1. Die Biographien zweier Künstler
1.1 „Von Beruf bin ich Maler“
Michelangelo1 Merisi wurde 1571, wohl am 29. September, ein eindeutiges Geburtsdatum ist nicht existent, am Tag des heiligen Michael, in dem kleinen Ort unweit von Mailand geboren, nach dem er auch genannt wird: Caravaggio. Sein Vater, namens Fermo Merisi, diente für den Herren dieses Ortes, des Marquese di Caravaggio. Caravaggios Vater soll Maurer, nach anderen Zeugnissen Hausmeister und Architekt gewesen sein. Dem Hofe des Marquese folgend, lebte die Familie zeitweilig in Mailand, doch als 1576 dort die Pest ausbrach, zog der Vater mit seinen Angehörigen nach Caravaggio zurück, wo er 1577 starb, scheinbar als Opfer der Epidemie.
1584 wurde Caravaggio zu Simone Peterzano nach Mailand in eine 4-jährige Lehre gegeben, einem lokalen und handwerklichen Maler, der stolz darauf war, bei Tizian gelernt zu haben.
1592, zwei Jahre nach dem Tod seiner Mutter wurde das Familienerbe aufgeteilt und es ist anzunehmen, daß er damit als „hochqualifizierter Wirtschaftsflüchtling“2nach Rom ging, den Migrationsbewegungen folgend, die in Oberitalien infolge der Epidemien und Hungersnöte einsetzten, so daß er in Mailand und in seiner Heimatstadt keine Chancen für die Ausübung seiner Kunst gesehen haben dürfte.
Bis 1599 fehlen jegliche Dokumente, die seinen Aufenthaltsort eindeutig belegen könnten, woraufhin man auf spätere Biographen Caravaggios Mancini, Baglione und Bellori(...) angewiesen ist, die in Details voneinander abweichen und somit eine geradlinige und von mehreren Seiten belegte Vita nahezu unmöglich machen. Jedenfalls schien Caravaggio spätestens 1593 in Rom angekommen zu sein und suchte sich, wie es für einen jungen Handwerker auf Wanderschaft, zu dieser Zeit üblich war einen Haushalt in dem er wohnen und arbeiten konnte. Anfangs fand er bei einem sizilianischen Maler billiger Bilder, Monsignore Pandolfo Pucci für den er Andachtsbilder kopierte, Unterkunft und Beschäftigung und schließlich stellte ihn Cavalier d‘Arpino, einer der erfolgreichsten Maler Roms ein, in dessen Werkstatt er Blumen und Früchte malte. Der Versuch sich selbständig zu machen schlug fehl und er geriet in bittere Armut.
Bellori bringt Caravaggios damalige Situation sehr treffend auf einen Punkt:
He went to Rome, where he lived without lodgings and without provisions.“3„Durch einen französischen Kunsthändler, der einen Laden in der Nähe der Kirche San Luigi die Francesi unterhielt, wurde der Kardinal Del Monte auf Caravaggio aufmerksam. Er bekundete offensichtliches Interesse an seinen Gemälden und nahm ihn in seinen Palast auf, wo Caravaggio, als Mitglied der famigliades Kardinals für ihn arbeitete und seinen Schutz genoß. „Del Monte ebnete ihm seinen künstlerischen Weg, indem er ihm zu seinem ersten großen öffentlichen Auftrag verhalf, den Bildern für die Contarelli- Kapelle in San Luigi dei Francesi.“4Schlagartig berühmt wurde er zwischen 1599 und 1600 durch die Berufungund dasMartyrium des Matthäusfür die französische Kirche die ganz in der Nähe von Del Montes Palast lag. Der nächste Auftrag folgte sofort: 1600- 1601 malte er die zwei seitlichen Bilder in der Cerasi- Kapelle in Santa Maria del Popolo, auf denen er dieBekehrung Pauliund dasMartyrium Petridarstellte. Weiterhin folgten eine später verworfene Version desApostel Matthäus, der unterstützt von einem Engel das Evangelium aufzeichnet und z.B. dieGrablegung Christium nur einige seiner wichtigsten und bekanntesten Werke zu nennen, die sowohl in seiner tatsächlich gelebten Vita, als auch in der biographischen Verfilmung als markante Eckpunkte und erzählende Reliquien fungieren.
„Neben diesen Dokumenten, die sich auf einige seiner römischen Aufträge beziehen, erfährt man aus den übrigen Quellen, die über Caravaggios Leben in Rom bekannt geworden sind, ausschließlich von Streitereien und gerichtlichen Auseinandersetzungen, in die Caravaggio seit 1600 zunehmend verwickelt war.“5
Der Holländer Karel van Mander beschreibt ihn noch zu seinen Lebzeiten in seinem Buch Het Schilderboek, als eine „Mischung aus Spreu und Weizen“.6 „Er widmet sich nicht beständig seinem Werk, sondern, wenn er ein paar Wochen gearbeitet hat, läßt er sich, immer den großen Degen an der Seite und einen Diener hinter sich , ein oder zwei Monate freien Lauf, zieht von einem Ballspiel zum anderen, jederzeit zu Duells und Raufereien bereit, sodaß man ihn nur selten zuhause antrifft.“7
An dieser Einteilung an künstlerischem Schaffen und krimineller Ausschweifung möchte man fast zweifeln, wenn man Caravaggios gewaltiges Lebenswerk bedenkt. Jedoch die Beschreibung, wie der Künstler mit Diener und großen Degen herumzog, könnte nicht lebendiger sein und stellt fast eine düstere Vorhersage der Tragödie dar, die sich am 29. Mai 1906 auf dem Marsfeld ereignete. Bei einem Tennisspiel, das in eine Schlägerei ausartet, bei dem zuerst ein Mitglied seiner Mannschaft umgebracht wird, erschlägt er seinen Kontrahenten Ranuccio Tomassoni. Dieses Geschehen löste große Bestürzung in Rom und ganz Italien aus. Trotz seines Status als einer der bekanntesten Männer Italiens gelingt es ihm zu fliehen und seine Spuren zu verwischen. Jetzt beginnt das unstete gehetzte Wanderleben seiner letzten Jahre. Seine Flucht führt ihn nach Neapel und Malta, doch auch hier gerät er mit der Justiz in Konflikt oder aber sein Mord in Rom wurde bekannt. Er wurde gefangen genommen, konnte jedoch mit dem Schiff nach Sizilien fliehen, zunächst nach Syrakus, dann nach Messina. In Neapel sollen ihm seine Feinde nachgestellt und schwer verletzt haben. Er schifft sich nach Rom ein, in Porto Ercole angekommen, wird er aufgrund einer Verwechslung für zwei Tage in ein Gefängnis geworfen. Nach seiner Entlassung setzt er seinen Weg zu Fuß fort, doch als er sich ein Fieber zuzog, reichten seine Widerstandskräfte nicht mehr aus. „Er starb am 18. Juli 1610 unterwegs, „so elend wie er gelebt hatte“, wie Baglione, ein Biograph seiner Zeit, schreibt.“8
Michelangelo Merisi da Caravaggio spielte in seiner tatsächlich gelebten Vita, die Rolle eines extravaganten Wesens, das durch sein Benehmen und nicht zuletzt durch seine Kunst zu beiden Teilen der außerordentlichen Bewunderung und der Verachtung auffiel und oft im öffentlichen Interesse stand. Er hatte scheinbar nie die traditionelle, zunftmäßige Regulierung seiner beruflichen Laufbahn, die Eröffnung eines fest etablierten Ateliers oder die Einheirat in eine Werkstatt, in Erwägung gezogen oder erreicht. Aber auch der Königsweg der Maler gelang ihm auf Dauer nicht, die Übernahme an den Hof eines weltlichen oder geistlichen Fürsten als Hofmaler. In einer traditionalen Gesellschaft mußte ein individuelles Leben, so wie es Caravaggio führte, das sich den festen Institutionen der Familie, des Haushaltes und der gewerblichen Organisation, wie der Zunft, verweigerte, „elend“ sein, wie Baglione schreibt. Trotz Caravaggios oft nicht nachvollziehbarem Lebenswandels läßt sich ein Mythos ableiten, in dem er zu einer sympathischen Heldenfigur wird, die durch sein Einzelgängertum und seine künstlerischen Fertigkeiten nahezu das Interesse eines jeden wecken kann. Diese Ansicht vertrat wahrscheinlich auch Derek Jarman, als er die Hauptrolle des 1986 gedrehten Films „Caravaggio“ mit Nigel Terry besetzte. In dem kompletten Drehbuch fügt Derek Jarmen Kommentare zu den Dreharbeiten hinzu und äußert sich folgendermaßen zu der Arbeit mit Caravaggio alias Nigel Terry. „The joy of working with actors is that after an initial exploration their characters take over instinctively. Nigel Terry softened and warmed the part so that Caravaggio is always sympathethic.“9 Er scheint die Rolle des Sympathieträgers auch in Jarmans Augen zu behalten, vielleicht gerade weil der wirkliche Caravaggio sehr in sich gekehrt und statisch zu sein schien und die den Künstler umgebende Welt um so interessanter und aufregender war. Giovanni Baglione der als Caravaggios Zeitgenosse und sehr kritischer Biograph auch im Film vorkommt, gespielt von Jonathan Hyde, verstärkt somit die Authentizität und bringt den gesellschaftlichen Rahmen und das soziale Umfeld Caravaggios dem Zuschauer näher, äußerte sich 1642 wie folgt über Caravaggio: „Some people thought that he had destroyed the art of painting Because of his excessively fearless nature ... (he) was quite a quarrelsome individual, and sometimes he looked for a chance to break his neck or jeorpardize the life of another.“10Baglione wählt einen sehr unsachlichen und unfairen Weg der Kritik. Er trennt Caravaggios Malerei und sein Verhalten nicht, sondern macht ihn der Kunst unwürdig, spricht sie ihm aufgrund des Verhaltens ab. Jarman dagegen sieht in ihm ein Wesen voller Zweifel, ruhig und zurückgezogen. „Michele is a strange mixture of vanity and humility, with a confidence born of extreme doubt; a much quieter man than hi biographers have allowed, secretive and withdrawn.“11 Nichts desto trotz läßt Jarman den Zuschauer Caravaggios Aggressivität und Kampflust spüren. Als Symbol seiner Angriffslust fungiert im Film ein Messer, welches er immer bei sich trägt. Es trägt eine Inschrift: „Nec spe nec metu“, was soviel heißt wie: „No hope no fear“ und nicht nur für Caravaggios extremes Motto spricht, sondern ihn und den Zuschauer den gesamten Film über begleitet. In Szene fünf befindet sich der junge Caravaggio, ungefähr im Alter von zwanzig Jahren, mit einem englischen Kunstliebhaber in seinem Zimmer. Der Kunstliebhaber, in einem sichtlich betrunkenen Zustand und heruntergelassenen Hosen tänzelt unbeholfen um den jungen Künstler herum, der wiederum lachend, eine Weinflasche von einer Hand in die andere wandern läßt und sich fluchtartig, im Kreise drehend von dem älteren Herrn wegbewegt.
Die Doppeldeutigkeit dieser Situation ist nicht zu übersehen und spielt in ihrer Darstellung nicht zuletzt auf Caravaggios vermutete Homosexualität an. Als Caravaggio jedoch sein Messer zieht und den „Kunstliebhaber“ mehr und mehr bedroht, macht er sein Opfer zum Spielzeug. Letztendlich verletzt er ihn nicht, doch macht ihm gegenüber den eigenen Wert deutlich und zeigt ihm, wie schnell sich Grenzen verwischen und Rollen sich ändern können. „In plain English, I‘m an art object and very very expensive- you have had your money‘s worth.“12,
so der junge Caravaggio. Was der „Kunstliebhaber“ nun für sein Geld bekam, verrät uns Jarman nicht, doch er läßt uns die Möglichkeiten offen, Caravaggios verkaufte Kunst oder seine „Liebesdienste“ als Ware in Betracht zu ziehen. Eine weitere Szene symbolisiert Caravaggios Furchtlosigkeit, gegenüber Waffen und der eigenen Verwundbarkeit. „Michele and Ranuccio fight with knives in the studio.(...) Ranuccio presses his advantage and then stops, Michele smiles, and in that moment Ranuccio knifes him. Michele‘s reaction is unexpected.“13Er berührt mit der Hand die ihm zugefügte Wunde, unterhalb des Herzens, nimmt etwas Blut, verschmiert es in Ranuccios Gesicht, und fügt hinzu: „Blutsbrüder“. Ranuccio lacht und besiegelt dieses Ritual mit einem Kuß. Anstatt sich zu rächen, wie man es vielleicht als Reaktion erwartet hätte, verteilt er sein Blut auf dem Gesicht seines Kontrahenten, fast schon liebevoll, so wie er sonst die Farbe auf der Leinwand verteilt hätte.
Michelangelo Caravaggio im wirklichen Leben ein Mörder, wie Eingangs erwähnt, tötete beim Spiel einen Mitspieler aus der Gegenmannschaft, Ranuccio Thomassoni. Damals, als Reaktion auf Ungerechtigkeit.
Im Film wird Ranuccio aus dem Gefängnis entlassen, einst verdächtigt, Lena, die geliebte Caravaggios im Tiber ertränkt zu haben. Caravaggio wartet auf ihn und bei den ersten Worten die sie miteinander reden, stellt sich heraus, daß Ranuccio Lena tötete: „I did it for you- for love!“(...) The light goes out on Michele‘s face. He looks astounded. It has never crossed his mind that Ranuccio might be the murderer.“14Er zückt sein Messer und sieht ihn fast eine Ewigkeit an. Dann durchtrennt er plötzlich Ranuccios Kehle, überall spritzt das Blut.
Ranuccio versucht das Blut zu stoppen, diesmal ist er es, der sein Blut in Caravaggios Gesicht verteilt, „in a mirror-image of the earlier knife fight.“15Ranuccio umklammert ihn, bis sich sein Griff langsam löst und er tot zu Boden fällt. Caravaggio ein Mörder, aus Liebe und Rache für seine geliebte Lena. Ranuccio ebenfalls ein Mörder, vielleicht auch aus Liebe, aus Liebe zu Caravaggio. Jarman schafft es, die aggressive Ader in Caravaggios Leben so zu integrieren, daß sie auch in Anbetracht der damaligen Zeit zu einer Charaktereigenschaft wird, die der Betrachter unbewußt akzeptiert. Zumindest wird sie ihm nicht zum Verhängnis, als Protagonist auch Sympathieträger zu sein. Weiter beschreibt Jarman die Rolle als „most difficult role“16, denn er selbst Maler, weiß um die erweiterte Bedeutung des Malens an sich, als Geste und Körpersprache. „Nigel was, over a few weeks, able to establish, with the small gestures, a perfect and thrilling rapport with those around him (...). Painting too is the art of small gestures, the arc of hand holding a brush.“17
Mit Nigel Terry als Hauptdarsteller können wir uns ungefähr Caravaggios Erscheinungsbild vorstellen, in der Literatur findet man allerdings weniger schmeichelhafte Beschreibungen.
„Er hatte eine dunkle Hautfarbe“, schreibt einer seiner Biografen aus dem 17. Jahrhundert, Giovan Pietro Bellori, „und dunkel waren auch seine Augen, seine Brauen und sein Haar.“18Er beschreibt weiter, daß er „klein gewachsen war und ein häßliches Gesicht“ hatte.19Weitere Einzelheiten gibt Gigli preis, ein gewiß nicht überragender Dichter, der Caravaggio aber persönlich kannte. In seinem nur fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers veröffentlichten Werk Pittura Trionfante (Triumph der Malerei) beschreibt er ihn auf diese Weise: „Von launischem und wahrlich jähzornigen Gemüt / Fahlgesichtig und mit gewaltigem/Lockigem Haarwuchs/ Die Augen lebhaft, gewiß, doch in tiefen Höhlen liegend “20
Eine klischeehafte Betrachtungsweise würde Caravaggio als streitlustig, liederlich und gewissenlos, sein Leben als nicht einen Moment zu früh beendet sehen, so Jarman. Zaghaft bezieht er James Dean in seinen Vergleich mit ein, der sich in dieses Schema einfügte, dessen Leben uns auf ähnliche Weise fasziniert, weil Dean in dieses Schema paßte oder passend gemacht wurde und als „Unsterblicher“ jung starb. Weiterhin sagt er, daß Caravaggio nicht mythologisiert werden sollte, „as a hero kicking against the pricks“21, weil es genug von diesen Helden gab und auch heute noch gibt, jedoch einfach präsentiert als ein Mann, von dem man glaubt, daß er hätte sein Leben ändern können...
1.2 Derek Jarman
„I am obsessed by the interpretation of the past“22
Derek Michael Jarman ist 31.1.1942 in Northwood, Middlesex, England geboren und am 21.2.1994 an Aids verstorben. In einer Reihe autobiographischer Bücher - „Dancing Ledge“ (1984), „The Last of England“ (1987), „Modern Nature“ (1991), „At Your Own Risk“ (1992), „Chroma“ (1994) beschreibt Derek Jarman, wie er zu seinen künstlerischen Arbeiten gekommen ist. Er beschäftigte sich mit der Malerei, dann galt sein Interesse dem Bühnenbild, über Filmdesign fing er in den frühen sechziger Jahren selbst zu filmen an, und am Ende seines Lebens wandte er sich wieder verstärkt der Malerei zu, deren Wichtigkeit er in seinen letzten Interviews wiederholt betonte. “Er hat diese vielfältigen, bewußt al Fragmente niedergeschriebenen, Erläuterungen zu seiner Künstlerbiographie immer wieder verknüpft mit Erinnerungen an Kindheit und Jugend. Szenen, Dialoge, Bilder seiner Filme tauchen, wörtlich, nacherzählt oder fotografiert, in den Schriften auf. Gegen Ende seines Lebens, als die Aids-Folgen eine zentrale Rolle in seinem Leben einnehmen, wechseln in „Modern Nature“, „At Your Own Risk“ und „Chroma“ die Themen ständig zwischen der Arbeit, den Begegnungen mit seinen Freunden und diesem Alltag der zunehmenden Krankheit.“23
Jarmans Mutter, die als Modedesignerin tätig war und sein Vater, ein hochdekorierter Offizier der Royal Air Force und ein leidenschaftlicher Hobbyfilmer, standen der Entwicklung ihres Sohnes offen gegenüber. Derek Jarman vermutete, daß sein Vater schwere seelische Schäden von dem Krieg davon trug: „A terrible sadness invaded his life“24. In den 50er Jahren verbringt Derek Jarman seine Jugend in Garnisonen der Air Force und im Internat. Früh fängt er zu malen an, überzeugt, Kunst sei ein untrennbarer Teil des gelebten Lebens. In den für Derek Jarman wichtigen sechziger Jahren - die Freizügigkeit rebelliert in dieser Zeit, was ihn entscheidend prägt - studiert er am Londoner King`s College Englisch, Geschichte, und Kunstgeschichte (1960-63), unternimmt in den folgenden Jahren Reisen nach Griechenland, Kreta, Italien; mehrmals in die USA, nach Südspanien und Nordafrika. In den USA hört er zum erstenmal von Andy Warhol, der für ihn und seine Freunde zu dem wichtigsten Künstler der Gegenwart zählt : „the most important artist of this time“25Er wechselt von der Schule auf die Kunstakademie (The Slade School of Art, 1963-67) und beginnt sehr bald damit, Theaterkulissen zu malen, woraufhin er 1970 von Ken Russel den Designauftrag für „Savage Messiah“ erhält.“ In zahlreichen Interviews weist er auf Charakteristika und Merkmale seiner Filmarbeit hin, die einerseits die beachtlichen Anstrengungen betonen, die vor allem wegen Finanzierungen notwendig waren, und die andererseits immer wieder von der Freude, dem Spaß an der gemeinsamen Arbeit sprechen“26.
In Russel findet Derek Jarman den besten Lehrmeister für die eigene Filmarbeit, mit der er bald darauf beginnt. Bereits in der Zusammenarbeit mit Ken Russel zeigt sich Derek Jarman als ein selbstbewußter und innovativer Künstler. 1970 dreht er den ersten seiner zahlreichen Kurzfilme auf einer zufällig geliehenen Schmalfilmkamera, und da ihn die Malerei in dieser Zeit immer weniger begeistert, und ihm immer leerer und eintöniger vorkommt, sucht er nach neuen Ausdrucksformen mit der Kamera. „Autobiographische Mitteilungen, Selbstdeutungen zu den einzelnen Filmen und deren kritisch analysierte Botschaft ergeben das Bild eines Künstlers, dessen Blick stets in zwei Richtungen gleichermaßen geht: aus seiner als Niedergang von Kultur und Moral empfundenen Gegenwart schaut er zurück in das „klassische Eden“ der elisabetanischen Renaissance.“27 In dem Kommentar in „Derek Jarman`s Caravaggio“ äußert sich der Regisseur deutlich: „Um 1600 ging der Höhepunkt des klassischen Eden seinem Ende zu. Mittels eines Langsamen Prozesses begann die Wissenschaft die lebendige Welt des Neoplatonismus zu verlassen und nur Ruinen zurückzulassen, der Schmelzofen der Alchimie wurde zu Asche.(...) ...-der Kapitalismus des späten zwanzigsten Jahrhunderts schuf die leere Leinwand. Der Inhalt wurde ausgelöscht, und die Malerei wurde zu einem Dollarschein, der in einem Meer aus Gold ertrinkt - (...) Solange die Musik nur laut genug ist, werden wir schon nicht hören, wie die Welt auseinanderbricht.“28Die filmischen Ausdrucksweisen dessen Derek Jarman sich bedient, sind bestimmt von dieser kulturpessimistischen Färbung, die Facetten der Trauer, der Bitterkeit, der Melancholie, und der Depression wechseln sich ab mit einer abgründigen Heiterkeit und der Satire.
1976 dreht Derek Jarman seinen ersten Film, „Sebastian“, „um die Möglichkeiten des Filmemachens außerhalb der üblichen Grenzen des britischen Kinos zu erproben, in einer Situation, die so weit wie möglich frei von den Beschränkungen des kommerziellen Spielfilms sein sollte“29
Im Oktober 1984 wird Jarman Gast des sowjetischen Filmkünstlerverbands, er wird mit anderen unabhängigen Filmemachern, (darunter Sally Potter) eingeladen seine Arbeiten in Moskau und Baku zu präsentieren.
Von 1986 bis zu seinem Tod 1994 entstehen sieben lange Filme.
„In zahlreichen Interviews weist er auf Charakteristika und Merkmale seiner Filmarbeit hin, die einerseits die beachtlichen Anstrengungen betonen, die vor allem wegen der Finanzierungen notwendig waren und die andererseits immer wieder von der Freude, dem Spaß an der gemeinsamen Arbeit sprechen.“30Die Auslieferung des englischen Films an Hollywood, die die Budgets in immer größere Höhen trieb, bereitet Jarman die größten Probleme bei der Ausführung seiner Filmideen.
„Zwischen 1980 und 1987 (Imagining Oktober,The Angelic Conversation,Caravaggio) beläuft sich die Summe aller ihm zur Verfügung stehenden Filmgelder auf 550.000 Pfund: „Why is a film-maker like myself not funded? Is it my sexuality?“ (Last of England, S.82). Jahrelang fehlte das Geld für Caravaggio, auch andere Pläne konnte er nicht realisieren.“31
Obgleich er aus den Schulden eigentlich nie herauskommt, verliert Derek Jarman nie seine Zuversicht, im Gegenteil. Mit einem scheinbar selbstverständlichem Stolz betont er den eigenen Wert seiner kreativen Arbeit in seinem Interview 1993: „Meine Filme sind das, was man „slow burners“ nennt. (...) Man hat stets die Wahl sich entweder für den schnellen Gewinn im Stile Hollywoods zu entscheiden, oder man macht einen „slow burner“, den sich die Menschen immer wieder, Jahr für Jahr ansehen. Ich hoffe, daß dies mit meinen filmen geschehen wird. Ich fühle mich wohl bei meiner Filmkarriere. (...)wissen Sie, ich habe viel Glück gehabt. Die meisten Menschen, die krank sind, sitzen nur da und sind krank. Ich hatte Glück. Wenigstens konnte ich die Krankheit zu etwas verwerten. Daher regt es mich nicht weiter auf.“32
Homosexualität und Kunst als treibende Kräfte seiner Arbeit, hoher Grad an Experementfreudigkeit, betont subjektivistischer, unkonventionell antinaturalistischer Stil, bewußte und unbewußte Selbstinszenierung, Zivilisationskritik, ästhetisch formulierter Hang zur Magie und Ritual lassen seine Filme unverkennbar wirken.
„Jarman betont wiederholt das Moment des Magischen und des Traumatischen in seiner Bilderwelt - der Film ist „an instrument to bring dreams to life“ (Dancing Ledge, S.128) Durch seine Experimente mit Licht, Farbe und Schichtungen von Bildern rückt er die Arbeit mit der Kamera in die Nähe der Malerei.“33Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Derek Jarman aufgrund der öffentlichen Ächtung existierenden Homosexualität und seiner selbsterkämpften Freiheit lebenslang ausgesetzt war, bestimmt seine Arbeit und sein Selbstverständnis im weitesten Sinne.
„Als 1987/88 die Thatcher -Regierung die Berüchtigte Klausel 28 in ein geplantes Gesetz zu Kommunalverwaltungen einbrachte, mit dem die Publikation und Verwendung von Material verhindert werden sollte, das der "Förderung der Homosexualität“ dienen könnte, verkündete beispielsweise die FAZ, „das eigentliche Ziel der Klausel 28“ sei es, den „von Marxisten und Trotzkisten unterwanderten homosexuellen Interessengruppen ein Ende zu setzen.“
(Gina Thomas in FAZ von 16.2.1988). Im Blick auf Jarman heißt es weiter es habe ihm auf einer öffentlichen Protestkundgebung nicht genügt, „seine Homosexualität zu proklamieren. Vor versammelter Gesellschaft mußte er auch noch verkünden, daß er Aids-Träger sei“.
Die in diesen Zeilen subtil überdeckte aggressive Ausgrenzung dürfte Jarman auch in seinem Land ständig begegnet sein. Seine Filme und die darin verarbeiteten Formen Von Gewalt sind Ohne diese Erfahrungen nicht denkbar:“34
2. Der Film
„With the paintings in my mind, the casting started in midsummer.“35
Caravaggio (1986) ist Derek Jarmans erster auf 35 mm gedrehter Film. In den zum ersten Mal mit professionellen Schauspielern besetzte Hauptrollen - Jarman richtet sich dabei nach Caravaggios Gemälden - agieren Nigel Terry als Titelfigur, Tilda Swinton als Lena, Sean Bean als Ranuccio und Spenser Leigh als Jerusaleme. „Sie wurden zum Teil aus vielen Bewerbungen ausgewählt, entsprechend dem Credo des Filmemachers, das diejenigen vorzuziehen seien, deren eigenes Leben außerhalb ihrer Professionalität und deren Bewußtsein von der Unangemessenheit des Mediums, in dem sie arbeiten, am deutlichsten erkennbar waren.“36
Ohne Anspruch auf bibliographische oder historische Detailtreue spürt Derek Jarman der Obsession des Malers nach und rekonstruiert dessen Biographie aus den Gemälden, von denen er ein knappes Dutzend für seinen Film nutzt. Die Außenseiterrolle des Künstlers in der Gesellschaft, („der Maler wird von einfachem Volk in der Schenke verlacht, von Kritikern scharf angegriffen und befehdet, vom Papst gönnerhaft gemahnt und von der Hofgesellschaft als aufregender Sonderling geduldet“37), die Wechselbeziehung zwischen Eros und Kunst, in einer fatalen Liebesgeschichte eingebunden, bringt das Wesen des Caravaggio dem Zuschauer über die emotionale Ebene näher als über die im Film dargestellten Fakten.
Die Rahmengeschichte erzählt in kurzen Sequenzen wie der kranke Maler Caravaggio in einem kahlen Zimmer im Hospital von Porto Ercole in der Toskana liegt, um auf seinen unmittelbar bevorstehenden Tod zu warten. Er ist 39 Jahre alt. Der Film beginnt an Caravaggios Totenbett. Der Sterbende entsinnt sich in Fieberphantasien an sein Leben. Episodenartig werden Szenen aus dem Leben des Malers vorgeführt, die prägenden, historisch nachweisbaren Tatsachen in fiktive Geschehnisse einbetten und somit Verbindung zueinander und zu den immer wieder thematisch passend hineingeschnittenen Gemälden herstellen. Jerusaleme, den Caravaggio früh als stummen kleinen Jungen zu sich zum Helfer genommen hat, steht ihm am Ende seines Lebens bei.
Mit Jerusaleme beginnen auch die Rückblenden. Dann lernt man den jungen Michele Caravaggio kennen, selbstbewußten Straßenjungen, der seine Kunst im engsten Zusammenhang zu seinem Leben gestaltet. Bald wird er von einem begeisterten Mäzen, Kardinal Del Monte, als Künstler und Lehrling aufgenommen. Er profitiert von der Gunst der adeligen und kirchlichen Herren. Als er bereits Geld hat und in seinem eigenen Atelier arbeitet, lernt er Ranuccio und seine Gefährte Lena kennen. Beide, erst Ranuccio und dann Lena werden seine Modelle und Caravaggio verliebt sich in sie - erst in Ranuccio, dann in Lena. „...eine verhängnisvolle Mixtur aus Geldgier, Ehrgeiz, Liebe und Eifersucht führt zum Mord.“38Caravaggio verführt Ranuccio mit Gold, und auch Lena blüht auf in ihrer Schönheit mit Hilfe seiner Geschenke - sie verführt er mit Schmuck. Als sich herausstellt, daß Lena ein Kind erwartet, und mit einem hohen Kleriker fortgehen will („ the child should be rich beyong avarice“39, wie sie sagt), brechen die Freundschaften und Liebschaften auseinander. Ranuccio, von Lena verlassen und von Caravaggio betrogen, ermordet Lena. Caravaggio sucht in unendlicher Trauer den Trost der Rache, und erkauft sich mit seiner Kunst erst den Kopf des Klerikers, den er der Tat verdächtigt. Als dann aber Ranuccio den Mord gesteht, tötet Caravaggio seinen Geliebten, ohne ein Wort zu verlieren, mit einem Messerstich und hält den verblutenden Ranuccio liebend in den Armen.
Dann beginnt die Flucht, die schließlich mit seinem Tod endet.
„Nebenfiguren wie Guistiniani, der reichste Bankier Roms, Kardinal Del Monte oder der Maler und Kunstschriftsteller Giovanni Baglione, den Jarman - in einer ironischen Anspielung auf Davids Marat - in der Badewanne in eine Schreibmaschine seine pamphletischen Verleumdungen gegenüber Caravaggio hämmern läßt- er sei das Gift, der Virus, der in „unsere Renaissance“ eingedrungen sei - geben das zeitgeschichtlich notwendige Personal.“40
3. Interpretationsaspekte
3.1 Die Verfilmung einer Gemäldegalerie: Das Leben von Michelangelo da Merisi Caravaggio
Die Erzählung des Films setzt sich aus achtzehn Gemälden zusammen. Eines davon stammt nicht von Caravaggio, sondern von Jaques- Louis David,„Derermordete Marat“. So wie einige andere Werke auch, wird dieses aus dem Jahre 1793 stammende Bild nicht im Original gezeigt, sondern wird schauspielerisch nachgestellt und erinnert nur in groben Zügen an Davids Malerei.
„If it is fiction, it is the fiction of the paintings.“41, so Derek Jarman. Er folgt beim Erzählen und beim Aufbau des Films, dem Schema Caravaggios Leben. Der Film beinhaltet zum Einen, Momente gewaltvoller Handlungen, von Caravaggios Biografen mit allem Genuß der Regenbogenpresse aufgenommen und im Gegensatz dazu, die Ruhe in seinem Atelier, wo die ungehobelten Modelle um Ruhe gebeten werden, wenn sie vor dem „Pinsel“, in dem Fall ist die Kamera gemeint, posieren. „With sharp concentration, the smallest gestures are fixed on the canvas“42- wie das Flackern des Bediensteten in der Szene mit Giustiniani und Del Monte oder die Träne auf Magdalenas Wange. „Small gestures but nothing is left to chance.“43, so Derek Jarman. Er habe den Film so einfach wie möglich gefilmt, um Caravaggios Leitgedanken zu folgen, den langatmigen Manierismus einmal herauszulassen, dafür aber ein wenig mehr Verwirrung im Bereich des Kunstfilms zu stiften. Die hermetische Atmosphäre des Studios spiegelt die dunklen leeren Räume Caravaggios Bilder wieder, wo Sonnenlicht hereinfällt um die einzelnen Gesten des Dramas zu unterstreichen.
Die Anzahl der Modelle auf Caravaggios Bildern vergleicht Jarman mit dem ihm damals verfügbaren Budget für den Film: „There are never many participants in these paintings and our small cast is exactly the same.“44Um mit Jarmans Worten zu sprechen, versuchte er jeden Aspekt des Films so kreieren, daß er mit dem Ambiente der Bilder harmonierte. Die Erzählung, während sie wuchs, erlaubte ihm, Details seines Lebens miteinzubauen, um die Lücke zwischen Jahrhunderten und Kulturen zu überbrücken, sozusagen einen Bogen zu schlagen, um die Kamera gegen einen Pinsel einzutauschen. Dieser Bogen gelingt ihm sehr gut und er macht schon beim Vorspann auf den Vergleich zwischen dem Pinsel und der Kamera aufmerksam.
Das erste Bild, welches überhaupt im Film zu sehen ist, ist annehmbar kein bestimmtes von Caravaggio, sondern eine schwarze Grundierung, ein dunkel getünchter Hintergrund, symbolisch ausgedrückt, eine Schwarzmalerei. Rechts im Bild ist eine rechte Hand zu sehen, welche die Farbe aufträgt, vermutlich die des Malers Caravaggio. Die Farbe ist naß und glänzend und wird grob mehrere Male erst horizontal und dann vertikal aufgetragen. Auf der Farbe erscheinen weiße Lettern, die sich im starken Kontrast von der frischen Farbe abheben ,um den Film anzukündigen. Im Hintergrund hört man Meeresrauschen und Stimmen, die ein wenig an Eingeborenengesänge erinnern. Die Musik ist nicht eindeutig zuzuordnen, doch wer sich als Zuschauer etwas in der Biographie Caravaggios bewandert ist, erahnt vielleicht, daß das Meeresrauschen für seine letzten Lebenszeichen steht, für seinen Dämmerzustand kurz vor seinem Tode, im Fieberwahn, sich an sein Leben erinnernd. Und tatsächlich ist das erste was wir sehen, der im Sterben liegende Caravaggio, im Hospital von Porto Ercole. Jerusaleme, sein stummer, treuer Gefährte ist mit ihm im Raum und wacht über seinen Schlaf. So gesehen wird der Zuschauer auf das nahende Unheil aufmerksam gemacht, denn Caravaggio ist in der ersten Szene noch nicht tot, doch durch die Bedeutung der Farbe schwarz, auch für Jarman wird zum Einen das folgende Unheil bewußt, zum Anderen gelingt der Brückenschlag, bzw. die Verbindung des Werkzeugs Kamera mit dem Pinsel. Sowohl die Kamera als auch der Pinsel beginnen die Geschichte zu erzählen, aus den Augen Michelangelo Caravaggios (Medium: Pinsel) und aus den Augen Derek Jarmans (Medium: Kamera). Primär wird die Erzählung von Caravaggio geführt, oder Michele, wie Jarman ihn nennt, da sie auch auf seinen Erinnerungen basiert. Vielmehr setzt sie sich aber aus seinen Bildern zusammen, deren Umsetzung stark von Jarman beeinflußt wird, da er, wie oben schon erwähnt, Details seines Lebens mit einfließen läßt.
Den Schild mit demMedusenhaupthat Caravaggio vermutlich um 1598 gemalt. Es ist das erste Bild, welches uns im Film präsentiert wird. Nach Baglione war es ein Geschenk des Kardinals Del Monte für den Großherzog der Toskana. Es handelt sich um einen Paradeschild, dem keine praktische, sondern bereits intentional lediglich eine dekorative Funktion zukam.
„Medusa gehört mit ihren beiden Schwestern zu den Gorgonen, geflügelten Wesen, die mit Schlangenhaaren und mächtigen Zähnen ausgestattet sind. Ihr Blick läßt jeden, der sie ansieht, zu Stein erstarren. Perseus tötete Medusa und schenkte ihr Haupt der Athena, die es seitdem in ihrem Schilde trägt.“45Traditionelle Medusenköpfe sind frontal in der Mitte eines Schildes plaziert, Caravaggio stellte es ein wenig abweichend von der Frontalsicht dar, so scheint e noch zu leben. Im Film wirkt das Medusenhaupt durch das geöffnete Fenster, in dem sonst so dunklen Atelier Caravaggios noch lebendiger und echter, weil viel Sonnenlicht hereinfällt und die Farben leuchtender wirken läßt. Die Farbgebung im Raum ist sehr warm, durch die Lichtdurchflutung, doch das Medusenhaupt wird durch sattes grün bestimmt. Der Mund ist wie im Schrei geöffnet, die Augen sind weit geöffnet. Das Entsetzen, das diese Gorgo auslöst, rührt von ihrem eigenen Schrecken und ihrer Todesangst her, die sich auf den Betrachter übertragen. Der Betrachter ist in diesem Fall der kleine Jerusaleme, den Caravaggio zu sich nahm. Jerusaleme ahmt den Gesichtsausdruck der Medusa nach, nimmt sich den Schild und erschrickt Caravaggio. „Der Wirkung dieses Medusenhauptes liegt das Denken in Analogien zu Grunde, nachdem Gleiches durch Gleiches bewirkt wird.“46Die Integration des Bildes in den Film erfolgt durch drei Dinge. Zum einen durch den Schrecken, der bei Jerusaleme und Caravaggio erreicht wird. Zum anderen durch seine eigene Funktion, als Gegenstand in dem Film. Der Schild verliert seine Funktion als eigentliches Bild, weil es auch direkt von Jerusaleme als Schild benutzt wird. Die dritte Verbindungsmöglichkeit ist ein Korb mit einer Schlange, die aus diesem hervorkriecht Sie steht sinnbildlich für die Schlangen des gemalten Medusenhauptes und schlängelt sich aus dem Bild übergreifend in die Realität. Es ist die Schlange der Erinnerung, die die Klänge des Landes mit sich bringt, das Surren der Zirpen und die Glocken der Hirten.
Das zweite Bild, welches Jarman in den Film integriert ist derFruchtkorb, Caravaggios einzige selbständige Stilleben. Typisch für dieses Bild und in diesem Fall, typisch für den Maler ist die Individualität seiner Darstellungs- und Betrachtungsweise. Er hat den Korb souverän auf die leere kante gesetzt, was den Betrachter weder einen Raum, noch eine Alltagssituation erschließen läßt. Diese Verfahrensweise spricht sehr für Caravaggio, denn weder in seinen folgenden Werken ist ein Raum zu erkennen, noch gestattet Jarman dem Zuschauer eine Orientierung im Atelier, man kann sich nie den gesamten Raum vorstellen, denn das würde gegen Caravaggios Malweise sprechen. Jedoch seine Beobachtungen im Hinblick auf das Obst sind sehr genau, die eingerissenen, durchlöcherten, halb vertrockneten und geschrumpften Blätter, die Flecken und Faulstellen auf den Früchten, die geplatzte Haut der Feigen, der fast kahle, herausragende Zweig, geben dem Stilleben ein Pathos der Unvollkommenheit. Die großen Weinblätter zeigt Caravaggio oft von der Unterseite, in Verschattungen und in unterschiedlichen Stadien von Wachstum und Verfall, durch dieses induktive, von einzelnen Phänomenen ausgehende Verfahren scheint sich ihm das Wesen der Pflanze zu erschließen. Eine Art von Verfall, in diesem Falle Armut, stellt auch Jarman dar, weil er den jungen Caravaggio seine Kunst auf der Straße verkaufen läßt.
Eine andere Variante der Darstellung eines Caravaggio- Werkes, ist die Darstellung ohne das Originalwerk zu zeigen, sondern es theatralisch darzustellen. In derselben Szene, die auch das Stilleben zeigt, stellt der junge Caravaggio den Knaben mit dem Fruchtkorbdar, offensichtlich als Selbstportrait, welches er wohl in der Zeit vor seinem Aufenthalt bei Del Monte gemalt hat. Vom Betrachter wird es auch als Selbstportrait des Künstlers verstanden, da im Film die Rolle des Porträtierten auch von Caravaggio übernommen wird. Jarman hat die Darstellung des jungen Caravaggios fast so übernommen, wie auch in einschlägiger Fachliteratur das Bild analysiert und beschrieben wird. „Unmittelbar am Bildrand, vor einem neutralen Grund, der lediglich durch Schattenpartien ein wenig räumliche Atmosphäre gewinnt, ist die Halbfigur plaziert. Der Kopf des Knaben mit den dichten schwarzen Locken ist leicht zurückgeworfen, (...) und die verschatteten Augen auf den Betrachter gerichtet.“47Der junge Caravaggio sieht dem Jungen auf dem Stilleben schon sehr ähnlich. Beide haben fast die selbe Statur und sind ähnlich gekleidet. Sogar der Gesichtsausdruck des jungen Caravaggios kann mit dem Knaben auf dem Bild verglichen werden, da durch schauspielerische Mittel diese Mimik erreicht wird. Der junge Caravaggio scheint zu träumen, zumindest scheint er sich Dinge vorzustellen, die nicht real sind.
So reichen sich Malerei und filmische Darstellung die Hand und fließen ineinander über, ohne, daß es auch nur erforderlich wäre, das Originalwerk zu zeigen.
Das folgende Bild,Der kranke Bacchus, schließt sich in Szene sieben direkt an denKnaben mit dem Fruchtkorban, den es fungiert im Film wieder als Mittel der Authentizität, um die biographische Erzählung Caravaggios möglichst glaubhaft zu vermitteln und weiterzuerzählen. Während einer langen Krankheit, die den ganzen Sommer anhielt, malte Caravaggio den kranken Bacchus. Diesen biographischen Fakt läßt Jarman nicht ungeachtet und setzt ihn im Film ein. So befindet sich Michele mit seinem Bild im Hospital, dessen Patron kein anderer als der Kardinal Del Monte ist. Diese Begegnung der beiden ist die erste, und sie basiert auf einem Zufall. Del Monte wurde auf Caravaggio aufmerksam aufgrund seines Aufenthaltes im Hospital und seiner Kunst. Wahr ist, daß Caravaggios Bilder, die im Film gezeigt werden, in der Zeit entstanden, zu der er in Del Montes Obhut war. Wahr ist auch, daß er lange Zeit krank war und aufgrund „der oliv getönten Haut und der blassen Lippen- hat man ein Selbstbildnis gesehen“.48Dieses Selbstbildnis ist von Caravaggio polyvalent angelegt worden, denn man vermutet nicht nur ihn hinter dem kränklichen Gesicht, sondern auch den elegischen Dichter Argan. Im Film spricht der Kardinal den jungen Michele auf sein auffallend kränkliches Äußeres an, das heißt, daß Jarman nur von einem Selbstbildnis ausgeht. Er unterstreicht dies noch zusätzlich, indem er die Krankheit Caravaggios vom Bild direkt in den Film miteinbezieht und aus ihr eine Brücke schlägt, die Caravaggio und den Kardinal für eine lange Zeit verbinden wird.
Mit den zwei folgenden Bilder:Der Lautenspielerund derKnabe, von einer Eidechse gebissenspielt Jarman unterschwellig auf das Thema Homosexualität an. Der Lautenspieler auf dem Bild hat eine androgyne Gestalt, auch der junge Caravaggio im Film, doch gleichzeitig vertritt er vor dem Kardinal sein Lebensmotto („Nec spe nec metu- No hope no fear“), eingraviert in sein Messer, welches er trotz Illegalität zurückbekommt, als Preis für sein Bild. Dieses sehr extreme Motto zieht sich als roter Faden durch den ganzen Film, denn es untermalt Caravaggios Einstellung, erklärt seine Einsamkeit. Parallel dazu schaltet Jarman den Spruch, der auf dem Bildnis des Lautenspielers eingraviert ist:
„Du weißt, daß ich dich liebe (Voi sapete ch‘io v‘amo)“49Im Kunstwerk fungiert der Spruch als Notenzeile des WerksDer Lautenspielerund zitiert einen Madrigal des französischen Komponisten Jacques Arcadelt.
Im Film spielt er ein wenig auf die einseitige homoerotische Beziehung zwischen dem Kardinal und Caravaggio an, denn der junge Caravaggio wird von Del Monte gebeten die Textzeile vorzulesen und das tut er „brazenly“. Daraufhin gibt ihm der Kardinal das Messer zurück, welches er illegal bei sich trug, als ob der Ausspruch Caravaggios nur eine Bestätigung für den Kardinal war, „his art is exchanged for the weapon with official approval“50, so Derek Jarman. Eine weitere Anspielung auf Homosexualität, ist in Jarmans Darstellung des Bildes:Knabe, von einer Eidechse gebissenvorzufinden, als der Kardinal und der junge Caravaggio sich im Schlafraum des Kardinals befinden und ebendieser ihm das Lesen beibringt. In Anlehnung an das Gemälde ist der junge Caravaggio ähnlich gekleidet. Er trägt eine seidenes weitgeöffnetes Oberteil, einen Perlenohrring und eine weiße Rose. Jarman schien in dieser Szene wohl die typischsten Symbole genutzt zu haben, wie sie auch in der Analyse des Werkes vorkommen. Eine gewisse theatralische und eigenwillige Haltung des Knaben, ist in der Szene acht auch bei dem jungen Caravaggio nicht zu verkennen, was wiederum bezogen auf seine Biographie sehr für ihn spricht. Die „Eidechse“, von dem der Knabe gebissen wird ist in diesem Fall der Kardinal, denn als er den jungen Caravaggio am Knie berührt, springt dieser auf und bemerkt, daß es Zeit ist zu gehen: „Time to go!“51Der Finger, der gebissen wird, ist der sogenannte Impudicus, der unkeusche Finger, wie er in einer volkstümlichen Tradition genannt wird. „Die Eidechse gilt als phallisches Symbol, während die Rose der Venus zugedacht wird. Vor allem die hinter das Ohr gesteckte Blüte hatte amourösen Aufforderungscharakter, (...).“52
„Daß es in Caravaggios Bild ein Knabe ist, den die Eidechse beißt, ist als ein Hinweis auf die homosexuelle Erotik gedeutet worden, die, so ist vermutet worden, im Del Monte- Kreis kultiviert wurde.“53Diese Vermutung greift Jarman auf, er schafft es, die Homosexualität, nicht als Behauptung, sondern wirklich als leise Andeutung einzusetzen, indem er den Betrachter in einem gedanklichen Spielraum verweilen läßt, so daß es an ihm ist, sich eine Meinung zu bilden und sich ein dementsprechendes Bild zu machen. Jarman integriert Caravaggios Werke nicht nur als roten Faden der Erzählung und somit als biographischen Faden, sondern die Rolle der Hauptperson übernimmt jeweils eine für Caravaggio entscheidende und gleichzeitig wichtige Figur. So zeigt der Großteil der Bilder Caravaggios Selbstportrait. Doch auch der Kardinal Del Monte in der Funktion als sein „Entdecker“, Arbeit- und Geldgeber, Ranuccio Thomassoni, mit dem ihn zwar nicht im wirklichen Leben, aber im Film eine homosexuelle Liebe verband und Lena, seine Geliebte, erhalten einen festen Platz in seinem Leben und somit im Film eine wichtige Position, weil sie durch die Malerei für die Ewigkeit festgehalten werden und dem Betrachter durch das zusätzliche Medium „gemaltes Bild“ erst recht im Gedächtnis bleiben. Durch die Bilder erfolgt zusätzlich eine Charakterisierung der dargestellten Personen. Del Monte schlüpft in die Rolle des „Hieronymus“, ein Heiliger, von Caravaggio sehr sehnig und schmächtig dargestellt, der auf seine Geisteskräfte vertraut. Ranuccio Thomassoni zuerst Hauptfigur im„Martyrium des Matthäus“, dann als„Johannes“zu sehen, zwei Heilige, die durch pagane Nacktheit gekennzeichnet sind und erneut in das moralische Zwielicht geraten. Denn nur die Sklaven und Vertreter unehrlicher Berufe stellte Caravaggio nackt dar, so wie Scharfrichter, Henker und Totengräber. Damit bestätigte er das populäre Mißtrauen gegen diese Schergen, die für Geld töteten. Doch Ranuccio Thomassoni, den er selbst tötete, fügt sich in die Position, die Jarman ihm zuteil werden läßt. Denn Ranuccio läßt sich bezahlen und nur bezahlen, bevor ihm seine Zuneigung zu Caravaggio bewußt wird.
Als Lena, Caravaggios geliebte Lena, von Ranuccio ermordet wird, stirbt sie den„Marientod“. Sie wird im Film in ähnlicher Weise aufgebahrt, wie auch im Gemälde. Der Raum ist von Totenstille erfüllt, nichts regt sich. Die Szenerie ist von warmen Rottönen bestimmt. Lenas rotes Kleid taucht in der Farbigkeit erneut im Vorhang auf, im Rock der Trauernden im Bildvordergrund und in einem Farbtopf, der ebenfalls im Bildvordergrund plaziert ist.
Caravaggio soll für diese Werk eine Leiche aus dem Tiber oder aber seine Geliebte Lena gemalt haben. Jarman verknüpft diese Informationen miteinander, er läßt Lena, die im Film seine Geliebte ist, im Tiber ertrinken und läßt sie aufbahren. Diesen stilvollen Tod schenkt Jarman Caravaggio auch, in der Hülle des Leichnam Christi. In Szene siebenundfünfzig, in einer Traumsequenz wird ein kleiner Junge gezeigt, der den jungen Caravaggio im zarten Kindesalter darstellt, er läuft durch die Dunkelheit und erblickt das Gemälde„Die Grablegung“, jedoch nicht als bestehendes Bild sondern „The Entombment of Christ brought to life.“54Pasqualone, welcher mit dem Jungen unterwegs ist, fällt zum Gebet auf die Knie, der junge Caravaggio verharrt vor dem Gemälde wie vor einem Andachtsbild, er ist beeindruckt. Die Szene erscheint dem Betrachter wie ein Rückblick Caravaggios, der im Inbegriff zu sterben und noch einmal die wichtigsten Stationen seiner Vita zu durchleben scheint. Die Wunde, unterhalb seines Herzens, die ihm Ranuccio bei einer Messerstecherei einst zufügte, hat er immer noch. Sie vermittelt dem Leichnam eine gewisse Authentifizierung, und schenkt dem Betrachter die Glaubwürdigkeit, in der toten Hülle Christi den Maler Caravaggio zu sehen. Durch diese Identifizierung mit Christus, erhebt Jarman ihn und läßt ihm eine besondere Art der Trauer und emotionaler Anteilnahme zukommen. In dem Bild ist eine Steigerung an Emotionen enthalten, sozusagen eine Affektdifferenzierung, eine Abstufung aller Schmerzensgesten. Es entsteht ein Gesamtzusammenhang sowohl der Gruppe als auch der Handlungen, ihre emotionale Aussagekraft wird gesteigert.
Was Jarman auch aufweist ist, daß Caravaggio bis zuletzt sein Desinteresse an eindeutigen räumlichen Perspektiven eingehalten hat. Die Anordnung der Personen, ist vorrangig von Labilität und prekärer Balance geprägt, ein Merkmal welches schon fast zum Erkennungszeichen seiner Bilder wird. Die theologische Deutung, die dem Stein zugeschrieben wird, der auf dem Gemälde und in der filzigen Szene zu sehen ist, als „Schlußstein, der Altes uns Neues Testament verbindet und damit den Erlösungsgedanken des Bildes unterstreicht, oder als Eckstein, der die Kirche repräsentiert, wird durch diese unsichere Position Caravaggios geradezu „dekonstruiert“. Jarman faßt mit diesem Gemälde zwei wichtige Dinge zusammen, welche sogenannte Ankerpunkte in Caravaggios Charakter bilden, seine Einstellung zur Kirche und die „Erlösung“. Jarman zählt ihn sicher auch zu den Künstlern, die künstlerisch tätig sind, weil sie müssen, nicht weil sie Kunst machen wollen. Es war sein Drang zu malen, ohne seine Arbeit als Kunst zu bezeichnen. „It doesn‘ t pretend to be art.“55
Caravaggio fand und findet heute noch Zuspruch und Anerkennung bei den Menschen, die ihn achten, im übertragenen Sinne, „die ihn halten“. Der Leichnam vermag nur über dem Abgrund zu schweben, solange er von den Gläubigen gehalten, „ertragen“ wird. „Es bedarf der Gläubigen, die Christus tragen, um seine Anwesenheit unter ihnen zu gewährleisten.“56
Genauso bedarf es an Regisseuren, die der Allgemeinheit einen Künstler nahebringen, der die nachfolgende Kunst geprägt hat, ohne übermäßiges Kunstwissen vorauszusetzen.
Auch wenn Caravaggios Malerei nicht leicht verständlich und kaum in das moderne Kunstverständnis der heutigen Zeit zu integrieren ist, so bleibt auf jeden Fall ein Interesse für seinen Charakter, für das Wesen eines Künstlers, mit all seinen Stärken, Schwächen und Sünden, zu denen er steht und mit ins Grab nimmt. Eine Anekdote erzählt, daß Caravaggio einst mit einigen sehr kultivierten Männern die Kirche betrat und man ihm Weihwasser anbot. Er fragte nach dem Zweck des Weihwassers und bekam als Antwort, daß es vergebene Sünden auslöschen würde. Caravaggio lehnte ab und entgegnete: „>It is not necessary, he replied, since all my sins are mortal.<“57Seine Sünden wurden mit der Zeit ausgelöscht. Zwar erinnern Anekdoten seiner Biographen an seine Sünden, doch werden sie ausgegraben wie antike Mosaikstücke und werden niemals ein Ganzes ergeben. Was bleibt sind seine einmaligen Kunstwerke und das Wissen, daß er sich immer treu geblieben ist.
3.2 Wieviel Jarman ist in Derek Jarmans „Caravaggio“ ?
Obwohl auf den Festspielen in Cannes diese Künstlerbiographie gelobt wurde, und auf der Berlinale 1986 der Film den Preis des Silbernen Löwen erhielt, machten die Kritiker auf die „gerade in diesem Film manifeste Tendenz zur Selbstinszenierung in der historisch adaptierten Figur“58aufmerksam. Tatsächlich hat sich Derek Jarman sehr intensiv mit dem Film beschäftigt. Als er in Mai 1978 mit dem Schreiben an dem Drehbuch begann, ahnte er noch nicht, daß der Film ihm für die nächsten sieben Jahre einnehmen würde. Siebzehn Manuskripte mußten entstehen und etliche Sponsoren gewechselt werden, bis der in einer Low-Budget-Produktion gedrehter Film, mit finanzieller Unterstützung des Britisch Film Institute, gedreht werden konnte.
„But each time I was about to knife Caravaggio, the words „No hope, no fear“ - engraved on the painter`s dagger - would flash into mind, I would catch the glint of gold, and begin the process of refinement once again“59.
Als es aber endlich soweit war, wurde der Film innerhalb von nur sechs Wochen in den Limehouse- Studios im Londoner Hafenviertel (Canary Wharf) fertiggestellt. Zuvor haben sich aber die Geschichte des italienischen Malers Michelangelo de Caravaggio, die Geschichte des Films und nicht zuletzt die Geschichte von Derek Jarman selbst eng ineinander verflochten, und der Film birgt nun die Poesie zweier Künstler in sich: die des Malers Caravaggio und die des Filmemachers Jarman.
3.3 Das Gold
„Gold to translate into light has been a constant topic of conversation in the seven years it has taken to raise money for the film...for Caravaggio I gilded my teeth and spent an evening out watching the reaction of the boys in the pub.“60„LADY ELISABETH (to Baglione): Gianni dear, only fools count the cost.“61Die finanziellen Nöte, die wahrscheinlich die meisten Künstler dieser Welt miteinander verbinden, gaben den Anlaß für einen der wichtigsten Leitmotive des Films: das Gold. Das Geld, oder besser gesagt, der Mangel an Geld, bestimmt die schlichte Ästhetik des Films, die zugleich aber auch ganz im Sinne des Titelhelden steht: Caravaggio, der seine Kunst in der Zeit des Spätmanierismus machte, war gerade durch sein für damals so ungewöhnlichen Naturalismus, der vielmehr ein Realismus war, so umstritten. Derek Jarman seinerseits bezieht das Studiocharakter ausdrücklich in den Film mit ein, und die sachlich- reduzierte Einfachheit verhindert den Eindruck eines schwülstigen Historienfilmes. „Lediglich der von Jarman aus Italien mitgebrachter Straßenlärm vermittelt südliches Flair, unterbrochen von modernen Verkehrsgeräuschen“62. Caravaggio, der fortwährend auf die Güte seiner Mäzene angewiesen war, um seine Kunst und sein Leben finanzieren zu können erinnert nicht nur an die derzeitige Situation Derek Jarmans, er verhält sich auch identisch: er behält dennoch seine provokative individuelle Art und läßt sich nicht einschüchtern. Derek Jarman ironisiert bitter das Verhältnis von Käufer und Künstler: mit dem goldenen Solartaschenrechner in den Händen eines wichtigen Auftraggebers (der zudem nicht etwa mit dem Finger, sondern mit einer Stimmgabel - seinen eigenwilligen Launen unterworfen - die Zahlen antippt) bringt er konsequent den unangenehmen Impuls auf den Punkt; klarer, als es je mit einer anderen Art der Darstellung des „Rechnens“ möglich wäre, wird die finanzielle Abhängigkeit des Kunstschaffenden erörtert, und Jarman selbst taucht auf der Seite der Käufer auf, im roten Gewand eines Klerikers und segnet die Werkzeuge der Malerei. Dabei feiert er auch seine Zweideutigkeit: einerseits erhebt er die künstlerischen Utensilien in die sakrale Ebene, andererseits wird damit sogleich ein Portrait eines blutrünstigen Papstes gemalt, der als Bezahlung den Kopf seines Neffen eintauscht. Denn auch die Menschen werden verkauft und gekauft in Caravaggios Welt: mit Goldmünzen fängt seine Beziehung zu Ranuccio an, und mit einem goldenen Kleid verdient sich Michele den Liebeskuß der Lena. „Indirekt steht es (Gold) als Metapher für den abstrakten Tauschwert: das ganze Leben wird bezahlt. Der Wein in der Kneipe ist „diesmal“ umsonst, die passionierte Liebe ist es nie.“63Gold taucht aber auch als filmische Farbe auf, die sich perfekt in die warme, von Brauntönen bestimmte Malerei des Caravaggio einfügt. Jerusaleme beleuchtet die Modelle, die gerade von Michele gemalt werden, mit einem Spiegel aus vergoldeten Platten, und Lena, die der Armut entfliehen wollte, muß in einem Goldfluß ertrinken. Als der Maler selbst stirbt, legt man ihm auch zwei Goldmünzen auf die Augen - aber jetzt hat das Gold seine warme Sonnenfarbe verloren, und in dem Schatten von kalten, blaugrau ausgeleuchteten Zimmers wirkt es verblaßt, wie Blech. Gold verliert seinen Wert nach dem Tod des Besitzers, denn man kann es nicht in das Totenreich mitnehmen. Es bleibt schwer auf den Augen, dem wichtigsten Sinn eines Malers, liegen.
3.4 Moderne Gegenstände und Ausstattung
„Behind each detail of the film lies another reality.“64 Die Finanzierungsprobleme zwingen Derek Jarman auch auf die aufwendigen Kostüme der Renaissance zu verzichten. Er entschließt sich für „the ambience of Italy before the post-war boom“65und nutzt die wenigen zeitgemäßen Kleider um Akzente zu setzen und bestimmte Stimmungen entstehen zu lassen. So erscheinen die Reichen und Mächtigen, Kleriker und Adelige stets in Roben der Renaissance, die Hauptpersonen wie Caravaggio und seine Freunde dagegen wirken ganz zeitnah und vertraut in ihren modernen Kleidern. Um so mehr fällt es auf als Michele bei seiner Audienz beim Papst einen Schicken Kostüm trägt - er möchte sich einfügen, anpassen, er möchte gefallen und sich gut verkaufen. Auf dem Fest zu Ehren seiner „profanen Liebe“ wirkt die feierliche Gesellschaft wie verkleidet, unpassend und Übertrieben, und auch der Eindruck von dessen Verlogenheit und Falschheit wird dadurch verstärkt - was sie auch wiederum „profaner“, moderner wirken läßt. Dieses Fest, das das Thema der Vergänglichkeit miteinbezieht, indem es in einer staubigen Gruft stattfindet, überträgt auch die Stimmung unserer Zeit: kein lautes Gelächter, keine oberflächlichen Affären können darüber hinwegtäuschen, daß wenn das licht am Ende der Party angeht, der einsame Mensch alleine bleibt mit sich selbst und seiner Ironie, wie Michele, der von allen allein gelassen mit müden Lächeln auf den Lippen zusieht, wie die letzten Gäste gehen: „He smiles and then his face goes blank with loneliness.“66
Die Distanz, die den Zuschauer sonstiger Historienfilme vor allzu starker Eigenprojektion schützt, entsteht hier erst gar nicht, und die geschickt unauffällig verwendete Alltagsgegenstände unserer Zeit lassen unbewußt mehr Einfühlung zu, als man sich zutraut. Zigaretten, lässig von Michele da Caravaggio geraucht, machen ihn viel lebendiger als ein geschwungener Vers in der altertümlichen Sprache aus seinem Munde es je könnte, und wenn irgend jemand in der Taverne bei dem schwammigen Licht einer farbigen Lichterkette eine Zeitung ließt, wirkt es genauso selbstverständlich wie die Tatsache, daß ein Draufgänger wie Ranuccio in seiner Freizeit an einem Moped herumschraubt.
Und mit dieser Art der Austattungsgestaltung nährt sich Derek Jarman wieder dem Maler Caravaggio: denn auch Caravaggio machte aus mythologischen Gestalten, wie etwa den Heiligen, Zeitgenossen inmitten alltäglichen profanen Lebens, indem er sie in die Kostüme seiner Gegenwart kleidete und den die Gesichter der ihn umgebenden Menschen unbeschönigt verlieh. “Die Erkennbarkeit des Inszenierten ist Absicht, bei Jarman wie bei Caravaggio“67
Bei beiden Künstlern verlor bzw. verliert der Betrachter seine Distanz und wird in der Tiefe seines Inneren berührt.
3.5 Nec spe nec metu
Ein weiteres Leitmotiv im Film ist das Messer von Caravaggio mit der Gravur „keine Hoffnung - keine Furcht“. Das Messer dient Caravaggio in den Kämpfen in den Kneipen, das erkauft er sich trotz Waffenverbotes mit einem Bild, in der Anfangssequenz spielt Jerusaleme damit, mit diesem Messer sticht Ranuccio die Wunde der „Blutsbrüderschaft“, mit diesem Messer tötet Caravaggio Ranuccio. „Jarman interessierte sich wie ein Detektiv für die Mordgeschichte und Ihre Verflechtung in die Malerei; er nahm an, daß das einzige von Caravaggio signierte Bild - „Fecit Michel Angelo“ - einen indirekten Hinweis bedeute, insofern es aus dem Blut heraus signiert sei, das von der Enthauptung des Hl. Johannes, dem Bildsujet, auf den Boden tropft: „The knife, which is the executioner`s weapon in the painting, is very unusual, and it probably refers to the knife that was the murder`s weapon in the fight with Ranuccio.“ (Caravaggio Filmbuch, S. 48)“68. Am Sterbebett setzt er verzweifelt das Messer an die Stelle des Christlichen Kreuzes. Das Messer symbolisiert den Kampf, die Gewalt, aber auch die Unbeugsamkeit und den Mut, und nicht zuletzt die Einsamkeit des Mannes der nur sich selbst vertrauen mag.
Die Aussetzung harter Kritik und die aus der Lebensführung entstandene Einsamkeit ist Caravaggio sowie Derek eigen, und Derek Jarman schreibt das Drehbuch in der Art seiner Bücher: die Rückblenden werden von der Handlung unterbrochen und die Handlung von assoziativen Einwürfen; in den Fieberphantasien meint man Derek Jarman vernehmen zu können, eine eigentümliche Spielerei zwischen dem Poetischen und dem Derben verrät ihn: „im Buch Dancing Ledge, das während der Vorbereitungen für den Film entstanden ist, gibt es genügend Stellen, an denen Jarmans „privater“ Text in das Skript und den späteren Film mittelbar oder unmittelbar übergeht (z.B. S. 16: eine Kindheitserinnerung an 1946 wird zum Teil wörtlich in den Film übernommen).“69
3.6 Jerusaleme
Die Figur des Jerusaleme, des treuen stummen Gefährten von Caravaggio, ist von Derek Jarman frei erfunden, jedenfalls findet sich in keinem kunstgeschichtlichen Buch ein vergleichbarer treuer Freund. Es wird jedoch einmal ein kleiner Hund erwähnt, der Caravaggio überallhin folgte. Jerusaleme ist ein Gefährte, der treu an dem Sterbebett von Michele wacht, der aber trotzdem nicht das vertraute Gefühl der Zweisamkeit vermittelt. Seine Stummheit gibt ihm etwas transzendentes, als ob er tatsächlich nicht da wäre. Sein sinnlicher Umgang mit Farbe, mit Farbpigmenten, seine beobachtende Stellung und seine aufrichtige Bewunderung für Caravaggios Arbeit lassen vermuten, daß in ihm, wie in einem Vebindungsglied, auch eine menge von Derek Jarman selbst versteckt ist. So läßt der Regisseur ihn auch eine Botschaft in seiner lautlosen Sprache übermitteln, die nicht aus dem Film, aber aus dem Drehbuch ersichtlich ist: „There was much more but time has not permitted. (...) Death is all things we see awake, all we see asleep is sleep.“70
[...]
1Enzo Orlandi: Galerie grosser Meister, Caravaggio, deutscher Bücherbund Stuttgart, Hamburg, München 1975. S.5
2Jutta Held: Caravaggio, Politik und Martyrium der Körper, Berlin 1996. S.21
3Derek Jarman: Derek Jarman‘s Caravaggio, Great Britain 1986. S.18
4Ebd.: S.22
5Enzo Orlandi ebd.: S.22
6Enzo Orlandi ebd.: S.25
7ebd.: S.25
8Jutta Held ebd.: S.23
9Derek Jarman ebd.: S.133
10Derek Jarman ebd.: S.58
11Derek Jarman ebd.: S.132
12Derek Jarman ebd.: S.21
13Derek Jarman ebd.: S.58
14Derek Jarman ebd.: S.121
15Derek Jarman ebd.: S.121
16Derek Jarman ebd.: S.133
17Derek Jarman ebd.: S.133
18Enzo Orlandi ebd.: S.25
19ebd.: S.25
20ebd.: S.25
21Derek Jarman ebd.: S.92
22 Derek Jarman: „Derek Jarman`s Caravaggio“, London 1986, S.44 7
23Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.9
24Derek Jarman: The Last of England, London 1987, ed. By David L. Hirst
25Derek Jarman: „Last of England“, S.52 und S.76; „Modern Nature“, S.137
26 Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.14 8
27ebd.: S.10
28Derek Jarman, „Derek Jarman`s Caravaggio“, London 1986, S.43
29Tony Ryans zitiert in: The Complete Derek Jarman. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft Kommunales Kino e.V. Stuttgart 1988, S.11
30Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.14
31ebd.: S.13
32There we are John...Derek Jarman interviewed by John Catwright (Videofilm von Ken Mc Mullen), Britisch Counsil, 1993
33Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.20
34ebd.: S.16
35 Derek Jarman „Derek Jarman`s Caravaggio“, London 1986, S.15 11
36Christina Scherer/ Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, „Derek Jarman“, Marburg 1996, S.36
37 Metzler-Film-Lexikon, hrsg. von Michael Töteberg, Stuttgart/Weimar 1995, S.102 12
38ebd.: S.102
39Derek Jarman, „ Derek Jarman`s Caravaggio“, London 1986 , S.102
40 Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick, Heft 24, Marburg 1996, S.38 13
41Derek Jarman ebd.: S.57
42Derek Jarman ebd.: S.132
43Derek Jarman ebd.: S.94
44Derek Jarman ebd.: S.94
45Jutta Held ebd.: S. 72
46Jutta Held ebd.: S. 72
47Jutta Held ebd.: S.27
48Jutta Held ebd.: S. 42
49Jutta Held ebd.: S.37
50Derek Jarman ebd.: S.27
51Derek Jarman ebd.: S.30
52Jutta Held ebd.: S. 31
53Jutta Held ebd.: S. 31
54Derek Jarman ebd.: S.126
55Derek Jarman ebd.: S.25
56Jutta Held ebd.: S. 112
57Derek Jarman ebd.: S.117
58ebd.: S.36
59Derek Jarman: „Derek Jarmans Caravaggio“, London 1986, S.6.
60ebd.: S.18
61ebd.: Drehbuch, S.90
62 Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.37 23
63ebd., S.40
64Derek Jarman, „Derek Jarman`s Caravaggio“, London 1986, S.28
65ebd., S.82
66ebd.: S.91
67Christina Scherer / Guntram Vogt, Augen-Blick Heft 24, Marburg 1996, S.39
68ebd.: S.37
69ebd.: S.41
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Dokument über Caravaggio und Derek Jarman?
Dieses Dokument ist eine umfassende Analyse, die sich mit dem Leben und Werk von Michelangelo Merisi da Caravaggio und der Verfilmung seines Lebens durch Derek Jarman im Film "Caravaggio" (1986) auseinandersetzt. Es werden sowohl biographische Details über Caravaggio als auch Informationen über Derek Jarman und seine künstlerischen Intentionen gegeben. Der Film selbst wird detailliert beschrieben und verschiedene Interpretationsaspekte werden beleuchtet.
Welche Themen werden im Zusammenhang mit Caravaggio behandelt?
Die Analyse behandelt Caravaggios Lebensgeschichte, seine künstlerische Entwicklung, seinen exzentrischen Charakter, seine Verwicklung in Streitereien und kriminelle Aktivitäten sowie die Einflüsse und Interpretationen seines Werkes. Zudem wird auf seine mögliche Homosexualität eingegangen und wie diese in Jarmans Film angedeutet wird.
Welche Aspekte von Derek Jarmans Arbeit werden beleuchtet?
Das Dokument beschreibt Jarmans künstlerischen Werdegang, von der Malerei über das Bühnenbild zum Film. Seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, seine kulturpessimistische Sichtweise, seine Homosexualität als treibende Kraft und die finanziellen Schwierigkeiten bei der Umsetzung seiner Filmideen werden thematisiert. Ebenso wird auf seinen unkonventionellen Stil, seine Zivilisationskritik und seine Experimentierfreudigkeit eingegangen.
Wie wird der Film "Caravaggio" (1986) analysiert?
Der Film wird als Verfilmung einer Gemäldegalerie betrachtet, wobei die Integration von Caravaggios Werken in die Handlung, die schauspielerische Darstellung und die symbolische Bedeutung einzelner Szenen analysiert werden. Es wird auf die Authentizität der biographischen Erzählung, die Rollenbesetzung und die Darstellung von Gewalt und Homosexualität eingegangen. Auch werden die modernen Gegenstände und die reduzierte Ausstattung als Stilmittel zur Verdeutlichung des Charakters von Caravaggio diskutiert.
Welche Interpretationsaspekte werden im Detail betrachtet?
Die Analyse konzentriert sich auf die Verfilmung von Caravaggios Gemälden, die Verbindung zwischen Leben und Werk, die Selbstinszenierung durch Derek Jarman, das Leitmotiv des Goldes, die Verwendung moderner Gegenstände, die Bedeutung des Messers mit der Gravur "Nec spe nec metu" und die symbolische Rolle der Figur des Jerusaleme.
Was bedeutet die lateinische Phrase "Nec spe nec metu"?
"Nec spe nec metu" bedeutet "weder Hoffnung noch Furcht". Es ist ein Motto, das Caravaggios furchtlose und unbeugsame Haltung symbolisiert und als roter Faden durch den Film von Derek Jarman gezogen wird.
Wer war Jerusaleme im Film?
Jerusaleme ist eine fiktive Figur, die von Derek Jarman erfunden wurde. Er ist ein stummer und treuer Begleiter Caravaggios und symbolisiert möglicherweise eine Verbindung zu Jarman selbst.
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- Nataly Savina (Author), Katja Loske (Author), 2002, Caravaggio, ein Filmgemälde von Derek Jarman, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106464