Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Machiavellis Vita und die Krise in Florenz
1.1. Stagnation, Machtwechsel und Schicksal
1.2. Machiavellis Menschenbild
2. Machiavellis uomo virtuoso
2.1. Politischer Erneuerer und Ordnungsstifter
2.2. Der Abtritt des Fürsten
3. Der Republikaner Machiavelli
3.1. Das Vorbild der wohlgeordneten römischen Republik
3.2. Die bürgerliche Freiheit und das Gemeinwohl
4. Der Patriot Machiavelli
4.1. Expansion im Stile Roms
4.1. Der republikanische Patriot
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
0. Einleitung
Gegenstand dieser Seminararbeit sind die disparaten Konzepte der Alleinherrschaft eines uomo virtuoso, versus der republikanisch-nationalstaatlichen Option, in Niccoló Machiavellis Hauptwerken Il Principe und den Discorsi. Während Machiavelli dem uomo virtuoso im Principe Skrupellosigkeit und politisches Machtkalkül jenseits von Ethik und Moral zur Stabilisierung der Ordnung empfahl, schwärmte er in den Discorsi von der römischen Republik, bürgerlicher Freiheit und dem Gemeinwohl als Garanten politischer Beständigkeit. Machiavellis scheinbar divergierende Vorstellungen sollen analysiert und hypothetisch verknüpft werden. Die zentrale These muss also lauten:
Das von Machiavelli im Principe erörterte und propagierte Konzept einer Fürstenherrschaft des uomo virtuoso hatte nur die Intention einer temporären und ordnungsstiftenden Interimslösung. Primäres Endziel Machiavellis war die Etablierung einer wohlgeordneten und vereinten Republik Italien nach römischem Vorbild, wie in den Discorsi beschrieben.
Zur Verifizierung und Falsifizierung der These ist es unumgänglich den historischen Kontext in Machiavellis Heimatstadt Florenz, seine persönlichen Lebensumstände sowie sein Menschenbild genauer zu betrachten. Danach sind Machiavellis zwei Staatskonzeptionen (Fürstentum und Republik) zu behandeln und im Hinblick auf die oben genannte Fragestellung zu prüfen, wobei es besonders die Konsolidierungs- und Überbrückungsfunktion des uomo virtuoso sowie Machiavellis Präferenz für die Republik herauszustellen gilt. Zuletzt soll geklärt werden, ob Machiavelli tatsächlich den vereinten italienischen Nationalstaat in Form einer Republik anstrebte.
Die Auswahl der Sekundärliteratur zum Thema erfolgte hauptsächlich nach den Kriterien der Aktualität und der Kontextbezogenheit zur speziellen These. Als besonders ergiebig erwiesen sich dabei die englischen Publikationen sowie das Internet.
Die Auseinandersetzung mit der Materie reizte mich sehr, da sich besonders beim verteufelten und verehrten Machiavelli die Ambivalenzen und Abgründe aber auch die Hoffnungen der Politik in all ihren Facetten zeigen.
1. Machiavellis Vita und die Krise in Florenz
1.1. Stagnation, Machtwechsel und Schicksal
Machiavellis politische Theorie entstand unter dem Eindruck von Kriegen, Überfällen und Plünderungen, forciert durch den sukzessiven aber offensichtlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang von Florenz. Bis zum Jahr 1498 ist über Niccoló Pietro Michele Machiavellis Leben nicht viel mehr bekannt, als dass er einer kleinbürgerlichen Sippe aus Kanzlerschreibern und Aristokraten entstammte und dass sein Vater für eine sorgfältige humanistische Ausbildung Machiavellis sorgte. (vgl.: Münkler, 1991, S.16/27)
Bis 1492 war Lorenzo de Medici Herrscher des Stadtstaates Florenz, und alle wichtigen Ämter waren fest in der Hand der mächtigen Bänkerfamilie de Medici. Mit dem Tod Lorenzos des Prächtigen ging auch die Blütezeit der Renaissance in Florenz zu Ende. 1494 wurde der Nachfolger und Sohn Lorenzos, Piero genannt der Unglückliche, mitsamt der Medici-Familie aus der Stadt vertrieben. Es folgte eine schwere innenpolitische Krise, in deren Verlauf der Dominikanerprior Savonarola eine auf strengen Gottesglauben und Entsagung allen Luxus beruhenden Theokratie installierte. Zum Verhängnis wurde ihm jedoch sein fanatischer und waffenloser Kampf gegen die Kirche und den Papst. Dieser exkommunizierte Savonarola 1498 und ließ ihn hinrichten. Seine Anhänger wurden aus allen politischen Ämtern entfernt.
Eines der nun frei gewordenen Ämter war das des Chefs der zweiten Staatskanzlei, und der fast unbekannte 29jährige Aristokratensohn Machiavelli wurde auf Grund seiner humanistischen Kompetenzen mit der Leitung der „Seconda Cancelleria“ beauftragt. Er war für Schreib- und Verwaltungsaufgaben zuständig und auch über die innen- und außenpolitische Lage von Florenz informiert. Machiavellis Position führte viele Auslandsreisen im Namen von Florenz mit sich, zum Beispiel nach Frankreich zu Ludwig dem XII., zu Kaiser Maximilian aus dem Hause Habsburg oder zu italienischen Kleinfürsten wie dem Sohn von Papst Alexander des VI., Cesare Borgia. Alle diese diplomatischen Reisen prägten Machiavelli in seinem Denken, besonders die zu Borgia.
Dessen skrupellose und vor keiner Tat zurückschreckende Handlungsweise, die es bewerkstelligte jeden Widerstand in den eigenen Reihen zu brechen und so seine Macht zu sichern, beeindruckte Machiavelli nachhaltig. Speziell an Cesare Borgia, der sich meisterhaft mit List, Tücke und Brutalität durchzuschlagen verstand, studierte Machiavelli intensiv wie in einem zerrissenen Land politische Macht aus dem Nichts gewonnen, gehalten und vermehrt werden kann, wenn vor keinem Mittel zurückgeschreckt wird.
Niccolò Machiavellis politische Karriere dauerte insgesamt 14 Jahre an. Sein größter Erfolg in diesem Zeitraum war die Rückeroberung von Pisa unter seiner Leitung. Florenz versuchte lange Zeit vergeblich, Pisa mit Hilfe von Söldnertruppen wieder einzunehmen. Machiavelli, der den Söldnern den Sieg nicht zutraute, regte die Aufstellung einer Bürgermiliz an, der 1509 die Einnahme der abtrünnigen Stadt gelang. 1511 wandte sich Papst Julius II. gegen Frankreich und Florenz, welches trotz einiger Unstimmigkeiten immer noch an Frankreich gebunden war, musste sich nun gegen den Papst stellen. Das französische Heer wurde jedoch mit Hilfe der Spanier und der Papsttruppen aus Italien vertrieben und so stand Florenz den Gegnern allein gegenüber. (vgl:www.geocities.com/machiaveli_1469/material04.htm) Nachdem die spanischen Truppen Florenz 1512 zur Kapitulation zwangen, gelangten nach einer 18jährigen Abwesenheit die Medici wieder an die Macht.
Die republikanische Verfassung hatte abzudanken und mit ihr Machiavelli, einer ihrer glühendsten Parteigänger. Alsbald wurde der nunmehr arbeitslose und unter Verschwörungsverdacht geratene Machiavelli im Alter von 43 Jahren aus der Stadt in die politische Wüste verbannt. (vgl.: Skinner, 1990, S.40) Im Exil seines Landguts widmete er sich dann der Verfassung zahlreicher politischer und theoretischer Schriften, darunter seine Hauptwerke die Discorsi und Il Principe (Der Fürst).
Im Principe schrieb er über die Fürstentümer, die Discorsi handeln von den Republiken. Die flüchtige und isolierte Lektüre des Principe lässt Machiavelli als Verfechter des monarchischen Fürstentums unter einem politisch tüchtigen Mann, dem uomo virtuoso erscheinen. Doch bezieht man die viel gedankenreicheren Discorsi mit ein zeigt sich, dass Machiavelli zweifellos mit dem Regime der Republik sympathisierte, ohne dass er diese im Allgemeinen für anwendbar hielt und uneingeschränkt guthieß. (vgl.: Schmitt, 1986, S.171)
Wie oben gezeigt war Machiavellis Vita eng mit dem Niedergang des republikanischen Regimes in Florenz verknüpft.
So lag dem Patrioten Machiavelli das Schicksal seiner Heimatstadt Florenz auch besonders am Herzen. Dieses Anliegen wird fast permanent und stringent in seinen Schriften reflektiert.
„Whenever he cites an indispensable aspect of virtuoso leadership, he pauses to indicate that the decline of the Florentine republic and its ignominous collaps in 1512 were due in large part to a failure to pay sufficient attention to this crucial quality.” (Skinner, 1996, S.60)
Die Omnipräsenz dieser Umstände - der Krise des humanistischen Menschenbildes und Machiavellis persönlicher Schicksalsschläge - begründete die krisenbewältigenden, ordnungsstiftenden und stabilisierenden Tendenzen und Intentionen in Machiavellis politischer Theorie. (vgl.: Münkler, 1991, S.17) Gerade die inneritalienische Lage veranlasste Niccolò Machiavelli erst in der Praxis, und nach seiner unfreiwilligen politischen Abstinenz 1512 auch in der Theorie und in von ihm entwickelten Handlungsanweisungen eine Wende einzuleiten. Vor allem die tiefe wirtschaftliche und politische Krise in der sich Florenz befand war mitunter ursächlich für die Radikalität und Polemik in Machiavellis Schriften. So unterstreicht Münkler:
„Dem zunehmenden Verlust der republikanischen Substanz in der Verfassung des Stadtstaates entspricht die dominierende Stellung, die der individuell-ästhetische Entwicklungsstrang des Humanismus über den bürgerlich-republikanischen errungen hatte. Die in der Phase des politischen und ökonomischen Aufstiegs der Stadt eng miteinander verbundenen Elemente des Individualismus und der rationalen Konstruktion des Politischen, gleichermaßen Ausdruck der Überwindung des mittelalterlichen Weltbildes, gerieten nun immer stärker in Opposition zueinander: Politisches Engagement und die Verfolgung der individuellen Interessen schienen immer weniger miteinander vereinbart werden zu können. Dieses Dilemma hat dann auch in Machiavellis politischer Theorie seinen Niederschlag gefunden."
Florenz und das restliche Italien standen zur Zeit der Krise quasi als Reibungsfläche unter dem Einfluss der aufstrebenden europäischen Nationalstaaten wie Frankreich und Spanien sowie dem Papsttum, was Machiavelli als eine von der Schicksalsmacht (Fortuna) hervorgerufene politische Konstellation betrachtete. (vgl.: Münkler, 1990, S.240/304)
Der Zusammenbruch des italienischen Gleichgewichtssystems (equilibrio) resultierte also aus äußeren Faktoren wie der französischen Invasion 1494 und aus internen Entwicklungen wie Piero de’ Medicis unglückliche Diplomatie.
So begann die tragische Situation Machiavellis nicht erst mit dem schmerzhaften Verlust seiner Ämter und der Verbannung 1512, sondern schon zehn Jahre früher, als er erkannte, dass die hinhaltende Politik der Florentiner Republik keine Lösung der italienischen Krise enthielt. Unter diesen Umständen konnte die Republik nur bestehen, wenn es zu keiner außer- oder inneritalienischen Machtakkumulation kam. Dabei war Florenz selbst nicht in der Lage die italienische Stagnation aus eigener Kraft zu lösen.
Der überzeugte Republikaner Machiavelli hingegen sah ein, dass nur ein die Oberhand gewinnender italienischer Staat Krisenlösungspotential habe. Allerdings wusste er auch, dass dieser Staat unter den gegenwärtigen Konditionen keine Republik sein könne. So stand Machiavelli in seiner politischen Praxis stets zu Diensten der Florentiner Republik, in der politischen Theorie des Principe allerdings ist das republikanische Konzept unvereinbar mit der italienischen Krisenüberwindung und Erneuerung.
1.2. Machiavellis Menschenbild
Mit der politischen und ökonomischen Krise von Florenz und Italien war auch eine grundlegende Wandlung des humanistischen Menschenbildes eingetreten, nicht zuletzt forciert durch Machiavelli. (vgl.: Münkler, 1990, S.353ff./272) Nach der glücklichen Periode und kulturellen Hochblüte in Florenz zu den Zeiten von Cosimo dem Älteren und Lorenzo „ il Magnifico “ dem Prächtigen erlahmten die republikanischen Tugenden und der Unternehmergeist der Florentiner. Staatsverdrossenheit, Dekadenz und Sittenverfall griffen um sich, während die kommunalen Finanzen und der fortlaufende Wechsel zwischen Medici-Herrschaft und Republik die innere Konsistenz von Florenz destabilisierten. Das inneritalienische Gleichgewicht zwischen der Pentarchie Florenz, Venedig, Mailand, Neapel und dem Kirchenstaat brach um 1512 in sich zusammen.
Das in kleine Stadtstaaten fragmentierte Italien erlebte einen bellum omnium contra omnes der Kommunen und wurde zum Schauplatz der spanisch-französischen Machtkämpfe um die europäische Vormachtstellung, welche einst in den Händen Italiens lag. Aus der italienischen Krise und seinem persönlichen Schicksal lässt sich Machiavellis Pessimismus, sein negatives Menschenbild und die Entstehung des Principe erklären. Bis ca.1515 hatte er das Werk in einer Art Fieberrausch unter dem Eindruck dieser zweifachen Krise verfasst und dafür seine Arbeit an den Discorsi unterbrochen. Machiavellis Ziel war es, die Geschichte durch die Erkenntnis ihrer Gesetzmäßigkeiten beherrschbar zu machen. (vgl.: Münkler, 1990, S.248)
Nur die Einigung Italiens, die Befreiung von den Barbaren unter einem uomo virtuoso und dem obersten Ziel der Selbsterhaltung des Staates ermögliche den Ausweg aus dem Chaos. (vgl.: Riklin, 1996, S.32-37)
Machiavelli sah zwei Möglichkeiten, um den entfesselten und „verderbten“ Ehrgeiz (ambizione) der Menschen zu bändigen und die Stabilität wiederherzustellen:
a. die Menschen erweisen sich als mutige, politisch tatkräftige und entschlossene Bürger eines demokratisch-republikanischen Kollektivs (virt ú der Vielen)
b. oder die ambizione muss durch staatliche Repressionen eingedämmt werden, wobei die Menschen zu Untertanen des Principe an der Spitze eines Fürstentums werden (virt ú des Einzelnen)
Diese Alternativen erklären auch die unterschiedlichen Präferenzen Machiavellis in seinen beiden Werken: Im politischen Traktat Il Principe befasste sich Machiavelli hauptsächlich mit der ad hoc Ordnungsstiftung in seiner von einer innenpolitischen Krise betroffenen Heimatstadt Florenz und mit dem Umstand der durch den uomo virtuoso eingeschränkten ambizione der Bürger.
Die Konditionen zur Stabilisierung einer bereits vorhandenen republikanischen Ordnung handelte er in den Discorsi am Beispiel der römischen Republik ab, (vgl.:Oberndörfer, 2000, S.135) und setzte republikanische Bürger voraus die ihren Ehrgeiz freiwillig limitiert haben um die Regierungsgewalt selbst ausüben können, ohne dass der Staat im politischen Chaos versinkt.
Auch wenn Niccoló Machiavelli beide Alternativen analysiert hat, galt seine Sympathie immer der republikanischen Lösung. Er ist somit der bürgerlichpolitischen Variante des Humanismus zuzurechnen.
In Münklers Kapitel über den „anthropologischen Pessimismus als Legitimation staatlicher Repression“ wird Machiavelli gar die These von der permanenten Korruptibilität des Menschen unterstellt.
Nach Machiavelli solle der Mensch gesehen werden wie er ist und nicht wie er sein sollte. Dies beweist seine Ausführung im XVII. Kapitel des Fürsten:
Die Menschen sind undankbar, unbeständig, heuchlerisch, furchtsam und eigennützig. („Der Fürst“ in Münkler, 1991, S.94-95)
Machiavellis Menschenbild erfüllte eine doppelte Funktion. Zum einen logische Voraussetzung und zum anderen Legitimation des modernen Staates. Da Machiavelli den Menschen als böses und herrschsüchtiges Geschöpf bezeichnete, rechtfertigte er staatliche Repression und Autorität. Allerdings ließ er damit auch die Grenzen der Ethik im politischen Handlungsbereich verschwinden und deutete ganz unverhüllt auf die Repressionsfunktion des Staates. Die Selbsterhaltung des Staates erachtete Machiavelli als primäres Ziel, wobei der Staat auch zum Erzieher und Normenleitbild der Menschen wurde. Nur staatlich-politische Maßnahmen könnten die natürliche Entwicklung des bösen und dekadenten Menschen hemmen.
So könne der ehrgeizige und habsüchtige Mensch einer gefestigten politischen Ordnung nichts anhaben, seine ambitionierten Ziele (per ambizione) sollten gar durch sie limitiert werden.
Machiavellis Menschenbild variierte durch diese von ihm geschaffene Option einer politischen Umerziehung durch die staatliche Ordnungsmacht zwischen einem guten und einem schlechten Menschenbild. (vgl.: Münkler, 1990, S.264-275) Das gute Menschenbild begründet die Etablierung einer bürgerlicher Republik. Das schlechte Menschelbild hingegen wurde von Machiavelli kausal verknüpft mit der Forderung nach einer ordnenden Hand, einem politisch ambitionierten und tüchtigen, zuweilen skrupellosem Herrscher.
2. Machiavellis uomo virtuoso
2.1. Politischer Erneuerer und Ordnungsstifter
Machiavellis Ziel war die „Heilung“ Italiens. Um dieses Ziel zu erreichen und die virt ú zu reaktivieren, war ihm auch das vorübergehende Gift des uomo virtuoso recht. (vgl.: Münkler, 1990, S.318) In den Zeiten einer politischen Krise und des Zerfalls der Ordnung seien nach Machiavelli die politische Tüchtigkeit, Skrupellosigkeit, Klugheit und Rationalität (ergo: virt ú) eines einzelnen politischen Erneuerers gefragt. Dieser uomo virtuoso sollte seine Herrschaft installieren und stabilisieren, um die Ordnung zu konsolidieren. Ist dies geschehen müsse der ordnungsstiftende uomo virtuoso zu Gunsten der Konstituierung eines republikanischen Gemeinwesens auf seine Macht verzichten, denn Machiavelli betrachtete die Herrschaft des Volkes als einzig beständige. (vgl.: Oberndörfer, 2000, S.137)
Nur außergewöhnliche, couragierte Männer seien in Machiavellis Augen fähig das politische Leben in einer Republik ordentlich wiederherzustellen. Dazu müssten die monarchistischen Elemente aber zeitweise über die aristokratischen und demokratischen Bestandteile einer gut geordneten Republik dominieren. Die Herrschaft der Gesetze und die Herrschaft der mit virt ú beseelten Männer waren einander bedingende, essentielle Komponenten der republikanischen Theorie Machiavellis. Wenn die Gesetze noch nicht festgelegt oder durch Korruption untergraben sind, sei es die Aufgabe eines Mannes von virt ú sie zu (re)installieren. Ist diese Arbeit abgeschlossen soll die Republik der Mehrheit anvertraut werden. (vgl.: Viroli, S.146f.)
„So gibt uns Machiavelli auch keine Staatstheorie, sondern bestenfalls eine Lehre vom Notstaat, eine Lehre vom Staat im Krisenstand des Lebens, die in der Krisenanalyse der Discorsi fundiert ist.“ (König, 1979, S.335)
Persönlich gab Machiavelli immer der Republik und den demokratischen Verfassungselementen den Vorzug, wobei diese für ihn in der virt ú der republikanischen Bürger kulminierten. Doch war ihm auch klar, dass beim Fehlen dieser republikanischen virtú der Staatsbürger, die Republik kein Bestand haben könne und nur noch die Tüchtigkeit und Kompetenz des uomo virtuoso als Alternative verblieb.
Diese Alternativlösung hatte indes den Verlust der freiheitlichen Verfassung zur Folge.
„Allerdings hat Machiavelli für die Verwirklichung der republikanischen Demokratie immer zur Voraussetzung gemacht, daß das Volk der virt ú teilhaftig sei; fehlte diese, so war die Republik zum Untergang verurteilt. Eine der politischen Lösungen, die er unter der Bedingung des Fehlens einer republikanischen virt ú ins Auge gefasst hat, war die Errichtung eines Prinzipats durch einen uomo virtuoso. Anders formuliert: Ist die republikanische Ausformung der virt ú untergegangen, so muß der noch verbliebene ‚Rohstoff’ der Politik mobilisiert werden, um den Staat stabil zu halten, ganz gleich mit welchen Mitteln und mit welchem Preis.“ (Münkler, 1990, S.328)
Dem uomo virtuoso hat Machiavelli damit nur eine historisch begründete Priorität eingeräumt. Die virt ú und staatsbürgerliche Gesinnung des Volkes als Bedingung staatlicher Stabilität und Funktionalität hat er dagegen absolut präferiert. Politisch aktiv soll der uomo virtuoso nur zu Zeiten einer tiefgreifenden Krise und bei der Notwendigkeit einer staatlichen Neugründung werden.
Machiavelli war im Grunde genommen sogar ein Gegner staatlicher Willkürpolitik. Permanent forderte er Rechtssicherheit und die möglichst breite Beteiligung der Bürger an der Lösung politischer Aufgaben. Nur unter dieser republikanischen Option wusste er die innere politische Stabilität eines Staates gesichert. (vgl.: Münkler, 1990, S.324ff./396)
„Und was die Klugheit und Beständigkeit anlangt, so sage ich, daß das Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat als ein Alleinherrscher.“ („Discorsi“ in Münkler, 1991, S.211)
Relativierend müssen diese durchaus lobenswerten Prämissen allerdings in Machiavellis prinzipieller Orientierung an der Effizienz politischen Handelns, nicht aber in vermeintlich ethische Überzeugungen eingebettet werden. Er benutzte den Fürst quasi als Verfassungsgeber, sprach ihm aber die Fähigkeit zur dauerhaften Sicherung einer Staatsgründung ab. Wobei umgekehrt das Volk nicht zur Gründung eines Staates, sondern eher zu dessen Bewahrung prädestiniert sei. Nur die „take-off“ Phase des wiederaufzurichtenden Staates sollte also unter Federführung eines einzelnen, kraftvollen Mannes stehen.
Nicht ethische Normen und Werte, sondern allein effiziente und rational kalkulierte politische Handlungen vermögen die Stabilität einer politischen Ordnung zu sichern.
Die Erhaltung des Staates (mantenere lo stato) stand für Machiavelli in jedem Fall über der Einhaltung ethischer Direktiven.
Die Selbsterhaltung des Staates und damit der politischen Gemeinschaft gegen das Auf und Ab der Geschichte sowie die Funktionstüchtigkeit des Staates wurde bei Machiavelli zur obersten Norm politischen Handelns. (vgl.: Münkler, S.281ff./305) Trotzdem kommt nach Machiavelli kein politisches System, selbst die Republik nicht, ohne herausragende Führerpersönlichkeiten aus. Die Menge sei sonst ohne Haupt. Machiavelli führt aus, dass der erste Schritt, die Einrichtung einer Republik oder eines Fürstentums, nicht durch die virt ú vieler Köpfe herbeigeführt werden könne, da die Heterogenität ihrer Meinungen eher destabilisierend und kontraproduktiv seien. (vgl.: Riklin, 1996,S.104/112) Machiavelli determinierte zur Krisenbewältigung diesen außerordentlichen Mann und ebenso außerordentliche Maßnahmen, um eine von der virt ú des Volkes und der Herrschaft der Gesetze getragen Republik zu reinstallieren. Die einmalige historische Gelegenheit, welche Machiavelli zur Bewältigung der italienischen Krise im Jahre 1513 gesehen hat ist nicht genutzt worden, da es niemanden gab, der sie zu nutzen verstand oder weil die Chance in der Form gar nicht existent war. Dies stellt aber keinen Einwand gegen seine politische Theorie dar. Der Verlauf der Geschichte bestimmte letztendlich die tragische Ironie in Machiavellis Leben. Am 6. Mai 1527 wurde Rom durch ausländische Invasoren erobert und geplündert und damit das Ende der italienischen Renaissance eingeleitet. Italien stand nun unter spanisch-habsburgischer Hegemonie Am 22. Juni 1527 starb Machiavelli in Florenz. (vgl.: Münkler, 1990, S.263ff.)
2.2. Der Abtritt des Fürsten
Der uomo virtuoso sollte die Krise, also den Verfall der Gesetze und die Politikverdrossenheit durchaus ohne Skrupel ausnutzen und die Gelegenheit (occasione) beim Schopfe packen doch seine finale Bestimmung liege darin, sich selbst überflüssig zu machen.
Der politische Erneuerer solle sich nach der von ihm ausgeführten ordnenden Phase selbstlos zurückziehen und einer von Gesetzen getragenen Republik freie Entwicklung gewähren.
Machiavelli hat die italienische Krise für überwindbar gehalten, in ihr sogar die Möglichkeit eines neuen politischen Aufstiegs Italiens gesehen. Gleichzeitig nannte er aber drei imperative Bedingungen als Handlungsanweisungen für den uomo virtuoso: die Skrupellosigkeit der politisch Handelnden, das Verbot, politischen Irrtümern zu verfallen, und den Zwang, niemals das Gesetz des Handelns aus der Hand zu geben.
„Ein Fürst darf daher die Nachrede der Grausamkeit nicht scheuen, um seine Untertanen in Treue und Einigkeit zu erhalten; denn mit einigen Strafgerichten, die du verhängst, bist du menschlicher, als wenn du durch übertriebene Nachsicht Unordnungen einreißen läßt, die zu Mord und Raub führen.“ (Machiavelli, Der Fürst, S.82f.)
Das Ziel des politischen Handelns des uomo virtuoso sei nicht die Begründung einer dauerhaften Herrschaft über das Volk die möglicherweise auf Grund der Einrichtung einer Thronfolge von seinen Nachkommen weitergeführt würde, denn Machiavelli bezweifelte, dass virtu vererbbar sei. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass der Nachkomme des uomo virtuoso ein gewöhnlicher, schlechter und vom Ehrgeiz besessener Mensch sei. Die Konsequenz wäre der Missbrauch der Herrschaft zum eigenen Vorteil.
Machiavelli verlangte deshalb von dem Herrscher die von ihm geschaffene Ordnung dahingehend zu entwickeln, dass sie die Fähigkeit zur Selbsterhaltung erlangt, also einzelne Bürger die Aufgaben des Herrschers übernehmen. Tritt dieses ein, solle der Principe selbstlos zurücktreten und das Gemeinwesen in die Selbständigkeit entlassen. Hat der uomo virtuoso seiner Herrschaft in der richtigen Weise ausgeübt, sind seine Gesetze und die von ihm geschaffenen Institutionen gut und wohlgeordnet, bestehe die Möglichkeit, dass aus der von ihm geschaffenen Ordnung eine Republik entstehen kann.
Die Republik ist nach Machiavelli die erstrebenswerteste Herrschaftsform, weil sie sich am erfolgreichsten selbst erhalten, ihren Verfall bremsen und der Schicksalsmacht Fortuna am meisten Widerstand leisten kann.
In einer Republik ist die Verantwortung für das Gemeinwesen statt auf eine, auf mehreren Personen verteilt. Durch die persönlichen Fähigkeiten, das Wissen und die Erfahrungen jedes Einzelnen ergibt sich somit ein reichhaltigeres Handlungsrepertoire.
Ist schließlich eine dauerhafte Republik entstanden, wäre der ehemalige Alleinherrscher ein Held der Politik, da es nur wenige gäbe, die gleiches vollbringen könnten. Als Lohn für seine Anstrengungen, sein Werk und seinen Verzicht auf die Herrschaft erhält er einen Platz in der Geschichte der Menschheit und mache sich damit unsterblich. (vgl.: www.geocities.com/machiaveli_1469/material06.htm) Die Quintessenz aus Machiavellis vermeintlich amoralischen Handlungsanweisungen ist also nicht die Forderung einer auf unbestimmte Zeit angelegte Alleinherrschaft, sondern die Installierung des uomo virtuoso in einer Art Interimsregentschaft zur Konsolidierung der politischen Ordnung und damit zur Etablierung einer Republik.
3. Der Republikaner Machiavelli
3.1. Das Vorbild der wohlgeordneten römischen Republik
Von den beiden politischen Grundsystemen, Republik und Einzelherrschaft, präferierte Machiavelli eindeutig die Republik, da sie als einzige das Gemeinwohl beachtet. Sie müsse aber, um optimal zu sein, entsprechend den Vorbildern von Sparta und Rom unter einer dreigliedrigen Mischverfassung monarchische, aristokratische und demokratische Elemente in sich vereinen. Dabei war er aber nicht prinzipiell gegen die gesetzmäßige Alleinherrschaft in Form der Monarchie oder des Fürstentums. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen seien primär entscheidend für die Wahl zwischen Monarchie oder Republik. Bei vorherrschender Ungleichheit sei die Monarchie, bei großer Gleichheit im Volke - also nur wenigen Aristokraten - sei der Boden für Republiken geschaffen. Ablehnend stand Machiavelli der Erbmonarchie entgegen, da die Nachkommen selten die guten Eigenschaften der Staatsgründer erbten. Summa summarum war die republikanische Staatsform nach Machiavelli der monarchischen überlegen, sie sei jedoch nicht immer und überall machbar. (vgl.: Riklin, 1996, S.88-99) In der Republik ist demnach alles wohlgeordnet und die guten Sitten dominieren. Zur Errichtung einer Republik ist ein Alleinherrscher nötig, zur Erhaltung die gesamte Staatsgemeinschaft. (vgl.:www.geocities.com/machiaveli_1469/material04.htm)
Machiavelli als Begründer einer amoralischen Führungslehre abzustempeln wäre also völlig falsch. Vielmehr sollte man seine Visionen und Handlungsoptionen differenziert betrachten. Genuine Machtpolitik war nicht Machiavellis Ziel, sondern eher ein Mittel zum Zweck des Gemeinwohls.
Auffällig ist, dass Machiavelli alle Belege zur Überlegenheit der republikanischen Option in den Discorsi niederschreibt, er sie im Principe aber völlig ausklammert. Trotzdem kann Machiavelli diesbezüglich kein opportunistisches Verhalten vorgeworfen werden.
Der Widerspruch zwischen den Werken lässt sich prinzipiell nicht nur durch Machiavellis jeweilige persönliche Umstände, sondern hauptsächlich in ihrer Intention erklären: Machiavelli brauchte den Principe, um die Republik zu gründen. Zudem deklariert er das Fürstentum im Principe nie zur besten Staatsform, wohl aber die Republik in den Discorsi. (vgl.: Riklin, 1996, S.69/82/103)
So differiert Machiavellis Blickwinkel in seinen nur scheinbar disparaten Werken.
Den Principe schrieb er unter dem direkten Eindruck der italienischen Krise, die Discorsi verfasste er hingegen mit einer größeren Distanz zu den Ereignissen seiner Zeit und einem stärkeren Bezug zur römischen Geschichte. Im Principe betrachtet er Krisen von Staaten am unteren Ende des Geschichtszyklus und deren Möglichkeit zur Überwindung, während er sich in den Discorsi mit der Frage beschäftigt, unter welchen Bedingungen es möglich ist, eine politische Gemeinschaft im Stadium ihrer größten politischen Machtentfaltung an der Spitze des Zyklus zu stabilisieren.
Machiavellis unterschiedliche Optionen, die des politischen Übergewichtes eines italienischen Zentralstaates, die des Gleichgewichtssystems, die Herrschaft des uomo virtuoso oder das Konzept der Republik konnten von ihm jedoch nicht in Einklang gebracht werden, da er im zyklischen Geschichtsdenken der Renaissance gefangen war. Machiavelli legte seiner politischen Theorie historische Gesetzmäßigkeiten zu Grunde, welche besagen, dass politische Gemeinschaften eine zyklische Kurve durchlaufen auf der sie von der Ordnung und Stabilität zur Unordnung und Instabilität gelangen, um sich anschließend wieder zu reorganisieren. Politisch beeinflussbar war für ihn nur die Dauer der jeweiligen stationären Phase auf der Entwicklungskurve. (vgl.: Münkler, 1990, S. 370ff./396)
In seinen Discorsi erörterte Machiavelli die Vorbildhaftigkeit der Politik der römischen Republik, auch in der Verfassungsgestaltung und dem Militärwesen. Er leitete daraus Handlungsvorschläge und Maßnahmen für die Gegenwart ab. Seine Theorie verband typischerweise Wahrheit und Effizienz, was seine Andeutungen auf den Erfolg und die Macht der römischen Republik zeigten.
Die Idealisierung des antiken Roms durch Machiavelli ging einher mit seiner Forderung einer politischen Nachahmung des römisch-republikanischen Systems. (vgl.: Münkler, 1990, S.257f.)
Machiavelli schrieb die Discorsi vor allem mit der Hoffnung einer möglichen Repetition und Reinkarnation des erfolgreichen politischen Gemeinwesens der alten römischen Republik in seiner Heimatstadt bzw. in seinem Heimatland. Florenz solle von der alten Weisheit Roms profitieren und sie auf die moderne Welt anwenden. (vgl.: Skinner, 1990, S.88) Dabei war die republikanische Mischverfassung nach dem Vorbild der römischen Republik für Niccoló Machiavelli die effizienteste Option und der Garant einer stabilen staatlichen Ordnung, denn in ihr fusionierten alle drei Verfassungsformen (Monarchie, Aristokratie und Demokratie).
Somit war die republikanische Mischverfassung am ehesten resistent gegen den Verfall im Verfassungszyklus. Diese Ordnung zeichnet sich durch die politische Partizipation aller gesellschaftlichen Kräfte aus und basiert auf Rechtssicherheit- und gleichheit. Nur unter diesen Umständen könne der Bürger entgegen seiner Natur freiheitlich, republikanisch und gemeinwohlorientiert sozialisiert werden. Der Staat trage die Verantwortung, den republikanisch-demokratischen Ethos in die Köpfe der Bevölkerung quasi zu injizieren. Machiavellis Republikanismus war indes nicht mehr und nicht weniger als der Zweck zur Selbsterhaltung des Staates, im heutigen Sinne die Staatsraison. (vgl.: Oberndörfer, 2000, S.137) Der römischen Politik sei das Glück nur hold gewesen, weil sie zielstrebig, entschlossen und mit großem Mut zu Werke gegangen sei. Erst die Missachtung der demokratisch- republikanischen Verfassungselemente hätten zu ihrem Zusammenbruch geführt. Diese Elemente sah Machiavelli durch die staatsbürgerliche virt ú gestärkt. Virt ú ist im Sinne Machiavellis der Inbegriff politischer Energie und Kompetenz, er beinhaltet alles was geeignet ist die Lebensfähigkeit und Stabilität des Gemeinwesens zu gewährleisten sowie selbstgesteckte Ziele zu verfolgen und zu erreichen.
Machiavelli gebrauchte den Begriff virt ú als bürgerlich-republikanischen Kampfbegriff der am Staat beteiligten Bürger. Nur Staaten, die eine starke Partizipation der Bürger an der Regierungsverantwortung aufwiesen, waren und sind nach Machiavelli potentiell in der Lage innere Stabilität und äußere Expansionsfähigkeit - ergo ein wohlgeordnetes Staatswesen - zu erhalten. Die Restituierung der virt ú als wichtigste Voraussetzung einer freiheitlichen Verfassung traute Machiavelli nicht den traditionell führenden, sondern nur den breiten Schichten des Volkes zu - ein Zeichen für Machiavellis prinzipielle Option einer demokratisch-republikanischen Verfassung. (vgl.: Münkler, 1990, S.321ff.)
3.2. Die bürgerliche Freiheit und das Gemeinwohl
Machiavellis Ruhm und Reputation als republikanischer Theoretiker stellte sich jedoch erst posthum, zunächst durch Alberto Gentili 1585, ein. Dieser erkannte, dass Machiavelli ein großer Unterstützer und Enthusiast der Demokratie war, welcher Tyrannei verabscheute und sich als Advokat der Republik gerierte. Gegenwärtig sind sich darüber nahezu alle Gelehrten einig, auch wenn es differenzierte Auslegungen zur Art und Intention des machiavellistischen Republikanismus gibt.
Die Interpretationen bezeichnen diesen wahlweise als einen Mix aus Republik und Monarchie, eine Verpflichtung zur zivilen und militärischen virt ú oder als einen auf Gesetze und Verfassung basierenden, die Ordnung und das Gemeinwohl idealisierenden Republikanismus.
Letztere ist die aktuellste und wohl auch zutreffendste Deutung der von Machiavelli dargelegten Argumentationen. Maurizio Viroli unterstreicht, dass sich Machiavellis Theorie der „wohlgeordneten Republik“ (republica bene ordinata) hauptsächlich auf die politischen und zivilen Akteure, auf das öffentliche, politische Leben und auf Gesetze und die Verfassung zur Legitimation bzw. Ordnungssicherung stützt.
„ [...] Machiavelli’s republicanism is above all else a commitment to the vivere civile. Any form of the government, including republican or popular government, wich does not fulfil the requirements of civil and political life is either a tyranny or a corrupt republic. […] Machiavelli regards the rule of law as the basic feature of civil and political life.” (vgl.: Viroli, 1998, S.114ff./122)
In Machiavellis „well-ordered republic“ erfülle, angelehnt an Cicero, jede Komponente der Stadt eine bestimmte, zweckmäßige Funktion. Florenz war für Niccoló Machiavelli typischerweise eine schlecht geordnete Republik welche nie eine Verfassung hatte die fähig war, jeder sozialen Gruppe ihren rechten Platz zuzuweisen. Somit oszillierte Florenz in seiner Geschichte zwischen entweder zu populären oder zu aristokratischen Regierungen. (vgl.: Viroli, 1998, S.125)
Machiavelli zog deshalb eine das Gemeinwohl schützende republikanische Option der fürstlichen merklich vor und begründete dies in seinen Diskursen:
„It is ’not individual good but common good’ that ’makes cities great’, and ‘without doubt this common good is thought impotant only in republics’. Under a prince ‘the opposite happens’ […]. This explains why cities under monarchical governement seldom ‘go forward’, whereas ‘all cities and provinces that live in freedom anywhere in the world’ always ‘make very great gains’ “ (Skinner, 1996, S.52)
Machiavelli betonte, dass das für ihn so wichtige Gemeinwohl eben nur in genuinen Republiken beachtet werde. Man kann Niccoló Machiavelli durchaus als Florentiner Demokrat bezeichnen, denn er war der Überzeugung, dass die wirkliche Stärke eines Volkes in den Massen, nicht aber im Adel oder im Klerus ruhe. Er glaubte aber auch, dass dieses Potential nur unter autoritärer Kontrolle vorteilhaft nutzen könne.
„Dieses Prinzip hatten bereits die frühen Medici - von Cosimo bis Lorenzo dem Prächtigen - erkannt, aber sie hatten stets die republikanischen Formen gewahrt. Ihre Nachfolger - von Piero dem Zweiten bis Alessandro - waren nicht so weitsichtig gewesen.“ (Cleugh, 1995, S.229)
In seiner methodischen Abhandlung „über die Kriegskunst“ legte Machiavelli zum Beispiel Mittel dar, durch die eine Republik ihre Unabhängigkeit bewahren könne. Als überzeugter Demokrat bevorzugte er nationale Truppen gegenüber unberechenbaren Söldnern.
Republikanische Freiheit war für Machiavelli aber nicht nur die Machtausübung durch das Volk, sondern immer auch die Anerkennung und Beachtung von Gesetzen durch alle Staatsbürger.
Er glaubte in der Mischverfassung die Lösung der verfassungspolitischen Probleme von Florenz gefunden zu haben, da sie der quasi-naturgesetzlichen Zyklizität der Geschichte und dem politischen Imperativ der Selbsterhaltung der Gemeinschaft zu genügen vermag. (vgl.: Münkler, 1990, S.369/377)
Gesetze und die Verfassung seien eine wohltätige Einrichtung des Staates und nötig, da die Menschen von Natur aus schlecht seien. Sie sollen die Menschen zum Guten zwingen und das Gemeinwohl über Privatwohl stellen. Politisch-bürgerliche Freiheit kann für Machiavelli nur unter einer republikanischen Regierung gesichert und genossen werden.
Diese Freiheit in einer Gemeinschaft als Bürgerrecht und Indikator einer guten politischen Ordnung meint: an öffentlichen Beratungen teilnehmen zu können, seine Meinung frei zu äußern und auch höchste Ämter zu bekleiden, also an der Macht partizipieren zu dürfen. Unter dem Eindruck von zahlreichen Verstößen gegen die Gesetze und der eigennützigen und unrechtmäßigen Schaffung von ad hoc Statuten seitens der florentinischen Machthaber plädierte Machiavelli für eine gesetzmäßige Ordnung und uneingeschränkte Einhaltung der republikanischen Grundsätze. (vgl.: Viroli, 1998, S.129/135)
Nur ein auf der Verfassung und den Gesetzen beruhendes Regime wurde von Machiavelli legitimiert und akkreditiert. (vgl.: Riklin,1996, S.95ff.) Machiavelli war sich aber auch durchaus darüber im Klaren, dass die republikanischen Ordnungen und Institutionen nur über eine rege Implementierung durch den Fürsten oder durch den Einzelnen aktiviert und vitalisiert werden können, (vgl.: König, 1979, S.265)
Die Ironie des Schicksals traf Machiavelli kurz vor seinem Tod im Jahre 1527 besonders hart. Mit dem Verlust der päpstlichen Protektion und zunehmender Unpopularität brach die Regierung der Medici zusammen und begab sich ins Exil. Die darauffolgende Wiederausrufung der Republik durch den städtischen Rat am 16.Mai hätte für den vehementen Republikaner Machiavelli eigentlich ein Triumph bedeuten müssen. Doch seine Anstellung bei den Ex-Machthabern ließ ihn unter der neuen anti-Mediceischen Republik als Anhänger der diskreditierten Tyrannei erscheinen, wobei nicht nur seine Verbindungen zu den Medici, sondern vor allem die Niederschrift des „Fürsten“ Antipathien hervorrief.
„Everyone hated him because of the prince“ (Viroli, 1998, S.114)
So gab es für Machiavelli abermals keine Chance auf einen von ihm so begehrten politischen Posten. (vgl. Skinner, 1996, S.87)
4. Der Patriot Machiavelli
4.1. Expansion im Stile Roms
Die Mannigfaltigkeit der kleinen und unabhängigen italienischen Stadtstaaten förderte eher die wechselseitige Destabilisierung derselben und lieferte das politisch marginalisierte Italien den europäischen Großmächte ans Messer. Damit gewann Anfang des 16. Jahrhunderts, als Florenz seine Unabhängigkeit gegen die hegemonialen Bestrebungen des Adels verteidigte, die undenkbare Alternative einer nationalstaatlichen Einigung Italiens an Bedeutung, zumal der politische Einfluss der kommunalen Republiken schwand. Machiavelli erkannte dieses Problem und machte es in seinen politischen Werken zum zentralen Gegenstand. (vgl.: Münkler, 1990, S.204-205)
Machiavellis Herz schlug außenpolitisch für die expansive Republik im Stile Roms und gab dem Reichsgedanken gegenüber der für ihn obsoleten Gleichgewichtpolitik den Vorzug. Als zweitbeste Lösung empfahl er die Vereinigung mehrerer Republiken in einer verteidigungsfähigen Föderation. (vgl.: Riklin, 1996, S.102f.) Außerdem sollte eine Republik, um ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu sichern, wie die römische Republik territorial expandieren und vorteilhafte Allianzen und Bündnisse schließen. Nur so würde eine Republik laut Machiavelli an Größe gewinnen und ihre Freiheit auch nach außen hin verteidigen können.
Den Gebrauch der militärischen Macht sah er hierbei allein als Reserveoption an.
„ [...] if a republic wants to secure ist freedom, it must attain that greatness which permits it to defend itself without being dependent on somebody else’s help. A republic, or a principality, must then pursue territorial greatness as a means to attain security.” (vgl.: Viroli, 1998, S.127/143)
Machiavelli hat, beseelt vom Vorbild der römischen Republik, neben der inneren politischen Stabilität immer auch die äußere Expansionsfähigkeit als entscheidendes Kriterium einer republikanischen Ordnung angesehen. In der römischen Republik wurden die Bedürfnisse der Bürger durch eine territorial-expansive Politik befriedigt und somit nach außen abgelenkt. So sollte die Stagnation der Produktivität in Florenz durch den Raub bei den Nachbarn ausgeglichen werden.
In dieser Theorie Machiavellis zeigt sich das Erbe der Antike, mit der Kombination von Republikanismus und expansionistischer Außenpolitik, besonders prägnant. (vgl.: Münkler, 1990, S.276)
Am 16. April 1527, zwei Monate vor seinem Tod, schrieb Machiavelli an seinen vermeintlichen Freund Franceso Vettori: „Io amo, messer Francesco, amo la patria mia piú dell’ anima“ - Ich liebe mein Vaterland mehr als meine Seele! (vgl.: Riklin, 1996, S.84)
4.2. Der republikanische Patriot
Im XXVI. Kapitel des Principe, dem „Aufruf, in Italien die Macht zu ergreifen und es von den Barbaren zu befreien“, fasste Machiavelli die Schaffung eines einheitlichen italienischen Gebildes ins Auge, ohne es jedoch - wahrscheinlich auf Grund zu erwartender inneritalienischer Widerstände - genauer zu definieren. Fest steht jedoch, dass Machiavelli die Fragmentierung und Unterdrückung Italiens für unannehmbar befand, und darin die Notwendigkeit aber auch die Chance einer politischen Neuordnung, Wende und Vereinigung mittels des uomo virtuoso sieht.
„Erwägt man also alles bisher Erörterte und überlegt man mit mir, ob gegenwärtig in Italien die Zeitumstände einem neuen Fürsten günstig sind und ob ein kluger und tapferer Mann ihm eine Neugestaltung geben könnte, die ihm selbst und dem gesamten Volke zum Segen gereichte, so scheint mir jetzt so vieles zugunsten eines neuen Fürsten zusammenzukommen, daß ich nicht weiß, ob je eine günstigere Zeit dafür gewesen ist.“ (Machiavelli, Der Fürst, S.121)
Als eingefleischtem Republikaner ist Machiavelli der Verfall der politischen Vitalität und der Verfassungsinstitutionen in Florenz sehr deutlich bewusst geworden. Zudem glaubte er nicht an die politische Kraft der italienischen Teilstaaten, sondern richtete seinen „Aufruf“ im XXVI. Kapitel unmittelbar an die Volksmassen, auch wenn der formale Adressat wohl der uomo virtuoso war.
Nur dem gesamten italienischen Volk traute Machiavelli eine erfolgreiche Einigungspolitik zu - ein weiterer Indikator für seine republikanisch-demokratische Überzeugung. (vgl.: Münkler, 1990, S. 357-362)
Einem Theoretiker der den „Aufruf zur Befreiung Italiens“ verfasste und erklärte, er „liebe sein Vaterland mehr als seine Seele“ wird man wohl Patriotismus nicht absprechen können. Trotzdem darf Machiavelli deshalb nicht als Fürsprecher eines vereinigten italienischen Nationalstaates pauschalisiert werden.
Vielmehr war Machiavelli ein „republikanischer Patriot“. 1936 vertrat Luigi Russo die Auffassung, Niccoló Machiavelli betrachtete die Vereinigung Italiens primär als politischen Akt eines Fürsten oder Monarchen, nicht als notwendige kulturelle Verschmelzung der Bürger Italiens.
Viroli bestätigt, dass Machiavelli weder ein nationaler Theoretiker noch ein Prophet des Einheitsstaates, wohl aber ein in der Tradition der römisch-republikanischen Ideen stehender republikanischer Patriot gewesen sei. Die Liebe zum Vaterland war für Machiavelli eher das Synonym für staatliche Tugend und die Liebe zum Bürgerlichen, zum Gemeinwohl sowie zur wohlgeordneten Republik und deren Institutionen.
Machiavelli verstand Patriotismus oder Staatsbewusstsein als moralische Kraft, welche die Bürger befähige das Gemeingut einer Republik zu verstehen und zu leben. Ein wahrer Patriot trete aktiv für Rechtstaatlichkeit und Bürgerrechte ein.
„Love of country does not make citizen docile and passive. It instils commitment to the institutions and the laws which protect the common liberty, while at the same time disposes citizens to resist against tyranny and corruption. […] The kind of virtue which a republic needs is, for Machiavelli, a love of country which drives each citizen to do his share of service and makes him intransigent with the arrogant and the enemies of common liberty.” (Viroli, 1998, S.163f.)
Um wahre Größe zu erreichen, sollte Florenz versuchen mit fremden Völkern und Kulturen zu kooperieren, oder besser sich mit ihnen zu vereinigen anstatt seine Reinheit und Einzigartigkeit zu zelebrieren. Die Integration fremder und heterogener Elemente wurde von Machiavelli als Stärke, nicht als Schwäche oder Ästhetikverlust betrachtet. Da keine Republik rein und isoliert bleiben könne, müsse sie den größtmöglichen Nutzen aus der Integration und Varietät ziehen, um Stärke und Macht zu akkumulieren. Staatsbewusstsein sei dabei Motivation, Kraft, Glaube aber auch Einschränkung, nach Machiavelli die Anforderungen einer wahren, guten Politik. (vgl.: Viroli, 1998, S.148-174)
5. Schlussbetrachtung
Die Bearbeitung der in der Einleitung angenommenen These zeigt, dass Niccoló Machiavelli durchaus ein vehementer Verfechter einer auf Gesetzen, Gemeinwohl, bürgerlicher Freiheit und einer Verfassung fußenden Republik war. Bezogen auf die nahezu chaotischen Zustände in Italien zu Zeiten Machiavellis, ging es ihm jedoch hauptsächlich immer nur darum, die politische Ordnung zu erhalten, um den Verfall des Staates aufhalten zu können.
Die Republik erschien ihm dabei als effizientes und probates Mittel, da sie die beständigste aller Staatsformen sei.
Nur unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen befand Machiavelli die Installierung einer vorübergehenden, auf den uomo virtuoso gestützten Fürstenherrschaft für angebracht. Machiavelli hat die von ihm als notwendig erachteten skrupellosen und partiell grausamen Handlungen des Principe zwar als funktional, niemals aber als gut bezeichnet. (vgl.: Münkler, 1990, S.294) Die ordnende Hand des uomo virtuoso sollte auch nur so lange wirken, bis die virtú der Bürger reaktiviert, und der Weg zur Konstituierung einer republikanischen Verfassung frei sei. Machiavellis Ausführungen zur Alleinherrschaft sind demnach als ordnungsstiftende Elemente eines Interimskonzeptes zu interpretieren.
Die Sehnsucht nach einer wohlgeordneten und starken Republik beschränkte sich aber nicht nur auf Machiavellis Heimatstadt Florenz. Ganz Italien sollte sich dem Einfluss fremder Mächte entziehen, wobei Machiavelli in diesem Zusammenhang stark zu einem führenden expansiven Stadtstaat im Stile Roms tendierte. Ergänzend ist zu bemerken, dass eine nationalstaatliche Einigung Italiens für Machiavelli trotzdem eher zweitrangig war, denn sein Patriotismus definierte sich vor allem über das Staatskonzept der Republik und nicht qua Geopolitik.
6. Literaturverzeichnis
Monographien:
Cleugh, James: „Die Medici - Macht und Glanz einer europäischen Familie“, München 1995
König, René: „Machiavelli“, München, Wien 1979
Machiavelli, Niccoló : „Der Fürst “ aus dem Italienischen von Friedrich v. OppelnBronikowski,
Frankfurt a. M. 1990
Münkler, Herfried : „Machiavelli - Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz”,
Frankfurt a. M. 1990
Münkler, Herfried (Hrsg.) : „Niccoló Machiavelli - Politische Schriften“, Frankfurt a. M. 1991
Oberndörfer, Dieter ; Beate Rosenzweig (Hrsg.): „Klassische Staatsphilosophie Texte und Einführungen Von Platon bis Rousseau“,
München 2000
Riklin, Alois: „Die Führungslehre von Niccoló Machiavelli“, Bern 1996
Schmidt, Eberhard: „Machiavelli“ in: Klassiker des politischen Denkens Bd.1, München 1986
Skinner, Quentin: „Machiavelli zur Einführung”, Hamburg 1990
Skinner, Quentin „Machiavelli“, Oxford 1981
Viroli, Maurizio: „Machiavelli“, New York 1998
Internet:
http://www.geocities.com/machiaveli_1469/material06.htm Autor: Hendrik Rasehorn
Last modified: 01-04-2002
http://www.geocities.com/machiaveli_1469/material04.htm Autor: unbekannt
Last modified: 01-04-2002
- Arbeit zitieren
- Benjamin Kunde (Autor:in), 2002, Machiavellis Konzept einer Fürstenherrschaft des uomo virtuoso als ordnungsstiftende Interimslösung zur Etablierung einer neuen und wohlgeordneten italienischen Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106673
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