Sie, wie intuitive Handlungen, geprägt von Erfahrung und unbewusstem Lernen, die Qualität pädagogischen Handelns beeinflussen können, und wie dies von Modellen bewusster Reflexionsprozesse abweicht. Kritisch werden die Aufgaben und Herausforderungen der universitären Ausbildung für pädagogische Professionen erörtert, insbesondere im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Fundierung und praktischer Anwendung. Die Analyse greift auf die Erkenntnisse von Autoren wie Neuweg und Dewe/Radtke zurück, um innovative Vorschläge zur Gestaltung der Lehrerbildung zu diskutieren, die den Erwerb von Reflexionswissen und die Transformation wissenschaftlicher Erkenntnisse in alltagstaugliches Können in den Mittelpunkt stellen. Diese Arbeit ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich mit den theoretischen und praktischen Aspekten pädagogischen Handelns auseinandersetzen und ein tieferes Verständnis für die Komplexität und die ethischen Implikationen dieses wichtigen Berufsfeldes entwickeln möchten.
1. Einleitung
Die Ihnen vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Pädagogisches Handeln“. Um sich der Begrifflichkeit zu nähern ist es wichtig, sich einleitend mit den Grundstrukturen des Begriffes auseinandersetzen, welches in den Kapiteln zwei und vier vorwiegend geschieht. Des weiteren ist es wichtig sich vor Augen zu führen, wie kontrovers dieser Begriff ist, sobald man tiefer in die Thematik einsteigt. In Kapitel drei wird versucht anhand eines selbst erlebten Beispiels die paradoxe Struktur „pädagogischen Handelns“ herauszuarbeiten und zu verdeutlichen. Ein begleitender Begriff des „pädagogischen Handelns“ ist der der „Profession“. Dieser schließt eine Auseinandersetzung mit der Ausbildung eines pädagogisch Handelnden ein. Dies soll in Kapitel fünf geschehen.
2. Worin besteht das genuin „Soziale“ am „pädagogischen Handeln?“
2.1. Begriffdefinitionen
Zur Bearbeitung ist es notwendig sich im Klaren sein, was Handeln im allgemeinen und mit den Adjektiven „sozial“ und „pädagogisch“ bedeutet. Max Weber definiert den Begriff „Handeln“ in seinem Werk „Soziologische Grundbegriffe“ folgendermaßen: „Handeln soll (...) ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden." (Weber 1972[1921], S.1; Hervorhebung durch Weber). Um diese Definition zu verstehen, muß man den Begriff „subjektiv gemeinter Sinn“ klären. Mit ihm verbindet Weber nicht einen objektiv richtigen Sinn, wie zum Beispiel die richtige Lösung einer mathematischen Gleichung, sondern eben den subjektiven, vom Handelnden Individuum bestimmten Sinn. Außerdem ist Handeln ein tätiges Verhalten von Menschen, das sich auf Objekte richtet.
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel
Des weiteren definiert Weber den Begriff des „Sozialen Handelns“:
,,Soziales Handeln (...) soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist." (Weber 1972[1921], S.1; Hervorhebung durch Weber)
Webers Definition unterscheidet sich von dem, was landläufig unter sozialem Verhalten verstanden wird, etwa wenn ein junger Mann einer alten Dame über die Straße hilft. In diesem Beispiel wird durchaus auch nach Weber Definition sozial gehandelt, doch beschränkt sich soziales Handeln nicht nur auf karitatives oder gutgemeintes Handeln. Eine Kriegserklärung erfüllt durchaus auch die Kriterien sozialen Handelns, wie sie Weber formuliert hat.
Entscheidend ist, dass das Tun bewusst auf ein oder mehrere andere Menschen bezogen ist und auch dementsprechend abläuft; die Motivation für dieses Tun kann jeder nur denkbaren Art sein.
Den Begriff des „Pädagogischen Handelns“ grenzt Hermann Giesecke in seinem Buch „Pädagogik als Beruf“ ein. Er erklärt den Begriff „pädagogisch“ mit „erzieherisch“, wobei ,,erzieherisch" wiederum bedeutet ,, ein Kind in seiner geistigen und charakterlichen Entwicklung formen, indem man es bestimmte Normen und Prinzipien lehrt"(Giesecke S.26).
Für ,,handeln" werden Synonyme, wie ,,etwas bewältigen, handhaben, umgehen mit etwas" und ,,in einer bestimmten Situation aktiv werden" genannt (Giesecke S.31). Wenn ein Pädagoge nun ,,pädagogisch handelt", bedeutet das, dass ein Kind erst in eine ,,bestimmte Situation" geraten muß, damit der Pädagoge es geistig und charakterlich formt?
In der Behindertenpädagogik oder bei der Arbeit in Heimen oder Jugendämtern ist das durchaus der Fall, dort ist eine ,,bestimmte Situation" bereits gegeben, was heißt, dass der Pädagoge mit einer Sachlage konfrontiert wird, die ihm erlaubt angemessen zu handeln. Im allgemeinen wird Pädagogik jedoch so verstanden, Menschen ,,Erziehung und Bildung zu ermöglichen“ (Giesecke S. 45 ff) und sie ,,in ihrer Entwicklung positiv zu fördern“ (Giesecke S. 45 ), was nicht durch eine ,,bestimmte Situation" verursacht werden sollte, sondern dauernd und stetig passieren soll.
2.2. Differenzierung der Begriffe „Soziales handeln“ und „Pädagogisches Handeln“
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel
Pädagogisches Handeln fällt in den Bereich des sozialen Handelns, da es ,,am Handeln anderer orientiert ist (Giesecke S. 45). Das heißt, ,,erzieherisches Handeln ist, wie alles soziale Handeln, an Personen gebunden, es wirkt sich an Personen aus, und es konstituiert sich in gesellschaftlichen Bedingungszusammenhängen und Verhältnissen“ (Giesecke).
Im traditionellen Sinne ,,war pädagogisches Handeln darauf angelegt, sich selbst mit der Mündigkeit des Zöglings überflüssig zu machen“ (Giesecke), wobei sich diese Aussage auf die Erziehung von Kindern bezog, die zu einem gewissen Zeitpunkt beendet war.
Heutzutage lassen sich auch Erwachsene bis ins hohe Alter hinein immer noch weiterbilden und belehren. Ebenso verhält es sich mit den Behinderten und Pflegebedürftigen. Sie werden auch als lernfähig und entfaltbar behandelt, um ihnen ein, in gewisser Hinsicht, selbstbestimmbares Leben zu ermöglichen. ,,Das pädagogische Handeln erstreckt sich also inzwischen weit über die Kindheit hinaus und hat nicht nur alle menschlichen Alterphasen, sondern auch solche Gruppen von Menschen erfasst, die wie die Behinderten früher als nicht weiter bildbar gegolten haben.“ (Giesecke)
In diesem Sinne hat sich natürlich auch der pädagogische Handlungsraum erweitert. So ist der Pädagoge heute nicht einfach nur der ,,Lernhelfer", sondern er muß auch andere soziale Handlungsformen beherrschen:
1. Politisches Handeln
2. Administratives Handeln
3. Ökonomisches Handeln
4. Medizinisches Handeln (Giesecke S. 35)
Diese vier sozialen Handlungsformen fallen vorwiegend in den Bereich des sozialen Handelns. Wie bereits festgestellt, ist „pädagogisches Handeln“ „soziales Handeln oder „soziales Handeln“ ist „pädagogisches Handeln“.
Die Differenz zwischen „Sozialem“ und „Pädagogischem Handeln“, aber besteht darin, wenn man der Definition Webers folgt, dass das „Soziale Handeln“ auch eine negierende Funktion haben kann, wie beispielsweise bei einer Kriegserklärung. Das „Pädagogische Handeln“ geht aber von einem positivistischen Menschenbild aus. Es verfolgt keine negierende Absicht, sondern will den Menschen bestmöglichst fördern.
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel
Eine weitere Differenz zwischen „sozialem“ und „pädagogischem Handeln“, die Giesecke hervorhebt, ist der Aspekt des „Lernens“. Pädagogen sollen Lernen ermöglichen und nehmen die Rolle des „Lernhelfers“ ein.
3. Erläutern Sie an einem von Ihnen gewählten (evtl. selbst erlebten) Fallbeispiels eine grundlegende Paradoxie pädagogischen Handelns. Analysieren Sie, worin jeweils die Paradoxie besteht.
Das von mir gewählte Fallbeispiel bezieht sich auf mein Praktikum in einer Einrichtung mit dem Schwerpunkt des betreuten Wohnens. In dieser Einrichtung leben ca. 18 Jugendliche in der Altersspanne von 14-18 Jahren. Bei der Aufnahme der Jugendlichen wird vertraglich festgehalten, dass diese sich zur Mitarbeit verpflichten, das heißt 1. sich den Entscheidungen des Betreuers zu unterstellen, 2. sich der Hausordnung zu unterstellen, das beinhaltet unter anderem kein Alkohol im Haus, keine Gewaltausübung, etc.
Ich beziehe mich bei diesem Fallbeispiel auf die von Schütze erörterte grundlegende Paradoxie des „exemplarischen Vormachens und die Gefahr, den Klienten unselbstständig zu machen“ ( Schütze S160 ff).
Eines der Hauptmaximen der Einrichtung ist es, die Jugendlichen zur Selbstständigkeit anzuleiten. Dies geschieht oftmals durch Hilfe zur Selbsthilfe. Ich wurde beauftragt, einem Jugendlichen bei der Durchführung eines externen Hauptschulabschlusses zu begleiten. Dieser war schon in einem Realschulzweig angegliedert, konnte diesen aber nur mit bestandener Hauptschulabschlussprüfung weiter ausführen. Das bedeutete eine Anzahl von organisatorischen Angelegenheiten, wie beispielsweise Einverständniserklärung der Mutter oder anmelden der jeweiligen Prüfungen. Ich habe mich dieser Aufgaben angenommen. Der Jugendliche war nur sehr schwer bis gar nicht bei der Erledigung dieser Aufgaben integrierbar, da er es vorzog „wichtigere Dinge“ zu tun. D.h., dass das Modell des Vormachens in diesem Fall keine Anwendung gefunden hat.
Um die paradoxe Struktur dieses Fallbeispiel herauszufiltern, ist es auch wichtig anzumerken, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der ablehnenden Haltung des Klienten nicht möglich war, da die zeitliche Beschränkung es nicht zu ließ. Die Paradoxie bestand darin, dass ich zum einen die selbstständige Entscheidung bzw. die Selbstständigkeit des Klienten nicht beschneiden konnte, aber zum
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel anderen mir der Gefahr bewusst war, dass dies zur Unselbstständigkeit führt. Es fügt sich eine weitere Paradoxie an, nämlich: “Äußere Bestimmung vs. Entscheidungsfreiheit des Klienten“ (Schütze S. 156). Die Jugendlichen dieser Einrichtung neigen dazu, alle organisatorischen Aufgaben an den Betreuer abzugeben. Diese Haltung führt selbstverständlich in diesem Bereich zur Unselbstständigkeit. D.h. Erziehung funktioniert in diesem Fall nur mit dem Mittel der äußeren Bestimmung, welche die Entscheidungsfreiheit des Klienten beeinträchtigt. Die Paradoxie löst sich in diesem Fall nur im Handeln des Pädagogen auf. Dieser muss Sensibilität und Emphatie für die Situation aufbringen, und beispielsweise durch Verdeutlichung der Notwendigkeit dieser organisatorischen Aufgaben die Paradoxie auflösen.
4. Welche Differenzierungen sind am Begriff „pädagogischen Handeln“, so wie ihn Giesecke einführt, vor dem Hintergrund des impliziten Wissens vorzunehmen?
Der Begriff des „pädagogischen Handeln“, so wie ihn Giesecke eingeführt hat setzt voraus, dass der Handelnde sich in einem ständigem Reflexionsprozess befindet. Er muss laut Giesecke die gelernten Theorien permanent im Kopf durchspielen und eventuell durchstrukturieren, bis er dann auch dementsprechend handeln kann. Löst sich das Problem dadurch, hat er angemessen gehandelt, wenn nicht, muß er von vorne beginnen und sich neue Ansatzpunkte suchen.
„Der notwendige Gegenpol zum Handeln ist die Reflexion dieses Handelns, bzw. überhaupt die systematische Erweiterung des Vorstellungs-Repertoires. Zu unterscheiden ist eine engere, auf die Handlungssituation relativ nahbezogene Reflexion, und eine weitere, die im Grunde identisch ist mit der fortschreitenden Bildungsgeschichte des Pädagogen“ ( vgl. Giesecke S. 45-46).
Giesecke bewegt sich in seinen Erörterungen innerhalb des Deliberationsmodells, welches sich dadurch kennzeichnet, dass „Psychologische Handlungstheorien den Handlungsbegriff regelmäßig an die Existenz mehr oder weniger bewusster Regulationsprozesse bindet, die zum Tun hinzutreten, insbesondere an das Setzen
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel von Zielen, das Erinnern von Wissen, das Abwägen von Handlungsalternativen, das Planen, an Handlungsentschlüsse. Ein Handelnder tut demnach zwei Dinge, er handelt und er ´intelligentelt`“ ( vgl. Neuweg, S. 11).
Neuweg versucht mit seinem Konzept des impliziten Wissens, diese Ansicht zu wiederlegen, und sie durch sein Konzept aufzufrischen. Er ist der Ansicht, dass nicht bei jedem intelligenten Handeln ein Reflexionsprozess vorangegangen sein muss, sondern dass durch Aneignung impliziten Wissens eine intuitive Handlung die gleiche Qualität besitzt.
Die Aufnahme impliziten Wissens kann durch Routinisierung vormals bewusst Gelerntem erfolgen. Implizites Wissen kann aber auch durch nicht bewusstes Lernen aufgenommen werden und somit unreflektiert bleiben. Es kann Handlungen unbewusst beeinflussen bzw. leiten. Insbesondere bildet sich implizites Wissen durch Erfahrungssammlung, d.h. durch Erfahrungslernen in der Arbeitstätigkeit. Implizites Wissen kann eine komplexe Struktur aufweisen. Allerdings kann es auch fehlerhaft sein. Fehler können nur soweit ausgeschaltet werden, wie eine Explikation impliziten Wissens und damit eine Reflexion gelingt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
hoher Anteil im Bereich der Mikrokoordination Grafik 1
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Neuweg unterscheidet in handlungsleitendes Wissen und handlungsrechtfertigendes Wissen. Während Giesecke der Ansicht ist, das jede Handlung, nachdem sie reflektiert wurde, explizit gemacht werden sollte. Neuweg verlässt in Ansätzen diesen Pfad, und vertritt die Ansicht, dass das intuitive Handeln entgegengesetzt zum Deliberationsmodell nicht gleich schlecht sein muss, sondern in den meisten Fällen den Könner vom Novizen unterscheidet. Der Könner muss seine Handlungen nicht explizieren, sofern sie nicht fragwürdig erscheinen.
Neuweg gibt mit seinen Thesen dem Handlungsbegriff eine neue Richtung, da er sich näher an der Realität befindet. Es ist kein Handelnder beständig in der Lage, sich während des Handelns in einem fortlaufendem Reflektionsprozess zu befinden.
5. Worin besteht die Aufgabe der universitären Ausbildung für pädagogische Profession, wenn man Autoren wie Neuweg oder Dewe/Radtke folgt? Diskutieren sie deren Vorschläge.
Zur Bearbeitung dieser Aufgabenstellung ist es wichtig, sich eine klare Definition von Profession vor Augen zu führen, umso zu verstehen, warum die pädagogische Ausbildung in die Wissenschaft ausgelagert bzw. universitär ist.1 Der Grund für die Auslagerung bestimmter Aufgaben in den Bereich der Wissenschaft liegt in der Dynamik der Praxis begründet: Mancher Bedarf an grundlegenden Erkenntnissen kann vom Praktiker selbst nicht gedeckt werden, weil er dauernd unter Handlungsdruck steht und für Reflexion, Forschung und Wissenstradierung wegen der Dringlichkeit der Probleme kaum Zeit hat. Daher werden Teile dieser Erkenntnisaufgabe an wissenschaftliche Disziplinen übertragen, deren Personal sich aus der Elite der Profession rekrutiert.
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel
Das gilt für die Medizin, die Rechtswissenschaft und die Theologie. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Aufgabe der Wissenschaft und ihr Bezug zur Praxis genauer bestimmen:
Prüfung, Erzeugung, Vermittlung und systematische Pflege des Professionswissens wären demnach der Kern einer professionsbezogenen Wissenschaft.
Professionen, unter dem Gesichtspunkt des strukturtheoretischen Professionsbegriffs, befassen sich damit, spezialisiertes, abstraktes Theoriewissen auf konkrete lebenspraktische Problemsituationen anzuwenden, um so gravierende individuelle Schwierigkeiten der Menschen zu bearbeiten (vgl. Oevermann 1983, S. 141ff). Unter dem Gesichtspunkt der Individualität kommt das 'Technologiedefizit' pädagogischen Handelns hinzu. Damit ist Folgendes gemeint: Es gibt keine vollständig und endgültig erlernbare Technik oder Methode, mit der alle Schwierigkeiten, Ambivalenzen, Konflikte und Widersprüche in pädagogischen Situationen methodisch beherrschbar wären. Der Praktiker muss also mit der Unsicherheit leben, dass es keine sichere Richtlinie pädagogischen Tuns gibt. Die Bearbeitung der pädagogischen Aufgabe erfordert daher ein hohes Maß an Handlungsautonomie. Wenn man etwas nicht technisch oder methodisch genau festlegen kann, braucht derjenige, der handeln muss, entsprechende Spielräume.
Diese Autonomie muß aber kontrollierbar und begrenzt sein, weil sonst die Gefahr der Willkür besteht.
Konkret lösen die Professionellen ihre Aufgaben, indem sie die vorliegende Fallstruktur vor dem Hintergrund des Professionswissens deuten und diesen Deutungen entsprechende professionelle Handlungsstrategien folgen lassen. Man kann Profession von Arbeit oder Beruf mit drei wesentlichen Merkmalen unterscheiden (vgl. 96; Terhart 1992, Hartmann 1968; Oevermann 1996; Stichweh 1995): 1. Wissenschaftliche Fundierung der Tätigkeit in 2. gesellschaftlich relevanten, ethisch normierten Bereichen der Gesellschaft wie Gesundheit, Recht, auch Erziehung und 3. ein besonders lizenziertes Interventions- und Eingriffsrecht in die Lebenspraxis von Individuen (vgl. Radtke/sowi-journal).
In dem Kontext der Diskussion über Professionswissen, wird Kritik laut, ob eine universitäre Ausbildung ideal für die Lehrerausbildung sei, da der Praxisbezug fehle. Dewe/Radtke argumentieren, dass im Lehrerberuf zwischen Wissenschaftswissen und beruflichem Handlungswissen eine dauerhafte Differenz bestehe. Die Anfänger würden in der Praxis durch Orientierung an Vorbildern, also z.B. den MentorInnen ,
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel historisch bewährte, kollektiv erwirtschaftete Lösungen der bisherigen Lehrergeneration übernehmen und sich damit pädagogischen Konventionen anpassen. Die Vorstellung sei falsch, dass Wissenschaftswissen in der Praxissituation angewendet oder in sie transformiert werde. Metaphern wie die von der „Verzahnung“ von Theorie und Praxis lenkten von den speziellen Aufgaben der jeweils getrennten Bereiche Wissenschaft und Praxis ab.
Infolgedessen gehe es an der Hochschule überhaupt nicht um ein Theorie-Praxis- Problem, und die Hochschule sei selbst für Kritik an ihrer Ausbildung - sie sei zu praxisfern - verantwortlich, weil sie mit dem Versprechen, praxisrelevante Inhalte zu vermitteln, unerfüllbare Erwartungen wecke (ähnlich auch Radtke 1996, Radtke und Webers 1998, Neuweg 2000). Ziel des Studiums sei allein der „reflexive Umgang mit Theorie“ (Dewe 1997, 242).
Das von Dewe/Radtke bzw. Neuweg favorisierte Modell sieht einen Stufenplan vor, der die Ausbildung in drei Phasen aufgliedern soll. Die erste Phase beinhaltet die universitäre Ausbildung, mit der Aneignung des Reflexionswissen, die zweite Phase beinhaltet den Einstieg in die Praxis, beginnend mit dem Referendariaht und die dritte Phase sieht Lehrerfortbildungen vor. Das in der ersten Phase angeeignete wissenschaftliche Wissen erst in der dritten Phase, der Lehrerfortbildung, wieder verwendet werden.
Hier soll eine Transformation eingeleitet werden, in der wissenschaftliches Wissen „veralltäglicht, einverleibt/in Können verwandelt“ wird (Radtke 1996, 252). Für Neuweg ist das erlangte Wissensspektrum an der Universität auch unerlässlich für das intuitive Wissen, das später für die Praxis relevant ist. Des weiteren lehnt er Praktischen Unterricht an der Universität an, da dieser immer nur simulativ sein kann und für die „pädagogische Situation“ unrelevant ist.
Dieses Konzept der Lehrerfortbildung muss aber in allen Bereichen kontrovers reflektiert werden. Es bestünde beispielsweise das Risiko, wenn dieses Konzept nicht flächendeckend verbindlich gemacht werden könnte, dass das so resultierende Vakuum die strukturellen Probleme der Lehrerbildung eher vergrößern als verkleinern würde. Selbst wenn eine derartige flächedeckende und berufsbegleitende Lehrerfortbildung dauerhaft gewährleistet wäre, könnten weiterhin Zweifel am Modell bestehen: Aus der Lerntheorie ist bekannt, dass Prozesse des Umlernens - nachdem der Lerner z.B. bereits das Niveau automatisierter Reaktionen erreicht hat - gegenüber dem Neulernen viel schwieriger sind und die Gefahr des
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Nichtgelingens bestünde, da erworbene Routinen sich beschwerlich wieder unterbrechen lassen. Im Grossen und Ganzen würde ich aber an dem vorgeschlagenen Konzept der Lehrerfortbildung von Dewe/Radtke und Neuweg festhalten, da ich aus eigenen Empirien festgestellt habe, dass das aneignen von Reflexionswissen unabdingbar ist, sowohl individuell betrachtet, als auch für die Praxis.
„Aufgabe der wissenschaftlichen Ausbildung ist nicht die Einübung in dieses, in der Berufskultur gepflegte Denken, das leicht in einer ‚Harmonie der Täuschungen' enden kann, sondern dessenIrritation, die eine Voraussetzung vonInnovationist. Die geht nicht von praktischen Erfahrungen oder den Bedürfnissen der Praxis aus, sondern von wissenschaftlicher Disziplin und methodologischer Reflexion" (Radtke 1999, 19).
6. Schluss
Resümierend lässt sich sagen, dass die Beschäftigung mit dem „pädagogischen Handeln“ immer Fragen offen lässt. Einmal ist pädagogisches Handeln zwar ein soziales, gleichwohl aber jedes Mal ein individuelles, einmaliges, unwiederholbares. Die Beantwortung der Fragen lösen sich hauptsächlich im Handelnden selbst. Ich bin der Meinung, bei der Beschäftigung mit dieser Thematik verstärkt auf die Simulation der Praxis zurückzugreifen. Diese kann die Praxis zwar nicht wiedergeben, aber zur Anreicherung von Reflexionswissen beitragen.
7. Literaturverzeichnis
- Dewe, B./Radtke, F.-O. (1993): Was wissen Pädagogen über ihr Können? Professionstheoretische Überlegungen zum Theorie-Praxis-Problem in der Pädagogik, in: Tenorth, H.-E./Oelkers, J. (Hg.), Pädagogisches Wissen, Weinheim/Basel, S. 143-161.
- Giesecke, H. (2000): Pädagogik als Beruf: Grundformen pädagogischen Handeln, Weinheim/München, 7. Auflage.
- Helsper, W. (1996): Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne, in: Krüger, H.-H./ders. (Hg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Opladen, S. 15-34, 2. Auflage.
- Neuweg, G.H. (2000): Können und Wissen. Eine alltagssprachliche Verhältnisbestimmung, in: Ders. (Hg.), Wissen - Können - Reflexion. Ausgewählte Verhältnisbestimmungen, Innsbruck, S. 65-82.
„Pädagogisches Handeln“ von Manuel Kappernagel
- Neuweg, G.H. (2001): Lehrerhandeln und Lehrerbildung im Lichte des Konzepts des impliziten Wissens, in: Zeitschrift für Pädagogik, 48 (2002), 1, S. 10-29.
- OELKERS, J.: Die Vermittlung von Theorie und Praxis in der Pädagogik. München 1976.
- OEVERMANN, U.: Hermeneutische Sinnrekonstruktion: Als Therapie und
Pädagogik missverstanden, oder: das notorische strukturtheoretische Defizit pädagogischer Wissenschaft. In: GARZ, D. / KRAIMER, K. (Hg.): Brauchen wir andere Forschungsmethoden? Frankfurt/Main 1983, S. 113-155.
- Schütz, A. (1977): Parsons' Theorie sozialen Handelns, in: Schütz,
A./Parsons, T., Zur Theorie sozialen Handelns. Ein Briefwechsel, Hrsg. von Walter M. Sprondel, Frankfurt/M., S. 25-31.
- Schütze, F. (1992): Sozialarbeit und Paradoxien des professionellen
Handelns, in: Dewe, B./Ferchhoff, W./Radtke, F.-O. (Hg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern, Opladen, S. 146-162.
- Stichweh, Rudolf (1996): Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft. In: Combe/Helsper (Hg.), 49-69.
- Terhart, Ewald (1992): Lehrerberuf und Professionalität. In:
Dewe/Ferchhoff/Radtke, (Hg.), 103-131.
- Weber, M. (1922/1964): Wirtschaft und Gesellschaft. 1. Halbband, Hrsg. von
Johannes Winckelmann, Berlin/Köln, S. 3-18.
Internet:
- Radtke, F.-O.:
http://www.sowi-onlinejournal.de/nav_css_js/index- n.htm?/lehrerbildung/radtke.htm
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Häufig gestellte Fragen zu "Pädagogisches Handeln" von Manuel Kappernagel
Was ist das Thema der Hausarbeit?
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Pädagogisches Handeln“. Sie untersucht die Grundstrukturen des Begriffs, seine Kontroversen und die Rolle der Profession in der pädagogischen Ausbildung.
Wie definiert Max Weber den Begriff "Handeln"?
Max Weber definiert "Handeln" als menschliches Verhalten (Tun, Unterlassen oder Dulden), mit dem der oder die Handelnden einen subjektiven Sinn verbinden.
Wie unterscheidet Weber zwischen "Handeln" und "Sozialem Handeln"?
Soziales Handeln ist Handeln, das seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist. Der Unterschied zu bloßem "Handeln" liegt also in der Bezugnahme auf andere.
Wie definiert Hermann Giesecke den Begriff "pädagogisch"?
Giesecke erklärt "pädagogisch" mit "erzieherisch", was bedeutet, ein Kind in seiner geistigen und charakterlichen Entwicklung zu formen, indem man ihm bestimmte Normen und Prinzipien lehrt.
Worin besteht der Unterschied zwischen "Sozialem Handeln" und "Pädagogischem Handeln"?
Pädagogisches Handeln fällt in den Bereich des sozialen Handelns, da es am Handeln anderer orientiert ist. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass soziales Handeln auch eine negierende Funktion haben kann, während pädagogisches Handeln von einem positivistischen Menschenbild ausgeht und den Menschen bestmöglich fördern will. Pädagogen sollen Lernen ermöglichen und nehmen die Rolle des Lernhelfers ein.
Welche Paradoxie pädagogischen Handelns wird anhand des Fallbeispiels erörtert?
Die Paradoxie des exemplarischen Vormachens und die Gefahr, den Klienten unselbstständig zu machen. Eine weitere Paradoxie ist die Spannung zwischen äußerer Bestimmung und Entscheidungsfreiheit des Klienten.
Welche Kritik übt Neuweg an Gieseckes Begriff des "pädagogischen Handeln"?
Neuweg kritisiert, dass Gieseckes Begriff voraussetzt, dass der Handelnde sich in einem ständigen Reflexionsprozess befindet. Neuweg argumentiert, dass nicht bei jedem intelligenten Handeln ein Reflexionsprozess vorangegangen sein muss, sondern dass durch Aneignung impliziten Wissens eine intuitive Handlung die gleiche Qualität besitzen kann.
Worin besteht die Aufgabe der universitären Ausbildung für pädagogische Professionen nach Dewe/Radtke?
Dewe/Radtke argumentieren, dass das Ziel des Studiums allein der „reflexive Umgang mit Theorie“ sei. Sie favorisieren ein Stufenmodell, das die Ausbildung in eine universitäre Phase mit Aneignung von Reflexionswissen, eine Praxisphase (Referendariat) und Lehrerfortbildungen gliedert, in denen das wissenschaftliche Wissen in Können verwandelt wird.
Welche Kritik wird an dem Modell von Dewe/Radtke geäußert?
Es wird kritisiert, dass Umlernen schwieriger ist als Neulernen und dass erworbene Routinen sich schwer wieder unterbrechen lassen. Es besteht das Risiko, dass das so resultierende Vakuum die strukturellen Probleme der Lehrerbildung eher vergrößern als verkleinern würde, wenn es nicht flächendeckend verbindlich gemacht werden kann.
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- Manuel Kappernagel (Autor), 2002, Pädagogisches Handeln, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107377