Inhaltsverzeichnis:
Einleitung:
I. Die Studie “The Agenda-Setting Function of Mass Media” von McCombs/Shaw
1. Entwicklung der Agenda-Setting-Hypothese
2. Methodik und Vorgehensweise
3. Ergebnis der Studie: Agenda-Setting-Effekt
4. Kritik
II. Studie “Agenda-Setting, Agenda-Reinforcing or Agenda- Deflating? A Study of the 1990 German National Election” von Schönbach und Semetko
1. Ein weiterer Ansatz in der Themenstrukturierungs- hypothese
2. Methodik und Vorgehensweise
3. Ergebnisse
a) Agenda-Setting-Effekt
b) Kommunikationsvariablen
c) “Agenda-Deflating”
4. Kritik
III. Zusammenfassung:
Literaturverzeichnis
Einleitung:
Die Massenmedien sind in der heutigen Zeit ein bedeutender Faktor sowohl des privaten als auch des gesellschaftlichen Lebens geworden. Ein Alltag ohne Radio, Zeitung oder Fernsehen ist in den sogenannten Industriestaaten kaum mehr denkbar. Gerade auf der politischen Ebene spielen die Massenmedien die unersetzbare Rolle des Vermittlers: der Bürger ist auf die Berichterstattung der Massenmedien über politische Vorkommnisse angewiesen, wie es McCombs/Shaw (1972, S.176) formulierten: “The information in the mass media becomes the only contact many have with politics.”. Kaum einer kann noch persönliche Erfahrungen bei politischen Ereignissen vorweisen - außer vielleicht den Gang zur Urne bei den letzten Bundestagswahlen.
Die Frage nach der Wirkung der Massenmedien ist somit für jeden einzelnen in unserer Demokratie wichtig.
In der Fülle von Theorien, Hypothesen und Modellen über die Wirkung fällt die “Agenda-Setting-Hypothese” (Burkart 1995, S.240) besonders auf. Durch ihre Behauptung, daßdie Massenmedien festlegen, worüber die Menschen nachdenken (vgl. Schenk 1987, S.194), erhält sie politische Brisanz. Denn kann man nicht durch den Umfang und Häufigkeit der Berichterstattung über Themen die politische Diskussion beeinflussen, ja sogar Politik machen? Ist nicht auch die Art der Berichterstattung entscheidend, und nicht nur die Art oder Ausführlichkeit der Präsentation (vgl. Schönbach/Semetko 1992, S.837)?
Diesen Fragen anhand zweier Studien nachzugehen, nämlich der ersten Studie zu Agenda-Setting von McCombs/Shaw aus dem Jahre 1972 und einer Studie von Schönbach/Semetko über die Bundestagswahl 1990 in der BRD von 1992, die interessante Erweiterungen dieser Funktion aufdeckt, hat sich die vorliegende Arbeit zum Ziel gemacht.
I. Die Studie “The Agenda-Setting Function of Mass Media” von McCombs/Shaw
1. Entwicklung der Agenda-Setting-Hypothese
1 In der Diskussion um die Wirkung der Massenmedien gingen die Wissenschaftler bis Anfang der 70er Jahre nahezu uneingeschränkt von der sogenannten Kontroll- Hypothese (vgl. Schenk 1987, S. 194) aus, die - einfach ausgedrückt - den Massenmedien eine fast unumschränkte Machtposition im politischen und gesellschaftlichen Bereich einräumt. So wurde vermutet, daßdie Massenmedien nicht nur unser Verhalten beeinflussen, sondern sogar Einstellungswandel verursachen können; das ist ein Punkt, an dem z. B. die Persuasionsforschung (vgl. Schenk ebd.) ansetzt.
Eine neuartige, entscheidende Minimierung auf rein kognitive Effekte (vgl. Schenk ebd.) - also solche, die jegliche verstandesbetonte Wissensveränderung umfaßt - brachte Anfang der 70er Jahre eine Studie von Maxwell E. McCombs und Donald L. Shaw, die sie selbst mit der “Agenda-Setting Function of the Mass Media” (McCombs/Shaw 1972, S.176) umschrieben.
Diese Hypothese besagt, daßdie Massenmedien nicht bestimmen, was wir denken, sondern worüber wir denken:
“While the mass media may have little influence on the direction or intensity of attitudes, it is hypothesized that the mass media set the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes toward the political issues. ” (McCombs/Shaw ebd., S.177).
2. Methodik und Vorgehensweise
Bei dieser Studie befragten McCombs und Shaw während des Präsidentschaftwahlkampfes 1968 in den U.S.A. einmalig 100 noch unentschlossene Wähler einer Gemeinde in Chapel Hill, North Carolina. Diese wurden aus einer Wählerliste als Zufallsstichprobe ermittelt und möglichst “economically, socially, and racially representative of the community”(McCombs/Shaw ebd.) ausgewählt. Durch Filterfragen wurde sichergestellt, daßdie Befragten in der Wahlentscheidung noch nicht festgelegt waren. Allerdings tendierten 45 der 100 Befragten zu einer bestimmten Partei.
Den so ermittelten Personen wurde zwischen dem 18.September und dem 6.Oktober 1968 die folgende Frage vorgelegt: “What are you most concerned about these days? That is, regardless of what politicians say, what are the two or three main things which you think the government should concentrate on doing something about?”(McCombs/Shaw 1972, S.178).
Aus den verschiedenen Antworten wurde, nachdem Durchschnittswerte errechnet worden waren, eine Liste der Themen erstellt (vgl. McCombs/Shaw ebd., S.179), die die Befragten für sehr wichtig erachteten: die “Publikumsagenda”(vgl. Burkart 1995, S.241).
Gleichzeitig mit der Befragung führten die Wissenschaftler eine Inhaltsanalyse der Massenmedien durch, die in einem Vortest als diejenigen identifiziert wurden, von denen die Bewohner der Gemeinde hauptsächlich politische Information bezogen. Diese waren: vier lokale Zeitungen (Durham Morning Herald, Durham Sun, Raleigh News and Observer, Raleigh Times), drei überregionale Nachrichtenblätter (New York Times, Time, Newsweek) und die Abendnachrichten der Fernsehsender NBC und CBS (vgl. McCombs/Shaw 1972, S.178). Bei der Inhaltsanalyse wurde eine Klassifizierung in Haupt- und Nebenthemen vorgenommen; dieser Einteilung lagen genaue Schemata - die Berichterstattung betreffend - zugrunde (vgl. McCombs/Shaw ebd., S.178f.). Diese bezogen sich aber nur auf formelle Eigenschaften der Berichte, also z.B. welches Thema wie oft von wem erwähnt wird (vgl. McCombs/Shaw ebd.). Der Zeitraum der Inhaltsanalyse war auf den 12.September bis zum 6.Oktober 1968 beschränkt. Aus den hierbei ermittelten Daten wurden wiederum Durchschnittswerte gebildet und in eine Reihenfolge gemäßdes Umfangs der Berichterstattung gebracht (vgl. McCombs/Shaw ebd., S.179). So erstellten McCombs und Shaw auch eine “Medienagenda”(Burkart 1995, S.241).
3. Ergebnis der Studie: Agenda-Setting-Effekt
2 Beim Vergleich der Medienberichterstattung und ihres Umfangs betreffs der Hauptthemen mit der Einschätzung der Wichtigkeit durch die Befragten war die Übereinstimmung mit 96,7% sehr hoch: “The correlation between the major item emphasis on the main campaign issues carried by the media and voters’ independent judgements of what were the important issues was +.967.”(McCombs/Shaw 1972, S.180). Für die Nebenthemen kann sogar eine Übereinstimmung der beiden Rangskalen der Wichtigkeit - der der Medienberichterstattung und der des Publikums - von 97,9% festgestellt werden(vgl. McCombs/Shaw ebd., S.180f).
Zur weiteren Untermauerung des entdeckten Effekts stellten McCombs und Shaw fest, daßdie Agenda-Setting-Funktion stärker war als die selektive Wahrnehmung (McCombs/Shaw ebd., S.182), ein weiteres Wirkungskonzept der Massenmedien. Diese Hypothese besagt, daßMenschen “Botschaften im Sinne ihrer bestehenden Einstellungen interpretieren”(Burkart 1995, S.207) und somit Informationen, die nicht mit ihren Einstellungen konform gehen, quasi unterdrücken. So wurden die Themenprioritätenlisten der vorher erwähnten Wähler mit Tendenzen zu bestimmten Parteien mit der allgemeinen Medienagenda verglichen und dabei eine sehr hohe Übereinstimmung festgestellt (vgl. McCombs/Shaw 1972, S.182). Eine Themenliste der Nachrichtenmeldungen, die sich nur auf die jeweils bevorzugte Partei oder den bevorzugten Kandidaten bezogen, erbrachte nicht so starke Korrelationen zur Agenda der Wähler mit Partei-/Kandidatenvorlieben (vgl. McCombs/Shaw ebd.). Somit scheint der Agenda-Setting-Effekt nicht nur vorhanden, sondern sogar stärker als ein anderer Wirkungsansatz, nämlich der der selektiven Wahrnehmung zu sein.
4. Kritik
Diese Pionierleistung der “Pilotstudie” (Ehlers 1983, S.167) kann und will nicht geschmälert werden, jedoch weist sie einige methodische Mängel auf, die durchaus auch Einflußauf das Ergebnis der Analysen hatten (vgl. Ehlers ebd., S.167f.).
Zunächst wird McCombs und Shaw vorgeworfen, mit einem zu kleinen Sample von Befragten gearbeitet zu haben. Außerdem erstrecke sich die Inhaltsanalyse auf einen zu kleinen Zeitraum, und die Daten seien unzureichend, nämlich nur aggregiert ausgewertet worden, so daßder Effekt auf die Individual-Agendas noch nicht untersucht wurde. Zudem läßt die Definition der verwendeten Begriffe zu wünschen übrig: unter ‘issue’(vgl. Ehlers ebd.) lassen sich mehrere Bedeutungen finden. Eine weitere schwerwiegende Unterlassung liegt bezüglich der Mediennutzung vor: so erhoben McCombs und Shaw weder die normalerweise vorliegende Nutzung der Medien durch die Befragten noch die im besonderen Zeitraum der Befragung selbst.
Auch wurden im weiteren Verlauf der Agenda-Setting-Forschung viele einflußnehmende Komponenten, u.a. Publikums- oder andere intervenierende Variablen, entdeckt (vgl. Schenk 1987, S.223ff), bzw. sogar die Frage aufgeworfen, ob nicht die Publikumsagenda die Medienagenda bestimme (vgl. Burkart 1995, S.241f). Doch das Vorhandensein eines gewissen Agenda-Setting-Effekts, wenn auch in stark modifizierter Form, ist heute relativ unbestritten. Daher rührt die Bedeutung der eben behandelten Studie.
II. Studie “Agenda-Setting, Agenda-Reinforcing or Agenda-Deflating? A Study of the 1990 German National Election” von Schönbach und Semetko
1. Ein weiterer Ansatz in der Themenstrukturierungshypothese
3 Die Studie “Agenda-Setting, 4 Agenda-Reinforcing or Agenda-Deflating?...” von Schönbach und Semetko (1992, S.837-846) über die Bundestagswahl 1990 in der BRD erweitert nun diese Hypothese der Themenstrukturierung, wie sie McCombs und Shaw formulierten, und stellt neben die Thematisierungs- und Themenstrukturierungsfunktion (vgl. Schenk 1987, S.199) noch eine weitreichende differenziertere Funktion, die sie als “Agenda-Deflating” (Schönbach/Semetko 1992, S.837) bezeichnen.5 Dabei gehen Schönbach/Semetko davon aus, daßnicht nur das Maßund der Umfang bzw. die Art der Präsentation eines Themas über den Wichtigkeitsgrad desselben beim Publikum entscheidet, sondern auch der Ton, die Grundhaltung der Beiträge in den Themenstrukturierungseffekt mit einwirken kann (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.837ff).
2. Methodik und Vorgehensweise
Zunächst führten Schönbach/Semetko eine Inhaltsanalyse der 11 weitverbreitesten Zeitungen (z.B. “... Bild,... Frankfurter Allgemeine Zeitung,... Sueddeutsche Zeitung... ” ; Schönbach/Semetko ebd., S.839) und der Abendnachrichten der vier wichtigsten Fernsehsender (ARD, ZDF, SAT.1 und RTL; Schönbach/Semetko ebd.) durch. Somit wurden etwa 10.000 politische Artikel und die Sendungen mit bis zu fünf Themen pro Beitrag kodiert (vgl. Schönbach/Semetko ebd.). Die nach Themen geordneten Daten fassen sie wochenweise zusammen. Der zeitliche Rahmen war mit insgesamt 8 Wochen, also die erste Oktoberwoche bis einschließlich der letzten Novemberwoche, weit bemessen.
Gleichzeitig dazu wurde eine repräsentative Umfrage im Panel-Design angewendet. 892 wahlberechtigten westdeutschen Bundesbürgern wurde zu zwei verschiedenen Zeitpunkten telephonisch folgende Frage vorgelegt: “What in your opinion is the most important problem facing the country today?” “And is there a second one?” (Schönbach/Semetko ebd., S.838). Die erste Befragung fand zwischen dem 22. und 26.Oktober 1990 statt, die zweite zwischen dem 19. und 23.November 1990.
3. Ergebnisse
a) Agenda-Setting-Effekt
Aus den Daten kann eine Publikumsagenda festgestellt werden, die als die zwei wichtigsten Themen zu beiden Zeitpunkten der Befragung die ‘Wiedervereinigung’ bzw. ‘deutsche Einheit’ und das Thema ‘Umwelt’ erbringt (Schönbach/Semetko ebd., S.839). In ihrer gesamten folgenden Analyse beziehen sich Schönbach und Semetko auf die Themen ‘Umwelt’ und ‘ehemalige DDR bzw. Situation in der ehemaligen DDR’, die beide hohe Fluktuationsraten und auffallende Veränderungen in der Gewichtung durch das Publikum im Zeitverlauf aufweisen (vgl. Schönbach/Semetko ebd.). Nach Aggregation der gesammelten Daten zu den speziellen Themen - also ‘Umwelt’ und ‘ehemalige DDR’ - vergleichen Schönbach und Semetko diese mit den Beiträgen zu den Themen. Dabei stellen sie parallele Entwicklungen fest: “This comparison revealed parallel developments in the media agenda and the public agenda.” (Schönbach/Semetko ebd., S.841). Auffallend ist, daßgerade in den Befragungswochen die Wichtigkeit der Themen beim Publikum und die Intensität der Berichterstattung korrespondieren (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.840). Die Wahrnehmung des Themas ‘ehemalige DDR’ als wichtig beim gesamten Publikum zeigt eine sehr große Entsprechung zu der Berichterstattung der Medien: In der ersten Woche der Befragung war die Berichterstattung relativ hoch; es wurden 277 Beiträge dazu in den Medien verbreitet. Entsprechend befanden 19% der Befragten dieses Thema für wichtig. Dieser Prozentsatz sank auf 13% bei der zweiten Befragung, wie auch die Berichterstattung darüber in allen Medien auf 149 Beiträge insgesamt zurückging (Schönbach/Semetko ebd., Figure 1). Die Vermutung eines kurzfristigen Agenda-Setting-Effekts drängt sich hier förmlich auf. Schönbach und Semetko erhoben auch Mediennutzungsdaten - siehe unten - , so daßeine Wirkung der Medien im Sinne der Agenda-Setting-Hypothese gesichert scheint.
b) Kommunikationsvariablen
Um festzustellen, ob die Ergebnisse der Agendas nur zufällig übereinstimmen, oder ob Interesse und Nutzung der Medien wirklich vorlagen (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.841), wurden bei der Befragung auch sog. “communication variables” (Schönbach/Semetko ebd.) abgeklärt. Durch sie erhoben Schönbach und Semetko die regelmäßige Mediennutzung allgemein, die Häufigkeit von Gesprächen über den Wahlkampf und ob politische Werbung irgendeiner Form rezipiert wurde. Die Verfasser unterscheiden sehr deutlich zwischen “Exposure” (Schönbach/Semetko ebd.), also dem reinen Ausgesetztsein bezüglich eines Beitrags bzw. Gesprächen, und dem “interest in or attention to political information” (Schönbach/Semetko ebd.), also dem Interesse gegenüber der politischen Information und der Aufmerksamkeit, die der politischen Berichterstattung gewidmet wurde. Damit richten sie den Schwerpunkt dieses ersten Analyseschrittes auf Mediennutzung und Interessensschwerpunkte des Publikums (vgl. Schönbach/Semetko ebd.).
Nun filtern die Verfasser der Studie die wichtigsten der oben ermittelten Variablen bezüglich der beiden zu betrachtenden Themen der Publikumsagenda, nämlich ‘Umwelt’ und ‘ehemalige DDR’, heraus, indem sie jeglichen errechneten, vermuteten kausalen Einflußdurch die Variablen auf die Abweichung vom Mittelwert unter ein Prozent als zu niedrig ausschließen (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S. 842). Die so ermittelten Kommunikationsvariablen ‘mit Bedeutung’ sind zum einen das Interesse an regelmäßiger Fernsehberichterstattung über Politik - was hier nicht weiter betrachtet werden soll - , zum anderen “exposure to the campaign coverage in Bild...during the early part of the campaign” (Schönbach/Semetko ebd., S.843), also das Verfolgen der Anfangsphase des Wahlkampfes in der Boulevardzeitung Bild.
c) “Agenda-Deflating”
6 Gerade diese zweite Kommunikationsvariable - die Bildberichterstattung - zeigte im Hinblick auf das Thema ‘ehemalige DDR’ auffallende Tendenzen (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.843f).
Die Leser der Bildzeitung zeigen nämlich eine erstaunliche Umkehrung dieses auch hier vermuteten Agenda-Setting-Effekts: Obwohl zwar die Berichterstattung in der Zeitung Bild über das Thema ‘ehemalige DDR’ den gesamten Wahlkampf lang relativ hoch war - pro Woche im Durchschnitt etwa 12 Artikel (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.845) - und häufig sogar Titelstories darunter waren (vgl. Schönbach/Semetko ebd.), bemaßen die befragten Bildleser dem Thema bei der ersten Befragung deutlich mehr Wichtigkeit (18%) bei als bei der zweiten (nur noch 7%; vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.843). Allerdings gehen Schönbach und Semetko bei den vorigen Vergleichsdaten von 3 rein quantitativen bzw. Plazierungskriterien bei ihrer Inhaltsanalyse aus:
“...the total number of political stories each week in which the situation in the former GDR featured as a topic, the number of such stories which were very long (220 sq. cm. or about the equivalent of 25 square column inches) and the number of such stories on the front page of the newspaper...” (Schönbach/Semetko ebd.).
Dies kann aber nicht den Rückgang der Wichtigkeitseinschätzung trotz ausführlicher Berichterstattung erklären. Nun widmeten die Redakteure von Bild zwar viele Artikel dem Thema ‘Situation in der ehemaligen DDR’, oft sogar auf der ersten Seite, aber hervorstechend ist vor allem eine Serie von Beiträgen mit dem Titel “Das Wunder wird sich weiderholen [sic]” (Schönbach/Semetko ebd., S.844), die vom 17. bis 24.Oktober 1990 gebracht wurde. In dieser Serie war aber die Berichterstattung durchwegs optimistisch gehalten und mit positiven Vorhersagen betreffs der wirtschaftlichen Lage gespickt (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.844f), so daßdie Leser, so Schönbach und Semetko, nur den Eindruck gewinnen konnten, daßdie Situation in den fünf neuen Bundesländern nicht mehr so brisant ist, also dieses Thema kein politisches Problem mehr darstellt. Diesen Effekt, daßdurch den Ton, die Art der Berichterstattung eine Minderung der Wichtigkeit des Themas beim Publikum bewirkt werden kann, bezeichnen sie als “Agenda-Deflating” (Schönbach/Semetko ebd., S.837).
4. Kritik
Obwohl Schönbach und Semetko sich bei ihren Analysen und Ergebnissen hauptsächlich auf zwei spezielle Themen konzentrieren, nennen sie keine absoluten Zahlen der beiden Rezipientengruppen, auf die sie sich beziehen. So ist es nicht möglich, dem Aufsatz die genaue Anzahl der Bild-Leser zu entnehmen, wobei dies bei 892 Befragten interessant zu wissen wäre. So ist die Schlüssigkeit der Ergebnisse nicht vollständig nachvollziehbar und vor allen Dingen akzeptierbar, da die Erhebungsdaten in diesem doch entscheidenden Punkt der Auswertung nicht zur Verfügung stehen. Da nun dieser - doch gewagt vermutete - Effekt des “Agenda- Deflatings” (Schönbach/Semetko ebd.) als signifikant dargestellt wurde, müssen unbedingt nachfolgende Studien vorgenommen werden, so daßihre Ergebnisse mit weiteren fundierten empirischen Beweisen die These unterstützen.
III. Zusammenfassung:
Auch wenn ein großer Zeitraum zwischen den beiden betrachteten Studien liegt, hängen sie doch stark zusammen. McCombs und Shaw steht natürlich unbedingt die Anerkennung zu, als erste in dieser Richtung gedacht und geforscht zu haben - was eine nicht zu unterschätzende Leistung ist - und damit die Thematisierungs- und Themenstrukturierungsfunktion (vgl. Schenk 1987, S.199) der Massenmedien empirisch untermauert zu haben. Diese kann ihnen trotz der oben angesprochenen Kritikpunkte keinesfalls abgesprochen werden.
Schönbach und Semetko konnten sich der Thematik differenzierter widmen, auf viele frühere Forschungsergebnisse zurückgreifen und natürlich - was wohl am schwersten wiegt - auf die weiterentwickelten Forschungsmethoden, Studiendesigns und generellen Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung und Lehre aufbauen.
So wandten sie für ihre Arbeit das Panel-Design an (vgl. Schönbach/Semetko ebd., S.837) - im Gegensatz zur einmaligen Befragung bei McCombs und Shaw. Auch eine größere Anzahl von Befragten konnte ihrer Studie nur zuträglich sein.
Die ähnliche Fragestellung an die Interviewten (s.o.) bringt im jeweils aggregierten Vergleich der Medien- mit der Publikumsagenda einen recht eindeutigen Beweis für einen Themenstrukturierungseffekt der Massenmedien (s.o.). Doch wo McCombs und Shaw sich auf die Agenda-Setting-Funktion beschränken, denken Schönbach und Semetko einen Schritt weiter und beziehen in eine differenziertere Analyse auch den Aspekt des Tons, der Position der Berichterstattung mit ein. Durch positive Berichterstattung über ein Thema wird also durch die Massenmedien die Wahrnehmung der Rezipienten dahingehend beeinflußt, daßdas Publikum das Thema weniger stark bzw. sogar kaum mehr als Problem wahrnimmt.
Dieser Effekt ist dem Individuum vielleicht von der Lebensauffassung ‘Think positive!’ geläufig - in der Politik könnte dieser Effekt leicht zur Schönfärberei verleiten. Kehrt man den Schlußum, stellt man die Behauptung auf, daßein Thema, ungeachtet seiner Brisanz, Aktualität oder Wichtigkeit, durch die Massenmedien zur Lappalie abgestempelt werden kann. Auch diese Richtung der Thematisierungsthese ist bestimmt weiterer Forschung wert.
So gilt es nun für die Macher der Massenmedien - falls diese Position so eindeutig zu bestimmen ist - , sich nicht für Propagandazwecke mißbrauchen zu lassen und ihrem Auftrag gerecht zu werden, der besagt, dem Bürger möglichst objektive Informationen über das, was politisch geschieht, zukommen zu lassen - im vollen Bewußtsein dessen, welche Wirkungen ihre Beiträge hervorrufen können.
Somit sind Agenda-Setting (vgl. McCombs/Shaw 1972, S.176ff) und Agenda- Deflating (vgl. Schönbach/Semetko 1992, S.837ff) als Wirkungskonzepte der Massenmedien - neben vielen anderen - unbedingt weiterhin zu beobachten und erforschen.
Literaturverzeichnis:
Burkart, Roland (1995), Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. (2. Auflage) Wien u.a.
Ehlers, Renate (1983), Themenstrukturierung durch Massenmedien. Zum Stand der empirischen Agenda-Setting-Forschung. Publizistik, 28/1983, S. 167-186
McCombs, Maxwell E./ Shaw, Donald L. (1972), The Agenda-Setting Function of Mass Media. In: Public Opinion Quarterly, Vol. 36/1972, S. 176-187
Schenk, Michael (1987), Medienwirkungsforschung. Tübingen
Schönbach, Klaus/Semetko, Holli A. (1992), Agenda-Setting, Agenda-Reinforcing or Agenda-Deflating? A Study of the 1990 German National Election. In: Journalism Quarterly, Vol. 69/4/1992, S. 837-846
[...]
1 Vgl. McCombs/Shaw 1972, S.176-187.
2 Vgl. McCombs/Shaw 1972, S.182.
3 Vgl. Schönbach/Semetko 1992, S.837-846.
4 Anmerkung: Im folgenden wird die Studie in groben Schritten nachvollzogen; daher ergibt sich eine starke Anlehnung an die Darstellung von Schönbach/Semetko.
5 Anmerkung: Die weitere Vermutung Schönbachs und Semetkos, die Agenda-Reinforcing-These, soll hier nicht weiter erörtert werden.
6 Schönbach/Semetko ebd., S. 837
- Quote paper
- Caroline Otto (Author), 1997, Agenda-Setting - Agenda-Deflating: Zwei verwandte Ansätze in der Medienwirkungsforschung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106165
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