Probleme (mit) der Koedukation


Seminararbeit, 2001

14 Seiten


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Außerhalb der Schule
2.1 Der Aufbau des Selbstkonzepts der Kinder und ein sozialisationstheoretisches Konzept als Basis des Selbstvertrauens
2.2 Außerschulische Jungen- und Mädchensozialisation
2.2.2 Jungen- und Mädchensozialisation in der Familie
2.3 Unterschiedliche Behandlung im Kindergarten
2.4 Fazit

3. Innerhalb der Institution Schule
3.1 Selbstvertrauen in der Schule
3.2 Selbstvertrauen und Geschlecht im schulischen Kontext mit Mitschülern
3.3 Selbstvertrauen und Geschlecht im schulischen Kontext mit Lehrern
3.4 Geschlechtsstereotype in der Schule und Schulbuchkritik
3.5 Chancenungleichheit nach Lehrplan
3.6 Fazit

4 Erfahrungen mit non-koedukativem Unterricht in Dänemark und mit koedukativem Unterricht in der DDR
4.1 Non-koedukative Projekte in Dänemark Ende der 80iger Jahre
4.2 Koedukation in der DDR zum Aufbau eines neuen Gesellschaftssystems

5 Zusammenfassung

1. Einleitung

Wir leben in einer Gesellschaft, die im ständigen Wandel ist. Durch den technischen Fortschritt und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen, wie dem Freizeitverhalten oder der hohen Arbeitslosigkeit, erfahren wir täglich die Schnelllebigkeit neuer Errungenschaften und Investitionen, selbst im sozialen Bereich. Früher gab es die Großfamilie mit ihren festen Rollenbildern, wie der Großmutter, die auf die Kinder aufpasst, der Mutter, die kocht und dem Vater der außer Haus das Geld verdient. Heute ziehen die jungen Menschen oft schon nach der Schule von zuhause aus und beginnen, nach ihren Vorstellungen zu leben.

Trotzdem sich die Biografien junger Menschen beider Geschlechter ähneln, werden sie sich im Laufe der Zeit geschlechtsspezifisch verändern. Demzufolge muss es verschiedene, auf den ersten Blick nicht sichtbare, Faktoren in der Kindheit und Jugend geben, die über Generationen hinweg heute noch die Geschlechterpolarität aufrechterhält.

In meiner Arbeit zu den geschlechtstypisierenden Aspekten von Erziehung versuche ich aufzuzeigen, wie Kinder und Jugendliche vor und in der koedukativen Schule geschlechtsspezifische Prägungen erhalten. Die Arbeit ist in 3 Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt befasst sich mit dem Aufbau des Selbstkonzepts und der Sozialisation, welche die Kinder in die Schule mitbringen. Ich widmete diesen Vorraussetzungen ein gesamtes Kapitel, weil die Kinder in der Vorschulzeit die größte Ausprägung erhalten. Danach versuche ich die geschlechtsspezifischen Einflüsse der koedukativen Erziehung im Schulsystem aufzuzeigen. Ich gehe speziell auf das unterschiedliche Selbstbewusstsein der SchülerInnen ein, sowie auf die Beziehung mit den MitschülerInnen und der Lehrerschaft. Zum Schluss des Kapitels erschien es mir wichtig, die Institution Schule anhand der Lehrerhierarchie, der Schulbücher und allgemein der Wissensvermittlung darzustellen, denn damit stehen selbst LehrerInnen, die die SchülerInnen unabhängig vom Geschlecht chancengleich behandeln wollen, vor großen Hürden. Der letzte große Abschnitt zeigt zwei unterschiedliche Beispiele von schulischer Erziehung. Ein Beispiel beschreibt non- koedukative Projekte in Dänemark in den 80ern und ihre Folgen. Das zweite Beispiel beschreibt die Koedukation in der DDR. Die dänischen Projekte zielten auf vermehrten Freiraum für Mädchen zur Ausbildung ihrer Kompetenzen und in der DDR sollte eine geschlechtslose allseitig gebildete Persönlichkeit zum Aufbau eines neuen Gesellschaftssystems geschaffen werden. Gerade der Vergleich mit dem DDR- Schulsystem interessierte mich persönlich, weil ich einerseits selber beide Schulsysteme kennen gelernt habe und andererseits, weil selbst nach 40 Jahren verfassungsrechtlich festgeschriebener Koedukation mit spezieller Förderung der Frauen und Mädchen, besonders im naturwissenschaftlich- technischen Bereich, und einer fast 100%igen Beschäftigungsrate der Frauen die Geschlechtsstereotypen erhalten geblieben sind.

2. Außerhalb der Schule

2.1. Der Aufbau des Selbstkonzepts der Kinder und ein sozialisationstheoretisches Konzept als Basis des Selbstvertrauens

Einleitend möchte ich den Begriff des Selbstkonzeptes erklären.

Das Selbstkonzept ist das Selbstbild einer Person. Es entwickelt sich schon sehr früh in der Kindheit. Dadurch, dass das Kind in Interaktion mit der Umwelt tritt, baut es sich eine relativ stabile Grundlage des Selbstkonzepts auf. Anhand dieser wird jede Erfahrung bewertet und erklärt.

Worin nun bestehen Unterschiede im Aufbau des Selbstkonzeptes zwischen Jungen und Mädchen?

Während der Interaktion mit der Umwelt beobachten die Kinder schon von klein auf das geschlechtstypische Verhalten der Erwachsenen untereinander, sowie das Verhalten der Erwachsenen ihnen, ihren Geschwistern und Kameraden gegenüber, das je nach Geschlecht des Kindes unterschiedlich eingefärbt sein kann.

Marianne Horstkemper belegte 1987 in einer Studie über Zusammenhänge von Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen, dass bereits Kindergartenkinder mit Bildern von männlichen Personen Kompetenz und mit denen von weiblichen Personen Emotionalität verbinden.1Das traditionelle Familienbild von der Mutter, die bei den Kindern zuhause ist und sich um alle „kleinen Problemchen“ kümmert und von dem Vater, der fast immer außer Haus weilt, Geld verdient und bei größeren Problemen herangezogen wird, kann den Kindern schon sehr frühzeitig die höher bewertete Rolle des Mannes vermitteln.

Also ist die Selbsteinschätzung sehr abhängig von dem jeweiligen Gesellschaftssystem mit seiner Rollenverteilung und der Bewertung dieser.

Bei so vorgelebten Familienkonstellationen könnten Mädchen Schwierigkeiten bekommen, Eigenschaften wie Kompetenz, Durchsetzungsvermögen, Selbstbewusstsein in ihr Selbstbild einzubauen.

Wenn Erfolg eintritt und die Eigenschaft Kompetenz nur gering im Selbstbild angelegt ist, entsteht ein Konflikt, den nachweislich2viele Mädchen für sich so lösen, dass sie Erfolg eher mit Fleiß oder Glück erklären und Misserfolg mit Inkompetenz.

Sozialisationstheoretisch betrachtet kann man allgemein davon ausgehen, dass in jeder Person mehr Handlungspotenziale angelegt sind, als sich schließlich zu Kompetenzen ausbilden.3

Je nach Erfahrung, z.B. persönliche Erfolgserlebnisse, Beobachtungen oder Feedbacks aus der Umwelt können sich diese Handlungspotenziale in tatsächliche Fähigkeiten umwandeln. Da Geschlechtsstereotype bestimmte Potenziale hemmen und andere fördern und dieses auch an dem jeweils andern Geschlecht sichtbar ist, kann man davon ausgehen, dass jedes Individuum weiß, welches weibliche, männliche oder beiden Geschlechtern zugehörige Handlungspotenziale und Kompetenzen sind.4 Somit wird unbewusst den Kindern vermittelt, welche Fähigkeiten es zu entwickeln gilt, um männlich bzw. weiblich zu wirken.

2.2. Außerschulische Jungen- und Mädchensozialisation

Bevor ich in Kapitel 3 den Einfluss der Erziehung innerhalb des Schulsystems zum Aufbau der Geschlechtsrolle darlege, möchte ich erst den Einfluss unseres Gesellschafts-systems auf die Ausbildung der Geschlechtsrollen ausführen.

Unsere Sozialisation ist institutionell geprägt5, d.h., ein Kind kann von frühester Kindheit an, z.B. beginnend mit der Kinderkrippe und weiterführend dem Kindergarten und nach Schuleintritt nachmittags dem Hort, institutionell betreut sein. Daher fällt es schwer zu behaupten, dass sich die Persönlichkeit individuell herausbilden kann. Sie entwickelt sich eher zusammen mit den Norm- und Wertvorstellungen unserer Gesellschaft und deren Anforderungen an den „homo sociologicus“.

Da nach Metz-Göckel und Nyssen unser Gesellschaftssystem ein System der Zweigeschlechtigkeit ist6, gibt es auch zweierlei Wertmaßstäbe, die es sich, je nach Geschlecht, anzueignen gilt.

Das jeweilige Geschlecht wirkt sich auch in großem Maße auf den Aufbau der Geschlechtsidentität aus. Sigrid Metz-Göckel und Elke Nyssen: „Identität ohne Geschlechtsidentität gibt es in einer durch Geschlechtspopularität strukturierten Gesellschaft nicht.“7. Es macht einen Unterschied, ob man von der Gesellschaft als Junge oder Mädchen betrachtet wird. Und je nach Stärke des Einflusses der Gesellschaft, können bestimmte Kompetenzen entwickelt oder gehemmt werden.(s. Kapitel 2.1.)

In traditionellen Familien wird die Zweigeschlechtlichkeit über die Eltern sichtbar und weitergegeben.8Die Jungen und Mädchen können so als erstes das Verhalten der Mutter als Frau und das des Vaters als Mann erleben. Schon mit vier bis fünf Jahren haben die Kinder eine geschlechtsunterschiedliche Wahrnehmung bekommen und wissen, wie sie sich als Junge oder Mädchen zu verhalten haben.9Spätestens im 6. Lebensjahr haben Kinder gelernt, dass sie Junge oder Mädchen, und dass alle Erwachsenen Frauen oder Männer sind.10Das heißt nicht nur, dass sie das biologische Geschlecht zuordnen können, sondern vielmehr die Präsentationsweisen eines jeden. Sie selbst wissen schon in diesem frühen Alter, wie sich ein „richtiger“ Mann zu verhalten hat und wie eine „richtige“ Frau. In diesem Vorschulalter sind die Mädchen noch stolz, ein Mädchen zu sein, und die Jungen ein Junge. Bei den Jungen hält diese geschlechtstypische Präsentation noch bis nach Schuleintritt an, und wird sogar noch verstärkt, wenn er erkennt, dass sich das Geschlecht nicht verändern lässt und er sich dadurch von allen Mädchen und Frauen unterscheidet.11

2.2.2. Jungen- und Mädchensozialisation in der Familie

Im System der Zweigeschlechtlichkeit grenzt sich die Tochter im Gegensatz zum Sohn erst später von der Mutter ab.

Der Junge muss sich als Mann abgrenzen, aber in den ersten Jahren fehlt das Identitäts- modell.12Hagemann-White geht davon aus, dass die Männlichkeit über die doppelte Negation vermittelt wird. Die Mutter ist ein Nicht-Mann und der Sohn demnach ein Nicht- Nicht- Mann.13Dem gegenüber kann sich die Tochter lange Zeit direkt mit der Mutter identifizieren.

Der Vater wird von Anfang an als separates Individuum mit eigenen Interessen betrachtet, demgegenüber steht die Mutter erst einmal in Symbiose mit der eigenen Person des Kindes.

Auch von Seiten der Erwachsenen wird dem Prozess der Geschlechtstypisierung eher zugearbeitet. Schon das Weinen eines Babys wird unterschiedlich gedeutet. Nach Untersuchungen von Condry/Condry 1976 besteht die Tendenz, beim Schreien eines männlichen Babys eher an Wut zu denken und bei weiblichen Babys eher an Angst. Ein weiteres Phänomen, das schon in den ersten Lebenswochen eintritt, wurde von Grabdrucker 1985 beobachtet: Danach wird bei weiblichen Babys permanent auf das Äußere geachtet14, bei den männlichen ist das nicht der Fall.

Und immer noch werden Jungen durch die Mutter eher zu Neugier- und Risikoverhalten angehalten und Mädchen sich im Haus aufzuhalten.15

2.3. Unterschiedliche Behandlung im Kindergarten

Nach den Erläuterungen über die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation von Jungen und Mädchen in der Familie und Gesellschaft, möchte ich jetzt auf die Institution eingehen, die die meisten Kinder noch vor Schuleintritt erfahren.

Für viele Kinder ist der Kindergarten die erste Institution in ihrem Leben, in der sie Erwachsene in anderen Positionen erleben, als als Mutter oder Vater, und in der sie gesellschaftsfähiges Verhalten und Rollenverhalten erlernen.

Erwiesenermaßen wissen Kinder nach der Kindergartenzeit schon sehr genau, was typisch weibliches und was typisch männliches Verhalten ist.16Folglich muss eine Erziehung einsetzen, die entweder diesen Prozess verstärkt oder wenn nicht, ihn zumindest nicht unterbindet.

Lilian Fried erwies in einer Studie über die unterschiedliche Behandlung von Kindergartenkindern auf der Basis sprachlicher Austauschprozesse, dass sie diese je nach Geschlecht in verschiedenen Entwicklungsbereichen verschiedenartig gefördert oder gehemmt werden.17Der hohe Stellenwert, den Fried der Sprachentwicklung beimisst, erklärt sich aus der Wichtigkeit des gesprochenen Wortes bei der Erziehung in diesem Alter.

Fried stellte genauer fest, dass Mädchen qualitativ und quantitativ weniger Zuwendung von den Erzieherinnen bekommen und ihnen bei der Unterhaltung mit den Erzieherinnen eine leicht unter ihrem Niveau liegende Sprache angeboten wird.18

Obwohl anhand dieser Studie sichtbar wird, dass die Kindergartenkinder geschlechtsunterschiedlich behandelt werden, weiß man aber noch nicht, welche Bedeutung dieser Fakt in der Entwicklung der Kinder hat. Einerseits könnte man daraus schließen, dass die Jungen so in ihrer Sprachentwicklung stärker vorangetrieben und davon auch in anderen Entwicklungsbereichen profitieren, andererseits könnten die Mädchen durch eine zurück- haltendere Behandlung von Seiten der Erzieherinnen eher selbständig ihren Sprachaufbau leisten und diese gelernte Selbständigkeit kann sich dann positiv auf andere Entwicklungsbereiche auswirken.

2.4. Fazit

Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Formung der Geschlechtsidentität und Persönlichkeit in sehr intensivem Maße schon vor Schuleintritt vollzieht. Die Bildung der eigenen Geschlechtsrolle erfolgt mittels des Vorlebens der erwachsenen Bezugsperson und evtl. der Geschwister in der eigenen Familie. Die Beobachtungen und Erfahrungen baut das Kind dann schon früh in sein Selbstkonzept ein. Anhand dieser Informationswerte kann es folgende Erlebnisse und Beobachtungen im Sinne des eigenen Selbstbildes bewerten.

Es wird noch einige Handlungen und Einschätzungen zu korrigieren haben, vor allem, wenn die Eltern nicht das traditionelle Rollenbild der Gesellschaft verkörpern. Die Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes wird durch die Gesellschaft stark beeinflusst. Und gerade wenn die Geschlechtsrollen in einem Gesellschaftssystem, wie dem unseren, wenig aus-differenziert sind, erkennt das Kind schon zeitig, ob es so ist, wie die Mutter oder sich abzugrenzen hat.

Die erste wichtige Institution, die das Kind noch vor Schuleintritt erfahren kann, den Kindergarten, betreibt nach einer Studie von Fried 1989 auch eine geschlechtsunterschiedliche Behandlung. Allerdings ist noch nicht erwiesen, wie folgenreich sich diese auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirkt.

3. Innerhalb der Institution Schule

3.1. Selbstvertrauen in der Schule

Gemäß den Ausführungen in Kapitel 2 hat sich die Persönlichkeit des Kindes unter Einfluss der Gesellschaft so geformt, dass Jungen und Mädchen mit unterschiedlich ausgeprägtem Selbstbewusstsein und unterschiedlich hoher Schulangst die Schule beginnen. Laut der Horstkemper-Studie, die mehrere fünfte Klassen untersuchte, entwickelt sich das Selbstvertrauen beider Geschlechter positiv, aber da die Mädchen in der fünften Klasse mit geringerem Selbstvertrauen starten, bleiben sie ab dem Zeitpunkt hinter den Jungen zurück.19

Das wirkt sich in doppelt negativ für die Mädchen aus, weil es sie hemmt, ihre Fähigkeiten auszuleben, und es macht es ihnen auch schwerer, soziale Beziehungen einzugehen, die dann wiederum hilfreich für den Schulerfolg und den Aufbau des Selbstvertrauens wären.20

Man kann davon ausgehen, dass bei gleich hohem Schulerfolg die Jungen gegenüber den Mädchen ein erhöhtes Selbstvertrauen entwickeln21, denn gute schulische Leistungen kooperieren sehr gut mit einem Selbstbild, dass Kompetenzen auf kognitivem Gebiet enthält. Mädchen können den Schulerfolg weniger gut umsetzen, wenn in ihrem Selbstbild die Fähigkeiten eher auf emotionalem und sozialem Gebiet liegen. Nach einer Studie von Tiedemann und Faber zeigt sich, dass Mädchen trotz gleichem Leistungsstand mit den Jungen im Mathematikunterricht sich weniger mathematische Kompetenzen zubilligten als die Jungen.22

Trotzdem ist für Mädchen erfahrungsgemäß der schulische Erfolg wichtiger als für Jungen, was man damit begründen könnte, dass Mädchen verstärkt lernen, sich anzupassen. Nur mit guten Noten erfüllt man die Erwartungen der Lehrer und Eltern. Mädchen tendieren insgesamt eher dazu, ihr Selbstvertrauen daraus zu ziehen, dass ihre Leistungen von anderen Personen positiv eingeschätzt werden, als dass sie sich selbst als fachlich kompetent fühlen.23

Bei schulischem Misserfolg kann man theoretisch davon ausgehen, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Verwertungsstrategien entwickelt haben: Jungen sind für schlechte Schulnoten weniger anfällig24, weil sie nicht so stark von außen kommender Leistungseinschätzung abhängig sind. Sie finden ihre Bestätigung in anderen Bereichen, z.B. in Jungencliquen, und können teilweise sogar von schulischen Misserfolgen profitieren, wie ich in Kapitel 3.2. noch ausführen werde.

Bei Mädchen könnte sich schulischer Misserfolg doppelt ungünstig auswirken25: Einerseits entsprechen schlechte schulische Leistungen nicht den Erwartungen der Lehrer und Eltern, andererseits ist, wie schon erwähnt, den Mädchen untereinander der Schulerfolg sehr wichtig. Mit schlechten Schulnoten könnte sogar die Anerkennung in der Mädchenclique sinken.

3.2. Geschlechtsspezifisches Selbstvertrauen unter Mitschülern

In diesem Abschnitt möchte ich ausführen, wie sich das Selbstvertrauen, gepaart mit dem jeweiligen Geschlecht, auf den formellen Schulerfolg auswirkt, wie z.B. die Schulnoten, und den informellen Erfolg in den „Peer-groups“26.

Laut Zinnecker27verhalten sich die Jungen eher oppositionell zur Schule und die Mädchen eher konform.

Auch Marianne Horstkemper belegte in der unterschiedlichen Abstufung der wichtigen Stützen für das Selbstvertrauen der Jungen und Mädchen in der Schule diesen Trend.28Danach ist den Jungen die Beziehung zu den Mitschülern am wichtigsten, die LehrerSchüler-Beziehung weniger wichtig und am Ende der Skala rangieren die Schulnoten. Bei den Mädchen konnte die umgekehrte Rangfolge beobachtet werden, also waren den Mädchen die Schulnoten am wichtigsten.

Für die Jungen könnte man es so interpretieren, dass sie stärker als Mädchen an „Peer- groups“ orientiert sind.29Jungen zollen sich untereinander eher Respekt bei schulischen Konflikten, z.B. mit dem Lehrer. Somit haben Jungen trotz oder wegen schlechter schulischer Leistungen noch gute Chancen eine hohe Position in ihrer Clique einzunehmen und bei weiteren schulischen Konflikten können sie mit der Solidarität der anderen Jungen rechnen.30

Für Mädchen liegt die Stütze des Selbstvertrauens eher in der positiven Beziehung mit der Institution Schule, die vom Lehrer vertreten wird. Somit besteht natürlich Gefahr, dass das Selbstvertrauen der Mädchen auf recht unstabilem Fundament gebaut ist und sehr stark von außen gefährdet ist. Der selbstbewusstseinssteigernde informelle Erfolg der Mädchen, d.h. der Erfolg unter ihren Mitschülerinnen, wird meist dadurch erreicht, dass sie sich an die Erwartungen ihres Rollenverhaltens anpassen.31Also lohnt es sich für sie eher, fleißig, ordentlich und diszipliniert zu sein und eine gute Beziehung zum Lehrer zu haben, weil sie dadurch auch eine hohe Position unter den Mitschülerinnen erreichen können. Das entspricht genau der weiblichen Schülerrolle. Aber diese Rollenanpassung hat nichts mit der Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins zu tun.32

3.3. Selbstvertrauen und Geschlecht mit Lehrern

In diesem Kapitel möchte ich auf das spezielle Verhältnis der SchülerInnen mit den LehrerInnen eingehen.

Der Lehrer und die Lehrerin mit ihrer jeweiligen Geschlechtsrolle steht einerseits in der Schule oft unter Beobachtung der Kinder, z.B. beim Verhalten der Lehrer untereinander und zu anderen Schülern. Andererseits nimmt der Lehrer/die Lehrerin durch das eigene Verhalten aktiv Einfluss auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität und des Selbstbewusstseins der Schüler.33

In der Horstkemper-Studie wurde deutlich, dass LehrerInnen geschlechtsspezifisch beurteilen.34Gerade in den ersten Jahren des Schulbesuchs geht die Lehrerbeurteilung stark in die Selbstbeurteilung der Schüler ein. Konkret sieht diese Vorzugsbehandlung so aus, dass den Jungen im Unterricht mehr Aufmerksamkeit zukommt, das heißt auch Kritik, vor allem bei Disziplinverstößen. Aber genau in diesem Bereich muss der Tadel nicht unbedingt schädlich sein, wie im vorrangegangenen Kapitel aufgeführt.35

Es wurde schon beschrieben, dass sich Mädchen eher bemühen, den Lehrererwartungen zu entsprechen, folglich bereiten sie den LehrerInnen weniger Probleme und verhalten sich allgemein unauffälliger. Marianne Horstkemper schreibt sogar davon, dass die Aufrechterhaltung einer positiven Lehrerbeziehung für die Mädchen wichtiger sei, als die Vergrößerung ihre Kompetenzen.36

Selbst bei positivem „feed back“ des Lehrers gibt es Geschlechtsunterschiede, wie Rustemeyer feststellte. Demnach geben die LehrerInnen den Jungen häufiger positive Rückmeldungen, insofern als dass sie ihre Leistungen durch Begabung erhalten hätten und bei Mädchen durch Fleiß und sauberer Heftführung.37

Diese Einschätzung hat natürlich Einfluss auf den Aufbau des Selbstkonzepts. Mädchen kann es suggerieren, dass sie dieses Leistungsniveau geschafft haben, aber für größere Aufgaben doch nicht so geeignet sind. Ein positiver Aspekt wäre, dass der durch Fleiß erbrachte Verdienst der Schülerin zeigt, dass sie für ihre Leistung selbst verantwortlich ist.

3.4. Geschlechterstereotype in der Schule und Schulbuchkritik

In diesem Kapitel entferne ich mich wieder etwas von den Wirkungen, die eine geschlechtstypische Erziehung im Selbstvertrauen der Schüler haben kann und betrachte die Gegebenheiten in der Einrichtung.

Zuerst einmal lässt sich in unseren Schulen eine geschlechtsspezifische Hierarchie der Lehrer feststellen. Je höher die Schulstufe, je weniger Lehrerinnen unterrichten und an der obersten Stufe der Hierarchie, bzw. in Leitungspositionen fehlen oftmals die Frauen.38Sie finden sich dann vermehrt in den Schulsekretariaten und in der Schulkantine wieder. Somit können Schülerinnen unbewusst notieren, welche Berufsbereiche ihnen eher offen stehen und wie die Fähigkeiten geschlechtstypisch verteilt sind.

Auch die gleichgeschlechtlichen Identifikationsmöglichkeiten mit den Lehrerinnen sind eher eingeschränkt. Mädchen erleben Lehrerinnen vor allem in geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern, wohingegen Jungen je nach Fächerangebot meist eine sehr viel größere Auswahl haben.39

Auch in den Schulbüchern ist geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiterhin traditionell dargestellt, d.h. die Frau ist immer noch Mutter, Hausfrau, Helferin oder ein im sozialen Bereich tätiges Wesen und der Mann ernährt die Familie oder repariert die Haushaltsgeräte oder fährt das Auto. Aber diese Konstellation stimmt in der heutigen Zeit schon längst nicht mehr.40Von feministischer Seite wird das schon seit Jahren kritisiert. Es besteht die Gefahr, dass sich dieses Denken bei Kinder aus weniger progressiven Familien geradezu verfestigt und diese Arbeitsteilung naturgemäß erscheinen lässt.41

3.5. Chancenungleichheit nach Lehrplan

Bevor Ende des 19. Jahrhunderts über den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen debattiert wurde, gab es zwar schon die in Preußen 1763 von Friedrich II. eingeführte allgemeine Schulpflicht42, aber bei der Schulbildung von Mädchen wurden andere Maßstäbe angesetzt als bei den Jungen. Sie sollten eher zur Ausbildung einer guten Ehefrau und Mutter dienen. Seit 1945 sind die Lehrpläne überwiegend neutral in Mädchen- und Jungenschulen.43

Doch kann angezweifelt werden, ob dieser Schritt jetzt die wirkliche Chancengleichheit gebracht hat. Untersuchungen von Horstkemper 1987 und Enders-Dragesser/Fuchs 1989 haben nachgewiesen, dass die Lehrpläne von heute sich eher auf die von Jungenschulen zurückführen lassen44. Die Überarbeitung und Umstellung der Lehrpläne wäre also eine erste Forderung hinsichtlich einer gleichberechtigten Edukation, denn auch heute noch kommen Mädchen und Jungen mit geschlechtsspezifischen Kompetenzen und Vorerfahrungen in die Schule. Als Beispiel lässt sich ein unterschiedlicher Umgang mit dem Computer anführen.45

Da ist zum einen der festgeschriebene Lehrplan, der ein eher männliches Wissen vermittelt. Ausgespart bleiben weibliche Interessen und größtenteils weibliche Wissenschaftlerinnen mit ihren Leistungen.46In Dänemark konnte man in einem Projektschulversuch einer Mädchenklasse feststellen, dass die Mehrheit der Mädchen mit einer sehr guten Note im Physikunterricht abschloss, nachdem die Schülerinnen mit der Lehrerin bei Schulbeginn offen über die Unterrichtsinhalte diskutiert hatten.47Normalerweise erreichen nur wenige Mädchen in diesem Fach eine sehr gute Note.

Mit einer geschlechtsspezifischen Erziehung verringert man die Chancen, dass Handlungs- potenziale, die schon im Menschen angelegt sind, zur Ausprägung kommen, d.h. zu Kompetenzen werden. Da nun die Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten in die Schule kommen, sollte versucht werden, weitere Kompetenzen zu entdecken. Man sollte also eine Vielzahl an Handlungspotenzialen voraussetzen und dann versuchen, durch verschiedene Anregungen und Infragestellungen von Inkompetenzen das Feld der Fähigkeiten zu erweitern.48

3.6. Fazit

Die Kinder treten schon mit unterschiedlichem Selbstvertrauen in die Schule ein und obwohl es sich bei beiden Geschlechtern positiv entwickelt, bleiben die Mädchen zurück. Die Jungen können ihren Vorsprung sogar noch ausbauen, da sie unmittelbar von Schulerfolgen profitieren. Bei Mädchen geht die Adaption der guten schulischen Leistung in das Selbstkonzept oftmals erst über die positive Einschätzung der Leistung durch den Lehrer.

Bei schulischen Misserfolgen gibt es auch geschlechtsspezifische Verwertungsstrategien. Die Jungen sind weniger anfällig, weil sie eher „peer-group“-orientiert sind und in diesen spielt die Schule an sich keinen grossen Aspekt. Jungen stehen der Schule eher oppositionell gegenüber. Da sich Mädchen eher konform zur Institution zeigen, auch in ihren „Peer-groups“, kann sie der schulische Misserfolg sehr viel mehr psychisch schwächen. Die LehrerInnen sind deshalb den Mädchen eine sehr große Selbstvertrauensstütze.

Andererseits haben LehrerInnen einen grossen Einfluss auf die (Geschlechts-) Identitäts- bildung ihrer Schüler. Erwiesen ist eine geschlechtsunterschiedliche Behandlung der Schüler durch die LehrerInnen, z.B. bekommen die jungen sehr viel mehr Aufmerksamkeit als die Mädchen.

Weiterhin wollte ich aufzeigen, dass das Schulsystem an sich nicht geschlechtsneutral gestaltet ist. Man kann in der Lehrerhierarchie feststellen, dass sehr wenig Frauen unter den leitenden und höheren Posten vertreten sind. Ausserdem sind sie als Identifikationspersonen selten außerhalb der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer anzutreffen. Ferner ist das Wissen, das laut Lehrplan vermittelt wird, eher männliches Wissen. Und in den Schulbüchern, mit denen gearbeitet wird, wird oftmals heute noch eine traditionell geschlechtstypische Arbeitsteilung gezeigt.

In ihrer gesamten Schullaufbahn kann ein Mädchen auf eine Geschlechtsrolle eingeengt werden, die als untergeordnet und nachrangig angesehen ist. Deshalb sollte man, wenn man meinungsgleich mit der Autorin annimmt, dass es im kognitiven Bereich keine naturgegebenen geschlechtsabhängigen Fähigkeiten gibt, als Lehrer oder Lehrerin versuchen, eine Vielzahl weiterer Kompetenzen zu entdecken.

4. Erfahrungen mit Non-edukativem Unterricht in Dänemark und Koedukation in der DDR

In diesem Abschnitt sollen zwei Beispiele aufgezeigt werden, die man als Versuch einer Erziehung verstehen kann, die geschlechtsstereotypes Denken durchbricht und beiden Geschlechtern zu einer Ausbildung von geschlechtsrollenuntypischen Kompetenzen verhilft.

4.1. Non-edukative Projekte in Dänemark Ende der 80er Jahre

Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet, bekommen die Jungen in unserem koedukativen Schulsystem mehr Aufmerksamkeit und die Mädchen halten sich tendenziell eher im Hintergrund.

Im non-koedukativen Unterricht erfahren Mädchen und Jungen eine geschlechtsneutrale Arbeitsweise und können ihre Stärken und Schwächen deutlicher zeigen. Auch die LehrerInnen haben weniger Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe zuzuwenden.

In Dänemark wurden in den 80er Jahren drei Projekte zu non-koedukativem Unterricht durchgeführt mit dem Ziel, den Mädchen mehr Freiraum zu schaffen.49 Einmal wurden die Mädchen einer 10. Klasse für ein Jahr getrennt unterrichtet. Ein nächstes war das Projekt „Mädchenklasse - Jungenklasse“ in einer 5. Klasse für zwei Monate und im dritten Projekt wurde die Klasse in einigen Unterrichtsstunden getrennt unterrichtet. In allen drei Projekten steigerte sich das Selbstvertrauen der Mädchen. Sie konnten teilweise zum ersten Mal lernen, ihre Meinung zu bilden. Allgemein stieg ihre Gesprächsbereitschaft und ihre fachliche Kompetenz.50Allerdings brachten diese Projekte weitere interessante Aufschlüsse.

Die Mädchen der 10., getrennt unterrichteten Klasse wählten, obwohl sie über alle Unterrichtsfächer informiert waren, für die 11. Klasse wieder konventionell. Und diejenigen, die nach der 10. Klasse ihre Ausbildung begannen, suchten sich tendenziell die gleichen Berufe aus, wie die anderen Mädchen auch.51

Bei dem Projekt der geteilten Schulstunden wurde festgestellt, das sich das Selbstvertrauen der Mädchen steigerte. Leider fielen die Mädchen nach der Zusammenlegung wieder in ihre alten Rollen zurück, was besonders im Physikunterricht auffiel.52

4.2. Koedukation in der DDR zum Aufbau eines neuen Gesellschaftssystems

1946 wurde die Koedukation in der sowjetischen Besatzungszone gesetzlich festgeschrieben53, dieser Akt war eine Notwendigkeit auf dem Weg zum Aufbau eines neuen Gesellschaftssystems.541961 wurde vom Zentralkomitee der SED ein Kommunique verabschiedet, welches die spezielle Förderung von Mädchen und Frauen beinhaltete55. Die Auslegungen waren dahingehend, dass vormals Benachteiligte speziell gefördert werden. Zu diesen zählten neben den Arbeitern und Bauern auch die Frauen.56

Eine Abweichung in der Koedukation gab es allerdings im Sportunterricht ab der 8. Klasse. Soweit ich mich erinnere, wurde es uns damit begründet, dass es einerseits zum Schutz der Mädchen diene, da sich gerade in dieser pubertären Phase der Körper entscheidend verändere, und andererseits mit der geschlechtsspezifischen Leistungsfähigkeit. Dabei wurde auch der Schulsport durch andere, geschlechtstypische Sportarten verändert und ab dieser Klassenstufe durften die männlichen Sportlehrer die Mädchen nicht mehr unterrichten.

Das Erziehungsziel der DDR war die Ausbildung allseitig entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten57, also vom Geschlecht war keine Rede mehr. Die gesetzlichen Maßnahmen dahingehend zeigten ihre Wirkung, selbst wenn ihnen nicht so viel Zeit bis zum Ende der DDR geblieben ist. Zu der Zeit nämlich waren mehr als 91% aller Frauen im arbeitsfähigen Alter berufstätig oder in einer Ausbildung und der Prozentsatz der Studentinnen an Hoch- und Fachschule war auch steigend.58

Der Zensurendurchschnitt, das offiziell einzige Zugangskriterium zu den Universitäten, war insgesamt bei den Mädchen höher. Somit musste befürchtet werden, dass sich die Anzahl an männlichen Studenten verringerte. Es wurden daher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Geschlechterproportion, das hieß, zur Wahrung der „Jungenquote“, angewandt.59In der Produktion waren viele weibliche Beschäftigte zu finden. Ermöglicht wurde die hohe Beschäftigungsrate durch das Angebot an Kinderkrippen und Kindergärten. Allerdings war dort das Personal durchgehend weiblich, denn Säuglinspflegerin, Kindergärtnerin und Hortnerin waren ausschließlich weibliche Ausbildungsberufe.60Man fächerte also die Berufsmöglichkeiten für qualifizierte Frauen auf, blieb aber bei den einfachen Ausbildungsberufen tendenziell geschlechtstypisch.

Die Koedukation sollte die Schüler beider Geschlechter auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereiten, die als Vorraussetzung für ökonomische Unabhängigkeit dient.61 Daher bekamen die Kinder und Jugendlichen eine polytechnische Bildung62, das hieß auch einen Arbeitsunterricht in den unteren Klassen, meist als „Werkunterricht“ benannt und einige Stunden in der Woche sollten die Schüler, wo vorhanden, im eigenen Schulgarten arbeiten. In den höheren Klassenstufen folgten Fächer, wie „Technisches Zeichnen“ und „Einführung in die sozialistische Produktion“, wo die Theorie der Produktionsabläufe gelehrt wurde. Zur Praxiserfahrung wurden die Schüler ab Klasse 7 in die Betriebe geschickt.

Die seit 1961 eingesetzte Förderung der Mädchen und Frauen beinhaltete auch eine Förderung der Mädchen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Es wurden landesweit Wissenswettbewerbe und außerschulische Aktivitäten angeboten, die die Mädchen auch sehr zahlreich besuchten. Aber dieses und weitere spezielle Berufs- und Studienkampagnen bekämpften nicht den sehr geringen Anteil an Mädchen in technischen Berufen.63

So sehr man die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch propagierte, kann gesagt werden, dass in den koedukativen Schulen nach „Jungenlehrplan“ unterrichtet wurde. Wie schon aufgezeigt, wurde den Mädchen der naturwissenschaftlich- technische Bereich eröffnet, aber für die Jungen gab es kein vermehrtes Eindringen in „weibliche“ Fachrichtungen, zum Beispiel in die Kinder- und Krankenpflege. Diskussionen zur Koedukation und ihren Auswirkungen auf die Geschlechtsrolle gab es nach den Anfangsjahren der Einführungen nicht mehr. Es wurden nur noch Bildungsinhalte besprochen.64

5. Zusammenfassung

Wie schon die Eingangsfrage im Titel meiner Arbeit verdeutlicht, habe ich versucht, verschiedene Aspekte geschlechtsunterschiedlicher Behandlung von Jungen und Mädchen zu beleuchten. Es konnte gezeigt werden , dass die schon sehr zeitig einsetzende Typisierung in unserem koedukativen Schulsystem eine weitere Bestärkung erhält. Zur besseren Veranschaulichung teilte ich somit meine Arbeit in die Bereiche vor- und außerschulischer geschlechtsrollenverstärkender Einflüsse und Einflüsse in der Schule ein. In zwei Beispielen ging ich auf Schulformen mit anderem soziologischen Hintergrund ein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Formung der Geschlechtsidentität und Persönlichkeit in sehr intensivem Maße schon vor Schuleintritt vollzieht. Das Selbstbild ist auch immer abhängig von dem jeweiligen Gesellschaftssystem, denn die Persönlichkeitsentwicklung beginnt schon in der Familie als kleinste soziologische Einheit. Dort wird durch die Eltern die Zweigeschlechtlichkeit vorgelebt. Und wenn die Kinder in die Institutionen des Systems eintreten, setzt sich diese Entwicklung im passiven Sinne fort, wie auch aktiv als Erziehung. Interessant wäre zu wissen, inwieweit sich Kinder aus weniger traditionellen Familien geschlechtsstereotypen Denkens enthalten können. Da die Schule ein Produkt, und dadurch ein Abbild der Gesellschaft ist, können die SchülerInnen mit dem „Heimlichen Lehrplan“ ein geschlechtsspezifisches Verhalten erlernen. In unseren koedukativen Schulen werden also Geschlechtsunterschiede gelehrt, aber nicht reflektiert. Deswegen habe ich im letzten Kapitel Beispiele angeführt: den in Dänemark versuchten geschlechtsbewussten Unterricht und den in der DDR praktizierten geschlechtslosen Unterricht In dieser Arbeit musste ich mich leider an Verallgemeinerungen halten. Ich nehme an, dass sich Einzelbiografien nicht in dem Maße verfolgen lassen, wie ich versucht habe, die geschlechtsunterschiedliche Erziehung und Prägung aufzuzeigen. Ich denke, dass das ein Mangel dieser Ausarbeitung ist und vielleicht auch in der gesamten feministischen Bewegung. Es wird immer Frauen geben, die sagen, dass sie solche Ungerechtigkeiten nicht erlebt haben und ihre berufliche Karriere auch selbstgesteuert verwirklichen konnten.

Des weiteren fiel mir während der Bearbeitung meiner vorliegenden Lektüre immer wieder die passive Rolle der Mädchen in den jeweiligen Untersuchungen auf. Aber vielleicht zeigt das auch gerade, dass Frauen, die wie eben erwähnt, ihr Leben unabhängig gesellschaftlicher Konventionen leben können, mehr als doppelt so begabt sein müssen wie Männer. Denn dann fallen sie aus dem Schema und finden Beachtung.

Literaturverzeichnis

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Horstkemper, Marianne: Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen, Eine Längsstudie über Mädchensozialisation in der Schule. Weinheim, München 1987

Kotthof, Helga.: Geschlechtstypisierung in der kindlichen Kommunikationsentwicklung, in: Jahrbuch für Pädagogik. Frankfurt am Main 1994.

Kron, Friedrich W.: Grundwissen Pädagogik. München 1994

Kruse, Anne-Mette: Non-edukativer Unterricht als geschlechtsbewusster Unterricht, in: Edith Glumpler (Hg.): Erträge der Frauenforschung für die LehrerInnenausbildung. Bad Heilbronn 1993

Kühn, Heidemarie.: Mädchenbildung im Schulsystem der DDR, in: Kleinau/Opitz: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Band 2. Frankfurt, New York 1996

Metz-Göckel, Sigrid/Nyssen, Elke: Frauen leben Widersprüche, Zwischenbilanz der Frauenforschung. Weinheim und Basel 1990

Rendtorff, Barbara: Geschlecht und Kindheit. ; Königstein/Taunus 1997

Tiedemann, Joachim/Faber, Günter: Mädchen im Mathematikunterricht: Selbstkonzept und

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Vogel, Ulrike: Sozialisationstheoretische Reflexion über Koedukation und soziale Ungleichheit, in: Zeitschrift für Frauenforschung 1/ 2 1996

Zinnecker, Jürgen: Emanzipation der Frau und Schuhlausbildung. Weinheim 1972

[...]


1Horstkemper 1987, S. 26.

2Vgl. Horstkemper 1987, S. 29ff.

3Vgl. Vogel 1996, S. 20.

4 ebd, S. 22.

5Vgl. Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 29.

6Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 35f.

7ebd, S. 32.

8Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 35.

9Kotthof 1994, S. 268.

10Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 37.

11Hagemann-White 1984, S.92, in: Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 37.

12 Metz-Göckel/Nyssen 1990, S.41.

13Hagemann-White 1984, S. 92, in: Metz-Göckel/Nyssen 1990, S.42.

14Kotthoff 1994, S. 268.

15Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 43,45.

16Vgl. Löwe/Storr 1977, in: Fried 1989, S. 437.

17ebd, S. 488.

18 Vgl. Fried 1989, S. 481.

19Vgl. Rendtorff 1997, S. 91f.

20Vgl. Horstkemper 1987, S. 26-34.

21 ebd, S. 168.

22Vgl. Tiedemann/Faber 1995, S. 61-71.

23Vgl. Rendtorff 1997, S. 91.

24Vgl. Horstkemper 1987, S. 58ff.

25ebd, S. 169.

26„Peer-groups nennt man in der Jugendsoziologie die Bezugsgruppe für ein Individuum, die aus ihm ebenbürtigen, meist Gleichaltrigen besteht und eine besonders starke soziale Kontrolle ausübt.“ (H. Schoeck: Soziologisches Wörterbuch 1969, Verlag Herder Freiburg im Breisgau, Freiburg)

27Zinnecker 1972, S. 161.

28Vgl. Horstkemper 1987, S. 190-199.

29Zinnecker 1972, S. 200ff; Macoby/Jacklyn 1974, S. 205ff., in: Horstkemper 1987, S. 65-71.

30 Vgl. Horstkemper 1987, S. 65-71.

31Vgl. Horstkemper 1987, S. 70f.

32Horstkemper 1987, S. 71ff.

33Vgl. Rendtorff 1997, S. 99.

34vgl. Horstkemper 1987, S. 76ff.

35ebd, S. 77.

36ebd, S. 71 ff.

37 Rustemeyer 1982, S. 56 in: Horstkemper 1987, S. 779.

38Vgl. Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 77ff.

39Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 76.

40Vgl. Dick u.a. 1986, S. 3, zit. n.: Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 70f.

41Vgl. Metz-Göckel/Nyssen 1990, S. 71.

42Kron 1994, S. 291.

43Vgl. Pfister 1988, S. 28.

44Vgl. Vogel 1996, S. 23.

45 ebd, S. 24.

46Vgl. Horstkemper 1987, S. 219.

47Kruse 1993, S. 126.

48 Kruse 1993, S. 25f.

49Vgl. Kruse 1993, S. 144.

50Vgl. Kruse 1993, S. 139.

51Vgl. Kruse 1993, S. 126.

52Vgl. ebd, S. 136.

53Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule, in: Dokumente 1970, S. 208, zit. n.: Kühn 1996, S. 435.

54 Vgl. Kühn 1996, S. 436.

55Vgl. ebd, S. 437.

56Vgl. ebd, S. 434.

57Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, in Quellen, S. 539-546, zit. n.: Kühn 1996, S. 542.

58 Vgl. ebd, S. 441f.

59Speigner 1979, S. 198, in: Kühn 1996, S. 442.

60Vgl. „Elternhaus und Schule“ 7 1958, Nr. 12, zit. n.: Kühn 1996, S. 441.

61Vgl. Kühn 1996, S. 435f.

62„politechnische Bildung“ zielte auf: Aneignung solider mathematischer, naturwissenschaftlicher, ökonomischer und technischer Grundkenntnisse mit einem breiten Anwendungsspektrum in der modernen Wissenschaft, Produktion und Technik und Volkswirtschaft; in: Pädagogisches Wörterbuch, Berlin 1987, S. 302-303.

63 Vgl. Kühn 1996, S. 437.

64 Vgl. ebd, S. 445.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Probleme (mit) der Koedukation
Hochschule
Universität zu Köln
Autor
Jahr
2001
Seiten
14
Katalognummer
V106658
ISBN (eBook)
9783640049356
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Probleme, Koedukation
Arbeit zitieren
Sylvia Csontos (Autor:in), 2001, Probleme (mit) der Koedukation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106658

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