Ist der Einsatz von Folter gerechtfertigt oder sogar sinnvoll, um Menschenleben zu retten?
In meiner Hausarbeit stelle ich dar, wie sich mithilfe der Diskussion um Menschenrechte an dieses Dilemma angenähert werden kann. Dabei gehe ich davon aus, dass eine Lösung des Dilemmas nur anhand der Prinzipien der Menschenrechte gefunden werden kann.
Zuerst stelle ich den Begriff der „Rettungsfolter“, seine Anwendung und in welchen Zusammenhängen über den Einsatz diskutiert wird, vor. Dazu werde ich die Wirkung von Foltermethoden erläutern und die Verwertbarkeit unter Folter getätigter Aussagen kritisch unter die Lupe nehmen. Darüber hinaus stelle ich die internationalen und nationalen Beschlüsse, Erklärungen und Konventionen zum Thema Menschenrechte und Folter vor.
Im zweiten Teil erarbeite ich eine pädagogische Annäherung an das Thema und versuche eine Lösung des Dilemmas anhand der Menschenrechte zu skizzieren. Ich möchte eine mögliche Annäherung an das Thema vorstellen, die in fünf Schritten von den Menschenrechten über das Folterverbot zu konkreten Einzelfällen hinleitet. Als Grundlage nutze ich dazu den vorgestellten Film und reale Fälle um in das Thema einzuführen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Einleitung
3. Folter und Menschenrechte
3.1. „Rettungsfolter“
3.2. Wirkung und Folgen von Folter
3.3. Menschenrechte mit Bezug auf Folter
4. Menschenrechtsbildung
4.1. Pädagogische Annäherung
4.2. Das Dilemma
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einführung
Film: Ausnahmezustand, 1998
General William Devereaux: Wie lange sind sie schon dran?
CIA-Agent Sharon Bridger: Mir scheint, nicht lange genug.
General William Devereaux: Wie lange wird es dauern, bis er die übrigen Zellen verrät?
FBI-Agent Anthony Hubbard: Er kann sie nicht verraten, weil er gar nicht weiß, wo sie sind.
General William Devereaux: Er weiß es.
FBI-Agent Anthony Hubbard: Ganz sicher nicht. Das ist doch ihre Theorie, Sharon. Sie haben es uns doch in der Strategiebesprechung erklärt. Ich meine, dass eine Zelle nicht weiß, wo die andere steckt.
General William Devereaux: Wie lange brauchen wir um ihn klein zu kriegen?
CIA-Agent Sharon Bridger: Zu lange, wenn wir so weitermachen. Das Theater flog neun Stunden nach dem Ausschalten der ersten Zelle in die Luft.
General William Devereaux: Also, welche Methode schlagen sie vor? ... Schläge. Wie wäre es damit, Sharon.
CIA-Agent Sharon Bridger: Funktioniert nicht.
General William Devereaux: Bei den Israelis schon.
CIA-Agent Sharon Bridger: Nur sinnvoll in Verbindung mit Schlafentzug. Dauert mindestens 36 Stunden.
General William Devereaux: Wir haben keine 36 Stunden. ... Und Elektroschocks?
CIA-Agent Sharon Bridger: Die Neurotransmitter werden ausgeschaltet.
General William Devereaux: Wasser?
Colonel Hardwick: Die Palästinenser haben damit schon viel Erfolg gehabt. ... Wir könnten auch schneiden.
Tariq Husseini: (Gebete auf arabisch)
Colonel Hardwick: Macht aber ne ziemliche Sauerei.
FBI-Agent Anthony Hubbard: Sind sie überhaupt noch zu retten? Wovon reden sie bloß?
General William Devereaux: Wir haben hier einen Mann der leiden muss, damit Hunderte von Leben gerettet werden.
2. Einleitung
„Wir haben hier einen Mann der leiden muss, damit Hunderte von Leben gerettet werden“, begründet General William Devereaux, gespielt von Bruce Willis, im US-Spielfilm „Ausnahmezustand“ von 1998 seinen Einsatz von Foltermethoden gegen Tariq Husseini. Gemeint ist die Verhinderung eines Terroranschlags in New York. Und obwohl diese Situation rein fiktiv ist, bekommt sie drei Jahre später in New York traurige Aktualität. Ist der Einsatz von Folter gerechtfertigt oder sogar sinnvoll, um Menschenleben zu retten?
In meiner Hausarbeit stelle ich dar, wie sich mithilfe der Diskussion um Menschenrechte an dieses Dilemma angenähert werden kann. Dabei gehe ich davon aus, dass eine Lösung des Dilemmas nur anhand der Prinzipien der Menschenrechte gefunden werden kann.
Zuerst stelle ich den Begriff der „Rettungsfolter“, seine Anwendung und in welchen Zusammenhängen über den Einsatz diskutiert wird, vor. Dazu werde ich die Wirkung von Foltermethoden erläutern und die Verwertbarkeit unter Folter getätigter Aussagen kritisch unter die Lupe nehmen. Darüber hinaus stelle ich die internationalen und nationalen Beschlüsse, Erklärungen und Konventionen zum Thema Menschenrechte und Folter vor.
Im zweiten Teil erarbeite ich eine pädagogische Annäherung an das Thema und versuche eine Lösung des Dilemmas anhand der Menschenrechte zu skizzieren. Ich möchte eine mögliche Annäherung an das Thema vorstellen, die in fünf Schritten von den Menschenrechten über das Folterverbot zu konkreten Einzelfällen hinleitet. Als Grundlage nutze ich dazu den vorgestellten Film und reale Fälle um in das Thema einzuführen.
3. Folter und Menschenrechte
3.1. Rettungsfolter
Geht man vom allgemeinen Sprachgebrauch aus, versteht man Folter sehr undifferenziert als erhebliche Schmerzzufügung (vgl. Hilgendorf 2004, S. 334). Zur genaueren Begriffserklärung möchte ich auf den Artikel 1 Absatz I der Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK) zurückgreifen. Dort wird „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden“ als Folter bezeichnet.
Generell könnte man Folter im Hinblick auf den jeweiligen „Zweck“ in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen. Vor allem in der Antike, im Mittelalter und im Nationalsozialismus angewendet, kann man unter den Begriff der Inquisitionsfolter die Erzwingung von Aussagen und Geständnissen im Nachhinein fassen. Im Gegensatz dazu gibt es den Begriff der Rettungs- oder Präventivfolter (vgl. Möhlenbeck 2008, S. 19f).
Mit der Rettungs- oder Präventivfolter ist die Anwendung von Folter zur Abwendung einer Gefahrenlage gemeint. Im juristischen Sinne ist daher diese Art der Folter eher im polizeirechtlichen Kontext zu sehen (ebd.). Beispiele für den Einsatz derartiger Methoden sind dabei unerschöpflich. Für diese Arbeit möchte ich drei Beispiele aufführen, die auch bei der pädagogischen Annäherung an das Thema eine Rolle spielen können.
Ausnahmezustand
In dem in diese Hausarbeit einleitenden Film erwarten Armee, CIA und FBI weitere Anschläge von islamistischen Terrorzellen nachdem in einem Bus, einem Theater und im FBI-Hauptquartier Bomben explodiert sind und hunderte Menschen getötet wurden. Der amerikanische Staatsbürger Tariq Husseini, der Verbindung zu einer der Zellen haben soll, wird vom Militär gefoltert, um von ihm Informationen über weitere Anschläge zu erhalten. Gleichzeitig werden arabisch-stämmige Männer im ganzen Stadtgebiet festgenommen und in einem Sammellager im Stadion interniert.
Guantanamo
Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 flammte mit dem „Krieg gegen den Terror“ auch die Diskussion um Folterbefugnisse in den USA auf. So wurde im Gefangenenlager Guantanamo mit Genehmigung der US-Regierung gefoltert. In einem im Mai 2005 verfassten geheimen Memorandum des US-Justizministeriums wurden Schläge auf den Kopf, nackter Aufenthalt in kalten Gefängniszellen, Schlafentzug durch laute Rockmusik, Fesseln des Häftlings in unangenehmen Positionen sowie Waterboarding als gesetzeskonforme Verhörmethoden angesehen (vgl. Shane, Johnston und Risen 2007, online). Je nach Fall sind vermutlich Foltermethoden genutzt worden, um Pläne und Informationen zum Zweck der Rettung zu erfahren, aber ebenso auch um Aussagen zu erzwingen.
Daschner-Prozess
Auch in Deutschland entstand nach der Entführung des elfjährigen Jakob von Metzler am 27. September 2002 eine intensive Debatte über „Rettungsfolter“. Der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner und der Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit wurden wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat und N ö tigung im Amt verurteilt, nachdem sie dem Entführer Magnus Gäfgen mit Folter gedroht hatten, um den Aufenthaltsort des Jungen herauszufinden. Unter anderem sprach sich der damalige Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth, wenige Monate später für eine Erlaubnis von Folter-Androhung und Folter in bestimmten Fällen aus (vgl. Müller-Neuhof 2003, online).
Auch wenn der Begriff der Rettungsfolter als Unterscheidung des Folterzwecks dienen kann, so suggeriert er einen „positiven Grund“ für derartige Maßnahmen. In dieser Begriffsverbindung findet eine Milderung der Stigmatisierung des Begriffes Folter statt (vgl. Marx 2004, S. 282f). Unterscheidet man Folter jedoch in der Wirkung, den Folgen (3.2.) und den Menschenrechtsverletzungen (3.3.) an den Opfern, so sind meines Erachtens die Begriffe der Präventiv- und der Rettungsfolter als Euphemismus abzulehnen.
3.2. Wirkung und Folgen der Folter
Zu den Auswirkungen von Folter gibt es viele Untersuchungen und Publikationen. An dieser Stelle möchte ich nur einen kurzen Einblick geben, wie Folter wirkt, welche langfristigen Folgen auftreten und wie die Aussagekraft unter Folter getätigter Angaben zu bewerten ist.
Drei Kernpunkte sind hervorzuheben, die die Perfidie und den „Erfolg“ von Foltermethoden beschreiben. Zum einen ist der komplette Autonomieverlust des Gefolterten zu nennen, so dass nicht mehr selbstbestimmt über Wissens- und Informationsabgabe entschieden werden kann. Dies ist ein körperlicher, von Schmerzen dominierter Reflex und damit nicht gleichzusetzen mit einer moralisch zugesprochen Autonomie, die genommen wird (vgl. Jerouschek/Kölbel 2003, S. 618). Gleichzeitig findet eine vollkommene Demütigung durch den Kampf gegen die Schmerzen und das unweigerliche Unterliegen vor dem Folterer statt. Der Folterer übernimmt so die gesamte Herrschaft über das Opfer und degradiert es zu einem bloßen Objekt seiner Gewalt. Das Opfer verliert seine Subjektstellung. Zusätzlich setzt Folter den Gefolterten auf „seine pure Leiblichkeit zurück. In der Hand des Folterers wird der leidende Körper zu einem einzigartigen Werkzeug der Macht gegen den Gefolterten selbst [...]“ (Sofsky 1996, S. 93). Der eigene Körper wird so zum Feind und zum Komplizen des Folterers und komplettiert die Demütigung (vgl. Möhlenbeck 2008, S. 33). Die körperlichen Schmerzen, die vollkommende Demütigung und der komplette Verlust der Selbstbestimmtheit führen so zum Unterliegen und zu jedweder Aussage des Gefolterten.
Hieraus resultieren - sollte die Prozedur überlebt werden - erhebliche kurz- und langfristige Folgen. Die körperlichen Auswirkungen von Folter sind mit Ausnahme von Verstümmelungen und Amputationen meistens heilbar und langfristig nicht sichtbar. Die Gefolterten leiden sowohl kurz-, mittel- und langfristig eher an psychischen und psychosomatischen Nachwirkungen. Nach der Folter sind meistens akute Belastungsstörungen nachzuweisen, die sich in Schuld- und Schamgefühlen, Ängsten, Misstrauen und Wiedererleben des Traumas widerspiegeln. Die langfristigen Folgen beschreiben Graessner und Wenk-Ansohn (2000) in ihrer Handreichung „Die Spuren von Folter“. Es bilde sich häufig eine posttraumatische Belastungsstörung mit Reizvermeidung, anhaltender Übererregung und weiteren Symptomen. Außerdem treten bei Gefolterten häufig Depressionen, Schmerz-, Angst- und Panikstörungen, Suchterkrankungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Suizidalität auf. Trotz unterschiedlicher Erfahrungen sind bei fast allen Gefolterten übereinstimmende Symptome zu belegen. Daher spricht man bei diesen Nachwirkungen von einem „Foltersyndrom“ oder „Foltertrauma“ (Nuscheler/Klingbiel 1992, S. 41ff).
Spricht man von „Erfolg“ von Folter, so meint dies, dass man jede Aussage aus jemanden „herausholen“ kann. Dabei ist es ab einem gewissen Zeitpunkt - dem voran beschriebenen Reflex - dem Gefolterten egal, ob es sich um eine wahre oder unwahre Aussage handelt. Gerade dieses Glaubwürdigkeitsproblem ist schon bei der Inquisitionsfolter ein entscheidender Kritikpunkt, wie Schriften des Aristoteles und Cicero in der Antike, des Aurelius Augustinus und Agrippa von Nettesheim im Mittelalter, sowie die von Friedrich von Spee und Christian Thomasius im Zeitalter der Aufklärung belegen (vgl. Möhlenbeck 2008, S. 26ff). Bei der Rettungsfolter ergibt sich ein weiteres Problem, da es sich hier um das Wissen konkreter Details (z.B. Anschlagspläne, Aufenthaltsort von Entführten oder weiteren Verdächtigen) und nicht um Vorwürfe und Tatanschuldigungen handelt. Der Gefolterte kann also in diesem Fall die Informationen wissen - aber eben auch nicht. Daraus ergibt sich ein weiteres Dilemma für eine mögliche Einschätzung, ob Folter z.B. durch Ermittlungsbehörden angewendet werden kann: Woher weiß der Folternde sicher, dass der Gefolterte die Information kennt? In den gewählten Beispielen hatte Tariq Husseini keine Ahnung über weitere Terroraktivitäten. In Guantanamo werden nach mehreren Jahren Gefangene freigelassen, da ihnen keine Terroraktivität nachzuweisen war, geschweige denn, dass sie Informationen Preis geben konnten. Und im Fall des Entführten Jakob von Metzler hatte Manuel Gäfgen die Entführung gestanden. Ob es aber Mittäter gab, wussten auch die mit Folter drohenden Polizeibeamten nicht.
3.3. Menschenrechte mit Bezug auf Folter
Mit der Charta der Vereinten Nationen im Jahr 1945 wurde eine Kommission zur Ausarbeitung universell anerkannter Menschenrechte eingerichtet (Artikel 68), die mit dem Beschluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 ihren Abschluss fand. Unter Artikel 5 dieser Erklärung ist das universelle Folterverbot festgeschrieben. Dort heißt es: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Juristisch zwar nicht verbindlich aber programmatisch wegweisend bildet die Allgemeine Erklärung so die Grundlage für menschliches Verhalten über alle nationalen Grenzen hinweg. Seit dem ist das Verbot der Anwendung von Folter fester Bestandteil aller großen Menschenrechtsabkommen.
Juristische Bindung im Bereich der Vereinten Nationen erhielt das Folterverbot mit der Verabschiedung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) am 16. Dezember 1966 in New York. Der erste Satz des Artikels 7 ist wortwörtlich mit dem des Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Bei dem IPBPR sind zwei weitere Punkte herauszustellen: So wird mit Artikel 4 Abs. 2 gesichert, dass selbst bei einem Notstand das Folterverbot in Kraft bleibt. Außerdem wird ein nicht ständiger Ausschuss eingerichtet (Art. 28ff), bei dem sowohl Staaten- als auch Individualbeschwerden behandelt werden. Eine genauere Definition von Folter oder grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe fand jedoch im IPBPR nicht statt.
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- Quote paper
- Benjamin Waldmann (Author), 2011, "Rettungsfolter". Menschenrechtsbildung als pädagogische Annäherung an ein moralisches Dilemma, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064652
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