Was, wenn der Spiegel nicht die Wahrheit zeigt? Tauchen Sie ein in die beunruhigende Welt der Essstörungen, wo Kontrolle zur Obsession und der Körper zum Schlachtfeld der Seele wird. Diese aufschlussreiche Analyse dringt tief in das komplexe Geflecht aus Anorexie, Bulimie und Binge-Eating ein und beleuchtet die vielfältigen Erscheinungsformen, von der selbstauferlegten Magerkeit bis hin zu zwanghaften Essanfällen. Erfahren Sie mehr über die verheerenden Auswirkungen auf den Organismus, von Herzproblemen und hormonellen Störungen bis hin zu den subtilen, aber tiefgreifenden psychologischen Narben, die Denken, Fühlen und Verhalten prägen. Entdecken Sie die Ursachen, die oft in der Kindheit wurzeln, von familiären Dynamiken und soziokulturellem Druck bis hin zu traumatischen Erlebnissen, die das Selbstbild verzerren. Erhalten Sie einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Therapieansätze, von der Psychoanalyse bis zur Verhaltenstherapie, und verstehen Sie, wie diese Methoden darauf abzielen, das gestörte Verhältnis zum Essen und zum eigenen Körper neu zu definieren. Dieses Buch ist ein unverzichtbarer Ratgeber für Betroffene, Angehörige und Fachleute, der nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Hoffnung schenkt und Wege zur Heilung aufzeigt. Es ist ein Plädoyer für mehr Achtsamkeit, Empathie und ein tieferes Verständnis für die komplexen psychischen und emotionalen Kämpfe, die hinter dem scheinbar einfachen Symptom des gestörten Essverhaltens liegen. Ein Muss für alle, die sich mit den Themen Essstörung, Anorexie, Bulimie, Binge-Eating, Körperbild, Therapie, Ursachen, psychische Gesundheit, Selbstwertgefühl und gesellschaftlicher Druck auseinandersetzen möchten. Verstehen Sie die Warnzeichen, erkennen Sie die Risikofaktoren und lernen Sie, wie Sie Betroffenen helfen können, ihren Weg zurück zu einem gesunden und erfüllten Leben zu finden. Es geht um weit mehr als nur um Essen; es geht um Leben, Lieben und die Akzeptanz des eigenen Selbst.
Inhaltsverzeichnis
Konzept
1) Normales Essverhalten? / Einleitung
2) Essstörungen im medizinischen Sinne / Erscheinungsformen
3) Auswirkungen auf den Organismus
4) Psychologisches Erscheinungsbild
5) Häufigkeit und Ursachen von Essstörungen
6) Therapie
7) Zusammenfassung
Autor: Sina Brohl, Stufe 11
Quellen: Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, 2. Auflage; UNI-MED Verlag AG, 2000 Der entfremdete Hunger; Recom Verlag, 1990
Was sind Ess-Störungen?; Beltz Verlag, 2000
Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen, 3. Auflage; Kohlhammer GmbH, 1999
1) Normales Essverhalten? / Einleitung
In dem folgenden Referat möchte ich einen kurzen Einblick in den Bereich der Essstörungen geben.
Zunächst einmal kommt folgende Frage auf: "Was sind Essstörungen?" Daran schließt sich die zweite Frage: "Sind wir nicht alle essgestört?". Tatsächlich ist es kaum möglich eine allgemeine Form für das tägliche Leben zu definieren. Wir können zwar den Kalorienbedarf in bezug auf Alter, Geschlecht und überwiegende Tätigkeit berechnen, doch haben sich die Essgewohnheiten in unserer schnelllebigen Zeit so verändert, dass die Nahrungszufuhr häufig großen Schwankungen unterliegt. Der früher übliche Zeitplan Frühstück - Mittagessen - Abendbrot ist bei vielen völlig durcheinander geraten oder gar nicht mehr existent. Dadurch, dass immer irgendetwas zu essen vorhanden ist, in kleinen handlich verpackten Portionen, kann man sich wo und wann man will verköstigen. Auch für den „kleinen Snack“ zwischendurch ist reichlich gesorgt. Allerdings geht bei dieser Art von Ernährung auch die Kontrolle darüber verloren. Wir haben das Gefühl schon tagelang nicht mehr "richtig" gegessen zu haben; Chips, Erdnüsse und Bier beim Fernsehen zählen sowieso nicht. So bekommt das Essen auch eine emotionale Funktion. Wir gönnen uns etwas "Verbotenes", weil wir sowieso immer zu kurz kommen. Hinterher bekommen wir dann Schuldgefühle und meinen, wir könnten es aber wieder in den Griff bekommen. So entsteht ein ständiges Hin und Her zwischen Wollen, Müssen und Nicht-Dürfen.
Dem Wunsch einer Traumfigur eifern viele nach - entweder stellen sie sich selbst so unter Druck oder sie geben dem Druck von außen nach. In vielen Berufen ist eine Gewichtskontrolle sogar notwendig. Dazu gehören Modeln, professionelles Tanzen, viele Sportarten und schließlich jeder Job, bei dem attraktives Aussehen zu den Einstellungsbedingungen gehören. Wenn der Druck zu groß wird und Diäten nichts gebracht haben, werden radikalere Methoden wie Nulldiäten, Abführmittel, entwässernde Medikamente, selbst herbeigeführtes Erbrechen oder auch exzessive sportliche Aktivitäten zur Gewichtsregulierung eingesetzt.
Das Fazit ist: Wir sind alle essgestört. Viele Menschen leben so, ohne dass sie ernsthafte Schäden von sich tragen. Deshalb sehen wir dies noch nicht als krankhaft, pathologisch an. Aber dieses Verhalten birgt auch große Risiken, da ein gestörtes Essverhalten allmählich unbewusst in eine manifeste Essstörung übergehen kann.
2) Essstörung im medizinischen Sinne / Erscheinungsformen
Essgestörtes Verhalten ist, für sich genommen, keine Krankheit! Es ist nicht bekannt, wie viele junge Menschen auch so leben, ohne an einer Essstörung zu leiden. Nicht jeder ist gleich magersüchtig, wenn er sein Gewicht kontrolliert und schon ein paar Pfunde abgenommen hat und nicht jeder, der sich gelegentlich über die Maßen voll stopft, hat automatisch Bulimie.
Im medizinischen Sinn sind Essstörungen psychogene (seelische) Krankheiten. Das Hauptmerkmal ist die unterschiedliche Beziehung zur Nahrungsaufnahme. Von der Magersucht bis zur Fettsucht über zwanghafte Fressepisoden und selbstausgelöstes Erbrechen unterscheidet man zwischen folgenden Bildern:
- Anorexie (bzw. Anorexia nervosa, Magerkeit durch Fasten, „Magersucht“)
- Bulimarexie (Magerkeit mit Erbrechen)
- Bulimia nervosa (von bus = Ochse, limos = Hunger, also „Ochsenhunger“) (Normalgewicht mit Erbrechen, Anfälle von Heißhunger und Erbrechen)
- Bulimie (auch „thin fat“ genannt, Übergewicht mit Erbrechen)
- Adipositas (Übergewicht durch Überernährung)
Zunächst ist es wichtig, dass Anorexia nervosa und Bulimia nervosa von anderen Erkrankungen mit Abmagerung und Erbrechen abgegrenzt werden. Organische Krankheiten, Psychosen und Depressionen müssen ausgeschlossen werden, da diese auch zu Appetitlosigkeit und dadurch bedingter Magerkeit führen können
Die einzelnen Merkmale, die für die Diagnose einer bestimmten Essstörung vorraussetzend sind, werden in zwei international gebräuchlichen Klassifikations- systemen beschrieben: Zum einen das Klassifikationsschema der Weltgesundheits- organisation „International Classification of Diseases“ (ICD), das alle Krankheiten, die es gibt umfasst und zum Anderen das von der Amerikanischen Psychiatrie- gesellschaft erarbeitete „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM), das sich auf psychische Störungen beschränkt. In beiden Systemen sind die verschiedenen Essstörungen in vergleichbarer Weise, mit einigen Unterschieden, definiert. Trotz dem solche Systeme naturgemäß starre Schemata sind, gegen die man Einwände vorbringen kann, sind sie unverzichtbar für eine Verständigung unter Fach-leuten und für die Forschung.
Zum größten Teil wird von Ärzten heute das System ICD benutzt, von dem im Moment die zehnte Fassung gebräuchlich ist (ICD-10, Stand 2000). Einige Therapiezentren benutzen jedoch die diagnostischen Leitlinien des DSM, das seit 1994 in der vierten Version (DSM-IV) vorliegt.
Diese beiden Systeme möchte ich hier nur in verkürzter Form beschreiben.
Anorexia nervosa
Diagnosekriterien nach ICD-10:
- Niedriges Körpergewicht (BMI unter 17,5)
- Gewichtsverlust selbst herbeigeführt
- Körperschemastörung, Angst, zu dick zu werden
- Frauen: Amenorrhoe; Männer: Libido- und Potenzverlust durch endokrine Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse
- Bei Beginn vor der Pubertät: Hemmung der körperlichen Entwicklung
Diagnosekriterien nach DSM-IV:
- Niedriges Körpergewicht (weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts) o Große Angst vor Gewichtszunahme
- Körperschemastörung
Übertriebener Einfluss des Gewichts auf die Selbstbewertung Krankheitsverleugnung
- Amenorrhoe
Subtypen: restriktiver Typ Binge-purging-Typ
Die Diagnosekriterien wurden im Laufe der letzten 20 Jahre immer wieder leicht modifiziert bzw. ergänzt. In der letzten Fassung des DSM wurde unter anderem der Unterscheidung zweier Typen (restriktiver Typ und Binge-purging-Typ) neu eingeführt. Die Unterscheidung und Gegenüberstellung dieser zwei Typen ist bedeutsam, da es den Diagnostiker veranlasst nach weiteren gewichtsreduzierenden Maßnahmen zu suchen, die über das reine Fasten hinausgehen.
Die Gewichtsabnahme durch Hungern und Bewegung alleine, ohne zusätzlich Hilfsmittel wie Abführ- und Entwässerungsmittel und ohne Erbrechen entspricht der klassischen Definition der Magersucht. Restriktive Anorektiker sind zudem besonders radikal bei der Verweigerung der Nahrungsaufnahme und lassen sich am schwierigsten therapieren, da sie jegliche Hilfe hartnäckig abwehren.
Bei dem Binge-purging-Typen wird mit einbezogen, dass etwa 60% der restriktiven Anorektiker ihr Hungersystem nicht mehr aufrechterhalten können. Es kommt zu Heißhungerattacken, die zunächst selten sind und dann immer häufiger werden, in denen all das „Verbotene“ verschlungen wird, was sie sich lange Zeit vorenthalten haben, also zu bulimischen Verhalten. Medizinische Komplikationen sind bei den beiden Anorexie-Typen etwas unterschiedlich.
Bulimia nervosa
Diagnosekriterien nach ICD-10:
- Essattacken, ständige Beschäftigung mit Essen
- Kompensatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewichtszunahme (selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Appetitzüg- lern, Schilddrüsenpräparaten oder Diuretika, zeitweilige Hungerperioden)
- Große Angst, zu dick zu werden mit scharf definierter Gewichtsgrenze
Diagnosekriterien nach DSM-IV:
- Heißhungerattacken
- Kompensatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewichtszunahme
- Frequenz der Heißhungeranfälle und der kompensatorischen Maßnahmen mindestens zweimal pro Woche über drei Monate
- Ausgeprägte Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Körpergewicht und Figur
- Störung tritt nicht ausschließlich bei einer Episode von Anorexia nervosa auf Subtypen: Purging-Typ
Non-purging-Typ
Erst Ende der 70-er Jahre wurde die Bulimia nervosa als eigenständige Krankheit beschrieben und in die Diagnoseschemata aufgenommen. Anders als bei der Anorexia nervosa mit bulimischen Verhalten (Binge-purging-Typ) ist das Gewicht nicht in den Diagnosekriterien enthalten. In der neuesten Fassung des DSM (DSMIV) wurden auch hier zwei verschiedene Typen definiert; zum Einen der PurgingTyp, der alle typischen Verhaltensweisen der Bulimia nervosa beinhaltet und zum Anderen ein anorektischer Typ (non-purging) mit Fasten und exzessiver sportlicher Betätigung zur Gewichtsregulierung nach den Essattacken.
Die Zeitangaben, die gegeben werden, um eine Bulimia nervosa aufgrund der Häufigkeit der Heißhungerattacken zu erkennen mögen recht willkürlich erscheinen. Da es aber wohl nicht selten vorkommt, dass nach zu vielem Essen Erbrechen zur Vermeidung unerwünschter Rundungen selbst induziert wird und man dann nur von gestörtem Essverhalten und noch nicht von einer Essstörung sprechen sollte, haben diese künstlich wirkenden Zeitangaben als Konvention ihren Sinn. Die Zahl derer, die ein bulimisches Verhalten aufweisen, ist mit Sicherheit weitaus größer, als die Zahl derjenigen, die in ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxen zur Behandlung kommen. Gerade Männer tun sich besonders schwer, sich wegen einer Essstörung behandeln zu lassen. Eine sog. Coabhängigkeit (Kombination mit weiteren Abhängigkeiten) ist bei der Bulimia nervosa sehr viel höher, als bei der Magersucht.
Esssucht (Binge-Eating-Disorder)
Diagnosekriterien nach ICD-10:
Es herrscht ein übermäßiges Essen vor, das vor allem als Reaktion belastender Ereignisse erfolgt. Übergewicht als Ursachen seelischer Belastungen sollte hier nicht klassifiziert werden, sondern hierfür gibt es eine extra Kodierung (E66)
E66 Adipositas
E66.0 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr E66.1 Arzneimittelinduzierte Adipositas
E66.2 Pickwick-Syndrom (Bewusstseinsstörung infolge Hypoventilation bei Adipösen
E66.8 krankhafte Adipositas
Diagnosekriterien nach DSM-IV (für die Esssucht bzw. „Binge-Eating-Disorder“): o Wiederholte Episoden von Heißhungerattacken
- Die Heißhungerattacken treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf:
Wesentlich schneller Essen als normal Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl Essen größerer Nahrungsmengen ohne Hunger Alleine Essen aus Verlegenheit über die Menge
Ekelgefühl, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle bezüglich des Essens
- Es besteht deutliches Leiden bezüglich der Heißhungerattacken
- Die Heißhungerattacken treten an mindestens zwei Tagen in der Woche für sechs Monate auf
Bei dieser Form von Essstörung treten die Heißhungerattacken auf, ohne dass es zu gewichtsregulierenden Maßnahmen kommt, die für Bulimia nervosa charakteristisch sind. Ein Teil der adipösen Menschen leidet an dieser Art von Essstörung. Übrigens ist Fettsucht (Adipositas) keine Essstörung im Sinne der verwendeten Klassifikationssysteme.
Atypische (nicht näher bezeichnete) Essstörungen
-Alle Kriterien für Anorexia nervosa erfüllt außer Amenorrhoe
-Alle Kriterien für Anorexia nervosa erfüllt, aber Körpergewicht liegt im Normbereich
-Alle Kriterien für Bulimia nervosa erfüllt, aber Heißhungerattacken und Kompensationsmaßnahmen seltener
-Regelmäßige Anwendung einer Gewichtszunahme gegensteuernder Maßnahme durch eine normalgewichtige Person nach Verzehr kleiner Nahrungsmengen ¾ Wiederholtes Kauen und Ausspucken großer Nahrungsmengen ¾ Binge-Eating-Störung: wiederholte Episoden von „Essattacken“ ohne einer Gewichtszunahme gegensteuernde Maßnahmen
Wie schon erwähnt, gibt es junge Menschen, die ohne Zweifel an einer Essstörung leiden, die aber bei genauer Anwendung der Diagnosekriterien nicht in eine der definierten Essstörungen einzuordnen sind. Nach Erfahrung der Therapeuten und Ärzte, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, beträgt der Anteil dieser diagnostischen Kategorie (Bezeichnung: NNB) weniger als 20%.
3) Auswirkungen auf den Organismus
Länger anhaltende Essstörungen führen unweigerlich zu körperlichen Reaktionen, Begleiterscheinungen oder Komplikationen. Das Ausmaß und vor allem die medizinische Bedeutung sind sehr unterschiedlich; es können nahezu alle Organsysteme beeinträchtigt werden.
Medizinische Komplikationen können in drei Bereiche eingeteilt werden, nämlich als Folge der Mangel- und Unterernährung, als Folge des Erbrechen und als Folge eines Missbrauchs von abführenden und entwässernden Medikamenten.
Die vegetativen Störungen bei der Anorexie sind gegenüber normalgewichtiger Bulimie vielfältiger. Die andauernde Unterernährung veranlasst den Organismus sich der Situation der unzureichenden Energiezufuhr anzupassen. Die Patienten haben häufig kein richtiges Kälte- und Wärmeempfinden und können dann auch keine konstante Körpertemperatur mehr aufrechterhalten. Der Schlaf ist trotz großer Müdigkeit gestört. Das Hungergefühl ist bohrend, im weiter fortgeschrittenen Stadium der Anorexie gar nicht mehr vorhanden und doch tritt ein „Sättigungs- gefühl“ mit Schmerzen bei geringster Nahrungsaufnahme ein. Die Störungen sind in bestimmten Bereichen deutlich messbar. So ist zum Beispiel eine Bradypnoe zu erkennen. Auch die Kreislauffunktionen sind gestört, indem der Blutdruck sinkt (Hypotonie) und sich der Herzschlag verlangsamt. Ebenso bewirkt die einseitige, kalorienreduzierte Ernährung einen Mangel an notwendigen Vitaminen, Spuren- elementen und Eiweißen, was wiederum zu Wasserhaushaltsstörungen (Hypovolämie, Tugorverlust oder Ödeme) führen kann. Bedrohlich sind Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum oder im Herzbeutel. Die häufig bereits eingetretene Regelblutung setzt wieder aus (Amenorrhoe) und wird nicht selten als peinlich, beschmutzend und ekelerregend empfunden. Bei Anstrengungen, die die Patienten suchen, besteht die Gefahr eines hypoglykämischen Schocks, da der Blutzuckerspiegel generell sehr niedrig ist. Magersüchtige haben eine trockene Haut, die zum Teil verhärtet beziehungsweise verhornt ist (Hyperkeratose). Hände und Füße sind meist cyanotisch (blau verfärbt). Es entwickelt sich eine eigenartige Behaarung, die sogenannte Lanugo-Behaarung.
In den vergangenen zwanzig Jahren sind zunehmend rhythmische (chronobiologische) Aspekte im Rahmen der Hormondrüsenfunktion entdeckt worden, die den Zerfall der rhythmischen Funktionen noch offensichtlicher machen. Unter anderem zählt dazu eine Erhöhung des Cortisol-Spiegels, eines in der Nebennierenrinde gebildeten Hormons, das viele verschiedene Wirkungen im Körper hat.
Bei der Bulimie verursacht häufiges Erbrechen auch eine Reihe von Begleit- erscheinungen; vor allem ist die Dehydrierung, also der Verlust an Flüssigkeit sehr bedenklich, wodurch Störungen im Elektrolythaushalt mit hohem Verlust an Kalium und Natrium hervorgerufen werden und somit die Herz- und Nierenfunktion stark beeinträchtigen.
Durch den Säuregehalt des Mageninhaltes werden Schäden an den Zähnen verursacht (Parodontose und Karies), ebenso, wie an der Schleimhaut der Speiseröhre und zum Teil auch an den Fingern, die bei der Bulimie meist trommelschlegelförmig werden. Oft treten auch Schwellungen oder Entzündungen der Ohrspeicheldrüsen auf.
Werden große Nahrungsmengen in kurzer Zeit verschlungen, so bedeutet dies eine starke Belastung für den Magen, und es kann zu einer Erweiterung desselben kommen. Bei Bulimie - selten bei Anorexie - kommt es zu einer Störung der Magenentleerung und einer Verzögerung der Darmpassage, wodurch Völlegefühl und Obstipation (Verstopfung) entstehen können. Wegen vermehrter Sekretion der Speichel- und Bauchspeicheldrüsen wird die Gefahr einer Parotitis oder Pankreatitis (Entzündung der Ohr- bzw. Bauchspeicheldrüse) erhöht.
Im Zusammenhang mit dem Missbrauch von abführenden und entwässernden Medikamenten erscheinen ähnliche Symptome, wie bei häufigem Erbrechen, nämlich Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Der exzessive Missbrauch von Laxantien (Abführmitteln) beeinträchtigt zusätzlich die Darmbeweglichkeit nachhaltig.
Es gibt einige Veränderungen, deren Ursachen noch nicht ganz geklärt werden konnten. Dazu zählt unter anderem die hohe Rate an Osteoporosekranken oder durch CT nachweisbare Erweiterung der inneren und äußeren Flüssigkeitsräume des Gehirns. Eine dauerhafte Schädigung der intellektuellen Fähigkeiten ist nach Meinung einiger Experten nicht gegeben.
Andererseits können Magersüchtige im fortgeschrittenen Krankheitsstadium unter reduzierter Wahrnehmungsfähigkeit sowie unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen leiden. Dies ist jedoch die Ausnahme, die kachektischen Patienten sind eher munter, können lebhaft argumentieren und wehren sich vehement gegen alles, was dringend notwendig für die Bekämpfung dieser lebensbedrohlichen Krankheit ist.
Die vorangegangene Symptomatik macht deutlich, dass die gesamten vitalen Funktionen, besonders bei der Anorexie, langsam versiegen. Darüber hinaus können die vitalen Funktionen wie Wachstum, Regeneration und Fortpflanzung bis zum Tod hin schwinden. Auf dem Boden dieser Krankheitssituationen entwickeln sich zusätzlich psychopathologische Zustände, oder die Störungen der Lebensvorgänge sind bereits durch krankhafte seelische Zustände ausgelöst worden.
4) Psychologisches Erscheinungsbild
Besonderheiten des Denkens und Vorstellens:
Anorektische Mädchen und Jungen sind meist recht intelligent, was die schulische Leistung betrifft; sie fassen rasch und sicher auf, haben ein gutes Gedächtnis, sind gewissenhaft und geschickt vorwiegend in der schriftlichen Wiedergabe. Häufig befinden sie sich an der Spitze des Leistungsniveaus einer Klasse und erhalten oft Belobigungen bei Klassenabschluss. Betrachtet man aber diese schulischen Leistungen, die den Hauptteil der täglichen Beschäftigung ausmachen, so findet sich selten eine eigene Aussage, schöpferische Phantasie oder Originalität in selbst verfassten Texten. Dagegen sind die Ausführungen eher von Sachlichkeit, Ausführlichkeit und höchster Genauigkeit geprägt, unter Umständen mit manierierten Zügen. Ein wirklichkeitsbezogenes Wahrnehmen und eine eigenständige Begriffsbildung sind nicht sehr stark ausgebildet, daher werden mündliche Beiträge oft vermieden, da sie improvisiert werden müssten. Diese Besonderheiten werden in einem leistungsbezogenen Schulsystem häufig nicht erkannt, sondern oft unbewusst gefördert; dadurch wird die Krankheit verstärkt, aber auch die Disposition dazu. Mit zunehmender Abmagerung fällt darüber hinaus ein Rückgang des echten Interesses auf; Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeitslenkung und auch Kräfte des Gedächtnisses schwinden, so dass zuletzt Schulaufgaben auch intellektuell nicht mehr bewältigt werden können. Statt dessen treten innere Unruhe, Zerfahrenheit und Zwangsvorstellungen in den Vordergrund, die im Zusammenhang mit der selbsterzwungenen Gewichtsreduktion stehen. So werden Kalorienhierarchien von Nahrungsmitteln erstellt, das Körpergewicht akribisch kontrolliert und Praktiken verschiedener Art zur unbemerkten Nahrungsverweigerung entwickelt, die den gesamten Verstand in Anspruch nehmen. Diese Arbeit dient dazu, das Hungergefühl möglichst lückenlos zu erhalten und dadurch der „Gefahr“ der Gewichtszunahme zu entgehen. Neben dem kritisch-intellektuellen Vermögen geraten die Patienten, wenn sie sich selbst überlassen sind, in ein dämmerndes Bewusstsein mit Tagträumen einer illusionistischen, vergoldeten Wunschwelt, die Realitätscharakter annimmt. In der Steigerung treten dann Todessehnsucht und Selbstmordgedanken hinzu.
Hier wird die Einschränkung des Bewusstseins und Denkvermögens auf eine einseitig registrierende und kontrollierende Funktion deutlich, die lediglich quantitative Gesichtspunkte berücksichtigen kann. Soziale und realitätsbezogene sowie qualitative Denkmöglichkeiten werden dadurch ausgeschlossen.
Besonderheiten des Empfindens:
Schwer wiegen die krankhaften Veränderungen im Empfindungsbereich: Die Patienten bemerken, dass ihre emotionale Schwingungsfähigkeit nachlässt; sie bemerken, dass es ihnen nicht gelingt, im Gespräch eine eigene Meinung zu äußern oder ein Urteil zu fällen; sie können nicht entscheiden, was richtig oder falsch, was wesentlich oder unwesentlich ist. Bei sozialen Anforderungen werden sie unsicher und die Orientierung versagt. Es gelingt ihnen nicht mehr, Situationen richtig einzuschätzen, neue Kontakte zu knüpfen oder die alten aufrecht zu erhalten. Meistens ist eine einseitige, abhängige Beziehung zur Mutter als Folge der schweren Isolation vorhanden. Allenfalls zu kleinen Kindern und Tieren bleiben noch Bezüge erhalten. Eine lethargische oder depressiv-resignierende Stimmung wird beherrschend. In ihr treten Rat- und Hilflosigkeit, Kampf-, Angst-, und Panikgefühle, besonders während der Mahlzeiten, hervor. Das Verhältnis zur Wahrhaftigkeit gerät ins Wanken. Es wird illusionistisch „geschönt“, wobei oft eine innige Identifikation mit dem Wunschbild geschieht. Vertrauen kann im Krankheitsbild kaum entwickelt werden. Lediglich eine perfekte Anpassung, die oft schwerwiegend verkannt wird. Vermieden wird jedes denkbare Risiko, jede Blamage; Mitleid mit Anderen kann zu einem wesentlich bestimmenden Zug werden.
Die Körperempfindungen werden mit Misstrauen, Angst, Ekel oder auch Lust über- und unterwertig erlebt und verlieren ihre Selbstständigkeit. Lustvoll wird bei der Magersucht häufig die entstandene Leichtigkeit erlebt, ebenso die Todessehnsucht und das selbstinduzierte Erbrechen, was aber gleichzeitig als ekelhaft und schmachvoll gewertet werden kann. Das Hungergefühl scheint die einzig verlässliche Instanz, um die Existenz zu sichern.
Schmerzvoll erleben die Patienten die seelische Verarmung, das Leersein, das Unvermögen mitzuschwingen in Freude und Trauer, Vertrauen und Selbstbehauptung oder Liebe und Mut, die in gesunden seelischen Bezügen ständig spielen.
Besonderheiten der Willensfunktion:
In den Tätigkeiten sind die Patienten meist geschickt, einsatzbereit und bemühen sich zu tun, was man ihnen sagt. Sie tun es jedoch bei näherer Betrachtung aus Unsicherheit und Mangel an Einschätzung ihres eigenen Könnens, nicht aus Initiative oder Einsicht in die sachliche Notwendigkeit. Bei fortgeschrittener Erkrankung spielen sich alle Handlungen zu starren, engen Ritualen ein, die letztlich der Gewichtsreduktion dienen und dem Bestreben, alles recht zu machen, damit jeglichen Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen und Anerkennung zu erlangen. Fleiß und Fürsorglichkeit nehmen Züge von Perfektionismus und Zwanghaftigkeit an. Es schwindet die Fähigkeit, Handlungen angemessen einzuschätzen und zu planen. Ständig besteht die Angst vor unerwarteten Änderungen des „Systems“. Nichts wird begonnen, ohne dass man sich sicher ist, es voll beherrschen zu können. Keine Tätigkeit wird durchgehalten, nichts traut man sich zu. Der Einsatz in der Familie, Haushaltsarbeit wie Kochen und Zubereiten, erscheint oft als besondere Zuwendung. Er dient jedoch hauptsächlich der Vermeidung von Konflikten, dass man von Lob getragen wird. So kann das eigene Reglement schließlich aufrechterhalten werden.
Zusammenfassend wird deutlich, dass das Seelenleben in den drei Bereichen des Denkens und Vorstellens, des Fühlens, Empfindens, der Tätigkeit und der Willens- lenkung leistungs- und zweckgebunden vereinseitigt wird. Um jedoch dieses psychopathologische, also seelisch-krankhafte Verhalten zu verstehen, muss auf Züge, die mit dem Wesenskern des Menschen verknüpft sind, eingegangen werden.
5) Häufigkeit und Ursachen von Essstörungen
Häufigkeit:
Genaue Zahlen über die Prävalenz (Häufigkeit in der Bevölkerung) der Essstö- rungen gibt es nicht. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass nur die Patienten in eine Häufigkeitsstatistik eingehen können, die sich tatsächlich in ärztliche Behandlung begeben oder sich einer Therapie unterziehen. Zusätzlich besteht ein großer Unterschied zwischen den Diagnosegruppen. Es gibt mehr Menschen mit bulimischen Verhalten, die sich nie einer Therapie unterziehen, als Magersüchtige, das heißt, die Dunkelziffer ist bei Bulimie größer als bei Anorexie. Die Häufigkeitsangaben beruhen also im Wesentlichen auf Schätzungen.
Die meisten Erkrankten sind weiblichen Geschlechts, wobei die Angaben der Verteilung auf die Geschlechter bei der Anorexia nervosa zwischen 1:10 und 1:20 schwanken. Man geht hier etwa von einer Prävalenzrate von 0,5 bis 2 Prozent in der Risikogruppe der Adoleszenten (etwa 12 bis 25 Jahre) aus. Mit höherem Alter werden die Zahlen bedeutend niedriger.
Für den gleichen Altersbereich wird die Häufigkeit der Bulimia nervosa auf etwa
2 bis 5 Prozent geschätzt; der Anteil der Männer ist dort vermutlich höher als bei Anorexia nervosa.
Es ist zu berücksichtigen, dass es unter einigen Berufsgruppen ein höheres Risiko gibt, an einer Essstörung zu erkranken, wie zum Beispiel Models, Tänzerinnen und Tänzer sowie Hochleistungssportler.
In den letzten Jahren wurde häufig darüber diskutiert, ob Essstörungen heute häufiger sind, als früher. Es überwiegt die Meinung, dass etwa in den letzten 20 Jahren die Anzahl der an Essstörung Erkrankten zugenommen hat. Jedoch lässt sich dagegen einwenden, dass in diesem Zeitraum das öffentliche Interesse mehr und mehr auf dieses Thema gelenkt wurde und die Medienpräsenz deutlich gestiegen ist. So lässt sich annehmen, dass immer mehr Betroffene wegen dieser erhöhten Aufmerksamkeit professionelle Hilfe in Anspruch nehmen; das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Anzahl der Erkrankungen wirklich größer geworden ist.
Ursachen:
Die Ursache für das Auftreten einer Essstörung ist ungeklärt. Früher wurde angenommen, dass es entweder mit einer krankhaften Störung des Hypothalamus oder andererseits mit der Angst vor dem Erwachsenwerden und der Ablehnung der Frauenrolle zusammenhängt. Aber es gibt keine einfache biologische oder psychologisch-psychiatrische Erklärung. Nach heutiger Überzeugung müssen einige Faktoren zusammenkommen, damit aus noch normalen Verhaltensweisen, wie Fasten oder Erbrechen zur Gewichtskontrolle, gravierende, psychische Krankheiten werden. Die wichtigsten sind hier zusammengefasst:
Krankheitsauslösend bedeutsame Züge der Persönlichkeitsentwicklung
Anorexie und Bulimie brechen niemals unvermittelt herein, auch wenn es dem Unerfahrenen so erscheine mag. Der Einbruch wist vielmehr zurück auf Schritte in der Persönlichkeitsentwicklung. Besonders auf die Entfaltung des Ich-Bewusstseins im 3. Lebensjahr ist hier hinzuweisen, dann auf den Prozess des Ich-Erlebens um das 10. Lebensjahr und den länger währenden Vorgang der Ich-Verwirklichung, der sich während der Adoleszenz ausgestaltet.
Für Patienten, die später an einer Essstörung erkranken, ergeben sich bereits bei diesen Entwicklungsschritten verwandte Erscheinungen.
Die Säuglingsentwicklung wird meist viel zu schnell durchgemacht, die Kinder lernen schnell, passen sich an, sind „pflegeleicht“, „herzeigbar“, oft der Stolz der Familie. Die Trotzphase ist oft nicht bemerkbar und auch die Fähigkeit des „Neinsagenkönnens“ ist vermindert oder sogar völlig unausgebildet; dagegen findet eine Anpassung an das von den Eltern erwünschte Verhalten statt. Das Kind vermeidet jeden Widerstand, an dem sich das Ich-Bewusstsein weiterentwickeln könnte. Damit bleibt auch die Individuation aus oder geschieht nur unzureichend.
Es wird von den Kindern keine Metamorphose im Sinne des Nachlassens der Nachahmung durchgemacht, sondern sie wird zu höchster Perfektion gesteigert. Der Entwicklungsprozess des Ich-Erlebens ist intim, häufig verborgen, oft aber auch eine Zeit vermehrter Kritik und Prüfung der Autoritätspersonen. Normalerweise entsteht eine gefühlsmäßige Welterfahrung und ein Prozess der Selbstfindung durch die wechselseitige Beziehung zwischen Kind und Autorität. Es entdeckt sein eigenes Wesen an den Erscheinungen der Umwelt. So erfährt es auch in ständig lebendigem Abwägen eigenes Maß, Sicherheit oder stabile Qualitäten wie Moral und Gerechtigkeit, und damit entsteht allmählich ein inneres dynamisches Gleichgewicht.
Bei Kindern mit Anorexie oder Bulimie lassen sich in diesem Prozess deutliche Störungen erkennen. Die Selbstfindung ist gestört und das Vergleichen des eigenen Ich-Erlebens mit der Ich-Wirksamkeit des anderen Menschen gerät zum äußerlichen Vergleich im Leistungsstreben, in der egoistischen Bereicherung, der Körperform, der Mode, die in der Zivilisation und fast immer in der Familie wegleitenden Ideale darstellen. Statt des seelischen Vorgangs der Selbstverwirk- lichung festigen sich Gefühlsleere, Unsicherheit und geringe emotionale Schwingungsfähigkeit, verbunden mit psychosomatischen Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel als vegetative Störungen des rhythmischen Organismus. In diese Entwicklungsspanne fällt der Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen, der von den leistungsbezogenen Kindern mit besonderem Druck erlebt wird.
Mit dem Beginn der Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale kommt es häufig zu der Entwicklung einer extrem leistungsbetonten Sportlichkeit. Trotz aller dieser ausgleichenden Bemühungen, die immer noch auf Aufmerksam- keit zielen, geschieht nicht die fortschreitende Individualisierung, die in diesem Alter erfolgen sollte. Bei ersten Hindernissen, die sich bei vermehrter Anforderung in bestimmten Bereichen ergeben, beginnen die Kinder zu verzweifeln; sie empfinden die Schwäche als resignierend, depressiv. Sie vernachlässigen oder vermeiden Begegnungen mit anderen Menschen und bleiben in förmlichem, oberflächlichem Austausch. Unter diesen Voraussetzungen tritt das Kind in den umwälzenden Zustand der Pubertät ein.
Soziokulturelle Faktoren
Ohne Zweifel besteht in der heutigen Gesellschaft eine beständige Idealisierung der körperlichen Maße, von der besonders Frauen betroffen sind. So ist es nicht verwunderlich, dass vorwiegend junge Mädchen und Frauen magersüchtig oder bulimisch werden.
Zerbrechlich aussehende Models gelten als Frauen, die mit ihrem „guten Aussehen“ den Gipfel des Glücks erreicht haben. Selbst in der Werbung sind diese Schönheitsideale präsent, ob nun ein Luxusauto oder ein Haarpflegeprodukt angepriesen wird. Dicksein wird jedoch mit minderer Intelligenz und Leistungsfähigkeit gleichgesetzt. So ist es kein Wunder, dass Diätprodukte und Fastenkuren permanent Hochkonjunktur haben und das Angebot an kalorienreduzierten Lebensmitteln nimmt stetig zu. Wie sehr der gesellschaftliche Druck ist eine gute, also schlanke Figur zu haben, macht sich darin bemerkbar, dass schon zwölf- bis fünfzehnjährige Schülerinnen, aber auch Schüler mindestens eine Abmagerungskur hinter sich haben. Diese Entwicklung hat gefährliche Aspekte. Die später Magersüchtigen schaffen mit ungeheurer Willensstärke etwas, um was sich viele Menschen vergeblich bemühen, nämlich abzunehmen und dabei gleichzeitig die Leistungsfähigkeit zu steigern. Unbemerkt überschreiten sie dabei die Grenze zu pathologischem Verhalten in ein eingeengtes, bedrohtes Leben.
Biologische Faktoren
Verfolgt man genetische Faktoren, so gibt es Prädispositionen für Essstörungen. Familienuntersuchungen und Zwillingsstudien ergaben für Verwandte ersten Grades von Magersüchtigen ein fünf- bis siebenmal höheres Risiko, an Anorexie oder Bulimie zu erkranken. Schon vor 18 Jahren wurde bei einer Untersuchung von eineiigen Zwillingen für Anorexia nervosa eine Konkordanzrate (Übereinstimmung) von 50% gefunden, bei zweieiigen Zwillingen lag diese hingegen bei weniger als 10%.
Man darf auf keinen Fall daraus schließen, Essstörungen seien erbliche Krankheiten, nur um psychotherapeutische Anstrengungen zu boykottieren. Wie bei anderen psychischen Krankheiten spricht man hier von einer Prädisposition (Anlage eines Menschen zu einer bestimmten Krankheit).
Gegenstand der Forschung sind im Zusammenhang mit Essstörungen Untersuchungen über die Neurotransmitter (körpereigene Botenstoffe). Ein Beispiel dafür ist Serotonin, das unter anderem auch für die Regulierung der Nahrungsaufnahme eine Rolle spielt.
Trotz des großen Forschungsaufwandes gibt es bis heute keinen einzelnen benennbaren biologischen Faktor für die Entstehung einer Essstörung. Andererseits gibt es keinen Zweifel daran, dass einzelne biologische Prozesse Essstörungen prädisponierend oder krankheitsunterhaltend beeinflussen.
Familiäre Faktoren
Schon vor hundert Jahren wurde von Ärzten auf den Einfluss der Familie bei der Entstehung von Essstörungen hingewiesen, es gibt dort Eigenschaften, die häufig angetroffen werden. Hinzu kommt eine besondere Zusammengehörigkeit und Bindung, so dass die Familienmitglieder als Individuen gegenüber dem Familien- verband verblassen. Das ausgeprägte Harmoniebedürfnis bewirkt eine bewusste Abgrenzung nach außen und eine Unterdrückung der Emotionen. Nicht selten verschwinden die Generationsgrenzen im Sinne der Übertragung von Verantwortung auf die Kinder in der Familie. Oft werden diese auch als wechselseitige Verbündete missbraucht. So wird etwa bei einem ehelichen Konflikt die Tochter von der Mutter gegen den Vater ausgespielt und umgekehrt. Es herrscht ein hohes Leistungsbedürfnis und Zuwendung wird als Belohnung für erbrachte Leistung verstanden.
Für die Entstehung einer Essstörung wird vor allem der Mutter eine bedeutenden Rolle zugeteilt. Auch Väter neigen dazu, das Problem der Essstörung ihrer Töchter ihren Ehefrauen zuzuschieben, natürlich einschließlich der Verantwortung. Meistens ist die Sprache der Essstörung jedoch an die untadeligen Väter gerichtet, die ihre Töchter oft genug nur über erbrachte Leistungen wahrnehmen. Es gibt auch sehr figurbewusste Väter, die über eine vielleicht etwas pummelige Figur ihrer Tochter Witze machen und somit eine entscheidende Kränkung provozieren, die direkt in eine Magersucht führen kann.
Des Weiteren muss das Essverhalten innerhalb der Familie angesprochen werden. Kinder und Jugendliche orientieren sich häufig an den Essgewohnheiten der Eltern. Dabei wirken die Mütter stärker als Vorbild für ihre Tochter, als die Väter, besonders, wenn das mütterliche Essverhalten als abnorm bezeichnet werden kann. Nach einer amerikanischen Studie haben Mütter essgestörter Patientinnen selbst häufig über längere Zeit Diäten durchgeführt oder sind selbst als essgestört zu bezeichnen.
Man sollte also die Mitglieder der Herkunftsfamilien in die Betrachtung mit einbeziehen, wenn von familiären Risikofaktoren für die Entstehung einer Essstörung die Rede ist. Das betrifft übrigens auch das Vorkommen von Depressionen oder Alkoholmissbrauch in der Familie, die beide das Risiko erhöhen, dass jemand in der Folgegeneration an einer Essstörung erkranken.
Inzest, sexueller Missbrauch
Menschen mit verschiedenen psychischen Störungen und Erkrankungen haben in ihrer Kindheit häufiger sexuelle Verletzungen erlitten als psychisch Gesunde. Oder anders ausgedrückt: Sexueller Missbrauch erhöht das Risiko einer späteren psychischen Erkrankung. Dazu gehören verschiedene Persönlichkeitsstörungen wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder sexuelle Störungen. Frauen mit sexueller Traumatisierung in der Kindheit erkranken später etwa doppelt so häufig an Depressionen wie Frauen ohne derartige Erfahrungen. Nach einer britischen Untersuchung führt sexueller Missbrauch vor dem sechzehnten Lebensjahr bei den Betroffenen ungefähr zehnmal häufiger zu Selbstmordhandlungen im Vergleich zur Normalbevölkerung.
Auch Patientinnen mit Essstörungen haben in ihrer Kindheit und Jugend häufiger sexuelle Verletzungen erlitten als die Durchschnittsbevölkerung. Das Risiko, an einer Essstörung zu erkranken, wenn es bei den sexuellen Handlungen zum Geschlechtsverkehr gekommen ist. Sexueller Missbrauch verursacht nicht zwangsläufig eine Anorexie oder Bulimie, aber er erhöht die Wahrscheinlichkeit, an einer Essstörung zu erkranken. Deshalb darf das Thema von Inzest und sexuellem Missbrauch nicht außer acht gelassen, vernachlässigt oder verharmlost werden, wenn es darum geht, die Ursprünge einer Essstörung bei einer Patientin zu verstehen. Berichte über ungeheuerliche Straftaten und Sexualmorde an Kindern in den Medien verstellen den Blick auf die Täter, von denen die Patientinnen verletzt wurden. Täter sind überwiegend Familienangehörige und nicht der fremde Mann auf der Straße, vor dem die Kinder gewarnt werden. Es sind vor allem Väter, Stiefväter, Großväter und Brüder. Die Opfer sind meist Mädchen, viele von ihnen unter zehn Jahren.
Sexueller Missbrauch oder Inzest kommt in allen Schichten vor, geschehen unabhängig von Bildungs- und Vermögensstand. In den Familien, in denen auch Essstörungen gedeihen, gibt es einige Gefährdungen: Grenzen zwischen Familienmitgliedern werden nicht zugelassen und die Intimsphäre von Heranwachsenden geleugnet, Erotik und Sexualität sind tabuisiert, Familien- geheimnisse müssen unter allen Umständen bewahrt werden. Die Opfer sind Kinder, junge Mädchen, die alles tun, um den Erwartungen ihrer Familienangehörigen zu entsprechen, um anerkannt und geliebt zu werden. So haben sie keine Chance, sich gegen den Vater oder Onkel oder Bruder zu wehren. Sie müssen alles erdulden und sind zum Schweigen verdammt. Die psychischen Folgen sind schwerwiegend.
6) Therapie
Es gibt keine spezifische und „beste“ Behandlung der Magersucht und Bulimie. Fachleute sind sich darin einig, dass psychotherapeutische Verfahren die wich- tigste Rolle spielen. Praktiziert werden sehr unterschiedliche Richtungen und auch Kombinationen einzelner Verfahren, die individuell an den Patienten angepasst werden. Das Angebot ist vielfältig und für nicht psychotherapeutisch Tätige oft verwirrend. Für einen Betroffenen sind die Chancen nicht sehr groß, verschiedene Verfahrene kennen zu lernen und dasjenige auszuwählen, das sich für ihn am geeignetsten scheint. Im Folgenden werden einige wichtige Verfahren in groben Zügen skizziert.
Psychoanalyse
Nach Sigmund Freud führen unbewusste frühkindliche Konflikte zu Neurosen. Magersucht und Bulimie werden zu den Neurosen gerechnet im Sinne einer, wenn auch missglückten, Konfliktlösung durch entsprechende Krankheitssymptome. Ziel der Analyse ist es zunächst, diese ungelösten, verdrängten Konflikte aus der Vergangenheit dem Bewusstsein zugänglich zu machen. Im Wesentlichen geschieht dies durch Deutung von freien Assoziationen und Träumen, die in der Therapie mittel Übertragungsneurosen auf den Therapeuten projiziert werden. Wesentlich ist, dass der Patient Einsichten über ins Unbewusste verdrängte Konflikte gewinnt, bearbeitet und löst.
Für die klassische Psychoanalyse muss man eine Dauer von drei bis fünf Jahren mit zwei bis vier Sitzungen pro Woche veranschlagen. Daneben gibt es analytisch orientierte Gruppen-, Paar- und Familientherapien, die weniger zeit- und kostenaufwendig sind.
Verhaltenstherapie
Im Gegensatz zur Psychoanalyse stehen bei der Verhaltenstherapie die aktuelle Problematik und die momentane Lebenssituation eines Patienten sehr viel mehr im Vordergrund als dessen lebensgeschichtliche Entwicklung. Verhaltenstherapie besteht aus einer Vielzahl therapeutischer Methoden, durch die unerwünschtes Verhalten abgebaut und alternative Verhaltensweisen gelernt oder aufgebaut werden. Gemeinsam mit dem Patienten müssen sein gestörtes Verhalten und die Bedingungen analysiert werden, die das gestörte Verhalten aufrechterhalten. Beides, Verhalten und Bedingung, ist das Ziel therapeutischer Interventionen. Menschliches Verhalten kann auf die Wechselwirkung mehrerer Faktoren zurückgeführt werden. Dabei sind Umweltfaktoren und biologische Einflussgrößen ebenso wichtig wie emotionale kognitive intrapersonale Prozesse. Die verschiedenen Ebenen stehen in enger Wechselwirkung zueinander, und jede Veränderung innerhalb des Systems , also auch therapeutische Einflüsse, wirken sich auf die Beziehung zur Umwelt, den psychischen und biologischen Zustand aus.
Therapeutische Verfahren, die den Patienten dazu bringen sollen, den gewünschten Veränderungsprozess selbst steuern zu können, haben besondere Bedeutung erlangt. Eine zentrale Rolle dabei spielt der „Selbstmanagement“- Therapieansatz nach Kanfer. Die Aufgabe in diesem Ansatz ist es, Selbstregulation, Eigenverantwortung und Fähigkeit zur Selbsthilfe zu fördern; der Patient ist somit aktiv am therapeutischen Prozess beteiligt. Damit wird er persönliche Anteil eines Individuums an der Bestimmung seines Lebensschicksals betont. Er trägt zur Klarstellung bei, was Gegenstand der Therapie ist, und wie er seine Lebenssituation befriedigend gestalten könnte.
Bei der praktischen Durchführung der Kanfer-Methode sprechen wir vom „Prinzip der minimalen Intervention“. Das bedeutet, Therapie hat die Funktion einer zielgerichteten effektiven, aber nur kurzfristigen Stütze in den besonders kritischen Lebensbereichen; der Patient muss danach selbstständig eine Problemlösung in Gang bekommen. Er soll lernen, sein Verhalten nach persönlichen Zielen zu steuern, Emotionen und physiologische Erregungsmuster zu erkennen und bewusst zu beeinflussen. Er soll lernen mit störenden kognitiven Prozessen wie selbstabwertenden Gedanken umzugehen und sie in Einklang mit eigenen Zielvorstellungen zu bringen. Für die Motivation des Patienten ist es fördernd, dass von Anfang an die Ziele der therapeutischen Veränderung konkretisiert werden. Positive Zielvorstellungen werden entwickelt, unrealistische Ziel erkannt, geklärt und modifiziert.
Ergänzende Psychotherapiemethoden
Es gibt weitere therapeutische Maßnahmen, die auch in der Behandlung essgestörter Patienten angewandt werden, wie etwa Gestalt- und Tanztherapie sowie künstlerische Therapien, bei der das Malen im Vordergrund steht. Sie sind dazu da dem Patienten ein Gefühl für seinen Körper wiederzuerlangen, beziehungsweise Grenzen zu erfahren und zu überwinden, um somit die Unsicherheit gegenüber seiner Fähigkeiten zu senken. Bei den künstlerischen Therapien wird bemerkbar, dass zunächst keinerlei Kreativität und Ausdruck vorhanden ist, was sich aber im Verlauf der Therapie stark verändert. Alle psychotherapeutischen Verfahren lassen sich gut miteinander kombinieren.
Einzel- oder Gruppentherapie
Alle aufgezählten psychotherapeutischen Methoden lassen sich sowohl als Gruppenwie auch als Einzeltherapie anwenden. Welche der beiden Behandlungsmethoden angewandt wird, sollte individuell auf den Patienten abgestimmt sein.
Weitgehend hat sich das Konzept der Gruppentherapie bei Essstörungen durchgesetzt. Anfänglich gab es hierfür Bedenken, da befürchtet wurde, die Patienten könnten sich in ihrer mangelnden Krankheitseinsicht und pathologischen Einstellung zum Essen gegenseitig unterstützen und es könnte sich ein provokantes, konkurrierendes Verhalten nach dem Motto „Wer ist der Dünnste?“ manifestieren. Bei bulimischen Patienten schien die Impulsivität gegen eine Einbindung in eine Gruppe zu sprechen.
Nach Entwicklung von Gruppenkonzepten zeigte sich bald, dass in der Gruppe die Selbstexploration der einzelnen Patienten erleichtert und gefördert wurde. Die ähnlichen Probleme der Gruppenmitglieder steigert zudem die Gesprächsbereit- schaft und ein Eingehen auf Schwierigkeiten eines Anderen schafft ein Klima von Vertrauen und Sicherheit in der Gruppe, das den Patienten das wertvolle Gefühl von Helfen-Können und Gebraucht-Werden gibt. Positive Gruppenerfahrungen korrigieren die krankheitsbedingten sozialen Defizite, die die soziale Reintegration mit sich ziehen. Dies ist besonders bei Jugendlichen Essgestörten ein sehr wichtiger Faktor für eine dauerhafte Gesundheit ohne Rückfall in den Teufelskreis der Essstörungen.
Ambulante oder stationäre Behandlung?
Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Die Behandlungen können sowohl ambulant als auch stationär oder teilstationär durchgeführt werden. Entscheidend für die Auswahl der besten Lösung gibt es einige Kriterien, die für eine stationäre Behandlung sprechen, und zwar: ein sehr schlechter psychischer oder körperlicher Zustand (z.B. starke Kachexie),
Dauer der Erkrankung über mehrere Jahre, gescheiterte ambulante Behandlungen, unerträgliche Spannungen in der Familie,
Bei einem sehr schlechten körperlichen Kachexie oder bei bedrohlichen medizinischen Untersuchungsergebnissen kann eine kurzzeitige Einweisung auf eine Intensivstation unumgänglich sein. Ebenso muss ein Patient mit schweren begleitenden Depressionen wie Suizidabsichten umgehend in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.
Dauer und Erfolg der Behandlung
Die Dauer der Behandlung richtet sich vor allem nach der Anamnese, also wie lange die Krankheit schon andauert und wie stark die Ausprägung ist. Es ist realistisch einen Zeitraum auf etwa ein bis drei Jahre anzusetzen, da eine Krankheit wie Anorexie oder Bulimie, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt hat nicht im Handumdrehen wieder aus der Welt geschaffen werden kann. Ihre Therapie entspricht einer Entwicklung, bei der auch immer wieder Rückschläge vorkommen. Das Zielgewicht kann in weinigen Wochen schon erreicht werden, nicht jedoch die Einsicht in Entstehungsmechanismen und, darauf aufbauend eine Änderung des gestörten Verhaltens. Zudem haben Magersüchtige mit rasch ansteigender Gewichtskurve während der Therapie eher schlechte Prognose.
Nachuntersuchungen vier bis zehn Jahre nach Behandlungsbeginn ergab allerdings nur bei 40% der Patienten eine völlige Heilung. Eine wesentliche Verbesserung konnte bei 30% festgestellt werden, etwa 20% gingen in einen chronifizierten, also ungebesserten oder ernstlich behinderten Zustand über. Und das traurigste Ergebnis: Jeder zehnte Patient starb an den Folgen der Essstörung.
7) Zusammenfassung
Folgende Kernsätze fassen noch einmal wichtige Punkte der vorangegangenen Ausführung zusammen.
- Die als Magersucht und Bulimie bekannten Essstörungen sind weder eine vorübergehende Pubertätskrise noch ein Modetick.
- Magersucht und Bulimie sind psychische Krankheiten.
- Nicht nur die seelischen, auch die körperlichen Folgeschäden der Essstörung sind gravierend.
- Negative Ergebnisse körperlicher Untersuchungen dürfen nicht zu dem Schluss verleiten, dass eine Essstörung ausgeschlossen ist.
- Magersüchtige mit starkem Untergewicht können lebensbedrohlich krank sein.
- Die Sterblichkeitsrate beträgt etwa 10 Prozent!
- Überwiegend erkranken Mädchen und junge Frauen an Essstörungen.
- Das Verhältnis Mädchen zu Junge ist etwa 20 zu 1 bis 10 zu 1.
- Das Erkrankungsalter liegt meistens zwischen 12 und 15 Jahren, wobei sich der Beginn immer weiter nach unten verschiebt.
- Seit 1980 ist die Bulimie eine eigene diagnostische Kategorie.
- Die Kombination von Magersucht mit bulimischen Verhalten (Bulimarexie) nimmt zu.
- Essstörungen werden nicht selten von Alkohol- und Medikamentenmissbrauch begleitet (sog. Coabhängigkeit).
- Essstörungen sind häufig mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angst- oder Zwangskrankheiten, Depressionen sowie Persönlichkeitsstörungen verbunden.
- Eine eindeutige Ursache von Essstörungen ist bisher nicht bekannt.
- Das komplexe Krankheitsgeschehen lässt sich nur aus dem Zusammentreffen verschiedener äußerer und innerer Faktoren erklären.
- Die Essstörung entsteht häufig unmerklich.
- Die Symptome gehen über die Nahrungsaufnahme und das Essverhalten hinaus.
- Das familiäre Essverhalten kann eine pathologische Einflussgröße sein.
- Das Zusammenwirken von Persönlichkeitsmerkmalen der Betroffenen und elterlichen Verhaltensweisen begünstigen die Krankheit.
- Die Essstörung ist häufig ein Hilfeschrei.
- Psychotherapie bietet kein Patentrezept; sie erfordert den Einsatz der ganzen Person.
- Es gibt keine „beste“ Behandlungsmethode.
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- Die Essstörung erfüllt eine wichtige Funktion im Leben des Patienten. Diese zu erkennen und zu verstehen, ist eine wesentlich Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie.
- Eine Behandlung kann, je nach individueller Krankengeschicht, ambulant, teilstationär oder stationär durchgeführt werden.
- Die Dauer der Behandlung hängt von der Schwere und Dauer der Krankheit ab.
- Die Therapie ist nicht nur ein möglicher Ausweg aus der Krankheit, sondern die Chance für ein erfüllteres Leben.
- Eltern und Freunde können nicht als Therapeuten fungieren!
- Eltern und Freunde können die Therapie positiv oder negativ beeinflussen.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema dieses Referats?
Dieses Referat gibt einen umfassenden Einblick in Essstörungen, einschließlich Definitionen, Erscheinungsformen, Auswirkungen auf den Körper, psychologisches Erscheinungsbild, Häufigkeit, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.
Was sind die verschiedenen Arten von Essstörungen, die im Text beschrieben werden?
Der Text beschreibt folgende Essstörungen: Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimarexie (Magersucht mit Erbrechen), Bulimia nervosa (Normalgewicht mit Erbrechen), Bulimie (Übergewicht mit Erbrechen), Adipositas (Übergewicht durch Überernährung) und Esssucht (Binge-Eating-Disorder).
Welche Diagnosekriterien werden für Anorexia nervosa (Magersucht) verwendet?
Nach ICD-10 sind die Diagnosekriterien für Anorexia nervosa: niedriges Körpergewicht (BMI unter 17,5), selbst herbeigeführter Gewichtsverlust, Körperschemastörung, Angst vor Gewichtszunahme, Amenorrhoe (bei Frauen) bzw. Libido- und Potenzverlust (bei Männern) und Hemmung der körperlichen Entwicklung (bei Beginn vor der Pubertät). DSM-IV Kriterien beinhalten niedriges Körpergewicht (weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts), große Angst vor Gewichtszunahme, Körperschemastörung, übertriebener Einfluss des Gewichts auf die Selbstbewertung, Krankheitsverleugnung und Amenorrhoe.
Welche Diagnosekriterien werden für Bulimia nervosa verwendet?
Nach ICD-10 sind die Diagnosekriterien für Bulimia nervosa: Essattacken, ständige Beschäftigung mit Essen, kompensatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewichtszunahme (selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Appetitzüglern, Schilddrüsenpräparaten oder Diuretika, zeitweilige Hungerperioden) und große Angst, zu dick zu werden mit scharf definierter Gewichtsgrenze. DSM-IV Kriterien umfassen Heißhungerattacken, kompensatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewichtszunahme, Frequenz der Heißhungeranfälle und der kompensatorischen Maßnahmen mindestens zweimal pro Woche über drei Monate, ausgeprägte Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Körpergewicht und Figur und Störung tritt nicht ausschließlich bei einer Episode von Anorexia nervosa auf.
Welche körperlichen Auswirkungen können Essstörungen haben?
Essstörungen können zu einer Vielzahl von körperlichen Komplikationen führen, darunter vegetative Störungen, Störungen des Kälte- und Wärmeempfindens, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme (Hypotonie, verlangsamter Herzschlag), Mangel an Vitaminen und Spurenelementen, Wasserhaushaltsstörungen, Amenorrhoe, hypoglykämischer Schock, trockene Haut, Lanugo-Behaarung, erhöhter Cortisol-Spiegel, Dehydrierung, Elektrolytverluste (Kalium, Natrium), Schäden an Zähnen und Speiseröhre, Schwellungen der Ohrspeicheldrüsen, Magenprobleme, Pankreatitis und Darmprobleme.
Wie ist das psychologische Erscheinungsbild von Personen mit Essstörungen?
Personen mit Essstörungen zeigen oft Besonderheiten im Denken und Vorstellen (z.B. übermäßige Genauigkeit, Schwierigkeiten bei der Begriffsbildung), im Empfinden (z.B. emotionale Schwingungsfähigkeit lässt nach, Unsicherheit, Isolation) und in der Willensfunktion (z.B. starre Rituale zur Gewichtsreduktion, Perfektionismus, Zwanghaftigkeit).
Wie häufig sind Essstörungen?
Genaue Zahlen sind schwierig zu ermitteln, da viele Betroffene keine ärztliche Hilfe suchen. Schätzungsweise liegt die Prävalenzrate für Anorexia nervosa bei 0,5 bis 2 Prozent in der Risikogruppe der Adoleszenten (12 bis 25 Jahre). Für Bulimia nervosa wird die Häufigkeit auf etwa 2 bis 5 Prozent im gleichen Altersbereich geschätzt.
Welche Ursachen können zu Essstörungen führen?
Die Ursachen sind komplex und vielfältig. Es gibt keine einfache biologische oder psychologische Erklärung. Faktoren, die zusammenwirken können, sind: krankheitsauslösende Züge der Persönlichkeitsentwicklung, soziokulturelle Faktoren (z.B. Idealisierung von schlanken Körpern), biologische Faktoren (z.B. genetische Prädisposition, Neurotransmitter), familiäre Faktoren (z.B. Harmoniebedürfnis, Leistungsdruck) und sexuelle Traumatisierung/Missbrauch.
Welche Therapieansätze gibt es für Essstörungen?
Es gibt keine "beste" Behandlung, aber psychotherapeutische Verfahren spielen eine wichtige Rolle. Zu den Therapieansätzen gehören Psychoanalyse, Verhaltenstherapie (einschließlich Selbstmanagement-Therapie nach Kanfer), ergänzende Psychotherapiemethoden (z.B. Gestalttherapie, Tanztherapie, künstlerische Therapien), Einzel- oder Gruppentherapie. Die Behandlung kann ambulant, stationär oder teilstationär erfolgen.
Welche Rolle spielen Familie und Freunde bei der Therapie?
Eltern und Freunde können die Therapie positiv oder negativ beeinflussen, aber sie können nicht als Therapeuten fungieren. Es ist wichtig, dass sie die Therapie unterstützen und ein förderliches Umfeld schaffen. Das familiäre Essverhalten kann ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Wie lange dauert die Behandlung von Essstörungen und wie sind die Erfolgsaussichten?
Die Dauer der Behandlung kann ein bis drei Jahre betragen. Etwa 40% der Patienten erreichen eine vollständige Heilung, 30% eine wesentliche Verbesserung, 20% verbleiben in einem chronifizierten Zustand und 10% sterben an den Folgen der Essstörung.
Was sind die wichtigsten Kernsätze zur Zusammenfassung von Essstörungen?
Essstörungen sind psychische Krankheiten mit gravierenden seelischen und körperlichen Folgeschäden. Sie sind weder eine vorübergehende Pubertätskrise noch ein Modetick und erfordern professionelle Hilfe. Die Sterblichkeitsrate liegt bei etwa 10 Prozent. Es gibt keine "beste" Behandlungsmethode, und die Therapie erfordert den Einsatz der ganzen Person.
- Quote paper
- Sina Brohl (Author), 2002, Essstörungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107104