Ziel dieser Arbeit ist, den reinen Einfluss des demografischen Wandels auf Gesundheitsausgaben zu untersuchen und mit Bezug auf die genannten Theorien eine Schlussfolgerung zu treffen. Anhand einer von Breyer et al. (2014) durchgeführten Studie soll ein Regressionsmodell, dessen Stärken in der Integration weiterer Faktoren wie Sterblichkeits- und Überlebensrate liegen, erklärt und besonders hinsichtlich der kontroverseren Red-Herring-Hypothese erläutert werden. Dieses Vorgehen wird abschließend eine umfassende Analyse und kritische Diskussion des Zusammenhangs zwischen demographischem Wandel und Gesundheitsausgaben ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
II. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung in die Problematik
2. Einfluss der Überalterung auf die Gesundheitsausgaben
2.1 Ursachen und Konsequenzen des demografischen Wandels
2.2 Problematik der Gesundheitsausgaben
3. Konkurrierende Thesen
3.1 Die Kompressions- und die Medikalisierungs-Hypothese
3.2 Alternative Thesen
4. Der Zusammenhang von Gesundheitsausgaben und Langlebigkeit
4.1 Relevante Daten
4.2 Testbare Hypothesen
4.3 Relevanz der Variablen
4.4 Erläuterung der Methodik
4.5 Analyse der Schätzergebnisse
4.5.1 Simulationsergebnis
4.6 Robustheitsanalyse
5. Herausforderungen und Ausblick
6. Fazit
III. Anhang
Literaturverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Überlebende (in 10.000) weibl. Personen im Alter X in Deutschland
Abbildung 2: Entwicklung der Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft
Abbildung 3: Schematische Darstellung der Kompressions- und der Medikalisierungs- Hypothese
Abbildung 4: Werte der Gesundheitsausgaben (in EUR)
Abbildung 5: Regressionsergebnisse unter der Nutzung des Intrinsischen Schätzers
Abbildung 6: Ergebnisse der Koeffizienten der Dummy-Variable Age (IE)
Abbildung 7: Ergebnisse der Koeffizienten der Dummy-Variable Cohort (IE)
Abbildung 8: Ergebnisse der Koeffizienten der Dummy-Variable Year (IE)
Abbildung 9: Relative Werte für pro-Kopf-HCE, wenn MORT und SR5 (und die Alterszusammensetzung) auf zukünftige Werte gesetzt werden
Abbildung 10: Regressionsergebnisse der GMMs in Spalten (4)-(7) und des IEs (3) ...
Abbildung 11: Einheitswurzeltest: Ablehnung der: Nichtstationarität
Abbildung 12:Regressionsergebnisse für den IE (3) & die GMM (4)-(7)
II. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung in die Problematik
Die durchschnittliche Lebenserwartung in den OECD-Ländern ist zwischen den Jahren 1970 und 2005 von 71,9 auf 79,8 Jahre gestiegen, was mit einer Zunahme der relativen Ausgaben für Gesundheit einherging.1
Durch diese Entwicklung ist auch der Altersdurchschnitt der deutschen Bevölkerung in den vergangenen Jahren immer weiter angehoben worden. Die entfernte Lebenserwartung der über 65 jährigen nimmt jedes Jahr um beinahe mehr als ein Jahr zu.2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Überlebende (in 10.000) weibl. Personen im Alter X in Deutschland
Folglich steigert sich die durchschn. Lebensdauer, jedoch nicht die maximale Lebensspanne. Immer mehr Menschen kommen in die Nähe ihrer natürlichen maximalen Lebensdauer, was zu einer zunehmenden Rektan- gularisierung der Lebenserwartungskurve führt (vgl. Abb. 1).3
Begünstigt wird dies durch medizinischen Fortschritt und die zunehmende Technisierung der Medizin. Die Weiterentwicklungen in Gentechnik, Transplantationsmedizin und Biotechnologie führen zu einer exzessiveren Versteilerung, also der Stärke des Anstiegs der Ausgabenprofile für die Versorgung.4
Der zunehmenden Lebenserwartung steht jedoch ein deutlicher Rückgang der Gesamtbevölkerung gegenüber. Ausgelöst wird dieser durch ein niedriges Geburtenniveau. Die durchschn. Geburtenrate lag im Jahr 2014 bei ca. 1,47 Kindern je Frau, was die erforderliche Rate (2,1) jedoch deutlich verfehlt. Diese ist nicht mehr ausreichend, um die vorausgegangene Generation in Gänze ersetzen zu können. Daraus entsteht eine Umverteilung der Alterszusammensetzung der Gesellschaft, auch demografischer Wandel genannt.5
Dieser vollzieht sich von zwei Seiten: Einerseits durch das bereits erwähnte schwindende Geburtenniveau („aging at the bottom“), was heißt, dass auch der Altersdurchschnitt der unter 20-Jährigen zunehmen wird. Andererseits durch die Verschiebung der LebenserWartung nach hinten („Aging at the top“), also das Zunehmen des Altersdurchschnitts im Alter von über 65. Dieses Szenario ist der Grund, weshalb auch vom „double aging“ gesprochen wird. Durch beide Effekte ist der Anteil der älteren Menschen an der abnehmenden absoluten Gesamtbevölkerung, also der Altenquotient, deutlich angestiegen und wird auch weiter wachsen.6
Der Rückgang der Bevölkerung führt einerseits zu niedrigeren Gesamtausgaben bei konstanten pro-Kopf-Aufwendungen, jedoch kann das höhere Durchschnittsalter höhere Kosten verursachen. Es ist also fraglich, ob der demografische Wandel in den kommenden Jahrzehnten die Gesundheitsausgaben senken oder anheben wird.7
Diese Veränderung der Bevölkerungsstruktur ist auf die Faktoren der Mortalität (Sterblichkeit), der Fertilität (Fruchtbarkeit) und der Migration (Zuwanderung) zurückzuführen. Ein deutlicher Rückgang der Mortalität der älteren Bevölkerungsteile, welcher auf den bereits erwähnten medizinischen und technischen Fortschritt zurückzuführen ist, hat diese Umstrukturierung besonders ermöglicht. Dem entgegen wirkt zwar eine ansteigende Zuwanderung; dieser Effekt ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung allerdings äußerst gering. Die Konsequenzen der Zunahme des Altenquotienten reichen jedoch weiter. Insbesondere fällt der Effekt der Überalterung auf die Finanzierung der Krankenversicherung in Deutschland sehr deutlich aus. Diese ist über Lohnbeiträge finanziert. Es entstehen Befürchtungen, dass der Wandel eine zunehmende Bürde für den Steuerzahler darstellen könnte (siehe auch Kapitel 5). Eine deutlich kontroversere Diskussion existiert jedoch bzgl. des Einflusses des Mortalitätsrückgangs auf die Ausgabenentwicklung, insbesondere in den späteren Lebensjahren (Siehe auch Kapitel 4).8
In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Einfluss der Überalterung auf Gesundheitsausgaben exzessiv diskutiert. In bisherigen Studien sowie in vergleichender Literatur ist es sehr umstritten, ob die sinkende Mortalität und der daraus resultierende Anstieg der Lebenserwartung einen positiven Einfluss auf die Steigerung der Ausgabenentwicklung haben könnte.9
Dieser Diskurs brachte in den Vergangenen Jahren die Kompressions-Hypothese, die mit dem Anstieg der Lebenserwartung eine Zunahme gesunder, beschwerdefreier Lebenszeit erwartet, und die Medikalisierungs-Hypothese, die eine Steigerung der multimorbid verbrachten Lebensjahre befürchtet, hervor. Außerdem bildeten sich alternative Thesen, wie die Red-Herring- und die Status-Quo Hypothese. Ziel dieser Arbeit ist, den reinen Einfluss des demografischen Wandels auf Gesundheitsausgaben zu untersuchen und mit Bezug auf die genannten Theorien eine Schlussfolgerung zu treffen. Anhand einer von Breyer et al. (2014) durchgeführten Studie soll ein Regressionsmodell, dessen Stärken in der Integration weiterer Faktoren wie Sterblichkeits- und Überlebensraterate liegen, erklärt und besonders hinsichtlich der kontroverseren Red-Herring-Hypothese erläutert werden. Dieses Vorgehen wird abschließend eine umfassende Analyse und kritische Diskussion des Zusammenhangs zwischen demographischem Wandel und Gesundheitsausgaben ermöglichen.
2. Einfluss der Überalterung auf die Gesundheitsausgaben
2.1 Ursachen und Konsequenzen des demografischen Wandels
Die zukünftige Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland wird maßgeblich durch die Entwicklung der Geburten- und Sterberate, aber auch der Migrationsquote, also dem Saldo von Zu- und Abwanderung, beeinflusst. Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Neugeborenen wird hierbei keine weitere große Veränderung erfahren (hier wurden bereits deutliche Erfolge erzielt), die der Älteren wird weiter steigen. Eine insgesamt größere Lebenserwartung ist die Folge. Es ist jedoch umstritten, ob die gewonnenen Lebensjahre in guter Gesundheit verbracht werden (siehe hier Kapitel 3). Die Zuwanderungsrate in Deutschland wird ebenfalls steigen, dennoch wird dieser Effekt nicht ausreichen, um die Konsequenzen der zunehmenden Lebenserwartung zu kompensieren. Allerdings wird sie den demografischen Wandel hin zu einer älter werdenden Gesellschaft abbremsen.10
Auch die Familienstruktur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Der Trend geht zu einem neueren und moderneren Familienbild. Waren in den Sechzigerjahren Einpersonenhaushalte noch eine absolute Ausnahme, so machen sie mittlerweile ein Drittel aller registrierten Haushalte aus. Ein Grund hierfür ist die gesunkene Rate geschlossener Ehen,11 eine Entwicklung, die gleichzeitig auch ein Indikator für eine weitere treibende Kraft des demografischen Wandels ist: Eine niedrige Geburtenrate. Gründe hierfür werden noch heute kontrovers diskutiert, wie der Rückgang gewollter Schwangerschaften oder aber die immer stärker werdende Rolle der Frau in der Gesellschaft. Daraus entsteht als langfristige Herausforderung die Finanzierung unserer Krankenkassen (siehe hierzu auch Kapitel 2.2).12
Der medizinisch-technische Fortschritt gilt neben der demografischen Entwicklung als zweite treibende Kraft der Ausgabenentwicklung für Gesundheit. Durch die zunehmende Lebenserwartung resultieren mehr Ausgaben zum Erhalt der Gesundheit. Aus diesen wiederum kann die medizinische Forschung und folglich auch der Fortschritt weiter gefördert werden.13
Im 19. und 20. Jahrhundert haben verbesserte Hygiene und effizientere Behandlung von Infektionskrankheiten (bspw. durch die Entdeckung der Antibiotika) exzessiv zum Gewinn zusätzlicher Lebenszeit beigetragen.14 In den letzten Jahrzehnten hat jedoch die reduzierte Sterblichkeit an kardiovaskulären Krankheiten zu einer Erhöhung der Lebenserwartung geführt.15
Die Rückläufigkeit des Versterbens durch Krebs- und Herzerkrankungen hat die Lebenserwartung noch zusätzlich erhöht. Die verbesserte Behandelbarkeit dieser Krankheit ist allein für über 50 % der gewonnenen Lebensjahre verantwortlich.16
Es wurde bewiesen, dass allein durch den medizinischen Fortschritt, die Gesundheitsausgaben der deutschen Bevölkerung jährlich um 1 % wachsen.17
2.2 Problematik der Gesundheitsausgaben
Der kontinuierliche Anstieg des Altersquotienten in Deutschland hat besondere Auswirkungen auf die Finanzierung der Krankenversicherung. Diese ist über Lohnbeiträge finanziert. Da momentan größere Bevölkerungsanteile in den Ruhestand gehen, als neue den Arbeitsmarkt betreten, ergeben sich Komplikationen hinsichtlich der Finanzierung. Weil in der gesetzlichen Krankenversicherung das Kapitalumlageverfahren angewendet wird, entsteht eine höhere Bürde für die arbeitende Bevölkerung, je größer die Differenz dieser Anteile ist.18
Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und der Lebenserwartung sind, besonders hinsichtlich der Krankenkassen, von höherer Wichtigkeit als der reine quantitative Rückgang der Gesamtbevölkerung. Durch diese Umwälzung wird der Einfluss der geburtenstarken Jahrgänge (bspw. die „baby boomer“ der Nachkriegszeit) deutlich. Das Rentenalter wird von diesen im Zeitraum von 2020 bis 2030 verstärkt erreicht werden. Problematische Konsequenzen sind hierbei voraussichtlich, aufgrund des Umlageverfahrens, Umverteilungsprozesse und intergenerationale Verflechtungen zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung .19
Der Markt für Gesundheitsleistungen, dem eine wesentliche Bedeutung für Wohlstand und Beschäftigung beigemessen wird, ist ein Wachstumsmarkt: Die Ausgaben in den letzten Jahren sind im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (im Folgenden BIP) stetig angestiegen. Dies wird im politischen Kontext sehr besorgt betrachtet und weckt den Ruf nach kostendämmenden Maßnahmen (siehe Kapitel 5). Im vergangenen Jahrzehnt kam es in Deutschland zu einer Konsolidierung des Ausgabenniveau s. Deutschland liegt jedoch im Vergleich zu anderen OECD-Ländern deutlich über dem Durchschnitt und wendet auch im europäischen Vergleich einen hohen Anteil seiner Ausgaben für das Gesundheitssystem auf. Durch Informationsasymmetrien sind Gesundheitssysteme ökonomisch gesehen problembehaftet. Diese Asymmetrien treten bspw. zwischen Arzt, Patient und der Versicherung auf. Wie bereits erwähnt, werden die Krankenkassenbeiträge durch Löhne gebunden. Folglich hätte eine Erhöhung der Beiträge auch einen Anstieg der Lohnkosten zur Folge und würde so potentiell das Wirtschaftsachstum bremsen. Die Entwicklung der Ausgaben wird in Deutschland als sehr kritisch empfunden. Ihrem Anstieg wird mit kostendämpfenden Maßnahmen begegnet, da es ein erklärtes Ziel ist, den Kostenanstieg für den Versicherten zu begrenzen, bestenfalls die Beiträge sogar konstant zu halten. Wichtige Reformen, wie das Gesundheitsmodernisierungsgesetz im Jahr 2004, hatten nur einen kurzfristigen Einfluss auf die Entwicklung der Ausgaben.20
Dieses Gesetz enthielt zu großen Teilen ausgabenbegrenzende Instrumente für die gesetzlichen Krankenkassen. Betroffen davon waren Bereiche wie das Leistungsspektrum, Zuzahlungsregelungen oder die Vergütungen von Leistungserbringern. Um möglichst komprimiert Auskunft über die Entwicklung der Gesundheitsausgaben und deren ökonomische Bedeutung geben zu können, werden diese häufig in Bezug zur gesamtwirtschaftlichen Leistung (dem BIP) gestellt. Dabei ist klar ersichtlich, dass die Menschen in Deutschland, besonders im Vergleich zu früher, deutlich mehr Geld für Gesundheitskonsum ausgeben.21
Der 2006 verstorbene Nobelpreisträger Milton Friedman hatte den Gesundheitssektor einst als das „schwarze Loch“ der Volkswissenschaften bezeichnet. Als Grund gab er zu verstehen, dass dieser Sektor fortwährend Ressourcen verzehren würde, ohne einen besonders werthaltigen Zuwachs des Outputs zu generieren. Diese Annahme ist mittlerweile der Erkenntnis gewichen, dass mit einem erhöhten Ausgabeneinsatz die Lebenserwartung deutlich gesteigert werden konnte.22
Insgesamt haben sich die Ausgaben für Gesundheit seit dem Jahr 2005 bis ins Jahr 2017 um 3,8 % pro Jahr erhöht (vgl. Abb. 2), was zunächst drastisch anmutet, jedoch in Relation zur Entwicklung des BIPs gesetzt werden muss, das im selben Zeitraum auch ein deutliches Wachstum verzeichnen konnte. Der Bruttoanteil der Ausgaben ist in diesem Zeitraum von 10,7 % auf 12,0 % angestiegen. Dies ist mit Hinblick auf das Wachstum des BIPs (2,7 % im Durchschnitt) ein angemessener Ausgabenzuwachs, der jedoch auch die ansteigende Entwicklung aufzeigt.23
Natürlich haben sich auch die Nachfrage und folglich auch die Ausgaben für Gesundheitsleistungen geändert. Diese steigen durch ein erhöhendes steigendes Lohneinkommen. Auch die Veränderung des Leistungskatalogs und somit die angebotsinduzierte Nachfrage hat Auswirkungen auf die Ausgaben.24
Abbildung 2: Entwicklung der Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle 2: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017), Seite 9
3. Konkurrierende Thesen
3.1 Die Kompressions- und die Medikalisierungs-Hypothese
Durch die Erhöhung der zu erwartenden Lebenszeit ist es möglich, im Zuge der individuellen Lebensspanne mehr Gesundheitsleistungen nachzufragen. Die genauen Auswirkungen der Gesundheit auf die Gesundheitsausgaben im Alter werden dagegen kontrovers diskutiert. Hierzu existieren zwei besonders konkurrierende Thesen: die Kompressionsund die Medikalisierungs-Hypothese. Die Kompressions-Hypothese, welche auf James F. Fries zurückgeht, stellt eine gesunde Alterung in den Vordergrund. Die gewonnenen Lebensjahre würden hiernach in guter Gesundheit verbracht und wie in Abb. 3 zu erkennen, werde das Auftreten von Krankheit und Behinderung weiter nach hinten verdrängt. Fries führt hier als Grund auf, dass getroffene Maßnahmen zur Primär- und Sekundärprävention, die in Krankheit verbrachte Zeit deutlich reduzieren könnten. Hier wird zwischen zwei Formen unterschieden: steige das Durchschnittsalter bei Krankheitsbeginn schneller als die durchschn. Lebenserwartung, dann verringere sich die krankheitsbedingte Zeit absolut (absolute Kompression der Morbidität). Steige das Durchschnittsalter bei Krankheitsbeginn hingegen parallel mit der durchschn. Lebenserwartung, liege lediglich eine relative Verringerung der in Krankheit verbrachten Zeit vor. Diese These impliziert, dass künftige Generationen im hohen Alter gesünder sein werden als vergangene oder gegenwärtige. Ausgabenbedingt würde das bedeuten, dass sich durch den verbesserten Gesundheitszustand im Alter sowie das spätere und kürzere Auftreten von Krankheiten Gesundheitsleistungen weniger in Anspruch genommen werden würden. In der Folge senke diese Entwicklung die Gesundheitsausgaben langfristig.25
Krankheiten mit sehr hohen Kosten stellen sich nach Fries also erst im letzten Lebensabschnitt, einer kurzen Zeitspanne kurz vor dem Tod, ein. Dem gegenüber steht die Medi- kalisierungs-Hypothese (oder auch Morbiditätsexpansionsthese), welche besagt, dass die durch die zunehmende Lebenserwartung gewonnenen Jahre zunehmend von Krankheit und Behinderung geprägt erlebt werden. Folglich würden die Aufwendungen für Gesundheit ansteigen, da sich die Häufigkeit des Auftretens von Krankheiten erhöhe (vgl. Abb. 3). Die gewonnenen Lebensjahre würden zum Preis von steigenden Gesundheitsausgaben erzielt.26
Abbildung 3: Schematische Darstellung der Kompressions- und der Medikalisierungs-Hypothese
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle 3: Niehaus, F. (2006), Seite 4
3.2 Alternative Thesen
Als alternative Thesen gelten die Red-Herring- und die Status-Quo-Hypothese. Gemäß der Red-Herring-Hypothese fällt ein Großteil der Gesundheitsausgaben in die Zeit kurz vor dem Tod, also in das letzte Lebensjahr oder die letzten Lebensmonate oder -wochen, was unabhängig vom eigentlich erreichten Alter sei. Für im Sterben Liegende würden in allen Altersklassen die Ausgaben der Krankenkassen gegenüber denen der Überlebenden überwiegen. Andererseits nähmen sowohl normale Gesundheitsausgaben als auch sogenannte Sterbekosten mit dem Alter ab. Der Einfluss des Alters verbliebe, hinsichtlich der Sterbekosten, moderat und sei folglich auch kein wesentlicher Ausgabentreiber für Gesundheitsaufwendungen. Grund dafür sei die eigentliche Verdichtung der Ausgaben in der Zeit kurz vor dem Tode. Dies impliziere, dass durch die steigende Lebenserwartung und durch den daraus folgenden Rückgang der Sterberaten in allen Klassen, die Gesundheitsausgaben langfristig gesenkt würden. Die Red-Herring-Hypothese wird aber insbesondere in neueren Arbeiten sehr kritisch in Frage gestellt, da der Nettoeffekt auf die Ausgaben, aufgrund der Überkompensation des Effekts sinkender Sterberaten durch eine zunehmende Langlebigkeit, doch positiv würde.27
Die Status-Quo-Hypothese besagt, dass altersspezifische und aktuelle pro-Kopf-Ausgaben vom medizinischen Fortschritt abhängig sind und folglich konstant bleiben. Indem aktuelle Altersausgabenprofile ins Verhältnis zu künftigen Altersverteilungen der Bevölkerung gesetzt würden, könne der reine Einfluss der demografischen Alterung berechnet werden.28
Ob das Alter tatsächlich mit den Gesundheitsausgaben zusammenhängt, soll im folgenden Hauptteil dieser Arbeit (siehe Kapitel 4) genauer untersucht und analysiert werden.
4. Der Zusammenhang von Gesundheitsausgaben und Langlebigkeit
In den vorausgegangenen Kapiteln der Arbeit wurden die einzelnen Problematiken gezielt aufbereitet. Es wurde ein Überblick über die Entwicklung der Gesundheitsausgaben sowie über den demografischen Wandel gegeben. Auch auf die mögliche Abhängigkeit der Gesundheitsausgaben von einer zunehmenden Überalterung wurde durch die Erläuterung verschiedener Thesen eingegangen. Im folgenden Kapitel soll diese Abhängigkeit anhand eines Papers von Breyer et al. (2014) genauer erklärt und analysiert werden.
Kernidee jener Arbeit war herauszufinden, ob das Alter des Menschen, bzw. das zunehmende Durchschnittsalter einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheitsausgaben hat. Im Falle eines positiven Zusammenhanges würde ein zunehmendes Durschnittsalter der Bevölkerung die langfristige Finanzierung des Gesundheitssystems vor große Herausforderungen stellen, da in der Zukunft immer weniger Steuerzahler auf dem Arbeitsmarkt sein werden. Es ist unklar, ob die zunehmende Langlebigkeit die Ausgaben weiter nach oben treiben wird. Die Frage ist, inwieweit das Alter die Gesundheitsausgaben beeinflusst. Um die mögliche Existenz eines „Eubie Blake Effekts“ nachweisen zu können wird zudem untersucht wie eine zunehmende Lebenserwartung einer Population die Gesundheitsausgaben mit der Zeit beeinflusst hat. Dieser Effekt besagt, dass Ärzte durch den medizinischen Fortschritt eher dazu geneigt sind, risikoreichere und teurere Operationen an älteren Menschen durchzuführen. Überdurchschnittliche Gesundheitsausgaben werden möglicherweise mit einer längeren Lebenserwartung sowie einer später höheren Lebensqualität des Patienten gerechtfertigt.29
4.1 Relevante Daten
Die relevanten Daten entstammen drei verschiedenen Quellen. Für die später erläuterte Schätzung wurden Daten des Bundesversicherungsamtes (BVA) über Gesundheitsaufwendungen (aus dem Englischen: Health Care Expenditures, folgend HCE) genutzt.
[...]
1 Vgl. Felder, S. (2008), S. 25.
2 Vgl. Breyer, F. (2016), S. 215.
3 Vgl. Fries, J. (1980), S. 245 ff.
4 Vgl. Fugger, C. & Hannappel, S. (2016), S. 11.
5 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2016), S. 17 f.
6 Vgl. Penske, M. (2006), S. 86.
7 Vgl. Fickel, N. (1995), S. 8.
8 Vgl. Felder, S. (2012), S. 614 f.
9 Vgl. Breyer et al. (2014), S. 95 f.
10 Vgl. Hajen et al. (2008), S. 40 f.
11 Vgl. Breyer et al.(2005), S. 522 f.
12 Vgl. Bhattacharya et al. (2013), S. 402 ff.
13 Vgl. Henke, K. & Reimers, L. (2006), S. 12 ff.
14 Vgl. Bhattacharya et al. (2013), S. 405.
15 Vgl. Felder, S. (2006), S. 53 f.
16 Vgl. Felder, S. (2012), S. 615 f.
17 Vgl. Arentz et al. (2016), S. 4.
18 Vgl. Felder, S. (2012), S. 614.
19 Vgl. Bowles, D. & Greiner, W. (2012), S. 8 f.
20 Vgl. Wasmuth, T. (2013), S. 17 ff.
21 Vgl. Robert Koch Institut (2015), S. 382 ff.
22 Vgl. Felder, S. (2008), S. 29.
23 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017), S. 9 ff.
24 Vgl. Arentz et al. (2016), S. 4.
25 Vgl. Bowles, D. & Greiner, W. (2012), S. 12 f.
26 Vgl. Niehaus, F. (2008), S. 13 ff.
27 Vgl. Fugger et al.(2016), S. 11 f.
28 Vgl. Felder, S. (2008), S. 29.
29 Vgl. Breyer et al. (2014), S. 96.
- Quote paper
- Anonymous,, 2018, Wie Überalterung und Gesundheitsausgaben zusammenhängen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045060
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