Victor Vasarely schuf das Bild „Vaar“ 1970 während seiner 6.Periode, „hommage à l’hexagone“ (von 1964 bis ’71), in der er vor allem mit physikalisch unmöglichen Perspektiven und verschiedenen Farbeffekten experimentierte.
Das Kunstwerk im Hochformat mit den gigantischen Maßen von 2,15 m x 1,83 m befindet sich heute in der privaten Kunstsammlung „Bischofsberger“ in Zürich.
Es zeigt eine punktsymmetrische Figur, deren Symmetriezentrum sich genau in der Mitte befindet und die aus verschieden großen Quadern besteht, deren Oberflächen von einer Reihung stets gleichgroßer Quadrate bedeckt sind . Die Quadrate sind dabei so gefärbt, dass jeweils Diagonalen einer Farbe von links oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten entstehen. Das Bild wurde mit Kunstharz auf eine Kunststoffplatte gemalt. Daraus lässt sich schließen, dass Vasarely viel Wert auf die hohe Lichtechtheit und Beständigkeit dieses Bildes legte.
Aufgrund der strengen geometrischen Formgebung und des konstruktiven Aufbaus gehört „Vaar“ zu dem Kunststil der Op-Art 1.
Eine Ähnlichkeit mit realen Dingen kann dabei nicht festgestellt werden, da die Op-Art zur konkreten Kunst gehört, die sich ganz der Ungegenständlichkeit widmet.
Im Mittelpunkt stehen die physikalisch unmögliche Perspektive, die durch eine Überschneidung der einzelnen Quader entsteht, und die Farbgebung, die zur Entstehung eines räumlichen Eindrucks und einer diagonal verlaufenden Bewegung beträgt.
Dabei gliedert sich der Bildraum in einen großen bunt-unbunt Kontrast aus tiefschwarzem Hintergrund und der bunten, eckigen Figur, die deutlich hervorsticht ohne jedoch aggressiv auf den Betrachter zu wirken. Dies hängt zum größten Teil damit zusammen, dass die strenge Konstruktion des Körpers und die kleinen geometrisch-geschlossenen Quadrate, die seine Oberfläche so gleichmäßig wie Mosaiksteinchen bedecken, eher das Gefühl von Ordnung und Ruhe vermitteln.
Dieses Gefühl wird durch die Farbgebung der einzelnen Quadrate noch verstärkt. Auffällig ist dabei, dass Gelb- und Orangetöne wohl absichtlich nicht verwandt wurden, denn diese stehen in der Farbensymbolik für Veränderung und Offenheit, was ganz und gar nicht in diese Strenge und Starrheit hineinpasst. Deshalb malte Vasarely überwiegend mit Grün, Violett- und Blautönen, die Ruhe und Beharrlichkeit symbolisieren. Um etwas Wärme und Bewegung in die Figur zu bringen, befinden sich zwischen mehrere grünen, blauen und violetten auch rote Diagonalen.
Verfolgt man die Farbverläufe über die gesamte Figur, so stellt man fest, dass alle Seitenflächen der Quader, die nicht die gleiche Färbung haben, im Farbkreis von Chevreuls trotzdem die gleiche Farbrichtung aufweisen:
Die beiden Seitenflächen ganz links und rechts außen verfolgen den Farbkreis, jeweils von links oben nach rechts unten betrachtet, vom Schwarz-blauen über verschiedene Violettabstufungen und Rottöne bis zum Grünen, das heißt, sie drehen gegen den Uhrzeigersinn. Genauso verhalten sich auch die beiden Seitenflächen, die sich daran zur Mitte hin anschließen, wenn man den Farbverlauf von unten nach oben betrachtet, nur drehen diese von dunkel-blau beginnend über rot hin zu grün, beenden ihre erste Umdrehung mit hell-blau und machen dann einen Sprung zu den Rosatönen.
Bei den vier großen Quadraten, die sich ganz links unten, rechts oben und in der Mitte oben und unten befinden, wird man bei genauer Betrachtung feststellen, dass sie nicht nur in die gleiche Richtung drehen, sondern sich sogar in der gleichen Hälfte des Farbkreises befinden. Die gleichen Quadrate in der rechten Bildhälfte durchlaufen dabei die Farben von grün bis braun-schwarz, wobei die beiden in der linken Bildhälfte lediglich von braun-schwarz über verschiedene Abstufungen des Dunkel-blauen in hell-blau übergehen. Dabei wird deutlich, dass bei den Quadraten der rechten Bildhälfte diese Drehung eine Bewegung nach außen verursacht, bei den Quadraten der linken Bildhälfte genau umgekehrt. Die gleiche entgegengesetzte Bewegung tritt auch bei den vier Seitenflächen auf, wobei die beiden äußeren einen Verlauf nach unten, die inneren nach oben, aufweisen.
Durch das Zusammenspiel von axonometrischer Perspektive 2 und Farbverteilung gelingt es dem Künstler uns in die Welt einer paradoxen Räumlichkeit zu entführen. Dabei kann ein Quader, je nach Ansicht des Betrachters, einmal vor und einmal hinter einem anderen stehen. Der Quader links außen erscheint deshalb einmal im Hintergrund während der Quader rechts außen in den Vordergrund rückt, und umgekehrt.
Den einzigen Hinweis auf die „richtige“ Sichtweise könnte man durch die Farbhelligkeit und Intensität erhalten, da diese dazu beitragen, dass bestimmte Flächen als dunkel oder hell angesehen werden.
Besonders auffällig ist dabei die Konzentration dunkler, getrübter Quadrate in der linken oberen Hälfte. Würde diese Konzentration nicht auch noch in der äußersten Seitenfläche rechts auftreten, so wäre das Problem der Sichtweise gelöst.
Die hellen Flächen, die besonders konzentriert in der Mitte der Figur vorkommen, sind so verteilt, dass sich ein interessanter hell-dunkel Kontrast ergibt, da etwa die Hälfte der Quadrate hell und die andere Hälfte dunkel gefärbt sind. Mehrere helle Diagonalen schließen sich an den Rändern der Quaderseiten zu kleinen Flächen zusammen, genauso wie die dunklen.
Da alle Quadrate außerdem eine gleichstarke Farbsättigung und keinen Pinselductus aufweisen, kann man von daher ebenfalls keinen Schluss auf die Sichtweise ziehen.
Betrachtet man zum Schluss noch den kalt-warm Kontrast, so stellt man fest, dass die wenigen warmen Farben (eigentlich nur die Rot- und Rosatöne) sich immer zwischen großen Flächen mit kalten Farben befinden. Da mit blauen Farben häufig Schnee und Eis, also etwas Kaltes, assoziiert wird, erweckt „Vaar“ tatsächlich einen kalten Eindruck, der nur etwas durch die Rottöne abgemildert werden kann. Diese Farben jedoch werden in der Farbempfindung als „schwere“ Farbtöne eingestuft, so dass als Farbwirkung insgesamt kein Eindruck der Leichtigkeit und Ausgelassenheit entsteht, sondern eher, wie zuvor bereits erwähnt, eine beharrliche Ruhe und steife Ordnung dominierend ist. Die Ordnung und Ruhe hinderte Vasarely jedoch nicht Bewegung ins Spiel zu bringen, indem er, durch die axonometrische Perspektive bedingt, parallele Diagonalen von gleichfarbigen Quadraten malte.
Diese leiten den Blick des Betrachters beginnend von der Mitte aus zuerst nach unten, da die Konzentration der leuchtenden Rottöne im unteren Bereich der Figur die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt an sich zieht. Nachdem man die Farbverläufe verfolgt hat, entdeckt man die paradoxe Räumlichkeit, bei der man scheinbar unendlich lang verweilen möchte, ohne dieses Phänomen jemals eindeutig enträtseln zu können.
Bei längerer Betrachtung des Werkes tauchen einzigartige Wellenlinien und Muster auf, plötzlich entsteht eine Bewegung der Farbverläufe im Bild, doch jeder Eindruck verschwindet meist schnell, um von einem anderen, noch eindrucksvolleren abgelöst zu werden.
Victor Vasarely - er wurde1908 in Ungarn geboren und starb1997 in Paris - war wohl der bedeutendste Vertreter der Op-Art. Die Art „Wissenschaft der Kunst“, die er während seiner 8 Phasen betrieb, inspirierte viele andere Künstler zu ähnlichen Experimenten, so zum Beispiel Bridget Riley. Vasarely sah die Bilder nicht einfach nur als Kunst, sondern er verband eine ganze Lebenseinstellung und Philosophie damit. Außerdem setzte er sich sehr dafür ein, dass die Kunst jedermann zugänglich gemacht werden sollte, was auch ein Motiv dafür ist, dass seine Bilder ohne Vorkenntnisse genossen werden können. Deshalb nannte er selbst seine Kunst „L’Art social“. Er forderte eine gänzliche Abschaffung der Staffelmalerei und der traditionellen Techniken und Darstellungen, wie z.B. der sichtbare Pinselductus und die differenzierte Darstellung von Gegenständen. Als Begründer der Op-Art begann er zunächst als Reaktion auf die vorangehende Epoche des Expressionismus, die von der Abstraktion und Verfremdung der Gegenstände lebte, wieder zu statischen Formen und zur Präzision zurückzukehren.
Vielleicht versuchte er auch mit seinen streng geometrischen Konstruktionen und Ideen einer völlig neuen Betrachtungsweise der Kunst den Leuten in dieser Zeit, die vor allem durch Kriege (z.B. Vietnam-Krieg) und weltweite Unruhen geprägt war, die Botschaft zu vermitteln, dass auch die Menschen, wie seine Bilder, eine Einheit werden und ihre Weltanschauung ändern sollten.
Durch seine Experimente entstanden außerdem noch zwei weitere Varianten des Kunstwerks „Vaar“: Tridim W (1969) und Gestalt III (ebenfalls 1969). Wie seine beiden „Vorgänger“, so zeichnet sich auch „Vaar“ durch die für die Op-Art typische Bewegungsillusion aus. Vasarely bezeichnete diese optische Täuschung als „Flächen-Kinetik“. Dabei spielen die Form- und Farbgebung die wichtigste Rolle. Durch die große Farbenvielfalt an verschiedenen Blau-, Grün-, Violett- und Rottönen entsteht ein Flimmereffekt, bei dem bestimmte Teile des Körpers plastisch hervortreten, andere in die Tiefe des Raumes rücken. Die strenge Formgebung mit vielen Diagonalen trägt des weiteren zur Verstärkung dieses Effektes bei.
In der damaligen Zeit kam dieser neuartige Stil sicherlich einer „Kunstrevolution“ gleich. Wie konnte es jemand wagen, die alten Meister abschaffen zu wollen und sie durch so „simple“ Konstruktionen zu ersetzen? Heute würde sich niemand mehr daran stören, denn unsere Einstellung gegenüber Neuerungen ist wohl offener geworden als früher, da sich in den letzten vierzig Jahren so vieles rasend schnell verändert hat und der Fortschritt in Zukunft auch nicht mehr zu bremsen sein wird.
Trotzdem faszinieren die Op-Art Bilder aufgrund ihrer seltsamen 3D-Effekte heute noch viele Menschen, insbesondere diejenigen, die die darstellende Geometrie und mathematisch leicht nachvollziehbare Konstruktionen lieben.
Insgesamt sind zwar nur wenige Formvariationen möglich: Kreis, Ellipse, Spirale, Dreieck, Viereck, wovon die meisten Quadrate und Rechtecke sind wegen ihrer Regelmäßigkeit, und Vielecke. Auch die Farbgebung scheint durch den Farbkreis und seine Sekundärfarben begrenzt zu sein, doch nimmt man beide Aspekte von Form und Farbe zusammen, so erhält man unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Deshalb ist jedes Op-Art Bild ein Einzelstück, wie alle anderen Werke früherer Künstler. Allerdings lassen sich die Op-Art Bilder wegen ihrer Vorraussetzungen gut miteinander vergleichen und verschiedene Effekte können aufgrund dessen leichter analysiert werden. So ist es jedem Menschen möglich ein Kunstwerk nur mit rationaler Planung und etwas Konstruktionsgeschick herzustellen. Und genau diese Zielsetzung verfolgte Vasarely mit seiner „Art social“: Er wollte die Stellung der Kunst in der Gesellschaft verbessern, so dass jeder Zugang zu ihr finden sollte: „Die Kunst von morgen wird gemeinsamer Besitz aller oder überhaupt nicht sein...“ Somit legte er den Schwerpunkt nicht auf die handwerklichen Fertigkeiten des Künstlers, sonder auf Vielfalt, die nur durch Wiederholung und Vervielfältigung bestimmter Objekte entsteht.
Ist das nicht die wahre Kunst, bei der Kreativität und Kombinatorik, also mentale Leistungen, im Vordergrund stehen, so dass die Kunst nicht schon an physischen Vorraussetzungen wie mangelnder Handfertigkeit scheitern muss?
Anmerkungen:
Quellen:
www.kgi.ruhr-uni-bochum.de/projekte/opart/op_vorwort.htm
members.1012surfnet.at/edith.egger/op_art.htm
www.kl.unibe.ch/sec2/gymbield/schueler/95e/simon/opart/vasarely.htm
www.farben.com/vg/vg571.htm
www.glossar.de/glossar/z_perspektive.htm
www-is.informatik.uni-oldenburg.de/~dibo/teaching/pg-mpig/zwischenbericht- b/node151.html
nixschwimmer.de/opart.htm
[...]
1 unter Op-Art versteht man die Bildgattung, die sich durch geometrische Konstruktion und Perspektiven auszeichnet. Diese sollen dem Betrachter den Eindruck einer Bewegung sowie eines Flimmerns vermitteln. Die Bildgattung entstand in den fünfziger Jahren und weist deutliche Tendenzen zum Konstruktivismus, Pointillismus und Orphismus auf.
2 ausgehend von einer ebenen Figur (z.B. Quadrat) werden von den Ecken ausgehend parallele, schräge Linien gezeichnet, so dass ein Volumen entsteht, das sich von den traditionellen Schrägbildern dadurch unterscheidet, dass keine exakte Verkürzung der Linien auftritt, wie z. B. in der Kavalierperspektive. Dadurch wird die physikalisch unmögliche Räumlichkeit erzeugt.
- Arbeit zitieren
- Jenny Wagner (Autor:in), 2000, Bildanalyse und Interpretation von Vasarelys Kunstwerk "Vaar", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105205
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.