Das Thema der vorliegenden Arbeit ist das Patriziat der Reichsstädte Augsburg und Nürnberg in Mittelalter und Früher Neuzeit. Ziel soll es sein, anhand eines Vergleichs die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung und Konstitution des Patriziats beider Städte herauszustellen. Einer solchen Zielsetzung kommt schon deshalb Relevanz zu, weil sich die zahlreichen bisher zum Thema erschienenen Abhandlungen i.d.R. auf eine einzelne Stadt oder einen eingegrenzten geographischen Raum konzentrierten - weitgehend, ohne detailliertere Vergleiche zwischen zwei Städten anzustellen. So ist bisher keine ausführliche Untersuchung zum Augsburger und Nürnberger Patriziat veröffentlicht worden. Aufgrund des engen Rahmens der vorliegenden Darstellung wird diese Lücke nur zu einem kleinen Teil geschlossen werden können. Vielmehr ist beabsichtigt, einige Aspekte genauer zu untersuchen. Vor allem die Entstehung und die ständischen Besonderheiten des jeweiligen Patriziats im Vergleich zueinander und zum deutschen Patriziat als solchen sollen deshalb Gegenstand der Untersuchung sein. Dabei ist die Quellenlage zur Entstehung des Patriziats in Augsburg eher unzureichend. Da die Quellen über die gesellschaftliche Entwicklung Augsburgs im 10. und 11. Jh. nur recht vage und undifferenzierte Angaben machen. Besser wird die Quellenlage zur weiteren Entwicklung dann ab dem 12. Jh. mit dem Aufkommen zusätzlicher Quellen, die ein recht genaues Bild vermitteln.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das deutsche Patriziat
2.1 Definition
2.2 Der ständische Charakter des Patriziats
2.3 Der Ursprung des Patriziats und seine Entwicklung bis zum Ende des Alten Reiches
3. Das Augsburger Patriziat
3.1 Die Entstehung und die politische Geschichte des Augsburger Patriziats
3.1.1 Die Vorgeschichte und der Ursprung
3.1.2 Die politische Entwicklung bis zur Mediatisierung
3.2 Die ständisch-soziale Dimension
4. Das Nürnberger Patriziat
4.1 Die Entstehung und die politische Entwicklung
4.2 Die ständisch-soziale Dimension
5. Augsburg und Nürnberg im Vergleich
5.1 Die Entstehung und die Geschichte der Geschlechter im Vergleich
5.2 Ständisches Ansehen und ständische Abgrenzung
6. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Thema der vorliegenden Arbeit ist das Patriziat der Reichsstädte Augsburg und Nürnberg in Mittelalter und Früher Neuzeit. Ziel soll es sein, anhand eines Vergleichs die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung und Konstitution des Patriziats beider Städte herauszustellen. Einer solchen Zielsetzung kommt schon deshalb Relevanz zu, weil sich die zahlreichen bisher zum Thema erschienenen Abhandlungen i.d.R. auf eine einzelne Stadt oder einen eingegrenzten geographischen Raum konzentrierten - weitgehend, ohne detailliertere Vergleiche zwischen zwei Städten anzustellen. So ist bisher keine ausführliche Untersuchung zum Augsburger und Nürnberger Patriziat veröffentlicht worden. Aufgrund des engen Rahmens der vorliegenden Darstellung wird diese Lücke nur zu einem kleinen Teil geschlossen werden können.
Vielmehr ist beabsichtigt, einige Aspekte genauer zu untersuchen. Vor allem die Entstehung und die ständischen Besonderheiten des jeweiligen Patriziats im Vergleich zueinander und zum deutschen Patriziat als solchen sollen deshalb Gegenstand der Untersuchung sein. Dabei ist die Quellenlage zur Entstehung des Patriziats in Augsburg eher unzureichend. Da die Quellen[1] über die gesellschaftliche Entwicklung Augsburgs im 10. und 11. Jh. nur recht vage und undifferenzierte Angaben machen. Besser wird die Quellenlage zur weiteren Entwicklung dann ab dem 12. Jh. mit dem Aufkommen zusätzlicher Quellen[2], die ein recht genaues Bild vermitteln.
Speziell zur Augsburger Sozialgeschichte gab es in den letzten Jahren keine Veröffentlichungen. Arbeiten zu diesem Thema blieben bislang ungedruckt.[3] Überhaupt gibt es zu diesem Thema lediglich Untersuchungen in Aufsatzform oder innerhalb übergreifender Darstellungen. In dieser Hinsicht ist die Literaturlage dafür sehr vielfältig. Grundlegend ist in diesem Bereich immer noch die Monographie Zorns[4], die auch bei der Ausarbeitung dieser Arbeit herangezogen werden wird. Des weiteren stützt sich diese Arbeit auf zwei Sammelbände[5], die zur 2000-Jahr-Feier erschienen sind. Im Gegensatz zu Augsburg ist die Quellenlage für die Frühzeit der Nürnberger Gesellschaftsentwicklung etwas ausführlicher[6] ; vermutlich hauptsächlich weil die Nürnberger Geschichte erst wesentlich später beginnt als die Augsburger[7]. Ebenso wie in Augsburg wird die Quellenlage in den nachfolgenden Jahrhunderten noch besser.[8] Auch die Literaturlage ist verhältnismäßig günstig; obwohl ebenso wie im Falle Augsburgs im wesentlichen auf spezielle Aufsätze und Gesamtdarstellungen zur Nürnberger Geschichte zurückgegriffen werden muß. Als besonders erkenntnisreich hervorzuheben ist der Aufsatz "Nobiles Norimbergenses"[9] von H. H. Hofmann. Von den allgemeinen Abhandlungen zum deutschen Patriziat bzw. zur deutschen Stadt sollten einige besonders hervorgehoben werden. Insbesondere der Aufsatz von I. Bátori " Das Patriziat der deutschen Stadt"[10] und die Monographien von K. Gerteis "Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit"[11], von H. Planitz "Die deutsche Stadt im Mittelalter"[12] und von E. Isenmann "Die deutsche Stadt im Spätmittelalter"[13]. Aufgrund der großen Zahl der zum Thema erschienenen Literatur kann hier nur die aufgeführt werden, die in dieser Arbeit vornehmlich benutzt werden wird.
Zur Einführung in das Thema und als theoretische Grundlage der weiteren Darstellung wird ein Kapitel zum deutschen Patriziat im allgemeinen vorangestellt. Vor allem anhand des Batori-Aufsatzes und der Monographie Isenmanns wird versucht werden, eine Definition zu bilden, mit der sich klar zwischen Patriziern und anderen städtischen Führungsschichten, wie z.B. den Honoratioren, unterscheiden läßt. Des weiteren soll das standestypische Verhalten und die Entstehung des deutschen Patriziats untersucht werden. Dieser allgemeine Teil wird in den anschließenden Kapiteln über die Augsburger und Nürnberger Patrizier zum Vergleich herangezogen werden. Mit Hilfe der Definition soll geklärt werden, ob überhaupt und ab wann es patrizische Oberschichten in den beiden Städten gab. Auch sollen eventuelle Abweichungen von der allgemeinen Entwicklung im Reich deutlich gemacht werden. Diese beiden Kapitel sind weitgehend parallel aufgebaut sein; lediglich die Vorgeschichte zur Entstehung des Patriziats in Augsburg wird im Gegensatz zu Nürnberg etwas ausführlicher dargestellt, da sie in jener Stadt einen größeren Zeitraum einnimmt. Abschließend wird ein Vergleich des Augsburger und des Nürnberger Patriziats angestellt. Für eventuelle Unterschiede oder Gemeinsamkeiten solle nach Gründen gesucht werden. Insbesondere soll in diesem Zusammenhang die ständische Qualität der Patrizier verglichen werden.
2. Das deutsche Patriziat
2.1. Definition
"Städtische Führungsgruppe läßt sich definieren als innerer Zirkel der politischen Führungsschicht oder Elite, als die eigentlichen Entscheidungsträger in den Organen der Stadtpolitik...Es ist zusätzlich zu berücksichtigen, wer im Selbstverständnis der Zeit in der Skala gesellschaftlichen Prestiges an der Spitze der städtischen Hierarchie steht und wer die Spitzenpositionen im Wirtschaftsleben innehat."[14] Dabei ist die Anwendung des Begriffs "Patriziat" auf eine bestimmte Führungsschicht in Mittelalter und Früher Neuzeit im allgemeinen und auf die Eliten bestimmter Städte im besonderen in der Literatur umstritten. Das gilt insbesondere für die Zeit vor dem 17. Jh., in der die Bezeichnung "Patriziat" in diesem Sinne weitgehend ungebräuchlich war. Da andere Begriffe jedoch in ihrer Gültigkeit zeitlich und räumlich sehr begrenzt seien, bevorzugt Bátori diese Bezeichnung als das geringste begriffliche Übel.[15]
Als wichtigstes Kriterium für die Zugehörigkeit zum Patriziat sieht Bátori die Ratsfähigkeit an, die mit politischer Führungsstellung verknüpft ist. Da die Ratsfähigkeit alleine die Patrizier nicht immer von den anderen städtischen Bevölkerungsgruppen unterscheide, müßten für eine exakte Definition noch weitere Merkmale herangezogen werden. Wichtig seien nämlich auch Ansehen und Abstammung, sowie Reichtum. Durch die Übernahme der Definition Stolzes[16] gelangt sie zu der Feststellung, daß mindestens zwei der genannten Merkmale vorhanden sein müssen, um von Patriziat zu sprechen. Demnach müßten die Patrizier dem politischen Merkmal zufolge bei der Verwaltung und Regierung einer Stadt privilegiert sein, soziologisches Kriterium sei der "Zusammenschluß mit ständischer Exklusivität und gesellschaftlichen Vorrechten"; wirtschaftlich-beruflich müßten sie über Reichtum oder wenigstens eine gesicherte Vermögenslage verfügen. Sie zögen "Erwerb durch Grundbesitz, Renten, Großhandel, Ausübung akademischer Berufe und des Offiziersberufs."[17]
Andere Faktoren wie geschlossene Heiratskreise und Konnubium mit dem Landadel, sowie das Selbstverständnis der Patrizier seien für den Kern Der Definition nebensächlich, da sie nur in Verbindung der genannten Kriterien auftreten könnten.[18] Eine etwas andere Gewichtung nimmt Isenmann vor. Reichtum und wirtschaftliche Machtstellung seien eher Voraussetzungen für die Existenz eines Patriziats. Dagegen sei "das entscheidende definitorische Kriterium des Patriziats...seine politische Berechtigung und soziale Vorrangstellung auf geburtsständischer Grundlage. [Deshalb sei] das Patriziat ein politisch-sozialer Stand."[19] Deshalb seien die politische und soziale Vorrangstellung unmittelbar mit der Standeszugehörigkeit zum Patriziat verbunden. Aufgrund der sich am adeligen Ehrbegriff orientierenden Standesehre grenze es sich gegenüber den Gruppen ab, die mehr durch ihre Klassenlage bestimmt seien. Seine politische Macht und sein Reichtum würden ihm zudem Ansehen vermitteln.
In seiner Lebensführung orientiere sich das Patriziat am Landadel; wobei es typisch bürgerliche Werte und Verhaltensweisen dennoch beibehalte. Darüber hinaus sei das Patriziat als Geburtsstand genealogisch geschlossen, verfüge also über geschlossene Heiratskreise.[20] Im Gegensatz zu Bátori gehören für Isenmann also Faktoren wie geschlossene Heiratskreise, Konnubium mit dem Landadel und Selbstverständnis als Patrizier sehr wohl zu den entscheidenden Merkmalen des Patriziats. Diese Erweiterung der Definition scheint erforderlich zu sein, da denkbar ist, daß zumindest das politische und das wirtschaftlich-berufliche Merkmal auch auf Gruppen (z.B. Kaufleute) zutreffen kann, die dennoch nicht dem Patriziat angehören. Deshalb ist es notwendig, das Patriziat definitorisch klar von anderen städtischen Führungsschichten abzugrenzen.
Dem Patriziat ähnlich war das Honoratiorentum, das Schilling zufolge in einigen Städten zeitweilig die politische Elite bildete. Kennzeichen des Honoratiorentums war dessen Zugehörigkeit zu den Kaufmannsgilden, verbunden mit einer aktiven Betätigung im Handel- und Wirtschaftsleben, die ihm ermöglichte zur städtischen Führungsschicht aufzusteigen.[21] Nach Saalfeld besteht der Unterschied zwischen Honoratioren und Patriziern vor allem im Streben dieser nach adeliger Lebensweise bzw. im Fehlen dieses Strebens bei jenen. Dabei seien die Honoratioren den Patriziern zahlenmäßig weit überlegen, da sie etwa 3-6% der Stadtbevölkerung ausgemacht hätten.[22] Aufgrunddessen stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie, das Patriziat in der Lage war, ständische Exklusivität zu wahren, oder ob es gezwungen war, sich aus anderen Ständen zu ergänzen.
2.2. Der ständische Charakter des Patriziats
Kennzeichnend für das Patriziat als Stand war seine Abgrenzung gegenüber sozialen Schichten, die weniger angesehen waren. Diese Abgrenzung verstärkte sich im 14. Jh. durch den äußeren Druck konkurrierender Schichten. Die Patrizier reagierten mit einer stärkeren Betonung ihrer ständischen Exklusivität, indem sie Patriziergesellschaften gründeten, denen sie Statuten gaben. In den Statuten wurde festgelegt, wer Zugang zu den "Patrizierstuben"/"Trinkstuben" hatte, die als Versammlungsorte und gesellschaftliche Treffpunkte dienten. Patrizier, die gegen die Statuten verstießen, oder nicht standesgemäßen Erwerbstätigkeiten nachgingen, konnten ausgeschlossen werden, was auch den Verlust ihrer Standeszugehörigkeit bedeuten konnte.
Als nicht standesgemäß galten nicht nur Heiratsverbindungen mit niedrigeren Ständen, oder auch nur soziale Kontakte mit diesen, sondern häufig auch die Erwerbstätigkeit in Handwerk und Detailhandel, manchmal auch die Handelstätigkeit generell. Ebenso wurde allen anderen Stände vom Besuch der Trinkstuben und damit von sozialen Kontakten mit den Patriziern ausgeschlossen.[23] Für die Geschlossenheit dieser Gesellschaften spielte die Heiratspolitik eine wichtige Rolle. Das Entstehen geschlossener Heiratskreise transformierte das Patriziat von einem Berufs- und Besitzstand zu einem Geburtsstand. Aus gemeinsamen Herrschaftsinteressen entwickelte sich das Verhalten, untereinander zu heiraten; wobei der Abschluß nach außen sowohl der Abwehr von dort herangetragener Ansprüche diente, als auch einer Nivellierung nach innen. Das gemeinsame Interesse am Widerstand gegen die Konkurrenz der Zünfte oder die ausufernde Macht einzelner Patrizier begünstigte diesen Zusammenschluß und die Standesbildung.[24]
Die Geschlossenheit der Patriziergesellschaften war jedoch von Stadt zu Stadt unterschiedlich stark ausgeprägt und hat sich im Laufe der Zeit geändert. Es war zudem nicht jedem Patriziat möglich, sich streng abzuschließen, da der Fortbestand des Patriziats immer wieder durch Abwanderung oder Aussterben einzelner Patriziergeschlechter bedroht war. Neuaufnahmen waren aber auch bei den streng geschlossenen Gesellschaften prinzipiell möglich und oft auch unvermeidlich. Die besten Chancen aufgenommen zu werden, hatten die Patrizier anderer Städte und der Landadel.[25] Das Verhältnis zum Landadel war jedoch häufigen Veränderungen unterworfen und es war regional sehr unterschiedlich. Während sich die Patrizier als Stadtadel dem Landadel ebenbürtig fühlten, ging dieser oft auf Distanz zu den Patriziern. Insbesondere das Konnubium mit dem niederen Adel war dennoch häufig; vermutlich nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Attraktivität reicher Patriziergeschlechter für verarmte Landadelige.
Obwohl es immer wieder zu kaiserlichen Erhebungen des Patriziats einzelner Städte in den Adelsstand kam[26], waren die Patrizier i.d.R. keine Stadtadeligen und somit dem Landadel nicht ebenbürtig. So stellte Moser im 18. Jh. fest: "Von dem Ursprung der Patricien und ihres Adels, kan nicht überhaupt etwas gewisses gesagt werden, sondern es kommt dabey lediglich auf den Beweis an, und ist dise Frage nach denen besonderen Umständen in einzelnen Fällen auszumachen."[27] Die eigentlichen Adelskriterien wie Lehens-, Stifts- und Turnierfähigkeit konnten vermutlich bis auf die Lehensfähigkeit i.d.R. nicht von den Patriziern erfüllt werden.[28] Die Lehensfähigkeit, die sich auf Güter, Ämter etc. bezog, konnte sowohl aktiv als auch passiv gegeben sein. Der passiv Lehensfähige konnte zwar Lehen empfangen, aber im Gegensatz zum aktiv Lehensfähigen kein Lehen verleihen. Die Stiftsfähigkeit meinte im weiteren Sinn die Möglichkeit, einem für den Adel vorbehaltenen Stift anzugehören. Die Turnierfähigkeit einer Person schließlich ließ diese zum gerichtlichen Zweikampf oder zu dem von einem Landesfürsten oder einer Reichsritterschaft ausgeschriebenen Ritterspiel zu.[29] Die Ebenbürtigkeit von Patriziat und Landadel wurde lange Zeit mit der gemeinsamen altfreien Abstammung begründet, die jedoch in neuerer Zeit vielfach angezweifelt wurde.[30]
2.3. Der Ursprung des Patriziats und seine Entwicklung bis zum Ende des Alten Reiches
"Es hat sich... herausgestellt, daß es schlechterdings nicht möglich ist, eine einheitliche Entstehung des Patriziats nachzuweisen."[31] Dennoch gibt es eine Reihe von Städten, in denen das Patriziat auf die gleiche Weise entstanden ist. In einem Teil der Städte ist es aus einer Verschmelzung von stadtherrlichen Ministerialen[32] und ansässigen Kaufleuten im Laufe des 12./13. Jh. hervorgegangen. Für relativ wenige Städte ist bisher eine adelige Herkunft der Patrizier nachgewiesen worden. In diesen Städten hat sich das Patriziat aus stadtadeligen Kaufleuten entwickelt. Für bisher nur zwei Städte (Freiburg und München) ist bisher der Ursprung des Patriziats allein aus Kaufleuten bewiesen worden. Bátori kommt zu dem Schluß, daß es in der Entstehungsphase grundsätzlich allen sozialen Gruppen möglich war, bei der Formierung des Patriziats mitzuwirken; im wesentlichen ist das jedoch nur den Ministerialen und den Fernkaufleuten gelungen.[33] Die ursprüngliche Bezeichnung für Patrizier war Planitz zufolge 'meliores', womit die reichsten Bürger einer Stadt bezeichnet wurden. Während die Bezeichnung 'meliorat' erstmals bereits im 11. Jh. auftrat, wurde das meliorat doch erst im 12. Jh. in zahlreicheren Städten zur Führungsgruppe.[34] Aus den meliores, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Ansehens von der Bürgerschaft als Vertretung anerkannt wurden, setzten sich die ersten Räte zusammen. Aus den Ratsmitgliedern entstand dann das Patriziat. Diese Ratsmitglieder seien überwiegend Fernkaufleute und Ministeriale gewesen. Teilweise seien auch freie Grundbesitzer und Handwerker schon im 13. Jh. in das Patriziat übergegangen.[35] "Wirtschaftliche Aktivitäten, Vermögen, ein gehobener Lebensstil und ein ritterliches Lebensideal sowie ein gemeinsames Streben nach städtischer Autonomie...begann im 12. und 13. Jh. die kaufmännischen, ministerialischen und adeligen Elemente zu einer politisch-sozialen Führungsschicht zu amalgieren..."[36] "Wobei der politische Vorrang d.h. die ausschließliche Ratsfähigkeit für bestimmte Familien, durch Kooptation oder Vererbbarkeit gesichert war."[37] Da die von den Patriziern bestimmte Außenpolitik der Städte im 14. Jh. zu hohen Ausgaben führte, die von allen Schichten getragen werden mußten, wuchs die Kritik an der oligarchischen Herrschaft der Patrizier. Infolgedessen kam es im 14. Jh. in vielen Städten zu Aufständen der benachteiligten Schichten.[38] "Zielgruppe dieser Unruhen...war der Rat, nicht das Patriziat als soziale Schicht. Es geht den Aufrührern auch nicht um einen Umsturz, sondern eigentlich um Kontrolle, um Beteiligung am Rat."[39] Deshalb blieb die Führungsrolle des Patriziats in den meisten Städten bestehen; sie wurde lediglich durch die Beteiligung anderer sozialer Gruppen am Rat etwas geschmälert. Eine andere Folge der Unruhen war die stärkere Abschließung der Patrizier und die Gründung von Patriziergesellschaften.[40] Im 15. und 16. Jh. verschwanden in vielen Städten zahlreiche Patrizierfamilien, die durch Seuchen, Fehden und Feldzüge ausstarben, oder in andere Städte oder zum Landadel abwanderten. Die Ursachen der Abwanderung in andere Städte waren vornehmlich wirtschaftlicher Art. Der Übergang zum Landadel war dagegen z.T. Konsequenz der Reformation, da viele katholische Patriziergeschlechter Süddeutschlands ihre protestantisch gewordenen Städte verließen. Daneben hat das Streben nach adeliger Lebensführung, sowie die Absicht, erworbenes Kapital sicher anzulegen, zum Erwerb von Grundbesitz außerhalb der Stadt und zur Interessenverlagerung dorthin geführt.[41]
[...]
[1]. Georg Heinrich Pertz, Gerhardi Vita St. Oudalrici Episcopi, in: Monumenta Germaniae Historica Scriptores IV, Hannover 1841, S. 377-428; Academ. Scientiar. Elect. Monachii, Monumenta Boica, o.O. 1763; Walter Emil Vock, Die Urkunden des Hochstifts Augsburg 769-1420, Augsburg 1959.
[2]. Christian Meyer (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Augsburg, Augsburg 1874/78; Ders., DasStadtbuch von Augsburg, Augsburg 1872; Historische Kommission bei der bayerischen Akade mie der Wissenschaften (Hg.), Die Chroniken der schwäbischen Städte, Bd. 1-9, Stuttgart 1929; Staats- und Stadtbibliothek Augsburg und Stadtarchiv Augsburg.
[3]. Karl-Heinz Sieber, Die Anfänge des Augsburger Patriziats bis zum Stolzhirsch-Aufstand 1303, München 1968; Peter Geffcken, Soziale Schichtung in Augsburg 1396-1521, Diss. phil. (Masch.);München 1983,; Hans Brütting, Anfänge des Bürgertums in Augsburg, München 1982.
[4]. Wolfgang Zorn, Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt, 2. Auflage, Augsburg 1972.
[5]. Gunther Gottlieb u.a. (Hg.), Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984; Pankraz Fried (Hg.), Miscellanea Suevica Augustana, Sigmaringen 1985.
[6]. Gerhard Pfeiffer (Hg.), Nürnberger Urkundenbuch, Nürnberg 1959; Gerhard Hirschmann (Hg.), Johannes Müller: Die Annalen der Reichstadt Nürnberg. Band I: Von den Anfängen bis 1350,Nürnberg 1972; Band II, Von 1351-1469, Nürnberg 1984.
[7]. S. Kap. 3.1. und 4.1.
[8]. Werner Schultheiß, Satzungsbücher und Satzungen der Reichstadt Nürnberg aus dem 14. Jh., Nürnberg 1965; Chroniken der fränkischen Städte, Nürnberg 1-5, Leipzig 1862- 1874; Hauptstaatsarchiv München; Staatsarchiv Nürnberg; Stadtarchiv Nürnberg.
[9]. Hanns Hubert Hofmann, Nobiles Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichs- städtischen Oberschicht, in: Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (Hg.), Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa, Sigmaringen 1966, S. 53-92.
[10]. Ingrid Bátori, Das Patriziat der deutschen Stadt, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziolo- gie und Denkmalpflege, Jg. 2 (1975), S. 1-30.
[11]. Klaus Gerteis, Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 1986.
[12]. Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz 1954.
[13]. Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, Stuttgart 1988.
[14]. Olaf Mörke u. Katarina Sieh, Gesellschaftliche Führungsgruppen, in: Gottlieb, S. 301.
[15]. Vgl. Bátori, S. 1 f.
[16]. Vgl. Alfred Otto Stolze, Der Sünfzen zu Lindau. Das Patriziat einer schwäbischen Reichsstadt, Lindau, 1956, S. 13.
[17]. Batori, S. 3.
[18]. Vgl. Batori, S. 5.
[19]. Isenmann, S. 275.
[20]. Vgl. ebd.
[21]. Vgl. Heinz Schilling, Vergleichende Betrachtungen zur Geschichte der bürgerlichen Elite in Nordwestdeutschland und in den Niederlanden, in: Heinz Schilling u. Herman Diederiks (Hg.),Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, Köln 1985, S. 4f.
[22]. Vgl. Diedrich Saalfeld, Die ständische Gliederung der Gesellschaft Deutschlands im Zeitalter des Absolutismus, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 67 (1980), S. 470 f.
[23]. Vgl. Bátori, S. 15-22.
[24]. Vgl. Hermann Mitgau, Geschlossene Heiratskreise sozialer Inzucht, in: Hellmuth Rössler (Hg.), Deutsches Patriziat 1430-1740, Limburg 1968, S. 2-10.
[25]. Vgl. Bátori, S. 19-21.
[26]. Vgl. Isenmann, S. 272.
[27]. Johann Jacob Moser, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 3,2, o.O. 1767, ND Osnabrück 1967,S. 1173.
[28]. Vgl. Isenmann, S. 273.
[29]. Vgl. Julie Meyer, Die Entstehung des Patriziats in Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Bd. 27 (1928), Nürnberg, S. 37-52.
[30]. Vgl. Bátori, S. 6.
[31]. Vgl. ebd.
[32]. Isenmann, S. 277: "Die stadtherrlichen Ministerialen übten im Namen des Stadtherrn gegen über den Bürgern herrschaftliche Funktionen aus...Daneben nahmen Ministeriale aber auch als Händler, Finanziers und Grundbesitzer am städtischen Wirtschaftsleben teil. durch ihre zunächst hofrechtliche, dann nur noch spezielle dienstrechtliche Bindung an den Stadtherrn waren die Ministerialen rechtlich unfrei unfrei, hoben sich aber durch ihren qualifizierten Dienst, den sie schließlich als ein Recht beanspruchten, von der übrigen 'familia' des Stadtherrn ab. Während sich so ihre dienstrechtliche Bindung abschwächte, wurden sie zugleich passiv und aktiv lehens fähig und verfügten daneben gelegentlich auch über freies Eigen (Allod) und über Eigenleute."
[33]. Vgl. Bátori, S. 9-13.
[34]. Vgl. Planitz, S. 122-128.
[35]. Vgl. Planitz, S. 260-264.
[36]. Isenmann, S. 276.
[37]. Bátori, S. 14.
[38]. Vgl. ebd.
[39]. Ebd.
[40]. Vgl. Bátori, S. 15.
[41]. Vgl. Bátori, S. 28 f.
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