Inhalt
Vorwort
1. Einleitung: Die karolingische Hofkultur und Byzanz
1.1 Die lateinische renovatio
1.2 Das Verhältnis zu Byzanz
1.3 Wege der Einflüsse
2. Griechische Kultur im Westen vor der Karolingerzeit
3. Griechische Sprache und Literatur bei den Karolingern
3.1 Voraussetzungen
3.2 Von Pippin zu Karl dem Großen - Grundlagen
3.3 Die Regentschaft Ludwigs des Frommen - Einflüsse der griechischen Geisteswelt
3.4 Der Hof Karls des Kahlen - Blütezeit des Griechischen im Westen
3.5 Italien und Anastasios Bibliotecarius
4. Die karolingische Kunst und Byzanz
4.1 Zur Vorbildhaftigkeit byzantinischer Kunst im Westen
4.2 Die Bedeutung zeitgenössischer byzantinischer Kunst
4.3 Der griechische Einflußim Westen seit dem siebten Jahrhundert als Voraussetzung der frühen Aachener Hofschule
4.4 Spätantike und frühbyzantinische Einflüsse auf die karolingische Kunst
4.5 Zur Frage des ‘Ikonoklasmus’ in der karolingischen Kunst
4.6 Die Karolingische Architektur und Byzanz
5. Zusammenfassung: Die Bedeutung griechisch-byzantinischer Einflüsse für die karolingische Kultur
Vorwort
Die Beziehungen auf geistig-kulturellem Gebiet zwischen den Karolingern und Byzanz darzustellen, ist ein recht schwieriges Unterfangen. Einerseits, weil zahlreiche Teilgebiete berücksichtigt werden müßten, wenn man ein nur annähernd vollständiges Bild zu erhalten anstrebte, andererseits, weil Einflüsse nur selten auf direktem Wege verlaufen und damit meist vielschichtig und schwer nachvollziehbar sind. Will man die gegenseitigen Abhängigkeiten oder einseitigen Einflüsse innerhalb eines kulturellen Teilbereichs darstellen, so ist es zunächst einmal erforderlich, diesen Aspekt im oströmisch-griechischen Kulturkreis und bei den Franken zumindest in Umrissen zu skizzieren. Erst dann lassen sich Beziehungen und Austausch transparent machen. Deshalb haben wir komplexe Spezialthemen, wie etwa die Liturgie, ausgespart und uns im wesentlichen auf zwei Themenbereiche, die genug Material für Einzeluntersuchungen bieten, beschränkt: Die Sprache und Literatur und die Kunst. Diese grundlegenden Bereiche jeglicher europäischer Kultur mögen einen exemplarischen Einblick in das Wesen des Gesamtthemas geben.
Zunächst aber ist es notwendig, darzustellen, in welchem Rahmen sich die karolingische Hofkultur entwickelt hat, was ihre Voraussetzungen, Beweggründe und Charakteristika ausmacht, um dann erörtern zu können, warum und in welcher Weise byzantinische Einflüsse aufgenommen wurden.
1. Einleitung: Die karolingische Hofkultur und Byzanz
1.1 Die lateinische renovatio
An erster Stelle der karolingischen Hofkultur stand, von Karl dem Großen an, der Neubeginn einer fundierten lateinischen Bildung1. Die Sprache der Bibel und des Frühchristentums, der Kirchenväter, aber auch der antiken Schriftsteller und des römisch-antiken Kaisertums sollte nach dem Niedergang der Latinität in der Merowingerzeit2 wieder eine verbindliche kulturelle Größe werden. Der Versuch, die lateinische Sprache zum eigentlichen Träger der Kultur der Kirche und des Hofes zu machen, hing unmittelbar mit dem Streben nach Vereinheitlichung und Zentralisierung zusammen. Man wollte eine allgemein verbindliche Liturgie schaffen und einen authentischen Bibeltext besitzen. Zumindest im Bereich des Glaubens und des Kultes sollte im ganzen Reich eine gemeinsame Grundlage bestehen, die für Adel, Klerus und Volk Gültigkeit behaupten konnte. Das Reich brauchte eine alle Differenzen zwischen den verschiedenen Völkern und Stämmen übergreifende kulturelle Einheit, und diese konnte nur der gemeinsame christliche Glaube sein3. Karl der Große hatte in seinem Reich einen Großteil dessen vereinigt, was wir heute als das ‘Christliche Abendland’ bezeichnen, und der militärischen Unterwerfung folgte die Christianisierung (z.B. der Sachsen). Es war letztlich ein Vorgehen mit ‘Schwert und Buch’, weil die das Christentum eine an die schriftliche Überlieferung gebundene Religion war, schon von seinen Anfängen her. Durch alle Schichten der Gesellschaft, bis hin zum einfachen Volk, sollte die Religion kulturelle Verbindlichkeit erhalten und sogar ein Mindestmaßan Kenntnis von Glaubensinhalten allgemein verpflichtend sein4.
Aus diesem Bestreben heraus wurde die Hinwendung zur Latinität, die Erneuerung, in mancher Beziehung sogar der völlige Neubeginn lateinischer Schriftkultur das Werk Karls des Großen. Hinzu kommt das persönliche Bildungsinteresse des Herrschers, der in der römischen Antike das Vorbild für die Kultur seines Reiches sah. Das Kaisertum Karls verstärkte diese Haltung, ließden ersten christlichen Kaiser Konstantin zur Idealgestalt werden, der die Nachahmung galt. Karl war es, der seinem Reich einen ‘kulturellen Motor’ in Gestalt der Hofschule gab, deren Errungenschaften die Quelle der Erneuerung der christlich-lateinischen Geisteswelt werden sollte5. Schon lange vor der Kaiserkrönung Karls, Anfang des achten Jahrzehnts des achten Jahrhunderts, begann das Bestreben, eine Hofkultur aufzubauen, die durch den Willen des Herrschers zur umfassenden Kulturerneuerung gelenkt wurde6. Das setzt einerseits voraus, daßdie Kultur der Merowingerzeit als Niedergang empfunden wurde, andererseits, daßein Bewußtsein für höherwertige Kultur vorhanden war. Diese konnte in der Vergangenheit (der Antike und Spätantike) gesucht werden oder aber an den wenigen Stätten, an denen antike Traditionen überlebt hatten. Es galt, die Persönlichkeiten für die Hofschule zu gewinnen, die das Wissen und die Fähigkeit besaßen, einen kulturellen Erneuerungsprozeßauf breiter Basis einzuleiten.
Die Hofschule sollte ein Ort werden, an dem alles, was an höherwertiger Kultur noch vorhanden und verfügbar war, konzentriert wurde. Kulturrelikte eines längst vergangenen Zeitalters erfuhren hier die Förderung, um sie zum Vorbildhaften, zum Richtscheit für die Kultur des Reiches zu entwickeln - was dem Versuch einer völligen Umwälzung der vorherigen Verhältnisse gleichkommt. Das Verlangen nach Erneuerung (‘renovatio’) war die Keimzelle der ganzen karolingischen Kultur, und seine Auswirkungen reichten weit darüber hinaus, denn es wurde zur Grundlage der gesamten abendländischen Kultur des Mittelalters.
Mit dem Begriff ‘renovatio’ verbindet sich mehr als die kulturelle Erneuerung allein7. Er ist Ausdruck für den mehr oder weniger selektiven Rückgriff auf die Antike, im Sinne von Anknüpfung an abgebrochene bzw. unterbrochene Traditionen auf geistig-ideologischem wie materiellem Gebiet. Zumeist ist beides eng miteinander verknüpft. Auf dem Gebiet der Herrschaftsideologie ist es der römische Reichsgedanke als ‘renovatio imperii romanorum’, also der Tradition des westlichen Kaisertums, wenn auch die Frage des Kaisertitels an sich eine überaus komplizierte ist und Karls Haltung dazu fern von eindeutiger Inanspruchnahme eines alleinigen Weltkaisertums blieb. Auf der kulturellen und vor allem künstlerischen Ebene aber wurde gegen das Jahr 800 eine klare Hinwendung zur Antike vollzogen8. Die Kaiserkrönung brachte auf politischem Gebiet Probleme mit sich (zusammengefaßt unter dem Begriff ‘Zweikaiserproblem’9 ), die niemals im Sinne eines Universalkaisertums Karls des Großen zu lösen waren, hatte aber zur Folge, daßsowohl das antike als auch das byzantinische Kaiserreich Vorbilder für die Reichs- und Herrschaftsidee wurden, was sich gerade auf die Kulturerneuerung auswirkte. Wie Karl selbst auch immer zum fränkischen Kaisertitel stand, in seiner Kulturpolitik ist das Vorbild der Antike und daneben auch das von Byzanz um die Jahrhundertwende deutlich zu erkennen. Das christliche Kaisertum, als dessen Begründer Konstantin angesehen und verehrt wurde, mußte als das eigentliche Ideal eines Reichsgedankens im Sinne des römischen Imperiums erscheinen, und in dieser Grundlage verbanden sich die gemeinsamen Wurzeln des Westens und des Ostens.
Man hegte ebenfalls - das mußbesonders betont werden - in keiner Weise Scheu vor der heidnischen Antike, im Gegenteil, Vorbilder konnten auch hierin gefunden werden, wenn auch selten Ideale. Ein bedeutendes Beispiel für die Übernahme antiker Kunstwerke ist der römische Proserpina-Sarkophag, in dem Karl (wahrscheinlich) bestattet lag, und der heute noch in der Schatzkammer des Aachener Münsters aufbewahrt wird. Solche Werke mußten schon aufgrund ihrer Qualität Vorbildcharakter haben und ihr Besitz eine Auszeichnung sein. Qualität und Authentizität dieser Werke konnten als Maßgabe verstanden werden. Weiter noch, man begann die symbolischen und ideellen Werte antiker Kulturgüter zu übernehmen und auf die eigene Kultur zu übertragen, einschließlich des damit verbundenen Anspruchs10. Die Pfalz in Aachen und ihre Ausstattung ist ein hervorragendes Zeugnis dafür11. Alle ihre Repräsentationsbauten und Kunstwerke lassen sich in diesem Sinne deuten. Bereits um 795 setzte die Antikenbezogenheit in Form von Vorbildhaftigkeit in der Kulturpolitik Karls ein. In dieser Zeit wurden zahlreiche antike Kulturgüter nach Aachen geschafft, das gewissermaßen ein neues Rom werden sollte12. Bei den prominenten Ausstattungsstücken, wie den Säulen der Pfalzkapelle, die als Spolien aus Italien beschafft worden waren, war es weniger der praktische Nutzen, etwa als Vorbilder für eigene Kunstwerke, sondern der symbolische Wert, verbunden mit qualitativer Überlegenheit, der dabei an erster Stelle stand13.
Auf eine Formel gebracht, kann man den renovatio-Gedanken als den Versuch bezeichnen, die eigene kulturelle Identität am Vorbild der Antike (bzw. Spätantike) zu gewinnen. Renovatio heißt damit als Ganzes betrachtet, die Wiedererweckung der antiken Geisteswelt unter einem neuen, dem fränkisch-germanischen Vorzeichen, aber mit alten Symbolen und Wertmaßstäben. Man mußdiese Kulturpolitik nicht allein in Zusammenhang mit dem Akt der Kaiserkrönung Karls sehen. Krone und Titel sind lediglich Ausdruck einer viel umfassenderen Orientierung am Vorbild der Antike. Der renovatio imperii romanorum als Wiederbelebung der alten Kaisertradition im Westen versuchte man durch eine besonders eng an der Antike orientierte Symbolsprache den geistig-kulturellen Boden zu bereiten14. Dies aber ist nur ein Teilaspekt innerhalb einer viel umfassenderen Bewegung. In jedem Fall erweist die Kulturpolitik, daßfür Karl den Großen das ideelle und materielle Erbe der Antike zur politischen und kulturellen Verpflichtung gleichermaßen wurde.
Somit wurden die in Aachen und anderen Pfalzen und Klöstern des Karolingerreiches gesammelten antiken und spätantiken Kulturgüter zunehmend zu Vorbildern des eigenen kulturellen Schaffens, denen man nicht nur ideell sondern auch in Form und Qualität gleichwertige Schöpfungen entgegenzustellen begann. Es gibt viele Zeugnisse aus dem Bereich der bildenden Kunst, die zeigen, wie die Antike immer mehr zum Maßdes eigenen Schaffens in den Jahren um 800 wird. Beispiele hierfür sind die Gitter der Emporen der Aachener Pfalzkapelle, deren Formensprache in mehreren Phasen immer ‘klassischer’ wird15. Ungeachtet des ganzen Problemkreises, der bezüglich der Titelfrage besteht, und dem Bestreben, den universellen Kaisertitel als solchen zu vermeiden, um nicht in Konflikt mit Byzanz zu geraten16, sprechen doch die Werke der bildenden Kunst und Architektur eine eindeutige Sprache: So ist die Aachener Pfalzkapelle ein Bauwerk von wahrhaft kaiserlichem Anspruch. Nicht nur formen- und typengeschichtlich kann man dies nachvollziehen, vielmehr noch ist ihre rein anschauliche Wirkung - auch heute noch, nach so vielen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte - von römisch-imperialer Größe. Im Reichskloster Lorsch wurde mit der berühmten Torhalle der römische Triumphbogen beschworen17, und die Kompositkapitelle ihrer Säulen sind so eng am antiken Vorbild orientiert, wie im ganzen Mittelalter nicht mehr. Die Kunst erweist sich in dieser Beziehung als erstrangige und unverzichtbare Geschichtsquelle, weil hieran Aussagen abzulesen sind, die in schriftlichen Quellen verschwiegen oder durch bewußte Mehrdeutigkeit verschleiert wurden.
Ein wesentlicher, vielleicht sogar der wichtigste Anteil der kulturellen Erneuerungsbemühungen kam der antiken Literatur und der Reinheit der lateinischen Sprache - zumindest an der Hofschule - zugute18. Man besorgte sich antike und spätantike Textvorlagen der Bibel, der liturgischen Bücher, der Kirchenväter, verschiedenster antiker Schriftsteller, der enzyklopädischen und komputistischen Lehrbücher und schrieb diese ab. Vieles davon war durch die Kirche, vor allem in den Klöstern auch im Westen bewahrt worden. Aber es genügte natürlich nicht, möglichst viele antike Codices anzusammeln, man brauchte mehr noch die Gelehrten, die diese zu nutzen wußten und die ihrerseits einen Bildungs- und Lehrauftrag erhielten. Karl der Große versammelte sie aus ganz Europa um sich19, unter den Franken selbst fehlten anscheinend von wenigen Ausnahmen20 abgesehen derartige Potentiale. Nur so war gewährleistet, daß, unter der Direktive und nach dem Willen Karls selbst, eine Hofkultur entstehen konnte, die sich nicht in der Nachahmung der Antike erschöpfte, sondern ihrerseits Vorbild und Ausgangspunkt für die Hochkultur des Reiches sein sollte. Das Vermögen zur Synthese bei gleichzeitigem hohen schöpferischen Potential zeichnet das Wesen der karolingischen Kunst von Anfang an aus. Zuweilen findet man perfekte Anpassung und Nachahmung und kreative Weiterentwicklung unmittelbar nebeneinander21. Ebenso benutzte man die antike Literatur nicht nur, um aus ihr Sprache zu erlernen, sondern um selbst Literatur zu schaffen. Geistige Kenntnisse und handwerkliches Können sollten zu schöpferischen Fähigkeiten geführt werden. Das war nur gewährleistet, wenn fähige Gelehrte und Künstler an der Hofschule wirkten und die entsprechenden Maßgaben und Leitlinien erhielten. Dies zu koordinieren und zu einer Synthese zu führen, war die gewaltige Leistung der Kulturpolitik Karls des Großen.
1.2 Das Verhältnis zu Byzanz
Neben den erhaltenen und überlieferten antiken Kulturgütern des Westens war Byzanz einer der Hauptorientierungspunkte in dem Streben, Vorgaben und Vorbilder hinsichtlich einer authentischen antiken imperialen Kultur unter christlichem Vorzeichen zu erlangen. Der Basileus stand in direkter Nachfolge Konstantins, dessen Gründung die Hauptstadt des byzantinischen Reiches war und dessen Namen sie trug. Das byzantinische Reich und seine Kultur mußte für Karl Konkurrent und Braunfels urteilt: “In keinem anderen Bereich zeichnet sich der Stilwandel [zum Klassisch-Antiken] mit gleicher Eindringlichkeit ab. ” (S. 136) “Die letzte Arbeit der Bronzewerkstatt, die uns erhalten blieb, sind die vier klassizistischen Gitter, reife Zeugen der neuen Kaiserkunst. ” (S. 137). Vorbild zugleich sein, in ihm war ja die Institution des christlichen Kaisertums von Konstantin an in ununterbrochener Linie fortgeführt worden22. Auch hatte der Osten des römischen Reiches viel mehr spätantike Kulturgüter bewahren können als der durch die Zerstörungen und Plünderungen der Völkerwanderungszeit heimgesuchte Westen. Aber auch die zeitgenössische Kultur der Byzantiner mußte im Westen als bewahrte Antike erscheinen. Die kulturelle Überlegenheit des Ostens gründete sich ja in erster Linie auf die Tradierung und Weiterentwicklung des antiken Erbes, was im Karolingerreich auch so erkannt worden sein dürfte. Die Pfalz in Aachen würde sich niemals mit der Weltstadt Konstantinopel messen lassen können, aber Pfalzkapelle und Aula regia zeigen, daßman die imperiale Symbolik der spätantiken wie der byzantinischen Architektur verstand und für sich zu beanspruchen wußte23.
Inwieweit Griechen unter den Gelehrten und Künstlern waren, die Karl der Große um sich versammelte, läßt sich kaum noch erschließen. Einige wenige konkrete Anhaltspunkte dafür gibt es aber. Beispielsweise sollen an der Bibeledition unter Alkuin Griechen und Syrer beteiligt gewesen sein24. Im Bereich der Buchmalerei ist wenigstens ein Beispiel erhalten geblieben, für das byzantinische Künstler angenommen werden können, das Wiener Reichsevangeliar25. Andererseits mußman bedenken, daßes schon Schwierigkeiten bereitete, Gelehrte etwa von den Britischen Inseln oder aus Italien für die Hofschule zu gewinnen. Für einen byzantinischen Gelehrten dürfte es kaum einen Grund gegeben haben, ins ferne Aachen auszuwandern, es sei denn, er mußte fliehen. So bot insbesondere Rom für Mönche, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Heimat verlassen mußten, einen Zufluchtsort, an dem sie neue Klöster gründeten26. Es scheint durchaus im Rahmen der Möglichkeit zu liegen, daßeinige von ihnen auch in Gebiete nördlich der Alpen gelangten oder dorthin berufen wurden. Daßgriechische Kultur an der Hofschule Karls des Großen dennoch nur eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen konnte - was sich unter Ludwig dem Frommen und schließlich Karl dem Kahlen allmählich ändern sollte - ist aber in erster Linie damit zu erklären, daßdas Bemühen zunächst einmal vordringlich dem Lateinischen galt. Vielleicht kann man sogar sagen, daßdas Rückgreifen auf Vorbilder der Antike, Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit als eine Rückkehr zu den Wurzeln (Kaisertum im Westen und frühchristliche Kultur) zu verstehen ist. Hemmend für die Bereitschaft, in Byzanz ein Vorbild zu sehen, war natürlich die negative Sichtweise der Franken den zeitgenössischen byzantinischen Herrschern und ihrer Politik gegenüber, insbesondere zur Zeit Karls des Großen27. Auch ist nicht zu übersehen, daßdie karolingische Kultur schon unter Karl deutliche Züge von bewußter Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gegenüber Byzanz trägt, die Libri Carolini sind ein wichtiges Zeugnis dafür. Aber auch ein Monument, das wie kein anderes für den kulturellen Anspruch Karls steht, die Aachener Pfalzkapelle, ist mehr von der Idee, der Ikonologie der Raumgestalt, als von der konkreten architektonischen Ausformung her mit Byzanz in Beziehung zu bringen (siehe unten, Kap. 4.6). Kunstwerke, Schriften und andere Kulturgüter aus Byzanz wurden meist begierig aufgenommen, aber, wie die Vorbilder der Antike auch, im eigenen Schaffen reflektiert und weitergedacht.
Haupthindernis zur Rezeption byzantinischen Schrifttums waren natürlich die mangelhaften Kenntnisse des Griechischen im Westen zu Beginn der Karolingerzeit. Je mehr sich dies änderte, desto größer wurde die Bedeutung, die der Faktor der griechischen Kultur bei den Karolingern erlangte. Gleichermaßen entwickelten beide Reiche im Laufe des neunten Jahrhunderts trotz des fortwährenden Konkurrenzverhältnisses gegenseitige Anerkennung und Achtung voreinander, Bedingungen, die jeden Kulturaustausch wesentlich beeinflussen und begünstigen. Griechische Kultur konnte in der gesamten Karolingerzeit lediglich eine Nebenrolle spielen, aber, wie zu zeigen sein wird, gingen von Byzanz einige Einflüsse aus, die vielleicht keine besonders tiefgreifende Wirkung auf die Kultur des Reiches als Ganzes hatten, aber zumindest an den verschiedenen Höfen und ihren Schulen Schlüsselstellungen in der Entwicklung des Geisteslebens und der Kunst einnahmen. Zwei Generationen nach Karl dem Großen, am Hofe seines Enkels Karls des Kahlen, erreichten die byzantinischen Einflüsse ihren Zenit, gefördert durch dessen Graecophilie. Diese frühe Blütezeit griechischen Geisteslebens im Westen war aber nur möglich geworden durch das Werk seiner Vorgänger, die neben dem Lateinischen zuweilen auch das Griechische gefördert hatten.
Vorbild im Sinne eines unanfechtbaren Ideals war der byzantinische Staat im Westen kaum, aber eine unerschöpfliche Quelle an erstrangigen und überlegenen Kulturgütern, deren antike Abstammung immer erkennbar blieb. Die byzantinische Kunst und Kultur war nicht auf der Stufe der Spätantike stehengeblieben, wenn sie auch durch diese Zeit nachhaltig geprägt worden ist, sondern zeichnet sich gerade durch die Simultanität von äußerst konservativer Bewahrung, dauerndem Rückgriff auf das Erbe und Umsetzung, Transformation in Neues aus. Von solcher Art der Antikenrezeption konnte man im Westen nur lernen, aber sklavisch nachzuahmen brauchte man Byzanz deswegen nicht28. Die Kultur des Ostens war eine Art des Zugangs zur Antike für die Karolinger, darin liegt nicht der alleinige, aber wohl wichtigste Beweggrund für die Bereitschaft zur Rezeption byzantinischer Kultur.
1.3 Wege der Einflüsse
Der direkte 29 kulturelle Austausch zwischen Byzanz und den karolingischen Höfen fand in der Regel durch Gesandtschaften statt, die zu manchen Zeiten recht regelmäßig hin und her gingen. In den Jahren von 811 bis 815 war der intensivste Gesandtschaftsverkehr, nämlich nahezu jedes Jahr. Unter Ludwig dem Frommen wurde der Austausch wieder seltener; byzantinische Gesandtschaften sind für 824, 827, 833 und 839 bezeugt.
Die Ungleichheit der Beziehungen zwischen Byzanz und den Franken zeigt sich schon darin, wie man die Gesandten behandelte: Während die Ankunft der Griechen ein Ereignis war, das großen Eindruck durch Auftreten, Geschenke und Sitten der Gäste machte, stellte der byzantinische Hof oftmals Desinteresse an den fränkischen Gesandten zur Schau, indem man sie schlecht und demütigend behandelte und manchmal mehrere Monate warten ließ, ehe man sie empfing. Die Wartezeit kam einer Gefangenschaft gleich, wie Erzbischof Amalar von Trier berichtet, der 813 eine Gesandtschaft leitete, die 80 Tage zu warten hatte30. Man wollte wohl zeigen, daßman nichts von den Franken zu erwarten hatte, während die byzantinischen Gesandten am fränkischen Hof Gelegenheit erhielten, ihre kulturelle Überlegenheit darzustellen. Das war eine diplomatische Methode der Byzantiner, aber sie führte dazu, daßhierdurch direkt aus Konstantinopel Kulturgut der Griechen an den fränkischen Hof gelangte. Man weiß, daßbeispielsweise in den Bereichen der Musik und Liturgie31 und Sprache und Philosophie richtungsweisende Anregungen von Byzanz ausgingen, die über Gesandtschaften vermittelt wurden. Anzumerken bleibt allerdings, daßzuweilen auch byzantinische Gesandtschaften schlecht behandelt wurden, man lernte schließlich genauso von der byzantinischen Diplomatie.
Wie es sich im Bereich der bildenden Künste verhielt, ist schwer zu ermitteln. Für die Zeit des Bilderstreits ist kaum zu vermuten, daßKunstwerke in größerem Maße verschenkt wurden, zumindest keine christliche Kunst. Kunsthandwerk, kostbare Seidenstoffe und Ähnliches gehörten sicherlich zu den gebräuchlichen Gastgeschenken, konnten aber auch durch den Orienthandel importiert werden. Der alte Brauch, Elfenbeintafeln zu verschenken - man denke nur an die spätantiken Konsulardiptychen - dürfte auch weiterhin gepflegt worden sein: “Rom und Byzanz verwendeten das Elfenbein für weltliche Ehrengeschenke und zur Betonung sakraler Weihe”, schreibt Wolfgang Braunfels und bezeichnet es als ein ‘kaiserlich-byzantinisches Material’32. Einige spätantike oder frühbyzantinische Elfenbeinarbeiten mögen auf diese Art in den Besitz der karolingischen Höfe gelangt sein. Ihre Provenienz kann wissenschaftlich heute aber kaum noch nachgewiesen werden, weil bis in das fünfte Jahrhundert hinein im gesamten Mittelmeerraum mit weitgehend einheitlicher Stilentwicklung gerechnet werden muß33.
Fränkische Gesandte haben wohl ausführlich von ihren Besuchen in Konstantinopel berichtet und so einen Eindruck von den prächtigen Palastanlagen, dem Hofzeremoniell, der Hagia Sophia, der Apostelkirche usw. vermittelt. Besonders die Hagia Sophia mit ihrer kühnen Kuppelarchitektur in gewaltigen Ausmaßen, ihren reichen Inkrustationen aus kostbarem Marmor und überirdisch leuchtenden Mosaiken, mußeinem jeden fränkischen Gesandten, der in der Regel noch die einfachen Saalkirchen in Holzkonstruktion, wie sie im Merowingerreich üblich waren, gekannt hat, wie ein Bild des Himmels erschienen sein. Hinzu kamen prächtige Inszenierungen durch das Zeremoniell, kostbare Gewänder und liturgische Geräte und so fort. Diese Schilderungen werden ein Bild von unermeßlichem Reichtum und kultureller Überlegenheit auf allen Gebieten vermittelt haben, wenn dies auch schriftlich kaum belegt ist; (als wichtige Quelle aus spätkarolingischer Zeit sind hier die Gesta Caroli des Notker Balbulus anzuführen, die im zweiten Buch vom Gesandtschaftsverkehr berichten34 ).
Man mußsich natürlich die Frage stellen, ob es auch in Byzanz Einflüsse kultureller Art aus dem Frankenreich gab. Wir sind hier nur auf eine einzige, zudem umstrittene Theorie gestoßen, die soetwas annimmt. Sie stammt von Cyril Mango, der behauptet, die griechische Minuskelschrift sei um das Jahr 800 von studitischen Mönchen in Rom in Anlehnung an die karolingische Minuskel geschaffen und nach Byzanz importiert worden35 ; dem ist aber heftig widersprochen worden (Cavallo, Kresten)36. Was den Bereich der Kunst anbelangt, so hat André Grabar dargelegt, daßsich während des gesamten Mittelalters die Einflüsse des Westens auf Byzanz auf wenige Kuriosa in der spätbyzantinischen Zeit beschränken37.
2. Griechische Kultur im Westen vor der Karolingerzeit
In der Zeit der Spätantike und des frühen Mittelalters erlebte die griechische Kultur im gesamten Westen des römischen Reiches einen rapiden Niedergang. Griechisches in Sprache, Kunst und Kultur wurde auf wenige Inseln zurückgedrängt, wo vereinzelt Gelehrte an diesem Erbe der römischen Antike festhielten, ohne daßdies noch irgendeine Bedeutung als kulturelle Größe haben konnte. Es waren Relikte, die dort, etwa in Form bibliothekarischer Tradition, die Zeiten überdauerten. Die Epoche dieses Zusammenbruchs fällt ungefähr in das fünfte und sechste Jahrhundert, eine Zeit also, in der auch die römisch-lateinische Kultur einen deutlichen Einbruch erlitt, so daßvon einer ‘Barbarisierung’ gesprochen worden ist38. Italien selbst ist ebenso davon betroffen, wie alle anderen Regionen des weströmischen Reiches. Die griechische Kultur erlebte hier im sechsten Jahrhundert ihren Einbruch39. Allerdings blieb Rom selbst immer ein Zentrum griechischer Kultur im Westen, und ab dem siebten Jahrhundert siedelten sich dort Mönche aus dem Osten an, die griechische Klöster gründeten40. Erstaunlich ist, daßdas byzantinische Exarchat Ravenna der griechischen Kultur anscheinend kaum nachweisbaren Vorschub geleistet hat, zumindest was heute noch nachweisbar wäre. Es ist kein Werk griechischer Literatur erhalten, das aus Ravenna stammt41. Cyril Mango urteilt: “Jusqu'a sa chûte en 751 Ravenne est démeurée une ville de langue et de culture latines.”42 Einzig unter der Herrschaft der Ostgoten gab es eine kurze Blütezeit griechischer Briefliteratur, die wesentlich mit dem Wirken des Boëthius zusammenhing43. Aber die Rückeroberung durch Justinian führte zu keiner Verstärkung des Hellenismus in Italien. Cassiodor, der Gründer des süditalienischen Klosters Vivarium, der zuvor in Ravenna als Hofbeamter tätig gewesen war, unternahm einen vergeblichen Versuch, griechische Kultur in diesem Kloster lebendig zu erhalten. Das Unterfangen überlebte seinen Gründer nicht44. Griechische Kultur überdauerte in Italien nur an Orten, die eine alte Bildungstradition besaßen, wo es bedeutende Bibliotheken gab und weiterhin Gelehrte wirkten. Solche Stätten waren im Norden die Städte Verona und Mailand. Hier war es wohl gerade die spätantik-frühchristliche Kultur, die in ihrem Fortbestehen auch Griechisches bewahrte.
Das Zentrum griechischer Kultur in Italien und im gesamten frühmittelalterlichen Abendland überhaupt war Rom. Trotzdem hatte auch hier der Niedergang der griechischen Kultur im sechsten Jahrhundert dazu geführt, daßeine lebendige griechische Tradition gegen Ende des Jahrhunderts kaum noch vorhanden war: “...le grec était presqu'inconnu à Rome vers la fin du VIe siècle.”45 (C. Mango). Selbst der Kirchenvater Papst Gregor der Große beherrschte das Griechische nicht46. Im fünften und sechsten Jahrhundert gab es auch noch kein griechisches Kloster in Rom.
Die Situation sollte sich erst im siebten Jahrhundert entscheidend ändern: “Pourtant, au siècle suivant, un important élément grec fut réintroduit à Rome grâce l'immigration de levantines qui fuyaient devant les invasions, perse et arabe. ”47 (C.Mango). Folgt man Mango, so waren es wohl überwiegend Flüchtlinge aus den byzantinischen Ostprovinzen, die durch den Expansionsdruck von Persern und Arabern gezwungen waren, nach dem Westen zu emigrieren. Rom mußdabei einer der wichtigsten Zufluchtsorte gewesen sein. Erstmals wurden in den Protokollen des Laterankonzils von 649 griechische Mönche als Teilnehmer erwähnt, die auch in der Stadt ansässig waren48. In der Folge sollte die Anzahl der griechischen Klöster in Rom bis ins neunte Jahrhundert stetig ansteigen49. Der Ikonoklasmus und Bilderstreit ist für diese Emigrationsbewegung laut Mango von eher zu vernachlässigender Bedeutung, er betont als Hauptgrund die Perser- und Araberinvasionen und ihre wirtschaftlichen Folgen für die östliche Mittelmeerwelt50. Herausragende Persönlichkeiten unter den gebildeten Mönchen in griechischen Klöstern in Rom waren tatsächlich von syrischer oder anderer Herkunft ehemaliger byzantinischer Ostgebiete. Gerade unter der ersten Immigranten-Generation waren bedeutende Männer mit großem intellektuellen Potential51.
Um die Mitte des siebten Jahrhunderts wurde Rom somit zu einer Keimzelle griechischer Kultur im Westen. Nicht nur auf sprachlich-literarischem Gebiet, sondern auch im Bereich der bildenden Kunst, d.h. hier besonders der Wandmalerei. Die frühesten Fresken der Kirche S. Maria antiqua auf dem Forum romanum, die zu einem griechischen Kloster gehörte, datieren in die Mitte des siebten Jahrhunderts und zeigen eine in dieser Zeit im Westen vollkommen fremde, gänzlich von östlicher Kunst abhängige Formensprache. Bis ins achte Jahrhundert hinein lassen sich anhand der Wandmalereien dieser Kirche die Wandlungen der um 650 eingeleiteten Tradition nachverfolgen52 (siehe unten, Kap. 5.3).
Auch im Bereich der kirchlichen Herrschaft, d.h. des Papsttums, zeigte in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts der starke griechische Einflußseine Wirkung: Eine ganze Reihe von Päpsten griechischer Abkunft, oder zumindest Herkunft aus Gebieten, die unmittelbar dem byzantinischen Reich unterstanden (etwa Sizilien), übte das Pontifikat aus. Diese ‘griechischen Päpste’ hatten, ausgehend von Johannes V. (Pontifikat von 685-86) bis hin zum heiligen Zacharias (741-52), den Stuhl Petri mit nur einer Ausnahme inne (Gregor II., 715-31, war Römer)53. Obwohl man vermuten könnte, daßdiese Päpste durch Einflußnahme des Exarchats Ravenna in ihr Amt gelangten - die Reihe endet beinahe gleichzeitig mit dem Fall des Herrschaftssitzes - scheint, wie Mango ausführt, ein solcher Zusammenhang nicht bestanden zu haben, da die Päpste oft eine Politik betrieben hätten, die auf die Interessen des Exarchen keine Rücksicht nahm54.
Insgesamt betrachtet, ergibt sich für die Geschichte griechischer Kultur in Italien folgendes Bild: Einem starken Niedergang im sechsten folgte im siebten Jahrhundert ein erneuter Aufschwung, der sich im wesentlichen durch die Zuwanderung aus den Ostgebieten des byzantinischen Reiches erklärt. Es waren Flüchtlinge, die sich insbesondere in Rom ansiedelten. Die ‘Sendboten’ der Kultur aus dem Osten waren in erster Linie Mönche, deren neugegründete Klöster in Rom und andernorts Zentren der griechischen Kultur im Westen bildeten. Bereits Mitte des siebten Jahrhunderts dürfte Griechisches in Rom ein wesentlicher geistesgeschichtlicher Faktor gewesen sein. Der Einflußwar so stark, daßer traditionsbildend wirkte und Italien wieder ein Land mit, zumindest in der Hochkultur einiger wichtiger Zentren, bedeutendem griechischen Kulturanteil wurde. Dies ist ein Faktor, der in der Karolingerzeit zu einer wesentlichen Quelle griechischer Kultur bei den Franken werden sollte55.
Auch das langobardische Ober- und Unteritalien hatte eine derartige Mittlerrolle inne. Hier ist es die Konkurrenz zu Byzanz und die damit verbundene kulturelle Vorbildhaftigkeit, die zur Orientierung an der griechischen Kultur führte. Insbesondere die beneventanische Hofkultur im achten und frühen neunten Jahrhundert trägt deutliche Züge dieser Ausrichtung56. Süditalien, als byzantinisches Herrschaftsgebiet bis zur sarazenischen Eroberung, ist als eine weitere Quelle für Einflüsse zu nennen57.
Im Gegensatz zu den vielgestaltigen Wegen, durch die die griechische Kultur in Italien neu belebt worden ist, zeichnet sich für das übrige Europa ein gänzlich anderes Bild: Der Niedergang setzte im Norden bereits früher ein, ließfast keine Reste übrig, und bis hin zur Karolingerzeit gab es so gut wie keine Versuche der Erneuerung. In Gallien war schon Ende des fünften Jahrhunderts die griechische Kultur auf wenige Inseln zurückgedrängt worden58. Nur dort, wo es eine tiefer verwurzelte Tradition gab, wurden Kenntnisse in der griechischen Sprache noch weitervermittelt. So verhielt es sich auch in Spanien, wo noch bis Anfang des siebten Jahrhunderts Reste griechischer Kultur erhalten geblieben waren59. In England war die griechische Kultur schon Ende des fünften Jahrhunderts kaum noch anzutreffen60. Im spätantiken Gallien überdauerten einige Zentren des christlichen Hellenismus, beispielsweise im Rhône-Raum61. Dort wirkten noch längere Zeit zweisprachige Gelehrte62. Als die fränkische Herrschaft sich auf ganz Gallien ausdehnte, verschwanden auch diese Inseln bis auf wenige Relikte63. Mit Ausnahme der Verwendung einiger griechischer Worte, die in die Liturgie einflossen - wie das heute noch gebräuchliche ‘Kyrie eleison’ -, eventuell einiger weniger Übersetzungen64 und einer überlieferten Grammatikerhandschrift aus dem Martinskloster in Tours (Mitte 8. Jh.)65 beschränkt sich die Anwendung des Griechischen im merowingischen Gallien im allgemeinen wohl auf Curiosa. Hierzu mußman etwa auch die Verwendung griechischer Buchstaben in lateinischen Wörtern zählen, etwa in Sakramentaren, für die liturgischen Formeln66. In merowingischer Zeit gab es keinen Impetus für eine planmäßige Förderung des Griechischen, und selbst die lateinische Sprachkultur erlebte vom 6. bis 8. Jahrhundert einen Einbruch, der das Fortbestehen des lateinischen antiken Erbes ernstlich zu gefährden drohte67.
Eine Ausnahme allerdings machte Irland. In der früheren Forschung wurde das Überleben des Griechischen in Irland zwar erheblich überschätzt68, aber die ‘Irland-Legende’ hatte durchaus einen wahren Kern: Die Gelehrsamkeit an irischen Klöstern und die intensiven Studien an spätantiken Quellen führten auch zum Kontakt mit dem griechischen Alphabet, einzelnenWörtern, bis hin zu liturgischen Formeln69. Deswegen war selbst ein gelehrter irischer Mönch noch lange nicht befähigt, griechische Texte zu übersetzen, aber diese Kenntnisse übertrafen doch die Griechisch- Relikte auf dem Kontinent deutlich. In der Karolingerzeit sollte sich diese Bildungstradition als gute Voraussetzung für viel weitergehende Studien bis hin zu Übersetzungen langer und schwieriger Texte erweisen. Man kann nicht von einer ungebrochenen Überlieferung der griechischen Bildung in irischen Klöstern ausgehen, und tiefergehende Studien des Griechischen waren im siebten und achten Jahrhundert in Irland nicht möglich. Dennoch sollte sich aus den bewahrten Bildungsfundamenten der Keim zu Neuem ergeben, in der Hauptsache durch Förderung in der späten Karolingerzeit. Es war Ludwig Traube, der zuerst in seiner Abhandlung ‘O Roma nobilis’70 von 1892 den Sachverhalt richtiggestellt hat, was bis heute in der Forschung prinzipielle Gültigkeit besitzt.
3. Griechische Sprache und Literatur bei den Karolingern
3.1 Voraussetzungen
Erst in der karolingischen Hofkultur erfuhr die griechische Sprache - allerdings zunächst fast vollständig im Schatten der lateinischen renovatio - wieder eine Förderung, die überwiegend von den Herrschern selbst ausging. An einigen Hof- und Klosterschulen und eher ausnahmsweise auch an Bischofssitzen wurden im Zeitraum etwa eines Jahrhunderts71 Studien im Griechischen betrieben, die in großem Maße von äußeren Impulsen abhängig waren: Die Verfügbarkeit von im Griechischen Gelehrter (oftmals Iren) oder gar Griechen, das Vorhandensein von ‘Lehrmaterial’, also z.B. zweisprachiger Evangeliare, Alphabettafeln, bis hin zu Grammatiken und insbesondere der konkrete Anlaßfür die Notwendigkeit dieser Studien. Herrscherliches Interesse war es zumeist, das Studien veranlaßte, die entsprechenden Gelehrten verpflichtete und für den Erwerb von Schriften sorgte. Allein diese Voraussetzungen machen deutlich, daßdie Griechischstudien nicht kontinuierlich sein konnten, sondern nur zu bestimmten Zeiten an wechselnden Orten betrieben wurden. Dennoch - man mußte nicht immer wieder von vorne beginnen und konnte zu einem gewissen Grad auf Früherem aufbauen, weil vieles untereinander ausgetauscht wurde. So nahmen die Kenntnisse schrittweise über mehrere Generationen zu, bis ein Höhepunkt während der Herrschaft Karls des Kahlen erreicht wurde72.
Man mußbetonen, daßder sprachliche Lerneifer im Frankenreich unter Karl dem Großen zunächst einmal dem Lateinischen galt. Karl mußte selbst erst Latein lernen, es war also noch für seinen Vater keine Selbstverständlichkeit gewesen, den künftigen Herrscher in dieser Sprache unterweisen zu lassen73. Tiefere Bildung im Griechischen liegt in dieser Situation noch vollkommen fern, war auf wenige Gelehrte beschränkt, die aber - zumindest scheint das die Lage am Ende des achten Jahrhunderts gewesen zu sein - selbst noch nicht fähig waren, qualifizierten Unterricht zu erteilen74. Dies sollte sich zu Beginn des neunten Jahrhunderts allmählich ändern. Der Sinn der Griechischkenntnisse war zunächst hauptsächlich auf Kontakt und Korrespondenz mit dem byzantinischen Reich beschränkt. Später aber, als in zunehmendem Maße griechische Literatur in den Westen vermittelt wurde (unter Ludwig dem Frommen und Karl dem Kahlen), ist die Kenntnis des Griechischen unerläßliches Mittel geworden, von Byzanz kulturell zu profitieren, gerade im Bereich der Theologie und Philosophie.
3.2 Von Pippin zu Karl dem Großen - Grundlagen
Vielleicht reichen die Wurzeln dieser Entwicklung bis in die Zeit König Pippins zurück, der Papst Paul I. um griechische Bücher gebeten hat. Das Schreiben mit der Anfrage ist zwar verloren, die Antwort des Papstes aber ist erhalten:
“Direximus itaque exellentissimae praecellentiae vestrae
et libros, quantos reperire potuimus: id est antiphonale
et responsale, insimul artem gramaticam, Aristolis, Dionisii Ariopagitis [!],
geometricam, orthografiam, grammaticam, omnes Greco
eloquio scriptas, nec non et horologium nocturnum.”75
Die Anfrage Pippins mußin der Zeit zwischen 758 und 763 erfolgt sein76. Über die Bestimmung der Bücher läßt sich nur spekulieren. Neben der Möglichkeit, daßsie als Desiderata einer Bibliothek (etwa derjenigen von St. Denis) angefordert wurden, ist es durchaus auch wahrscheinlich, die Erziehung der jungen Gisela, der Tochter Pippins, als Grund zu vermuten. Gisela sollte mit dem byzantinischen Kaiser Leon IV. verheiratet werden77. Selbst wenn dies nicht der Grund der Büchersendung gewesen sein sollte, so ist doch die fränkisch-byzantinische Annäherung in der Zeit Pippins anscheinend sogleich ein Grund, sich mit griechischer Literatur und Sprache zu beschäftigen. Die Auswahl der Bücher ist indessen zu allgemein, als daßsie eine konkrete Aussage über ihre Bestimmung zuließe78. Erstaunlich ist dagegen, daßman sich damals schon für Werke des Dionysios Areopagita interessierte und solche auch erhalten hat.
Recht zweifelhaft ist, ob Karl der Große, wie Einhart überliefert, Griechisch zumindest verstehen konnte79, denn es handelt sich bei seiner Biographie um eine enge Anlehnung an Sueton. Diese Aussage ist also mit einiger Wahrscheinlichkeit nur als übernommener Topos, der zu einer römischen Kaiserbiographie gehört, zu verstehen.
Die Zeit der Hofkultur Karls des Großen gliedert sich in drei Phasen griechischen Einflusses80, deren erste bestimmt ist durch italienische Grammatiker (ca. 780-795):
Die Bemühungen um das Griechische dürften in dieser Zeit hauptsächlich der Verständigung mit den byzantinischen Gesandten gedient haben und werden über bruchstückhafte Kenntnisse nicht hinausgelangt sein81. Anstöße gab wohl die fränkisch-byzantinische Annäherung durch den Heiratsplan, der vorsah, Karls Tochter Rotrud mit Konstantin VI. zu verheiraten. Die Verlobung fand 781 statt82. Zwei Jahre später wandte sich der am Hofe Karls lehrende Grammatiker Petrus Diaconus von Pisa im Namen des König an den Langobarden Paulus Diaconus mit der Bitte, die Kleriker, die Rotrud begleiten sollten, im Griechischen zu unterrichten83. Ob dieser Unterricht jemals stattgefunden hat, weißman nicht, ebensowenig, ob Paulus Diaconus überhaupt dazu fähig war. Er kehrte 787 nach Italien zurück und schätzte seine Griechisch-Kenntnisse selbst als sehr gering ein:
“Graiam nescio loquellam, ignoro Hebraicam.
Tres aut quattuor in scolis quas didici syllabas,
ex his mihi est ferendus maniplus ad arem.”84
Wenn auch diese Selbstbeurteilung allzu geringschätzig (d.h. bescheiden) ausgefallen sein sollte, an der bezeichnenden Tatsache ändert dies nichts, daßeiner der im Griechischen fähigsten Männer, der im Karolingerreich zur Verfügung stand, doch wohl nicht mehr als ein ‘Dilettant’ war. Nun berichtet aber Theophanes, daßein Eunuch mit Namen Elissaios an den Hof Karls des Großen geschickt worden sei, um den Unterricht zu erteilen85. Es bleibt ein Rätsel, warum man dennoch die Hilfe des Paulus Diaconus benötigte. Vielleicht machten Verständigungsschwierigkeiten eine effektive Lehrtätigkeit unmöglich.
Die zweite Phase unter der Herrschaft Karls war die angelsächsisch bestimmte, als Alkuin Abt von St. Martin in Tours war (795-804). Von den wenigen Zeugnissen griechischer Sprache im Westen zu dieser Zeit ist immerhin eine Alphabettafel erhalten geblieben86. Alkuin selbst beherrschte wohl das Griechische auf der Ebene von Buchstaben- und Alphabetstudien, wie auch sein Schüler Hrabanus Maurus in ‘De laudibus sanctae crucis’ griechische Buchstaben und Wörter zu Bildern anordnete87.
Solche Studien waren die Grundlage weiterreichender Anwendung von Kenntnissen und ließen, wie Walter Berschin annimmt, in der dritten Phase (804-14) bereits Übersetzungen von Liturgica zu88. In dieser Zeit wurde auch der Gesandtschaftsverkehr zwischen beiden Reichen stark intensiviert.
3.3 Die Regentschaft Ludwigs des Frommen - Einflüsse der griechischen Geisteswelt
In der Zeit Ludwigs des Frommen wurden die Griechisch-Studien intensiviert, was wesentlich auf die griechischen Gesandtschaften und ihre Gastgeschenke zurückzuführen ist. Für die Kenntnis griechischen Denkens im Westen und die mittelalterliche Philosophie des Abendlandes überhaupt ist das Geschenk Kaiser Michaels II. von überragender Bedeutung, das byzantinische Gesandte im Jahre 827 Ludwig dem Frommen überreichten89: Die vier theologischen Abhandlungen und zehn Briefe des Dionysios (Pseudo-) Areopagita90. Damit begann die Rezeption des “apophatischen Elements des östlichen Denkens, das Bewußtsein der Unerkennbarkeit Gottes” (Berschin)91 im Westen. Man glaubte damals schon, der Philosoph sei identisch mit dem in der königlichen Abtei von St. Denis bestatteten hochverehrten Märtyrer und dem Schüler des Paulus92. Der Alkuin-Schüler Hilduin wurde von Ludwig beauftragt, eine Passio des Dionysios zu verfassen, und er übersetzte - wohl mit Hilfe von Griechen - den ganzen Codex93. Dabei ergaben sich einige Probleme, völlige Sicherheit in der Übersetzung war längst noch nicht gegeben. Vor allem mangelte es an der adäquaten Übertragung mancher Begriffe, so daßder Aussagegehalt der Schrift in der lateinischen Fassung Hilduins zumindest graduell verfälscht worden ist94. Die Arbeit Hilduins sollte jedoch die Grundlage späterer Dionysios-Übersetzungen werden und ist deshalb als eine bahnbrechende Pionierleistung zu werten. In der Zeit Karls des Kahlen sollte es schließlich gelingen, eine Übersetzung zu erstellen, deren Begrifflichkeit dem griechischen Text genau angemessen ist. Zu würdigen bleibt, daßunter Ludwig dem Frommen die Fähigkeiten im Griechischen soweit gereift waren, daßman sich an die Übersetzung größerer und schwieriger Texte wagen konnte. Damit war es erstmalig seit Jahrhunderten wieder möglich, griechische Philosophie im Westen direkt zu rezipieren, nun in Gestalt frühbyzantinischer Mysterientheologie. Dies war ein entscheidender Schritt, der künftigen östlichen Einflüssen des Geisteslebens an den karolingischen Höfen den Weg ebnete.
3.4 Der Hof Karls des Kahlen - Blütezeit des Griechischen im Westen
Unter Karl dem Kahlen erreichten die Griechisch-Studien ihren Höhepunkt. Er war der bedeutendste Förderer griechisch-lateinischer Übersetzungen im Mittelalter überhaupt95. In seinem Hofzeremoniell und seinen Zeremonialgewändern werden zudem Einflüsse der byzantinischen Hofkultur am deutlichsten erkennbar96.
Karl der Kahle führte damit zur Vollendung, was sein Großvater und Vater eingeleitet hatten. Für kurze Zeit konnten die griechische Sprache und griechisches Gedankengut im westfränkischen Reich zu einer wirklich bedeutenden kulturellen Größe werden. Natürlich nicht im Sinne allgemeinen Bildungsguts, denn diese Kultur war eine künstliche und auf das engste an den Hof und wenige Klosterschulen gebunden. Ihr rapider Niedergang bis zum völligen Erlöschen setzte dann auch bald nach dem Tod Karls ein. Die Blütezeit am Hofe Karls war wiederum nur dadurch möglich, daßdie entsprechenden Kräfte an die Hofschule geholt werden konnten, die den herrscherlichen Ambitionen Entsprechendes zu leisten fähig waren. Karl hatte dazu einen Mann gefunden, der durch Begabung und Ehrgeiz den Zugang zur griechischen Sprache und zum griechischen Denken entscheidend vorantrieb: Johannes Scottus, ein Ire ohne kirchlichen Rang. Er wirkte seit ca. 845 am Hofe Karls97. Seine vertieften Griechisch-Kenntnisse dürfte er sich erst auf Drängen Karls erworben haben, vielleicht mit dem Ziel, eine verbesserte Dionysios-Übersetzung zu erstellen98. Diese wurde von Scottus auch ausgeführt und Karl gewidmet99. Dabei spielten wohl auch eigene Interessen des Übersetzers mit, denn er verfaßte einen Kommentar zur ‘Hierarchia caelestis’ des Dionysios100. Seine Übersetzungstätigkeit führte zu einer im Abendland zu dieser Zeit einzigartigen Kenntnis frühbyzantinischer Theologie. Dieses Wissen befähigte Johannes Scottus schließlich, eine eigene philosophische Abhandlung mit dem Titel ‘De divisione naturae’ (Peri Physeon)101 zu verfassen, in der die Schöpfungsordnung als Weg des seelisch-geistigen Aufstiegs gesehen wird, mithin ein apophatischer Grundgedanke. Des weiteren war Scottus Autor eines Kommentars zum Johannes-Evangelium und einer Homilie zum Johannes-Prolog102.
Seine Vorgehensweise beim Übersetzen folgte mittelalterlicher Konvention, nämlich Wort für Wort, wodurch zwar eine gewisse Unbeholfenheit des Übersetzers zum Ausdruck kommt, das Resultat aber einer ‘photographisch genauen Anpassung des Lateinischen an das Griechische’103 (Berschin) gleichkommt. Diese Übersetzung beseitigte die Verfälschungen im Sinngehalt der Hilduin-Fassung, indem nun adäquate lateinische Worte gefunden werden konnten, die dem Griechischen in der Aussage genau entsprechen, so daßauch die Feinheiten der Bedeutungen erhalten blieben, die zum Verständnis der negativen Theologie notwendig waren.
Die Blütezeit der Griechischstudien am Hofe Karls des Kahlen konnte zwar auf früheres Bildungsgut aufbauen, hatte aber eine erneute Befruchtung von außen nötig, durch Gelehrte, die für den Hof gewonnen werden konnten. Dies waren in erster Linie Iren, deren prominentester der eben erwähnte Johannes Scottus war. Daneben wirkten noch einige andere Iren an verschiedenen westfränkischen Klosterschulen, etwa in Laon und Auxerre. Viele dieser Exulanten waren seit etwa 840 vor den ausgreifenden normannischen Eroberungs- und Raubzügen auf den Kontinent geflohen104. Der Ausschließlichkeitsanspruch Ludwig Traubes für die Bedeutung der Iren als Vermittler des Griechischen ist allerdings heute nicht mehr haltbar, wie Berschin nachzuweisen versucht105. Traube schrieb: “Wer in den Tagen Karl’s des Kahlen Griechisch auf dem Kontinent kann, ist ein Ire, oder zuversichtlich: es ist ihm die Kenntnis durch einen Iren vermittelt worden, oder das Gerücht, das ihn mit diesem Ruhm umgibt, ist Schwindel.”106 Vereinzelt aber sind Griechen im Karolingerreich an Hofschulen und in Klöstern nachzuweisen. Alkuin und Einhart berichten bereits davon107, und es ist wahrscheinlich, daßGriechen, wie bereits erwähnt, im Kloster St. Denis an der Dionysios-Übersetzung Hilduins zumindest beratend mitgewirkt haben. Die zugewanderten Iren brachten als Voraussetzung eine gewisse Vertrautheit mit den Grundlagen der griechischen Sprache mit. Daraus ließsich die Fähigkeit entwickeln, Übersetzungen in der oben geschilderten Art zu leisten. Die Unterstützung durch Griechen mußzumindest für die Übersetzung Hilduins angenommen werden, “...weil es schwer vorstellbar scheint, wie mit den vorhandenen Hilfsmitteln - Glossarien, Bilinguen, spätantiken Grammatikerhandschriften - eine Übersetzung, und sei sie auch noch so sklavisch wörtlich..., zu leisten war. ”108 Unbeantwortet bleibt aber die Frage, warum nicht gleich die Griechen die Übersetzung anfertigten.
Zur Zeit Karls des Kahlen standen jedenfalls genügend Gelehrte, die nicht Griechen waren, zur Verfügung, auch schwierige Übersetzungen auszuführen. Die Iren hatten an einigen Klosterschulen ihre Griechischstudien bereits etabliert und wurden zudem gelegentlich von Griechen unterstützt. Hinzu kommt, daßin Rom im mittleren und späten neunten Jahrhundert die griechische Sprache und Literatur einen erneuten Aufschwung erlebte, wie wir im folgenden Kapitel ausführen werden. Für die späten Karolinger waren also die Möglichkeiten, griechische Sprachkultur zu übernehmen, überaus günstig. Es kam nur auf den Willen an, diese zu fördern. Das persönliche Interesse an östlicher Theologie, Philosophie, Heiligenviten und kirchengeschichtlichen Abhandlungen wird Karl den Kahlen zu seiner Förderung des Griechischen bewogen haben. Er war höchst empfänglich für alle kulturellen Einflüsse aus Byzanz, was ihn bis zur Nachahmung des Auftretens, des Zeremoniells, der kaiserlichen Gewänder und Ornats eines Basileus führte. Auf dem Konzil, das 876 zu Ponthion abgehalten wurde, erschien er “graecisco more paratus et coronatus”109. Sein Auftreten mußder Erhabenheit eines byzantinischen Kaisers kaum nachgestanden haben; diesen Eindruck vermitteln zumindest die Thronbilder der Buchkunst, die auch in vielen Details Einflüsse byzantinischer Zeremonialgewohnheiten offenbaren110. Es war dies der letzte aber intensivste Glanz von byzantinischer Hofkultur bei den Karolingern. Sie sollte erst ein Jahrhundert später, durch Ottos II. Gattin Theophanu, wieder an einem westlichen Herrscherhof Einzug halten.
3.5 Italien und Anastasios Bibliotecarius
Im achten und neunten Jahrhundert haben sich die griechisch-lateinischen Beziehungen in Italien, trotz des schwindenden politischen Einflusses von Byzanz, eher noch verstärkt. Neben den Rand- und Mischzonen westlicher und östlicher Herrschaft, wie Venetien und Benevent, blieb auch in dieser Zeit Rom das Hauptzentrum griechischer Kultur in Italien. Obwohl die Reihe der ‘griechischen Päpste’ bereits 752 zuende gegangen war, sicherten neun ganz oder teilweise griechische Klöster111 weiterhin den griechischen Einflußund werden auch als Zufluchtsorte von Ikonodulen gedient haben. So war beispielsweise während des Bildersturms des Kaisers Leon V. (813-20) der spätere Patriarch von Konstantinopel, Methodios, im römischen Exil. Er entfaltete hier eine rege Schreib- und Sammeltätigkeit, worunter sich auch eine Passio S. Dionysii befand112.
Der bedeutendste griechisch-lateinisch Gelehrte des neunten Jahrhunderts in Rom war Anastasios von S. Maria in Trastevere, genannt ‘Bibliotecarius’. Er wirkte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts und starb wahrscheinlich im Jahr 879 (oder später). Sein Beiname bezeichnet seine Tätigkeit als Bibliothekar am Hofe Papst Johannes VIII. Darüber hinaus war er Berater mehrerer Päpste, gerade in Fragen, die Byzanz und Südosteuropa betrafen. Seine Übersetzungstätigkeit basierte nicht nur auf großen sprachlichen Fähigkeiten, sondern ebenso auf der Kenntnis griechischer wie lateinischer Literatur. Man kann ihn als Mittler zwischen beiden Kulturkreisen auf sprachlich-literarischem Gebiet ansehen. Insbesondere machte er sich um die Kenntnis byzantinischer Hagiograhien im Westen verdient. Seine ersten Arbeiten waren die Übertragung der Vita S. Johannis Eleemosynarii des Bischofs Leontios von Neapolis auf Zypern, im Auftrag Papst Nikolaus I. (858-867), und der Vita S. Basilii, die wahrscheinlich von Amphilochios von Ikonion stammt und dem Arzt des Papstes gewidmet wurde. Wie Berschin schreibt, erwies er sich schon in diesen frühen Arbeiten “...als ein Schriftsteller von historischem und literarischem Verantwortungsgefühl. ”113 Dies zeigt sich in der sorgfältigen Auswahl des Übersetzungstextes, der Erkundung eventueller Vorarbeiten (frühere Übersetzungen etc.) und der Mitübersetzung des Prologs des griechischen Autors in seiner eigenen Vorrede114. Im Auftrag Kaiser Ludwigs II. und Papst Hadrians II. hielt er sich in den Jahren 869-70 in Konstantinopel auf, wo er am achten ökumenischen Konzil teilnahm. Er brachte die Konzilsakten mit nach Rom und übersetzte sie. Ebenso erarbeitete er eine Neuübersetzung der Akten des siebten Konzils des Jahres 787115. Als Karl der Kahle im Jahre 875 zur Kaiserkrönung nach Rom zog, huldigte ihm auch Anastasios und widmete ihm im folgenden Jahr die Übersetzung der Passio et Miracula S. Demetrii und der Passio des Dionysios Areopagita.
Karl hatte selbst den Text der Passio des Areopagiten suchen lassen. Sie wurde in einem griechischen Kloster gefunden und stammte vom oben erwähnten Methodius von Syrakus. Diese Passio war gewissermaßen ein Nachtrag zur Dionysios-Übersetzung des Johannes Scottus, die sich, von Papst Nikolaus I. erbeten, in einer Abschrift in Rom befand und von Anastasios durchgesehen, ergänzt und im Jahr 875 an Karl zurückgegeben wurde116.
Ein besonderes Interesse Anastasios’ galt der frühbyzantinischen Mysterientheologie. Während seines Konstantinopel-Aufenthalts hatte er Gelegenheit, seine Kenntnisse darin zu vertiefen, indem er Schriften kennenlernte und nach Rom mitbrachte und übersetzte. Zwei davon sandte er an Karl den Kahlen: Die Historia Ecclesiastica, die wohl der Patriarch Germanos von Konstantinopel verfaßt hatte, und eine Zusammenfassung der Mystagogia des Maximos Homologetes117. An diesem (allerdings außergewöhnlichen) Beispiel wird deutlich, wie wichtig Rom für die Vermittlung griechischer Sprache, Literatur, Theologie und Philosophie auch noch in der späten Karolingerzeit gewesen ist. Man kann es gewissermaßen als das Tor zum griechischen Osten, als Dreh- und Angelpunkt der Beziehungen bezeichnen. Wiederum aber ging das nicht ohne die entsprechenden Gelehrten. Anastasios Bibliotecarius war ein ganz außergewöhnlich Gebildeter, der in beiden Kulturkreisen beheimatet gewesen ist. DaßKarl der Kahle die Dionysios-Übersetzung des Johannes Scottus dem Anastasios zur Korrektur und Überarbeitung vorlegte, zeigt, daßdieser wohl als die höchste Autorität seiner Zeit, was die Kenntnis des Griechischen im Westen anbelangt, angesehen worden ist. Seinen Umgang mit den Texten kann man beinahe als frühe Form einer ‘wissenschaftlichen Edition’ bezeichnen.
4. Die karolingische Kunst und Byzanz Vorbemerkung
Wir wollen uns in diesem Kapitel im wesentlichen darauf konzentrieren, die Bedeutung der byzantinischen Kunst für die der Karolingerzeit in groben Zügen darzustellen, ohne die üblichen kunsthistorischen Beweisführungen durch stilkritische Methoden zu bemühen. Hierzu sei nur auf die Grundlagenliteratur118 verwiesen, die dies bereits ausführlich geleistet hat. Hauptanliegen ist es, zu ergründen, wie und warum die Einflüsse abgelaufen sind und welche Wirkung sie hatten.
4.1 Zur Vorbildhaftigkeit byzantinischer Kunst im Westen
Die byzantinische Kunst scheint während des gesamten Mittelalters im Westen als vorbildhaft angesehen worden zu sein. Dies ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen dafür, daßimmer wieder neue Einflußwellen das Abendland erreichten und stilprägende Wirkung entfalten konnten. Die Kunst des griechischen Ostens hatte gleichsam eine Art ‘Lehrfunktion’ für die des Westens (‘graeca magistra europae’), zu manchen Zeiten in einer so tiefgreifenden Weise, daßwegweisende Impulse der stilistischen wie auch ikonographischen Entwicklungen von Byzanz ausgingen. Bezeichnenderweise sind es gerade die Epochen der mittelalterlichen Kunst des Westens, deren ‘Antikennähe’ am größten ist, die dem befruchtenden Einflußaus Byzanz am meisten zu verdanken haben. In der Kunstgeschichte werden diese Epochen häufig mit dem Begriff ‘Renaissance’119 bezeichnet (wie z.B. die ‘karolingische’, ‘ottonische’ und ‘staufische Renaissance’), aber dadurch macht man über das Wesen der Kunst dieser Epochen keine wirklich zutreffende Aussage. Da man unter ‘Renaissance’ eigentlich die direkte Rezeption von Kunst, Kultur und Geisteswelt der klassischen römischen Kaiserzeit versteht, wie es in der italienischen Kultur der frühen Neuzeit als umfassende Bewegung eingeleitet worden ist, zeichnet das Schlagwort ein verfälschendes Bild vom Wesen dieser Stilepochen, denn es sagt nichts über die komplexen Wege der Antikenvermittlung im Mittelalter aus.
Direkte Antikenrezeption war in Westeuropa im Mittelalter meist die Ausnahme; dagegen waren Einflüsse aus der durch die antike Tradition geprägten Kunst des griechischen Ostens in vielen Epochen, durch unterschiedliche Umstände begünstigt, recht häufig. Somit ist die Antikennähe in der Kunst dieser Epochen selten auf das direkte Vorbild der antiken Kunst selbst zurückzuführen, sondern zumeist auf eine gewandelte, bereits interpretierte Antike, die einen wesentlichen Anteil in der Kunst der Byzantiner ausmacht. Die byzantinische Kunst selbst ist aber keineswegs durchgehend und einheitlich antikennah. Je nach Zeit und Region sind deutliche Änderungen im Verhältnis zur antiken Tradition zu konstatieren, aber die Option zum Rückgriff auf dieses Erbe scheint immer bestanden zu haben, so daßselbst in spätbyzantinischer Zeit eine ‘Renaissance’ (d.h. hier wiederum in erster Linie Rückgriff auf die eigene Antikentradition) eingeleitet werden konnte (beispielsweise die Kunst unter den Palaiologen, insbesondere im 14. Jahrhundert).
Die byzantinische Kunst wurde im Westen als christliche Kunst in antiker Tradition verstanden, die gleichzeitig imperialen Anspruch auszudrücken verstand, da sie die spätantike Kaiserikonographie auch und vor allem in der christlichen Kunst bewahrte. Gleichzeitig verfügte die byzantinische Kunst über das Erbe der illusionistischen Darstellungsmöglichkeiten der hellenistischen Antike, was im Westen weitgehend verloren gegangen war. Das Verfügen über das Formengut ging einher mit der absolut sicheren Beherrschung desselben und dem Vermögen, es auch weiterzuentwickeln. Insbesondere die Fähigkeit, durch Abstraktion allgemeingültige Formeln zu finden, machte die Vorbildhaftigkeit aus. Otto Demus spricht vom ‘Gefäßcharakter der Bildschemen’, womit er die Umdeutbarkeit ganzer Kompositionen durch Substitution einzelner Elemente meint120. Auch einzelne Figuren, Gesten usw. waren in dieser Weise übertragbar. Byzanz vermittelte dadurch eine “leicht zugängliche, vorverarbeitete Antike” (Demus)121. Die absolute Sicherheit und technische Superiorität der byzantinischen Kunst und des Kunsthandwerks gaben dieser eine Aura des ‘schlechthin Vollendeten’122, das gleichermaßen das Normale, Selbstverständliche und Einzigmögliche ist. Eben das macht die Vorbildhaftigkeit aus: “Nur eine Kunst, die ihrer selbst, ihrer Ziele und ihrer Mittel ganz sicher ist, wird imstande sein, wegweisende Einflüsse auszustrahlen. Man hat die byzantinische Kunst häufig als eine Kunst der Mystik gesehen: sie war nichts weniger als das. Sie war eine durchaus rationale, ja intellektuelle Kunst..., die ihre Mittel der analytischen Bewältigung des antiken Erbes mit bewußter Meisterschaft anwendete”123 (Demus).
Diese allgemeine Charakterisierung der Vorbildhaftigkeit der byzantinischen Kunst gilt für das gesamte Mittelalter und im besonderen für die karolingische Kunst, die aus dem merowingischen Erbe zumindest in stilistisch-formaler Hinsicht kaum Anknüpfungspunkte einer noch vorhandenen antiken oder spätantiken Tradition erhalten hatte124. In der frühen Karolingerzeit wären gerade die vorbildhaften Eigenschaften der byzantinischen Kunst, insbesondere die Mittlerfunktion zur Antike, für den Aufbau einer an der Antike orientierten Hofkultur äußerst nützlich und erwünscht gewesen, aber gerade zu dieser Zeit behinderte der Bilderstreit die sakrale Kunstproduktion in Byzanz. Für die Regierungszeit der Kaiserin Irene läßt sich nur schwer ein Bild von der Kunstproduktion machen. Ob nach dem zweiten Nicaenum von 787 wieder religiöse Kunst in größerem Umfang hergestellt wurde, ja diese sogar die Voraussetzung der sogenannten ‘Makedonischen Renaissance’ darstellt, wie vermutet wurde, ist nicht wirklich nachweisbar125. Eine Möglichkeit, Rückschlüsse auf den Stil am Ende des achten, bzw. Anfang des neunten Jahrhunderts in Byzanz zu ziehen, ergibt sich aber kurioserweise aus einem Werk der Hofschule Karls des Großen, dem Wiener Reichsevangeliar (dazu im folgenden Kapitel).
Man darf natürlich nicht glauben, daßes während der Herrschaft der Ikonoklastenkaiser keine bildende Kunst gegeben hätte, im Gegenteil. Es ist von einer Blütezeit der Profankunst auszugehen, und Kirchen wurden zumindest ornamental ausgestattet126. Ist es schon für die Sakralkunst der Karolinger nicht einfach, den östlichen Einflußnachzuweisen, so gibt es dafür im Bereich der Profankunst unseres Wissens keine Möglichkeit. Aber auch abbildende Sakralkunst kann es in der Zeit des Bilderstreits, wenn auch stark eingeschränkt, weiterhin gegeben haben. Zumindest in den byzantinischen Provinzen werden die Verordnungen nicht immer strikt überwacht oder ausgeführt worden sein, wie dies im Thema (Provinz) Sizilien der Fall war127.
Wie dem auch sei: In der Karolingerzeit spielte jedenfalls die westliche Antike und Spätantike auch in der Kunst als Vorbild die Hauptrolle, während der byzantinische Kulturkreis insgesamt eher wenige, manchmal aber doch recht deutliche Impulse vermittelte. Ein ähnliches Bild haben wir uns bereits für die Bedeutung der griechischen Sprache und Literatur machen können. Wie in diesem Bereich, so mußauch hier zwischen älteren griechischen Traditionen im Westen und zeitgenössischem Einflußunterschieden werden, so weit das möglich ist.
Kurt Weitzmann hat die Einflußphasen und -arten der byzantinischen Kunst auf die karolingische folgendermaßen zusammengefaßt:
“1.) The copying of preiconoclastic art as an expression of the renaissance or revival movement,
2) the copying of Byzantine art of the iconoclastic period, an aspect not yet satisfactorily explored and
3) the copying of Byzantine art of the post-iconoclastic period in late Carolingian art, an aspect whose exploration promises more concrete results. ”128
Wir wollen mit den beiden letztgenannten Punkten beginnen, da sie unmittelbarster Gegenstand unserer Arbeit sind.
4.2 Die Bedeutung zeitgenössischer byzantinischer Kunst
Das Wiener Reichsevangeliar ist einiger Wahrscheinlichkeit nach ein Derivat konstantinopolitanischer Kunst, die nach dem Konzil von Nicaea 787 wieder einsetzte. Der stark spätantik geprägte Stil der Miniaturen scheint stilistisch eng mit dieser kurzen Periode der Kunst während des Bilderstreits zusammenzuhängen. Man kann daraus schließen, daßin der Kunst der Hauptstadt ein Stil existiert haben muß, der sich engstens an frühchristliche Vorbilder anlehnte. Die Künstler des Reichsevangeliars kamen möglicherweise auch aus Konstantinopel, arbeiteten aber an der Aachener Hofschule, was sich anhand von Stil, Technik und Ikonographie mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen läßt129. Es ist dies das einzige Werk der karolingischen Buchkunst, für das nicht nur byzantinische Einflüsse, sondern sogar griechische Künstler angenommen werden können130. Der Stil des Reichsevangeliars zeitigte einige Wirkung auf andere Miniaturen der Hofschule Karls, aber in jedem Fall ist die Nachfolge von Künstlern ausgeführt, die nicht aus Byzanz kamen. In nächster Verwandtschaft steht das Aachener Schatzkammerevangeliar, während sich die Codices der Ada-Gruppe stilistisch schon recht weit davon entfernt haben131. Später aber, in der Buchmalerei der Schule von Reims, scheint dieser Stil zusammen mit neuen östlichen Einflüssen wieder aufgenommen worden zu sein. In der Buchkunst der Hofschule Karls des Großen sind formal und ikonographisch immer wieder einzelne Übereinstimmungen zur späteren ‘Makedonischen Renaissance’ nachweisbar, was Rückschlüsse auf gemeinsame Quellen zuläßt. Diese Erklärung könnte die Forschung in die Lage versetzen, einerseits die Entstehung der ‘Makedonischen Renaissance’ zumindest zu einem bestimmten Anteil durch Traditionen zu erklären, die auch den Bilderstreit überdauerten, andererseits Byzantinisches in manchen Werken der Aachener und den späteren karolingischen Schulen durch Einflüsse zeitgenössischer byzantinischer Kunst zu erklären, wie es Otto Demus in Bezug auf das Reichsevangaliar postuliert: “... we have to reconstruct the contemporary Byzantine counterpart of the Carolingian Evangelists by interpolation; but there can be no doubt that the new ‘gorgeous’ style of the Court School is derived from one of the styles of contemporary Constantinopolitan art ”132 (Demus). Nur sind die byzantinischen Werke der Bilderstreitzeit vollständig verloren, so daßVergleiche allein über die mittelbyzantinische Buchkunst möglich sind. Das setzt voraus, daßdie Buchkunst der Makedonenzeit auf Traditionen aufbaute, die bereits während des Bilderstreits eingeleitet worden sind133.
Der Fall des Reichsevangeliars ist in der gesamten karolingischen Kunst eine Ausnahme. Kein zweites Mal konnten griechische Künstler nachgewiesen werden, und ein solcher, direkt aus den Wurzeln der Spätantike gespeister und tatsächlich in spätantikem Formgefühl angewandter Stil bleibt die Ausnahme. Karolingische Künstler hatten wahrscheinlich auch eine Reihe von spätantiken Vorlagen zur Verfügung, aber der Grad der Nachahmung des Illusionismus wurde niemals in der Weise wie beim Reichsevangeliar erreicht oder angestrebt. Über den spätantiken Illusionismus in der Tradition der hellenistischen Kunst als gebräuchliches Mittel der Darstellung konnten zu dieser Zeit nur Byzantiner verfügen, und daßsie es konnten, ist wiederum ein Hinweis darauf, daßdiese Tradition auch im Bilderstreit nicht versiegt ist. Im Gegenteil, sie erfuhr wahrscheinlich einen ganz besonderen Aufschwung im Bereich der Profankunst. In der Profankunst war schon in früheren Perioden der byzantinischen Kunst der engste Bezug zu antiken Vorbildern feststellbar, sowohl auf formal-stilistischer wie auch ikonographischer Ebene. Die Silberteller, die aus der Zeit des Kaisers Heraklius erhalten sind, können als hervorragende Beispiele für diesen Sachverhalt angesehen werden134.
Wie das Wirken griechischer Künstler, so dürfte auch das Verfügen über Vorlagen der zeitgenössischen byzantinischen Kunst an karolingischen ‘Schulen’ eher die Ausnahme gewesen sein. Nur die spätkarolingische Buchkunst in Reims und Metz hat umfangreicher von byzantinischen Vorlagen profitieren können. Die unter Basileios I. neu einsetzende kirchliche Kunst hat offenbar unmittelbar gen Westen ausgestrahlt135. Dies entspricht dem sich erheblich verstärkenden griechischen Einfluß, wie er bereits für Sprache und Philosophie dargestellt worden ist.
In der Regel aber mußten und konnten die karolingischen Künstler ihre Quellen in anderen Bereichen finden, als in der aktuellen byzantinischen Kunst136. Schon die Kunst der christlichen Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit, was aus Sicht der Franken natürlich nicht unterscheidbar war, zeichnet sich durch Abstraktion und Formelhaftigkeit einerseits und Bewahrung bestimmter räumlicher und illusionistischer Prinzipien andererseits aus137. Die italienische Kunst, insbesondere die des fünften und sechsten Jahrhunderts, bot hierzu die größten Ressourcen, wobei das Zentrum Ravenna überaus bedeutend war138.
Gerade in der Frühzeit der Hofschule Karls des Großen (Godescalc-Evangeliar) bildeten spätantike und westliche frühbyzantinische Werke gewissermaßen das ‘Ausgangsmaterial’ für den Neuanfang. Die Kunst der Karolingerzeit ist im Stilistisch-Formalen auch deswegen antikennäher als etwa die ottonische, weil ihre Quellen zu einem großen Teil in der Spätantike selbst liegen, also weniger auf Vorbilder zurückgegriffen wurde, die selbst schon mehrfache Wandlungen der antiken Tradition darstellen. Gerade bei den Elfenbeinarbeiten wird dies offensichtlich, wenn Figurenstil und Dekorationsformen spätantiker Vorbilder so brillant nachgeahmt werden, daßes zuweilen selbst dem geübten Auge schwerfällt, manche Elfenbeintäfelchen als spätantike Originale oder karolingische Kopien zu identifizieren139.
Was die Buchmalerei anbelangt, ist der Sachverhalt ganz anders. Trotz spätantiker Vorbilder sind die Wandlungen viel größer, weshalb die karolingische Buchkunst in der Regel kaum mit spätantiker verwechselt werden kann. Man mag das auf die unterschiedlichen Voraussetzungen beider Kunstgattungen zurückführen: Während das Handwerk des Elfenbeinschnitzens an der Hofschule in engster Anlehnung an die Vorbilder erst neu entwickelt werden mußte, da es im Westen keine ununterbrochene Tradition mehr gab, war die Buchmalerei der Hofschule wesentlich aus der noch bestehenden oberitalienischen Tradition hervorgegangen. Der dort gepflegte Stil aber hatte kaum noch Züge des spätantiken Illusionismus. Das macht die Ausnahmeposition des Wiener Reichsevangeliars aus, die es aus der gesamten übrigen karolingischen Buchproduktion heraushebt, und es ist gerade darum so wahrscheinlich, daßdie Künstler wirklich Griechen waren. Auch die Wertschätzung, die es genoß, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, welchen Wert die Karolinger der zeitgenössischen byzantinischen Kunst beimaßen. Der Wiener Codex ist ein Kaiserevangeliar, das zeigt schon das Purpurpergament. Seit der Zeit der Ottonen wurde es Reichsinsignie der Kaiser. Der Legende nach hat man es wiederentdeckt, als Otto III. im Jahre 1000 das Grab Karls des Großen öffnen ließ140. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Legende und der später um so höheren Verehrung, die diesem Werk entgegengebracht wurde, kann man ohne weiteres annehmen, daßes das persönliche Evangeliar Karls oder seiner Pfalzkapelle gewesen ist.
4.3 Der griechische Einflußim Westen seit dem siebten Jahrhundert als Voraussetzung der frühen Aachener Hofschule
Im sechsten und beginnenden siebten Jahrhundert gingen im Westen die Traditionen der spätantiken Kunst immer mehr verloren. Auch in Italien führte die Entwicklung zunehmend zu Abstraktion und Enträumlichung in den figürlichen Darstellungen. Beispiele dafür sind die Apsismosaiken von S. Agnese fuori le mura, die in die Zeit von 625-38 datiert werden, und von S. Stefano Rotondo, datierbar um 645, beide in Rom141. Die stilistische Entwicklung im frühen siebten Jahrhundert zeigt eine völlige Lösung von der ‘illusionistischen’ Auffassung, die bestimmt ist durch Räumlichkeit, Körperhaftigkeit, Licht und Schatten, hin zu einem verhärteten, unkörperlichen und unräumlichen Stil, der sich in graphisch-linearen Formen vor überirdisch leuchtendem Goldgrund ausdrückt. Vergessen scheint die große spätantike Mosaiktradition, die noch im frühen sechsten Jahrhundert ein Werk von solch realer Präsenz wie das Apsismosaik der Kirche SS. Cosma e Damiano hervorbringen konnte. Aber nur wenige Jahre nach den Mosaiken in S. Agnese und S. Stefano entstanden um die Mitte des siebten Jahrhunderts, ganz ohne Übergang und nachvollziehbare Stilentwicklung, Wandmalereien in einem vollkommen entgegengesetztem Stil. Plötzlich war der spätantike Illusionismus wieder in Reinform vorhanden142. Der Kontrast könnte nicht größer sein, und da dieser Stil aus keinem Wandel hervorgegangen ist, kann es sich nur um einen ‘Import’ handeln, also um Werke von Künstlern, die aus dem Osten zugewandert waren. Im gesamten Abendland einschließlich Italien gab es zu dieser Zeit nichts Vergleichbares (zumindest ist nichts erhalten). Die einzigen aus Rom überlieferten Zeugnisse für diesen neuen Stil sind die Fresken der Kirche S. Maria antiqua143 auf dem Forum romanum, die neben einer skizzenhaften und lockeren Malweise auch wieder von Räumlichkeit und plastischem Volumen geprägt sind. Die Beischriften sind griechisch. Da die Kirche zu einem der im siebten Jahrhundert neu entstandenen griechischen Klöster gehörte, ist die Herkunft des Stils eindeutig byzantinisch und eventuell aus Konstantinopel selbst eingeführt144. Zuweilen wurde auch Alexandria als Herkunftsort in Erwägung gezogen, aber Vergleiche mit zeitgleicher koptischer Kunst erweisen doch große Stildifferenzen145. Das früheste Fresko aus S. Maria antiqua ist das der Makkabäer (die hl. Solomone mit ihren Söhnen). Für die Vermittlung des Stils wird immer wieder auch auf die ‘griechischen’ Päpste hingewiesen, aber, wie bereits dargestellt, ist in Rom seit der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts griechische Kultur vor allem durch das Mönchtum heimisch geworden. Gerade in dieser Zeit kamen die Zuwanderer vielfach aus den östlichen Provinzen des byzantinischen Reiches (z.B. Syrien). In Byzanz gehörte der illusionistische und körperhafte Stil gewissermaßen zum Repertoire und ist in der vorikonoklastischen Kunst mehrfach zum Durchbruch gekommen. (Kitzinger nannte dieses Phänomen ‘perennial Hellenism’, also ein die Epochen übergreifendes Erbe aus der hellenistischen Antike146 ). Diese Verfügbarkeit der Formen führte zu einem ganzen Spektrum an gleichzeitig möglichen Stilen, die anscheinend den verschiedenen künstlerischen Aufgaben entsprechend angewendet wurden, was Hans Belting mit ‘Objektstil’ bezeichnet hat147. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts dominierte eine stark antik geprägte Formensprache in Byzanz, weshalb diese Phase nach Kaiser Heraklius zuweilen auch ‘Herakleische Renaissance’ genannt wird148.
Dieser Einflußlöste im vorkarolingischen Italien einen ganzen Traditionsstrang aus, der bis ins neunte Jahrhundert reichte und die karolingische Kunst anfänglich stark beeinflußte. An den Fresken in S. Maria antiqua läßt sich die Entwicklung der römischen Wandmalerei über einen langen Zeitraum verfolgen149, denn sie wurden immer wieder ergänzt, erweitert oder übermalt, so daßsich heute ein direktes Nebeneinander verschiedenster Stilphasen ergibt. Es ist dies ein einmaliges Zeugnis für die Geschichte der römischen Wandmalerei im Frühmittelalter bis hin zur Karolingerzeit. Obgleich ein allmählicher Stilwandel zu erkennen ist, der wieder zur Verhärtung der Formen, Schematisierung, Verflachung und hieratischer Strenge führte, blieben einige Charakteristiken erhalten und prägten die vorkarolingische Kunst Italiens. Für diesen Einflußwar Rom das Zentrum, aber daneben gab es noch mehrere andere Orte, an denen derartige Zeugnisse nachzuweisen sind. Im Langobardenreich - im Norden wie im Süden (Benevent) - wurde der Einflußinsbesondere in der Hofkunst sichtbar150. In der Kunst der Langobarden herrschte bekanntlich das Ornament vor, bzw. die ornamentalisierte Figur. Nur auf byzantinischen Einflußkönnen daher die berühmten Stuckfiguren von Cividale zurückgeführt werden, und gerade in Oberitalien sind in einigen weiteren Zentren (Verona, Mailand) die Auswirkungen der griechisch geprägten Traditionslinie deutlich zu erkennen. Von großer Wichtigkeit sind dabei auch die allerdings nicht sicher datierten Fresken von Castelseprio bei Mailand151. In Süditalien zählen dazu die Fresken von S. Vincenzo al Volturno, die zur beneventanischen Hofkunst zu zählen sind152. Ausstrahlungen sind bereits um 700 auch in der insularen Buchkunst faßbar153, während in der merowingischen Kunst in der Regel nicht der Boden bereitet war für die Übernahme dieses hochentwickelten Figurenstils.
Die Voraussetzungen dafür waren erst in der Karolingerzeit gegeben, und es gibt genügend Anhaltspunkte dafür, daßdie italienische Kunst des späten achten Jahrhunderts eine der wichtigsten Quellen der karolingischen Kunst gewesen ist154. In der karolingischen Buchkunst ist gerade für die Initialwerke wie das Godescalc-Evangeliar und die Buchmalerei der früheren Aachener Hofschule, vor allem der Dagulf-Psalter (kurz vor 795)155, von einer direkten Kontinuität der byzantinisch geprägten italienischen Kunsttradition auszugehen. Vermittelnd wirkte dabei in hohem Maße die langobardische Kunst Oberitaliens, soweit sie ihrerseits die byzantinischen Einflüsse rezipiert hatte. In Rom lassen die Fresken von S. Maria antiqua erkennen, wie der Stil wieder schrittweise zur Schematisierung geführt wurde. Auch die Kunst Oberitaliens im späten achten Jahrhundert war in der Regel schon wieder weit vom spätantik-illusionistischen Stil entfernt. Der Figurenstil war zu einem gewissen Grade wieder formelhaft geworden, aber noch weitaus antikennäher als es in der merowingischen Kunst jemals möglich gewesen war. Die karolingische Kunst knüpfte also nicht direkt an die byzantinische Kunst des siebten Jahrhunderts, bzw. ihre Ableger im Westen an, sondern an Wandlungsformen, die aus dieser Tradition hervorgegangen waren und gerade durch ihre Vereinfachung und Formelhaftigkeit beste Voraussetzungen für Übernahmen boten.
Einen interessanten Vergleich dazu bietet die große Erneuerungsbewegung in Rom, die mit Papst Paschalis I. (Pontifikat 817-24) eingeleitet wurde (die sog. ‘Paschalische Renaissance’). Hier griff man bewußt den unräumlichen, flächig-linearen Stil auf, während die ikonographischen Vorbilder für die großangelegten Mosaikprogramme (S. Prassede, S. Cecilia, S. Maria in Domnica u.a.) aus der frühchristlichen Zeit stammten (SS. Cosma e Damiano)156. Man begnügte sich, in den Darstellungsinhalten Tradition zu demonstrieren, während der Stil nicht durch Rückgriff, sondern Fortführung zustande kam. Genau darin unterscheiden sich derartige Rückgriffe von dem zielgerichteten Wirken der Aachener Hofschule gegen 800, durch die der Antikenbezug in Inhalt und Form gleichermaßen zum Programm wurde.
Für die Anfänge der Hofkunst Karls des Großen konnte in Oberitalien alles gefunden werden, was zu einer Erneuerung der Kunst, einer Ablösung vor allem des unbeholfenen merowingischen Figurenstils, dessen Auswirkungen dennoch zum Teil weit in die Zeit der Karolinger hineinreichten, notwendig war. Das Godescalc-Evangeliar ist das früheste Beispiel dafür; es ist stilistisch gänzlich in der oberitalienischen Kunst der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts beheimatet. Dort führte die Entwicklung gegen Ende des Jahrhunderts zu ähnlichen Ergebnissen wie sie die frühe Hofschule aufweist. Insbesondere der Egino-Codex aus Verona157 ist hier zu nennen. Kunstwerke und Künstler dieser Kunstlandschaft müssen als Grundlage der Hofschule Karls des Großen angenommen werden158. Einmal mehr zeigt sich auch in diesem Bereich, wie stark der kulturelle Neuanfang durch Oberitalien geprägt war, und daßKarl der Große fähige und geschulte Meister hauptsächlich hier finden und an der Hofschule versammeln konnte.
Daraus erklärt sich das von Anfang an hohe Niveau der Hofschule, was nur Künstler leisten konnten, die mit Technik und Stilkonventionen vertraut waren. Dies ist weniger als ‘Renaissance’ denn als bewußtes Aufgreifen lebendiger Traditionen zu werten. Dank der Forschungen u.a. von Hans Belting159 und Hermann Fillitz160 erscheint die karolingische Kunst heute nicht mehr als allein an der (Spät-)Antike orientiert, sondern, vor allem in der frühen Phase bis ca. 795, durch diese italienischen Traditionsstränge unmittelbar vorbereitet. Die Auswahl der Vorbilder aus dem Spektrum der Stile zeugt von einem qualitativen Urteilsvermögen, das nicht in der ‘germanischen’ Kunst, sondern allein in den letztendlich auf die Antike (und Byzanz) zurückgehenden Traditionen das einzig Nachahmenswerte sieht. Dies konnte in der italienischen Kunst des frühen Mittelalters genauso gefunden werden wie in der spätantiken und frühbyzantinischen Kunst selbst. Eine Anlehnung an die Kunst Ravennas unter Theoderich als politische Manifestation - eventuell sogar unter dem Vorzeichen des ‘Germanischen’ - zu sehen, verkennt, daßauch die Architektur und bildende Kunst des ostgotischen Ravenna nichts anderes als eine Adaption frühbyzantinischer Vorbilder war.
Wenn man die Rolle von Byzanz als Antikenvermittler beurteilen will, so ist immer zu erwägen, daßin der Spätantike noch bis ins fünfte, teilweise auch ins sechste Jahrhundert hinein, die östliche und westliche Mittelmeerwelt als weitgehend einheitlicher Kulturkreis bestand hatte. Erst im sechsten Jahrhundert teilten sich die beiden Kulturkreise (wie wir es im Bereich der Sprache bereits dargelegt haben). Nun erst kann von byzantinischen Einflüssen ausgegangen werden, und diese erreichten den Westen von der Mitte des siebten Jahrhunderts an und wirkten traditionsbildend bis hin zur Karolingerzeit und teilweise auch darüber hinaus.
4.4 Spätantike und frühbyzantinische Einflüsse auf die karolingische Kunst
Vom Ende des achten Jahrhunderts an rückte der inhaltlich-symbolische Wert antiker und spätantiker Werke am Hofe Karls des Großen zunehmend in den Vordergrund und war Auslöser für deren Nachahmung. Das ist die Zeit, in der so etwas wie eine ‘Renaissance’ eingeleitet wurde, weil der Rückgriff mit den Formenzitaten zugleich auch auf die geistigen Inhalte Bezug nahm. Die Verwendung von Spolien bekam vor dem Hintergrund des renovatio imperii romanorum- Gedankens einen ganz neuen Sinngehalt161. Aachen als neues Rom brauchte vor allem auch die sichtbaren Zeichen einer Kaiserresidenz, und Kunst- und Bauwerke wurden Ausdruck eines umfassenden Programms162. Die Aufstellung der Reiterstatue des Theoderich, aus Ravenna importiert wie die Säulen der Pfalzkapelle, die Form der Pfalzkapelle selbst, die auf den Typus einer byzantinischen Hofkirche verweist, die Aula regia, die das Trierer Vorbild des Palastes Konstantins zitiert, all das sind Zeugnisse dafür, wie Karl der Große die renovatio verstanden hat. Form und Inhalt sind hier untrennbar, alles hat eine konkrete Aussage, die so auch ablesbar ist. Dies ist ein neuer Zug in der Kunstpolitik, der erst gegen 800 Gestalt gewann. Konstantin, der gewissermaßen das Urbild des christlichen Kaisers überhaupt war, mußte als das große Vorbild erscheinen. Der Ort, der am unmittelbarsten mit der Erinnerung an Konstantin verknüpft war, war der Lateran. Im Lateransbaptisterium hatte er der Legende nach die Taufe empfangen, und sein Reiterstandbild war vor dem Lateranspalast aufgestellt worden (es war in Wirklichkeit das des Marc Aurel, was an der Sichtweise aber nichts ändert). Heinrich Fichtenau hat überzeugend dargestellt, daßdie Aachener Pfalz nach dem Vorbild des Lateran gestaltet werden sollte, wobei dieser weniger als Papstresidenz verstanden wurde, sondern als Palast Kaiser Konstantins163. Der Lateran war aus der Sicht Karls zur Zeit Konstantins das ideelle Zentrum der Hauptstadt des römischen Imperiums und damit des Westkaisertums gewesen. Die Anlage der Aachener Pfalz als ‘neues Rom’ sollte nach dem Vorbild dieser Residenz ausgerichtet werden, indem Bauten und Anlageschema zitathaft nachgeahmt wurden. Vielleicht ist sogar das Laterans-Baptisterium als ein Vorbild der Pfalzkapelle zu werten, Fichtenau zieht dies zumindest in Betracht164. Ravenna hingegen, aus dem Karl in umfangreicher Weise Kunstwerke und Spolien abtransportieren ließ, diente zwar als Quelle für spätantike Kunst, ist damit aber, nach Fichtenaus Worten, “...zum Steinbruch für Karls Bauten degradiert worden... ”165. Als Beispiel für den Vorbildcharakter des Hofes Theoderichs des Großen für Aachen wird oft das Reiterstandbild Theoderichs genannt, das Karl aus Ravenna nach Aachen holte. Obgleich Theoderich als Ostgotenkönig bestrebt war, das römische Westreich als ‘Germanenstaat’ zu erneuern, spielt er als Vorbild Karls des Großen wohl eher eine untergeordnete Rolle. Sein Reiterstandbild jedenfalls hatte die Aufgabe, wie Fichtenau überzeugend dargelegt hat, in Nachahmung des Laterans, “dem Imperator vor seinen Bauten ein Monument zu setzen”166, und zwar freistehend, wie vor dem Lateranspalast, während das Standbild des Theoderich sich ursprünglich über dem Torvorbau eines Palastgebäudes befunden hatte167.
In Ravenna war spätantike und frühbyzantinische Kunst für die Franken erreichbar, die der imperialen Repräsentationskunst Konstantinopels um nichts nachstand, man denke nur an die Kaisermosaiken von San Vitale, die diesen Bau, das sei nachdrücklich betont, als Kaiserkirche (vom Anspruch her) ausweisen, auch wenn er niemals diese Funktion wirklich gehabt hatte. Ebenso weist die Bauform des oktogonalen Zentralbaus darauf hin. Auch wenn San Vitale nicht die Kirche eines Herrschers gewesen ist, so war sie doch eines Herrschers würdig - ein Aspekt, den die Forschung meistens zu wenig berücksichtigt. Die anschauliche Wirkung dieser Kirche und ihre Symbolsprache, das mögen die Beweggründe für Karl und seinen Baumeister Odo gewesen sein, dieses Vorbild in einer eigenen Schöpfung nachzuempfinden, der Aachener Pfalzkapelle (siehe Kapitel 4.6).
Das Beispiel des Reiterstandbilds des Theoderich aber gibt uns einen aufschlußreichen Einblick in das Verhältnis der Karolinger zur Antike und Spätantike. Wichtig war für Karl den Großen und seine Hofschule nicht, was (oder wen) die Kunstwerke und Bauten einst wirklich darstellten (das interessiert nur die moderne Wissenschaft), sondern allein, welche Bedeutung man ihnen beimessen konnte, wie man sie interpretieren (und neu interpretieren) konnte. Wir meinen, der Darstellung Fichtenaus folgen zu können: In Ravenna waren Vorbilder vielerlei Art zu finden, vom der Elfenbeintafel bis zu den Kirchenbauten, man konnte einzelne Spolien und ganze Kunstwerke abtransportieren, aber das Ideal, dem die Aachener Pfalzanlage folgte, war der Lateran in Rom und in mancher Beziehung auch der Kaiserpalast in Konstantinopel. Nur hatte man von diesem wohl nicht mehr als vage Vorstellungen, und so mußte dem Lateran als Hauptzentrum der Konstantinsverehrung eine um so größere Bedeutung als Vorbild zukommen. In den Bauten und der Kunst Ravennas aber konnte, wenn man so will, der ‘Schlüssel’ zur byzantinischen Kaiserkunst gefunden werden. So gelangte man in Aachen zu einer Synthese: Die Pfalzanlage folgte dem Lateran als ideellem Vorbild, Ravenna aber vermittelte die Formensprache, bis hin zu transferierten Kunstwerken und Spolien, die letztendlich auf die byzantinische Hofkunst verweisen. Die ravennatischen Kunstwerke waren Zeugnisse verschiedener Epochen und Auftraggeber, zeugten aber immer von höchstem Anspruch, der vor allem auch in der künstlerischen Qualität zum Ausdruck kam168. Wenn die frühbyzantinischen Kunstwerke Ravennas häufig als Vorbilder herangezogen wurden, dann hängt das mit Inhalt und Form dieser Werke unmittelbar zusammen. Die leicht verständliche Imperialikonographie mußals ein wesentlicher Grund dafür angenommen werden.
Ein prominentes Beispiel für derartige Übernahmen in der bildenden Kunst ist der Buchdeckel des Lorscher Evangeliars169, für den die Form des fünfteiligen Kaiserdiptychons, wie z.B. das sogenannte ‘Barberinidiptychon’ im Louvre in Paris, das wahrscheinlich Kaiser Justinian darstellt, wieder aufgegriffen worden ist. Die stilistisch durchaus recht unterschiedlichen Vorder- und Rückendeckel des Evangeliars eröffnen interessante Einblicke in den Umgang mit den frühbyzantinischen Vorbildern, weil sie sowohl die Möglichkeit der Reproduktion als auch der freien Umsetzung an einem einzigen Werk zeigen. Hier kann dies nicht ausgeführt werden, weil Studien zum Stil immer eine eingehende Diskussion an einer Vielzahl von Vergleichsbeispielen erfordern, was aber in der Forschung bereits anschaulich dargestellt wurde (vergl. den Aufsatz: Zur Frage des byzantinischen Einflusses auf die karolingische Kunst von W. Grape, der sich vorwiegend mit frühbyzantinischen Vorbildern beschäftigt).
Man könnte die Liste der Vergleichsbeispiele noch erheblich verlängern, insbesondere auch die Problematik des Einflusses auf die Buchkunst der Reimser Schule170 und die Mosaiken in der Aachener Pfalzkapelle171 und Germigny-des-Prés172, die Beispiele für die Wiederaufnahme der frühbyzantinischen Mosaiktradition darstellen, aber wir müssen uns auf einen Überblick beschränken. Einzig zur Architektur sei im folgenden Kapitel auf die Komplexität der Problematik von Vorbildern und ihrer Umsetzung eingegangen.
4.5 Zur Frage des ‘Ikonoklasmus’ in der karolingischen Kunst
Die ablehnende Haltung der fränkischen Theologen in der Bilderfrage auf der Synode von 791 zu Aachen und den Libri Carolini werfen die Frage auf, inwieweit diese bilderfeindliche Grundhaltung Auswirkungen auf die bildenden Künste gehabt haben könnte173. Bei der Beurteilung dieser Frage gilt es zunächst, wie in Byzanz auch, zwischen Kultbildern und religiösen Darstellungen illustrierender Art zu unterscheiden. Während in Byzanz der Bilderstreit aber einschneidende Auswirkungen auf die gesamte religiöse Bilderproduktion hatte, ist dies im Karolingerreich nicht der Fall. Für Byzanz können wir davon ausgehen, daßes in weiten Teilen des Reichs nahezu keine religiöse abbildende Kunstproduktion mehr gegeben hat; dagegen ist uns aus allen Phasen der karolingischen Kunst eine Fülle religiöser Kunstwerke erhalten geblieben. Nur das früheste der Evangeliare aus der Zeit Karls des Großen ist vor der Aachener Synode entstanden, das Godescalc-Evangeliar. Alle anderen datieren in die Zeit um 800 oder danach. Gerlinde Wiederanders174 hat die Ausstattungsprogramme der illuminierten Handschriften der Hofschule Karls des Großen untersucht und kam zu folgendem Ergebnis: Christusbilder trifft man nur vereinzelt an (Godescalc-Evangeliar, Brüsseler Evangeliar), die bildliche Ausstattung konzentriert sich im übrigen auf die Evangelisten. Diese stehen in der spätantiken Tradition der Autorendarstellung und verweisen somit auf die Schrift - die ja nach der in den Libri Carolini formulierten Auffassung im Zentrum der Theologie stehen soll -, und damit letztlich auf Christus, den Logos.
Dies ist zwar kein Ikonoklasmus im Sinne der Byzantiner, hat aber dennoch gewisse programmatische Züge im Sinne einer Bewertung des Bildes: Das Bild soll lediglich als Hinweis auf das Wort verstanden werden, dem allein die heilsbringende Wirkung zuerkannt wird. Die karolingische Theologie bedarf des Bildes nicht, sie schließt es aber auch nicht völlig aus. Bilder von kultischem Charakter, wie der thronende Pantokrator, wurden aber nach der Aachener Synode aus dem Programm der Handschriftenillustrationen verbannt.
Bezeichnend dafür ist auch die Ikonographie des Apsismosaiks in der Privatkapelle des Theodulf von Orléans, dem Verfasser der Libri Carolini, in Germigny-des-Prés175. Es zeigt zwei Engel mit der Bundeslade, auf der Cherubim angebracht sind. Man mußin dieser Darstellung einen programmatischen Ausdruck der Einstellung zum Bild nach der Aachener Synode sehen: Die Bundeslade ist ein in der Bibel bezeugtes und beschriebenes Objekt, das gleichermaßen ein Sinnbild für das Allerheiligste, für den Bund Gottes mit den Menschen abgibt, ohne Gott selbst darzustellen. Wie die Evangelistenbilder der Codices hat dieses Mosaik Verweischarakter auf nicht Darstellbares und gleichermaßen auf die heilige Schrift (denn die Bundeslade bewahrte ja die Tafeln mit den göttlichen Geboten). “So wird die Bundeslade zum Zeugnis eines über jede bildliche Definition erhabenen Gottes, der nur in seiner Schöpfung in Erscheinung tritt. Sie verdrängt und ersetzt im Apsismosaik von Germigny folgerichtig die Komposition der Maiestas Domini... ” (Peter Bloch)176.
Anhand des Kunstschaffens aus der Zeit Ludwigs des Frommen ist ein Wandel hinsichtlich des Verhältnisses zum religiösen Bild zu erschließen. Das Evangeliar von Soissons177, das um 830 entstanden ist, zeigt beispielsweise gegenber verwandten Werken der Ada-Gruppe ein erheblich erweitertes Bildprogramm, das Darstellungen des Lebensbrunnens und der 24 Ältesten einschließt. Die vielfältigsten Illustrationen aber weist das um 850 entstandene Drogo-Sakramentar178 auf, das zur Reimser Schule gehört. Hier findet man bereits eine Vielzahl szenischer Darstellungen, hauptsächlich in Initialen (z.B. die Himmelfahrt Christi in einer C-Initiale auf fol. 71v). Dieser Wandel ist wohl in Zusammenhang mit der Pariser Synode von 825 zu sehen. Im Liber synodalis Parisiensis179 wird ein Gutachten zur Bilderfrage abgegeben. Dort heit es: “Propter memoriam namque in imaginibus conscribuntur et honorantur, immo et adorantur sancti sicut servi Dei. ”180 Die Bilder werden als nützlich bezeichnet, um die biblischen Geschehnisse zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig wird der unumschränkten Autorität der biblischen Schrift die der Kirchenväter und Heiligen zur Seite gestellt. Auch wurde durch die tiefergehendere Beschäftigung mit der griechischen Sprache im mittleren neunten Jahrhundert der Unterschied zwischen Proskynesis und Latreia erkannt und richtig übersetzt. Dies beweist ein Matthäus-Kommentar aus dem Kloster Stablo181. Der Irrtum, der in den Libri carolini zur scharfen Verurteilung einer vermeintlichen Bilderanbetung in Byzanz geführt hatte, war damit erkannt und richtiggestellt worden. Auch hatten die Libri Carolini jetzt nicht mehr in derartiger Weise Bedeutung als politisches Manifest gegenüber Byzanz, so daßsich auch die strikte dogmatische Haltung der Zeit Karls des Großen allmählich lockerte. In den späteren Schulen der Miniaturmalerei von Metz, Reims, Tours, Fulda und Corbie findet man dann einen zunehmenden Reichtum an Darstellungen, wobei insbesondere das Erzählerische eine große Rolle spielte (z.B. die Genesisdarstellungen in der Buchmalerei von Tours). Auch Heiligendarstellungen in Viten, Himmelfahrts- und Pfingstbilder gehörten nun zum Repertoire. Besondere Bedeutung gewann auch das Kreuzigungsbild, das zum Meßopfer in Beziehung gesetzt wurde.
4.6 Die karolingische Architektur und Byzanz
Untersucht man die karolingische Architektur nach byzantinischen Einflüssen, so stößt man auf schwerwiegende Probleme, die es von vorneherein unmöglich machen, ein auch nur annähernd ganzheitliches Bild zu erhalten. Vom Profanbau, also in erster Linie den Pfalzen, ist fast nichts erhalten, und nur wenige Anlagen (Aachen und Ingelheim) sind halbwegs rekonstruierbar182. Die Nutzung und Funktion der einzelnen Bauteile ist meist nicht eindeutig zu bestimmen. Für die Sakralbauten, die in größerer Zahl erhalten oder erschließbar sind, kann nur anhand weniger Ausnahmefälle ein Einflußaus Byzanz erwogen werden. Es sind dies die Zentralbauten, darunter an erster Stelle die Aachener Pfalzkapelle.
Aachen war als Pfalzanlage nicht nur die bedeutendste, sondern auch das geistige Zentrum des Reichs, der Ort also, an dem sich der Herrschaftsgedanke Karls in Form von Monumentalbauten manifestierte. Gleichzeitig ist die Aachener Pfalz die am besten rekonstruierbare, weil von ihr am meisten aufgehendes Mauerwerk erhalten geblieben ist. Mit Abstand am meisten karolingische Bausubstanz weist in Aachen noch die Pfalzkapelle auf, der nun unsere alleinige Betrachtung gilt. Zuvor allerdings einige Ausführungen zum Kirchenbau der Karolingerzeit.
Der längsgerichtete Sakralbau fand seine Vorbilder, soweit man das überblicken kann, in den konstantinischen Basiliken Roms. Zwei Typen herrschten vor, die Basilika mit sogenanntem ‘römischen Querhaus’ und der ‘Zellenquerbau’. Beides hat mit zeitgenössischer byzantinischer Architektur des siebten bis neunten Jahrhunderts (kleinere überkuppelte Zentralbauten über griechischem Kreuz und Kreuzkuppelkirchen) nichts zu tun. Das Vorbild der wichtigen karolingischen Basiliken war St. Peter in Rom, und man beschaffte sich manchmal sogar dessen Maßzahlen, um eine möglichst genaue Angleichung zu erreichen. So beispielsweise beim Bau der Ratgar-Basilika in Fulda über dem Grab des Bonifazius. Das zweite große Vorbild war die konstantinische Basilika des Lateran. Die unterschiedlichen Querhauslösungen der karolingischen Architektur fanden in diesen beiden Bauten ihren Ursprung. Der Begriff ‘römisches Querhaus’ wird auf das in gleicher Höhe wie das Mittelschiff an das Langhaus anschließende durchlaufende Querhaus angewandt, was auf St. Peter zurückzuführen ist, während die Lateransbasilika kein echtes Querhaus hatte, sondern nur Annexräume, was sich im karolingischen Zellenquerbau widerspiegelt183. Erst in ottonischer Zeit wurden frühbyzantinische Basiliken des Ostens vorbildhaft für den Bau der Damenstiftskirche in Gernrode, wo man das Würdemotiv der Langhausemporen übernahm.
Somit können einzig in der Gattung des Zentralbaus Beziehungen - im Sinne des Aufgreifens von Bautypen oder unmittelbarer Anknüpfung an bestimmte Vorbilder - zur byzantinischen Architektur nachvollzogen werden. Das trifft insbesondere für die Aachener Pfalzkapelle zu, denn sowohl für die Raumgestalt wie auch die Bauikonologie ist die Frage nach dem Vorbild alles andere als eindeutig zu klären. Das Problem ist, daßForm und Funktion sich nicht an einem einzigen Bau vorgeprägt finden, sondern daßes eine ganze Anzahl von Bauten gibt, die allenfalls in Teilaspekten (sei es Form oder/und Bedeutung bzw. Funktion) vorbildhaft gewirkt haben könnten. Wenn schon kein konkretes Vorbild, das ausschließlich nachgeahmt wurde, gefunden werden kann, so läßt sich doch zumindest feststellen, daßOdo, der Baumeister Karls des Großen, für die Aachener Pfalzkapelle auf einen bestimmten Bautypus zurückgegriffen hat. Andererseits ist es auch möglich, daßzwar ein konkretes Vorbild gemeint war, aber mehr von der Bedeutung, der ‘Bauikonologie’ her, weniger von der Baugestalt. Aufgrund dieser komplexen Problemstellung wurden in der Forschung184 Analogien auf allen nur möglichen Ebenen gesucht, also im Vergleich von Bauformen und ihren Bedeutungsgehalten, in der Funktion, der Liturgie und sonstigen Nutzung (z.B. als Reliquienkapelle oder Grabeskirche). So wurde eine ganze Fülle von (vermeintlichen) Verbindungen zwischen der Aachener Kapelle und den unterschiedlichsten Bauwerken in Italien, Byzanz und sogar Armenien185 entdeckt, ohne daßaber irgendein Bau überzeugend als Vorbild ausgemacht werden konnte.
Es ist anzunehmen, daßdie Aachener Pfalzkapelle als wichtigste, vielleicht sogar alleinige Funktion, die einer Hofkirche hatte und damit der kirchliche Hauptrepräsentationsbau des Reiches sein sollte. Dies begründet die Wahl des überkuppelten Zentralbaus, denn die Kuppel ist ein altes Herrschaftssymbol in Antike, Spätantike und byzantinischer Zeit: “Mit der überkuppelten, zentralgestaltigen Hofkirche wird unüberhörbar ein weitgehender Anspruch erhoben” (E. Lehmann)186. Das Oktogon - das in Aachen außen von einem Sechzehneck ummantelt wird - weist auf eine alte Tradition imperialer Repräsentationsbauten hin, desgleichen die Empore187. Vielleicht kann man die Empore, die ohne Zweifel der Platz Karls und seines Gefolges war, ikonologisch soweit deuten, daßhier die Idee des Adventus, der ‘triumphalen Epiphanie’ des Herrschers gemeint gewesen ist188. Der Thron auf der Westempore, der wohl schon zur Zeit Karls dort errichtet worden war, kann im Sinne der Hetoimasia als Symbol der Herrschaft gesehen werden189. In Byzanz gab es den Thron auf der Westempore der Hagia Sophia nicht, wohl aber in kleineren Hofkapellen, denn der Herrscherthron auf der Westempore der Hofkapelle wird in Rußland später üblich (z.B. Kiew) und ist mit Sicherheit auf Byzanz zurückzuführen190.
Daßdie Pfalzkapelle als Grabbau Karls konzipiert war, ist nicht zu belegen, auch die Funktion als Reliquienaufbewahrungsort ist nicht klar beweisbar. (Allerdings spricht für einen Grabbau die innere Oktogongestalt, denn diese Bauform kommt auch im Zusammenhang mit Grabbauten in der spätantiken Architektur vor, etwa das Mausoleum des Diokletian in Split; vielleicht sollte auch das Grabmal des Theoderich in Ravenna von seiner äußeren Baugestalt her zitiert werden.)
Für mögliche Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle steht an erster Stelle der Vergleich mit San Vitale in Ravenna, das besonders von der älteren Forschung häufig genannt wurde. Nun ist diese Ableitung rein formengeschichtlich durchaus denkbar, obwohl es auch wesentliche Unterschiede gibt191. Allein, S. Vitale war trotz der Kaisermosaiken im Presbyterium keine Hofkirche. Dieses Argument wird von der jüngeren Forschung durchaus zurecht ins Feld geführt192, allerding werden unserer Überzeugung nach die falschen Schlüsse daraus gezogen, indem man die Vorbildfunktion von S. Vitale zu weitgehend in Frage stellt. Zum einen weißman nicht, wofür Karl der Große den Bau gehalten hat (etwa für die Hofkirche Theoderichs), zum anderen zeigt er in Baugestalt und Mosaikprogramm höchste, d.h. imperiale Ansprüche. Insbesondere wenn man den frühmittelalterlichen Kirchenbau Italiens mit diesem frühbyzantinischen Monumentalbau vergleicht, ist es ohne weiteres vorstellbar, daßKarl hierin ein Zeugnis byzantinisch-kaiserlicher Repräsentationsarchitektur gesehen haben könnte, wovon S. Vitale letztendlich auch herzuleiten ist. Selbst wenn Karl gewußt haben sollte, daßes sich bei San Vitale nicht um eine Hofkirche handelt, so konnte er doch die Baugestalt übernehmen. Fichtenau hat hinsichtlich der Theoderichstatue, die Karl aus Ravenna in die Aachener Pfalz bringen ließ, zu zeigen versucht, daßin erster Linie die Qualität das Kriterium für die Übernahme war und nicht die Person des Dargestellten, denn die Statue ließsich auch als Konstantin oder Kaiser Zeno deuten193. Gleiches kann in diesem Sinne für den Kirchenbau angenommen werden: S. Vitale war keine Hofkirche, konnte aber als solche gedeutet werden, da sie dem Typus imperialer byzantinischer Kirchenbauten entsprach. Hiermit können durchaus der Chrysotriklinos des Palastes in Konstantinopel194 oder gar die Hagia Sophia als Ideal gemeint sein, die Vermittelung dieser Baugedanken aber konnte über S. Vitale geschehen. Unserer Überzeugung nach ist es daher weitgehend ausreichend, für die Erklärung der Baugestalt der Aachener Pfalzkapelle auf Ravenna zu verweisen. Das Vorbild San Vitale wurde im Sinne einer mittelalterlichen Architekturkopie umgesetzt: Nicht die genaue Wiederholung der Bauformen ist ausschlaggebend, sondern der Sinngehalt, die Symbolik der zitierten Formen mußte erkennbar bleiben. So entstand in Aachen eine von den Formen her nur bedingt ableitbare Schöpfung, die die spätantike und byzantinische Würdeform des überkuppelten (achteckigen) Zentralbaus wieder aufgreift.
S. Vitale ist ein Vertreter von Zentralbauten, die eine ganze Baugruppe der spätantiken und frühbyzantinischen Zeit ausmachen. Dazu gehören, um nur drei der prominentesten Beispiele aufzuzählen, S. Lorenzo in Mailand, das goldene Oktogon in Antiochia und die Kirche der Heiligen Sergios und Bakchos in Konstantinopel. Letztgenannte steht in unmittelbarer Verwandtschaft zu S. Vitale, aber gleichermaßen zur Hagia Sophia. Die Hagia Sophia, die megale ekklesia, die Hauptkirche von Konstantinopel war, wird durch diese Bauten unmittelbar vorbereitet, ist aber letztendlich ein ins Großartige gesteigerter Sonderfall, der ohne direkte Nachfolge blieb. Wenn in Aachen die Hagia Sophia selbst zitiert werden sollte, so war das allenfalls über ihre Vorläufer möglich. Ein einziges Indiz weist auf ein konkretes Formenzitat hin, nämlich die in die Emporenarkaden eingestellten doppelstöckigen Säulen, die vielleicht als ein Reflex auf das westliche Thermenfenster der Hagia Sophia zu deuten sind.
In Bezug zur Hagia Sophia können möglicherweise auch die Hofkapellen der langobardischen Herrscherresidenzen in Pavia und Benevent gesetzt werden, ohne daßman deswegen in ihnen gleich Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle erkennen muß. Schon das Patrozinium von S. Sophia zu Benevent (um 758-768), ein im Kern achteckiger Zentralbau (wie Aachen), verweist auf Byzanz. Der Bau ist ein Zeugnis für die auf Konkurrenz zu Byzanz angelegte Politik des Langobardenherrschers Arechis195. Auch hieran können wir sehen, daßdas Vorbild lediglich in der Idee einer Hofkapelle vorhanden war, ohne daßkonkrete Bauformen zitiert werden mußten. Nur das Oktogon, das eine auf die römischen Thermenbauten zurückreichende Tradition besitzt und dessen Achtzahl schon in Spätantike und Frühmittelalter zahlreiche symbolische Ausdeutungen erfahren hat196, ist eine Art Grundkonstante, die an vielen (aber nicht allen) Zentralbauten immer wieder aufgegriffen wurde.
Die Aachener Pfalzkapelle steht damit schon durch die Form des Grundrisses in der spätantik- frühbyzantinischen Zentralbautradition. Sie war der bedeutendste kirchliche Repräsentationsbau des Frankenreiches, ihre Baugestalt leitet sich in erster Linie aus dem Bedürfnis nach Herrschaftslegitimation her. Zusätzliche Funktionen und Bedeutungen, etwa als Marienkirche, Reliquienkapelle, Grabeskirche etc. konnten hinzutreten und entsprachen dem oktogonalen Zentralbau, aber es läßt sich doch mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daßdie Baugestalt auf den Aspekt der Repräsentation zugeschnitten ist: “Die Aachener Kirche hatte als bereits königliche Stiftung, aber mehr noch im Stiftungszweck pro statu regni eine wichtige Funktion in der Legitimation der Königsherrschaft Karls des Großen. Sie gehört zu seinen Herrschaftszeichen” (Matthias Untermann)197. Das ist wohl der Grund, warum man S. Vitale zum Vorbild nahm, aber die Bauformen doch entscheidend veränderte: San Vitale transportierte zwar kaiserlichen Anspruch, aber man wollte kein zweites S. Vitale in Aachen nachbauen, sondern es übertreffen, die Bauformen nochmals ins Größere steigern, eine Absicht, die klar auf die Konkurrenz zu Byzanz abzielte. Die Aachener Pfalzkapelle ist somit eine Schöpfung im Geiste der imperialen antiken und byzantinischen Repräsentationszentralbauten und drückt dies gänzlich mit den Mitteln ihrer Formensprache aus. Als Ganzes aber ist sie eine originelle Neuschöpfung, die einen eigenen Anspruch bekundet, der niemals nur die Nachahmung zum Ziel hatte198.
Abschließend sei unserer Betrachtung der karolingischen Architektur noch ein Thema angefügt, das in der Forschung bisher kaum gewürdigt worden ist: Der Einflußzeitgenössischer byzantinischer Architektur auf karolingische Bauten. Wir wollen dazu zwei kleinere karolingische Zentralbauten heranziehen, die den Typus der byzantinischen Kreuzkuppelkirche zu rezipieren scheinen. Das Problem dabei ist, daßdie Genese der Kreuzkuppelkirche bis heute noch nicht eingehend geklärt ist und man sich insbesondere noch darüber im unklaren ist, wie weit ihr Schema in vorikonoklastischer, bzw. ikonoklastischer Zeit bereits entwickelt war. Der ausgereifte Quincunx- Typus mit vier Freistützen scheint erst nach dem Bilderstreit entstanden zu sein, mit den leider nicht mehr erhaltenen Bauten der Nea und der Marienkirche auf dem Pharos in Konstantinopel. Die Entstehungsgeschichte dieses Kirchentypus dürfte aber bereits im sechsten Jahrhundert oder früher begonnen haben199. Wie dem auch sei, jedenfalls zeigen im mindesten zwei kleine Zentralbauten der Karolingerzeit ein Schema, das man ohne weiteres von der byzantinischen Kreuzkuppelkirche ableiten könnte: Es sind dies die Cappella della Pietà, ein Annexbau von S. Maria presso S. Satiro in Mailand und das Theodulf-Oratorium von Germigny-des-Prés. Beide sind Zentralbauten mit vier freistehenden Stützen und betontem Zentrum in der Mitte, wären also gewissermaßen als auf den Baukern reduzierte Kreuzkuppelkirchen anzusehen. Dies entspricht ganz dem byzantinischen Prinzip der Kreuzkuppelkirche, deren Zentrum die Hauptkuppel mit vier Nebenzentren über vier Freistützen ist, dem alle anderen Bauteile, wie Presbyterium, Narthex, Umgänge etc., additiv hinzugefügt werden200. Wir können an dieser Stelle nur auf diese doch erstaunlichen Analogien hinweisen, deren eingehende Bearbeitung noch ein kunsthistorisches Desiderat darstellt.
5. Zusammenfassung: Die Bedeutung griechisch-byzantinischer Einflüsse für die karolingische Kultur
Das Anliegen der Arbeit war es, als Schlußreferat das Seminar zu den abendländischbyzantinischen Beziehungen in der Karolingerzeit durch Beiträge zum geistesgeschichtlichkulturellen Gebiet im Gesamtbild abzurunden. Das Thema aber hätte allein schon Stoff für ein ganzes (interdisziplinäres) Seminar gegeben. Daher waren die Aspekte, die wir von diesem umfassenden Thema behandeln konnten, lediglich ein oberflächlicher Einblick in Teilbereiche. Vieles mußte bei pauschalen und undifferenzierten Aussagen bleiben.
Dennoch haben sich wenigstens einige Prinzipen dieser Kulturbeziehungen herauskristallisiert, die nun noch einmal zusammengefaßt werden sollen:
- Griechische Kultur war im frühmittelalterlichen Italien zu Beginn der Karolingerzeit längst als bedeutender kultureller Faktor vorhanden. In Italien, das die Hauptquelle für die Kulturerneuerung besonders der frühen Karolingerzeit gewesen ist, machte Griechisches einen seit über einem Jahrhundert tradierten Kulturfaktor aus, der durch immer neue Einflüsse weiterhin befruchtet wurde. Die qualitativ hochstehende Kunst im vorkarolingischen Italien hatte diesem Einflußviel zu verdanken, und für Karl den Großen wurde diese lebendige Tradition zur Keimzelle seiner Hofschule. Ähnliches gilt für die griechische Sprache und Literatur, deren Grundlagen zuallererst aus Italien vermittelt wurden.
- Iren waren neben einigen wenigen Griechen die Hauptträger des Aufschwungs griechischer Bildung in der späteren Karolingerzeit unter Ludwig dem Frommen und Karl dem Kahlen. Kurz vor dem Zusammenbruch der karolingischen Kultur am Ende des neunten Jahrhunderts erreichte die Kenntnis der griechischen Sprache, des byzantinischen Geisteslebens und der Philosophie ihren absoluten Höhepunkt. In dieser Zeit war das Griechische ein wesentlicher Faktor der Hofkultur und einiger Klöster. Von dieser Blütezeit aus wurde vieles in spätere Zeiten tradiert, insbesondere im Bereich der Philosophie.
- Das byzantinische Reich, das Kaisertum und seine Kultur wurden im Westen als ein Sproßaus der Wurzel der konstantinischen Spätantike angesehen und war damit von vorneherein durch die Tradition legitimiert und ausgewiesen, d.h. in authentischer Nachfolge des ersten christlichen Kaisers anerkannt. Nun hatte der Westen aber selbst ein spätantik-christliches Kulturerbe, das seinerseits auf Konstantin zurückgeführt werden konnte. Selbst das von Aachen nicht weit entfernte Trier war eine seiner Residenzstädte gewesen. Konstantin und die christliche Spätantike des Westens waren viel greifbarere und - im wahrsten Sinne des Wortes - naheliegendere Vorbilder für Karl den Großen, als es ein byzantinischer Kaiser je sein konnte. In der Person und im Werk Konstantins war nichts Fehlerhaftes auszumachen, fast gleich einem Heiligen und ganz im Gegensatz zu den zeitgenössischen Herrschern in Byzanz. Die christliche Spätantike konnte immer als Ideal erscheinen, Byzanz mußte dagegen oft genug auch als Negativbeispiel herhalten, gegen das man sich absetzen wollte. Die karolingische Propaganda, insbesondere als die Kaiserin Irene in Byzanz herrschte, zielte gerade darauf ab, daßdie gegenwärtigen Machthaber sich ihrer Tradition als unwürdig erwiesen hätten. Nur so konnte ihnen die Aureole der Authentizität genommen und ein eigener Anspruch aufgebaut werden.
Es gab selten partnerschaftlichen Austausch zwischen beiden Reichen, sondern ein Konkurrenzverhältnis, das auf kultureller Ebene dadurch bestimmt war, daßdie Franken die griechische Kultur zwar in gewissem Maße durchaus benötigten und als vorbildhaft ansahen, aber niemals so weit, daßman sich in bloßer Nachahmung erschöpfte. Griechische Kultur wurde unter den meisten karolingischen Herrschern (und von manchen ganz besonders, z.B. Karl dem Kahlen) bereitwillig aufgenommen, war aber zumeist der Auslöser für eigenständige Weiterentwicklungen. Byzanz war immer der gebende Part im kulturellen Verhältnis zueinander. Das Übernommene aber wurde als Bereicherung innerhalb einer Kulturpolitik aufgefaßt, die eigentlich auf das Vorbild der lateinischen Spätantike abzielte. Was aus Byzanz kam, waren Kostbarkeiten; für die kulturelle Erneuerungsbewegung und ihre erhoffte Breitenwirkung spielte solches aber eine untergeordnete Rolle. Diese Kulturgüter dienten der Aufwertung des Hofes (z.B. das Wiener Evangeliar, die Orgel201 oder das Zeremoniell und die Gewänder am Hof Karls des Kahlen), gelangten aber nur selten darüber hinaus zu Wirkung oder Einfluß. Lediglich die griechische Sprache wurde an einigen Abteien gepflegt, aber auch hier war meist ein Bezug zur Hofschule gegeben.
Die griechisch-byzantinischen Kultureinflüsse nahmen in der Karolingerzeit niemals eine entscheidende Schrittmacherstellung in der geistig-kulturellen Entwicklung ein, wurden aber von Anfang an in die Kulturpolitik einbezogen und von den Herrschern gefördert. Neben dem breiten Strom der lateinisch-westlichen Bildungstradition, der seinen Ursprung im Gedanken der renovatio hatte, floßdadurch auch griechisches Kulturgut in das Erbe ein, das die Karolinger an das abendländische Mittelalter weiterzugeben hatten.
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[...]
1 Steinen, Wolfram von den, Der Neubeginn, in: Karlswerk, Bd. 2, S. 9-27, im folgenden zitiert als ‘Steinen, Neubeginn’. Grundlegend ist weiterhin das Buch von Joseph Fleckenstein, Die Bildungsreform Karls des Großen. Als Verwirklichung der Norma Rectitudinis, Freiburg i.Br. 1953.
2 Vergl. Steinen, Neubeginn, S. 9.
3 Ebenda, S. 16; Von den Steinen betont die Bedeutung der Religion als verbindenden Grundgedanken in der Kulturpolitik Karls des Großen: “Der Gedanke der Einheit stand durch das Christentum fest. ”
4 Ebenda, S. 14f.; auch Laien sollten das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auswendig können, wenn nicht in Latein, so doch zumindest volkssprachlich. Zu den Bildungserlassen siehe auch Fleckenstein, Joseph, Karl der Große und sein Hof, in: Karlswerk, Bd. 1, S. 24-51, S. 37 (im folgenden zitiert als ‘Fleckenstein, Karl der Große’).
5 Siehe dazu Brunhölzl, Franz, Der Bildungsauftrag der Hofschule, in: Karlswerk, Bd. 2, S. 28-41 (im folgenden zitiert als ‘Brunhölzl, Bildungsauftrag’). Brunhölzl betont die Vorbildhaftigkeit der Hofschule als Institution (weniger der Inhalte): “Der Hofschule kommt ein besonderer Anteil, wie es scheint, weniger durch unmittelbar sprachbildende Wirkung zu, indem die dort gelehrte und gepflegte Latinität gleichsam zur Hochsprache geworden wäre, der man nachzueifern gesucht hätte, als dadurch, daßder an der Hofschule geübte Lehrbetrieb für viele Stätten zum Vorbild geworden ist. ” (S. 40).
6 Die Entstehung des Godescalc-Evangeliars (Paris, Nationalbibliothek, Ms. Nouv. Acq. Lat. 1203) im Auftrag Karls mußals ein Initialwerk seiner Kulturpolitik gesehen werden und markiert den Anfang der kulturellen Erneuerung. Nach Fillitz ist das Evangeliar wahrscheinlich “als eine programmatische neue Leistung nach der Heimkehr Karls aus Rom geschaffen worden, wo der Königssohn Pippin 781 getauft worden war. ” Fillitz, Hermann, Die italienische Kunst des 8. Jahrhunderts als Voraussetzung der Kunst am Hofe Karls des Großen, in: Settimane di Studio, 20, 2, Spoleto 1973, S. 783 - 802 (Zitat S. 798), (im folgenden zitiert als ‘Fillitz, Italienische Kunst als Voraussetzung’). In die Zeit der 780-er Jahre fällt außerdem die ‘Anwerbung’ bedeutender italienischer Grammatiker wie Paulus von Aquileia und Petrus von Pisa. Vergl. weiterhin Steinen, Neubeginn, S. 10 (die Anfänge sind für Von den Steinen bereits im Wirken Bonifaz’ zu sehen) und S. 12 (allerdings ist die eigentliche Entstehung der Hofschule wohl erst in die Zeit nach 794 zu setzen).
7 Steinen, Neubeginn, S. 18f: “Darum erhielt nach Jahrhunderten der Vernachlässigung der Neubeginn notwendig ein Re-, ein Zurück: Restauratio, Renovatio, Reformatio oder ähnlich. Was freilich nicht als ein Rückwärts gemeint war, sondern als Wiederherstellung des jetzt wie je Gültigen.”
8 “In dem imperialen Anspruch, der sich auf dem Gebiete der Bildenden Kunst schon in den 90-er Jahren des 8. Jahrhunderts manifestiert, liegt anscheinend das auslösende Moment für die karolingische renovatio der Bildenden Kunst. Es erklärt auch das vollkommen Andersartige ihrer Erscheinung gegenüber allem anderen aus dem 8. Jahrhundert.” Fillitz, Italienische Kunst als Voraussetzung, S. 784; “Erst zur Zeit der Fertigstellung der Aachener Pfalzkapelle und ihrer Ausstattung wird das künstlerische Ziel klar, nämlich Karl d. Gr. in der künstlerischen Repräsentation als Nachfolger der römischen Imperatoren erscheinen zu lassen. Erst nach 795 macht sich auf allen Gebieten des künstlerischen Schaffens am Hofe Karls eine radikale Wendung zur Antike bemerkbar.” Ebenda, S. 801 f.
9 Die Problematik und ihre verschiedenen Aspekte wurden im Seminar in mehreren Referaten hinlänglich behandelt; als grundlegende Literatur sei nur genannt: Ohnsorge, Werner, Das Zwei-Kaiser-Problem im frühen Mittelalter, Hildesheim 1947.
10 Siehe dazu: Brenk, Beat, Spolia from Constantine to Charlemagne: Aesthetics versus Ideology, in: Dumbarton Oaks Papers 41, 1987, S. 103-110, (im folgenden zitiert als ‘Brenk, Spolia’).
11 Leo Hugot unterscheidet acht Kategorien von Pfalzgebäuden in Aachen, unterteilt nach folgenden Zwecken: Wohnen, Repräsentation, Kult, Ökonomie, Reichs- und Pfalzverwaltung, Rechtsprechung, Bildung und Unterhaltung. Der weltlichen Repräsentation diente in erster Linie die Königshalle, der geistlichen die Pfalzkapelle. Hugot, Leo, Die Pfalz Karls des Großen in Aachen, in: Karlswerk, Bd. 3, S. 534-572 (S. 544). Die wichtigsten heute noch erhaltenen oder zumindest dokumentierten antiken Spolien waren der Proserpina-Sarkophag (Rom, Ende 2. Jahrhundert n.C.), die Bronzebärin (oder Wölfin, römisch, um 200 n.C.), der Pinienzapfen (antik-römisch), die Theoderich-Reiterstatue und die Säulen der Pfalzkapelle. Grundlegend, besonders für die Vorbildhaftigkeit byzantinischer Hofkultur und Repräsentationsbaukunst, ist der Aufsatz von Heinrich Fichtenau, Byzanz und die Pfalz zu Aachen, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 59, 1951, S. 1-54, im folgenden zitiert als ‘Fichtenau, Byzanz und Aachen’.
12 Die Frage der Beziehung der Aachener Pfalz zu Rom ist am ausführlichsten in dem Buch von Mario D'Ononfrio, Roma e Aquisgrana, Rom 1983 behandelt worden.
13 Brenk sieht in der Karolingerzeit den entscheidenden Wandel in der Bedeutung von Spolien, die jetzt erstmals hauptsächlich aufgrund ihres Aussagewerts und ihrer Symbolik eingesetzt wurden und dazu über weite Strecken transferiert werden mußten: “With this gesture of the importation as such as well as with the material from Italy, Charlemagne intended to place himself in the midst of the Roman imperial succession. In Aachen therefore, the spolia were to guarantee the christian Roman imperial tradition. ” Brenk, Spolia, S. 109.
14 “Gi lo studio del sustrato culturale e figurativo che ha in qualche misura determinato e l’incoronazione di Carlomagno e la concezione di un nuovo imperium denuncia evidenti connessioni fra l’idea della renovatio dell’impero romano-cristiano e una parallela ‘rinascita’ delle arti secondo ricordi, schemi e modelli romani. ” D'Onofrio, op. cit., S. 207.
15 Vergl. Braunfels, Wolfgang, Die Welt der Karolinger und ihre Kunst, München 1968, S.135-137 und Abb. 141-147 (im folgenden zitiert als ‘Braunfels, Welt der Karolinger’). Die Aachener Bronzegießhütte arbeitete ungefähr von 795-805.
16 Zur Gesamtdarstellung des Problems siehe beispielsweise: Classen, Peter, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums, in: Karlswerk, Bd. 1, S. 537-608 (zum Thema Byzanz und das fränkische Kaisertum siehe S. 595ff).
17 Über die Lorscher Torhalle und andere Rezeptionen des antiken Triumphbogens in der karolingischen Kunst siehe D'Onofrio, op. cit., S. 57-78.
18 Zur Bedeutung der renovatio für die Latinität siehe Steinen, Neubeginn, S. 16f.
19 Vergl. Fleckenstein, Karl der Große, S. 36f. Die meisten Gelehrten der ersten Generation unter Karl dem Großen kamen aus Oberitalien, wie die Grammatiker Paulus von Aquileia, Petrus von Pisa, Alkuin, der allerdings angelsächsischer Abstammung war, und Paulus Diaconus. Beonrad-Samuel von Echternach war Angelsachse, Jonas und Raefgot kamen aus Irland, Theodulf war Westgote aus Spanien. Auch Griechen waren eventuell unter den Gelehrten und Künstlern der Hofschule Karls (siehe die entsprechenden Ausführungen zu Sprache und Kunst in dieser Arbeit).
20 Erst in der zweiten Generation unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen wurden die fränkischen Gelehrten häufiger und bedeutender. An erster Stelle sind hier Einhart und Angilbert zu nennen.
21 Vergl. Volbach, Wolfgang Fritz, Byzanz und sein Einflußauf Deutschland und Italien, in: Byzantine Art and European Art, Lectures, Athen 1966, S. 91 ff. (S. 97).
22 Abgesehen von der kurzen Phase unter Julian Apostata, der die heidnischen Religionen wieder durchzusetzen versuchte; des weiteren wurde die Regentschaft der Kaiserin Irene im Westen als Vakanz des byzantinischen Kaiserthrons betrachtet, was ein wesentlicher Grund für die Legitimation des Kaisertums Karls des Großen gewesen ist.
23 Siehe dazu die Aufsätze von Günter Bandmann, Die Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle, in: Karlswerk Bd. 3, S. 424-62, (im folgenden zitiert als ‘Bandmann, Vorbilder’); Edgar Lehmann, Die Architektur zur Zeit Karls des Großen, in: Karlswerk Bd. 3, S. 301-319 (im folgenden zitiert als ‘Lehmann, Architektur’) und Heinrich Fichtenau, op. cit.
24 Berschin, Walter, Griechisch-Lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus zu Nikolaus von Kues. Bern, München 1980 (im folgenden zitiert als ‘Berschin, Griech.-lat. Mittelalter’); siehe hier: S. 133f.
25 Heute in Wien, Weltliche Schatzkammer der Hofburg.
26 Mango, Cyril, La culture grecque et l’occident au VIIIe siècle, in: Settimane di Studio 20,2, Spoleto 1973, S. 678-721; zur Frage der griechischen Klöster in Rom s. S. 695 ff., (im folgenden zitiert als ‘Mango, La culture grecque’).
27 Dieses Thema wurde im Seminar durch das Referat ‘Das gegenseitige Bild der Franken und Byzantiner in ausgewählten Quellen des 6.-10. Jahrhunderts’ behandelt; als grundlegende Darstellung für das Bild der Byzantiner bei den Franken, das aus den Quellen erkennbar wird, sei genannt: Haenssler, F., Byzanz und die Byzantiner, ihr Bild im Spiegel der Überlieferung der germanischen Reiche im frühen Mittelalter, Phil. Diss., Bern 1960.
28 Fichtenau zieht folgendes Resumée aus seiner Untersuchung zum Verhältnis der Hofkultur Karls des Großen und Byzanz: “Aachen und Byzanz - der Parallelen sind zu viele, als daßman sie mit Schweigen übergehen könnte, aber sie sind andrerseits zu wenig wesentlicher Natur, um daraus eine Ansicht zu gewinnen, die Karls Wollen zu einer bloßen Nachahmung östlichen Wesens herabwürdigt. All die Gemeinsamkeiten und auch die bewußten Nachbildungen beweisen letztlich nichts anderes, als etwas, das in der Frühzeit des Abendlandes auch sonst einen breiten Raum einnahm: Das Streben nach äußerstem Konservativismus der Form auch dort, wo sich der Inhalt schon längst gewandelt hatte. ” Fichtenau, Byzanz und Aachen, S. 53f.
29 Vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 140-145.
30 Vergl. MGH Poetae, Bd. 1, S. 426-428.
31 Zu den Einflüssen aus Byzanz auf die karolingische liturgische Musik (z.B. Antiphonenreihen) siehe Waeltner, E., Byzantinisches in der karolingischen Musik, in: Berichte zum XI. Internationalen Byzantinisten Kongreß1962 und Jammers, Ewald, Karl der Große und die Musik, in: Karl der Große - Werk und Wirkung, Ausstellungskatalog, Aachen 1965, S. 469-472.
32 Braunfels, Welt der Karolinger, S. 151.
33 Vergl. Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden. Stilentwicklungen in der Mittelmeerkunst vom 3. bis zum 7. Jahrhundert, Köln 1984, passim.
34 Buch II, 6-7.
35 Mango, La culture grecque, S. 716 ff.
36 In der auf den Vortrag folgenden Diskussion (S. 845-860).
37 Grabar, André, L’asymétrie des relations de Byzance et d’Occident dans le domaine des arts au moyen âge, in: Hutter, Irmgard (Hrsg.), Byzanz und der Westen, Wien 1984, S. 9-24.
38 Siehe dazu Steinen, Neubeginn: “Aus den Ländern der Merowinger und frühen Karolinger haben wir außer verwilderten Abschriften älterer Literatur nur einen ganz geringen Bestand eigener Produktion: Heiligenlegenden, historische Aufzeichnungen, Urkunden. Zwischen 600 und 770 gibt es da keinen einzigen einheimischen Autor von literarischem Rang. ” (S.9) “...wie wir das Christentum kennen, ist es Buchreligion, und als solche war es in der Merowingerzeit bedenklich barbarisiert.” (S.10)
39 Mango, La culture grecque, S. 683f.
40 Während es im fünften und sechsten Jahrhunder kein griechisches Kloster in Rom gab, waren im siebten Jahrhundert von 24 Klöstern sechs griechisch, im achten acht bis zehn von 38 und im neunten elf von 57; (alle Angaben aus Mango, La culture grecque, S. 695f.)
41 Auch die ravennatische Kunst ist stark westlich geprägt, was sich z. B. anhand der Tatsache zeigt, daßdie vier apokalyptischen Wesen hier als Evangelistensymbole gedeutet wurden (z.B. in den Presbyteriumsmosaiken von S. Vitale), was im Osten erst in mittelbyzantinischer Zeit üblich wurde. Leider ist kein Werk der ravennatischen Buchkunst erhalten, immerhin können aber Rückschlüsse durch spätere Kopien gezogen werden. So ist z.B. das Gundohinus-Evangeliar (dat. 754) von ravennatischen Vorbildern abzuleiten; siehe dazu Nees, Lawrence, The Gundohinus Gospels, Cambridge/Mass. 1987.
42 Mango, La culture grecque, S. 684.
43 Courcelle, Pierre, Les lettres grecques en Occident de Macrobe à Cassiodore, Paris 1948.
44 Ebenda, S. 341; Helm, R., Cassiodor, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Spalte 915-926, Stuttgart 1954.
45 Mango, La culture grecque, S. 695.
46 Loc cit.: “Grégoire le Grand en [le grecque] était ignorant, et il se plaint de la difficulté d’obtenir des traductions convenables. La même situation existait à Constantinople en sens inverse.”
47 Loc. cit.
48 Ebenda, S. 696.
49 Ebenda, S. 695 f.
50 Ebenda, S. 714.
51 Loc. cit.
52 Grundlegend dazu die Dissertation von Ernst Kitzinger, Römische Malerei vom Beginn des 7. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts, München 1934.
53 Insgesamt waren also 10 von 11 Päpsten im Zeitraum von 685 bis 752 ‘griechischer’ Abkunft; siehe dazu auch Mango, La culture grecque, S. 700 und Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 115-118.
54 Mango, La culture grecque, S. 700f.
55 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 130 ff. und Belting, Hans, Probleme der Kunstgeschichte Italiens im Frühmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien, Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Berlin 1967, S. 94 ff.
56 Vergl. Belting, Hans, Studien zum beneventanischen Hof im 8. Jahrhundert, in: Dumbarton Oaks Papers 16, 1962, S. 143- 193.
57 Zur Kunst Süditaliens in ihrer Mittlerstellung zwischen Byzanz und dem Westen siehe auch: Belting, Hans, Byzantine Art among the Greeks and Latins in Southern Italy, in: Dumbarton Oaks Papers 28, 1974, S. 1-29.
58 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 130-134.
59 Ebenda, S. 118-121.
60 Ebenda, S. 124-126, vergl. auch die Ausführungen über Theodor von Tarsos als Erzbischof von Canterbury bei Mango, La culture grecque, S. 685 ff.
61 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 131.
62 Z.B. Cassian, der im frühen fünften Jahrhundert in Marseille wirkte.
63 Vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 132.
64 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 133f., erwähnt eine Passage bei Gregor von Tours, in der ein Syrer als Dolmetscher genannt wird (Liber de gloria martyrum: “Quod passio eorum, quam Siro quodam interpretante in Latino transtulimus, plenius pandit”).
65 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Weiss. 86.
66 Beispielsweise im Sakramentar von Gellone (Paris, Bib. Nat., Ms. lat. 12048), das zwar in karolingischer Zeit entstand (um 780), aber noch gänzlich in der Tradition merowingischer Handschriften steht. Die liturgischen Messformeln sind durch Rubrizierung hervorgehoben, der lateinische Text ist in griechischen Buchstaben geschrieben; man vergl. etwa das Sanctus über der bekannten Te-Igitur-Initialminiatur auf fol. 143v.
67 Vergl. Steinen, Neubeginn, S. 9f.
68 Vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 123.
69 Ebenda, S. 124.
70 Traube, Ludwig, ‘O Roma nobilis’. Philologische Untersuchungen aus dem Mittelalter, München 1891, S. 299-396.
71 Zum Ende der Epoche legt Berschin dar (Griech.-lat. Mittelalter, S. 171 f.): “Es liegt gegen 870 eine Epochengrenze in der abendländischen Geistesgeschichte...In den fortgeschrittensten westfränkischen Zentren werden Sprachmischungen wieder modern, die man im karolingischen Klassizismus für längst überwunden hielt.”
72 Neben dem Hauptentwicklungsstrang des Griechischen bei den Karolingern, der von Karl dem Großen über Ludwig den Frommen zu Karl dem Kahlen führt, sei noch erwähnt, daßauch im lotharingischen Herrschaftsgebiet bis ca. 858 ein bedeutender zweisprachig gelehrter Ire tätig war, Sedulius Scottus (‘Lüttichs Vergil’). Von ihm, der bei Bischof Hartgar von Lüttich Aufnahme fand, stammt ein griechischer Psalter mit zweisprachigen Beigaben (Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Cod. lat. 8407; vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 172f.).
73 Karl hat wohl bei Petrus von Pisa Grammatik gelernt, und Alkuin unterrichtete ihn in den übrigen Fächern, (vergl. Einhart, Vita Karoli, c. 25), siehe dazu Brunhölzl, Bildungsauftrag, S. 29.
74 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 136 f.
75 MGH, Epist. III, S. 529.
76 Mango, La culture grecque, S. 692.
77 Siehe dazu Wolf, Gunther, Die byzantinisch-abendländischen Heirats- und Verlobungspläne zwischen 750 und 1250, in: Archiv für Diplomatik, Band 37, 1991, S. 1-13.
78 Mango, La culture grecque, S. 692 f.
79 Einhart, Vita Karoli, c. 25, (hrsg. von G. Waitz und O. Holder-Egger, Hannover-Leipzig 1911, S. 30.)
80 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 135 f.
81 Vergl. die Grammatikerhandschrift aus der Staatsbibliothek in Berlin, Diez. B. Sant. 66, die von einem Oberitaliener verfaßt wurde, der wahrscheinlich Grammatiklehrer am Hofe Karls um 790 war; dazu Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 137.
82 Vergl. Wolf, op. cit.
83 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 136 f.
84 Zitiert nach Mango, La culture grecque, S. 693.
85 Theophanes, Chronik, hrsg. von de Boor, S. 455.
86 Heute in Wien, Nationalbibliothek, Cod. graec. 795.
87 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 159 f.
88 Ebenda, S. 136.
89 Ebenda, S. 144.
90 Dieser Codex ist heute noch erhalten und befindet sich in Paris, Bibilothèque nationale, Cod. graec. 437.
91 Berschin, Griech-lat. Mittelalter, S. 144.
92 Zu Dionysios Areopagita siehe den Artikel von R. Roques im Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. III, Spalte 1075- 1121, Stuttgart 1957.
93 Die Mithilfe von Griechen nimmt G. Théry an, der auch die Ausgabe der Hilduinschen Übersetzung besorgte (1937), siehe Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 144.
94 Das Hauptproblem bestand darin, den Gegensatz von affirmativer und negativer Theologie (Kataphasis und Apophasis) in lateinischen Begriffen auszudrücken: Die Übersetzungen sententia für Apophasis und dicere für apophasko treffen nicht den Gedanken der Negation (nach Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 145).
95 Loc. cit.
96 Man vergleiche etwa die berühmten Darstellungen des thronenden Karl in der Vivian-Bibel (auch ‘Erste Bibel Karls des Kahlen’ genannt, Paris, Bib. Nat. Ms. lat. 1, fol. 423r) und im Codex Aureus aus St. Emmeram in Regensburg (München, Bayer. Staatsbibliothek clm 14000, fol. 5v). Er erscheint dort nach dem Vorbild byzantinischer Kaiser.
97 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 145.
98 Ebenda, S. 146; Berschin zitiert aus dem Widmungstext die Selbstbeurteilung Johannes Scottus’, die natürlich von einer demütigen Haltung geprägt ist, aber doch verrät, daßer das Griechische erst erlernen mußte: “...rudis admodum tiro adhuc helladicorum studiorum... ”.
99 Ebenda, S. 146 und S. 156, Anm. 59, (Die Quellenausgabe in MGH Epistolae Bd. 5, S. 159 und Migne PL 122, col. 1031).
100 Ebenda, S. 146 und S. 156, Anm. 60, (Quellenausgabe: Iohannes Scottus, Expositiones in Ierarchiam coelestem von J. Barbet 1975).
101 Ebenda, S. 148 und S. 157, Anm. 71 (Quellenausgabe von Sheldon-Williams und L. Bieler, 1968).
102 Ebenda, S. 147 und S. 157, Anm. 69/70 (Quellenausgaben von E. Jeauneau 1969/72).
103 Ebenda, S. 147.
104 Ebenda, S. 167.
105 Ebenda, S. 163-166.
106 Traube, op. cit., S. 354.
107 Einhart, Translatio SS. Marcellini et Petri, IV/I (MGH, Scriptores, Bd. 15, S. 256), Alkuin, Epistula 307 (MGH, Epistulae, Bd. 4, S. 466 ff.), vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter S. 163. Weiterhin wird die Frage griechischer Künstler am Hofe Karls des Großen im Kapitel 4.2 dieser Arbeit behandelt.
108 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 164.
109 Nach John Beckwith, Byzantine influence on art at the court of Charlemagne, in: Karlswerk, Bd. 3, S. 288-300; zitiert auf S. 288, leider ohne Angabe der Quelle.
110 Das Widmungsbild der Vivian-Bibel zeigt den thronenden Karl, umgeben vom hohen Klerus. Für das byzantinische Zeremoniell ist typisch, daßihm die Bibel mit verhüllten Händen dargebracht wird und der Kaiser von Zeremonialbeamten und Soldaten mit Lanzen flankiert wird (man vergl. etwa das Theodosius-Missorium in Madrid). Auch der Thron und das Gewand des Kaisers sind wohl direkt von frühbyzantinischen Vorbildern übernommen worden.
111 S. Anastasius ad Aquas Salvias, S. Caesarius in Palatio, S. Erasmus, S. Gregorius in Clivo Scauri, S. Praxedis, S. Saba, S. Silvester in Capite, S. Cassianus und S. Stephanus; vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 198.
112 Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 199 f.
113 Loc. cit.
114 Vergl. den Prolog zur Vita S. Basilii, s. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 200.
115 Ebenda, S. 202.
116 Ebenda, S. 201.
117 Ebenda, S. 204.
118 Demus, Otto, Byzantine art and the West, New York 1970 (im folgenden zitiert als ‘Demus, Byzantine art and the West’) und Grape, Wolfgang, Zur Frage des byzantinischen Einflusses auf die karolingische Kunst, in: Das Münster 1974, S. 1-16.
119 Grundlegend zu diesem Problem: Panofsky, Erwin, Renaissance and renaissances in Western art, 2. Auflage, Kopenhagen 1965.
120 Demus, Otto, Vorbildhaftigkeit und Lehrfunktion der byzantinischen Kunst, in: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes. Akten des 21. internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn, 1964, Bd.1, S. 92-98, Berlin 1967 (S. 95).
121 Ebenda, S. 98.
122 Ebenda, S. 94.
123 Ebenda, S. 97 f.
124 Hier mußder Darstellung von Erna Patzelt entschieden widersprochen werden, die die karolingische Kunst im wesentlichen in Kontinuität zur merowingischen sah, um somit den Begriff ‘Renaissance’ für die karolingische Kultur ablehnen zu können. (Patzelt, Erna, Die karolingische Renaissance, mit einem Beitrag von Cyrill Vogel: La reforme culturelle sous Pepin le Bréf et sous Charlemagne, Graz 1965, folgendes Zitat auf S. 111). Ihre Behauptung: “In künstlerischer Hinsicht hat die karolingische Kunst nichts wesentlich Neues gebracht” ist in allen künstlerischen Gattungen leicht widerlegbar, man vergleiche nur die Figurenauffassung, bzw. die Fähigkeit, die menschliche Gestalt überhaupt darstellen zu können, was in der Merowingerzeit allenfalls in Ansätzen vorhanden gewesen ist. Obwohl auch in vorkarolingischer Zeit spätantike oder frühbyzantinische Vorbilder eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben, bestanden weder die Voraussetzungen noch das Vermögen zu einer wirklichen Antikenrezeption. Im Gegensatz zur Karolingerzeit gingen hier die formale Bewältigung und die inhaltlichen Bezugnahmen keineswegs konform. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gundohinus-Evangeliar, dessen ikonographische Quellen in der frühbyzantinischen Kunst Ravennas zu suchen sind, wie L. Nees dargelegt hat (Nees, op. cit., passim).
125 Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 60.
126 Vergl. Volbach, W.F., Lafontaine-Dosogne, Jaqueline, Byzanz und der christliche Osten, Frankfurt (M) und Berlin 1990 (unv. Nachdruck der Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 3), S. 79-85 (zur Kunst während des Bilderstreits); profane Bilderzyklen dieser Zeit sind allerdings nicht erhalten und können allenfalls durch literarische Quellen erschlossen werden. Ein erhaltenes Beispiel für eine ‘ikonoklastische’ Kirchenausmalung ist die Barbara-Kirche in Göreme (Kappadokien), die rein ornamental dekoriert ist. Daneben sind in einigen Apsismosaiken von Kirchen Kreuze erhalten (z.B. Hagia Irene) oder nachgewiesen. (Ob die Mosaiken aus Paschalischer Zeit von SS. Nereo ed Achilleo in Rom, die ein Kreuz mit Lämmern zeigten, auf ikonoklastischem Einflußim Westen beruhen, mußallerdings angezweifelt werden).
127 Vergl. Belting, Hans, Studien zum Beneventanischen Hof, S. 173f.
128 Weitzmann, Kurt, Various Aspects of Byzantine Influence on the Latin Countries from the Sixth to the Twelfth Century, in: Dumbarton Oaks Papers, 20, 1966, S. 1-24, Zitat S. 14. Eine weitere Zusammenfassung der Einflußphasen bei: Beckwith John, Byzantine influence on Carolingian Art, in: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes. Akten des 21. internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn, 1964, Bd.1, S. 99, Berlin 1967.
129 Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 64.
130 Auf folio 118r findet sich der (griechische) Name DEMETRIUS PRESBYTER. Es bestehen jedoch Zweifel daran, ob dieser Eintrag in karolingischer Zeit erfolgte (Bischof und Lowe glauben, daßer aus ottonischer Zeit stammt).
131 Vergl. Mütherich, Florentine, Die Buchmalerei am Hofe Karls des Großen, in: Karlswerk, Bd. 3, S. 9-53.
132 Demus, Byzantine art and the West, S. 60.
133 Ebenda, S. 56f.
134 Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden, op. cit., S. 216 ff.
135 Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 65.
136 Siehe dazu den Aufsatz von Wolfgang Grape, Zur Frage des byzantinischen Einflusses auf die karolingische Kunst, in: Das Münster 1974, S. 1-16, der im wesentlichen Einflüsse der frühbyzantinischen Kunst behandelt.
137 Die spätantik-frühbyzantinische Kunst wird ganz wesentlich durch die beiden Pole von Schematisierung und Formelhaftigkeit einerseits und Zügen von Realismus im Sinne der hellenistischen Tradition andererseits geprägt. Die einzelnen Epochen der Zeit vom dritten bis zum siebten Jahrhundert zeichnen sich, so hat es Kitzinger dargelegt, durch Synthesen oder Polarisierungen dieser beiden Richtungen aus. Immer ist jedoch beides in unterschiedlichen Anteilen vorhanden. Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden, op. cit., passim.
138 Zur Bedeutung Ravennas siehe auch (grundlegend), Belting, Hans, Probleme, op. cit.
139 Vergl. dazu Volbach, W.F., Byzanz und sein Einflußauf Deutschland und Italien, op. cit., S. 97; andererseits stellt Wolfgang Grape die durchaus begründete These auf, daßin der karolingischen Kunst ein stilistischer Abstand von der Spätantike auch anhand der Elfenbeinarbeiten zu beobachten sei, der eine Parallele in der byzantinischen Kunst habe: “Vermutlich hat sich der ‘Bildungshorizont’ der karolingischen Künstler nicht ausschließlich auf Modelle vergangener Epochen beschränkt. Die Gründe des Interesses an möglicherweise zeitgenössischen östlichen Arbeiten liegen in der Stilentwicklung von der frühbyzantinischen zur mittelbyzantinischen Kunst. Die karolingische und die spätere byzantinische Kunst können nur vergröbernd als ‘Revivals’ der Spätantike deklariert werden. Das Entscheidende aber ist, daßsie parallel zueinander die Antike nicht unverändert beibehalten, sondern im mittelalterlichen Sinn entmaterialisieren. Der mittelalterliche byzantinische und der karolingische Künstler sind nicht bei der Spätantike stehengeblieben - trotz aller Vorliebe für das Reliefhafte und ungeachtet der getreuen Antiken-Kopien, die auch im Byzantinischen geschnitzt wurden. Beide haben jeweils eigene Stile entwickelt, indem sie die physische Realität des antiken menschlichen Körpers schematisierten. ” Grape, op. cit., S. 11.
140 Vergl. Mütherich, Florentine, Die Buchmalerei am Hofe Karls des Großen, op. cit., S. 47.
141 Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden, op. cit., S. 210.
142 Ebenda, S. 227 ff; um den Bezug zur Spätantike zu verdeutlichen, vergleiche man etwa die stilistischen Analogien der spätantiken Fresken beispielsweise des Trierer Kaiserpalastes und dem Fresko der hl. Anna aus S. Maria antiqua.
143 Grundlegend für die Forschung zu den Stilentwicklungen der Fresken von S. Maria antiqua ist die Dissertation von Ernst Kitzinger, Römische Malerei vom Beginn des 7. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts, München 1934.
144 Vergl. die zeitgleichen Mosaiken aus der Kalenderhane-Camii in Konstantinopel, siehe Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden, op. cit., S. 231 f. und Abb. 205.
145 Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 47.
146 Kitzinger, Ernst, The art of Byzantium and the medieval West, Indiana 1976, S. 157 ff.
147 Belting, Hans, Kunst oder Objekt-Stil? Fragen zur Funktion der ‘Kunst’ in der ‘Makedonischen Renaissance’, in: Hutter, Irmgard (Hrsg.), Byzanz und der Westen, Wien 1984, S. 65-84; die Begriffsprägung bezieht sich auf die sog. ‘makedonische Renaissance’, hat aber für die Zeit vor dem Bilderstreit auch eine gewisse Berechtigung, man vergleiche nur die Herakleischen Silberschalen aus dem siebten Jahrhundert.
148 Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden, S.222 f: “Praktisch war Heraclius ein Usurpator, und der sorgsame und akademische Klassizismus in seiner Hofkunst sollte im Lichte dieser Tatsache gesehen werden. Der Geschmack von Emporkömmlingen auf dem Thron tendiert oft in diese Richtung. Theodosius selbst, auf dessen Vorbild sich Heraclius ausrichtete, kann...als Beispiel dafür dienen.”
149 Die Phasen der Wandmalerei in S. Maria antiqua reichen bis ins frühe neunte Jahrhundert; neue Impulse aus der byzantinischen Kunst wurden insbesondere unter den Päpsten Johannes VII. (zw. 705-707) und Zacharias (741-52) vermittelt; vergl. Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 45-48.
150 Belting, Hans, Studien zur beneventanischen Malerei, Wiesbaden 1969 (= Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archologie, Bd. 7).
151 Die Fresken von Castelseprio haben im Westen ihre engsten Entsprechungen in der römischen Wandmalerei zwischen 650-710; vergl. Demus, Otto, Byzantine art and the West, S. 47.
152 Belting, Hans, Studien zum beneventanischen Hof im 8. Jahrhundert, in: Dumbarton Oaks Papers 16, 1962, S. 174.
153 Die prominentesten Zeugnisse dafür sind der Codex Amiatinus und das Lindisfarne-Evangeliar; siehe dazu Belting, Probleme, S. 106 und Wright, David H., The italian stimulus on english art around 700, in: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes, Akten des 21. internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn, 1964, Bd.1, S. 84-92, Berlin 1967.
154 Grundlegend dazu der bereits mehrfach zitierte Aufsatz von Hermann Fillitz, vergl. Anm. 6.
155 Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. lat. 1861.
156 Zur Mosaikkunst Roms im neunten Jahrhundert siehe Matthiae, Guglielmo, Mosaici Medioevali delle chiese di Roma, Rom, o.J., S. 225-275.
157 Berlin, Deutsche Staatsbibliothek, Ms. Phill. 1676.
158 Fillitz, Italienische Kunst als Voraussetzung, op. cit.
159 Der 1967 erschienene Aufsatz von Hans Belting, Probleme der Kunstgeschichte Italiens im Frhmittelalter, op. cit., brachte in die Forschung zur Kunstgeschichte des frühen Mittelalters im Westen eine Reihe neuer Ansätze ein, insbesondere durch die Betonung kontinuierlicher Entwicklungsstränge, die von Byzanz ausgingen und, über Italien vermittelt, große Ausstrahlung hatten (Britische Inseln, karolingische Kunst etc.).
160 Hermann Fillitz knüpfte an die von Belting angestellten Überlegungen in seinem 1973 in Spoleto gehaltenen Vortrag ‘Die italienische Kunst des 8. Jahrhunderts als Voraussetzung der Kunst am Hofe Karls des Großen’, op. cit., an, indem er das Verhältnis der frühen karolingischen Kunst zu Italien und der griechisch geprägten Traditionslinie in der italienischen Kunst darlegte.
161 Brenk, Beat, Spolia from Constantine to Charlemagne, op. cit., Die Übertragung von Spolien sieht Brenk als Teil imperialer Legitimation, gewissermaßen steht die ‘translatio artium’ in direkter Beziehung zur ‘translatio imperii’ (S. 108). Er exemplifiziert das anhand der Reiterstatue des Theoderich, die Karl in der Aachener Pfalz aufstellen ließ. Spolien wurden in der Karolingerzeit somit (in erster Line) zu Bedeutungsträgern, was in der Spätantike noch nicht der Fall gewesen ist. Bedeutungsgehalte wurden wichtiger als der Materialwert. Zu genau gegenteiligen Schlüssen kam Heinrich Fichtenau, ebenfalls am Beispiel der Theoderichstatue: “Die Überführung des Reiterbildes geschah also nicht in erster Linie darum, weil Karl damit seinen Vorgänger als Beherrscher Italiens ehren wollte - davon meldet keine Quelle, wohl aber ist eine Äußerung des Kaisers bezeugt, die der hohen künstlerischen Qualität
des Denkmals galt [bei Agnellus]. Vor allem diese künstlerischen Qualitäten und nicht die Persönlichkeit des Dargestellten scheinen das Moment gewesen zu sein, das Karls Wahl bestimmte.” Fichtenau, Byzanz und Aachen, S. 51.
162 Vergl. D'Ononfrio, Mario, Roma e Aquisgrana, passim.
163 Fichtenau, Byzanz und Aachen, S. 41 ff.
164 Ebenda, S. 44f.
165 Ebenda, S. 51f.
166 Ebenda, S. 52.
167 Ebenda, S. 51.
168 Daßdie Verehrung Karls des Großen der künstlerischen Qualität des Theoderich-Reiterstandbildes galt, berichtet Agnellus im Liber pontificalis ecclesie Ravennatis (c. 95): “Karolus ... Ravenna ingressus est, videns pulcerrimam imaginem, quam nunquam similem, ut ipse testatus est, vidit, Franciam deportare fecit... ” (zitiert nach Fichtenau, op. cit, S. 51).
169 London, Victoria and Albert Museum (Vorderdeckel) und Rom, Vatikan, Museo Sacro (Rückendeckel).
170 Grape, op. cit., S. 12 ff.
171 Siehe dazu: Schnitzler, Hermann, Das Kuppelmosaik der Aachener Pfalzkapelle, in: Aachener Kunstblätter 29, 1964, S. 17- 44.
172 Siehe dazu: Bloch, Peter, Das Apsismosaik von Germigny-des-Prés. Karl und der Alte Bund, in: Karlswerk, Bd. 3, S. 234-261.
173 Vergl.: Schade, H., Die Libri Carolini und ihre Stellung zum Bild, in: Zeitschrift für katholische Theologie 79, 1957, S. 69 ff.
174 Wiederanders, Gerlinde, Die Auswirkungen des Bilderstreites auf die Entwicklung der Kunst im Karolingerreich. In: Irmscher, Johannes (Hrsg.), Der Byzantinische Bilderstreit. Sozialökonomische Voraussetzungen - ideologische Grundlagen - geschichtliche Wirkungen, Leipzig 1980, S. 149-159.
175 Siehe dazu: Bloch, Peter, Das Apsismosaik von Germigny-des-Prés, op. cit.
176 Ebenda, S. 260 f.
177 Paris, Bib. Nat., Ms.lat. 8850.
178 Paris, Bib. Nat., Ms.lat. 9428.
179 Vergl. Wiederanders, op. cit., S. 177.
180 Zitiert nach Wiederanders, loc. cit. (“Denn der Erinnerung wegen werden die Heiligen in Bildern dargestellt und verehrt, ja sogar angebetet als Diener Gottes.”); Quellenangabe ebenda.
181 Vergl. Berschin, Griech.-lat. Mittelalter, S. 163.
182 Grundlegend zur Pfalzanlage von Ingelheim: Rauch, Christian, Die Ausgrabungen der karolingischen Kaiserpfalz zu Nieder-Ingelheim, in: Quartalblätter des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen, N.F.V., 1911, S. 24 ff.; zu Aachen siehe die Aufsätze von L. Hugot, op. cit., und Felix Kreusch, Kirche Atrium und Portikus der Aachener Pfalz, in: Karlswerk, Bd. 3, S. 463-533.
183 Vergl. Krautheimer, Richard, The Carolingian revival of Early Christian architecture, in: The Art Bulletin 24, 1942, S. 1 ff.
184 Zusammengefaßt in dem Aufsatz von Günter Bandmann, Die Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle, in: Karlswerk Bd. 3, S. 424-462, (im folgenden zitiert als ‘Bandmann, Vorbilder’).
185 So bei J. Strzygowsky (1904 und 1936), vergl. Fichtenau, Byzanz und Aachen S. f.
186 Lehmann, Edgar, Die Architektur zur Zeit Karls des Großen, in: Karlswerk Bd. 3, S. 301-319, Zitat S. 304.
187 Die Empore ist ein altes Symbol für herrscherliche Architektur, ohne daßsie immer auch vom Herrscher genutzt werden mußte; das bloße Vorhandensein, wie es sich im Symbol des leeren Throns ausdrückt, sind Zeichen der Anspruchnahme. Emporen waren in den großen frühbyzantinischen Bauten Konstantinopels üblich, also der Hagia Sophia, der Kirche der Hll. Sergios und Bakchos, der Studios-Basilika, der Apostelkirche (wahrscheinlich, vergl. Venedig, San Marco), der Hagia Eirene usw. Eindeutig in diese Tradition gehört auch San Vitale in Ravenna.
188 Lehmann, op. cit., S. 304.
189 Fichtenau, Byzanz und Aachen, S. 25 ff.
190 Lehmann, op. cit., S. 307 f.
191 Wesentliche Unterschiede sind: In San Vitale wird das innere Oktogon durch einen Exedrenkranz gebildet, in Aachen sind die Oktogonseiten gerade abgeschlossen; die Oktogongestalt bestimmt in San Vitale Mantel- und Kernraum, während in Aachen jeder Ecke des Kernraums zwei des Mantelraums zugeordnet sind, so daßein Sechzehneck entsteht, das den Bau von außen fast wie eine Rotunde erscheinen läßt. Der Kernraum in Aachen ist zudem um einiges steiler als der von San Vitale, eine Wirkung, die wesentlich durch das substruktionsartige, schwere untere Arkadengeschoßerzeugt wird, über dem sich um so triumphaler die Hocharkaden mit den doppelstöckig eingestellten Säulen erheben. Dadurch wird gewissermaßen der Anschein einer doppelgeschossigen Empore erzeugt. Erd- und Emporengeschoßwerden somit in Aachen viel klarer baulich voneinander unterschieden und letztendlich in zwei Sphären unterteilt.
192 Siehe den Literaturüberblick bei Fichtenau, Byzanz und Aachen, S. 2 ff. und Bandmann, Vorbilder, passim.
193 Fichtenau, Byzanz und Aachen S. 51 f.
194 Ebenda, S. 7 f.
195 “In der Aneignung byzantinischer Reichs- und Staatssymbolik macht sich also eine gewisse Rivalität mit dem oströmischen Kaisertum bemerkbar, vergleichbar den Ideen, die Karl der Große wenige Jahrzehnte später in der Aachener Residenz und Pfalzkapelle verwirklichte. In Benevent handelt es sich allerdings um keine echte Rivalität, sondern um die Tendenz, in Süditalien Unabhängigkeit und Machtanspruch zu legitimieren und den jungen Staat dem großen Vorbild Byzanz anzugleichen. ” Belting, Studien zum beneventanischen Hof im 8. Jahrhundert, op. cit., S. 185.
196 Vergl. Fichtenau, Byzanz und Aachen S. 45f.
197 Matthias Untermann, Der Zentralbau im Mittelalter, Darmstadt 1989, S. 99.
198 Die Pfalzkapelle, das soll ganz besonders betont werden, ist trotz aller Zitate und Übernahmen vor allem eine originelle Neuschöpfung. Es treten hier Bauformen in der westeuropäischen Architektur erstmalig auf, die nicht als Übernahmen aus dem Osten zu erklären sind: An erster Stelle ist hier das achtteilige Klostergewölbe zu nennen, das eine reiche Nachfolge in der romanischen Architektur gefunden hat. Auch sind die doppelstöckigen eingestellten Säulen, die steigende Tonne als Emporengewölbe, das Umgangsgewölbe, in dem Kreuzgrat- und Dreistrahlgratgewölbe alternieren, die Steilheit des Raumes etc. als Inventionen oder zumindest neuartige Verwendungen alter Formen anzusehen. Durch die Kombination sehr unterschiedlicher Bauformen im Wandaufriß- wenn man so will, folgt das Unterschoßrömisch-antiker Bauart während das Obergeschoßmehr frühbyzantinischen Vorbildern verpflichtet ist - wird eine gänzlich eigene Wirkung erzeugt, die zum Ziel hat, den Bau nicht nur zu erhöhen, sondern ihn gleichsam zu ‘überhöhen’, die Kaiserempore in eine auch im geistigen Sinne ‘erhabene’ Sphäre zu versetzen.
199 Lange, Dorothea, Theorien zur Entstehung der byzantinischen Kreuzkuppelkirche, in: architektura 16, 1986, S. 93-113.
200 Vergl. auch: Schmuck, Norbert, Kreuzkuppelkirche, Artikel im Reallexikon der Byzantinischen Kunstgeschichte (Vorablieferung, Band noch nicht erschienen).
201 Siehe dazu Jammers, Ewald, Karl der Große und die Musik, in: Karl der Große - Werk und Wirkung, Ausstellungskatalog, Aachen 1965, S. 469-72.
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- Frank Purrmann (Author), 1993, Zur Frage der wechselseitigen Einflüsse in Geistesleben und Kunst zwischen Byzanz und dem Abendland im achten und neunten Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106181
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