Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung
2.1 Ethik
2.2 Medienethik
3. Journalismus
3.1 Ethische Konfliktfelder
3.1.1 Korrumpierbarkeit
3.1.2 Sensationshascherei
3.1.3 Verletzung von Privatsphäre
3.1.5 Ökonomisierung des Journalismus
3.2 Konsequenz einer journalistischen Tugendlehre
3.2.1 Tugend der Unterlassung
3.2.2 Tugend der Verzögerung
3.2.3 Tugend der Berichtigung
3.2.4 Tugend der Einlassung
4. Gewalt im Fernsehen
4.1 Einleitung
4.2 Definition „Gewalt“
4.3 Fiktionale Gewalt
4.4 Non-fiktionale Gewalt
4.4.1 Non-fiktionale Gewalt in den Nachrichten
4.4.2 Non-fiktionale Gewalt im Reality-TV
4.5 Wirkung der Gewalt im Fernsehen
4.5.1 Wirkungstheorien
4.5.1.1 Katharsisthese
4.5.1.2 Inhibitionsthese
4.5.1.3 Stimulationsthese
4.5.1.4 Suggestionsthese
4.5.1.5 Habitualisierungsthese
4.5.1.6 Sozial-kognitive Lerntheorie
4.5.2 Zusätzliche Einflussfaktoren
4.6 Zusammenfassung
5. Darstellung von Sexualität im Fernsehen
5.1 Liberalisierung
5.2 Verlust der Scham
5.3 Öffentlich-rechtliche / private Fernsehanbieter
5.4 Pornographie
5.5 Frauenbild und Sexualität im Fernsehen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Massenmedien bestimmen und konditionieren unsere Bedürfnisse, Sichtweisen und Gefühle. Sie sind wirklichkeits- und gesellschaftsprägend. Durch die rasante Entwicklung der neuen Medien, allen voran das Internet, wird das Fernsehen oft schon als Alt-Medium bezeichnet. Dennoch ist es für den Großteil unserer Gesellschaft immer noch das Leitmedium. Dies wurde gerade bei den jüngsten Terroranschlägen in New York deutlich, deren Bilder innerhalb von wenigen Minuten auf fast allen Kanälen durch Live-Übertragungen die ganze Welt erreichten.
Fernsehen vermittelt audiovisuelle Inhalte, wobei besonders den Bildern aufgrund ihrer Wirkung auf die Betrachter eine tragende, lebensbestimmende Bedeutung zukommt. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Medium Fernsehen seitens der Produzenten und Rezipienten ist daher aus medienethischer Sicht gefordert und kann nicht allein den Medieninstitutionen überlassen werden. (vgl. Haller/Holzhey 1991, S. 17, in: Wiegerling 1998, S. 157)
Wird diese Forderung in der Praxis eingelöst? Diese Frage soll Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Dabei sollen die medienethischen Konfliktfelder in den Bereichen Fernsehjournalismus und Darstellung von Gewalt und Sexualität im Fernsehen betrachtet werden.
2. Begriffsbestimmung
2.1 Ethik
Ethik lässt sich definieren als kritische Reflexion moralischen Verhaltens. Sie tut dies auf der Grundlage alltäglicher Erfahrungen und Fragen im Bereich des Handelns unter dem Aspekt von Gut und Böse. (vgl. Müller 1996, S. 73) „Ethik sagt uns, wie wir uns verhalten sollen.“ (William Barclay, in: Bachman 1989, S. 71)
2.2 Medienethik
Medienethik beschreibt und erklärt neue ethische Probleme unter medialen Gesichtspunkten. Sie ist daher in erster Linie eine deskriptive Form der Ethik. Mit ihr sollen weniger neue Normen begründet werden, als sie vielmehr versucht, für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Medien zu sensibilisieren. Weiterhin konzentriert sich Medienethik auf alle Fragen, die das Verhältnis von Trägersystem, Einrichter desselben, Nutzer desselben und Information betreffen. Die trägerbedingte Formung der Information steht dabei im Vordergrund. (vgl. Wiegerling 1998,S. 1 - 2)
Eine eigene Disziplin „Fernsehethik“ gibt es nicht. In der folgenden Arbeit wollen wir uns ausschließlich auf das Medium Fernsehen konzentrieren, obwohl eine medienethische Diskussion oft allgemein alle Formen von Medien und Massenmedien betrifft.
3. Journalismus
3.1 Ethische Konfliktfelder
Im Folgenden soll hauptsächlich auf fünf ethische Problemfelder innerhalb journalistischer Berichterstattung im Fernsehen eingegangen werden, zum Teil auch mit konkreten Beispielen versehen. Dabei soll sowohl die Wirkung auf die journalistische Tätigkeit, als auch auf die Rezipienten bestimmt werden, wobei die Scheidung der Konfliktfelder wegen derer engen Verknüpfung miteinander nur eine Akzentverlagerung darstellt (vgl. Wiegerling 1998, S. 158).
„Auch wenn dies so mancher Journalist abstreitet: Die Medienproduktion ist in zunehmendem Maße Bedingungen ausgesetzt, die mit ‚sittlicher Gesinnung’, mit der Wahrung der ‚Menschenwürde’ oder der Förderung des ‚Gemeinwohls’ praktisch nichts, um so mehr aber mit den Gegebenheiten des Marktes und den Zwängen der Systemorganisation zu tun haben. Man gewinnt den Eindruck, als wandelten sich die Produktionsbedingungen der Massenmedien in einem eigendynamischen Prozeß, dem die Journalisten ähnlich ohnmächtig ausgeliefert sind wie ihr Publikum.“ (Haller / Holzhey 1991, S. 9)
Schon seit den 80er Jahren gibt es wichtige ethische Untersuchungen auf dem Gebiet des Journalismus, da sich medienethische Konflikte in der öffentlichen Diskussion oft an journalistischen Fehlleistungen entzünden (vgl. Wiegerling 1998, S. 154).
3.1.1 Korrumpierbarkeit
Betrachten wir zuerst das Problem der Korrumpierbarkeit im Sinne der Bereitschaft, sich in seiner journalistischen Tätigkeit vereinnahmen zu lassen, um dies nicht mit direkter Bestechlichkeit zu verwechseln. Der wachsende Aktualitätsdruck, auf den später noch genauer eingegangen wird, verhindert oft fundierte Recherchen der Journalisten, welche zwecks Arbeitserleichterung gerne mal auf zugespieltes Public Relations-Material zurückgreifen. Dies kann jedoch Tatsachen verfälschen oder die Berichterstattung einseitig erscheinen lassen. Es kommt auch vor, dass Redaktionen Exklusivrechte bei Kooperation versprochen werden, wobei der Gesinnungsjournalismus, der Enthüllungen im Lager des politischen Gegners sucht, als besonders gefährdet eingestuft werden kann. (vgl. Wiegerling 1998, S. 158)
„Beim Golfkrieg 1991 ließ sich der amerikanische Nachrichtensender CNN in einem bisher nicht gekannten Maß in die strategischen Absichten der Militärs einspannen. Zwischen Public Relations-Material und Nachrichtenmaterial konnte nicht mehr unterschieden werden. Für Exklusivrechte wurde die journalistische Sorgfaltspflicht, insbesondere die kritische Prüfung des Materials, restlos geopfert.“ (Wiegerling, 1998, S. 155)
Korrumpierbarkeit findet man auch medienintern, wobei die Freiheit der Presse immer nur eine relative in bezug auf bestimmte ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen ist. So können im Zeitalter von „political correctness“ bereits geringe Formverletzungen zu Sanktionen führen, was ein Journalist unter der Berücksichtigung hausinterner Tabus durch freiwillige Zensur zu vermeiden sucht. Diese Zensur - geschehe sie auch mehr oder weniger unbewusst - kann gegebenenfalls inhaltliche Verfälschungen nach sich ziehen, selbst wenn es sich nur um Sprachregulierungen handelt. (vgl. Wiegerling 1998, S. 158 - 159)
3.1.2 Sensationshascherei
Betrachten wir nun das Problem der Sensationshascherei. Wenn der ökonomische Zweck, also die Einschaltquote einer Nachrichtensendung, die journalistische Tätigkeit überschattet, kann der informelle Auftrag der Journalisten in den Hintergrund geraten. Mit Blick auf Effekte und Sensationen soll der Rezipient eher gereizt als informiert werden. Besonders im Leitmedium Fernsehen kann man die Tendenz feststellen, Informelles und Unterhaltendes ineinander fließen zu lassen, was beim Rezipienten zu einer verstellten Sicht der Realität, wenn nicht gar zu kompletten Fehleinschätzungen selbiger, führen kann. „Das von Journalisten häufig mit dem Hinweis auf seine Publikumsfreundlichkeit geäußerte Argument, man gäbe dem Rezipienten nur das, was er wünsche, ist an Infamie und Zynismus nur schwerlich zu überbieten. Mit dem gleichen Argument haben einst Imperatoren den Massen Gladiatorenspiele und öffentliche Hinrichtungen geboten. Dieses Angebot- und-Nachfrageargument ist im übrigen noch nicht einmal moralisch indifferent, sondern schließt das Amoralische ausdrücklich ein, schließlich besteht danach eine Nachfrage.“ (Wiegerling 1998, S. 159) Darüber hinaus weiß man aus der Werbepsychologie, dass Nachfrage auch erzeugt werden kann.
Eine Folge der Sensationshascherei ist die Möglichkeit von Fehleinschätzungen gesellschaftlicher Wirklichkeit, wenn die Proportion einer Nachricht und ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung verloren geht. „Anton Hügli schreibt, dass die Realitätsbilder von Medien gerade im Bereich der sozialen Orientierung ‚für viele Menschen wenn schon nicht als autoritativ, so doch als leidlich repräsentativ, als typisch gelten und damit der einzelnen und individuellen Erfahrung überlegen scheinen. Massenmediale Darstellung kann aus diesen Gründen z. B. die „Enttabuisierung“ sozialer Verhaltensweisen initiieren oder begünstigen.’“ (Hügli 1992, S. 100, in: Wiegerling 1998, S. 159 - 160) Eine weitere Folge der Orientierung von Nachrichtensendungen an sensationellen und spektakulären Beiträgen ist die Möglichkeit des Stattfindens der Weltwahrnehmung als Oberflächenwahrnehmung, wobei letztere als die wahre und einzig mögliche aufgefasst wird, denn das Sensationelle und Spektakuläre haftet an der Oberfläche. (Wiegerling 1998, S. 159 - 160).
Selbst als seriös geltende Nachrichtensendungen neigen dazu, verstärkt auf Sensationsmaterial zu setzen, um den Zuschauer in Spannung zu halten, anstatt zu langweilen. Dazu kann man beispielsweise die Zahl der Beträge erhöhen und deren Dauer verkürzen, was sie jedoch zwangsläufig oberflächlicher macht - denn die Darstellung gründlicher Recherchen bräuchte sicherlich mehr Zeit.
3.1.3 Verletzung von Privatsphäre
Das Problem der Verletzung von Privatsphäre ist nicht nur deshalb erwähnenswert, weil ganze journalistische Sparten davon leben, Privates öffentlich zu machen. „Man denke nur an die Vielzahl nachmittäglicher TV-Talkshows, die vom Voyeurismus der Zuschauer ebenso leben wie vom Exhibitionismus der Talk-Gäste.“ (Wiegerling 1998, S. 160) Für das Individuum wird die Unterscheidung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit immer schwieriger, was zur Folge hat, dass öffentliches Handeln immer stärker von Enthüllungen des Privaten belastet wird. Dies belegen beispielsweise die Medienkampagnen gegen amerikanische Präsidenten und Vizepräsidenten wegen angeblicher „Seitensprünge“. „Ob die Enttabuisierung aller Lebensbereiche allerdings, wie Hans Peter Dürr optimistischerweise im Spiegel (Nr. 2, 1993, S. 173) meinte, ihre Grenzen hat, muß insofern dahingestellt bleiben, als weniger das Ergebnis der Enttabuisierung für die Macher entscheidend ist, als vielmehr der Prozeß.“ (Wiegerling 1998, S. 160) Um diesen am Laufen zu halten, sind gelegentlich errichtete Tabuzonen durchaus förderlich, und Privatsphäre ist nur noch als zu enthüllender Rätselbezirk zugelassen, was die Strategien hinter diesem Prozess sind.
3.1.4 Problem des Aktualitätszwanges
Ein weiteres Schlüsselproblem ist der wachsende Aktualitätsdruck, dem Journalisten und Redaktionen ausgesetzt sind. Dadurch werden gründlichere Recherchen erschwert und ein Zwang zu Live-Berichterstattungen erzeugt, da diese dem Rezipienten größtmögliche Authentizität, Objektivität und Spannung vortäuscht. Nachrichten werden so auf ihren Neuigkeitsaspekt reduziert, wobei deren tatsächliche Relevanz oft unberücksichtigt bleibt. Die vom Rezipienten erwartete Unmittelbarkeit von Live-Berichterstattungen stellt sich oft jedoch als Inszenierung heraus, deren Grad wie oben erwähnt weit fortgeschritten scheint. (vgl. Wiegerling 1998, S. 160 - 161) „Selbst bei der Kriegsberichterstattung gibt es makabre Formen von Inszenierung, wie der Fall eines Jungen, der für ‚eine Hand voll Dollar’ in Sarajevo vor der Kamera einen Zickzacklauf in einer Allee hinlegte, die von serbischen Scharfschützen bedroht war.“ (Wiegerling 1998, S. 161) Die Inszenierung eines Ereignissen wird so wichtiger als das Ereignis selbst. Inhalte werden gerade im Medium Fernsehen nach inszenatorischen Gesichtspunkten ausgewählt, weil bestimmte andere Berichterstattungen ungeeignet scheinen. (vgl. Wiegerling 1998, S. 158)
3.1.5 Ökonomisierung des Journalismus
Zuletzt möchten wir auf das Problem der Ökonomisierung des Journalismus eingehen, dem eine besondere Bedeutung zukommt, da es als Schlüssel zu vielen gegenwärtigen Konfliktfeldern im Journalismus angesehen werden kann. Es stellt sich zunächst die Frage danach, ob es wirklich einer besonderen Moral bedarf, wenn der Journalismus nur ein Geschäft ist. Zweifellos verschärfte sich die Ökonomisierung des Journalismus besonders in den vergangenen zehn Jahren im Zuge der Institutionalisierung privater Fernsehanstalten und der Globalisierung des Nachrichtenwesens. Auch vor öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten macht der Ökonomisierungszwang nicht halt. Weiterhin stellt sich die Frage, ob das Nachrichtenwesen allein den Kräften des Marktes überlassen werden darf. ( vgl. Wiegerling 1998, S. 162 ) „Die Gefahr der fortschreitenden Ökonomisierung liegt in der Möglichkeit, daß zukünftig mehr für den Markt, das heißt für die Affizierung als für die Informierung des Rezipienten [ gesendet ] wird. Es geht dann nicht mehr darum, ihn optimal zu informieren, sondern ihm am optimalsten nach dem Mund zu reden, oder ihn am optimalsten zu provozieren, beides entspricht ja durchaus dem ökonomischen Interesse.“ ( Wiegerling 1998, S. 162 )
3.2 Konsequenz einer journalistischen Tugendlehre
Journalistischer Tätigkeit kommt ein besonderer Erkenntnisauftrag zu, der dem von Wissenschaftlern ähnlich ist. „Der Journalist ist weder Kumpan noch Konkurrent des Wissenschaftlers, sondern dessen funktionelles Komplement, das die Informationslage um Beiträge ergänzt, welche die Wissenschaft nicht erbringen und die Wissensgesellschaft nicht entbehren kann.“ (Spinner 1992, S. 28, in: Wiegerling 1998, S. 163) In ethischer Hinsicht ist ein Journalist mit Fragen zum Verhältnis von Wissen und Macht konfrontiert. Hauptsächlich geht es jedoch um Fragen der Wissensvermittlung, weshalb eine besondere Moralisierung journalistischer Tätigkeit unnötig erscheint. Dennoch ist der journalistische Erkenntnisauftrag alles andere als eine ethisch neutrale Angelegenheit, aus dem eine besondere, moralische Verantwortung resultiert. Man kann sagen, „daß eine erkennende Praxis ihren Grund in einem Ethos totaler Selbstbestimmung und Verantwortung hat. Und gerade in unseren Zeiten zeigt sich, wie eng Fragen des Erkenntnisgewinns mit ethischen Fragestellungen verflochten sind.“ (Wiegerling 1998, S. 163)
Meinungsbildung und Unterrichtung sind die vorrangigen gesellschaftlichen Funktionen des Journalismus, zu denen besonders im Bereich des Fernsehens noch eine unterhaltende Funktion hinzukommt, um die Rezeption trockener Nachrichtensendungen zu erleichtern. Im Folgenden soll also versucht werden, eine Art journalistische Tugendlehre zu bestimmen, wobei Allgemeines, wie beispielsweise die Sorgfaltspflicht oder die Trennung von Bericht und Meinungsäußerung, nicht erfasst, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Es geht darum zu erörtern, wie ein Beitrag zur Verbesserung der gesellschaftlichen Funktion des Journalismus geleistet werden kann, wobei es klar ist, dass folgende Tugenden im Hinblick auf die zuvor beschriebenen ethischen Konfliktfelder nur eingeschränkt erfüllt werden können. (vgl. Wiegerling 1998, S. 164)
3.2.1 Tugend der Unterlassung
In seinem Artikel „Die Tugend der Unterlassung“ (1992) artikuliert Ludwig Hasler Kriterien, „wann das journalistische Prinzip der Offenheit eine Einschränkung erfahren sollte.“ ( Wiegerling 1998, S. 164) Ein Journalist ist täglich mit der Aufgabe der Informationsselektion konfrontiert, was die Grundaufgabe des Öffentlichmachens von Informationen einschränkt. Hasler fragt nach den gesamtgesellschaftlichen Folgen einer Publizität, die es abzuschätzen gilt, bevor man sich dazu entscheidet, eine Nachricht zu veröffentlichen oder Diskretion walten zu lassen. (vgl. Wiegerling 1998, S. 165)
3.2.2 Tugend der Verzögerung
Hierbei geht es darum, durch die Verzögerung der Publizierung ungesicherter Informationen die Seriosität journalistischer Arbeit zu erhöhen. Dies heißt natürlich nicht, dass nicht mehr aktuell über Ereignisse berichtet werden sollte, sondern lediglich, dass ein Journalist stets kritisch prüfen sollte, ob die Berichterstattung zwecks Erhöhung der Seriosität Verzögerung verträgt. Folge davon wäre eine größere Informationssicherheit und eine Verringerung der in den Konfliktfeldern beschriebenen Sensationsgier. (vgl. Wiegerling 1998, S. 165 - 166)
3.2.3 Tugend der Berichtigung
„Berichtigungen finden leider meistens erst nach juristischen Einwänden und Maßnahmen in Form von Gegendarstellungen statt. Seltener sind Richtigstellungen nach Rezipientenhinweisen und so gut wie nie kommt es zu Richtigstellungen, nachdem ein Journalist seine Fehlinformation und Fehleinschätzung eines Tatbestandes eingesehen hat. Man kann vermuten, daß letzteres als unerheblich angesehen wird. Solange ein Fehler nicht bemerkt wird, kann man zur Tagesordnung übergehen.“ (Wiegerling 1998, S. 166) Nicht richtiggestellte Fehler können Vorurteile verfestigen und grobe Fehleinschätzungen bewirken. Eine Tugend der Berichtigung könnte mehr Transparenz in die journalistische Arbeit bringen, die wegen des oben erwähnten Aktualitätsdrucks Fehlinformationen nur schwer vermeiden kann. (vgl. Wiegerling 1998, S. 166)
3.2.4 Tugend der Einlassung
Ein Journalist sollte sich auf Ereignisse tatsächlich einlassen, anstatt nur Oberflächenphänomene zu vermitteln. Besonders die bildgestützte Berichterstattung führt oberflächlich oder unkommentiert leicht zu Fehlinformationen. (vgl. Wiegerling 1998, S. 166) Jüngst führen beispielsweise Berichterstattungen aus nah- und fernöstlichen Ländern anlässlich der Terroranschläge von New York zu eben diesen Fehlinformationen, weil sich nur wenige Journalisten tatsächlich auf kulturell bedingte Dispositionen einlassen. Es geht darum, Sprachen zu lernen, Sitten zu verstehen und sich in die Kultur fremder Länder einzuarbeiten, um sachlicher, objektiver und unverfälschter berichten zu können. (vgl. Wiegerling 1998, S. 166) „Die Welt spricht keine Weltsprache! Auch wenn es überall McDonald´s und Coca-Cola gibt, ist deshalb noch keine Welt zusammengerückt. Fehlsichten und Fehldeutungen in der Nachrichtenpräsentation gründen nicht zuletzt in kulturellen Blindheiten.“(Wiegerling 1998, S. 161)
4. Gewalt im Fernsehen
4.1 Einleitung
Sind die Medien - und insbesondere das Fernsehen - schuld an der zunehmenden Gewalt in der Gesellschaft? Wie wirken Gewaltdarstellungen auf die Rezipienten? Schon Seneca befürchtete bei Gladiatorenkämpfen „negative, den Charakter verderbende Einflüsse realistischer, zur Unterhaltung inszenierter Gewaltdarstellung.“ (Kunczik 1998, S.19)
Durch die Entwicklung der Massenmedien hat sich der Zuschauerkreis seit der Antike gewaltig vergrößert. Die Lust am Betrachten von Gewalt ist weiter ungebrochen. Im Fernsehen ist „ein kontrolliertes Erleben von Angstlust“ (Mikos 1995, S.172) möglich, der Zuschauer befindet sich in sicherem Abstand zur Gefahr und kann trotzdem das ängstigende Geschehen risikolos verfolgen.
Einen Anstieg der Fernsehgewalt gab es durch die Amerikanisierung des Fernsehens (vgl. Kunczik 1998, S.194f) und 1984 durch die Zulassung privater Anbieter: „Der Sendervergleich zeigt, dass die privaten Fernsehanbieter einen erheblich höheren Anteil aggressiver Inhalte am Gesamtprogramm haben als die öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter ARD und ZDF“ (Merten 1999, S. 87)
4.2 Definition „Gewalt“
Zwei verschiedene Arten von Gewalt werden unterschieden:
Unter personaler Gewalt versteht man die „...beabsichtigte physische und/oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person...“ (Kunczik 1998 S.16) Darüber hinaus gibt es auch die unbeabsichtigte Schädigung, die aber vom Empfänger durchaus als schädigend und aggressiv wahrgenommen werden kann. (vgl. Krebs 1991, S.23)
Strukturelle Gewalt meint die in einem sozialen System eingebaute Gewalt:
„Sie äußert sich, ohne dass ein konkreter Akteur sichtbar sein muss und ohne dass sich das Opfer struktureller Gewalt dieser „Vergewaltigung“ bewusst sein muss, in ungleichen Machtverhältnissen (Lebenschancen). (Kunczik 1998, S.16)
4.3 Fiktionale Gewalt
In Spielfilmen wird vorwiegend die erfolgreiche Gewaltanwendung gezeigt. Die Akteure werden selten dafür bestraft, Konsequenzen eher unrealistisch dargestellt. „In diesen Sendungen werden Handlungsmodelle angeboten, die demonstrieren, wie man mit Hilfe illegitimer Mittel (Aggression und Gewalt) als legitim anerkannte Ziele (Wohlstand, Macht, Prestige) erreichen kann.“ (Krebs 1991, S.26)
4.4 Non-fiktionale Gewalt
4.4.1 Non-fiktionale Gewalt in den Nachrichten
Die alltäglichen Berichte über Gewalt in aller Welt vermitteln ein schiefes Bild der wirklichen Kriminalität: „In der Medienberichterstattung sind schwere Verbrechen überrepräsentiert.“ (Kunczik 1998, S.217)
Die Frage - gerade nach dem jüngsten Terroranschlag in New York - ist: Welche und wieviel Gewalt soll in der Berichterstattung gezeigt werden? „An Brisanz gewinnen solche eher praktischen Fragen, wenn erkennbar wird, dass es in der Absicht der Urheber eines nachrichtlich relevanten Ereignisses liegt, Gewalt nicht nur in Kauf zu nehmen oder zu provozieren, sondern sie auch politisch zu instrumentalisieren.“ (Voss 1988, S.144)
Die prekäre Situation der Medienmacher verdeutlicht auch Kunczik: „In diesem Kontext ist unbestritten, dass insbesondere in Bezug auf terroristische Gewaltkriminalität die Massenmedien einen stimulierenden Effekt haben können.“ (Kunczik 1998, S.227)
4.4.2 Non-fiktionale Gewalt im Reality-TV
Im Reality-TV (ausschließlich im Privatfernsehen) werden Unglücksfälle, Verbrechen und Katastrophen thematisiert, nachgestellt oder nachgespielt, eine Mischform aus Inszenierung und Dokumentation. Gewaltdarstellungen im Reality-TV wirken auf den Zuschauer stärker; er empfindet sie glaubwürdiger, angsterregender und beunruhigender als fiktive Gewalt. (vgl. Kunczik 1998, S.238)
4.5 Wirkung der Gewalt im Fernsehen
4.5.1 Wirkungstheorien
4.5.1.1 Katharsisthese
„Katharsis“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Reinigung“. Die Katharsisthese geht auf Aristoteles zurück und wurde von Freud weiterentwickelt.
Sie besagt, dass das Miterleben und Mitfühlen bei der Beobachtung von aggressiven Handlungsabläufen die Bereitschaft des Rezipienten zu eigenen aggressiven Handlungen abschwächt. Die Katharsisthese kann als empirisch widerlegt betrachtet werden. (vgl. Krebs 1991, S. 32)
4.5.1.2 Inhibitionsthese
Inhibition bedeutet Gefühls-, Reaktionshemmung. Diese These, eng mit der Katharsisthese verbunden, wird ebenfalls heute kaum noch vertreten.
Sie behauptet, dass durch die Darstellung von Gewalt eigene Ängste oder Schuldgefühle hervorgerufen werden und dadurch die Gewaltbereitschaft unterdrückt wird. Dies sei besonders der Fall, wenn die negativen Konsequenzen aggressiver Handlungen dargestellt würden (was im Fernsehen kaum der Fall ist). (vgl. Krebs 1991, S.33)
4.5.1.3 Stimulationsthese
Die Stimulationsthese (Ermunterungsthese) geht davon aus, dass das Konsumieren von gewalttätigen Medieninhalten kurzfristig die Aggressionsbereitschaft steigert.
Stimulierend wirkt hier Gewalt aber nur, wenn der Zuschauer gefühlsmäßig schon erregt ist, wenn beim Aggressionsempfänger aggressionsbegünstigende Eigenschaften vorliegen.
Außerdem wird die Wirkung davon bestimmt, inwieweit die gezeigten Handlungsabläufe der individuellen Disposition des Rezipienten entsprechen. Verstärkt werden kann dieser Effekt, wenn die Leiden möglicher Opfer nicht gezeigt werden. (vgl. Krebs 1991, S. 33)
4.5.1.4 Suggestionsthese
Die Suggestionsthese meint, dass das Beobachten von Mediengewalt zur Nachahmung führen kann.
So gab es z.B. nach dem vermuteten Selbstmord des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Barschel im Oktober 1987 eine Reihe von Nachahmungstaten nach ähnlichem Muster.
Entscheidend allerdings für die Reaktion des Zuschauers ist, wie er den Medieninhalt interpretiert und welche Gedanken und Erinnerungen in diesem Zusammenhang (unbewusst oder bewusst) aktiviert werden. (vgl. Kunczik 1998, S. 99ff)
4.5.1.5 Habitualisierungsthese
Nach der Habitualisierungsthese (Gewöhnungsthese) kann häufiges Ansehen von Gewaltdarstellungen zur Abstumpfung gegen Gewalt im Fernsehen und im täglichen Leben kommen. Der Rezipient empfindet mit der Zeit Gewalt als etwas Normales.
Dieser Effekt wird nicht durch einen einzelnen Film hervorgerufen, sondern entwickelt sich langfristig. Begünstigt wird der Gewöhnungseffekt durch mögliche angenehme Bedingungen der sozialen Umgebung während des Gewaltkonsums im Fernsehen, es setzt ein Konditionierungsprozess ein.
Außerdem besteht die Gefahr, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene Einstellungen „erwerben“, die positive Bewertungen aggressiver Verhaltensweisen beinhalten. (vgl. Krebs 1991, S.43)
4.5.1.6 Sozial-kognitive Lerntheorie
„Die höchste Akzeptanz zur Erklärung der Wirkung violenter Medieninhalte genießt zur Zeit die von Bandura (1973) entwickelte kognitive Lerntheorie.“ (Friederichsen 1995, S. 399)
Die Lerntheorie sagt, dass soziale Verhaltensweisen durch Beobachtung von realen oder filmischen Modellen erlernt werden. Die (verdeckte) Übernahme von Handlungsmustern muss nicht gleich nach der Beobachtung in sichtbares Verhalten umgesetzt werden, die Muster werden im Gedächtnis gespeichert.
Die Lerntheorie unterscheidet zwischen dem Erwerb und der Ausführung beobachteter Verhaltensweisen, wobei die Ausführung von den jeweiligen Konsequenzen abhängt (Belohnung oder Bestrafung). Bandura sagt dazu, „...dass die Zuschauer modellierte aggressive Problemlösungsstrategien übernehmen und häufiger anwenden, weil sie damit gute Ergebnisse erzielt haben.“ (Bandura 1979, S.167)
Gewalttätige Film- und Fernsehhelden werden meist bis zum Ende oder gar nicht bestraft: „Die darin enthaltene Mitteilung lautet also nicht, dass Verbrechen sich nicht lohnt, sondern vielmehr, dass der Lohn der Gewalt nicht schlecht ist, abgesehen von einer kleinen Panne.“ (Bandura 1979, S.299)
„Aggressives Verhalten ist ein erlerntes Verhalten...“, (Bandura 1979, S.61) daher besteht ebenso gut die Möglichkeit, aggressive Verhaltensmuster wieder zu „verlernen“, zu modifizieren.
4.5.2 Zusätzliche Einflussfaktoren
„Der direkte Schluss vom Inhalt auf die Wirkung ist...unzulässig.“ (Kunczik 1998, S.53) Allein durch das Konsumieren gewalttätiger Inhalte wird niemand im realen Leben gewalttätig, davon sind heutzutage alle Wissenschaftler überzeugt.
„Selbst wenn das Fernsehen als wesentlicher Sozialisationsagent anzusehen ist, so erfolgt die Sozialisation einer Person doch in erster Linie durch die Interaktionsprozesse im Primärgruppen (Familie, Freundeskreis).“ (Krebs 1991, S.35)
Wie Gewalt wirkt, ist abhängig von der jeweiligen individuellen Disposition: Kultureller Hintergrund, Sozialisation, soziales und familiäres Umfeld, Geschlecht, Alter, Intelligenz sowie die Situation beim Zuschauen. So wird die aggressionsfördernde Wirkung von Gewaltdarstellungen deutlich reduziert, wenn Personen anwesend sind, die das beobachtete aggressive Verhalten negativ kommentieren. „Die Sozialisationsfunktion des Fernsehens wird durch Faktoren der sozialen Umwelt relativiert.“ (Krebs 1991, S.47)
4.6 Zusammenfassung
Ein monokausaler Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen im Fernsehen und realer Gewaltausübung, besteht nicht, jedoch kann daraus nicht auf eine Unschädlichkeit medialer Gewalt geschlossen werden.
Weitergehende Untersuchungen über die Wirkung von non-fiktionaler und struktureller Gewalt wären wünschenswert. Außerdem fehlt es an medienpädagogischen Maßnahmen, um gerade Jugendlichen Kompetenz im Umgang mit Medien zu vermitteln, ihnen eine kritische Sichtweise der Inhalte nahezubringen. (vgl. Merten 1999, S.256)
Politiker und Öffentlichkeit sehen das Fernsehen gern als Sündenbock, um davon abzulenken, dass für die Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen der Gewalt (Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsperspektiven) zu wenig getan wird. (vgl. Kunczik 1995, S.140) „...Nicht die pornographischen und/oder brutalen Erzeugnisse der modernen Kulturindustrie sind somit in erster Linie gesellschaftlich problematisch. Problematisch ist vielmehr, dass offenbar Millionen von Menschen in aller Welt selbst das Verfolgen brutalster Metzeleien und Schlachtorgien ertragen, wenn nicht gar lustvoll miterleben können. Problematisch sind also eher die Bedürfnisse großer Gruppen unserer Gesellschaft, die genau nach der Pornographie und nach den Horrorvideos verlangen, die produziert werden. Das Fernsehen oder die Besitzer von Videoshops zum Sündenbock für gesellschaftlich bedingte Probleme zu machen, würde bedeuten: sich selbst freizusprechen von der Mitverantwortung für diese Probleme.“ (Krebs 1991, S.20)
5. Darstellung von Sexualität im Fernsehen
5.1 Liberalisierung
In den prüden und verklemmten fünfziger Jahren fand Sex noch vorwiegend hinter verschlossenen Schlafzimmertüren statt. Dementsprechend groß war die öffentliche Erregung, als 1951 Hildegard Knef in dem Kinofilm „Die Sünderin“ drei Sekunden lang nackt zu sehen war . Politiker warnten vor moralischer Zerstörung.
1970 schrieben katholische Eltern ans ZDF, sie hätten ihren Kindern die Augen zuhalten müssen bei soviel Obszönität, als eine junge Frau in der ZDF-Show „Wünsch Dir was“ bei einem Kleider-Quiz eine transparente Bluse vorführte. (vgl. Roshani 1998, S.108)
Wenn heute in Nachmittags-Talkshows Hausfrauen vom Liebesspiel mit ihrem Schäferhund berichten und TV-Sex-Magazine wie „Liebe Sünde“ Intimrasuren und Masturbationstechniken ausführlich in Wort und Bild vorstellen, gehört das schon zum normalen Fernsehalltag 2001.
5.2 Verlust der Scham
Enttabuisierung, Exhibitionismus, Narzissmus und Voyeurismus - diese vier Stichwörter charakterisieren die Entwicklung der Medien in den neunzigen Jahren. Allen voran bietet das Privatfernsehen eine Plattform für Schau- und Zeigelustige. Intimes wird vor einem Millionenpublikum präsentiert und inszeniert, Sexualität ist zu öffentlichen Schauspiel geworden. Der Bremer Ethnologe Hans Peter Duerr sagt dazu: „Es hat sicher noch keine Gemeinschaft gegeben, in der die Tendenz zur Veröffentlichung von Privatem und Intimem so stark war wie in der heutigen.“ (Duerr,in: Der Spiegel 29/1997, S. 94)
In seinem dreibändigen Werk „Der Mythos vom Zivilisationsprozeß“ untersuchte er von der Antike bis heute die Kulturgeschichte der Körperscham und kommt zu dem Schluss „...dass allem Anschein nach Nacktheit und Scham nicht nur in der Antike und im Mittelalter, sondern auch in fremden primitiven Gesellschaften so eng miteinander verbunden sind, dass vieles für die Wahrheit des biblischen Mythos spricht, nach dem die Scham vor der Entblößung des Genitalbereichs keine historische Zufälligkeit ist, sondern zum Wesen des Menschen gehört.“ (Duerr 1998, S. 335)
5.3 Öffentlich-rechtliche / private Fernsehanbieter
Sex bringt Quote - mit diesem simplen und im doppelten Sinn billigen Erfolgsrezept sind viele Privatsender groß geworden. Von der Erotik-Game-Show „Tutti Frutti“ über deftige Lederhosen-Dirndl-Sexfilmchen bis zu Pseudo-Reportagen über scheinbar liebes- und sexhungrige Ibiza-Urlauberinnen, Schmuddel-Talkshows und Softpornos hart an der Grenze zur Illegalität - die Bandbreite und der Erfindungsreichtum der kommerziellen Anbieter scheint grenzenlos. Die entsprechende Nachfrage bestätigt das Programmangebot.
In wieweit die mediale Darstellung von Sexualität der gesellschaftlichen Realität entspricht, sei dahingestellt.
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern findet Sex eher verschämt statt. Poetisch verbrämt nennt die ARD ihre sogenannte anspruchsvolle Erotik-Filmreihe „Die schönste Sache der Welt“, das ZDF verspricht „Sommernachtsphantasien“. Hier besteht sicher Nachholbedarf, und es bleibt ein Rätsel, warum die öffentlichrechtlichen Anbieter bisher nicht willens oder in der Lage waren, ein anspruchsvolles und attraktives Format zum Thema Sexualität anzubieten.
5.4 Pornographie
Gemäß den Jugendschutzbestimmungen und dem Rundfunkstaatsvertrag dürfen pornographische Filme im Fernsehen grundsätzlich nicht ausgestrahlt werden.
Aber was ist Pornographie?
Das Wort Pornographie stammt aus dem Griechischen und hat seine etymologischen Wurzeln in den Begriffen „porne“ und „graphos“. „Porne“ bezeichnete im antiken Griechenland die unterste Klasse der Huren, „graphos“ bedeutet „Schrift, Zeichnung“. Pornographie bedeutet daher ursprünglich die schriftliche und bildliche Darstellung von Huren. (vgl. Stolzenburg/Lenssen 1996, S. 8)
Die Unterschiede zwischen Erotik-, Softporno- und Pornofilmen sind fließend und hängen von den jeweiligen moralischen Wertvorstellungen und kulturellen Hintergründen ab. Auch der Gesetzgeber tut sich schwer mit einer objektiven Beurteilung von Pornographie (§ 184 StGB, Gesetz zur Verbreitung pornographischer Schriften). Gesetzeskommentare versuchen, einige typische Anzeichen festzulegen:
- Verbindung von Gewalt und Sexualität
- Verharmlosung von Vergewaltigung
- Erniedrigung der Frau
- Fehlender Bezug zum wirklichen, gesellschaftlichen und individuellen Leben
- Darstellung der Sexualität selbstzweckhaft und zusammenhangslos
- Ausklammerung aller sonstiger menschlicher Bezüge
- Entkoppelung von psychischen und partnerschaftlichen Aspekten der Sexualität (vgl. Stolzenburg/Lenssen 1996, S. 8)
Bei der Diskussion um die Wirkungen pornographischer Darstellungen müssen zwei wichtige Komponenten unterschieden werden:
1. die Darstellung von Nacktheit und Sexualität und
2. die Information, die mit dieser Darstellung verknüpft wird.
Diese Informationen können verschiedene Wirkungen haben: Akzeptanz der Gewalt gegen Frauen und Akzeptanz des „Vergewaltigungsmythos“ (die Überzeugung, dass Frauen sich heimlich wünschen, vergewaltigt zu werden). (vgl. Krebs 1991, S. 25)
Das Privatfernsehen versucht immer wieder, dass Pornographieverbot zu umgehen. In Reportagen wird über Pornoproduktion und Pornodarsteller/innen berichtet. Die Reportageform kann hier durchaus als Vorwand gesehen werden, nur den Voyeurismus der Zuschauer zu befriedigen und Lust auf den Konsum von Pornographie zu machen.
5.5 Frauenbild und Sexualität im Fernsehen
Traditionelle Geschlechtsrollenstereotypen werden im Fernsehen weiter gezeigt und zementiert. Frauen sind im Fernsehen grundsätzlich unterrepräsentiert. Neben dem Leitbild der Hausfrau und Mutter und dem Leitbild der jungen, schönen, unabhängigen Frau werden Frauen gerade im Zusammenhang mit Sexualität als passiv, hingebungsvoll und immer bereit dargestellt. (vgl. Raschke 1997, S. 77)
„Es bleibt festzuhalten, daß wir es in den medialen Bildern vom Geschlechterverhältnis mit einer einseitigen Herabwürdigung der weiblichen Seite zu tun haben; mit Darstellungen, die das Verhältnis von der Macht des Mannes und der Unterwerfung der Frau in der Sexualität permanent fortschreiben.“ (Luca 1998, S. 121) Dies bezieht sich auf das ganz „normale“ Fernsehprogramm, die stereotype Darstellung der Geschlechter wird hier besonders bei der Sexualität deutlich: „Sexualität wir auf Technik reduziert; sie wird insbesondere aus dem männlichen Blickwinkel in voyeuristischer Perspektive dargeboten;...“ (Luca 1998, S. 119)
Das Frauenbild im Fernsehen hinkt immer noch dem Frauenbild in der Realität hinterher. Der Wandel der Rollen und Funktionen der Geschlechter in unserer Gesellschaft wird erst mit einer gewissen Verzögerung in den Medien sichtbar. (vgl. Neverla 1991, S. 18)
6. Fazit
Medienethik allein kann die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium Fernsehen nicht beantworten. Eine Differenzierung in journalistische Ethik, Medienwirtschaftsethik und Konsumentenethik ist nötig. Unterschiedliche Bereichsethiken sollten aber nicht zu unterschiedlichen Ethiken führen, da Ethik generalisierbar sein sollte.
Da die Marktmacht auf Seiten der Produzenten des Fernsehens liegt, tragen sie eine besondere Verantwortung. Der Rezipient kann nur abschalten, aber nicht unmittelbar das Programmangebot verändern oder verbessern. Im dualen System öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehanstalten haben erstere - durch den Rundfunkstaatsvertrag geregelt - einen besonderen Bildungs- und Informationsauftrag, wogegen letztere aufgrund ihrer Finanzierung durch Werbung hauptsächlich nach wirtschaftlichen Interessen handeln. Damit trägt die werbetreibende Industrie eine Mitverantwortung, welche die Medienwirtschaftsethik betrifft.
Im Bereich der Konsumentenethik stehen Kinder und Jugendliche im Vordergrund. Eltern, Schule und Medienpädagogen sind gefordert, ihnen Kompetenz im Umgang mit dem Medium Fernsehen zu vermitteln. Der Schutz dieser Konsumentengruppe wird durch den Gesetzgeber (Jugendschutz) geregelt und von den Landesmedienanstalten umgesetzt.
Medienethik ist auf gesellschaftlichen Konsens angewiesen. Gesellschaftliche Missstände, wie zum Beispiel Politikverdrossenheit und Kriminalität, sind nicht allein dem Medium Fernsehen anzulasten. Das Fernsehen als primär die Gesellschaft reflektierendes Medium ist selbst nicht in der Lage, neue Werte hervorzubringen. Fernsehen kann nicht besser sein als die Gesellschaft, die es produziert und konsumiert.
7. Literaturverzeichnis
Bachman, John W.: Massenmedien in bliblischer Sicht; in: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Medien zwischen Markt und Moral; Steinkopf Verlag Frankfurt am Main 1989.
Bandura, Albert: Aggression; Klett-Kotta Stuttgart 1997.
Dürr, Hans Peter: Der Mythos vom Zivilisationsprozeß Band 1: Nacktheit und Scham; Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988.
Friedrichsen, Mike: Grundlagen und Perspektiven der Gewalt-in-den-Medien- Forschung; in: Friedrichsen/Vowe(Hrsg.): Gewaltdarstellungen in den Medien; Westdeutscher Verlag Opladen 1995.
Haller, Michael; Holzhey, Helmut: Medien-Ethik; Opladen 1991.
Krebs, Dagmar: Verführung oder Therapie; in: Funkkolleg Medien und Kommunikation, Studienbrief 10; Beltz Verlag Weinheim und Basel 1991.
Kunczik, Michael: Gewalt und Medien; Böhlau Verlag Köln Wien Weimar 1998.
Kunczik, Michael: Wirkungen von Gewaltdarstellungen; in: Friedrichsen/Vowe (Hrsg.): Gewaltdarstellungen in den Medien; Westdeutscher Verlag Opladen 1995.
Lode, Stefan: Gewalt im Fernsehen; Inaugural-Dissertation; Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1998.
Luca, Renate: Medien und weibliche Identitätsbildung; Campus Verlag Frankfurt/Main, New York 1998.
Merten, Klaus: Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?; Westdeutscher Verlag Opladen 1999.
Mikos, Lothar: Zur Faszination von Action- und Horrorfilmen; in: Friedrichsen/Vowe (Hrsg.); Westdeutscher Verlag Opladen 1995.
Müller, A. W.: Themen und Formen ethischer Theorie; in: Honnefelder/Krieger: Philosophische Propädeutik Band 2: Ethik; Schöningh Verlag Paderborn 1996.
Neverla, Irene: Männerwelten - Frauenwelten; in: Funkkolleg Medien und Kommunikation; Studienbrief 7; Beltz Verlag Weinheim und Basel 1991.
Stolzenburg, Elke; Lenssen, Margrit (Hrsg.): Schaulust - Erotik und Pornographie in den Medien; Leske + Budrich, Opladen 1997.
Voss, Peter: Müssen - Dürfen - Bleibenlassen; in: Eisenhauer/Hübner (Hrsg.): Gewalt in der Welt - Gewalt im Fernsehen; v. Hase & Kohler Verlag Mainz 1988.
Wiegerling, Klaus: Medienethik; Verlag J. B. Metzler Stuttgart Weimar 1998 (Sammlung Metzler; Bd. 314).
Zeitschriften:
Der Tanz ums goldene Selbst; in: Der Spiegel 29/1997.
Roshani, Anuschka: Das Verschwinden der Pubertät; in: Der Spiegel Nr. 50 / 1998.
- Quote paper
- Norman Salewski (Author), 2001, Ethik im Fernsehen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104733
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