In der Arbeit werden einige Zugänge zur Umweltethik erläutert, teilweise kritisch betrachtet und vor allem verglichen. Zunächst soll Martin Gorkes Forschung untersucht werden. Er versucht die Frage zu beantworten, welche Teile der Umwelt moralisch berücksichtigt werden sollten und damit zusammenhängend differenziert er zwischen Eigen- und Nutzwert der Natur. Sein Artikel wurde 2004 in einer Broschüre des deutschen Naturschutzbundes veröffentlicht. Anschließend wird Arne Naess‘ „Deep Ecology“-Bewegung vorgestellt und seine Argumentation erläutert. Angelika Krebs soll mit ihrem Zugang der Umweltästhetik als Gegenposition zu Naess und Gorke untersucht werden. Als letzte Position wird Bruno Latours Idee des flows genauer betrachtet. Der Begriff mag zu Beginn noch befremdlich klingen, soll aber zum späteren Zeitpunkt genauer erläutert werden. Latours Zugang bietet einen geeigneten Abschluss, der einige Ansätze der oben genannten Philosophen aufgreift, aber dennoch neue Untersuchungen vorstellt und mit einem metaphorischen Beispiel den Leser*innen seine Idee nahebringt.
Einführung
Die Umweltethik ist ein Teilgebiet der Philosophie, die in unseren heutigen Zeiten wichtiger denn je scheint. Man braucht nur kurze Zeit in den sozialen Medien zu verbringen um auf diverse Artikel, Videos oder Bilder zu stoßen, die aussterbende Tierarten, brennende Wälder und weitere erschreckende Darstellung unserer Natur zeigen. Weltweit gehen Menschen nun seit Jahren auf die Straße und kämpfen für mehr Umweltschutz. Es steht fest, sie fordern einen Umgang mit der Natur, der sich nicht in der Befriedigung der Menschen erschöpft. Auch die Umweltethik fragt nach einem gelungenen Umgang mit der Natur und wie wir ihn verbessern können. Die Umweltethik ist, verglichen mit anderen Bereichen der angewandten Ethik, noch ein relativ neuer Bereich. Schaut man sich allerdings die aktuelle Situation auf unserem Planeten an, liegt es auf der Hand, dass es an der Zeit ist sich intensiv mit der Umweltethik zu befassen, und unseren Umgang mit der Natur kritisch zu hinterfragen.
Wie in jedem Bereich der Philosophie gibt es mehr als nur einen Zugang zur Umweltethik. Philosoph*innen aus den verschiedensten Ländern, nahmen und nehmen sich dem Thema an. Verschiedene Ansätze sind das Resultat. Einige weisen gewisse Überschneidungen auf, andere könnten unterschiedlicher nicht sein.
In der folgenden Arbeit sollen einige dieser Zugänge erläutert, teilweise kritisch betrachtet, und vor allem verglichen werden. Zunächst soll Martin Gorkes Zugang untersucht werden, der versucht die Frage zu beantworten, welche Teile der Umwelt moralisch berücksichtigt werden sollen und damit einhergehend zwischen Eigen- und Nutzwert der Natur differenziert. Sein Artikel wurde 2004 in einer Broschüre des deutschen Naturschutzbundes veröffentlicht. Anschließend wird Arne Naess‘ „Deep Ecology“ Bewegung vorgestellt und seine Argumentation erläutert. Angelika Krebs soll mit ihrem Zugang der Umweltästhetik als Gegenposition zu Naess und Gorke untersucht werden. Als letzte Position wird Bruno Latour’s Idee des flows genauer betrachtet. Der Begriff mag zu Beginn noch befremdlich klingen, soll aber zum späteren Zeitpunkt genauer erläutert werden. Meines Erachtens stellt Latour‘s Zugang einen guten Abschluss dar, der einige Ansätze der oben genannten Philosophen aufgreift, aber dennoch neuen Input bringt und mit einem metaphorischen Beispiel den Leser*innen seine Idee nahebringt.
Eigen- und Nutzwert der Natur
Die Differenzierung zwischen Eigen- und Nutzwert der Natur ist für die Umweltethik eine Essenzielle. Schreibt man der Natur einen Nutzwert zu, werden deren Werte nur angestrebt, um andere Werte verwirklichen zu können.1 Sieht man den Wert eines Schweines beispielsweise nur darin, dass es zur Nahrung der Menschen werden kann, wäre das ein klassisches Beispiel, das in dem Wert der Natur, in diesem Fall des Schweins, nur den Nutzen der Menschen sieht. Nur wenige Umweltphilosoph*innen schreiben der Natur den Nutzwert im klassischen Sinne zu. Der Großteil plädiert dafür, der Natur einen Eigenwert zuzuschreiben. So auch der Philosoph Martin Gorke, der in seiner Broschüre für den NABU Eigenwerte als Werte definiert „die es um ihrer selbst willen zu respektieren gilt“2. In unserem Beispiel hätte das Schwein also nicht nur einen Wert, der sich darin erschöpft als Nahrung gesehen zu werden, sondern einen Wert, den es um seiner selbst willen zu respektieren gilt. Das Leben des Schweines an sich wäre dieser Auffassung zu Folge wertvoll, ganz unabhängig davon, welchen Nutzen wir Menschen daraus ziehen können. Es stellt sich allerdings die Frage, wem alles ein Eigenwert zuzuschreiben ist. Diese Fragestellung sieht Gorke als zentrale Frage der Umweltethik.3 Als Antwort auf diese Frage ist in der Broschüre des NABUs der Holismus zu finden. Die holistische Umweltethik schreibt nicht nur den Menschen, sondern der gesamten Natur einen Eigenwert zu. Dazu zählen auch unbelebte Materien, Arten, Ökosysteme und die Biosphäre. Durch die Zuschreibung eines Eigenwertes können all diese Teile der Natur potenziell zu moralischen Objekten werden und es liegt damit in der Verantwortung der Menschen, diese zu schützen und nicht für die Zwecke der Menschheit zu missbrauchen. Der Holismus beugt mit der Zuschreibung des Eigenwerts vor, dass es möglich ist, ein Naturwesen aus der Moralgemeinschaft auszuschließen.4 Nun mögen schnell Zweifel aufkommen, wie es möglich sein soll, zu überleben, ohne in Ökosystem einzugreifen. Schließlich tun wir das seit Beginn der Menschheit täglich. Auch hier versucht Gorke durch die „Umkehr der Begründungslast“ eine Antwort zu finden. Die holistische Umweltethik bedingt nun, dass jeder Eingriff der Menschen in die Natur begründet und rechtfertigt werden muss. Ein Eingriff in die Natur ist weniger gerechtfertigt, wenn er keine Notwendigkeit ist, oder für die Existenz der Menschen nicht von Relevanz. Luxusinteressen, wie beispielsweise Pelzmäntel, wären nicht mehr zu rechtfertigen. Die Umkehrung der Begründungslast liegt also darin, dass der Mensch nicht mehr davon ausgehen kann, dass die Natur unbegrenzt verfügbar ist, und begründet werden muss, warum diese Verfügbarkeit eingeschränkt werden soll, sondern, dass die Natur prinzipiell nicht zur Verfügung steht, und die Verfügung über die Natur und die damit einhergehenden Eingriffe gerechtfertigt werden müssen.5
Als Konsequenz der holistischen Umweltethik sieht Gorke, dass sich durch das Zuschreiben des Eigenwerts eine Veränderung der Einstellung zur Natur ergibt. Des Weiteren wird der Eindruck vermieden, egoistische Argumente (in diesem Fall Nutzwerte der Natur) seien die stichhaltigsten.6 Damit erweitert er das Wirken der holistischen Umweltethik auf die allgemeine Ebene der Argumentation, und es erweckt den Eindruck als kritisiere er den Egoismus der Menschheit nicht nur im Umgang mit der Natur.
Gorkes Argumentation für den Holismus scheint zunächst sehr schlüssig. Jedoch sehe ich ein Problem darin immer eindeutig zu entscheiden wo die Grenzen des Nutzens liegen und welches Nutzen gerechtfertigt ist. Ist beispielsweise das Fellen vieler Bäume gerechtfertigt, um Papier herzustellen, auf das Studierende ihre Notizen schreiben, oder Kinder sich am Zeichnen versuchen? Oder wäre es im Sinne der holistischen Umweltethik vertretbarer auf Tafeln zu schreiben und somit die Bäume zu schützen?
Zudem kommt die Frage hinzu welche Art ein Bleiberecht hat, kommt es zur Gefährdung einer anderen Materie der Natur. Seit den 1990er Jahren tritt vermehrt der Asiatische Laubholzbockkäfer in den Wäldern Europas und Amerikas auf. Er stellt großen Schaden bei Bäumen an und kann sogar zu ihrem Absterben führen. Nach der holistischen Umweltethik hat sowohl der Käfer als auch der Baum einen Eigenwert, und keiner ist mehr wert als der andere. Auf die Frage, ob nun der Käfer ein Bleiberecht hat, und die Bäume absterben, oder ob der Käfer bekämpft wird und die Bäume erhalten bleiben sollen, kann der Holismus meines Erachtens keine befriedigende Antwort geben. Es bleibt also das Problem des Grenzen Ziehens und des Abwägens welcher Materie in welchem Fall Vorrang gegeben wird.
Auch der Umweltwissenschaftler und Autor Michael P. Nelson übt Kritik an der holistischen Umweltethik. Er kritisiert vor allem, dass keine Einigung über die Existenz des Holismus besteht.7 Nelson fordert daher eine umfassendere Darstellung des Grundkonzepts des Holismus und will die verschiedenen Holismus Begriffe definieren und verstehen.8
Naess‘ „Deep Ecology“
Auch der norwegische Philosoph Arne Naess unterstellt den Menschen im Umgang mit der Natur in gewisser Weise einen egoistischen Umgang. Allerdings auf einer anderen Ebene als Martin Gorke. Naess unterstellt den Menschen zunächst die Anmaßung der „criterion of the existence of things“9 zu sein. Er differenziert zwischen primären, sekundären und tertiären Qualitäten. Die Eigenschaften, die in Dingen selbst zu finden sind, unabhängig von unserer Wahrnehmung, nennt er primäre Qualitäten. Ihre Existenz weist er allerdings im klassischen Sinne zurück. Er geht viel eher davon aus, dass es die sekundären und tertiären Qualitäten sind, die uns annehmen lassen, wir können Aussagen über die Existenz von Dingen treffen. Dinge haben die Kraft in uns Menschen Ideen hervorzurufen. Taucht man seine Hand in Wasser empfindet man es als kalt oder warm. Naess vertritt die These, dass die Temperatur des Wassers keine primäre Qualität ist, sondern eine sekundäre. Das Wasser hat die Kraft etwas in uns auszulösen das uns eine bestimmte Temperatur empfinden lässt. Diese Kräfte sind die sekundären Qualitäten. Wie wir das Wasser wahrnehmen, hat nichts mit dem Wasser an sich zu tun, sondern mit dem Zustand des sensitive beings 10. Somit hat das Wasser alle Qualitäten und wir können keine Aussagen über das Wasser selbst treffen, da wir immer von unserem Zustand geleitet sind und er es ist der bestimmt, wie wir Dinge erfahren.11 Die sensitive beings sind nur in der Lage eine limitierte Anzahl aller Qualitäten zu erfahren. Unter tertiären Qualitäten versteht Naess Eigenschaften eines Objekts, die in einem anderen Objekt Reaktionen hervorrufen. Beschreibt man beispielsweise einen Fluss als friedlich oder eine Landschaft als beruhigend, wäre das ein Beispiel einer tertiären Qualität. Nicht der Fluss an sich ist friedlich, aber die Wirkung, die er in Menschen erreicht. Naess selbst beschreibt die tertiären Qualitäten als „in der Wahrnehmung komplex“12. Aussagen, die wir sowohl über sekundäre als auch tertiäre Qualitäten treffen, sind Aussagen über das eigene Wahrnehmen. Aussagen über primäre Qualitäten hingegen bezeichnet Naess als Aussagen über die Realität. Da es uns Menschen aber nicht möglich ist, Aussagen zu treffen, die über unsere Wahrnehmung hinausgehen, ist es uns nicht möglich die Realität von Dingen zu erkennen und zu bestimmen.13 Darin liegt der Egoismus der Menschen. Wir erkennen nur Dinge als real an, die wir meinen, bestimmen zu können. Das Ding an sich (die vermeintliche Realität) ist laut Naess somit nur eine Abstraktion. Zudem vertritt Naess die These, dass Dinge immer nur in Relation mit anderen Dingen existieren können, was als weiteres Argument für das Nicht Existieren der „Dinge an sich“ zu sehen ist.14 Unsere verschiedenen Realitäten sind die erfahrenen Qualitäten, die wir mit der Natur gemacht haben. Dadurch hat jeder über verschiedene Arten der Beziehung einen eigenen Zugang zur Natur.15
Naess plädiert dafür, die primären Qualitäten nach dem klassischen Verständnis zurückzuweisen. Mit ihnen könne man keine Naturschutzbegründung liefern und es gäbe keinen adäquaten Grund, die Natur nicht als bloße Ressource zu betrachten. Durch die Zuschreibung der primären Qualitäten, die durch uns geschieht, fehlt es uns an jeglicher Ehrfurcht gegenüber der Natur.16 Die fehlende Ehrfurcht wird benötigt, um eine positive Beziehung zur Natur aufzubauen. Mit seiner „Deep ecology“ Bewegung versucht Naess einen Weg zu finden, diese positive Beziehung zu erlangen, und mit ihr für den Umweltschutz zu plädieren.
Um aber noch einmal darzulegen, wieso die Analyse der verschiedenen Qualitäten für Naess so wichtig ist, soll ein Beispiel herangezogen werden, das Naess in seinem Text erläutert. Redet man über die Bebauung eines Waldes hat man möglicherweise den Bauunternehmer, der eine Straße durch den Wald bauen will und eine Umweltaktivistin, die das „Herz“ des Waldes schützen will. Der Bauunternehmer versteht unter dem „Herz des Waldes“ allerdings das geometrische Zentrum und ist der Überzeugung man könne es schützen, indem man die Straße um das vermeintliche geometrische Zentrum herumbaut. Hier zeigt sich deutlich das Problem der verschiedenen Realitäten, die durch die sekundären und tertiären Qualitäten bedingt werden. Für die Umweltschützerin ist das Herz die Qualität und die Realität des Waldes, die sich in verschiedenster Weise äußern kann und sich als komplexe Gestalt mit einer Vielzahl von Inhalten zeigt. Für den Bauunternehmer ist die Realität lediglich die „abstrakte geographische Struktur“ und die Ansammlung von Bäumen. Somit sieht er keinen Grund den Wald schützen zu müssen.17 Allerdings ist es dem Bauunternehmer auch nicht vorzuwerfen, da wir unter der jetzigen Welt der Begriffe immer noch darüber diskutieren können was man für ein Verhältnis zur Natur hat.
[...]
1 NABU S. 4
2 NABU S. 4
3 NABU S. 5
4 NABU S. 10
5 NABU S. 12
6 NABU S. 14 ff.
7 S. 34 Naelson
8 S. 39 ff.
9 S. Arne Naess, “The World of Concrete Contens”, The Trumpeter, Vol22, no. 1, 2006, S. 44.
10 Vgl. Naess, A., 2006, S. 44.
11 Vgl. Naess, A., 2006, S. 44.
12 S. 5 Naess 2
13 S. 5
14 Vgl. Naess, A., 2006, S. 45.
15 S. 7
16 Vgl. Naess, A., 2006, S. 49.
17 Vgl. Naess, A., 2006, S. 50+51. SL S. 8
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