Die sorbischen Stämme hatten bis zum Ende des Mittelalters wahrscheinlich nie selbst eine einheitliche "Sorbische Identität", geschweige denn ein Bewußtsein für ein "Sorbisches Land" . Was wir als "Volk der Sorben" im Mittelalter greifen wollen stellt sich bei näherer Betrachtung als lockeres Bündel, sowohl miteinander verbundener, als auch voneinander unabhängiger Einzel- und Teilstämme heraus.
Ich möchte mit dieser Arbeit deshalb untersuchen, in wie weit die sorbischen Stämme im Mittelalter überhaupt als Gruppe zu definieren sind. Waren sie denn je eine ethnische, sprachliche, kulturelle oder politische Einheit? Kann man sie also im Mittelalter schon als Ethnie, Volk oder Nation begreifen? Meine Antwort ist nein. Die in mittelalterlichen Quellen auftauchenden Bezeichnungen "Sorben" oder "Sorbenland", so meine These, beschreiben eine vorgestellte, durch Fremdzuschreibung konstruierte "Ethnie", bzw. "Regionalität". Weder das Volk, noch der damit verbundene homogene Raum, lassen sich historisch für das Mittelalter nachweisen.
Um dies zu belegen möchte ich nach einer kurzen Vorstellung der Sorben und der Beschreibung ihrer Herkunft zunächst die Wahrnehmung, Beschreibung und Bezeichnung durch die sie umgebenen Völker im Mittelalter darstellen. Es gilt im ersten Teil also den "Mythos" von "Sorbischen Volk" nachzuzeichnen, den es im weiteren Teil der Arbeit dann zu zerstören gilt. Folgende Leitfragen gliedern den Aufbau der Arbeit:
1. Lassen sie die "Sorben" als ein Volk definieren?
2. Waren die "Sorben" eine kulturelle, oder religiöse Gemeinschaft?
3. Gab es eine politisch -administrative oder rechtliche Einheit der "Sorben"?
4. Existierte eine geschlossene "Sorbische Region", oder ein als "sorbisch" definierbares Territorium?
Ich werde bei der Beantwortung dieser Fragen keine ereignisgeschichtliche Darstellung betreiben, also nicht die Geschichte der Sorben erzählen, sondern nur selektiv Elemente dieser Geschichte herausgreifen, um Antworten zu finden.
Bevor ich meine Untersuchung auf die Sorben lenke, möchte ich eine kurze theoretische Vorbetrachtung zum Thema Regionalismus und der auf den Raum bezogenen Identität machen. Hier gilt es besonders die Eigenheiten dieser modernen Theoreme im Bezug auf das Mittelalter deutlich zu machen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Vorbetrachtung
- 1.1 Regionalismus und Regionale Identität
- 1.2 Besonderheiten der Regionalismusforschung für das Mittelalter
- Ethnische Definition
- 2.1 Herkunft der Sorben
- 2.2 Die Sorben - ein Volk?
- 2.2.1 Von der zeitgenössischen Bezeichnung der Sorben
- 2.4 Die Sprache
- Kulturelle Definition
- 3.1 Religion der Sorben
- 3.2 Die Musik
- Politische Definition
- 4.1 Militärische Demokratie - 7. bis 9. Jahrhundert
- 4.2 Der sorbische Adel - 9. Jahrhundert
- 4.3 Die erste Phase der deutschen Ostexpansion
- 4.4 Die Kolonisation
- Räumliche Definition
- 5.1 Die Besiedlungsstruktur
- 5.2 Das Land der Sorben
- 5.3 Gab es ein sorbisches Zentrum?
- Resümee
- I. Fremdwahrnehmung als "Volk der Sorben"
- II. Selbstwahrnehmung als Stammgesellschaften
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit die sorbischen Stämme im Mittelalter als eine Einheit zu definieren sind. Sie untersucht, ob die Sorben im Mittelalter eine ethnische, sprachliche, kulturelle oder politische Einheit bildeten und ob sie als Ethnie, Volk oder Nation verstanden werden können. Die Arbeit argumentiert, dass die in mittelalterlichen Quellen auftauchenden Bezeichnungen "Sorben" oder "Sorbenland" eine vorgestellte, durch Fremdzuschreibung konstruierte "Ethnie" bzw. "Regionalität" beschreiben. Weder das Volk, noch der damit verbundene homogene Raum lassen sich historisch für das Mittelalter nachweisen.
- Die ethnische Definition der Sorben im Mittelalter.
- Die kulturelle Definition der Sorben im Mittelalter.
- Die politische Definition der Sorben im Mittelalter.
- Die räumliche Definition der Sorben im Mittelalter.
- Die Fremdwahrnehmung der Sorben als "Volk der Sorben".
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Sorben im Mittelalter ein und stellt die Frage nach ihrer Identität als Gruppe. Sie erläutert den historischen Kontext und die geografische Lage der Sorben in der Lausitz. Die Einleitung betont die Bedeutung der Sorben als politischer Faktor für Karl den Großen im 9. Jahrhundert und beleuchtet die Widersprüche zwischen der historischen Bedeutung der Sorben und ihrer möglichen inneren Fragmentierung. Die Einleitung skizziert die zentralen Leitfragen der Arbeit.
Die theoretische Vorbetrachtung beleuchtet den Begriff des Regionalismus und der regionalen Identität im modernen politikwissenschaftlichen Verständnis und erörtert die spezifischen Herausforderungen, die sich bei der Anwendung dieser Konzepte auf das Mittelalter ergeben.
Das Kapitel zur ethnischen Definition der Sorben untersucht die Herkunft des Volkes und analysiert die Frage, ob die Sorben als ein Volk betrachtet werden können. Der Abschnitt beleuchtet die zeitgenössische Bezeichnung der Sorben in mittelalterlichen Quellen.
Das Kapitel zur kulturellen Definition der Sorben befasst sich mit der Religion und der Musik der Sorben im Mittelalter.
Das Kapitel zur politischen Definition der Sorben analysiert die politische Organisation der Sorben im Mittelalter, insbesondere die militärische Demokratie im 7. bis 9. Jahrhundert und die Rolle des sorbischen Adels im 9. Jahrhundert. Es untersucht außerdem die erste Phase der deutschen Ostexpansion und die Kolonisation der sorbischen Gebiete.
Das Kapitel zur räumlichen Definition der Sorben betrachtet die Besiedlungsstruktur, das Land der Sorben und die Frage nach einem sorbischen Zentrum im Mittelalter.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die zentralen Themen Regionalismus, ethnische Identität, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung, Volk, Nation, Mittelalter, Sorben, Lausitz, Ostexpansion, Kolonisation und Besiedlungsstruktur.
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- Götz Kolle (Autor), 2003, Die Sorben: Regionalismus und ethnische Identität im Mittelalter, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10697