Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die Wechselwirkung zwischen Diesseits und Jenseits in den Sangsprüchen von Bruder Wernher dargestellt wird. Dabei soll gezeigt werden, dass die Reue für Taten, die gegen die christliche Vorstellung eines gottgefälligen Lebens vollbracht wurden, nicht ausreichend ist, um in das Paradies zu gelangen. Um diese These zu belegen, stelle ich mir zunächst die Frage, wie die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod im Mittelalter aussah. Anschließend untersuche ich drei ausgewählte Sangsprüche bezüglich der Wechselwirkungen zwischen dem Diesseits und Jenseits und vergleiche die Auffassung Wernhers mit der der damaligen Zeit. Als Grundlage der Arbeit dienen die von Ulrike Zuckschwerdt transliterierten und übersetzten Strophen, auf welche sich alle Seiten- und Versangaben im Text beziehen. Zur Vereinfachung wird die Seitenzahl, auf die sich der jeweilige Spruch befindet, nur einmal angegeben.
Johann Wolfgang von Goethe, einer der bedeutendsten deutschen Dichter, schrieb in einem Brief an Auguste Gräfin zu Stolberg: „Wir wollen einander nicht auf´s ewige Leben vertrösten! Hier noch müssen wir glücklich sein“. Diese Aussage lässt sich auf die Ansicht der meisten Menschen im 21. Jahrhundert übertragen. Das irdische Leben soll ausgefüllt sein mit Glück und Freude. Eine Existenz nach dem Tod ist für viele nicht vorstellbar. Im Mittelalter hingegen waren das Christentum und der Glaube an die Trinität wichtiger Bestandteil im Leben und Alltag der Menschen. Sie waren bestrebt, ihr Leben so zu gestalten, dass sie nach dem Tod in das Paradies zu Jesus Christus gelangen konnten.
Der Sangspruchdichter Bruder Wernher, welcher in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte, thematisierte neben der Tugendlehre und Kritik an Papst sowie Kaiser auch das Jenseits. Dabei vereinfacht er abstrakte Zusammenhänge durch den Einsatz konkreter, alltagsnaher Bilder, wodurch seine Sprüche eine hohe Anschaulichkeit aufweisen. Insgesamt wurden von ihm 76 Sprüche, welche sich in neun Töne unterteilen lassen, überliefert. Diese sind kanzonenförmig aufgebaut, was typisch für die Zeit ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die mittelalterliche Vorstellung von Leben nach dem Tod
3. Das Jenseits in Bruder Wernhers Sangsprüchen
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Johann Wolfgang von Goethe, einer der bedeutendsten deutschen Dichter, schrieb in einem Brief an Auguste Gräfin zu Stolberg: „Wir wollen einander nicht auf´s ewige Leben vertrösten! Hier noch müssen wir glücklich sein“.1 Diese Aussage lässt sich auf die Ansicht der meisten Menschen im 21. Jahrhundert übertragen. Das irdische Leben soll ausgefüllt sein mit Glück und Freude. Eine Existenz nach dem Tod ist für viele nicht vorstellbar. Im Mittelalter hingegen waren das Christentum und der Glaube an die Trinität wichtiger Bestandteil im Leben und Alltag der Menschen. Sie waren bestrebt, ihr Leben so zu gestalten, dass sie nach dem Tod in das Paradies zu Jesus Christus gelangen konnten.2
Der Sangspruchdichter Bruder Wernher, welcher in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte, thematisierte neben der Tugendlehre und Kritik an Papst sowie Kaiser auch das Jenseits. Dabei vereinfacht er abstrakte Zusammenhänge durch den Einsatz konkreter, alltagsnaher Bilder, wodurch seine Sprüche eine hohe Anschaulichkeit aufweisen. Insgesamt wurden von ihm 76 Sprüche, welche sich in neun Töne unterteilen lassen, überliefert. Diese sind kanzonenförmig aufgebaut, was typisch für die Zeit ist.3
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die Wechselwirkung zwischen Diesseits und Jenseits in den Sangsprüchen von Bruder Wernher dargestellt wird. Dabei soll gezeigt werden, dass die Reue für Taten, die gegen die christliche Vorstellung eines gottgefälligen Lebens vollbracht wurden, nicht ausreichend ist, um in das Paradies zu gelangen.
Um diese These zu belegen, stelle ich mir zunächst die Frage, wie die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod im Mittelalter aussah. Anschließend untersuche ich drei ausgewählte Sangsprüche bezüglich der Wechselwirkungen zwischen dem Diesseits und Jenseits und vergleiche die Auffassung Wernhers mit der der damaligen Zeit.
Als Grundlage der Arbeit dienen die von Ulrike Zuckschwerdt transliterierten und übersetzten Strophen, auf welche sich alle Seiten- und Versangaben im Text beziehen.4 Zur Vereinfachung wird die Seitenzahl, auf die sich der jeweilige Spruch befindet, nur einmal angegeben.
2. Die mittelalterliche Vorstellung von Leben nach dem Tod
Das Leben wird durch die Geburt auf der einen und den Tod auf der anderen Seite begrenzt. Beides bedingt sich gegenseitig.5 Menschen, welche eine Nahtoderfahrung erlebten, berichten darüber, dass sie in einem Tunnel stehen und durch diesen auf das helle Licht, das sie am Ende erwartet, zugehen. Oft warten dort bereits verstorbene Familienmitglieder auf sie und in ihnen breitet sich ein Gefühl der Wärme und des Glücks aus. Angst verspürten die meisten nicht. Doch wie sah die Vorstellung der Menschen im Mittelalter aus? Glaubten sie an ein Leben nach dem Tod? Im Folgenden werden diese Fragen beantwortet.
Das Todesverständnis des Mittelalters ist das des Christentums. Dass der Mensch sterben muss, wurde anhand der Bibel begründet. Durch den Sündenfall Adams im Paradies war eine Sündlosigkeit unerreichbar und das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen gestört. Jesus Christus hat durch seine Kreuzigung und Auferstehung den Tod besiegt und alle Sünden auf sich genommen. Dies gibt den Getauften Hoffnung auf ein ewiges und zugleich neues Leben in der Gemeinschaft mit Gott und dem Auferstandenen.6
Jedoch gelangt nicht jeder durch den Tod in das Paradies. In einem Lehrentscheid des Papstes steht: „Nach allgemeiner Anordnung Gottes waren, sind und werden sein im Himmel […], die nach Empfang der heiligen Taufe Christi gestorben sind und in denen beim Tode nichts zu reinigen war oder nichts zu reinigen sein wird oder die nach dem Tode gereinigt worden sind“7 Nach dieser Auffassung konnten Ungetaufte, auch wenn sie ein Leben ohne Sünden führten, nicht in den Himmel kommen. Ebenso musste nach der Missachtung von Gottes Geboten Buße getan und Fürbitten gesprochen werden, damit der Eintritt in das Paradies nicht verwehrt wird. Die Heiligenverehrung, besonders die der Jungfrau Maria, war ein wichtiger Bestandteil des Glaubens. Durch die Gebete, welche an sie gerichtet wurden, erhofften sich die Menschen Fürsprache bei Gott und Jesus Christus, damit sie in den Himmel aufgenommen werden. Dass die Seele nach dem Ableben in das Fegefeuer kam und dort Qualen erleiden musste, war eine der größten Ängste der Christen im Mittelalter. Hielt man sich an die Weisungen Gottes, galt der Tod als Glück und ist nicht das Ende, sondern die Vollendung.8
Neben der christlichen Vorstellung existierte vereinzelt das germanische Todesverständnis, bei welchem es sich um das Bewähren des Helden auf dem ihm vorherbestimmten Schicksalsweg und die Hoffnung auf ein Weiterleben handelt.9 Diese Todesvorstellung wird jedoch in der nachfolgenden Ausführung nicht berücksichtigt.
3. Das Jenseits in Bruder Wernhers Sangsprüchen
3.1 Ton II, 19: Ôwê der manecvalten nôt. Diu al der werlde künftec ist.
Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, dass im Mittelalter die Taufe und Buße den Eintritt in das Himmelreich Gottes eröffnen. Vertritt Bruder Wernher diese Ansicht oder hat er eine ganz andere, eigene Meinung über das Jenseits? Dies wird anhand von seinen Sprüchen untersucht.
Spruch 19 beginnt mit der Klage, dass der ganzen Welt Not bevorsteht (vgl. S.193, V.1). Die Interjektion „Ach“ (V.1) verstärkt den Kummer des Sprechers. Schönheit und Macht sind vergänglich. Stirbt man, ist es nicht der Körper, welcher erhalten bleibt. Dieser verwest und hat keinen Wert mehr (vgl. V.2). Anhand des Verses drückt Bruder Wernher aus, dass die Menschen sich nicht auf irdische Besitztümer konzentrieren sollen, sondern auf ihre Seele und deren Rettung nach dem Tod. Vers fünf und sechs verdeutlichen die Wechselwirkung zwischen Diesseits und Jenseits. Wenn das irdische Leben in Bequemlichkeit geführt wird, ändert sich das nach dem Sterben, wo Kummer und Leiden warten. Daraus lässt sich schließen, dass bei einem gottgefälligen Leben, in welchem der Mensch Buße tut und versucht, keine Sünden zu begehen, ihn nach seinem Ende auf der Erde Frieden und Glück erwarten. Die Vorstellung wird durch das Christentum im Mittelalter vertreten (vgl. Kapitel 2). Auch das Fegefeuer, vor dem die Menschen Angst hatten, findet bei Bruder Wernher Erwähnung (vgl. V.8).
Im Zweiten Teil der Strophe wird angenommen, dass die Hölle nicht existent und Leben unvergänglich sei. Dennoch könne nicht ohne Furcht gelebt werden, da das Älterwerden viele Nachteile mit sich bringt (vgl. V.7-11). Vermutlich liegt dies an der Tatsache, dass niemand weiß, was ihn im Jenseits erwartet und ob die Bemühungen dafür ausreichend waren.10 In Vers 10 folgend heißt es „Das liebe Kind könnte gut und gerne ohne den Vater sein, wann auch immer er den Verwandten zur Last fällt.“ Daraus lässt sich schließen, dass sich das Kind den Tod des Vaters wünscht.11 Dies stimmt mit der oben genannten Aussage, dass im Alter viele Nachteile entstehen, überein, steht jedoch im Widerspruch dazu, dass die Seele im Jenseits Qualen erleidet. Es kann vermutet werden, dass der Tod das geringere Übel ist und Erlösung darstellt. Der letzte Vers ist eine Aufforderung an die Welt, genau hinzuschauen (vgl. V.12). Während der gesamte restliche Teil der Strophe eine Anklage an den nach irdischen Bedürfnissen ausgerichteten Lebensstil ist, macht dieser Vers deutlich, dass bei Erkennen der Not und darauffolgendem Handeln eine Erlösung der Seele möglich ist.
Zusammengefasst handelt der Spruch von der Vorbereitung auf das Jenseits und den Folgen, welche auf die Menschen zukommen. Auffällig hierbei ist, dass nie in der Ich-Form gesprochen wird. Durch die Wir-Form erfolgt eine Anrede an die gesamte Menschheit und die Mahnung zur rechtzeitigen Umkehr.12 Die Gnade muss von dem Erdenleben mitgebracht werden, denn im Jenseits ist sie nicht mehr zu erzielen. Wer allerdings nach dem weltlichen Lohn strebt, bekommt Gottes Strafe in dessen Reich zu spüren.13
3.2 Ton II, 22: Ôwê dâ mite wir sint geborn. Unde alsô muoz ez enden sich.
Dieser Spruch beginnt, genau wie der im vorherigen Kapitel behandelte, mit der Interjektion „Ach“ (S.217, V.1), die die Traurigkeit und Enttäuschung Bruder Wernhers verdeutlicht. „Damit werden wir geboren und derart muss es zu Ende gehen“ ist die Fortführung des ersten Verses. Es ist nicht ersichtlich, was mit dem „damit“ (V.1) gemeint ist. Es muss sich dabei um etwas handeln, dass auch das Ende des Lebens bestimmt. Die Forschung ist sich bei diesem Vers ebenso nicht sicher über die Bedeutung. Es wird vermutet, dass „damit“ (V.1) für die Erbsünde stehen kann. Nach dem Verständnis des Christentums wurde der Mensch durch die Taufe von dieser Sünde freigesprochen.14 Es ist dennoch möglich, dass Bruder Wernher die Erbsünde meint und seiner Ansicht nach die Taufe allein nicht ausreicht, um von Sünde und Schuld zu befreien, sondern das Verrichten guter Dinge zu Lebzeiten entscheidend ist. Der zweite Vers stellt einen Bezug zur Bibel her. Die Engel verkünden den Tag des Jüngsten Gerichtes. „Gibt es dort jedoch Erbarmen?“ (V.4), fragen die Menschen. Daran lässt sich erkennen, dass sie sich Sorgen um das Ergehen ihrer Seele machen. Die Antwort der Engel lautet, dass diejenigen, die jetzt Barmherzigkeit zeigen, auch im Jenseits viel davon erhalten werden (vgl. V.5). Die direkte Rede und Darstellung der Engel wurden eingesetzt, um eine bessere Verständlichkeit des Gesagten zu erzielen.
[...]
1 Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Briefe. In: Goethes Briefe und Briefe an Goethe. Hrsg. von Karl Robert Mandelkow. Hamburger Ausgabe Band 1. München: Beck 1988. S.193.
2 vgl. Seresse, Volker: Kirche und Christentum. Grundwissen für Historiker. Paderborn: Schöningh 2011. S.255.
3 vgl. Zuckschwerdt, Ulrike: Bruder Wernher Sangsprüche. Transliteriert, normalisiert, übersetzt und kommentiert. Berlin, Boston: De Gruyter 2014. S.19-27.
4 ebd.
5 vgl. Rolf, Hans: Der Tod in mittelhochdeutschen Dichtungen. München: Wilhelm Fink Verlag 1974. S.9.
6 vgl. ebd. S.10-12.
7 Haas, Alois M.: Todesbilder im Mittelalter. Fakten und Hinweise in der deutschen Literatur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989. S.10.
8 vgl. ebd. S.11.
9 vgl. Rolf, H.: Der Tod in mittelhochdeutschen Dichtungen. S.12f.
10 vgl. Zuckschwerdt, U.: Bruder Wernher Sangsprüche. S.194.
11 vgl. Gerdes, Udo: Bruder Wernher. Beiträge zur Deutung seiner Sprüche. Berlin: Dissertation Freie Universität Berlin 1969. S.103f.
12 vgl. Gerdes, U.: Bruder Wernher. S.133.
13 vgl. ebd. S.106.
14 vgl. Zuckschwerdt, U.: Bruder Wernher Sangsprüche. S.217.
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- Anonymous,, 2019, Darstellung der Wechselwirkungen von Diesseits und Jenseits in Bruder Wernhers Sangsprüchen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064643
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