Technik und Gesellschaft: die Industrialisierung
Industrialisierung und soziale Fragen
Mit Beginn der Industrialisierung kamen nicht nur Verbesserungen für die arbeitende Gesellschaft auf. Nein, im Gegenteil: Sie brachte viele Probleme für die Arbeiter mit sich! Vor allem die extrem schlechten Arbeitsverhältnisse brachten die Arbeiter dazu sich in Kneipen voll laufen zu lassen, um ihre Erniedrigung zu verkraften. So müssen zum Beispiel die Arbeiter in Bergwerken in sehr niedrigen Räumen arbeiten, in denen sie mehr Kohlestaub einatmeten als Sauerstoff und das meist schon seit ihrem sechsten Lebensjahr. Auch in anderen Berufen waren die Arbeitsverhältnisse nicht besser. Auch wurden die Fabrikarbeiter von den eigentlichen Handwerkern als minderwertig angesehen. Das gleiche galt auch für die Produkte aus der Industrie.
Die meisten Fabriken beschäftigten ausschließlich Kinder, da ihnen nur die Hälfte des Lohns eines Erwachsenen bezahlt werden musste. Dass dabei die schulische Bildung der Kinder außen vor blieb ist klar! Aber auch wenn die Kinder einer Familie nicht arbeiten gehen mussten, war ihre schulische Bildung sehr gering, da nur ein Bruchteil des Einkommens für Bildung ausgegeben wurde. Auch Sonntagsschulen waren damals nur sehr schwach verbreitet und wurden von den Fabrikkindern meist nicht besucht. Nur wenn ein Kind vom Pfarrer zur Konfirmation zugelassen wurde, hatte es die Chance, für eine Stunde zum Konfirmandenunterricht aus der Fabrik entlassen zu werden. Kinder arbeiteten in Durchschnitt 12-15 Stunden am Tag.
Diese Ausgangssituation führte dazu, dass nun der Sozialismus, der schon seit etwa 1830 bekannt war, sehr stark aufblühte. Die ersten Sozialisten bauten auf die Ideen der französischen Revolution von Gleichheit und Brüderlichkeit auf. Männer wie Henri de Saint-Simon, Louis Blanc und Charles Fourier forderten die Abschaffung des Privateigentums als der Quelle aller Ungleichheit. In Deutschland waren es die Handwerksgesellen, die von ihrer Wanderschaft in die Schweiz oder nach Frankreich sozia- listisches Gedankengut mitbrachten und verbreiteten. Als typischer Vertreter kann Wilhelm Weitling gelten, ein belesener Schneidergeselle, der in Paris dem demokratischen Bund der Geächteten beitrat. Der deutsche Philosoph Karl Marx vertiefte sich in Paris, wohin er sich vor der Verfolgung in Deutschland in Sicherheit gebracht hatte, in die Lehren der Sozialisten. Über den Fabrikantensohn Friedrich Engels, der 1845 ein aufrüttelndes Buch über die "Lage der arbeitenden Klasse in England" veröffentlicht hatte, lernte er die Theorien englischer Volkswirtschaftler kennen. Um die Jahreswende 1847/48 verfassten Marx und Engels in London für den Internationalen Bund der Kommunisten das Kommunistische Manifest: eine mitreißende Programmschrift. Eine umfassende Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsweise lieferte Marx in dem gewichtigen Werk „Das Kapital“, dessen erster Band 1867 erschien. Marx und Engels wurden zu den Vätern des sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus. Mit den Beiträgen des russischen Revolutionärs Lenin, den vor allem Wege zur Durchsetzung der Theorien in der Politik beschäftigten, wurde die Lehre des Marxismus-Leninismus zum Rüstzeug für viele kommunistische Bewegungen des 20.Jahrhunderts.
Sozialismus: Mitte des 19.Jh angesichts der Folgen der Industrialisierung entstandene politische Lehre und poli- tische Bewegung. Ihr Ziel ist es, die Ungleichheit des Besitzes aufzuheben, Produktionsmittel in Gemeineigentum überzuführen und die wirtschaftliche Entwicklung einem Planungssystem zu unterwerfen. Im letzen Drittel des 19.Jh. spaltet sich die sozialistische Bewegung in den revolutionären kommunistischen und den reformerischen sozialdemo- kratischen Flügel.
Um die Situation der arbeitenden Klasse zu verbessern, regelten die Regierungen die Grundsätze des Wirtschaftslebens durch Gewerbeordnungen und Zollbestimmungen. Die Auswüchse des Fabrikwesens waren den Behörden bekannt, doch wurde eine Besserung der Lebensverhältnisse als eine Aufgabe privater Hilfsbereitschaft und kirchlicher Fürsorge angesehen. Das Hauptaugenmerk sozialer Fürsorge galt zunächst den Handwerkern, jener Gruppe von Menschen, die von der beginnenden Industrialisierung als erste betroffen war. In den dreißiger und vierziger Jahren entstanden zahlreiche Vereinigungen, um den Wissensstand von Handwerksgesellen und Arbeitern zu heben: Lesevereine, Abend- und Sonntagsschulen. Aus derartigen Handwerkervereinen gingen später oft politische Zusammenschlüsse der Arbeiter hervor.
Einige katholische und evangelische Geistliche kümmerten sich besonders um die Probleme der Gesellen und Arbeiter. Adolf Kolping gründete im Rheinland Gesellenvereine. Johann Hinrich Wichern schuf 1848/49 mit der Inneren Mission ein Werk zur Unterstützung von bedürftigen und gefährdeten Menschen. Der Mainzer Bischof Ketteler setzte sich in Reden und Schriften für staatliche Sozialreformen aus christlicher Verantwortung ein. Die Anstalten in Bethel setzen die Arbeit des Pastors Friedrich von Bodelschwingh fort.
Nach ausländischen Vorbildern wurden Selbsthilfeorganisationen für das Kleingewerbe geschaffen: Einkaufs- und Kreditgenossenschaften. Aus der Rohstoffgenossenschaft, die Hermann Schulze-Delitzsch 1849 gründete, entstand in Deutschland eine Genossenschaftsbewegung. Ländliche Spar- und Darlehenskassen tragen noch heute den Namen ihres Gründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen.
Auch die Fabrikbesitzer selber setzten sich für ihre Arbeiter ein. Sie stellten den Arbeitern billige Werkswohnungen in der Nähe der Fabriken zur Verfügung und richteten Schulen für die beschäftigten Kinder ein. Ein Teil des Lohnes wurde für Hilfskassen abgezweigt, die die schlimmsten Auswirkungen von Krankheiten oder Unfällen mildern sollten.
Am 6.April 1839 wurde in Preußen das erste Gesetz zur Beschränkung von Kinderarbeit verabschiedet. Dieses Gesetz beinhaltete, dass Kinder nicht vor dem vollendeten neunten Lebensjahr fest in Fabriken angestellt werden durften. Außerdem musste jedes Kind, dass in einer Fabrik arbeitet, mindestens drei Jahre regelmäßig zur Schule gegangen sein. Kinder durften laut diesem Gesetz erst ab dem sechsten Lebensjahr vorrübergehend in einer Fabrik arbeiten.
Politische Zusammenschlüsse der Arbeiter blieben bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts noch ohne großes Echo - dafür war die Zahl der Arbeiter zu gering und es fehlte ihnen das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit als Klasse. Vor allem Handwerksgesellen hatten sich zu politischen Vereinen, geselligen Zirkeln und Selbsthilfeorganisationen zusammengeschlossen. Die Kirchen gründeten Gesellenvereine im Geist christlicher Fürsorge für den Nächsten.
Die Revolution von 1848/49 bedeutete auch in der Geschichte der Arbeiterbewegung einen ersten Höhepunkt, doch führte die folgende politische Reaktion zu einem Stillstand. Erst als sich in den sechziger Jahren die Industrialisierung in Deutschland verstärkt durchsetzte, entwickelte sich aus dem Handwerkerstand eine zahlenmäßig bedeutsam Industriearbeiterklasse.
1863 gründete der Rechtsanwalt Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Im Gegensatz zu Marx strebte er nicht den revolutionären Umsturz, sondern schrittweise Erfolge innerhalb der bestehenden Ordnung an. Lassalle starb bereits 1864 in einem Duell. Maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Arbeiterbewegung gewannen in den folgenden Jahrzehnten Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Beide gründeten 1869 in Eisenach die Sozialdemokretische Arbeiterpartei. Seitdem standen sich Lassälleaner und Eisenacher als getrennte Parteien gegenüber. Sie vereinigten sich 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, die sich 1891 auf einem Parteitag in Erfurt in Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) umbenannte.
Neben diesen politischen Parteien entwickelten sich seit 1868, als die staatlichen Verbote fielen, auch in Deutschland Gewerkschaften, in denen sich die Arbeiter bestimmter Berufszweige zusammenschlossen, um gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen, gerechte Löhne sowie eine soziale Absicherung im Krankheitsfall und im Alter durchzusetzen. Mittel des Arbeitskampfes gegen die Unternehmer wurde der Streik, die gemeinsame Arbeitsniederlegung. Der solidarische Zusammenschluss in Gewerkschaften konnte für die Gesamtheit der Arbeiterschaft wesentliche Verbesserungen des Lebensstandards erzielen, mehr, als es das Wirken einzelner, sozial denkender Unternehmer oder kirchlicher Vertreter vermocht hatte. Frauen war die Mitgliedschaft in politischen Zusammenschlüssen lange verboten.
Gewerkschaften: Zusammenschluss von Arbeitnehmern zur Wahrung ihrer wirt- schaftlichen Interessen, hervorgegangene aus Selbsthilfegruppen von Lohnarbeitern im frühindustriellen England (Trade Unions). Seit dem 19.Jahrhundert nationale Zusammenschlüsse von Berufsgruppen, die sich in Verhandlungen und Kampf- maßnahmen (Streiks) gegenüber den Arbeitgebern für höhere Löhne und besser Arbeitsbedingungen einsetzen. In der zweiten Hälfte 19.Jh. spaltete sich die Gewerkschaftsbewegung in verschiedene Richtungen (kommunistische G, sozia- listische G. christliche G.).Im 20. Jahr- hundert traten die Einzelgewerkschaften in Deutschland zu Dachverbänden zusammen (seit 1949: DGB).
Die Gewerkschaften kümmerten sich auch darum, durch Versammlungen und eigene Zeitschriften das politische Bewusstsein und den Bildungsstand der Arbeiter zu heben. Viele nahmen es auf sich, nach einem zehn- oder gar vierzehnstündigen Arbeitstag noch Bücher zu studieren; sie legten lange Wege zu Fußzurück, um an den Versammlungen der Gewerk- und Bildungsvereine teilzunehmen. Hier erlebten sie Geborgenheit, Zusammenhalt bei Streiks. Hilfe bei Krankheit und Invalidität.
Die sozialistischen Gewerkschaften, die der Sozialdemokratischen Partei nahe standen, wurden nach 1890 zur größten deutschen Massenorganisation. In ihren vielfältigen geselligen Einrichtungen, Kegel-, Turn- oder Gesangsvereinen, entfaltete sich eine eigenständige, von der bürgerlichen Gesellschaft abgehobene Arbeiterkultur.
© by C.Baltes 2001 christophb5@gmx.de
- Arbeit zitieren
- Christoph Baltes (Autor:in), 2001, Die Industrielle Revolution und soziale Fragen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104538
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