Der Tod in Venedig, Thomas Mann
Autor
Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck als Sohn eines Großkaufmannes und Senators geboren. Sein Vater starb früh und er übersiedelte bald mit seiner Mutter nach München, wo er eine Reihe von Aufsätzen und Erzählungen schrieb. 1933 zog er aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Kalifornien, und wurde Amerikanischer Staatsbürger. 1952 kehrte er nach Europa zurück und starb am 12. August 1955 in Zürich.
Werke
1901 "Die Buddenbrooks" Ein Familiengeschichte, mit der Mann seinen ersten und größten Erfolg erzielte. (Der Roman wurde 1929 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet)
1913 "Der Tod in Venedig"
1922 "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" 1924 "Der Zauberberg"
1939 "Lotte in Weimar" 1947 "Doktor Faustus"
Sprache, Stil und Gattung
Die Novelle von Thomas Mann ist in fünf Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel ist klar vom nächsten getrennt. Im ersten Kapital wird die Begegnung mit einem Fremden beschrieben, der in Aschenbach eine Reiselust auslöst. Das zweite Kapitel ist eine Überblick über Aschenbachs Leben. Im dritten wird die Reise nach Venedig und der überstürzte Abreiseversuch dargestellt. Im vierten Kapitel wird der Wandel der Arbeitsweise Aschenbachs durch Tadzio beschrieben und im letzten Kapitel sind die letzten Tage von Aschenbachs Leben beschrieben.
Inhalt
Der über 50jährige Schriftsteller Gustav von Aschenbach Anfang Mai in München spazieren. Auf einem
Friedhof sieht er einen Mann mit sonderbaren Aussehen. Er vergisst ihn bald wieder, doch der Mann hat seine Reiselust geweckt. So packt von Aschenbach zwei Wochen darauf die Koffer und reist ab. Zunächst ist sein Ziel eine Insel vor Istrien, doch er entscheidet sich bald, nach Venedig weiterzureisen. Dort begegnet er zum ersten mal Tadzio, einem 14jährigen polnischen Knaben. Aschenbach ist von dessen Schönheit fasziniert, und beginnt ihn zu beobachten.
Der Schriftsteller gewinnt den Knaben lieb, obwohl er nie ein Wort mit ihm spricht. Einmal entschließt er sich fast, ihn anzusprechen, doch dann entscheidet er sich dagegen.
Ein anderes Mal begegnen sich die beiden unverhofft, in einer der engen Gassen Venedigs.
In der vierten Woche von Aschenbachs Aufenthalt in Venedig macht Aschenbach einige Entdeckungen. Die Gassen werden desinfiziert, und es verschwinden immer mehr Ausländer aus der Stadt. Die Cholera breitet sich aus; doch dies versucht man den Besuchern zu verheimlichen. Aschenbach kommt hinter das Geheimnis, und er überlegt ob er es der Polnischen Familie sagen soll. Er entscheidet sich aber dagegen, denn er will solange wie möglich in Tadzio’s Nähe sein.
Inzwischen hat sich Aschenbach selbst mit der Cholera angesteckt, und es geht ihm immer schlechter. Die Polen brechen ohne Aschenbachs zutun auf. Tadzio geht noch einmal am Stand spazieren und Aschenbach sitzt wie immer in seinem Strandkorb und beobachtet ihn.
Interpretation
Der Dichter Gustav Aschenbach befindet sich zu Beginn der Geschichte in einer größeren Schaffenskrise. Die sonst immer vorhandene nötige Kraft und Konzentration fürs Schreiben ist nicht mehr vorhanden. Als er auf einem Spaziergang auf einen Mann trifft, der wie ein Reisender gekleidet ist, empfindet Aschenbach ein tiefes Verlangen zu reisen. Doch wie schon früher verdrängt er diese Gefühle, denn er hat Angst, seine Arbeit nicht mehr zu Ende zu bringen. Immer mehr denkt er daran zu verreisen und er findet auch nach und nach Interesse daran. Schließlich kann der Schriftsteller seine schon früher unterdrückten Gefühle nicht mehr länger verdrängen: er will reisen. Gustav Aschenbach hatte in seiner Krise sicherlich schon öfters Sehnsucht nach etwas Neuem, jedoch traute er sich nicht so richtig. Für ihn besteht eine Pflicht im Sinne von: Zuerst di Arbeit, dann das Vergnügen. Der Fremde ist ausschlaggebend endlich seine wahren Gefühle zu zeigen.
Während der Überfahrt nach Venedig sieht er einen alten Mann , der sich geschminkt und verkleidet hat, so dass er auf den ersten Blick wie ein Fünfundzwanzigjähriger aussieht. Er kann diesen falschen Anblick nicht ertragen. Die Künstliche, durch Schminke und Perücke erreicht, ekelt ihn regelrecht an. Im weiteren Verlauf des Buches kann man eine Wendung erkennen. Er verjüngt sich ebenfalls. Er färbt beispielsweise seine Haare schwarz.
Eine weitere Parallele zu dem alten Mann ist die Kleidung: Aschenbach trägt eine rote Krawatte und einen "[…] breitschattender Strohhut mir einem mehrfarbigen Bande umwunden" (131), während der alte Mann "[…] in hellgelbem, übermodisch geschnittenem Sommeranzug, roter Krawatte […]" (34) gekleidet ist und einen "[…] farbig umwundenen Strohhut" (35) trägt. Hierzu kann man den "[…] gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff […]" (12) des Reisenden und den "[…] den breit und gerade gerandeten Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepräge des Fremdländischen und Weitherkommenden verlieh." (11). Ebenfalls der Gondolier trägt eine gelbe Schärpe und einen Strohhut. Durch die blonden Haare des
Gondolier kann man auf einen nicht italienische Abstammung schließen.
Ebenso der Gitarrist der Straßensänger: "Er schien nicht venezianischen Schlages, vielmehr von der Rasse der neapolitanischen Komiker." (112).
Diese Fremden stehen als Zeichen des Unbekannten. Da Aschenbach sich in dieser Stadt nicht auskennt, macht dies ihm noch mehr Schwierigkeiten sich hier zu recht zufinden.
Nach der Schifffahrt besteigt Aschenbach eine venezianische Gondel. Sie ist schwarz, so schwarz, wie es allenfalls nur Särge sind. Da Aschenbach in Venedig stirbt, kann man hier auch schon eine Verbindung zum Tod erkennen.
In der Aufenthaltshalle seines Hotels sticht ihm zum ersten Mal Tadzio ins Auge. Aschenbach bemerkt, dass der Knabe vollkommen ist. Er genießt ohne aufzufallen jeden Blick, den er von Tadzio erhaschen kann. Die Beziehung des Schriftstellers zu diesem Jungen ist für Aschenbach die des Vaters zum Sohn. Er fühlt sich in Venedig äußerst wohl und beschließt so lange zu bleiben wie Tadzio.
Das Wetter beginnt Aschenbach zu schaffen machen und will am nächsten Morgen nach Triest abreisen. Diese überstürzte Entscheidung bereut er jedoch schon am selben Abend wieder und er erwägt doch zu bleiben. Er hat jedoch noch nicht begriffen, weshalb ihn seine Gefühle zurückhalten und zum bleiben überreden wollen.
Was dem Leser schon lange bekannt war, erkennt Aschenbach jetzt auch selber: "Er [...] fühlte die
Begeisterung seines Blutes, die Freude, den Schmerz seiner Seele und erkannte, dass ihm um Tadzios willen der Abschied so schwer geworden war." (77)
Aschenbach spürt ein Verlangen, nur noch in Tadzios Nähe zu arbeiten. Das Verlangen setzt sich dann so um, dass er sogar nach Tadzio sucht. Seine Hemmschwelle gegenüber Tadzio sinkt weiter. Das einzige was ihm zu dieser Zeit Sorgen bereitet, ist, dass der Junge abreisen könnte.
Aschenbach ist so fixiert auf Tadzio, dass er sogar seinen ganzen Tagesablauf auf Tadzio ausrichtet, so dass sein Tag nach dessen Verschwinden einfach zu Ende ist.
Tadzio wird für Aschenbach immer mehr zur Droge und zu einer unwiderstehlichen Manie. Er nimmt seine Umgebung nicht mehr richtig wahr, da er den Tag damit beschäftigt ist, Tadzio zu Verfolgen. Nicht einmal der Ausbruch der Cholera kann Aschenbach aus dem Tranceartigen Zustand, den Tadzio auslöst, herausholen. Er ist sich der Gefahr überhaupt nicht bewusst. Die ganze Wahrheit der Cholerabedrohung wird der Öffentlichkeit möglichst verschwiegen. Aschenbach ist einer der wenigen die es wissen. Er berichtet Tadzio und seiner Familie nichts von der bevorstehenden Choleraepidemie, was er eigentlich nur macht, um Tadzio weiter sehen zu können.
Kurz bevor Aschenbach stirbt sieht er Tadzio zum letzten Mal am Strand. Jaschu, sein Spielgefährte, verwickelt ihn in einen Ringkampf. Der Kampf endet mit Tadzios Niederlage.
Aschenbach findet auf einmal keinen Bezug mehr zu ihm. Er spürt sozusagen, dass sein Lebensabend gekommen ist. Seine leise Todesahnung beziehungsweise die kleinen Verbindungen mit dem Tod (schwarze Gondel) haben sich bestätigt. Er stirbt an einem Herzanfall.
Aschenbach fällt alle Entscheidungen mit seinem Verstand. Gefühle haben keinen Platz. Erst durch den Reisenden wird in ihm ein Umschwung gelöst: Er hört auf seine Gefühle. Er muss (nach Venedig) abreisen; sein Gefühl sagt ihm das.
So wäre also der Reisende am Tod von Gustav Aschenbach verantwortlich. Sein Gefühl veranlasst ihn in Venedig zu bleiben, trotz der Cholera.
Die Beziehung Aschenbachs zu dem polnischen Jungen wirkt eher wie eine platonische Liebesbeziehung.
Aschenbach traut sich anfangs nicht näher auf diese Verbindung mit dem Jungen einzugehen. Doch je mehr er von dem Jungen sieht oder hört, desto mehr interessiert es ihn mehr von Tadzio herauszubekommen.
Dass er ihn aber nie anspricht ist eigentlich nur zum Nachteil Aschenbachs und dass Aschenbach die polnische Familie nicht vor der Cholera warnt ist eigentlich nur aus Eigennutz, nur um mehr von dem Jungen zu haben.
Was aber dann mit Tadzio und seiner Familie geschieht ist eigentlich Ungewiss. Die Geschichte endet mit dem Tod Aschenbachs.
Wirkung
Zu der Zeit, als die Novelle geschrieben wurde, war an eine Beziehung zwischen einem Jungen und einem älteren Mann überhaupt nicht zu denken. Es wäre möglich, dass Thomas Mann selbst eine heimliche Liebe zu einem Jungen fühlte, die er aber wegen diese Tabuthemas nicht ausleben hatte können. So schrieb er sie schön verpackt in eine Geschichte nieder.
In der heutigen ist es einfacher über solche Themen zu reden, auch wenn man trotzdem noch skeptisch reagiert, wenn man mit etwas Neuem konfrontiert wird.
Eposchencharakteristik und Querverbindung
Die Schaffenskrise, in der Aschenbach zu Beginn steckt, hatten zu dieser Zeit viele bürgerliche Künstler. Das neugegründete Kaiserreich entwickelte sich von 1871 bis 1914 zu einem hochindustrialisierten Staat. Neben dieser Ungewissheit der Zukunft, machten den Schriftstellern die Landflucht und die Verstädterung zu schaffen.
Eine nächste Schranke wurde durch das politische System aufgebaut. So hatte der Kaiser das Sagen. Er war derjenige, der über Tod und Leben entscheiden konnte.
Quellenangabe
- A: Mann, Thomas: Der Tod in Venedig; Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 1992
- B: Mann, Thomas: Die Buddenbrooks; Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 198
- C: -Internet: www.literaturhaus.de/buch/tod+in+venedig
Häufig gestellte Fragen
Wer ist Thomas Mann und welche Werke hat er geschrieben?
Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren und starb am 12. August 1955 in Zürich. Er war ein deutscher Schriftsteller, der Werke wie "Die Buddenbrooks", "Der Tod in Venedig", "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull", "Der Zauberberg", "Lotte in Weimar" und "Doktor Faustus" verfasste. "Die Buddenbrooks" brachten ihm 1929 den Nobelpreis ein.
Wie ist "Der Tod in Venedig" aufgebaut?
Die Novelle "Der Tod in Venedig" ist in fünf Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel beschreibt einen Abschnitt in Aschenbachs Reise und inneren Wandlung. Das erste Kapitel handelt von der Begegnung mit einem Fremden, das zweite gibt einen Überblick über Aschenbachs Leben, das dritte beschreibt die Reise nach Venedig, das vierte den Einfluss Tadzios auf Aschenbach, und das fünfte Aschenbachs letzte Tage.
Was ist der Inhalt von "Der Tod in Venedig"?
Der über 50-jährige Schriftsteller Gustav von Aschenbach reist nach Venedig und begegnet dort dem jungen Tadzio, dessen Schönheit ihn fasziniert. Aschenbach entwickelt eine tiefe Zuneigung zu Tadzio, die jedoch platonisch bleibt. Währenddessen breitet sich in Venedig die Cholera aus, die die Behörden zu vertuschen versuchen. Aschenbach erfährt von der Gefahr, warnt aber Tadzios Familie nicht, um in seiner Nähe bleiben zu können. Schließlich infiziert er sich selbst mit der Cholera und stirbt in Venedig.
Wie wird Aschenbachs Charakter im Laufe der Geschichte dargestellt?
Aschenbach befindet sich zu Beginn der Geschichte in einer Schaffenskrise. Die Begegnung mit einem Reisenden weckt in ihm die Sehnsucht nach Neuem. In Venedig erlebt er eine Verjüngung und eine Wendung, die man auch in seiner Kleidung wiederfindet. Er richtet sein gesamtes Leben nach Tadzio aus und ignoriert sogar die Gefahr der Cholera. Am Ende der Novelle wird Aschenbach durch seine Obsession zerstört.
Welche Interpretation kann man dem Werk geben?
Die Geschichte kann als eine Auseinandersetzung mit den Themen Kunst, Schönheit, Verfall, Besessenheit und Tod interpretiert werden. Aschenbachs Obsession für Tadzio symbolisiert seinen Kampf mit unterdrückten Gefühlen und seiner Sehnsucht nach etwas Neuem. Die Cholera-Epidemie steht für den moralischen Verfall und die Vergänglichkeit des Lebens.
Welche Rolle spielen die Fremden in der Geschichte?
Die Fremden, wie der Reisende, der Gondoliere und der Straßenmusiker, repräsentieren das Unbekannte und das Fremde, was Aschenbachs Desorientierung und Verunsicherung in Venedig verstärkt.
Welche symbolische Bedeutung hat Venedig?
Venedig wird als ein Ort des Verfalls und der Dekadenz dargestellt, der gleichzeitig eine große Anziehungskraft ausübt. Die Stadt wird mit Krankheit und Tod in Verbindung gebracht und dient als Kulisse für Aschenbachs inneren und äußeren Verfall.
Was ist die Wirkung der Novelle "Der Tod in Venedig"?
Zur Zeit der Veröffentlichung war die Novelle aufgrund ihrer Darstellung einer homoerotischen Obsession kontrovers. Heute wird sie als ein bedeutendes Werk der deutschen Literatur angesehen, das wichtige Themen der Zeit aufgreift.
Welche Epochencharakteristik und Querverbindungen gibt es?
Die Schaffenskrise Aschenbachs spiegelt die Unsicherheiten und Ängste bürgerlicher Künstler im Deutschen Kaiserreich wider. Die Novelle thematisiert die Landflucht, die Verstädterung und die Einschränkungen des politischen Systems.
- Quote paper
- Desi P. (Author), 2001, Mann, Thomas - Der Tod in Venedig, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104951