Leben für die Gemeide - Andenken an die jüdische Arztfamilie Levi aus Pfalzgrafenweiler


Presentation / Essay (Pre-University), 2001

12 Pages, Grade: 1


Excerpt


Leben für die Gemeinde

Zum Andenken an die jüdische Arztfamilie Levi aus Pfalzgrafenweiler

Von Andreas Hirling

Einleitung

Für den Kreis Freudenstadt werden in der Stuttgarter Boykottbroschüre neun Juden genannt, unter Ihnen Julius und Adolf Levi.1 In der Einleitung diese Hetzbroschüre heißt es:

„Was hat die Emigranten- und sonstige Judenpresse...nicht alles zusammengeschmiert über angebliche Judenverfolgungen in Deutschland. Wer diesen Lügen glauben wollte, müsste annehmen, dass es zu den Gewohnheiten des deutschen Volkes gehörte, jüdische Geschäfte zu plündern und arme unschuldige Juden totzuschlagen. Und was geschieht in Wirklichkeit? Kein Mensch tastet den Juden an, wenn er sich den neuen Gesetzen unseres Lebens fügt, wenn er begriffen hat, dass wir nichts anderes als die reinliche Scheidung seiner und unserer Art wollen. Man nimmt ihm weder sein Eigentum noch sein Leben, auch seine Freiheit ist nicht bedroht, solange er die Grundsätze des nationalsozialistischen Staates respektiert.“2

Das Jahr 2001 ist in doppelter Hinsicht ein Jubiläumsjahr, das Sanitätsrat Dr. Julius Levi gewidmet werden sollte. Erstens ist er seit 100 Jahren Ehrenbürger der Gemeinde Pfalzgrafenweiler und zweitens wäre Sanitätsrat Dr. Julius Levi in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden.

Die Beschäftigung mit diesem Thema war längst überfällig. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich an Familie Levi erinnern können, von denen allerdings nur die wenigsten bereit waren, sich hierzu zu äußern, so dass weitgehend auf schriftliche Quellen zurückgegriffen werden musste.

Es gab neben dem unermüdlichen Bemühen der Nachkommen Julius Levi natürlich auch viele Ansätze, dem Schicksal der Levis gerecht zu werden. Erst der Schwarzwaldverein Pfalzgrafenweiler versuchte sich ernsthaft für ein Gedenken an sein Gründungsmitglied einzusetzen. In seiner Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Schwarzwaldvereins Pfalzgrafenweiler schrieb Friedrich Haug: „Die bürgerlichen Gremien der Gemeinde Pfalzgrafenweiler haben in der Nachkriegszeit, warum auch immer, keine Rehabilitation des einzigen Ehrenbürgers vorgenommen.“ Die Benennung einer Straße in einem geplanten Neubaugebiet und die Errichtung eines Gedenksteins mit Bank auf einer Grüninsel an der Einmündung eben dieser Straße geht auf seine Initiative zurück. Ich bin nur durch einen Zufall auf die Geschichte der Familie Levi in Pfalzgrafenweiler gestoßen. Als ich mehr darüber erfahren wollte gab es einige Widerstände, aber bei weitem überwog die Zustimmung und Unterstützung. Parallel zu meinen Recherchen wurde im Gemeinderat Pfalzgrafenweiler über die Anbringung einer Gedenktafel am Rathaus verhandelt. Buchstäblich in letzter Minute konnte über die Enkel von Julius Levi Einfluss auf die Textgestaltung genommen werden, so dass von Bürgermeister Bischoff, entgegen dem Gemeinderatsbeschluss mit seinem rein biografischen Entwurf, ein Hinweis auf die Verfolgung der Familie im Nationalsozialismus aufgenommen wurde. Der zwar immer noch verharmlosende Text der Gedenktafel lautet nun:

In diesem Haus wohnte mit seiner Familie

und arbeitete als Arzt und Wohltäter von 1876 bis 1937 der jüdische Sanitätsrat und Ehrenbürger

der Gemeinde Pfalzgrafenweiler,

Dr. Julius Levi.

Die Familie Levi wurde in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt.

Gemeinde Pfalzgrafenweiler

Das Anliegen meiner Recherchen war es, darüber hinausgehend, die Geschichte der Familie Levi so umfassend wie möglich unter Darstellung und Dokumentation aller relevanten, noch erhaltenen Quellen darzustellen und auch zu sichern, also die Geschichte hinter der Tafel zu erzählen. Möglichen Geschichtsfälschungen oder Verharmlosungen wollte ich damit entgegentreten. Denn sogar noch nach 1981 sind die Akten „Juden“ und „Ortsärzte“ aus dem Archiv der Gemeinde Pfalzgrafenweiler "verschwunden" Sie blieben trotz intensiver Suche unauffindbar. Immerhin habe ich Kopien einiger Schlüsseldokumente gerade aus diesen Akten entdecken können. Die Schriftstücke aus der Akte „Ehrenbürger“ sind ebenfalls verschwunden. Es fiel mir äußerst schwer, aus den zahlreichen Schrift- und Bildquellen eine Auswahl zu treffen. Auch und gerade die unbeugsame Haltung der evangelischen Pfarrer und der Kirchengemeinde hätten eine umfangreiche Darstellung verdient. Mein für das nächste Jahr geplantes Buch zu dem Thema wird diese Lücken füllen.

Warum Heimatgeschichte?

Heute noch, mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, ist die Vergangenheitsbewältigung bezüglich der Zeit des Nationalsozialismus immer noch ein Reizthema. Es gibt immer wieder Stimmen, die fordern, man müsse endlich einen Schlussstrich ziehen. Wie kann man aber einen Schlussstrich ziehen, wenn man nie wirklich angefangen hat, die Vergangenheit aufzuarbeiten? Solange dies nicht geschieht, kann es keine Versöhnung geben und Vergangenes nicht vergehen und eben nicht Geschichte werden. Wie soll man sich für Recht, für Gerechtigkeit einsetzen, wenn man das Unrecht nicht kennt? Unsere Verpflichtung besteht darin, verantwortlich mit unserer Geschichte umzugehen. Geschichte handelt nicht nur vom Vergangenen, sie weist auch über ihre Zeit hinaus. Die vermeintliche „Gnade der späten Geburt“ ist eine Verpflichtung. Das hat nichts mit Kollektivschuld, sondern mit Kollektivverantwortung zu tun. Das Wissen um den Ausgang der Geschichte verführt leicht zu einer Arroganz gegenüber den Menschen von damals.

Es dürfte klar sein, dass bei einem anderen Geschichtsverlauf, die Täter von gestern die Helden von heute gewesen wären. Was ist es, was uns zum Täter, Widerstandskämpfer oder Mitläufer werden lässt? Wie wäre es der jüdischen Familie Levi wohl ergangen, wenn sie nicht die Familie eines Arztes und Wohltäters, sondern eines Viehjuden gewesen wäre? Wie hätten wir uns verhalten?

Spurensuche

Julius Levi wurde am 29. Juli 1851 in Dornhan geboren. Er wuchs in Dornstetten auf und wurde Arzt, wie sein aus Bad Buchau stammenden Vater Josef Levi. Der angesehene jüdische Sanitätsrat und Ehrenbürger der Gemeinde Pfalzgrafenweiler Dr. Julius Levi war von 1876 bis 1926 Orts- und Distriktsarzt in Pfalzgrafenweiler. Bis nach Seewald- Göttelfingen führten ihn seine Arztbesuche. Dr. Julius Levi hatte den Ruf eines großen Wohltäters für Patienten und Gemeinde. Er war nicht nur Mitbegründer des Schwarzwaldvereins Pfalzgrafenweiler, sondern auch Mitglied im Liederkranz, Teilnehmer am berühmten „Runden Tisch“ im Schwanen in Pfalzgrafenweiler und Vorstand der Spar- und Darlehenskasse. Sein Ruf als Wohltäter reichte weit über die Gemeindegrenzen hinaus und ist auf seine selbstlose und segensreiche Tätigkeit als Orts- und Distriktsarzt zurückzuführen. Mittellose Patienten wurden von ihm kostenlos behandelt. Als Bürger der Gemeinde zeichnete er sich durch zahlreiche Spenden und Stiftungen in der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde aus.

Ernennung zum Ehrenbürger (1901) und zum Sanitätsrat (1907)

In der Gemeinderatssitzung vom 13. Oktober 1901 beschließt der 9-köpfige Gemeinderat, verstärkt durch einen für diesen Anlass gebildeten, ebenfalls 9-köpfigen Bürgerausschuss Dr. Julius Levi das Ehrenbürgerrecht zu verleihen.3

Das Altensteiger Amtsblatt "Aus den Tannen" berichtete am 05.11.1901 über die Ehrung folgendes:

Unser verehrter Herr Dr. Levi praktiziert hier seit 25 Jahren in unserer Gemeinde. Diesen Anlass wollte man hier nicht vorübergehen lassen, ohne dem Jubilar durch Veranstaltung einer Feierlichkeit eine gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Die Jubiläumsfeier fand nun heute Nachmittag im Gasthof zum `Schwanen´ statt; sie gestaltete sich zu einer für den Gefeierten überaus ehrenden Kundgebung. Die Beteiligung war eine so zahlreiche, dass der Saal des `Schwanen´ nicht alle Teilnehmer aufnehmen konnte...Zunächst ergriff Hr. Oberförster Nördlinger das Wort, hieß die Teilnehmer herzlich willkommen und verband damit den Wunsch, die Feier möge einen schönen, frisch-fröhlichen Verlauf nehmen. Hr. Sägewerkbesitzer Fezer dankte für den so zahlreichen Besuch und teilte mit, dass ihm die Aufgabe zuteil geworden sei, dem verehrten Jubilar namens der Festversammlung die herzlichsten Glück und Segenswünsche darzubringen. Der Redner gab nun ein Bild der aufopfernden Pflichttreue des Jubliars; bei den schlimmsten Witterungsunbilden bei Nacht oder Tag sei ihm kein Weg zu weit, kein Weg zu schlecht gewesen, nie sei er wankend geworden, wo es galt, seinen Patienten ärztliche Hilfe zu leisten...Schließlich dankte (der, Anm. Hirling) Redner dem Jubilar für Alles, was er in den 25 Jahren an den Krankenbetten Gutes getan und wünschte, dass ihn die Gemeinde noch recht lange als arbeitsfreudigen Arzt behalten dürfe und fasste seine guten Wünsche in dem Rufe zusammen: `Unser lieber Dr. Levi, er lebe hoch, hoch, hoch!´ Der Liederkranz stimmte in das Hoch ein und ließ dasselbe in vollen Tönen ausklingen. Hr. Oberförster Nördlinger feierte Frau Dr. Levi durch ein 3-maliges Hoch; ohne der Frau stilles Wirken hätte der Herr Gemahl nicht so erfolgreich tätig sein können.

[...]


1 Deutscher kaufe nicht beim Juden! 1. Auflage von 1935 (Stuttgart), S. 11

2 Deutscher kaufe nicht beim Juden!, 1. Auflage von 1935 (Stuttgart), S. 4.

3 Gemeinderatsprotokoll Pfalzgrafenweiler vom 13.10.1901

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Leben für die Gemeide - Andenken an die jüdische Arztfamilie Levi aus Pfalzgrafenweiler
Grade
1
Author
Year
2001
Pages
12
Catalog Number
V105807
ISBN (eBook)
9783640040889
File size
505 KB
Language
German
Notes
Auswirkungen der Judenverfolgung anhand konkreter Schicksale in einem kleinen Schwarzwalddorf
Keywords
Leben, Gemeide, Andenken, Arztfamilie, Levi, Pfalzgrafenweiler
Quote paper
Andreas Hirling (Author), 2001, Leben für die Gemeide - Andenken an die jüdische Arztfamilie Levi aus Pfalzgrafenweiler, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105807

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