Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Lage der Arbeiterinnen in Baden
1.1 Industrieregionen in Baden- wo waren die Frauen?
1.2 Eine badische Besonderheit:
Durchmischung ländlicher und industrieller Räume
1.3 Die Löhne: ein Phänomen im deutschen Kaiserreich?
1.4 Arbeiterinnenschutz in Baden
1.5 Die Lebensverhältnisse der Arbeiterinnen
2. Die proletarische Frauenbewegung in Baden- Antwort auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen Badens oder schmückendes Beiwerk der männlichen Parteiorganisation?
2.1 Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung in Baden
2.2 Das „Fehlen“ des preußischen Vereinsgesetz von 1951: Sprungbrett oder Hindernis?
2.3 Zwischen Orthodoxie und Revisionismus: auch in Baden?
2.4 Die Aufgabe der Frauen in der Partei
Zusammenfassung der Ergebnisse
Einleitung
In dieser Arbeit soll die proletarische Frauenbewegung in Baden während des Kaiserreiches unter verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt werden. Untersucht wird besonders, in wieweit sich die soziale Lage der Arbeiterinnen in Baden und die speziellen Verhältnisse Badens auf die proletarische Frauenbewegung ausgewirkt haben. Im Gegenzug ist zu erläutern, in welchem Maß die Bewegung im gesamten Reich Einfluss auf die in Baden hatten. Interessant ist auch die Tatsache, dass die Arbeiterinnenbewegung in Baden gemäßigter ausfiel als in anderen Teilen des Reiches, obwohl hier der Anteil der Arbeiterinnen an der Gesamtarbeiterschaft prozentual höher war. Auch hierfür werde ich versuchen Gründe zu finden.
Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich daher auf die Lage der Arbeiterinnen in Baden eingehen, wobei immer wieder Parallelen zu den Arbeiterinnen im gesamten Reich gezogen werden. Es wird deutlich werden, wo und in welchen Industrien Frauen tätig waren, wie hoch ihre Löhne waren und welche speziellen Schutzmaßnahmen es für Frauen gab. Im zweiten Teil erfolgt dann der Transfer zur proletarischen Frauenbewegung: muss sie als Folge der Arbeiterinnenverhältnisse in Baden oder als Konsequenz der proletarischen Bewegung reichsweit bewertet werden. In diesem Teil werde ich versuchen, die Organisationen der sozialdemokratischen Frauenbewegung Badens aufzuzeigen und zu bewerten.
Abgrenzen möchte ich an dieser Stelle von bürgerlichen oder konfessionellen Frauenvereinigungen, die in Baden weitaus aktiver waren. Außerdem wird sich meine Arbeit besonders auf Nordbaden richten, wobei das Hauptgewicht Mannheim und Karlsruhe zukommen wird.
Wie in anderen Themenbereichen der Frauenforschung ist es auch hier nicht verwunderlich, dass ältere Darstellungen über Baden und die sozialdemokratische Partei keinerlei Informationen über Frauen geben. So erwähnt Jörg Schadt1 in seinen Ausführungen über die sozialdemokratische Partei in Baden keinerlei Aktivitäten von Frauen. Sie erscheinen bei ihm nur in einer Tabelle über die Mitgliedszahlen der SPD, in der zwischen weiblich und männlich unterschieden wird.2 Auch Konrad Elsässer erwähnt in seiner Darstellung des gleichen Themas, das allerdings einen Zeitraum beleuchtet, in der der Bewegung mehr Bedeutung zukam, die sozialdemokratische Frauenbewegung äußerst kurz3. Hingegen haben vor allem Historikerinnen heute ein besonderes Interesse an der sozialen Lage der Arbeiterinnen und der Arbeiterinnenbewegung in Baden. Herauszuheben ist hier vor allem Barbara Guttmann4, die in ihren Untersuchungen der Frauen in Deutschland von 1914 bis 1918 auch auf die Verhältnisse in Baden und die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung eingeht.
Es gibt viele Forschungsreihen, die sich Frauenstudien zum Thema gemacht haben und in denen sich auch Informationen über den Alltag von Arbeiterinnen und die sozialdemokratische Bewegung in Baden finden lassen. Als Quellen für die Lebens- und Arbeitssituationen der Arbeiterinnen Badens dienen hauptsächlich die Berichte der badischen Fabrikinspektion. Für die sozialdemokratische Frauenbewegung erweist sich „die Gleichheit“, das Zentralorgan der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Reich unter der Leitung Clara Zetkins, auch für Baden als hilfreiche Fundstelle. Hinweisen möchte ich abschließend noch darauf, dass ich die Begriffe proletarische, sozialdemokratische und Arbeiterinnen-Bewegung der Vereinfachung wegen als Synonyme verwenden werde, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Warum die weiblichen Mitglieder der sozialdemokratischen Partei keine Arbeiterinnen waren, soll an späterer Stelle erläutert werden.
1. Die Lage der Arbeiterinnen in Baden
1.1 Industrieregionen in Baden- wo waren die Frauen?
Außer den bekannten nördlichen Industriestädten Mannheim, Karlsruhe und Pforzheim gab es in Baden weitere Industrieregionen. Im Handelskammerbezirk Konstanz herrschte die Textilindustrie mit 33% aller Beschäftigten vor, aber auch Metallverarbeitung, Nahrungs- und Genussmittel- und Maschinenindustrie waren vertreten. Der Maschinen- und Apparatebau ließ sich vor allem im Handelkammerbezirk Villingen finden. 60% aller Arbeiter/innen waren dort in diesem Industriezweig beschäftigt. Im Wiesen- und Oberrheintal waren 70% aller Arbeiter/innen in der Textilindustrie. Der stark agrarisch geprägte Handelskammerbezirk Freiburg teilte das Gro der Arbeiterschaft in Nahrungs- und Genussmittelindustrie (29%) und Textilindustrie (25%). Tabakanbau und Tabakindustrie waren die größten Industrien im Handelskammerbezirk Lahr mit 60% aller Beschäftigten. Im Karlsruher Handelskammerbezirk waren vor allem die Maschinenindustrie (24% aller Beschäftigter) und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie ansässig (25% der Gasamtarbeiterschaft). Dominierende Industrie in der zweitgrößten Industriestadt Badens Pforzheim war die Edelmetall- und Schmuckwarenindustrie, die 60% der Gesamtarbeiterschaft beschäftigen konnte. Im Gegensatz zu den anderen Industrieregionen Badens verteilten sich die Arbeiter/innen des Handelskammerbezirks Mannheim auf mehrere Industriezweige: Investitionsgüterindustrie, Maschinen- und chemischen Industrie, Lederindustrie, Baugewerbe und Nahrungs- und Genussmittelindustrie5. In dieser spielte vor allem die Zigarrenfabrikation und der Tabakhandel eine wichtige Rolle. Mannheim war das bedeutendste Zentrum für Tabakhandel im deutschen Kaiserreich. So gab es bereits 1885 dreißig Zigarrenfabriken in der Stadt Mannheim; 1919 waren es siebenunddreißig6. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass besonders im Süden die Textil- und Tabakindustrie vorherrschten. Gerade in diesen Industriezweigen waren besonders viele Frauen beschäftigt. Das Beispiel Mannheim macht es deutlich. Insgesamt stellten die Frauen 13, 2 % der Mannheimer Arbeiterschaft im Jahre 1899. 1/3 davon war in der Zigarrenfabrikation. Die Mannheimer Tabakindustrie beschäftigte in diesem Jahr 1.467 Arbeiter/innen, wovon 1.130 Frauen waren, d.h. 77% der in der Mannheimer Tabakindustrie Beschäftigten waren im Jahre1899 Frauen7. Die Gründe für die Einsetzung von Frauen in diesen Industrien sind einleuchtend: Die Herstellung von Zigarren war eine vergleichsweise leichte Arbeit und konnte von Frauen ohne größere körperliche Anstrengung verrichtet werden, zumal Frauen die billigeren Arbeitskräfte darstellten8. Zum anderen wurden Zigarren in manueller Produktionsweise hergestellt, was besonders viel Fingerfertigkeit und Geschicklichkeit erforderte. Gerade diese Eigenschaften wurden (und werden heute noch) Frauen zugeschrieben9. Auch die Zahlen der 1913 der Gewerbeaufsicht unterstellten Betriebe (also solche über 10 Arbeiter/innen), bestätigen, dass der Frauenanteil in der Textil- (56,7% der Arbeiterschaft) und der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (55,7% der Arbeiterschaft) am höchsten war10. Ausnahme bildete Pforzheim. Die Edelmetall- und Schmuckwarenindustrie bot vielen Frauen einen Arbeitsplatz11, so dass der Frauenanteil der Pforzheimer Arbeiterschaft 1913 32% betrug; der höchste Prozentsatz im regionalen Vergleich12. Insgesamt lässt sich also, dass, was den prozentualen Anteil der Frauen an der Arbeiterschaft betrifft, ein Süd-Nord-Gefälle zu erkennen ist. Interessant ist dieser Zwischenbefund in Hinsicht auf die sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Frauenbewegung, die stärker im Norden des Landes, vor allem den Städten Karlsruhe und Mannheim, aktiv waren13.
Vergleicht man den prozentualen Anteil der Frauen in der Arbeiterschaft in Baden mit denen im gesamten Reich, stellt man fest, dass Frauenarbeit in diesem Land einen höheren Stellenwert hatte. Von 1892 bis1903 hatten Frauen einen Anteil von 30% an der Gesamtarbeiterschaft Badens, während der Reichsdurchschnitt lediglich 20% betrug. Im gleichen Zeitraum waren über 60% der Arbeiterschaft in der Textilindustrie Badens Frauen14. Darin liegt auch die Begründung des hohen Prozentsatzes von Frauen: Gerade die Textil- und Tabakindustrie galten als die Frauenindustrien schlechthin, und waren zusammen mit der Bijouterie (Metallverarbeitung) die bedeutendsten Industrien Badens15.
1.2 Eine badische Besonderheit:
Durchmischung ländlicher und industrieller Räume
Wie bereits aus 1.1 ersichtlich wurde, siedelten sich die Industrien nicht nur in den großen Städten an, sondern auch in ländlichen Räumen. 1910 lebten nur 27% in den großen Städten des Landes Mannheim, Karlsruhe, Pforzheim, Heidelberg, Konstanz und Baden-Baden. 20% der Bevölkerung Badens lebte in Gemeinden zwischen 2.000 und 5.000 Einwohnern und sogar 42% in Ortschaften mit weniger als 2.000 Einwohnern. Aber auch in diesen kleinern Gemeinden arbeiteten ¼ der Menschen im sekundären Bereich, also in Industrie, Bergbau oder Baugewerbe. Die Landwirtschaft war bis auf engste mit der Industrie verknüpft16. Die meisten Arbeiterinnen waren in diesen ländlichen Gebieten zu finden: 4/5 aller Arbeiter/innen der Textilindustrie am Oberrhein und in seinen Nebentälern, der Uhrenindustrie im Schwarzwald und der Tabakindustrie auf dem flachen Land waren Frauen. Damit lag der Schwerpunkt der industriellen Frauenarbeit in ländlichen Gebieten. Ausnahme bildet auch hier die Pforzheimer Edelmetall- und Schmuckwarenindustrie17. Diese Tatsache nahm Einfluss auf die Identität der Arbeiterinnen. Die Industriearbeiterinnen, vor allem im Süden Badens, waren sehr stark in die dörflichen und familiären Strukturen eingebunden. Die Konsequenz daraus war, dass sich wenige mit Büchern oder politischen Fragen beschäftigten und meist keinem Arbeiterinnenverein angehörten18. So schreibt Marie Baum, die zweite Gewerbeaufsichtsbeamtin Badens, die 1902 nach Dr. Elisabeth von Richthofen als Fabrikinspektorin „in Dienst genommen“ wurde19: „Fast niemals wurde beobachtet, daß Arbeiterinnen die Pausen zwischen der Arbeitszeit mit Lesen ausfüllen; nach Beendigung der Mahlzeit wird der Strickstrumpf hervorgeholt“20. Das Bewusstsein zur Arbeiterschaft zu gehören, war bei vielen Frauen in Baden nicht vorhanden. Sie arbeiteten einige Jahre in denFabriken, um das „Realeinkommen der Familie“21 zu verbessern und kehrten dann -meist nach der Eheschließung- in den landwirtschaftlichen Betrieb zurück. Nur 28,24% der badischen Textilarbeiterinnen waren im 19. Jahrhundert verheiratet22 ; keine ungewöhnliche Zahl im Reichsvergleich.
1.3 Die Löhne: ein Phänomen im deutschen Kaiserreich?
Zur Zeit des deutschen Kaiserreichs war es üblich, dass mehr Frauen im Niedriglohnsektor tätig waren als Männer. 8,92% der Arbeiterinnen erhielten einen geringen Wochenlohn als acht Mark. Bei den Männern waren es immerhin nur 1,12%, die in der Woche weniger als 12 Mark verdienten. Außerdem lässt sich feststellen, dass sich die Löhne von Frauen und Männern in der Industrie am meisten annäherten, wenn die ausgeführte Tätigkeit unqualifiziert und schlecht bezahlt war. Das heißt, je unqualifizierte, niedrigbezahlter und unangesehner die Arbeit war, desto größer waren die Chancen der Frauen die Löhne ihrer männlichen Kollegen zu erreichen. Gleich war der Lohn des Arbeiters und der Arbeiterin allerdings nie. In einem angesehenen Beruf wie dem des Druckers konnten z.B. Arbeiterinnen in Stuttgart um 1900 nur 35,5% des Lohnes erwarten, den die Männer erhielten. Weibliche Tagelöhner hingegen konnten auf 63% des „männlichen Verdiensten“ hoffen23.
Auch in Baden herrschten diese Ungleichheiten. Betrachtet man z.B. noch einmal die Tätigkeiten in einer Mannheimer Tabakfabrik. Dort gab es den/die Sortierer/in und den/die Ausripper/in. Das Sortieren war die angesehenere Aufgabe, da man eine besondere Qualifikation haben musste, um die unterschiedlichen Farbnuancen zu unterscheiden und die verschiedenen Materialien zu erkennen. Außerdem gehörte zu dieser Tätigkeit eine starke Konzentrationsfähigkeit. Die Sortiererin verdiente im Jahre 1905 10, 52 Mark pro Woche, ihr männlicher Kollege 12,03. Der Ausripper erhielt jede Woche 8,12 Mark, die Ausripperin nur 6,90 Mark. Prozentual wurde die Sortiererin mit 87,45% des Gehaltes des Sortierers entlohnt, die Ausripperin mit 84,98% des Verdienstes des Ausrippers. Die These der Annäherung des Gehaltes bei unqualifizierter Arbeit wäre also nicht bestätigt. Verfolgt man aber die Entwicklung der Löhne, so stellt man fest, dass sich der Verdienst der Ausripperin bis zum Jahre 1911 dem des Ausrippers deutlich anglich, der der Sortiererin jedoch nicht dem des Sortierer. Die Löhne des Sortierers stiegen nämlich um 19,2%, die der Sortiererinnen nur um 2,4% (1897-1911)24. Das bedeutet, dass die weiblichen Sortierer nun einen Wochenverdienst von 8,31 Mark erreichten, während die männlichen nun 14,34 Mark wöchentlich verdienten. Selbst bei Gleichbleibung der Löhne der Ausripper/innen würde sich unsere These nun bestätigen, das die Sortiererin nun noch 57,95% des Gehaltes ihres männlichen Kollegen mit nach Hause nehmen durfte. Ein Vergleich verschiedener Baumwollspinnereien und -weberein zeigte, dass 17-30% der Männer einen höheren Wochenverdienst hatten als die Arbeiterinnen. Dort wo Männer und Frauen der gleichen Tätigkeit nachgingen, wurden Männer bis zu 50% besser bezahlt als Frauen25. Auch waren in Baden die meisten, nämlich 90% der Arbeiterinnen, im Niedriglohnbereich. Der durchschnittliche Lohn lag bei 77% der Arbeiterinnen zwischen 6 und 8 Mark, wogegen sich nur 21% der männlichen Arbeiter in dieser Lohngruppe wiederfanden26.
Die Unterbezahlung der Frauen mit den erwähnten Bedingungen erweist sich also als Gesamtphänomen des deutschen Kaiserreiches; auch dort, wo Frauen in der Überzahl waren.
1.4 Arbeiterinnenschutz in Baden
Die bedeutendsten Industrien Badens waren wie in 1.1 beschrieben die Metallverarbeitung, die Textil- und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Gerade sie waren es, die zusammen mit der Papierindustrie zu den sogenannten Staubindustrien gehörten, das bedeutet, sie waren besonders gesundheitsschädlich. Bis zur Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 gab es keine besonderen Gesetze zum Schutze der Arbeiter und vor allem der Arbeiterinnen, die in diesen Industriezweigen besonders stark vertreten waren. Abgesehen von einer etwas längeren Mittagspause für verheiratete Frauen, hatten Arbeiter und Arbeiterinnen auch die gleichen Arbeitszeiten. Das Thema Nachtarbeit stand in Baden nicht zur Debatte, da nur 250 Frauen von einer weiblichen Gesamtarbeiterschaft von über 60.0000 nachts arbeiten mussten27. 1891 wurde der 11-Stunden-Arbeitstag eingeführt, die Nachtarbeit für Frauen wurde gänzlich verboten und das Ende der Arbeitszeit vor Feiertagen und an Samstagen auf 17:30 Uhr festgelegt. Die Durchführung dieser Gesetze bereitete in Baden keine Probleme28. Erst am 1. Januar 1910 trat die Gewerbenovelle vom 18. Dezember 1908 in Kraft, die den 10-Stunden-Arbeitstag für Frauen festsetzte; schon zuvor war er in Baden Gang und Gebe gewesen. Außerdem wurde die Mittagspause auf 1,5 Stunden ausgeweitet und die Samstagsarbeit auf acht Stunden beschränkt.29 Hinzu kam der Wöchnerinnen- oder Mutterschutz. Seit 1878 durften Frauen drei Wochen nach der Entbindung nicht Arbeiten, ab 1891 waren es vier Wochen nach der Geburt, die sie mindestens zu Hause verbringen sollten, in der 5. und 6. Woche durften sie nur mit ausdrücklicher Erlaubnis eines Arztes ihre Arbeit wiederaufnehmen.30 Krankenkassen zahlten ein „Wöchnerinnengeld bis zur Hälfte des ortsüblichen Lohnes“. Vielen Frauen reichte es dennoch nicht zum Leben und sie unterliefen diese Schutzmaßnahmen. Zur Wöchnerinnenfürsorge gehörten auch Stillpausen in der Fabriken31. Außerdem wurden die Krankenkassenleistungen erweitert und das Krankengeld erhöht, Speiseanstalten wurden eingerichtet und Arbeiterhäuser geschaffen, die besonders zur Wohnungsreform in Baden beitrugen. Allerdings mussten die Arbeiter/innen bei Kündigung die Wohnung sofort räumen32. Trotz all dieser Maßnahmen existierten weiterhin viele Gefahren für die Arbeiterschaft. Häufig fehlten Schutzvorrichtungen an Maschinen, es gab Mängel an der Beheizung, der Beleuchtung oder der Belüftung33. Ein besonderes Risiko bestand für Arbeiterinnen in Übergriffen durch Kollegen und Werksmeister. Gerade solche Übergriffe wurden selten den seit 1872 in Baden eingesetzten Gewerbeaufsichts- beamten gemeldet34. Um diese Hemmschwelle zu überwinden wurden seit der Jahrhundertwende die erste weibliche Fabrikinspektorin eingesetzt35: Dr. Elisabeth von Richthofen. 1902 folgte Marie Baum. Die Ergebnisse der ständigen Betriebsrevisionen wurden in Jahresberichten festgehalten, die „zu einem Instrument sozialpolitischer Berichterstattung und Forderung wurden“36. Die badische Fabrikinspektion galt als Vorbild für anderer Länder und die Einsetzung weiblicher Fabrikinspektoren muss als Schutzmaßnahme der Arbeiterinnen gewertet werden.
1.5 Lebensverhältnisse der Arbeiterinnen
Das größte Problem der Arbeiterinnen stellten die geringen Löhne dar. Um die Einnahmen zu Verbessern, nahmen viele Familien Schlafmädchen oder Kostgänger auf. Dennoch konnten sich vor allem unverheiratete Arbeiterinnen kein eigenes Zimmer leisten. Oft schliefen sie sogar mit den Kindern der Familie in einem Bett. Dem unverheirateten Arbeiter hingegen reichte der Lohn in den meisten Fällen, um die Grundbedürfnisse zu decken37. Auch eine ausreichende Ernährung war trotz der Einrichtung von Speiseanstalten nicht gewährleistet. Im Jahre 1891 verkaufte die Seidenfabrik „Mez Vater und Söhne“ in Freiburg sehr günstige Mahlzeiten (ein einfaches Frühstück, Mittagessen und Abendbrot), dennoch hätten alle Gerichte zusammen rund 1/3 des Tageslohnes der Arbeiterinnen gekostet38, weshalb das Angebot von den Arbeiterinnen oft nicht genutzt wurde. Hinzu kam bei den weiblichen Industriearbeitern die starke Überbelastung durch die Industriearbeit, die Kindererziehung und die Haushaltsführung, die oft zu gesundheitlichen Problemen und chronischen Leiden führte39.
2. Die proletarische Frauenbewegung in Baden- Antwort auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen Badens oder schmückendes Beiwerk der männlichen Parteiorganisation?
2.1 Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung in Baden
Die Tatsache, dass sich die typischen Frauenindustrien Badens im Süden des Landes befanden, sollte eigentlich darauf schließen lassen, dass gerade dort das Zentrum der proletarischen Frauenbewegung gewesen sein müsste. Dies war nicht der Fall. Die sozialdemokratischen Frauenbewegung hatte ein starkes Nord-Süd-Gefälle und konzentrierte sich vor allem auf die protestantischen Industriestädte Mannheim. Karlsruhe und Pforzheim. Insgesamt war die sozialdemokratische Politik im Norden des Landes erfolgreicher als im Süden, was vor allem das Desinteresse der männlichen Genossen zeigt, Politik mit und für Frauen zu entwickeln. Die politischen Organisationen waren für Männer entwickelt und sollten höchstens Ehefrauen der Parteigänger anlocken40. Das bedeutet, dass in Baden die proletarischen Frauenbewegung keine Arbeiterinnenbewegung war, sondern vor allem eine Bewegung der Ehefrauen sozialdemokratischer Männer; das war durchaus nicht unüblich. Auch in anderen Ländern verhielt es sich so: man denke zum Beispiel an die Taktik Luise Zietz’, weibliche SPD-Mitglieder zu gewinnen41.
Dennoch entwickelten vereinzelt auch Arbeiterinnen Vereinigungen, die allerdings wenig bestand hatten. So bestand seit Juli 1892 ein Arbeiterinnenverein in Freiburg, der 25 Mitglieder zählte. Der 1890 in Bernau gegründete Textilarbeiter- und Arbeiterinnenverein hatte 100 weibliche und 200 männliche Mitglieder und der Mannheimer Verein sozialistischer Mädchen und Frauen konnte in seinem Gründungsjahr 1892 235 Mitglieder zählen42. Er wurde von Wilhelm Keil und dem Redakteur der „Volksstimme“ Karl Fentz unterstützt. Nach drei Jahren kam er aber so gut wie zum Erliegen43. Damit stagnierte die Frauenbewegung in Baden und kam erst nach der Jahrhundertwende wieder in Schwung.
Erst im Jahre 1905 wurde sie neugegründet. Therese Blase und die aus Köln stammenden Lina Kehl warben in den Mannheimer Zahlstellen der SPD für eine Frauenorganisation und gründeten den Sozialdemokratischen Frauenverein, der sich aber am 1. April 1906 der lokalen männlichen Parteiorganisation anschließen mussten44. Nach Beschluss des Jenaer Parteitages von 1905 durften nicht zwei sozialdemokratische Parteiorganisationen an einem Ort bestehen. Ende des Jahre 1905 hatte diese Organisation nach einer Agitationstournee Alma Wartenbergs schon 350 Mitglieder erreicht, die sich nach April 1906 vor allem im Frauen- und Mädchenbildungsverein wiederfanden45.
Die gezielte Frauenbewegung in Karlsruhe begann erst in den Jahren 1909/10. Am 30. März 1909 sprach hier die Mannheimerin Therese Blase „über die moderne Frauenorganisation“. Im Frühjahr wurde die Frauensektion der SPD unter der Leitung von Else Rückert gegründet. Aber auch Frauen wie Kunigunde Fischer und Dora Trinks, alle drei Frauen waren mit Sozialdemokraten bzw. Gewerkschaftern verheiratet, engagierten sich sehr. Die Karlsruher Frauensektion zählte bis zum Ende des Jahres 1910 146 Mitglieder; ihr gegenüber standen 1.197 männlichen Sozialdemokraten. 1911 erreichte die Karlsruher Frauensektion eine Mitgliederzahl von 180, blieb jedoch auch in der Vorkriegs- , der Kriegs- und der Nachkriegszeit eine „Nebensache“. Kunigunde Fischer ist bis heute jedoch die einzige Frau in Karlsruhe, die von der Stadt die Ehrenbürgerrechte verliehen bekam46. Anfang Dezember 1910 fanden 40 Frauenversammlungen in Baden statt. In einem Jahr, nämlich von 1909/10 (455 weibliche SPD-Mitglieder) bis 1910/11 (982 weibliche Mitglieder) nahm die Zahl der weiblichen Mitglieder um 110% zu, während sich die der Männer nur um 21,6% steigerte47. Auch dieses Phänomen, das Steigern der weiblichen SPD-Mitgliedszahlen in den Jahren nach 1908, ist ein gesamtdeutsches und verdeutlicht so den Einfluss der gesamtdeutschen sozialdemokratischen Frauenbewegung auf Baden48. In anderen Teilen des Reiches lässt sich diese Zunahme vor allem durch den Fall des preußischen Vereinsgesetzes von 1850 erklären; dieses hat für Baden nie gegolten49. Allerdings lag der prozentuale Anteil der Frauen in der SPD mit 7,7% deutlich unter dem Reichsdurchschnitt mit 12,87% (1911)50. Die erste badische Frauenkonferenz fand am 23. Juni 1912 in Karlsruhe statt. Es versammelten sich je fünf Delegierte aus Mannheim und Karlsruhe, vier aus Pforzheim und Hockenheim, drei aus Durlach und Gaggenau und jeweils eine aus Lörrach und Offenburg51. Diese Zahlen verdeutlichen nochmals die Zentren der sozialdemokratischen Frauenbewegung im Norden. Thema dieser Konferenz war vor allem das Frauenstimmrecht. Auch in den folgenden Jahren fanden badische Frauenkonferenzen statt und thematisierten hauptsächlich das Frauenstimmrecht52. Die Frauenkonferenz 1911beschloss a) die Bildung einer Agitationskommission, die aus weiblichen Vorstandsmitgliedern der Wahlkreise und einer Vertretung des Landesvorstandes bestand, b) Zusammenkünfte der aktiven Genossinnen der einzelnen Kreise, um Erfahrungen auszutauschen und c) den Antrag an den badischen Parteitag, dem Landesvorstand ein weibliches Mitglied beizugeben. Dieser Antrag wurde bewilligt. Von 1912-33 war Therese Blase das einzige weibliche Mitglied des Landesvorstandes der badischen Sozialdemokratie.
Abschließend lässt sich bemerken, dass sich die sozialdemokratische Frauenbewegung in Baden erst sehr spät zu entwickeln begann. Emil Eichhorn, der 1906 in Mannheim die Begrüßungsrede an die Frauenkonferenz vor dem Parteitag hielt, formulierte sehr treffend: „Es besteht so gut wie keine proletarische Frauenbewegung in Baden, abgesehen von Mannheim und einigen rein gewerkschaftlichen Frauenorganisationen.“53 Tatsächlich befanden sich unter den fünfzig weiblichen Delegierten nur zwei Frauen aus Baden: Marie Geck und Stefanie Hoffmann.
2.2 Das „Fehlen“ des preußischen Vereinsgesetz von 1951: Sprungbrett oder Hindernis?
Baden gehörte zusammen mit Württemberg, Bremen und Hamburg zu den Ländern, in denen das Preußische Vereinsgesetz von 1850 keine Gültigkeit besaß54. Es lautete: „Ferner dürfen Vereine, welche die Erörterung politischer Gegenstände bezwecken, keine Frauenpersonen, keine Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; sie dürfen nicht mit Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten und Frauenpersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischer Vereine nicht beiwohnen55 “. Es gab also in Baden keine Notwendigkeit zur Entwicklung eigener, autonomer Frauenorganisationen, sondern die Frauen mussten sich den Parteistrukturen der Männer anpassen. Dass dies eher eine Hindernis für die Entwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung in Baden darstellte, als eine Hilfestellung, verdeutlich z.B. der Umgang mit den Parteistatuten der Berliner SPD von 1890, die einräumte, dass die Frauen das Recht hätten, „eine Delegierte aus ihren Reihen zu wählen, im Falle diese Versammlungen keine Frau in den Parteikongreß wählen sollte56 “. Da aber der Klassenkampf und nicht die Frauenemanzipation im Vordergrund stehen sollte, lehnte Ottilie Baader als Stellvertreterin der Berliner Frauenagitationskommission diesen Passus der Parteistatuten ab. Das Ergebnis war, dass keine Frauen mehr gewählt wurden und als Delegierte zu den Parteikongressen gesendet wurden. Die Frauen mussten sich entschließen, die Klausel wiederaufzunehmen57. Ohne Sonderrechte wäre es womöglich nie zu einer sozialdemokratischen Frauenbewegung im selben Ausmaß gekommen. Frauen brauchten jedoch nicht nur diesen Solidarisierungseffekt gegen die männliche Parteiorganisation, sondern auch den gegen die Exekutive des Reiches58. In Baden musste sich Frauen jedoch nicht vor Polizeikontrollen und gesetzlicher Repression fürchten. Um aber zu untersuchen, wie stark sich das „Fehlen“ des Vereinsgesetz ausgewirkt hat, müsste man die Entwicklung in Baden mit der in Württemberg, Bremen und Hamburg vergleichen, was den Rahmen dieser Arbeit weit übersteigen würde. An dieser Stelle werden nur einige Zahlen genannt59: Deutlich wird bei Betrachtung des prozentualen Anteils der Frauen an der Gesamtmitgliedschaft der SPD, dass Württemberg eine ähnliche Entwicklung durchmachte wie Baden; der Anteil weiblicher Mitglieder in Württemberg lag allerdings noch deutlich unter dem in Baden. In beiden Ländern lässt sich ein Aufschwung im Jahreswechsel von 1910/11 zu 1911/12 feststellen. Die Frage, die man sich stellen muss, ist, ob nicht eher die regionale Nähe und somit die Ähnlichkeit der industriellen und agrarischen Strukturen ausschlaggebend für die annährend gleiche Entwicklung ist und das Nichtgelten des preußischen Vereinsgesetzes ein sekundäre Rolle spielte. Mit dem Blick auf Bremen könnte sich die These, dass der wichtigste Faktor bei der Entwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung das politische Partipationsverbot darstellte, noch bewahrheiten, da der prozentuale Anteil weiblicher Mitglieder in der SPD zwar durchaus höher ist als der in Baden und Württemberg, er aber bis zum Jahre 1910 unter Reichsdurchschnitt liegt. Auch Hamburg weist in den Jahren von 1914 und 1915 höhere Prozentzahlen an weiblichen Mitgliedern auf als Baden und Württemberg. Da der Boom weiblicher Teilnahme an der SPD in allen Ländern, von Hamburg fehlen an dieser Stelle die Zahlen, erst in den Jahren nach 1908 erfolgt, also nach der Aufhebung des Preußischen Vereinsgesetzes, müsste man nun annehmen, dass der Einfluss der gesamtdeutschen sozialdemokratischen Frauenbewegung, vor allem der in Berlin, unweit größer war als die regionalen politischen Gegebenheiten. Da sich die Länder Baden und Württemberg auch nach 1908 in Bezug auf den Anteil von weiblichen Mitgliedern in der SPD sehr ähnlich sind, abgesehen von den Kriegsjahren, ist anzunehmen, dass sich die regionalen Strukturen der Wirtschaft und Gesellschaft sehr stark auf die Entwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung ausgewirkt haben.
2.3 Zwischen Orthodoxie und Revisionismus: auch in Baden?
Der Streit der SPD zwischen den Revisionisten, den Anhängern der Bernstein’schen Revisionismustheorie und den Orthodoxen, den Anhängern und „Bewahrern“ der Theorien Marx’ und Engels60, gab es in Baden so gut wie gar nicht. Das Revisionismusprogramm Bernsteins war praktizierte Politik in Baden. Seit 1905 bildeten die Sozialdemokraten in der zweiten Kammer des badischen Landtages zusammen mit den Linksliberalen, Demokraten und Nationalliberalen einen Großblock gegen das Zentrum. Diese Großblockpolitik stellte das weittestgehende Experiment zur Umsetzung der Reformstrategie im deutschen Reich vor 1914 dar. Bis 1913 hatte der Großblock beachtliche Wahlerfolge. Als nach 1913 keine Reformen mehr zu erzielen waren, schied die SPD aus der Koalition aus; dennoch verfolgte sie keine eigenständigen Ziele.
Die Orthodoxie stellte somit eine Minderheit in der badischen SPD. Zu ihren Vertretern zählten z.B. Adolf und Marie Geck. Marie Geck leitete die Zeitschrift „D’r alt Offenburger“, die von ihrem Mann herausgegeben wurde. Außerdem war sie Redakteurin für den Karlsruher „Volksfreund“ und die „Gleichheit“. Trotz Freundschaften mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin pflegte sie den Kontakt zur Leiterin der badischen Ortsgruppe des bürgerlichen Badischen Frauenvereins Olga von Wedelstadt. Für sie war die Frauenbewegung keine Parteisache.
Der reformistische Kurs der sozialdemokratischen Landespartei muss als ein schwächendes Moment der proletarischen Frauenbewegung in Baden gesehen werden. Er ist nicht alleiniges Erklärungsmuster, trug aber zur Milderung der sozialdemokratischen Frauenbewegung bei61.
2.4 Die Aufgabe der Frauen in der Partei
Die in 2.3 erwähnte Marie Geck war im Armenrat der Stadt Offenburg tätig. Die Mitwirkungen der sozialdemokratischen Frauen in den Schul- und Armenkommissionen der Kommunalverwaltungen war eine der wichtigsten Aufgaben. Marie Geck war unter den ersten Mitgliedern der 1906 gegründeten Offenburger Schul- und Armenkommission. Es folgten Kommissionen in Mannheim, Karlsruhe und Freiburg. Seit 1911 fanden sich auch Frauen im Jugendbildungsausschuss62. Ein Überblick über die Tätigkeit der Frauen in der SPD bietet z.B. das Protokollbuch des sozialdemokratischen Frauenvereins Mannheim, Zahlstelle Lindenhof, der Jahre 1905- 14 und 1926-28. Aus ihm geht hervor, dass die Mehrzahl der führenden Frauen in der Zahlstelle mit führenden Männern der lokalen SPD verheiratet waren. Die Kontrolle der Frauen durch die Männer war also politisch und privat motiviert. Der Großteil der Arbeit widmete sich dem Ziel, die Frauen von den ideologischen Grundsätzen der SPD zu überzeugen, so dass vor allem Männer auf den Versammlungen der Frauen Reden hielten. Die Frauen hingegen sahen im Mittelpunkt ihrer Arbeit das „Wohl und Wehe der Familie“. Die Tagespolitik der SPD bestand aus dem Kampf um Reformen und Wahlagitation und um die innerparteiliche geschlechterspezifische Arbeitsteilung.
Dabei kam den Frauen die karitative Rolle zu. So arbeiteten beispielsweise 13 Sozialdemokratinnen 1908 in der Kinderschutzkommission. Sie wollten durch persönliches Einwirken auf die Erziehungsberechtigten und die Arbeitgeber von Kindern Ausbeutung und Misshandlungen vorbeugen oder stoppen63. Neben karitativen Aufgaben erledigten Frauen anfallende Arbeiten wie das Einsammeln von Mitgliedsbeiträgen oder Gebühren für die Parteipresse.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Wie in anderen Ländern zeigt sich auch in Baden, dass die sozialdemokratische Frauenbewegung keine Arbeiterinnenbewegung, sondern eine von Ehefrauen der Parteigenossen geführte Bewegung war. Zeigte sich bei der Zahl weiblich Beschäftigter in den Industrien ein Süd-Nord-Gefälle, wies die Aktivität der sozialdemokratischen Frauenbewegung Badens ein Nord-Süd-Gefälle auf, das dem der Partei entsprach. Außerdem wurde deutlich, dass die Aufgabengebiete der Frauen in der SPD Badens ähnliche waren wie die der Frauen der SPD in anderen Teilen des Reiches. Die badische Bewegung lief im Gegensatz zu anderen Ländern erst sehr spät an und erreichte auch nie das Ausmaß anderer Länder. Warum?
Zunächst gab es, wie in 2.1 deutlich wurde, sehr viele Arbeiterinnen in der Industrie, da sich in Baden vor allem die sogenannten „Frauenindustrien“ angesiedelt hatten. Abgesehen von weiblichen Fabrikinspektoren hatte Baden auch keine anderen Schutzmaßnahmen zu bieten als andere Länder. Darüber hinaus bekamen die Arbeiterinnen Badens, wie auch in anderen Ländern üblich, weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Die soziale Frage stellte sich, besonders bei ledigen Arbeiterinnen, auch hier.
Ein besonders wichtiger Grund für die späte Entwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung stellte das Fehlen des Gruppengefühls dar. Zum einen scheint dies begründet in der Verflechtung ländlicher und industrieller Räume. Die Fabrikarbeit war für viele bloß Übergangslösung, bis man einen Heiratswilligen gefunden hatte. Nach der Heirat kehrte man in den landwirtschaftlichen Betrieb zurück. Die Fabrikarbeiterin des südlichen Badens fühlte sich selbst mehr Bäuerin als Arbeiterin. Da sie sich selbst nicht als Arbeiterin verstand, engagierte sie sich auch nicht für die Interessen der Arbeiterklasse. Hinzu kam, wie auch in andern Ländern, die hohe Belastung durch lange Arbeitszeiten, Haushaltsführung und oft auch Kindererziehung. Es blieb wenig Zeit für die Politik. Die männlichen Parteistrukturen waren für männliche Parteigenossen angelegt; nicht für Frauen. Und die männlichen Parteimitglieder hatten wenig Interesse an Frauen in ihren Reihen; ein gesamtdeutsches Phänomen, das einst fälschlicherweise als „proletarischer Antifeminismus“64 bezeichnet wurde. So wurden auch in Baden Frauenorganisationen von wenigen Männern wie Emil Eichhorn oder Adolf Geck wahrgenommen und gefördert. Frauen mussten in Baden keine speziellen Organisationen bilden und konnten sich der männlichen Parteiorganisation anschließen. Dabei hatte das preußische Vereinsgesetz oft starker Solidarisierung unter den Frauen geführt. Allerdings darf die Erlaubnis zur politischen Partipation der Frauen nicht als dominierender Grund für die schwache proletarische Frauenbewegung gewertet werden. Abschließend lässt sich formulieren, dass die Verhältnisse der Arbeiterinnen und deren hohe Zahl im Süden des Landes dazu geführt haben, dass die SPD in Südbaden sehr schwach ausgeprägt war. Die Folge einer schwachen SPD in Südbaden, war auch eine schwache sozialdemokratische Frauenbewegung im Süden. Hätte es dort mehr Parteiorganisation gegeben, hätte es auch Ehefrauen von Parteigenossen gegeben, die eine sozialdemokratische Bewegung in Gang gebracht hätten. Das heißt wiederum, dass das Zentrum der proletarischen Frauenbewegung im Norden Folge des Zentrums der SPD war und diese Konsequenz der Industrien mit hohem männlichen Arbeiteranteil. Von Pforzheim, einer Stadt mit hohem weiblichen Anteil der Industriearbeiter, habe ich bei meiner Recherche im Zusammenhang mit der proletarischen Frauenbewegung nichts gehört.
Die nordbadische Frauenbewegung wurde stark von der gesamtdeutschen beeinflusst, was sich vor allem an der Zunahme weiblicher Mitglieder in der SPD in den Jahren nach 1908, also nach der Aufhebung des preußischen Vereinsgesetzes, ablesen lässt. Führende Köpfe der sozialdemokratischen Frauenbewegung Badens waren mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin befreundet, Luise Zietz sprach auf badischen Frauenkonferenzen.
Die badische sozialdemokratische Frauenbewegung war ein Ergebnis der gesamtdeutschen Bewegung. Sie konnte sich aber nur auf Nordbaden ausdehnen, da nur hier ein größeres männliches Proletariat zur Verfügung stand, das Ehefrauen für eine Frauenorganisation mitbrachte. Die Möglichkeit zur politischen Partizipation und somit der Zwang zur Anpassung an die männliche Parteiorganisation tat ihr übriges zur Schwächung der sozialdemokratischen Bewegung Badens. Hinzu kam der reformistische Kurs der SPD Badens, der sich ebenfalls als mildernder Faktor auf die Bewegung auswirkte.
Literaturverzeichnis
1. Asche, Susanne, Karlsruher Frauen: 1715-1945, eine Stadtgeschichte, Karlsruhe 1992 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Bd. 15).
2. Bocks, Wolfgang, Diss., Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879-1914, Freiburg i. Br. 1977 (=Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, Bd. 37).
3. Elsässer, Konrad, Die badische Sozialdemokratie 1890-1914: Zum Zusammenhang von Bildung und Organisation, Marburg 1978 (=Schriftenreihe für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung Marburg, Bd.14).
4. Encyclopedia of European History from1350 to 2000, Bd.4 .
5. Evans, Richard J, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, Berlin 1979.
6. Guttmann, Barbara, Weibliche Heimarmee in Deutschland 1914-1918, Weinheim 1989.
7. Haist, Karin, „Sie dächten daran zurück wie an eine Zuchthausarbeit“. Fabrikinspektionsberichte als Quelle für die Lage der badischen Textilarbeiterinnen im späten 19. Jahrhundert, in: Arbeitsgruppe volkskundliche Frauenforschung Freiburg (Hg.), Frauenalltag - Frauenforschung, Frankfurt/M. 1988.
8. Schadt, Jörg, Die Sozialdemokratische Partei in Baden . Von den Anfängen bis zur Jahrhundertwende (1868-1900), Hannover 1971 (=Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich- Ebert-Stiftung, Bd. 88).
9. Thönnessen, Werner, Frauenemanzipation, Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933, Frankfurt/M. 1969.
10. Thomas, Ilse, Brummert, Ulrike, Schraut, Sylvia (Hg.), Frauen , nichts als Frauen: historischer Stadtrundgang durch Mannheim, Bd. 1, Mannheim 1995.
11. Thomas, Ilse, Schraut, Sylvia (Hg.), Zeitenwandel. Frauengenerationen in der Geschichte Mannheims, Bd. 2, Mannheim 1995.
[...]
1 Jörg SCHADT, Die Sozialdemokratische Partei in Baden . Von den Anfängen bis zur Jahrhundertwende (1868-1900), Hannover 1971 (=Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 88).
2 Vgl. Ebd. S.146.
3 Konrad ELSÄSSER, Die badische Sozialdemokratie 1890-1914: Zum Zusammenhang von Bildung und Organisation, Marburg 1978 (=Schriftenreihe für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung Marburg, Bd. 14).
4 Barbara GUTTMANN, Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918, Weinheim 1889.
5 GUTTMANN, Heimarmee, S. 38.
6 Ilse THOMAS, Ulrike BRUMMERT, Sylvia SCHRAUT (Hg.), Frauen , nichts als Frauen: historischer Stadtrundgang durch Mannheim, Bd. 1, Mannheim 1995, S. 52.
7 Vgl. Ebd.
8 Vgl. Kapitel 1.3: Die Löhne: ein Phänomen im deutschen Kaiserreich?
9 THOMAS, Frauen, S. 53.
10 Guttmann, Heimarmee, S. 42.
11 Vgl. Ebd. S. 39.
12 Vgl. Ebd. S. 42.
13 Vgl. Kapitel 2.1: Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung in Baden.
14 KARIN HAIST, „Sie dächten daran zurück wie an eine Zuchthausarbeit“. Fabrikinspektionsberichte als Quelle für die Lage der badischen Textilarbeiterinnen im späten 19. Jahrhundert, in: Arbeitsgruppe volkskundliche Frauenforschung Freiburg (Hg.), Frauenalltag - Frauenforschung, Frankfurt/M. 1988, S. 299- 300.
15 WOLFGANG BOCKS, Diss., Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879-1914, Freiburg i. Br. 1977 (=Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, Bd. 37), S. 326.
16 GUTTMANN, Heimarmee, S. 37-38.
17 Vgl. Ebd. S. 39.
18 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 300.
19 Vgl. Ebd. S. 298.
20 Vgl. Ebd. S. 300: Marie Baum, Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe, Karlsruhe 1906, S. 217.
21 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 301.
22 GUTTMANN, Heimarmee, S. 41.
23 Encyclopedia of European History fom 1350 to 2000, Bd. 4, S. 487.
24 THOMAS, Frauen, S. 54-55.
25 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 303-304.
26 THOMAS, Frauen, S. 55.
27 BOCK, Fabrikinspektion, S. 326-237.
28 Vgl. Ebd. S.330.
29 Vgl. Ebd. S. 332.
30 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 301.
31 THOMAS, Frauen, S. 58.
32 Vgl. Ebd. S. 57.
33 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 302.
34 Vgl. Ebd. S. 297.
35 THOMAS, Frauen, S. 54.
36 BOCK, Fabrikinspektion, S. 419.
37 THOMAS, Frauen, S. 55-56.
38 HAIST, Fabrikinspektionsberichte, S. 303.
39 Vgl. Ebd. S. 301-302.
40 GUTTMANN, Heimarmee, S.110.
41 Richard J. EVANS, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, Berlin 1979, S. 163-169.
42 GUTTMANN, Heimarmee, S. 111.
43 ELSÄSSER, Sozialdemokratie, S. 97.
44 GUTTMANN, Heimarmee, S. 111.
45 ELSÄSSER, Sozialdemokratie, S. 98.
46 Susanne ASCHE, Karlsruher Frauen: 1715-1945, eine Stadtgeschichte, Karlsruhe 1992 (=Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchiv), S. 246.
47 GUTTMANN, Heimarmee, S. 113.
48 EVANS, Frauenemanzipation, S.337-339.
49 Zum Preußischen Vereinsgesetz von 1850: siehe Kapitel 2.2.
50 EVANS, Frauenemanzipation, S. 339.
51 GUTTMANN, Heimarmee, S. 113.
52 ASCHE, Karlsruher Frauen, S. 248.
53 GUTTMANN, Heimarmee, S. 112.
54 GUTTMANN, Heimarmee, S. 110.
55 Ilse THOMAS, Sylvia SCHRAUT (Hg.), Zeitenwandel. Frauengenerationen in der Geschichte Mannheims, Bd. 2, Mannheim 1995, S. 402.
56 EVANS, Frauenemanzipation, S. 86.
57 Vgl. Ebd. S. 86-87.
58 GUTTMANN, Heimarmee, S. 110.
59 Im Folgenden: EVANS, Frauenemanzipation, S. 339-340.
60 EVANS, Frauenemanzipation, S. 118-128.
61 GUTTMANN, Heimarmee, S. 108-109.
62 Vgl. Ebd.
63 Vgl. Ebd. S. 111-112.
64 Werner THÖNNESSEN, Frauenemanzipation, Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933, Frankfurt/M. 1969, S. 12.
- Quote paper
- Sonja Walther (Author), 2001, Die proletarische Frauenbewegung in Baden zur Zeit des deutschen Kaiserreichs im Spiegel der Lage der Industriearbeiterinnen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106716
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