Gliederung
1. Einleitung
2. Der Begriff der Gerechtigkeit
2.1 justitia distributiva (verteilende Gerechtigkeit)
2.2 justitia commutativa (Austauschgerechtigkeit)
3. Das mehrdimensionale Zielsystem der Lohnpolitik
4. Die Bedeutung des Entgeltes für den arbeitenden Menschen
5. Bildungsstand und Erwartungen
6. Die Gerechtigkeitstheorie von Adams
7. Mögliche Kombinationen von erlebter Ungerechtigkeit einschließlich der zu erwartenden Reaktionen der Arbeitnehmer
8. Kritik an der Gerechtigkeitstheorie
9. Wertvorstellungen und Wertewandel
10. Zusammenfassung
1. Einleitung
Diese Arbeit befaßt sich mit dem Gerechtigkeitsempfinden in Zusammenhang mit der Arbeitsentlohnung. Wenn wir uns mit Arbeitsentlohnung beschäftigen, dann stellt sich zugleich auch die Frage, was alles Lohn ist. Primär steht wohl hauptsächlich das Ar- beitsentgelt in finanzieller Form im Vordergrund, aber daneben gibt es auch andere Arten der Entlohnung, wie z.B. gezielte Aufgabenver- oder umverteilung, Dienstreisen, sofern sie nicht zur Stellenanforderung gehören, bessere und modernere Ar- beitsmittel, Einzelzimmer etc. Außerdem ist in den letzten Jahren die Bedeutung der Freizeit immer mehr gestiegen, so daß man eine befriedigende Freizeitregelung durchaus im Rahmen der Arbeitsentlohnung betrachten kann. Da diese Arbeit sich mit dem Gerechtigkeitsempfinden auseinandersetzt, und dieses subjektive Empfinden von Gerechtigkeit von mehreren Faktoren beeinflußt wird, ist es notwendig und sinn- voll, alle Aspekte der Entlohnung, eben auch immaterielle, zu berücksichtigen sowie erst einmal der Frage nachzugehen, welche Voraussetzungen überhaupt zur Lohn- findung gehören.
Ich werde zunächst den Gerechtigkeitsbegriff aus psychologischer Sicht erläutern, dann kurz das mehrdimensionale Zielsystem der Lohnfindung skizzieren, die Ge- rechtigkeitstheorie vorstellen und ausführlich auf die Konsequenzen eingehen, die gefühlte Ungerechtigkeit hervorruft. Schließlich möchte ich noch ein Wort zu den Wertvorstellungen sagen, weil unsere Einstellungen, unsere Werte und auch die Veränderung dieser unser Gerechtigkeitsempfinden mit beeinflussen.
2. Der Begriff der Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist zunächst einmal kein originär psychologisches Thema, sondern eher in der Rechtswissenschaft und der Philosophie beheimatet. Seit ca. 40 Jahren jedoch beschäftigt sich auch die Psychologie mit der Gerechtigkeit und zwar mit folgenden Fragestellungen:
Woher kommt das Streben nach Gerechtigkeit?
Was ist Gegenstand von Gerechtigkeitsbewertungen?
Welche Maßstäbe liegen der Bewertung zugrunde?
Welche Folgen haben Ungerechtigkeitserlebnisse?
Die Lohngerechtigkeit oder das Empfinden einer solchen spielt dabei eine große Rolle, denn jeder arbeitende Mensch, der Lohn empfängt, hat ein genaues Empfin- den für die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit seiner Situation. Dazu komme ich spä- ter noch.
Der allgemeine Gerechtigkeitsbegriff wird unterteilt in die verteilende und in die austauschende Gerechtigkeit.
2.1 justitia distributiva (verteilende Gerechtigkeit)
Wenn derjenige, der Recht gewähren soll, der Staat oder eine den Einzelnen über- geordnete Institution ist und wenn das Recht darin besteht, den Mitgliedern des Staates oder der Institution Lasten und Vorteile im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zur übergeordneten Institution zuzuteilen, so spricht man von der verteilenden Gerechtigkeit (aus: Brinkmann: Ökonomik der Arbeit Bd.3, 1984,S. 241).
2.2 justitia commutativa (Austauschgerechtigkeit)
Wenn derjenige, der einem anderen Recht gewähren soll, diesem gleichgeordnet ist (etwa ein Einzelner einem Einzelnen), spricht man von der Austauschgerechtigkeit (Brinkmann, 1984).
Welchem der beiden Begriffe kann man nun die Lohngerechtigkeit zuordnen? Das kommt ganz auf den Standpunkt an. Ist man der Ansicht, daß die Löhne von einer übergeordneten Instanz, dem Unternehmen, als Vorteile den Einzelnen gewährt werden und daß diese dafür Lasten zu tragen haben, dann gehört die Lohngerechtigkeit zur verteilenden Gerechtigkeit.
Vertritt man jedoch die Auffassung, daß der Lohn durch Vereinbarung zwischen Gleichberechtigten zustande kommt, dann ist die Lohngerechtigkeit Teil der Austauschgerechtigkeit.
Ich neige zu der Ansicht, daß die Lohngerechtigkeit der verteilenden Gerechtigkeit zuzuordnen ist, denn zwischen den meisten Arbeitnehmer und ihren Arbeitgebern dürfte ein hierarchisches Verhältnis bestehen, in dem man nicht von einem Austausch zwischen Gleichberechtigten sprechen kann. Demgegenüber gibt es allerdings auch Firmen, in denen sogenannte flache Hierarchien vorherrschen, also keine starke py- ramidale Ordnung, obwohl es dort natürlich auch Chefs gibt. Deren Aufgabe besteht weitgehend in Kommunikationsprozessen und Koordination von Aufgaben. In solch einer Struktur könnte man eher zu der Auffassung gelangen, daß die Lohngerechtigkeit der Austauschgerechtigkeit zuzuordnen sei.
3. Das mehrdimensionale Zielsystem der Lohnpolitik
Sowohl aus der Sicht des Unternehmens wie auch aus der Sicht der Mitarbeiter werden immer mehrere Ziele verfolgt.:
Aus der Sicht des Unternehmens sind das zum Einen die Qualität des Mitarbeitersta- bes, die individuelle Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter und die Lohnsumme als Kostenfaktor. Aus der Sicht des Mitarbeiters spielen die innerbetriebliche Gerech- tigkeit, d.h. das Einkommen muß einem internen Vergleich mit anderen Mitarbeitern standhalten und im Gesamtzusammenhang begründbar sein, sowie die überbetrieb- liche Gerechtigkeit, d.h. jeder Mitarbeiter beurteilt sein Einkommen an den Alternati- ven, welche sich ihm - entsprechend seinen Möglichkeiten und Wünschen - im Ar- beitsmarkt bieten (Gmür, Lohn-und Gehaltssysteme 1993), eine Rolle.
Eine Problematik der Lohnfindung liegt aber darin, daß diese Ziele teilweise im Gegensatz zueinander stehen. Die Ziele innerbetriebliche und überbetriebliche Gerechtigkeit z.B. sind dann antinomisch, wenn einzelne Mitarbeiterkategorien, auf welche man nicht verzichten kann, einen hohen Marktwert besitzen und damit eine vielleicht vorhandene intern gerechte Ordnung durchbrechen.
Befindet man sich in einem bestehenden Arbeitsverhältnis, so ist die relative Lohnhöhe von Bedeutung für das Gerechtigkeitsempfinden. Für die relative Lohnhöhe gibt es verschiedene Bestimmungsgrundlagen (n. Schettgen 1996).:
Anforderungsgerechtigkeit
Der Lohn muß in einem gesunden Verhältnis zu den Anforderungen stehen, die an einem bestimmten Arbeitsplatz gestellt werden und er muß in einem Verhältnis zum "Marktwert" des Arbeitnehmers stehen.
Leistungsgerechtigkeit
Der Lohn muß die individuelle Leistung des Arbeitnehmers berücksichtigen, d.h. die Leistung in Bezug auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes.
Soziale Gerechtigkeit
Hier kommt der individuelle Aspekt des Gerechtigkeitsempfindens zum Tragen, denn in den gerechten Lohn sollen auch Aspekte wie Alter, Familienstand, Konstitution, Gesundheit (bzw. Krankheit) eingehen, um die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen.
Das zum Einsatz kommende Lohnsystem muß schließlich transparent sein, d.h. Auf- bau und Handhabung muß klar definiert und ersichtlich sein, subjektive Einflüsse und Entscheide als solche dargelegt werden und die Ergebnisse müssen jederzeit nach- vollziehbar sein. Transparenz in diesem Sinne führt am ehesten zu objektiven und gerechten Ergebnissen.
Marktgerechtigkeit
Es wurde schon kurz in der Anforderungsgerechtigkeit angesprochen, daß der Wert einer Arbeitskraft den aktuellen Marktbedingungen angepaßt werden muß. Nach Schettgen (1996) muß ein Lohn alle vier Prinzipien enthalten, um als gerecht empfunden werden zu können.
Berücksichtigt man die vorgenannten Punkte, dann ist die Grundlage für objektive Gerechtigkeit gegeben. Dies wurde in aller Kürze skizziert, um darzustellen, daß es auch so etwas wie objektive Gerechtigkeit und das Empfinden einer solchen gibt. Was aber macht das subjektive Gerechtigkeitsempfinden aus?
4. Die Bedeutung des Entgeltes für den arbeitenden Menschen
Der Begriff des Entgeltes wird folgendermaßen definiert:" Entgelt ist die materielle Gratifikation, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsvertrages für die von ihm erbrachte Leistung bezahlt" (aus: Frieling und Sonntag: Arbeits- psychologie, 1999, S. 401).
Das Entgelt, welches einem Menschen monatlich zur Verfügung steht, definiert die Höhe seines Lebensstandards, den sozialen Status und zu einem Teil auch das Selbstwertgefühl des Erwerbstätigen.
Höhe und Form des Arbeitsentgeltes beeinflussen außerdem die Wahl des Arbeits- platzes, die Verweildauer auf einem bestimmten Arbeitsplatz, die Arbeitszufriedenheit und die Identifikation mit der Arbeit. Die Höhe der finanziellen Erträge, die wir monat- lich zur Verfügung haben, trägt entscheidend dazu bei, unseren Platz in der Gesell- schaft zu finden und uns einzuordnen. Durch den Vergleich mit anderen entwickeln wir ein sicheres Gefühl dafür, ob wir gerecht behandelt und eingestuft worden sind.
Es gibt verschiedene Ansätze, die Erklärungen für die Wirkungen von Entgelt auf die Erwerbstätigen anbieten. Man unterscheidet lerntheoretische, kognitionstheoretische und motivationstheoretische Ansätze. Die Wirkungen von Arbeitsentgelt wären also positive Verstärkung, Feedback und Motivation. Ich möchte das hier nur der Voll- ständigkeit halber erwähnen, ohne näher darauf einzugehen, weil uns das zu weit vom Thema wegführen würde.
5. Bildungsstand und Erwartungen
Nach dem zweiten Weltkrieg publizierte Stoufer den ersten Band von "The American Soldier"(1949). Darin suchte er nach einer neuen Variablen, welche einige paradoxe Ergebnisse von Studien erklären würde. Diese Variable fand er in der relativen Be- nachteiligung. Tatsache war, daß sich Soldaten mit einem höheren Bildungsstand (einer höheren Schulbildung) gute Karrierechancen versprachen und im Schnitt unzu- friedener mit ihrem derzeitigen Status waren als Soldaten mit geringerer Schulbildung. Die besser Ausgebildeten verglichen ihren Status in der Armee mit dem Status, den sie im Zivilleben hätten erreichen können. Ein eigenes Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Student, der Medizin studiert, geht nach seinem Studium zur Armee und wird Stabsarzt, weil er sich einen krisenfesten Arbeitsplatz erwartet. Im zivilen Leben hätte er jedoch größere Karrierechancen und bessere Verdienstmöglichkeiten. Das Resultat dieses Vergleiches: der Stabsarzt fühlt sich relativ benachteiligt. Relative Benachteiligung ist also das Gefühl, welches entsteht, wenn das Erreichte abweicht von dem, was man erreichen könnte. Das heißt, wenn man ein Studium absolviert, hat man die Erwartung, nicht unter einem gewissen Niveau zu verdienen (Marktwert) und weiß, was man eventuell erreichen könnte. Diese Erwartungshaltung trägt man mit sich und vergleicht sie (unbewußt) mit dem derzeitigen Job-Status.
6. Die Gerechtigkeitstheorie von Adams
In der Nachfolge von Homans (1961) entwickelte Adams seine Gerechtigkeitstheorie. Darin legt er dar, daß das Leben in unserer Gesellschaft vom Austausch bestimmt wird. Es geht um Austausch von Wohlfahrt, Macht, Gütern und Diensten. Das Ergeb- nis dieses Austausches kann als gerecht oder ungerecht empfunden werden. Adams ging nun der Frage nach, was die Konsequenzen eines Ergebnisses sind, welches als gerecht oder ungerecht empfunden wird. Nachdem Homans 1961 neue Begriffe aus dem Wirtschaftsleben in die Diskussion einbrachte, entwickelte er die nachfolgende Gleichung.
Für eine Dyade, die aus zwei Personen besteht, ist austauschende Gerechtigkeit gegeben, wenn:
b = Belohnung k = Kosten
i = Investition
A und B sind Personen oder Bezugsgruppen
Besteht ein Ungleichgewicht zwischen A und B, so fühlen die Parteien eine Unge- rechtigkeit und eine der Parteien fühlt sich benachteiligt. Derjenige, der sich benachteiligt fühlt, ist derjenige, dessen Verhältnis Profit (Belohnung minus Kosten) zu Investitionen das Kleinere ist.
Adams Theorie nun basiert auf der Annahme, daß der Vergleich zwischen zwei Ar- beitnehmern von diesen dann als ausgeglichen (gerecht) wahrgenommen wird, wenn die Verhältnisse zwischen ihren Aufwendungen und Erträgen gleich sind. Er vereinfachte die Gleichung von Homans, indem er lediglich die Begriffe Input und Output verwendete. Der Input ist das, was man einbringt, also Alter, Geschlecht, Her- kunft, Bildungsstand, berufliche Fertigkeiten, Schulabschluß etc. Der Output besteht in der Arbeitsentlohnung inklusive Freizeitregelungen und sonstige Leistungen.
Adams zog aufgrund von Experimenten folgende Schlüsse:
1. Manifestierte Unzufriedenheit und anderes Verhalten sind nicht so sehr Antworten auf relative Benachteiligung, sondern vor allem auf akut gefühlte Ungerechtigkeit. Relative Benachteiligung ist eine Bedingung, die Gefühle von Ungerechtigkeit hervorruft. Gefühlte Ungerechtigkeit löst einen Ausdruck von Unzufriedenheit aus und zusätzlich die Art und Weise des Verhaltens. Ungerechtigkeit ist der Vermittler zwischen relativer Benachteiligung und der Unzufriedenheit.
2. Das, was gerecht ist, basiert auf relativ (persönlichen) starken Erwartungen, wie das bildungsbedingt Erreichbare mit dem erreichten Job-Status korreliert. Zu diesen Erwartungen gehört auch, daß man bei Beförderungen nicht übergangen wird und daß man seine berufliche Rolle auch in Laborsituationen (z.B. im Rahmen eines Ex- perimentes) beibehält.
3. Es ist klar, daß der Entwicklung von Erwartungen und der Wahrnehmung von Ungerechtigkeit ein vergleichender Prozeß innewohnt, wie durch den Terminus "relative" Benachteiligung bereits impliziert ist.
(Adams, J.S.: Inequity in social exchange. In: Berkowitz, L.:Advances in experimental social psychology. Vol.2, 1965, S. 267-299).
7. Mögliche Kombinationen von erlebter Ungerechtigkeit einschließlich der zu erwartenden Reaktionen der Arbeitnehmer
Zur Bestätigung der Equity-Theory wurden bislang vor allem Lohn-Leistungs-Relatio- nen unter Zeit- bzw. Akkordlohn untersucht. Es gibt verschiedene Untersuchungen von Goodman und Friedman (1971) und Greenberg (1982). Deren Ergebnisse will ich in folgender Tabelle (siehe nächste Seite) wiedergeben, einschließlich der zu erwartenden Reaktionen der Arbeitnehmer (entnommen aus: Frieling, Sonntag, Arbeitspsychologie, 1999).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aufgrund dieser Tabelle wird deutlich, daß lediglich nur zwei der genannten Kombi- nationen zu Zufriedenheit führen, nämlich wenn die eigene Leistung und der eigene Lohn hoch sind und bei der Vergleichsgruppe auch, und wenn der eigene Lohn und die eigene Leistung hoch, dieselben Faktoren bei der Vergleichsgruppe aber niedrig sind.
Wie aus der obigen Tabelle zu ersehen, führt erlebte Ungerechtigkeit zu einem Spannungszustand, der zu einer Lösung drängt. Je höher die erlebte Spannung, desto höher ist auch die Motivation, die Spannung abzubauen. Dazu hat die sich als ungerecht behandelt fühlende Person mehrere Möglichkeiten:
1. Die Person ändert ihren Einsatz (Input). Es gibt Faktoren des Inputs, die sich nicht ändern lassen, z.B. Alter oder Geschlecht. Andere Faktoren, wie z.B. Aus-, Fort- und Weiterbildung, lassen sich wohl ändern. Auch der zeitliche Aufwand fällt in den Be- reich des Inputs. Man kann mehr Überstunden machen oder eben "Dienst nach Vor- schrift" und um Punkt Feierabend gehen. Ist die erlebte Ungerechtigkeit unvorteilhaft, so wird man seinen Input verringern, ist sie dagegen vorteilhaft, so wird man ihn er- höhen. Das Ändern allerdings erfordert Zeit und setzt das Erkennen der gefühlten Ungerechtigkeit voraus (d.h., der Betroffene muß wissen, was der Grund für seine Unzufriedenheit ist und inwieweit er das ändern kann).
2. Eine zweite Möglichkeit, den Spannungszustand aufzuheben oder zumindest zu verringern, besteht darin, den Output zu erhöhen. Das kann z.B. geschehen, indem man versucht, seinen Vertrag zu verändern und intern ein höheres Gehalt oder andere Leistungen aushandelt, oder die Person "geht aus dem Felde" und kündigt, in der Hoffnung, woanders mehr Geld zu bekommen.
Adams hat folgende Gleichung aufgestellt.
Ungerechtigkeit ist gegeben, wenn
O = Output, I = Input, p und a sind die Bezugspersonen
Im ersten Fall wird p seinen Input verringern, um die gefühlte Ungerechtigkeit zu verringern. Im zweiten Fall wird p seinen Input steigern, um einen Ausgleich herbeizuführen. Konkret heißt das, der Arbeitnehmer kann seine Produktivität oder die Qualität seiner Arbeit steigern oder senken.
Dazu gibt es ein interessantes Experiment von Adams und Jacobson, 1964, welches ich hier kurz beschreiben möchte:
Es ging bei diesem Experiment darum, Papers gegenzulesen, nach Fehlern zu durchsuchen und diese Fehler zu markieren. Die Testpersonen, alles Studenten, wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Der ersten Gruppe (H) wurde gesagt, daß sie zwar unqualifiziert seien, aber dennoch 30 Cents pro gelesene Seite bekämen, die zweite Gruppe (R) wurde ebenfalls als unfähig eingestuft, bekam aber nur 20 Cents pro Seite. Der dritten Gruppe (L) schließlich wurde gesagt, sie seien qualifiziert und sie bekamen 30 Cents pro Seite. So wurden bei diesem Experiment drei unterschiedliche Bedingungen für gefühlte Ungerechtigkeit geschaffen, mit der Grundannahme, daß die Gruppe H, bei der die größte Diskrepanz zwischen Eignung und Bezahlung herrschte, versuchen würde, diese Spannung durch hohes Input (höhere Lesege- schwindigkeit und korrektes Auffinden der Fehler) auszugleichen. Diese These wurde bestätigt. Gruppe H ging sogar so weit, überkorrekt zu handeln, indem sie Fehler an- strich, die keine waren. So kann ein Schuldgefühl, welches durch Überbezahlung entsteht, auch wieder Fehler verursachen.
8. Kritik an der Gerechtigkeitstheorie
Mehrere Untersuchungen, die das Ziel hatten, die Theorie von Adams zu verifizieren, haben gezeigt, daß die Ergebnisse das Modell nur bei Unterbezahlung und unter Stundenlohnbedingungen verifizieren, daß das Modell jedoch nicht überzeugend ge- stützt wird beim Zustand der Überbezahlung und unter Stücklohnbedingungen"(Ulich, Arbeitspsychologie, 1998 in: Weinert 1987, S. 283). Eine einfache Erklärung dafür könnte sein, daß man im Zustand der Überbezahlung länger "braucht", um diesen Zustand als ungerecht zu erleben und vorstellbar ist, daß nur wenige Arbeitnehmer etwas unternehmen, um einen "gerechteren", d.h. für sie niedrigeren Lohn zu erhal- ten. Außerdem kann man nicht in jedem Fall wissen, ob ein Aspekt der Austauschbe- ziehung eher als Aufwand oder als Ertrag erlebt wird, dann ist nicht klar, wodurch die Wahl bestimmter Personen oder Gruppen als Bezugspersonen oder Bezugsgruppen bestimmt wird; es ist außerdem mit interindividuellen Unterschieden im Gerechtig- keitsempfinden zu rechnen und schließlich kann die Beurteilung einer Tauschsituation als gerecht oder ungerecht auch auf der Grundlage interner Standards erfolgen( nach: Pritchard 1969). Hier kann man geltend machen, daß die Wahl der Bezugsgruppen oder Bezugspersonen wohl vom einzelnen Arbeitnehmer bewußt vorgenommen wird. Es wird sich wohl ein Fließbandarbeiter nicht den Fabrikbesitzer als Bezugsperson wählen und umgekehrt. Man kann davon ausgehen, daß jeder Arbeitnehmer ein ausgeprägtes Gespür für seinen Status hat. Und er wird sich wohl nur statusgleiche Bezugsgruppen oder -personen suchen, es sei denn, er ist narzißtisch gestört, aber das gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit.
Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, ist das Gerechtigkeitsempfinden eine Voraus- setzung für Arbeitszufriedenheit. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, wird kaum zu- frieden sein. Außerdem ist für das Gerechtigkeitsempfinden die gewählte Vergleichs- gruppe wesentlich.
9. Wertvorstellungen und Wertewandel
In den siebziger Jahren hat die Diskussion zum Wertewandel neue Erkenntnisse in Bezug auf einen Wandel der Ansprüche und Erwartungen an das Arbeitsleben gebracht. Die Ergebnisse dieser Diskussion gipfelten in der Frage: "Ist Arbeit noch länger zentrales Lebensinteresse?".
Strümpel prägte den Begriff des "Opferethos", das ist die Bereitschaft, einen erheblichen Teil der eigenen Lebenskraft und Lebenszeit für die Arbeit aufzuwenden, die Notwendigkeit, sich an Pflichten wie Disziplin, Gehorsam, Ausführung von Aufträgen anderer, Unterordnung usw. zu orientieren.
Demgegenüber stand die Forderung nach Selbstentfaltung, Emanzipation, Gleichheit und Demokratie, aber auch Genuß, Abenteuer, Entspannung, Kreativität und Sponta- neität. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewon- nen.
10. Zusammenfassung
Bei den Zielen der Lohnpolitik wird deutlich, daß auf Seiten der Mitarbeiter die inner- betriebliche und die überbetriebliche Gerechtigkeit maßgeblich sind. Für das innerbe- triebliche Gerechtigkeitsempfinden ist die relative Lohnhöhe maßgeblich. Für diese gibt es verschiedene Bestimmungsgrundlagen, nämlich die Anforderungsgerechtig- keit, die Leistungsgerechtigkeit, die soziale Gerechtigkeit und die Marktgerechtigkeit. Berücksichtigt man diese Punkte, ist die Grundlage für objektive Lohngerechtigkeit gegeben. Um das subjektive Gerechtigkeitsempfinden einzugrenzen, müssen noch ein paar Punkte dazukommen. Zur Verdeutlichung habe ich kurz die Gerechtigkeits- theorie von Adams vorgestellt. Diese Theorie basiert auf der Annahme, daß der Vergleich zwischen zwei Arbeitnehmern von diesen dann als ausgeglichen (gerecht) wahrgenommen wird, wenn die Verhältnisse zwischen ihren Aufwendungen und Er- trägen gleich sind. Adams verwendet die Begriffe Input und Output, um die Aufwen- dungen und Erträge in eine Formel zu bringen. Der Input umfaßt das Alter, Ge- schlecht, Bildung, berufliche Fertigkeiten etc., der Output die Arbeitsentlohnung in- klusive Freizeitregelungen und sonstigen Leistungen. Adams maß den Erwartungen starke Bedeutung für das Gerechtigkeitsempfinden bei. Jeder Arbeitnehmer hat per- sönliche Erwartungen, was er mit seinem Input erreichen könnte und vergleicht die- sen Soll-Zustand mit dem Ist-Zustand, d.h. mit dem, was er erreicht hat. Diese Erwar- tungen können sich aber nur im Vergleich mit anderen entwickeln. Einfach ausge- drückt, zuerst liegt relative Benachteiligung vor, dann empfindet man Ungerechtigkeit und schließlich Unzufriedenheit. Erlebte Ungerechtigkeit führt zu einem Spannungs- zustand, der zu einer Lösung drängt. Je höher die erlebte Spannung, desto größer ist auch die Motivation, diese Spannung zu lösen. Eine Möglichkeit dazu ist, die Person ändert ihren Input, z.B. die Weiterbildung oder sie absolviert mehr Überstunden oder macht nur noch Dienst nach Vorschrift (innere Kündigung). Ist die erlebte Ungerech- tigkeit dagegen vorteilhaft, d.h. jemand bekommt mehr Output als die Bezugsgruppe, entsteht ein Schuldgefühl bei dem Betroffenen, welches er durch erhöhten Input aus- zugleichen versucht. Dazu entstand die Kritik, daß die Gerechtigkeitstheorie nur bei Unterbezahlung und bei Zeitlohn verifizierbar sei, daß das Modell aber nicht über- zeugend gestützt würde bei Überbezahlung und unter Stücklohnbedingungen. Ich habe schon im entsprechenden Abschnitt dieser Arbeit angemerkt, daß ich denke, daß man im Zustand der Überbezahlung einfach "länger braucht", um diesen Zustand als ungerecht zu erleben. Es läßt sich wohl nur schwer nachprüfen, auf welche Fakto- ren eine Änderung des Inputs zurückzuführen ist, z.B. ob tatsächlich sehr viel Arbeit vorhanden ist, die Überstunden notwendig macht, oder ob jemand mit diesen Über- stunden sein Schuldgefühl abbauen möchte. Ebenso wichtig scheint mir der Einwand, daß man nicht wissen könne, ob bestimmte Faktoren eher als Aufwand (Input) oder als Ertrag (Output) angesehen werden. Es gibt auch sicher individuelle Unterschiede beim Gerechtigkeitsempfinden. Ich meine, Adams Gerechtigkeitstheorie ist ein Modell, das aufgrund seiner Einfachheit besticht, ich bezweifle jedoch, ob damit wirklich alle möglichen Gegebenheiten erfaßt werden können. Sicher ist es aber ein gutes Mittel, den Gründen für erlebte Ungerechtigkeit auf die Spur zu kommen und ein wenig Klarheit in den Zustand der Benachteiligung oder Ungerechtigkeit zu bringen. Mir scheint es dennoch wichtig, diese einfache Formel mit ein paar Erweiterungen zu versehen, die z.B. persönliche Erfahrungen mit einbeziehen. Jemand mag aufgrund seiner Erfahrungen sehr empfindlich auf Ungerechtigkeitserlebnisse reagieren, wäh- rend eine andere Person mehr Ungerechtigkeit "braucht", um diesen Zustand zu er- kennen und eine Änderung herbeiführen zu wollen. Im Stücklohn ist es wohl schwie- rig, Adams Formel anzuwenden, denn bei Akkordarbeit sind immer mehrere Arbeit- nehmer betroffen und von einander abhängig, so daß der einzelne Arbeitnehmer nicht objektiv erfassbar ist. Für bestimmte Berufsgruppen müßte also vielleicht noch so etwas wie ein Gruppenfaktor dazukommen. Es ist vielleicht schon durch das in dieser Zusammenfassung Gesagte deutlich geworden, daß das Gerechtigkeitsempfinden ein schwieriges Thema ist, welches viele Aspekte beinhaltet. Ich hoffe trotzdem, daß es mir gelungen ist, aufzuzeigen, welche Voraussetzungen dazu gehören, Arbeitsentlohnung als gerecht zu empfinden, sowie besonders die Wirkung von Un- gerechtigkeitserlebnissen zu verdeutlichen. Ich meine, In der heutigen Zeit, in der ein gewisses Einzelkämpfertum und individuelle Lösungen in vielen Firmen zum Alltag gehören, ist es besonders wichtig, sich mit dem subjektiven Gerechtigkeitsempfinden auseinanderzusetzen, zum Schutze der Arbeitnehmer und im Dienste der Mensch- lichkeit.
- Quote paper
- Brigitte Schorr (Author), 2000, Gerechtigkeitsempfinden und Arbeitsentlohnung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107190
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