Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Die Person des Goebbels
2.2 Propaganda als Instrument der Meinungsmanipulation
2.3 Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte am Beispiel Goebbels
3. Schlussteil
3.1 Mitschuld oder Entlastung des deutschen Volkes?
3.2 Liste der Fußnoten
3.3 Literaturverzeichnis
3.4 Erklärung der Eigenständigkeit der Arbeit
1. Einleitung
„Diese Stunde der Idiotie! Wenn ich den Leuten gesagt hätte: Springt aus dem dritten Stock des Columbus-Hauses - sie hätten es auch getan.“1
Bei der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus im Dritten Reich wird das Interesse der historischen Forschung neben Hitler unweigerlich auch auf die Person des Joseph Paul Goebbels gelenkt, dem auch in der modernen Forschungsliteratur eine besondere Gewichtung zukommt.
Goebbels war ab 1933 der Propagandaminister im Dritten Reich und wurde ebenfalls auch als die rechte Hand Hitlers bezeichnet, aufgrund dieser herausragenden Stellung hatte er einen bedeutenden Einfluss auf die deutsche Gesellschaft, Kultur und Politik. Doch die zentrale Frage lautet, wie eine einzelne Person eine so starke Machtposition aufbauen konnte, die es ihm ermöglichte eine solche Manipulation und Beeinflussung auf die Bevölkerung auszuüben und wie das Volk diesen Einfluss zulassen konnte.
Das obenstehende Zitat von Goebbels beschreibt in besonderer Weise den starken Einfluss, den diese Persönlichkeit auf die deutsche Bevölkerung hatte und dass sie ihm völlig willenlos ergeben waren.
Die folgende Facharbeit will sich intensiver mit der Person und der Biographie von Goebbels beschäftigen, der als einflussreiche Persönlichkeit im politischen Raum des Nationalsozialismus wirkte und diesen auch entscheidend beeinflusste. Es soll auch betrachtet werden, wie Goebbels zu seiner herausragenden politischen Stellung gelangt ist und welche Faktoren und Bedingungen seine besondere Position ermöglicht haben. Des weiteren soll eine Erörterung folgen, die die Fragestellung behandelt, ob der Ablauf der Geschichte eher durch das einzelne Individuum, d. h. durch eine bedeutende Persönlichkeit, oder eher durch äußere Umstände, d. h. gesellschaftliche und politische Strukturen und Prozesse, beeinflusst wird.
Abschliessend soll versucht werden zu einer eigenen Bewertung der Rolle und Bedeutung von Goebbels im Rahmen des Nationalsozialismus zu gelangen, dahingehend ob das Volk für den Nationalsozialismus mitverantwortlich gemacht werden kann oder ob die Beeinflussung der Menschen so weit ging, dass sie keine Mitschuld am Nationalsozialismus trifft.
2. Hauptteil
2.1 Die Person des Goebbels
„Um den Propagandisten Goebbels zu kennen, muss man den Menschen Goebbels verstehen.“2Drei Merkmale aus seiner Kindheit und Jugendzeit sind wichtig, um eine Erklärung für die spätere Persönlichkeit zu finden.
Das erste ist eine körperliche Missbildung. Als kleines Kind hatte er Kinderlähmung, deswegen war sein linkes Bein gelähmt und auch zehn Zentimeter kürzer als das rechte Bein. Später versuchte Goebbels diese Missbildung als eine Verletzung aus dem Ersten Krieg auszugeben, aber in Wirklichkeit hat er nie als Soldat gedient. „Ziemlich klein, dunkelhäutig, engbrüstig und hinkend, war er eine armselige Reklame für den Typ des nordischen Herrenmenschen, der in nationalsozialistischen Schriften verherrlicht wurde.“3Aufgrund seiner Lähmung wurde er von Rivalen und Feinden der eigenen Partei verhöhnt, so wurde er als „nachgedunkelter Schrumpfgermane“ oder auch als „Mephistopheles“ bezeichnet. Goebbels Persönlichkeit wurde wahrscheinlich in einem gewissen Maße von der Lähmung beinflusst, und seine boshaften Bemerkungen hinter dem Rücken anderer, sowie seine Eifersucht auf besser aussehende Rivalen, lässt sich eventuell auf seine physische Verkrüppelung zurückführen, doch seine Talente blieben dadurch weitestgehend unbeeinflusst. Goebbels´ besondere rednerische Begabung ist ebenso charakteristisch für ihn wie sein „unnordisches“ Aussehen und seine Lähmung, diese kann aber die Redegabe nicht erklären, obwohl es stimmt, dass seine Missbildung seinen Witz, seine angeborene Rastlosigkeit und seine Bosheit gefördert haben. Einer seiner Rivalen bemerkte nach seinem Tod: „Alle seine Energien mussten sich in einem Brennpunkt sammeln: diesen Gesunden, Frohen, Geraden zu zeigen, dass er auch etwas leisten konnte.“4
Das zweite wichtige Merkmal war, dass Goebbels aus kleinbürgerlichen Kreisen stammte. Er wurde am 29. Oktober 1897 als Sohn eines Werkmeisters in Rheydt im Rheinland geboren. Seine Vorfahren kamen aus den unteren Bevölkerungsschichten. In späteren Jahren, als Goebbels bereits Reichsminister war, neigte er dazu, die Armut seines Elternhauses zu übertreiben. Sein Vater versuchte ihm und seinen Brüdern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. So besuchte er das Gymnasium in Rheydt, wo er ein guter Schüler und eifriger Leser war, jedoch war er bei seinen Mitschülern nicht beliebt. „Als Knabe war er ziemlich einsam gewesen, hatte vermieden, mit anderen Kindern zusammen zu sein, die ihn vielleicht auslachten, und hatte sich von Klassenkameraden ferngehalten [...] Er galt als arrogant, streitsüchtig und schwierig.“51917 bestand er das Abitur mit Auszeichnung. Entgegen den Vorstellungen seines Vaters, der wollte, dass Goebbels in den Staatsdienst eintrete, schrieb er sich in die philosophische Fakultät ein, ohne eine bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, aber fest entschlossen, in der Gesellschaft aufzusteigen. Wegen seiner Lähmung konnte er nicht in den Krieg ziehen, um als Soldat zu dienen. Die Finanzierung des Studiums wurde ihm von dem katholischen Albertus Magnus Verein, der ihm in den Jahren 1917 - 1920 einige zinslose Darlehen zur Verfügung gestellt hat, einem monatlichen Zuschuss seines Vaters in Höhe von fünfzig Mark, zusätzlich erteilten Nachhilfestunden und durch andere Gelegenheitsarbeiten ermöglicht. Es war damals üblich, dass deutsche Studenten an mehreren Universitäten studierten, dieses betrieb Goebbels dann auch in umfangreichen Maße, so besuchte er während seines Studiums acht Universitäten: Bonn, Freiburg, Heidelberg, Würzburg, Köln, Frankfurt, Berlin und München und promovierte schliesslich im Jahre 1921 zum Doktor der Philosophie in Heidelberg. „In den Jahren nach 1918 hatte sich in der deutschen Jugend die Sehnsucht nach einem Führer entwickelt, der die Übel der Welt heilen oder ihr eine höhere Lebensanschauung geben würde.“6 Obwohl Goebbels niemals Mitglied einer der deutschen Jugendbewegungen war, so teilte er doch ihr Verlangen nach einem neuen Lebensstil, ihre Betonung der Gemeinschaft und ihre Sehnsucht nach einem Führer. „Sein Haupttalent lag nicht auf dem Gebiet der Wissenschaft, sondern auf dem der Politik, der politischen Aktion und Redekunst.“7So lässt sich sein ausgeprägter Geltungsdrang, sein Verlangen, jemand zu sein zum Einen aus seiner Verkrüppelung erklären und zum Anderen aus seinem Bestreben, aus den bescheidenen Verhältnissen seiner Vorfahren aufzusteigen. Die antisemitische Einstellung lässt sich eventuell dadurch erklären, dass sie natürlich in Grundzügen vorhanden sein musste, aber das Misslingen seiner journalistischen Arbeiten, seine Artikel für das „Berliner Tageblatt“ wurden von dem Chefredakteur, der, ebenso wie der Zeitungsbesitzer, Jude war, abgelehnt, hat diese Grundzüge wahrscheinlich verstärkt.
Das dritte wichtige Merkmal war der Katholizismus. Seine beiden Eltern waren fromme Katholiken. Während seiner Zeit an der Universität in Bonn trat er dem Unitas Verband bei, einer katholischen Vereinigung. Nach dem Krieg trat Goebbels aus der Unitas wieder aus, da sein Freund, der sich nicht mehr ihren strengen moralischen Vorschriften fügen wollte, ausgeschlossen wurde. Seitdem scheint es, dass er sich langsam vom katholischen Glauben entfernt hat. „Dennoch behielt er eine Zeitlang einen verschwommenen Ansatz von religiösem Idealismus bei [...]“8Doch sollte Goebbels Hingabe bald nicht mehr Christus gehören, sondern seinen Platz sollte dann der Führer einnehmen. Wenn sich sein Glaube auch nach einiger Zeit zum Glauben an die Nation und an einen sozialistischen Nationalismus entwickelte, so konnte er im Gegensatz zu Hitler und Himmler seine katholische Erziehung nie ganz ablegen. Aus taktischen Gründen trat er in keine öffentlichen Konfrontationen mit der Kirche, da sie noch einen entscheidenden Einfluss auf die breite Masse der Bevölkerung hatte, doch sein Ziel war es in Zukunft die Kirche durch die Partei zu ersetzen. „Lange bevor er mit Hitler und der nationalsozialistischen Partei in Berührung kam, befürwortete er einen autoritären Kollektivismus, eine Art „wohlwollender“ Diktatur. Hitler wurde in seinen Augen ein Übermensch [...]“9So bezeichnete Goebbels Hitler als „politisches Genie“, sein vollkommener Gehorsam und seine totale Hingabe gehörten ihm.
Goebbels politische Laufbahn, die der bedeutendste Abschnitt seines Lebens war, beginnt im Jahre 1924 als er am Parteitag der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“ teilnimmt. Er wird danach Sekretär von Friedrich Wiegershaus, ein Reichstagsabgeordneter der Völkischen Freiheitspartei. 1925 wird er Mitglied des Vorstandes des Gaus Rheinland - Nord und etwas später Schriftleiter der „Nationalsozialistischen Briefe“. Goebbels wird aufgrund seiner rednerischen Begabung immer mehr als Redner eingesetzt. Im Jahre 1926 ernennt Hitler ihn zum Gauleiter von Berlin und am 14. März 1933 zum Propagandaminister. Nach dem Tod von Hitler ist er am 30. April 1945 für einen Tag Reichskanzler und am darauffolgenden Tag, dem 1. Mai 1945, stirbt er und seine Frau Magda den Freitod, auch die eigenen sechs Kinder werden ermordet.
2.2 Propaganda als Instrument der Meinungsmanipulation
Im folgenden Teil soll versucht werden zu untersuchen, inwieweit die nationalsozialistische Propagandamaschinerie die besondere Stellung und den Einfluss von Goebbels unterstützt hat.
„Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hat die Propaganda in einem Umfang entwickelt wie bisher keine andere politische, wirtschaftliche oder religiöse Bewegung. An Stärke und Aufwand stellt sie sämtliche Vorläufer und Vorbilder in den Schatten, überbietet sogar den gewaltigen Propagandafeldzug der Vereinigten Staaten bei ihrem Eintritt in den Weltkrieg und hat die Kriegspropaganda, als deren Schülerin sie sich bekennt, bereits weit überflügelt und deren großen Rekord in den Jahren 1917 / 1918 geschlagen.“10
Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich uns die Frage nach einer Definition des Begriffs der Propaganda, da dieser in vielen Zusammenhängen benutzt wird. Propaganda wurde lange Zeit und sogar bis auf den heutigen Tag als etwas Minderwertiges angesehen, „man bewertete sie oft nicht höher als irgendeine Geschäftsreklame und erblickte in Propagandisten unangenehme und aufdringliche spektakelnde Flugblattverteiler und Plakatkleber, die die Wände beschmieren.“11Die deutschen Schriftsteller Roselius und Stern - Rubarth verstehen unter der Definition der Propaganda einen „erweiterten Begriff für Reklame“.12 Das Meyers „Wörterbuch - Politik“ beschreibt Propaganda wie folgt: „Propaganda, das heißt, die zweckvolle Verbreitung bestimmter Meinungen, hat es als politisches (und kirchlich - religiöses) Mittel immer gegeben.“13Das „Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaft“ erklärt den Begriff auf die folgende Art: „Propaganda (v. lat. propagare = verbreiten) ist Massenwerbung für geistige Gefolgschaft durch Gedanken, für die die Volksmassen durch Beeinflussung gewonnen werden soll.“14Selbst Hitler hatte eine eigene Vorstellung vom Begriff der Propaganda, „für ihn ist Propaganda nicht die geistige Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse, nicht ein Mittel, um durch Wissen und Überzeugung kleinere oder größere Kreise von Menschen ideologisch für eine Weltanschauung zu gewinnen, Hitler teilt der Propaganda nur die Aufgabe zu, möglichst große Massen kritikloser „Anhänger“, Mitläufer, Beifallsrufer einzufangen.“15
Das Propagandaministerium, das allein zu dem Zweck erschaffen wurde, um die nationalsozialistische Politik und Ideologie zu verbreiten, besaß den stärksten Einfluss auf die gesamte Politik des Dritten Reiches. So wurde am 14. März 1933 Dr. Paul Joseph Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt und damit entstand auch gleichzeitig nach Hitler die bedeutendste Persönlichkeit des Nationalsozialismus. „Offiziell sollte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda - so stand es im Gründungserlaß - dem Ziel dienen, „Aufklärung und Propaganda unter der Bevölkerung über die Politik der Reichsregierung und den nationalen Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes“ voranzutreiben. Tatsächlich ging es jedoch darum, eine „geistige Mobilmachung“ bei den Massen in Gang zu setzen, sie so lange zu „bearbeiten, bis sie uns verfallen sind“.“16Das persönliche Ziel des mit 35 Jahren jüngsten Ministers Goebbels war es, das Volk dazu zu bringen „einheitlich zu denken, einheitlich zu reagieren und sich der Regierung mit ganzer Sympathie zur Verfügung zu stellen.“17Die Struktur des Ministeriums sah so aus, dass die fünf verschiedenen Abteilungen Presse, Rundfunk, Film, Theater und Propaganda in einer einzigen Organisation vereinigt werden sollten, so dass es auf fast allen Gebieten eine Beeinflussung der Bevölkerung vornehmen konnte. Goebbels beschrieb seine neuen Aufgaben in dem Ministerium mit folgenden Worten: „Die mir persönlich sehr nahe liegen, und denen ich mich deshalb schon mit ganzem Eifer und mit ganzer innerer Hingabefreudigkeit widmen werde.“18Mit seinem Propagandaministerium beseitigte Goebbels fast die komplette Konkurrenz in den Medien und propagierte durch einzigartig inszenierte Veranstaltungen, wie z. B. die Sportpalastrede in Berlin, die Ideologie des Nationalsozialismus. Doch noch einmal auf die Sportpalastrede zurückkommend, dieses war wahrscheinlich die großartigste und beeindruckendste Rede, die Goebbels jemals hielt und er lieferte damit „ein Meisterstück seiner Redekunst“.19Der Höhepunkt wurde erreicht, als Goebbels die anwesenden deutschen Zuhörer fragte: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?“20Nach dieser Frage Goebbels´ brachen „Szenen exzessivster Massenhysterie“21 aus, „wie sie der Sportpalast selbst in der „Kampfzeit“ nicht erlebt hatte“.22
Die nationalsozialistische Propaganda stellt sich aus diesem Grund als eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die deutsche Bevölkerung dar, da der Nationalsozialismus mit den skrupellosesten Methoden in ihrer Propaganda vorging. Deswegen schreckte der Nationalsozialismus nicht davor zurück selbst Gewalt als eine Möglichkeit einzusetzen: „Die Gewalt gehört zu den wichtigsten und erfolgreichsten Mitteln der Hitlerpropaganda, ja, ist vielleicht das entscheidende Mittel“.23Goebbels erhielt im Jahre 1933 einen Brief seines Führers, in dem Hitler unterstrich, dass Goebbels die „Propaganda der Partei zu jener unerhört scharfen Waffe gemacht, der im Laufe der Jahre ein Gegner nach dem anderen erlegen war“.24In diesem Zitat Hitlers wird die Propaganda treffender weise als eine sehr gefährliche Waffe bezeichnet, so stellt sich am Ende dieser Betrachtung der nationalsozialistischen Propaganda die Frage, ob sie nur ein untergeordnetes Werkzeug in den Händen ihrer „Meister“, in diesem Fall Goebbels, spielte und sie nur eine von vielen Möglichkeiten und Methoden war, die von einem der „Genies“ und bedeutenden Persönlichkeiten genutzt wurde, aber eigentlich hätten sie auch irgendeine andere Möglichkeit nutzen können und waren auf keinen Fall auf die Propaganda angewiesen. Oder ist die Propaganda ein so mächtiges Werkzeug, das im Prinzip für sich allein stehen könnte und sich eigentlich nur der vorhandenen Persönlichkeiten bediente und sie benutzte?
2.3 Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte am Beispiel Goebbels
Bei der Bearbeitung dieses Themas traten Schwierigkeiten auf, dahingehend dass in der Literatur eine Untersuchung der Rolle der Persönlichkeit schon an Personen wie Hitler oder Bismarck vorgenommen wurden, aber eine solche Betrachtung am Beispiel von Goebbels nicht vorhanden ist. Aus diesem Grund soll im folgenden Teil versucht werden eine allgemeine Ableitung von den oben genannten Persönlichkeiten auf die Bedeutung der Person Goebbels´ in der Geschichte herzuleiten. In der Fragestellung nach der Rolle und Bedeutung von bestimmten „großen“ Persönlichkeiten in der Geschichte ist das schon viel diskutierte Problem der Forschung impliziert, nämlich die Frage nach der Beeinflussung der Geschichte durch die Persönlichkeit oder Gesellschaft (sog. Strukturgeschichte).
Die personalisierend - individualisierende Methode verteidigt den subjektiven Faktor und Einfluss der einzelnen Personen auf den Ablauf der Geschichte, dagegen setzt die gegenwärtige Gegenposition die „Betonung von überpersönlichen, kollektiven Faktoren, Strukturen und Prozessen“.25So unterschiedlich beide Positionen auch sind, müssen sie ich nicht unbedingt ausschliessen, da sich „die Menschheit als lebendiges Substrat der Geschichte nun einmal aus Individuen zusammensetzt, die jedes für sich genommen, unverwechselbare Eigenschaften, eben Individualitäten aufweisen. [...] Damit sollte dem Individuum in der Geschichte auch von vornherein ein gewisser Spielraum eingeräumt werden. Wie weit oder eng er ist, ist allerdings sehr die Frage [...]“.26Andererseits kann man auf der Existenz einer Persönlichkeit nicht die ganze Geschichte aufbauen und sie damit begründen, denn die relevante Person „lebt natürlich stets mehr oder weniger stark in sozialen Bindungen, die über ihn hinausweisen, kurz kollektiver Art - Familie, Gesellschaft, Tradition“.27Eine sinnvolle Verknüpfung der individualisierenden und kollektivistischen Geschichtsauffassung stellt Tocqueville her, er meinte, dass „bis zu einem gewissen Umfang durchaus von einer Priorität oder einem Übergewicht kollektiver Faktoren auszugehen ist, schon weil anders als durch generalisierende Abstraktion, mithin kollektive Kategorien, die Fülle des immer noch weiter expandierenden historischen Stoffs intellektuell überhaupt nicht zu bewältigen ist. Andererseits ist auf die großen historischen Persönlichkeiten nicht zu verzichten, eben um historische Strukturen und Prozesse, die oft mit ihren Namen verknüpft sind, besser verständlich zu machen. Die großen Persönlichkeiten sind allerdings nicht losgelöst von ihrer gesellschaftlichen und historischen Umgebung zu sehen, wie das Schlagwort „Männer machen Geschichte“ zu suggerieren scheint. Noch so bedeutende Persönlichkeiten, gleichgültig, ob sie positiv oder negativ besetzt sind, schaffen keineswegs erst den Stoff, der Geschichte ausmacht“.28Die Frage, was wäre passiert, wenn die Person X (Alexander der Große, Napoleon, Bismarck, Hitler) durch eine beliebige andere Person Y ersetzt worden wäre, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten, weil eine Beantwortung der Fragestellung in reinen Spekulationen enden würde und sinnlos wäre. Abschliessend ist nur ein Konsens der beiden unterschiedlichen Anschauungen möglich, da „es weder eine absolute Freiheit gibt, auch nicht der noch so großen historischen Persönlichkeit, noch einen totalen Zwang kollektiver Mächte, selbst wenn der individuelle Spielraum im allgemeinen recht bescheiden sein wird“.29
Im weiteren soll ein Versuch der Übertragung dieser eher theoretischen Betrachtung des Problems auf den konkreten historischen Kontext des Nationalsozialismus und die Person Goebbels´ erfolgen. Da die schon oben erwähnten Probleme bei der Bearbeitung der Frage auftraten, soll hier nur eine sehr allgemein gehaltene Darstellung gemacht werden, die auf keine näheren Details eingeht. So soll wie bereits oben erwähnt eine Ableitung von der Person Hitlers hergestellt werden.
Die Person Hitlers besaß eine unglaublich starke Bedeutung in der Zeit des Nationalsozialismus, weil sich die ganze politische Macht und Ideologie („Führermythos“) auf ihn konzentrierte. Aus diesem Grund wäre der Nationalsozialismus „ohne die Persönlichkeit und das Wirken Hitlers schlicht undenkbar“30 gewesen. Die Persönlichkeit und Politik Hitlers bestimmte und veränderte im Grunde bis heute „das Gesicht der Welt, die Innen - und Außenpolitik der Völker und Staaten“.31Aufgrund dieser Tatsachen war die Persönlichkeit Hitlers prägend für die Zeit. Doch in dieser Hinsicht gibt es diverse Meinungen, es wird zwar nicht die Bedeutung der Person Hitlers bestritten, doch meinen die Verfechter der Strukturgeschichte, dass „weit wichtiger als die Analyse der Mentalität und des Charakters des Diktators [Hitler] ist doch, die Erforschung der Umstände, die es ihm erlaubten, ein weltgeschichtliches Wirkungsfeld zu gewinnen. Ich sträube mich dagegen, die Ursachen hierfür in irgendwelchen überragenden persönlichen Qualifikationen Hitlers zu erblicken, und ich neige dazu anzunehmen, dass unter sonst günstigeren politischen Konstellationen dessen politische Karriere 1923 sang - und klanglos geendet hätte“.32
So herrschen auch bei dieser Problematik kontroverse Meinungen, die wieder einmal die Differenz zwischen der Persönlichkeitsgeschichte und Strukturgeschichte aufzeigen. Da Goebbels nach Hitler einer der bedeutendsten Politiker des Nationalsozialismus war, kann man ausgehend von der Bedeutung Hitlers ansatzweise auch Rückschlüsse auf die Person von Goebbels ziehen. Deswegen muss man, wenn Hitler eine große Bedeutung und Einflussnahme auf die Geschichte beigemessen wird, auch Goebbels den entsprechenden Einfluss zugestehen, da er als Propagandaminister durchaus eine starke Bedeutung in der Zeit des Nationalsozialismus hatte. Doch auch hier sind, wie auch bei Hitler, die Rückschlüsse auf die einflussreiche Rolle der Persönlichkeit nicht zwingend notwendig, da auch bei Goebbels sicherlich äußere Umstände mitgewirkt haben.
Abschliessend soll nur noch gesagt werden, dass eine detailliertere Betrachtung der Problematik am Beispiel der Person Goebbels aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten nicht möglich war und sie sehr allgemein gehalten wurde. So lässt sich auch hier keine endgültige Aussage darüber treffen, inwieweit das Individuum Goebbels einen bestimmten Einfluss auf die Geschichte hat oder der Einfluss eher in der gesellschaftlichen und politischen Struktur, in diesem Beispiel die Propagandamaschenerie des Nationalsozialismus, zu sehen ist, da sich selbst die historische Forschung über dieses Problem nicht einig ist.
3. Schlussteil
3.1 Mitschuld oder Entlastung des deutschen Volkes?
In dem abschliessenden Teil dieser Betrachtung der Person und des Einflusses der Person Goebbels, möchte ich noch zum Schluss eine eigene Bewertung vornehmen, wie weitreichend der Einfluss Goebbels war, ob er nicht sogar, sei es durch seine Persönlichkeit oder auch Propaganda, das deutsche Volk soweit beeinflusst hat, dass sie an der Entstehung des Nationalsozialismus keine Mitschuld trifft oder kann man ihr diese Entlastung vielleicht doch nicht zusprechen, weil die Manipulation durch Goebbels doch nicht so stark war. Meiner Meinung nach, muss man diese Frage differenziert betrachten, da eine absolute und endgültige Beantwortung nicht möglich ist und nur Spekulation wäre, deshalb soll an dieser Stelle nur ein Versuch der Bearbeitung der Problematik folgen.
Der Einfluss Goebbels auf die deutsche Bevölkerung, egal ob durch seine charismatische Persönlichkeit oder seine skrupellose Propaganda, ist nicht zu unterschätzen, da er als Propagandaminister auf jeden Fall die Möglichkeit hatte, eine direkte Manipulation des Volkes zu bewirken. Dieser große Einfluss ist in den Massenhysterien sehr klar zu sehen, die oft ausbrachen, wenn er vor dem Volk eine öffentliche Rede hielt. Ganz deutlich wird das am Beispiel der Sportpalastrede in Berlin, dies war wahrscheinlich seine größte Rede und am Schluss lag ihm das anwesende deutsche Volk „zu Füßen“ und es spielten sich hysterische Szenen ab, die es dort noch nie gegeben hat. Natürlich war der Einfluss Goebbels sehr stark, doch ging die Beeinflussung wirklich so weit, dass das deutsche Volk keinen eigenen Willen und keine eigene Meinung hatte und dem Einfluss Goebbels vollkommen erlegen war.
Nach meiner Meinung kann eine Beeinflussung jedoch nicht so weit gehen, dass das deutsche Volk vollkommen willenlos gehandelt hat. Wenn die Bevölkerung wirklich eine ablehnende Haltung und Einstellung gehabt hätte, hätte Goebbels diese Meinung auch nicht durch eine sehr starke Beeinflussung total untergraben können, da man eine Person mit einer ablehnenden Einstellung gegenüber einer Sache nicht komplett überreden kann. Deswegen stand die Bevölkerung dem Nationalsozialismus nicht unbedingt negativ gegenüber und ließ sich bereitwillig von der Propaganda Goebbels´ beeinflussen.
Zum Schluss lässt sich nur noch sagen, dass es sich hierbei um eine persönliche Meinung handelt, die meine Ansichten widerspiegelt und eine endgültige Beantwortung reine Vermutung und subjektiv wäre, da es sich um einen psychologischen Faktor im deutschen Volk handelt, der nicht detailliert untersucht werden kann.
3.2 Liste der Fußnoten
1 Oven 1987, S. 298
2 Bramstedt 1971, S. 47
3 Bramstedt 1971, S. 47
4 Bramstedt 1971, S. 48
5 Bramstedt 1971, S. 48f
6 Bramstedt 1971, S. 49f
7 Bramstedt 1971, S. 50
8 Bramstedt 1971, S. 51
9 Bramstedt 1971, S. 51
10 Münzenberg 1972, S. 173
11 Münzenberg 1972, S. 173
12 Münzenberg 1972, S. 174
13 Münzenberg 1972, S. 174
14 Münzenberg 1972, S. 174
15 Münzenberg 1972, S. 176
16 Reuth 1990, S. 269
17 Reuth 1990, S. 269
18 Reuth 1990, S. 271
19 Reuth 1990, S. 518
20 Reuth 1990, S. 520
21 Reuth 1990, S. 520
22 Reuth 1990, S. 520
23 Münzenberg 1972, S. 179
24 Reuth 1990, S. 306
25 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 12
26 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 16
27 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 16f
28 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 20
29 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 24
30 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 55
31 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 56
32 Bosch (Hrsg.) 1977, S. 67
3.3 Literaturverzeichnis
Reuth, Ralf Georg. Goebbels. München: Piper 1990 von Oven, Wilfred. Wer war Goebbels?. Biographie aus der Nähe. München / Berlin: Herbig 1987 Bramstedt, Ernest K.. Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda 1925 - 1945. Frankfurt am Main: S. Fischer 1971
Bärsch, Claus - Ekkehard. Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923 - 1927. München: Boer 1987
Münzenberg, Willi. Propaganda als Waffe. Ausgewählte Schriften 1919 - 1940. Frankfurt am Main: März Verlag 1972
Bosch, Michael (Hrsg.). Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte. Historische Bestandsaufnahme und didaktische Implikationen. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1977
3.4 Erklärung der Eigenständigkeit der Arbeit
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die im Literaturverzeichnis angegebenen Hilfsmittel verwendet habe.
Insbesondere versichere ich, dass ich alle wörtlichen und sinngemäßen Übernahmen aus anderen Werken als solche kenntlich gemacht habe.
Bielefeld, den 05.03.2002
Unterschrift
- Quote paper
- Peter Unruh (Author), 2002, Der Einfluss der Persönlichkeit auf die Geschichte am Beispiel von Paul Joseph Goebbels, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107107
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