Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Verortung: Das institutionelle Modell
3. Geschichte und Aufgaben der NATO
4. Die Geschichte der NATO- Osterweiterung
5. Institutionelle Angebote der NATO
5.1. Inklusive Angebote
5.1.1. Nordatlantischer Kooperationsrat (NAKR)
5.1.2. Partnerschaft für den Frieden (PfP)
5.1.3. Euro- Atlantischer Partnerschaftsrat (EAPR)
5.2. Exklusive Angebote
5.2.1. Die NATO- Russland Akte
6. Pro und contra der NATO- Osterweiterung (die deutsche Interessenlage)
7. Die deutsche Haltung zur NATO- Osterweiterung Exkurs: Die russische Position
8. Ergebnis
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im März 1999 traten die Länder Polen, die Tschechische Republik und Ungarn der NATO bei. Dies stellt zwar nicht die erste Erweiterung des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses dar, wohl aber eine ganz besondere. Zum ersten mal wurden Länder aufgenommen, die noch vor geraumer Zeit dem früheren Feind, dem Warschauer Pakt, angehörten. Im November 1990 endete mit der Unterzeichnung der „Charta von Paris“ der Kalte Krieg zwischen den beiden Blöcken, im April 1991 löste sich der Warschauer Pakt auf. Die NATO hat sich seit dem Ende des Ost- West Konfliktes verändert. Sie hat diese Zeit erfolgreich überstanden, nachdem sie über vier Jahrzehnte die Sicherheit ihrer Mitglieder garantierte. Nach dem Zerfall der Blocksituation stellen sich neue Aufgaben. So sieht sich die NATO nicht mehr nur als reines Verteidigungsbündnis, sondern stützt sich in verstärktem Maße auch auf ihren politischen Flügel. Es gilt Sicherheit, Freiheit und wirtschaftliche Prosperität, die die NATO in Verbindung mit anderen westlichen Organisationen in den Jahrzehnten des Kalten Krieges ermöglichte, auch auf die Nachbarn im Osten auszuweiten. „NATO und EU haben im westlichen Europa einen Stabilitätsraum geschaffen, der in der Geschichte ohne Beispiel ist. Sie haben dem Übel europäischer Machtpolitik durch Kooperation und Integration... ein Ende gesetzt.“1 Ziel vieler östlicher Nachbarn war es, nach dem Ende des Kalten Krieges diesem Stabilitätsraum beizutreten. Gerade Deutschland nahm in dieser sich stark wandelnden Zeit eine Schlüsselposition ein. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges befand sich Deutschland am Boden. Jedoch durch die Integration in die westlichen Bündnissysteme und stete, oftmals führende, Mitarbeit, gelang es Deutschland durch die Wiedervereinigung seine volle Souveränität wiederzuerlangen und eine wichtige Rolle in der heutigen Politik zu spielen.
Im folgenden werde ich genauer auf die 1. Osterweiterung der NATO, die mit dem Beitritt der drei MOE- Staaten (Mittel- Ost- Europäische Staaten) 1999 endete, eingehen und hier im besonderen die deutsche Position genauer betrachten. Gerade Deutschland, das vier Jahrzehnte die Grenze der beiden Blöcke in Europa bildete und im besonderen von der Integration in westliche Bündnisse profitierte, zeigte ein besonderes Interesse an der Einbindung seiner östlichen Nachbarn. Wie dies jedoch vonstatten gehen sollte, war auch in Deutschland umstritten. So gilt es in einem weiteren Punkt auf die Vor- und (befürchteten) Nachteile einer Erweiterung einzugehen. Ein entscheidender Punkt war das Verhältnis der NATO und hier vor allem Deutschlands zu Russland, das sich gegen eine Erweiterung aussprach. Es gilt also auch die Position Russlands genauer darzustellen. Ein Resümee der ersten Stufe der Erweiterung und seiner Folgen wird diese Arbeit abschließen.
Beginnen will ich mit einem theoretischen Ansatz zur Erklärung der NATO- Osterweiterung.
Danach folgt eine kurze Einführung in die Geschichte und Aufgaben der NATO, um dann in einem nächsten Punkt die Stufen der Osterweiterung und damit verbunden, die Kooperationsangebote des atlantischen Bündnisses zu den Staaten des früheren Warschauer Paktes zu erläutern.
2. Theoretische Verortung: Das institutionelle Modell
Die Anarchie im internationalen System wird zunehmend von den Interdependenzen zwischen den einzelnen Staaten eingehegt. Diese Interdependenzen bewirken ein gesteigertes Kooperationsinteresse der Akteure, was zur Bildung von Institutionen führt. Man geht davon aus, „daß es vielfältige Sachzwänge zur Herstellung kooperativer zwischenstaatlicher Beziehungen und Erfolgsprämien für diejenigen Staaten gibt, die sich dieser kooperativen Logik verschreiben.“2 Durch kollektives Handeln sollen gemeinsame Gewinne erzielt werden. Befürworter des institutionellen Modells nehmen an, dass institutionelle Kooperation zu Berechenbarkeit und somit zu verstärkter Sicherheit zwischen den Staaten führe.3 „Die Staaten können einerseits ihr außenpolitisches Verhalten nach den Regeln der internationalen Institutionen ausrichten, andererseits können sie besser ihre Partner einschätzen.“4
Transaktionskosten werden gesenkt.
Nach dem Ende des Kalten Krieges ist eine Intensivierung der Beziehungen und der Kommunikation sowohl zwischen den Mitgliedern der NATO als auch zwischen der NATO und Osteuropa zu verzeichnen. „Somit läßt sich feststellen, daß das kollektive Verteidigungsbündnis der NATO sich zu einem anpassungsfähigen, institutionalistischen Modell der Konsultation, Kooperation und des Krisenmanagements entwickelt hat.“5
Schwerpunkt der NATO ist nicht mehr nur die kollektive Verteidigung, sondern die Förderung von Sicherheit und Stabilität. Dies ist vor allem durch Kooperation und Integration der osteuropäischen Nachbarn zu leisten. Ziel muss es sein, die MOE- Staaten und Russland in internationale Institutionen einzubinden. Ein Schritt in diese Richtung ist die zu verzeichnende stärkere Kooperation in Programmen wie der „Partnerschaft für den Frieden“ oder des Nordatlantischen Kooperationsrates und letztlich auch die Aufnahme von Staaten in die NATO.
3. Geschichte und Aufgaben der NATO
Gemäß Artikel 51 der UN- Charta bildete sich nach dem 2. Weltkrieg die NATO als Regionalpakt zur kollektiven Selbstverteidigung und stellt heute den wohl weltweit bedeutensten Pakt dieser Art dar. Gegründet wurde die NATO am 4.4.1949 in Washington. Woyke unterteilt die Entwicklung der NATO in sechs Abschnitte. Die erste Phase, die Aufbau- und Ausbauphase reichte von 1949 bis 1955 und endete mit dem Beitritt Deutschlands. Dieser schloss sich eine Konsolidierungsphase an, die ihren Höhepunkt während der Berlin- (1961) und der Kubakrise (1962) erfuhr und mit dem Auszug Frankreichs (1966) endete. Kennzeichen der dritten Phase ist eine Entspannungspolitik. Durch den Harmel- Bericht erhielt die NATO den Auftrag, verstärkt auch mit Hilfe politischer Maßnahmen, die Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Die vierte Phase setzte Mitte der 70er Jahre ein und ist gekennzeichnet durch eine verstärkte intraatlantische Konfrontation, besonders zwischen Westeuropa und den USA. Die fünfte Phase bildet die Zeit zwischen 1985 und 1991. In dieser Periode veränderte sich vor allem die Außenpolitik der Sowjetunion, in der die Person Gorbatschow eine herausragende Rolle spielte. „Die Umwälzungen und Revolutionen in Osteuropa sowie der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ entzogen dem Warschauer Pakt seine Grundlage... und stellten die NATO vor eine vollkommen neue internationale Konstellation.“6 Einschneidende Ereignisse wie der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Demokratisierungsbemühungen in den osteuropäischen Staaten und die deutsche Wiedervereinigung veränderten den sicherheitspolitischen Rahmen auf enorme Weise. Die sechste Phase begann 1991. Ein Umdenken innerhalb der NATO setzte ein. Das Bündnis geriet unter Anpassungsdruck, da sich das internationale System erheblich gewandelt hatte. Die direkte Bedrohung durch den alten Feind war nicht mehr gegeben. Es kam zu einer Ausweitung der Aufgaben. Eine der neuen Aufgaben ist die Schaffung von Sicherheit und Stabilität in Osteuropa, um somit auch die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Eine Maßnahme stellt hier die NATO- Osterweiterung dar, aber auch die Schaffung anderer Gremien auf die ich später noch genauer eingehen werde.7
Die Aufgaben der NATO haben sich nicht grundlegend geändert, sondern erweitert. Hauptaufgabe bleibt weiterhin die kollektive Verteidigung nach Artikel V des Washingtoner Vertrages. Dazu kommt die Schaffung von Sicherheit im euro- atlantischen Raum und die Stärkung dieser „durch Partnerschaft, Kooperation und Dialog“8. Präventiver Konfliktverhütung und Krisenbewältigung kommt in immer stärkerem Maße Beachtung zu.
4. Die Geschichte der NATO- Osterweiterung
Wie bereits erwähnt, sieht es die NATO als ihre Aufgabe an, für Sicherheit im euro- atlantischen Raum zu sorgen. Eine Möglichkeit um dies zu erreichen, stellt die oftmals kontrovers diskutierte NATO- Osterweiterung dar. Die NATO Erweiterung erfolgt nach Artikel 10 des Washingtoner Vertrages von 1949. Darin steht: „Die vertragschließenden Staaten können auf Grund eines einstimmig getroffenen Übereinkommens jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrages zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebietes beizutragen, zum Beitritt zu diesem Vertrage einladen.“9 Im folgenden werde ich einige Stationen auf dem Weg zur ersten Osterweiterung skizzieren.
Im Juni 1990 kam es auf der Frühjahrestagung des Nordatlantikrates im schottischen Turnberry zur Verabschiedung der „Botschaft von Turnberry“. Die Außenminister beschlossen, die historische Chance zu ergreifen, eine neue europäische Friedensordnung zu schaffen. Hiermit begann der Dialog zwischen der NATO und den Warschauer Pakt Staaten. Im Juli des selben Jahres werden bei der Tagung der Staats- und Regierungschefs der Allianz die „Londoner Erklärungen“ verabschiedet. Hieraus geht hervor, dass die politische Komponente gestärkt werden solle. Zwar müsse auch weiterhin die gemeinsame Verteidigung einen Grundpfeiler bilden, doch „Sicherheit und Stabilität lägen nicht allein in der militärischen Dimension.“10 Im November 1990 folgte die Unterzeichnung der „Charta von Paris für ein neues Europa“, welche das Ende des Kalten Krieges besiegelte und in der man sich zusicherte, sich nicht länger als Feind zu betrachten. Im darauffolgenden Jahr erklären die Präsidenten der CSFR und Polens an einer stärkeren Kooperation mit der NATO interessiert zu sein. Gerade die MOE- Staaten zeigten ein starkes Interesse daran, in den Sicherheitsbereich des Bündnisses einzugehen, da die Furcht vor innenpolitischen Instabilitäten in Russland einhergehend mit einer Revisionspolitik der einstigen Führungsmacht und einem übermächtigen Deutschland auf der anderen Seite groß war. Zur damaligen Zeit schloss man im Bündnis eine Öffnung für neue Mitglieder aber noch aus. Man machte jedoch Kooperationsangebote zum Beispiel in Form des Nordatlantischen Kooperationsrates oder der Partnerschaft für den Frieden. Erst im Laufe der Jahre 1993/94 änderte die NATO langsam ihre Meinung zur Öffnung für Staaten Osteuropas. Angeregt wurde die Debatte durch den damaligen deutschen Verteidigungsminister Volker Rühe. Die USA, erst reserviert, wurde zum Fürsprecher einer Erweiterung. Im September 1995 wurde die „Study on NATO Enlargement“ veröffentlicht. Hierin werden Ziele und Prinzipien, der politische und strategische Kontext sowie Beitrittsvoraussetzungen dargelegt. Kriterien einer NATO Mitgliedschaft sind vor allem Demokratie, die Achtung der Menschenrechte, Rechtssicherheit, eine funktionierende Marktwirtschaft, die Verpflichtung zu einer friedlichen Streitbeilegung, die zivile Kontrolle der Streitkräfte als auch die Beilegung von Grenzstreitigkeiten. Diese Ziele „haben in den MOE- Staaten eine besondere Dynamik im Reformprozeß hervorgerufen.“11 Die Studie enthält jedoch keine Spezifizierung, weder hinsichtlich der Auswahl der neuen Mitglieder, noch eines genauen Zeitplans. Bevor es zur Einladung der neuen Mitglieder kam, unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der NATO Staaten und der russische Präsident Jelzin im Mai 1997 die Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und Russland. Im Juli 1997 werden auf dem Gipfeltreffen in Madrid offizielle Beitrittseinladungen an Polen, die Tschechische Republik und Ungarn ausgesprochen. Im Jahr 1999 traten diese drei Länder der NATO bei.
5. Institutionelle Angebote der NATO
Die NATO sah sich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit mit den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes mit divergierenden Interessen konfrontiert. Parallel zur Diskussion um die Osterweiterung des Bündnisses, bereitete die NATO Kooperationsangebote für die osteuropäischen Staaten vor. Es galt sowohl die eigenen Interessen im Auge zu behalten, als auch die Vorstellungen der neuen Kooperationspartner zu berücksichtigen. Des weiteren durften nicht die russischen Sicherheitsbedenken und die ablehnende Haltung Moskaus gegenüber der Erweiterung aus den Augen gelassen werden, „da das Verhältnis zu Rußland aufgrund seiner Größe und des immer noch existierenden militärischen Potentials gewissermaßen den Schlüsselfaktor zur europäischen Sicherheit darstellt.“12 Die institutionellen Angebote sind zu unterscheiden bezüglich „inklusiven Angeboten“, also solchen die prinzipiell allen Staaten des OSZE Raumes offen stehen und „exklusiven Angeboten“, die auf einzelne Staaten speziell zugeschnitten sind.
5.1. Inklusive Angebote
5.1.1. Nordatlantischer Kooperationsrat (NAKR)
Die Vorgänge in den frühen 1990er Jahren, unter anderem der Putschversuch gegen Gorbatschow, waren entscheidend für die Intensivierung der Beziehungen durch institutionelle Angebote. Vor allem die MOE- Staaten fühlten sich in ihrer Sicherheit zunehmend gefährdet und forderten verstärkte Kontakte. Die NATO war bereit sich dieser Sorgen anzunehmen, rückte jedoch nicht von ihrem Vorsatz ab, keine Differenzierung in den Beziehungen zu den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes vorzunehmen. Im Dezember 1991 kam es zur konstituierenden Sitzung des Nordatlantischen Kooperationsrates. Mitglieder waren damals die 16 NATO Staaten und 9 Kooperationspartner. Der Teilnehmerkreis erhöhte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion auf heute 44 Staaten. Der Rat sollte Konsultation und Kooperation in genau festgelegten Themenbereichen fördern. Die Schwerpunkte lagen auf sicherheitspolitischen Fragen und damit zusammenhängenden Gebieten, wie zum Beispiel Verteidigungsplanung und Rüstungskontrolle. Dieses Gremium erzielte durch seinen konsultativen und kooperativen Charakter ein gestärktes Vertrauen und Verständnis der Staaten untereinander. „Wenngleich der NAKR für den konkreten Prozeß der NATO- Öffnung nach Osten keinen direkten Beitrag lieferte, so war seine Etablierung doch die Grundvoraussetzung für jeglichen weiterführenden Dialog mit den Staaten des ehemals gegnerischen Ostblocks.“13
5.1.2. Partnerschaft für den Frieden (PfP)
Die Zurückhaltung gegenüber einer Erweiterung der NATO erfuhr im Laufe des Jahres 1993 eine gewisse Abschwächung. Unter der Administration Clinton wurde das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ entwickelt. Diese „Partnerschaft für den Frieden“ ist eine auf dem Brüsseler NATO Gipfel im Januar 1994 beschlossene Initiative der Allianz, die kooperationswilligen Staaten des NAKR und der OSZE noch stärker einzubinden. Während der NAKR ein Konsultationsforum darstellt, bietet die „Partnerschaft für den Frieden“ praktische, verteidigungs- und militärrelevante Aktivitäten. Die fünf Zielsetzungen sind: „Transparenz der Verteidigungsplanung, demokratische Kontrolle der Streitkräfte, Entwicklung der Bereitschaft zu Einsätzen unter der Ägide der Vereinten Nationen, Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen mit der NATO sowie Verbesserung der Interoperabilität der Streitkräfte.“14 Das Ziel der NATO, zwischen den einzelnen Staaten nicht zu differenzieren, wird hier in gewisser Weise aufgehoben. Die Länder entwickelten zusammen mit der NATO nach ihrem Beitritt zur PfP individuelle bilaterale Partnerschaftsprogramme. Sie konnten aus einer Liste von Aktivitäten der Kooperation auswählen. So bestand für die Länder, die eine stärkere Anbindung an die NATO wünschten, die Möglichkeit über die PfP dies zu erreichen. Das Angebot der NATO ist an alle gleich, jedoch hat jeder Staat die Möglichkeit sich abzuheben (Selbstdifferenzierung). Ziel war es, die Partner an die Allianz heranzuführen, aber eine Zusage zur Aufnahme wurde nicht gegeben, wobei gleichzeitig eine starke Inanspruchnahme des Programms als Vorraussetzung einer späteren Mitgliedschaft in der NATO gesehen wurde. So spricht Vogel in seiner Bewertung des PfP Programms von einem „entscheidenden Qualitätssprung“15 in der Zusammenarbeit der früheren Blöcke. „Im Prinzip war die Einführung von PfP der entscheidende Schritt, der Rußland die Möglichkeit einer erfolgreicheren Verhinderungspolitik genau dieses Zieles nahm.“16
5.1.3. Euro- Atlantischer Partnerschaftsrat (EAPR)
Der Euro- Atlantische Partnerschaftsrat, der im Mai 1997 in Sintra geschaffen wurde, löste den NAKR ab, während die PfP innerhalb des EAPR erhalten blieb und ausgebaut wurde. Somit wurde die eher politische Komunikationsplattform NAKR mit dem eher militärischen Programm PfP zusammengebracht. Vor allem die politischen Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern wurden stärker auf die Bedürfnisse der Partner zugeschnitten. Es wurde nun auch im politischen Bereich das Prinzip der Selbstdifferenzierung eingeführt. So können die Partner nun im 16+1 Format oder anderen Zusammensetzungen zusammentreten. Zum anderen sollten die osteuropäischen Mitglieder nun die Möglichkeit haben, wenn auch eingeschränkt, an der Beschlussfassung von Aktivitäten mitzuwirken. Diese Vertiefung der Kooperation hatte für die Beitrittsländer den Vorteil enger mit der NATO zusammenarbeiten zu können. Für die Länder, die der NATO nicht oder vorerst nicht beitreten werden, stellt der EAPR eine Versicherung dar, „daß ihren Anliegen und sicherheitspolitischen Interessen von den Bündnismitgliedern weiterhin Beachtung geschenkt wird.“17 Diese Kombination von multilateralen und bilateralen Formen, nun unter dem Dach des EAPR, war ein wirksamer Ansatz, sowohl zur Überwindung alter Vorurteile, als auch zum besseren Verständnis durch die Einbindung in Institutionen.
5.2. Exklusive Angebote
5.2.1. Die NATO - Russland Akte
Zu den exklusiven Kooperationsangeboten der NATO gehört vor allem die NATO - Russland Akte („Founding Act on Mutual Relations, Cooperation and Security between NATO and the Russian Federation“) aus dem Jahre 1997. Sie wurde noch vor dem Gipfel in Madrid unterzeichnet, bei dem die Beitrittskandidaten benannt wurden. Sie sieht die Gründung eines „Ständigen Gemeinsamen Rates“ vor, der zu Konsultationen in praktisch allen Fragen der Sicherheitspolitik zusammentreten soll. Der Rat soll als das zentrale Konsultationsforum zwischen der NATO und Russland in Krisenzeiten fungieren. Beide Seiten unterstreichen ihre Verantwortung für die Sicherheit Europas, jedoch wird keiner Seite ein Vetorecht über die Handlungen des anderen eingeräumt. „Übrig bleibt lediglich der Wille zum Konsens und das Vertrauen auf die Macht der institutionalisierten Gewohnheit.“18
Ebenfalls auf dem Madrider Gipfel wurde eine Charta über das besondere Verhältnis der NATO zur Ukraine unterzeichnet. Hierin wird der Wille zur engeren militärischen als auch politischen Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht.
Man sieht also, dass auf vielfältige Weise versucht wurde, über den Weg der Institutionen das Verhältnis der beiden früheren Blöcke zu verbessern. Durch die Einbettung in Institutionen ist es möglich, alte Ängste abzubauen, innerstaatliche Demokratisierungsbewegungen zu fördern und somit die sicherheitspolitischen Probleme, wenn schon nicht zu lösen, doch kalkulierbarer zu machen.
6. Pro und contra der NATO- Osterweiterung (die deutsche Interessenlage)
Eine der grundlegenden außenpolitischen Interessen Deutschlands liegt in der Herstellung bzw. Sicherung eines möglichst großen Vorfeldes, in dem Stabilität herrscht. Geleistet werden soll dies durch eine gesamteuropäische Friedensordnung, denn nur so können die Interessen Deutschlands gewahrt werden, da es sich in einer europäischen Mittellage befindet. Unsicherheiten im Osten träfen somit als erstes Deutschland. Nur durch eine gesamteuropäische Friedensordnung sei Frieden und somit die Bewahrung und Entwicklung von Freiheit und Demokratie zu gewährleisten. „Nachdem die Blockgrenzen gefallen waren, setzte Deutschland sich dafür ein, die im Westen voranschreitende Integrationspolitik schrittweise auf den Osten auszuweiten, und zwar von der Kooperation (aller) über die Assoziation (mehrerer) bis hin zur vollen Integration (zunächst nur einiger Staaten).“19 So positiv wie zunächst nach der Wende erwartet, zeigte sich die nachfolgende Zeit jedoch nicht. Krisen und Konflikte, wie zum Beispiel der Zerfall Jugoslawiens, bestimmten die europäische Agenda. „Das Ziel (Deutschlands), einen gesamteuropäischen Stabilitätsraum zu schaffen, wurde zwar nicht aufgegeben, doch den Vorrang erhielt zunächst die Heranführung der unmittelbaren östlichen Nachbarstaaten an die bisherigen westlichen Strukturen.“20
Eine Ausdehnung der NATO nach Osten stellt für Deutschland einen Sicherheitsgewinn dar, da es nun nicht mehr die Grenze zum früheren Warschauer Pakt bildet. Die Verteidigungslinie wird dadurch nach Osten verschoben. „Jetzt rückt es vom gefährdeten Rand in die geschützte Mitte“21. Der frühere Verteidigungsminister Rühe spricht in diesem Zusammenhang von einem „vitalen Interesse“ Deutschlands. „Der Schlüsselbegriff... lautet Stabilität - eine Stabilität, an der alle in Europa teilhaben, an der alle gleichermaßen Interesse haben und die daher Sicherheit in und für ganz Europa schafft.“22 Deutschland sieht sich nun als einen Exporteur von Sicherheit und will so den demokratischen Transformationsprozess fördern. Wie schon zuvor erwähnt, war es gerade Deutschland möglich aufgrund seiner Einbindung in westliche Gemeinschaften, ein hohes Maß an Gestaltungsmacht zurückzugewinnen. So entwickelte es sich durch Demokratie und Freiheit zu einem Land mit nationalem Wohlstand und wirtschaftspolitischer Wettbewerbsfähigkeit. Der Souveränitätstransfer zu übergeordneten Institutionen vergrößerte den Handlungsspielraum immens. Diese historische Erfahrung, das Lernen kooperativer Zusammenarbeit, gefördert in Institutionen , gilt es an die Länder Osteuropas weiterzugeben. Mit einer Erweiterung der NATO verbindet sich die Hoffnung, dass durch einen stabilen Sicherheitsrahmen die Demokratisierungsbewegungen in Ostmitteleuropa unterstützt werden. „Not only would alliance membership foster economic growth and prosperity, but it would prevent a renationalization of the security policies of the reform states.“23 Zwar ließe sich dies auch durch eine Erweiterung der EU erreichen, doch müssen hierfür enorme Anpassungsleistungen vollbracht werden. Eine NATO Erweiterung lässt sich schneller und leichter durchführen.
Das Sicherheitsargument wird auch dadurch unterstützt, dass von den Beitrittskandidaten gefordert wird, Grenzschwierigkeiten und Minderheitenprobleme im Vorfeld zu lösen. Zwar sind bis heute nicht alle grenzpolitischen Fragen innerhalb der NATO gelöst, man betrachte nur die Zypernfrage zwischen Griechenland und der Türkei, doch versuchten gerade die MOE- Staaten diese Schwierigkeiten relativ schnell zu entproblematisieren. Durch die Einbindung in westliche Institutionen ist es auch möglich Wertorientierungen weiterzugeben und somit sozialisierend tätig zu werden. Wachsende Interdependenzen schaffen Sicherheit durch Berechenbarkeit.
Ein weiteres Argument ist normativ behaftet. Artikel 10 des Nordatlantik Vertrages sieht eine prinzipielle Öffnung für neue Mitglieder vor, wenn sie bestimmte Vorraussetzungen erfüllen. Mit der Aufnahme der MOE- Staaten könnte durchaus die Forderung erfüllt werden, einen Zugewinn an Sicherheit auf den Territorien der neuen sowie der alten Mitglieder zu erreichen. Zudem sind die MOE- Länder souveräne Staaten, die frei entscheiden dürfen, ob sie einem Bündnis beitreten wollen. Wenn sie die Aufnahmekriterien erfüllen, dürfe man ihnen diesen Wunsch auch nicht abschlagen. „Während des Kalten Krieges haben die westlichen Staaten die Mittel- und Osteuropäer dazu aufgefordert, das sowjetische Joch abzuschütteln und sich der attraktiven westlichen Seite anzuschließen. Jetzt, nachdem sie genau das getan haben, kann man ihnen schwerlich einen Beitritt zu den westlichen Organisationsstrukturen verwehren.“24 Ihre Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands darf nicht vergessen werden.
Mit der Entwicklung von Frieden und Demokratie ist gerade in Deutschland die Entwicklung eines gesunden Wirtschaftssystems verbunden. Deutschland ist eine Wirtschaftsmacht, allein daraus erwächst schon der Wunsch einer stärkeren Einbeziehung der östlichen Staaten. Da Deutschland einer der größten Handelspartner des Ostblocks ist, besteht aber auch die Gefahr von politischen und wirtschaftlichen Problemen des Osten relativ stark betroffen zu sein. Dieses gilt es durch Kooperation und Einbindung zu minimieren.
Es zeigt sich also, dass Deutschland in vielfältiger Weise Interessen an einer Einbettung der osteuropäischen Nachbarn in westliche Organisationen hat. Hierzu gehört auch die Einbeziehung neuer Mitglieder in die NATO. Deutschland tritt als Initiator und Befürworter für die Integration postkommunistischer Staaten in westliche Strukturen auf. Das Problem, das sich bei einer Erweiterung der NATO nach Osten ergeben könnte, ist die Schaffung von Zonen unterschiedlicher Sicherheit und somit ein nur scheinbarer, vorläufiger Gewinn von Stabilität. Es besteht die Gefahr, dass die Länder, die nicht als Mitglieder dem Schutz des Bündnisses unterstehen, in eine stärkere Abhängigkeit zu Russland geraten.
„Deutschland, so ist zu befürchten, erhält zwar ein demokratisches und wirtschaftliches „Vorfeld“, aber um den Preis größerer und möglicherweise dauerhafter Instabilität jenseits der nach Osten ausgedehnten Westintegration - unter Einschluß neuer Spannungen mit einem sich ausgegrenzt fühlenden Rußland.“25 Dies könnte zur Stärkung antiwestlicher Kräfte in Moskau führen. Es müssen also im besonderen die Interessen Russlands betrachtet werden. Gerade Deutschland zeichnet sich hier als Mittler zwischen den Interessen des Bündnisses und Russlands aus.
Zudem könnte die Erweiterung die Entscheidungsfähigkeit des Bündnisses schwächen. Da die NATO nach dem Konsensprinzip entscheidet, könnte dies zur Handlungsunfähigkeit führen. Damit wäre der angestrebte Sicherheitsgewinn für beide Seiten nicht mehr gegeben. Czempiel fordert in diesem Zusammenhang zu einem Ausbau der OSZE und des Europarates auf.26 Gerade die OSZE, nicht jedoch die NATO, sei der richtige Rahmen, um konsensual eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa herzustellen. Doch wenn man die OSZE nicht als Ergänzung, sondern als Ersatz einer NATO Erweiterung sieht, greift man meines Erachtens zu kurz. Denn gerade die OSZE ging nicht gestärkt aus den neunziger Jahren hervor. Sie kann ihren Mitgliedern nicht die gleichen Sicherheitsgarantien bieten, wie es ein Bündnis wie die NATO verspricht. Vielmehr sollte durch eine verstärkte Zusammenarbeit der einzelnen Organisationen das Ziel der Sicherheit erreicht werden.
7. Die deutsche Haltung zur NATO- Osterweiterung
Wie schon angedeutet, hat in Deutschland ein Perspektivwechsel von einem gesamteuropäischen Ansatz hin zur NATO- Osterweiterung stattgefunden. Der entscheidende Anstoß dazu kam aus Osteuropa. Nachdem der Versuch gescheitert war, den Aufbau der KSZE zu einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem zu forcieren, äußerten einige Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes den Wunsch der NATO beizutreten. Das Problem, das sich bei einer Mitgliedschaft östlicher Staaten ergibt, wurde im vorherigen Kapitel bereits angesprochen. Es drohen neue Spaltungslinien und eine Isolation Russlands und damit eine Destabilisierung der ganzen Region. Daran kann gerade Deutschland nicht gelegen sein, da es von einer solchen Situation erheblich betroffen wäre. Der frühere Außenminister Genscher sprach sich vehement gegen eine Erweiterung der NATO aus. Er warnte vor neuen Spaltungen. Genscher bevorzugte den bereits erwähnten gesamteuropäischen Ansatz zur Schaffung eines Sicherheitssystems. Nach dem Zerfall der Sowjetunion änderte sich die deutsche Position jedoch. Russland war gekennzeichnet durch innenpolitische Instabilität. Daraufhin verstärkten die osteuropäischen Länder den Druck auf die NATO. Die MOE- Staaten rückten vermehrt in das Blickfeld deutscher Außenpolitik. Gerade in diesen Staaten vollzog sich der Transformationsprozess, im Unterschied zu Russland, relativ rasch und sie lösten damit Moskau als bevorzugten Handelspartner Deutschlands im Osten ab. Genau diese auf wirtschaftlichem Sektor gewandelten Beziehungen, zeigten sich auch auf sicherheitspolitischem Terrain. Auch hier rückten die MOE- Staaten in den Blickpunkt deutscher Außenpolitik und damit auch ihr Wunsch zum NATO- Beitritt. Nach der Ära Genscher, der in hohem Maße dafür focht, Russland stärker in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem einzubinden, war es nicht sein Amtsnachfolger Kinkel, sondern der damalige Verteidigungsminister Rühe, der für den Perspektivwechsel stand. In einer Ansprache vor dem International Institute for Strategic Studies in London im März 1993 sprach sich Rühe offiziell für eine NATO- Osterweiterung aus. „At the most basic level, Rühe presented democracy, stability and military security in Eastern Europe as inextricably linked.“27 Die NATO dürfe sich nicht als geschlossene Gesellschaft betrachten. „Ich (Rühe) kann keinen stichhaltigen Grund dafür sehen, künftigen Mitgliedern der Europäischen Union die NATO- Mitgliedschaft vorzuenthalten. Ich frage mich auch, ob die Mitgliedschaft in der Europäischen Union unbedingt dem Beitritt zur NATO vorausgehen muß.“28 Doch zu diesem Zeitpunkt sah Rühe sich mit seiner Meinung noch alleine, sowohl im Bündnis als auch in seiner eigenen Regierungskoalition. Gleichzeitig war er gegen eine Mitgliedschaft Russlands in der NATO, da dies durch seine Größe und Macht die Allianz zu groß werde ließe und die Homogenität zerstöre.
Im Gegensatz zu Rühe war der damalige Außenminister Kinkel anderer Meinung. Er wollte, ähnlich seinem Amtsvorgänger, den zentraleuropäischen Staaten durch Alternativmodelle entgegenkommen, wie dem Ausbau das Nordatlantischen Kooperationsrates. Gerade die Ausweitung der Nordatlantischen Allianz müsse mit größtem Bedacht betrieben werden. Russland dürfe keinesfalls isoliert werden.
Damit schaffe man keine Stabilität, sondern Zonen unterschiedlicher Sicherheiten. „It was essential to avoid the isolation of Russia, which could strengthen the forces opposing reform there, and the creation of a new division of Europe along security lines.“29 Für Kinkel stand hingegen vielmehr die wirtschaftliche Stabilisierung, sprich die Erweiterung der EU, im Vordergrund.
Bundeskanzler Kohl hielt sich mit einer Zusage zur Osterweiterung der NATO zurück. Er wollte die guten Beziehungen, die nach wie vor zwischen Bonn und Moskau herrschten, nicht aufs Spiel setzen und den zunehmend in Bedrängnis geraten Präsidenten Jelzin schützen. Mit dem Programm der Partnerschaft für den Frieden versuchte die Allianz Zeit zu gewinnen. Es galt das Für und Wider einer Erweiterung auszuloten, aber gerade durch dieses Programm nahm die Diskussion ihren Lauf. Erst als US- Präsident Clinton seine Meinung revidierte kam der Öffnungskurs in gang. Innenpolitisch in Bedrängnis geraten, er war mit seinen innenpolitischen Reformplänen weitgehend gescheitert und sah sich ab November 1994 einer republikanischen Mehrheit im Kongress gegenüber, versuchte er außenpolitisch neue Akzente zu setzen. Im Januar 1994 erklärte Clinton: „The question was no longer whether NATO will take in new members, but when and how.”30 Mit dieser Kehrtwende in der amerikanischen Politik änderte sich auch die deutsche. Ohne kontroverse innenpolitische Debatte, auch die SPD schwenkte relativ schnell um, kam es zu einem Perspektivwechsel hin zu einer Fürsprache zur NATO- Osterweiterung. Staack nennt als weitere Gründe für diesen schnellen Wechsel das Scheitern der Gespräche über eine sicherheitspolitische Aufwertung der KSZE/ OSZE im Dezember 94 und den Einmarsch russischer Truppen in die abtrünnige Teilrepublik Tschetschenien.31 Doch gerade Bonn zeigte sich auch weiterhin als Fürsprecher Russlands. Die Öffnung der NATO dürfe sich nicht gegen Russland richten. Um dies zu verhindern müsse eine spezielle Kooperationsbeziehung zwischen Russland und dem Nordatlantischen Bündnis hergestellt werden. Das ursprünglich zum Zeitgewinn konzipierte Programm der Partnerschaft für den Frieden, wurde nun unter anderem dazu benutzt, Beitrittskandidaten an die Allianz heranzuführen und vorhandene Kompatibilitätsprobleme nach und nach zu beseitigen. Am 1. Dezember 1994 wurde auf Beschluss des NATO- Rates erklärt, die Allianz werde sich für neue Mitglieder öffnen, ohne jedoch einen genauen Zeitplan noch Kandidaten zu nennen. Rühe und Kinkel näherten ihre Meinungen zwar an, doch drückte Rühe weiterhin bei der Erweiterung aufs Tempo, während Kinkel zu bremsen versuchte. Rühe war der Meinung, dass sicherheitspolitische Vorraussetzungen eher erfüllt werden können als ökonomische. Kinkel sprach sich dagegen für einen langsamen Prozess aus, der genügend Zeit ließe, eine Angleichung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen herbeizuführen, das bedeutet eine zeitnahe, durch kooperative Zusammenarbeit gekennzeichnete Erweiterung, sowohl der EU als auch der NATO. War seit 1991 das Ziel ein kooperatives Netzwerk „gleichberechtigter, ineinandergreifender und sich funktional ergänzender Organisationen“32 zu schaffen, so „wurde dieser Ansatz nunmehr verdrängt durch das Konzept einer um das Nordatlantische Bündnis gruppierten und von diesem dominierten Sicherheitsarchitektur.“33 Da diese Blickfeldverengung nicht im Sinne der Bundesregierung sein konnte, konzentrierte man sich in den Jahren 1995/96 darauf, zwei Zielsetzungen miteinander zu vereinbaren, zum einen die NATO- Integration der MOE- Staaten und zum anderen die Forcierung der Partnerschaft mit Russland, da nur so der sicherheitspolitischen Komponente Rechnung zu tragen war. Auf das Drängen von Kanzler Kohl hin verzichtete die NATO darauf, bereits vor den russischen Präsidentschaftswahlen im Juni 96 sich auf Beitrittskandidaten und -daten festzulegen, um die Position Jelzins nicht zu schwächen. „Die Wiederwahl Jelzins, welcher im Westen als der beste „Garant“ für eine Fortsetzung der innenpolitischen Reformen und eine kooperationsbereite Außenpolitik Russlands angesehen wurde, sollte nicht erschwert werden.“34 Deutschland übernahm abermals die Vorreiterrolle in der Einbeziehung Russlands. „Chancellor Kohl... played a cental role in diplomatic initiatives designed to cement a new partnership between Russia and NATO.”35 Noch vor der Bekanntgabe der Aufnahmeländer sollte die vom deutschen Bundeskanzler angeregte „Sicherheitscharta“ mit Russland unterzeichnet werden. Kritik an der Osterweiterung der NATO kam in dieser Zeit vor allem von Hans- Dietrich Genscher. Er mahnte an, dass es an einem schlüssigen Gesamtkonzept für eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung fehle und er vermisse eine genaue Definition des Platzes Russlands.36
Russland stand zwar weiterhin einer NATO- Erweiterung negativ gegenüber, war jedoch zu einer besonderen Partnerschaftsbeziehung mit der NATO bereit. Im Mai 1997 wurde die Grundakte zwischen der NATO und Russland unterzeichnet. Die Einrichtung des Ständigen NATO- Russland Rates ist ein Zeichen für diese neue Partnerschaftsbeziehung. Moskau wusste, dass es die Erweiterung der NATO nicht aufhalten konnte und musste nun versuchen über die Mitarbeit in Institutionen wie dem NATO- Russland Rat nicht weiter an Einfluss zu verlieren. „NATO believed it would offer Russia a voice in European security issues, without giving them a veto over NATO´s policy. The Russians, however, hoped it would provide them with effective leverage over NATO´s actions - particularly in terms of future enlargements.”37 Allianzinterne Spannungen zeigten sich schließlich bei der Auswahl der Beitrittsländer. Gestritten wurde über den Beitritt Rumäniens und Sloweniens, den Frankreich forderte. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik waren unstrittig. Das Kanzleramt schloss sich der Meinung Frankreichs an, während Volker Rühe den amerikanischen Weg einer kleineren Erweiterungsrunde mittrug. Doch auch hier zeigt sich wieder die Stärke der USA, die sich gegen Rumänien und Slowenien aussprach und letztlich damit auch die Entscheidung traf. Am 9. Juli 1997 wurden in Madrid die Staaten Polen, Ungarn und die Tschechische Republik zum Beitritt eingeladen.
Exkurs: Die russische Position
Wie bereits mehrfach erwähnt, stellte sich gerade das Verhältnis zu Russland als sehr problematisch dar. Moskau war ein klarer Gegner der Erweiterung. Im nachfolgenden werde ich kurz einige Gründe für diese ablehnende Haltung anführen.
Der russische Widerstand hängt von psychologischer Ebene aus gesehen mit dem von Russland beanspruchten Großmachstatus ab. Dieser wird durch eine NATO- Erweiterung gefährdet, da Russland an Einfluss verlieren würde. Nach russischem Anspruch muss es als einflussreiche Macht mit spezifischen Interessen behandelt werden. „Russlands wichtigstes... Interesse besteht in der Aufrechterhaltung und Entwicklung guter Beziehungen, wenn nicht sogar eines strategischen Bündnisses, mit den führenden westlichen Ländern und ihren Koalitionen.(...) Ein wirksames und zuverlässiges Sicherheitssystem in Europa ist jedoch ohne die Beteiligung der NATO und Russlands undenkbar.“38 Ziel des Westens muss es also sein, diesen Interessen zumindest teilweise gerecht zu werden. Denn gerade antiwestliche Strömungen sind weit verbreitet. Alte Feindbilder werden von oftmals antidemokratischen Kräften geschürt und damit eine offensive Außenpolitik gefordert. Es gilt also von Seiten des Westens die demokratischen Kräfte in Russland zu fördern.
Ein weiteres Argument gegen die Erweiterung wird in der geopolitischen Lage gesehen. Die Auflösung der Sowjetunion stellt eine Verkleinerung Russlands dar. Dies wird in der russischen Öffentlichkeit als Potentialverschiebung hin zum Westen gesehen. Es kommt die Befürchtung auf, durch die NATO- Erweiterung könne es zu einer Neuaufteilung Europas in Interessensphären zugunsten des Westens kommen. Doch Russlands größte Angst liegt darin, isoliert zu werden und somit von Europa und den europäischen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Prozessen abgeschnitten zu sein.39
Diesen Interessen Russlands gilt es Rechnung zu tragen und die Befürchtungen zu minimieren. Gerade Deutschland zeigte hier, wie schon gesehen, ein besonderes Interesse und Engagement. Aus eigener Erfahrung weiß man, dass Ängste vor allem durch die Einbettung in Institutionen genommen werden können. So wurde die Russische Föderation vor der Bekanntgabe der Beitrittskandidaten der NATO in eine Vielzahl von Organisationen aufgenommen. Im Februar 1996 trat Russland als 39. Mitglied dem Europarat bei. Darüber hinaus erhielt Russland die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank. Die Russische Föderation wurde in die Gruppe der wichtigsten Industriestaaten (nun G8), sowie in den Pariser Club der westlichen Gläubigerstaaten aufgenommen. Es gilt auch eine vertiefte Zusammenarbeit über den EAPR, PfP und vor allem den NATO- Russland Rat zu führen.
8. Ergebnis
Die erste Osterweiterung der NATO war gekennzeichnet durch mannigfache Diskussionen über ein für und wider. Letztlich entschied man sich, den Schritt der Erweiterung zu gehen. Die NATO hat sich seit dem Ende des Ost- West Konfliktes reformiert. Sie stützt sich nun vermehrt auf ihren politischen Arm und stellt sich als offene Wertegemeinschaft dar. Sie ist auch weiterhin kein offensives Bündnis, sondern versucht Stabilität und damit verbunden, Sicherheit zu garantieren. Das Nordatlantische Bündnis ist nicht nur ein kollektives Verteidigungsbündnis, sondern nimmt in größerem Maße auch Aufgaben einer auch über die eigenen Grenzen sicherheitsschaffenden Gemeinschaft an. Nach Ende des Kalten Krieges öffnete sie sich dem Osten für Konsultationen und versuchte durch Kooperation mit dem früheren Feind alte Denkstrukturen aufzubrechen und die Staaten Osteuropas in ihren Demokratisierungsbemühungen zu unterstützen. Dies geschah vor allem durch die Einbettung in Organisationen wie dem Nordatlantischen Kooperationsrat (später Euro- Atlantischer Partnerschaftsrat) oder dem Programm Partnerschaft für den Frieden. Zu Beginn dieser Zusammenarbeit war die Interessenlage zwischen der NATO und den MOE- Staaten ähnlich. Beide Seiten wollten ihr Umfeld stabilisieren und den Transformationsprozess der osteuropäischen Staaten fördern. Der Unterschied lag jedoch darin, dass die NATO auf Kooperationsangebote baute, während die MOE- Staaten einen Beitritt zur Allianz forderten. Eine Erweiterung lag nicht im Interesse der NATO, um die Beziehungen zu Russland nicht zu untergraben. Auch Deutschland hatte nach der Wiedervereinigung das Ziel, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem, getragen auf mehreren Schultern, mit Hilfe kooperativer Beziehungen zu verwirklichen. Doch wie die NATO ihren Standpunkt zur Erweiterung änderte, tat dies auch die Bundesregierung. Allerdings war man innerhalb der Regierungskoalition verschiedener Ansicht. Weniger die Frage, ob es zu einer NATO- Erweiterung kommen sollte, sondern vielmehr die Art und die Geschwindigkeit führten zu Spannungen. Während sich Verteidigungsminister Rühe für eine schnelle Erweiterung aussprach, zielte die Argumentation des Außenministers Kinkel in eine andere Richtung. Es galt die russischen Interessen zu berücksichtigen. Er forderte eine langsame Anpassung von Ost und West in einem Gleichschritt der Organisationen und kein vorpreschen der NATO. Deutsche Gründe, einer NATO- Osterweiterung zuzustimmen, gab es einige. Wie es Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ermöglicht wurde, so sollte auch den osteuropäischen Nachbarn die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Demokratisierungsbewegungen durch die Einbeziehung in Institutionen zu stärken. Dies liegt im „vitalen Interesse“ Deutschlands, da man sich so ein sicheres Vorfeld im Osten schaffen kann.
Kritiker bemängeln an der NATO- Erweiterung, dass diese nicht im Einklang mit anderen Institutionen vonstatten ging. So wird argumentiert, dass eine Erweiterung der EU den Bedürfnissen der MOE- Staaten und Russlands weit dienlicher gewesen wäre. Nachhaltig negativ erweise sich die NATO- Erweiterung auch auf die Handlungsfähigkeit der OSZE. Es muss aber auch festgestellt werden, dass eine EU Erweiterung einen wesentlich längeren Prozess der Anpassung voraussetzt und die Mitglieder der OSZE es in den neunziger Jahren nicht verstanden, dieser Organisation eine sicherheitspolitische Aufwertung zu geben. Gerde Deutschland übernahm im Erweiterungsprozess eine entscheidende Rolle, sowohl als Fürsprecher der MOE- Staaten als auch als Partner an der Seite Russlands. Mit der Hilfe Deutschlands schaffte man den schweren Spagat, beide Seiten durch Kooperation, Integration und spezielle Partnerschaftsprogramme zufrieden zu stellen. Vor der nun bevorstehenden zweiten Erweiterungsrunde lässt sich feststellen, dass sich viele Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Die neue Führung im Kreml betrachtet diese Öffnung der NATO nicht mehr so negativ, da man erkannt hat, dass die erste Erweiterungsrunde nicht die Sicherheit Russlands gefährdet hat und den legitimen Sicherheitsanliegen durch den Westen Rechnung getragen wurde. Auch haben sich die Beziehungen Moskaus zu den neuen Mitgliedern der NATO verbessert.40
„Die Demokratisierung im Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes ist die Chance für ein stabiles und friedliches Europa im nächsten Jahrhundert. Die NATO kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, indem sie Sicherheit und Stabilität in den mittel- und osteuropäischen Raum transferiert.“41
9. Literaturverzeichnis
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Czempiel, Ernst- Otto: Die Neuordnung Europas. Was leisten NATO und OSZE für die Kooperation mit Osteuropa und Rußland? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 1-2/1997 S.32- 45
Duffield, John S.: World power forsaken. Political culture, international institutions, and german security policy after unification. Stanford, CA: Stanford University Press 1998
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Hubel, Helmut: Die schwierige Partnerschaft mit Russland. In: Kaiser, Karl; Krause, Joachim (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik. Band 3: Interessen und Strategien. München: R. Oldenburg Verl. 1996 S.137-141
Hyde- Price, Adrian: Germany and European order - Enlarging NATO and the EU. Manchester and New York: Manchester University Press 2000
Kluss, Heinz: Nicht bloß eine Militärallianz - Bemerkungen zu Missverständnissen die NATO und ihre Öffnung betreffend. In: Klein, Paul; Zimmermann Rolf P. (Hrsg.): Aspekte der Osterweiterung der NATO. Baden- Baden: Nomos Verl. 1999 S.11-21
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Meyer, Berthold: Die Osterweiterung der NATO- Weg zur Einheit oder zur neuen Spaltung Europas? HSFK- Report 5/1995
Pradetto, August; Alamir, Fouzieh Melanie (Hrsg.): Die Debatte über die Kosten der NATO- Osterweiterung. Baden- Baden: Nomos Verl. 1998
Rat für Außen- und Sicherheitspolitik: Rußland und die NATO. In: Pradetto, August (Hrsg.): Ostmitteleuropa, Rußland und die Osterweiterung der NATO. Pezeptionen und Strategien im Spannungsfeld nationaler und europäischer Sicherheit. Opladen: Westdeutscher Verl. 1997 S.162-177
Rose, Jürgen: Die Osterweiterung der NATO - Stabilitätsfaktor oder Unsicherheitsmoment für die zukünftige Sicherheitsordnung Europas? In: Klein, Paul; Zimmermann Rolf P. (Hrsg.): Aspekte der Osterweiterung der NATO. Baden- Baden: Nomos Verl. 1999 S.51-92
Rühe, Volker: 50 Jahre nach George Marshall: Sicherheit und Stabilität für ganz Europa. In: Schwarz, Jürgen; Tkaczynski, Jan Viktor; Vogel, Ulrich (Hrsg.): Polen und die neue NATO. Modalitäten der Integration. Frankfurt am Main: Peter Lang Verl. 1997 S.13-23
Rühl, Lothar: Deutschlands Interesse an der NATO- Osterweiterung. In: Internationale Politik 11/1996 S.49-54
Schneider, Marius: Sicherheit, Wandel und die Einheit Europas. Zur generativen Rolle von Sicherheitsdiskursen bei der Bildung zwischenstaatlicher Ordnungen vom Wiener Kongress bis zur Erweiterung der Nato. Opladen: Leske + Budrich 2002
Sprungala, Tanja: Die Zusammenarbeit zwischen der NATO und den ehemaligen Warschauer- Pakt- Staaten seit 1990. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 11/1999 S.39-45
Staack, Michael: NATO- Erweiterung und gesamteuropäische Sicherheit - Ein Zielkonflikt für Deutschlands Außenpolitik? In: Die Friedenswarte 72/1997 S.273-286
Tewes, Henning: How civilian? How much power? Germany and the Eastern enlargement of NATO. In: Harnisch, Sebastian; Maull Hans W. (Hrsg.): Germany as a civilian power? The foreign policy of the Berlin Republik. Manchester: Manchester University Press 2001 S.10- 25
Trenin, Dmitri: Das Schweigen des Bären. In: NATO- Brief Frühjahr 2002. http://www.nato.int/docu/review/2002/issue1/german/art3.html (19.06.2002)
Vogel, Christoph Ulrich: Stabilitätstransfer durch die NATO am Beispiel Polens. Frankfurt am Main: Peter Lang Verl. 1999
Vogel, Heinrich: Die NATO- Erweiterung. Eine Geisterdebatte? In: Internationale Politik 7/1996 S.51-54
Woyke, Wichard: NATO. In: Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik. Opladen: Leske + Budrich 2000 S.317-327
[...]
1 Rühe, S.16
2 Krause, S.78
3 vgl. dazu auch Czempiel, S.40
4 Heiling, S.21
5 Heiling, S.22
6 Woyke, S.321
7 vgl. Woyke, S. 319ff.: detaillierte Darstellung der sechs Phasen
8 Auswärtiges Amt
9 Vogel C., S.348
10 Pradetto/ Alamir, S.17
11 Heiling, S.43
12 Sprungala, S.40
13 Vogel C., S.145
14 Sprungala, S.41
15 Vogel C., S.148
16 ebd.
17 Sprungala, S.42
18 Schneider, S.333
19 Staack, S.274
20 Staack, S.275
21 Kluss, S.19
22 Rühe, S.15
23 Duffield, S.105
24 Vogel C., S.111
25 Staack, S.276
26 vgl. Czempiel, S.41f.
27 Tewes, S.12
28 Rühe in seiner Rede vor dem IISS in London; zit. n. Meyer, S.24
29 Duffield, S.103
30 Clinton, in einer Rede im Januar 1994 in Brüssel, zit. n. Hyde- Price, S.151f.
31 vgl. Staack, S.279
32 Staack, S.280
33 ebd.
34 Staack, S.281
35 Hyde- Price, S.152
36 vgl. Staack, S.281f.
37 Hyde- Price, S.153
38 Rat für Außen- und Verteidigungspolitik
39 vgl. Heiling S.76ff.: hier findet sich eine genaue und ausführliche Betrachtung der russischen Argumentation gegen eine NATO- Osterweiterung
40 vgl. Trenin
41 Sprungala, S.45
- Quote paper
- Jörn Didas (Author), 2002, Welche Chancen und Probleme kennzeichnen die erste Osterweiterung der NATO? - Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Interessenlage, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107290
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