Soziale Online-Netzwerke haben eine enorme Relevanz im täglichen Leben der meisten Menschen in Deutschland. Für die jüngeren Altersgruppen ist es zu einem normalen Bestandteil des Alltags geworden. Vor allem in den jüngeren Generationen spielt dabei das Bildhandeln eine große Rolle. So präsentieren sich Jugendliche immer häufiger online auf Fotografien der Öffentlichkeit oder zumindest einem begrenzten Netzwerk an eigenen Online-Kontakten. Dabei zeigt sich, dass vor allem die Auseinandersetzung mit der weiblichen Körperästhetik und Körperinszenierung in der gegenwärtigen Diskussion eine hohe Relevanz hat.
Vor diesem Hintergrund unternimmt die vorliegende Arbeit den Versuch, die Darstellung und Selbstdarstellung von Körperbildern in sozialen Medien zu untersuchen und zu fragen, wie Medienpädagogik auf die Herausforderungen für die Rezipient*innen sowie mögliche Gefahren reagieren kann. Dafür werden aktuelle Befunde zur Mediennutzung und Medienwirkung, speziell also die Darstellung und Selbstdarstellung von Körperbildern in den sozialen Online-Netzwerken, analysiert.
Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei die Untersuchung des Online-Handelns von drei beispielhaften Profilen im sozialen Online-Netzwerk Instagram. Besonders zu beachten ist hier der Umstand, dass das Thema Selbstdarstellung im Internet, wie im Laufe der Arbeit deutlich werden wird, eng verknüpft ist mit den Themen Selbstoptimierung sowie einem objektivierenden Blick auf den eigenen Körper, über den sich der Mensch in nonverbaler Kommunikation nach außen präsentiert. Daher werden die beiden letztgenannten Aspekte auch Eingang in die Arbeit finden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung
2.1 Social Media
2.2 Sozialisation und Mediensozialisation
2.3 Identität und Körperbild
2.4 Schönheitsideale
2.6 (Self-)Objectification
3. Selbstdarstellung und Darstellung in den sozialen Medien
3.1 Vergleichsprozesse in sozialen Netzwerken
3.2 Beispiel 1: Pamela Reif
3.3 Beispiel 2: Caroline Einhoff
3.4 Beispiel 3: Lisa und Lena
3.5 Zwischenfazit
4. Medienkompetenz als Aufgabenfeld der Sozialen Arbeit
4.1 Medienpädagogische Ansätze nach Süss et al
4.2 Visual Literacy
4.3 Selbstzufriedenheit lernen
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
8. Ehrenwörtliche Erklärung und Einverständniserklärung
1. Einleitung
2017 ergab die 20. ARD-ZDF-Onlinestudie, dass 72,2% der ab 14-Jährigen das Internet täglich nutzen (vgl. Koch/Frees 2017: 436). Bei der Gruppe der 14- bis 39-Jährigen sind es sogar 90% und bei den 14- bis 29-Jährigen ist die Anzahl der Menschen, die das Internet niemals nutzen, mit 0,0% angegeben (vgl. ebd.). Diese Zahlen zeigen, dass das Internet eine enorme Relevanz im täglichen Leben der meisten Menschen in Deutschland hat. Für die jüngeren Altersgruppen ist es zu einem normalen Bestandteil des Alltags geworden. Die durchschnittliche Internetnutzungsdauer beträgt nach Koch und Frees 149 Minuten täglich (vgl. ebd.: 438). Dabei nutzen in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen jeden Tag 87% den Messenger-Dienst WhatsApp (90% wenigstens wöchentlich), 43% das weltweit größte Online-Netzwerk Facebook (59%), 23% Instagram (36%) und 19% Snapchat (28%) (vgl. ebd.). Vor allem in den jüngeren Generationen spielt dabei das Bildhandeln1 eine große Rolle. So präsentieren sich Jugendliche immer häufiger online auf Fotografien der Öffentlichkeit oder zumindest einem begrenzten Netzwerk an eigenen Online-Kontakten. Dabei zeigt sich, dass vor allem die Auseinandersetzung mit der weiblichen Körperästhetik und Körperinszenierung in der gegenwärtigen Diskussion eine hohe Relevanz hat (vgl. Stach: 2013: 118).
Von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wurden 2500 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren auch zu ihrem Körperbewusstsein befragt (vgl. Heßling/Bode 2006). Dabei konnte festgestellt werden, dass die Beschäftigung mit dem eigenen Körper für Jungen und Mädchen sehr wichtig ist (vgl. ebd.: 3). Körperpflege und Styling spielen eine ganz besondere Rolle: Nur für 6% der Mädchen sowie 16% der Jungen hatte Styling keine Bedeutung und 90% der befragten Mädchen sowie zwei Drittel der Jungen gaben an, dass für sie die Benutzung von Körperpflegeprodukten, wie Cremes, Deo oder Haargel, ein „Muss“ sei (vgl. ebd.). Des Weiteren wurde festgestellt, dass die große Mehrheit der Jugendlichen darauf achtet, körperlich fit zu bleiben (74% der Jungen und 68% der Mädchen) (vgl. ebd.). Es wurde aber auch festgestellt, dass die Mädchen kritischer mit ihrem Aussehen umgehen als die befragten Jungen. Gegenüber 62% der Jungen gaben nur 46% der Mädchen an, sich in ihrem Körper wohlzufühlen und 35% der Mädchen fanden ihren Körper schön (43% der Jungen beurteilten sich so) (vgl. Heßling/Bode 2006: 4). Starke Unterschiede zwischen den beiden betrachteten Geschlechtern ließen sich bei der Selbstbeurteilung des eigenen Körpergewichtes feststellen (vgl. ebd.). Mit 25% fühlen sich doppelt so viele Mädchen wie Jungen (12%) mindestens „teils-teils“ als zu dick (vgl. ebd.). Dies lässt die Autor*innen darauf schließen, dass jugendliche Mädchen kritischer mit ihrem Äußeren umgehen (vgl. ebd.). Auch konnte festgestellt werden, dass eine attraktive Erscheinung mit zunehmendem Alter weiter an Bedeutung gewinnt und dafür auf Körperpflege und Kosmetikprodukte sowie Aktivitäten zur Steigerung der körperlichen Fitness zurückgegriffen wird (vgl. ebd.). Es wird deutlich, dass dem Körper und dessen Modifikation bzw. Optimierung, besonders bei Jugendlichen, eine große Aufmerksamkeit zukommt.
Vor diesem Hintergrund unternimmt die vorliegende Arbeit den Versuch, die Darstellung und Selbstdarstellung von Körperbildern in sozialen Medien zu untersuchen und zu fragen, wie Medienpädagogik auf die Herausforderungen für die Rezipient*innen sowie mögliche Gefahren reagieren kann. Dafür werden aktuelle Befunde zur Mediennutzung und -wirkung, speziell also die Darstellung und Selbstdarstellung von Körperbildern in den sozialen Online-Netzwerken, analysiert. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei die Untersuchung des Online-Handelns von drei beispielhaften Profilen im sozialen Online-Netzwerk Instagram. Besonders zu beachten ist hier der Umstand, dass das Thema Selbstdarstellung im Internet, wie im Laufe der Arbeit deutlich werden wird, eng verknüpft ist mit den Themen Selbstoptimierung sowie einem objektivierenden Blick auf den eigenen Körper, über den sich der Mensch in nonverbaler Kommunikation nach außen präsentiert. Daher werden die beiden letztgenannten Aspekte auch Eingang in die Arbeit finden.
In der vorliegenden Arbeit wird eine Art Dreiteilung erfolgen. In einem ersten Teil geht es vorwiegend um Begriffsbestimmungen. Hier sollen aktuelle theoretische Erkenntnisse zur Identitätsgenese und der Sozialisation mit modernen Medien erfolgen. Es wird davon ausgegangen, – das sei als Grundeindruck und These schon jetzt formuliert – dass persönliche Identität nur über die Interaktion mit anderen Individuen bestimmbar ist. Aus diesem Grund ist eine Bestimmung des Begriffs Sozialisation Voraussetzung für das Verständnis der Analyse. Ebenso werden weitere für die Arbeit grundlegende Begriffe wie Instagram, Identität, Körperbild sowie Schönheitsideal bestimmt. Dabei soll zunächst eine sozialisationstheoretische Perspektive eingenommen und vor allem der Frage nachgegangen werden, ob und wie die Identitätsgenese durch Medienangebote beeinflusst wird. Dafür sollen sowohl theoretische als auch empirische Arbeiten aus den Medienwissenschaften, der Gender- und Medienwirkungsforschung einbezogen werden. Zuletzt sollen an dieser Stelle ebenfalls die mit der medialen Selbstdarstellung verbundenen Risiken und „Problemfelder“ wie die (Self-)Objectification, der „männliche Blick“ sowie die Möglichkeit der Selbstoptimierung diskutiert werden.
Der zweite Teil bildet zugleich das Zentrum der Arbeit. Hier steht die systematisch ausgerichtete Analyse der Wirkung von Darstellung und Rezeption der Körperbilder im Mittelpunkt. In einem ersten Schritt wird dabei geklärt, wie mediale Selbstsozialisation, -thematisierung und -darstellung funktionieren und welche Rolle mediale Vorbilder spielen. Auch soll es darum gehen, wie in den sozialen Netzwerken Vergleichsprozesse erfolgen und auf welche Weise dies geschieht. Anhand exemplarisch ausgewählter Profile auf Instagram mit einer hohen Reichweite (und daher hohen Relevanz) werden in einem nächsten Schritt beispielhaft die vorgestellten Fragen sowie dargestellten Aspekte analysiert. So werden die jeweilige Inszenierung und Positionierung der Körperbilder auf den Profilen untersucht. Es soll der Fragestellung nachgegangen werden, inwiefern Jugendliche und insbesondere Mädchen und junge Frauen die verfügbaren Fotografien von anderen Menschen in sozialen Medien zur Identitätsbildung nutzen und wie sie sich selbst präsentieren. Zudem ist es wichtig, danach zu fragen, ob und welche Risiken sich aus den Nutzungspraktiken ergeben können und wie die Soziale Arbeit darauf reagieren kann. Durch die zunehmend stärkere Wirkung der Medien auf gesellschaftliche Prozesse innerhalb der Entwicklungen zu einer Informations- und Wissensgesellschaft drängen sich vermehrt Schnittmengen im Verantortungsbereich der Sozialen Arbeit auf (vgl. Lerche 2010: 90). Mit den Aufgaben der Befähigung von Individuen zur Mündigkeit und gesellschaftlichen Beteiligung, auch im virtuellen Raum, ist eine traditionelle Zuständigkeit, vor allem der pädagogischen Seite der Sozialen Arbeit angesprochen (vgl. ebd.).
In einem letzten Teil sollen auf die Ansatzpunkte Sozialer Arbeit, insbesondere der Medienpädagogik, eingegangen werden. Hierbei steht vor allem die Frage danach im Mittelpunkt, ob und inwiefern diese auf die in den ersten beiden Teilen skizzierten Risiken reagieren kann und soll. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass das Internet ebenfalls ein Raum der Ambivalenzen zwischen Ungleichbehandlung der Geschlechter sowie Raum zum Experimentieren gibt und Soziale Arbeit, also insbesondere die Medienpädagogik, hier Anknüpfungspunkte finden muss. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, ob ein kritisch-reflektierter, aber auch ein positiver Umgang mit der Darstellung von Körperbildern im Internet und speziell im sozialen Online-Netzwerk Instagram heute möglich ist und ob sich pädagogische Handlungsansätze im Umgang mit diesen Phänomenen finden lassen. Als Lösungsvorschlag wird ein mehrteiliger Lösungsansatz geboten, der sich nach Süss et al. aus den Schritten „Bewahren, Reparieren, Aufklären, Reflektieren und Handeln“ zusammensetzt. Ein Fazit fasst abschließend die wichtigsten Gedanken und Aspekte zusammen.
Die Medienwirkungsforschung befasst sich – bislang – vor allem mit der Wirkung der bekannten Massenmedien auf die Sozialisation der Individuen. Zwar wird zu den Einflüssen von Online-Medienangeboten ebenfalls geforscht, doch fehlen bisher Untersuchungen, die die Ergebnisse zusammenführen und in einen größeren Zusammenhang bringen. Dabei ist festzuhalten, dass in der Forschung zur Wirkung der Medien eine starke Gewichtung auf die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen sowie in der Annahme binärer Geschlechterverhältnisse vorherrscht. Daran anlehnend wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit dieser Begriffsbestimmung gefolgt. Standardwerke in der Online-Medienanalyse sind bislang schwer zu bestimmen, da es sich bei diesem Thema um eine sehr dynamische Entwicklung handelt, der die wissenschaftliche Forschung immer „etwas nachzulaufen“ scheint. Dabei fällt vor allem auf, dass der allgemeinen Medienlandschaft sowie den momentan vorherrschenden Medienangeboten entweder mit Euphorie oder Pessimismus begegnet wird. Nach wie vor gibt es daher erhebliche Forschungslücken und es bedarf weiterer Studien, um ein präzises Bild zeichnen zu können. Wichtige Anregungen für die Gender-Perspektive dieser Arbeit gaben daher hauptsächlich wissenschaftliche Artikel, die in Fachzeitschriften zu finden sind und die dieses aktuelle Thema bearbeiten. Grundlegend für die Analyse waren zudem Untersuchungen zur Begriffsbestimmung des „männlichen Blicks“ und der „Objektivierung“ wie von Pierre Bourdieu und Laura Mulvey.
In der Auswahl der Fallbeispiele unterscheidet sich die vorliegende Untersuchung von den bisher zu dem Thema verfassten Studien, in denen es bislang hauptsächlich um den Online-Dienst Facebook geht. Lediglich in einigen psychologischen Studien wird auch Instagram in den Blick genommen. Die vorliegende Analyse beschränkt sich wiederum auf drei beispielhafte Profile auf Instagram. Eine ausführlichere Untersuchung oder die Heranziehung weiterer sozialer Online-Dienste würde den Rahmen einer solchen Arbeit sprengen.
2. Begriffsbestimmung
Für das Verständnis der vorliegenden Arbeit ist es relevant, die für die Arbeit grundlegenden Begriffe näher zu beleuchten. Der Teil der Begriffsbestimmung mag dem*der Leser*in möglicherweise etwas ausufernd erscheinen, dies ist aber der Tatsache geschuldet, dass sich der Autor dem Thema bewusst mit einem Blick nähern möchte, der mehrere Perspektiven einnimmt, um so ein für die Soziale Arbeit relevantes, mehrdimensionales Bild zu zeichnen. Außerdem handelt es sich bei den aufgeführten Begriffen nach aktuellem Kenntnisstand um relativ offene Begriffe, die in der Wissenschaft stark diskutiert werden, ohne dass es bislang erreicht wurde, zu einer endgültigen Definition zu gelangen. Da es sich zudem um ein relativ junges Forschungsgebiet handelt, befindet sich einzelne Phänomene und Begriffe noch in einer Aushandlungsdebatte und somit in einem stätigen Prozess der Veränderung. Aus diesem Grund wurde versucht, die Begrifflichkeiten für diese Arbeit zu bestimmen.
2.1 Social Media
Der englische Begriff Social Media ist zu einem feststehenden Ausdruck geworden, der zur Beschreibung bestimmter Formen von medialer Umgebung im Internet dient, deren Architektur auf das Ermöglichen sozialer Interaktion ausgelegt ist (vgl. Münker 2009: 9). Dabei betont Münker jedoch auch, dass es sich bei genauerer Betrachtung nicht um ein Alleinstellungsmerkmal handelt, da alle Medien durch ihre Vermittlungs- und Tauschfunktion zu jeder Zeit eine verbindende Art und somit eine soziale Eigenschaft haben (vgl. ebd.). Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass sich hinter Medien auch immer Menschen befinden, sich aber die Art der Informationsvermittlung, im Gegensatz zu den „klassischen“ Massenmedien, hin zu einem pluralistischen Austausch mit weniger einseitigen Fließrichtung der Informationen entwickelt hat. Das bestimmt die Qualität des Sozialen. Damit ließe sich das Soziale im Internet also dadurch charakterisieren, dass seine Erscheinungsweise „ in einem wesentlichen Sinn durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt wird“ (ebd.: 15). Dabei ist die Intensität von Mitgestaltungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen Online-Plattformen unterschiedlich stark ausgeprägt und abhängig von der online gebotenen Infrastruktur (vgl. Münker 2009: 15).
Das eigenmächtige (Teil-)Veröffentlichen von personalisierten und individualisierten Inhalten in Text-, Bild- oder Videoform sowie das Austauschen, Kommentieren und Bewerten solcher Inhalte ist ein wesentlicher Bestandteil der Interaktion in sozialen Online-Netzwerken. So bietet beispielsweise das soziale Online-Netzwerk Instagram eine Möglichkeit, die zunächst weniger komplex erscheint als bei anderen soziale Netzwerken, geht es doch eigentlich um das Veröffentlichen, Betrachten, Bewerten und Kommentieren von Bildern. Mittlerweile bietet es jedoch mit einer zusätzlichen Videofunktion und der Möglichkeit, Bilder mit Bildunterschriften zu versehen, auch die Option, zusätzliche komplexere Inhalte zu verbreiten. Die Bilder und Videos können mit relativ langen Texten unterschrieben werden und so an Informationsgehalt gewinnen. Der Algorithmus von Instagram soll die Interaktion fördern und die Veröffentlichung einer längeren Story, welche viele Reaktionen anderer User hervorruft, wird somit sogar „belohnt“ (vgl. Schämmlein 2018).
Instagram ist ein 2010 gestartetes soziales Online-Netzwerk, das den Nutzer*innen ermöglichen soll, in Form von Fotografien Momente aus dem täglichen Leben in Echtzeit mit bekannten und unbekannten Menschen zu teilen. Der Name ist an Sofortbildkameras und das englische Wort Telegram, angelehnt. So wird bereits durch den Namen die Funktion des schnellen Aufnehmens und Versendens von Fotografien verdeutlicht. Nach diesem Prinzip ist es durch die Nutzung der Instagram -App in Verbindung mit der Kamera des Smartphones möglich, Fotos anzufertigen, zu bearbeiten und zu veröffentlichen. Mittlerweile gibt es auch die Möglichkeit, ähnlich wie bei YouTube, Videomaterial selbst zu produzieren und über die Instagram -eigene Videoplattform IGTV zu veröffentlichen. So wird eine Art Echtzeit-Situation bzw. Spontaneität suggeriert, die dem*der Rezipient*in das Gefühl geben soll, direkt an einer Situation teilzuhaben. Das Bildmaterial muss aber nicht zwangsläufig mit dem Gerät aufgenommen worden sein, auf dem die App installiert wurde, und auch nicht zwangsläufig mit den integrierten Bearbeitungsoptionen modifiziert worden sein. So findet sich mittlerweile auch vielfach aufwendig produziertes Bildmaterial auf Instagram. Durch die merkbar intensive Bearbeitung des Bildmaterials ist aber die eigentlich beabsichtigte Suggestion von Spontaneität nicht immer gegeben. Wie genau die Bearbeitung der Bilder von den Rezipient*innen analysiert werden kann, hängt von den jeweiligen Bildbetrachtungskompetenzen ab (siehe hierzu 4.2).
Des Weiteren bietet Instagram die Möglichkeit, die veröffentlichten Bilder mit Text und Kommentar zu versehen. Hier spielen vor allem die sogenannten Hashtags (von engl. hash mark = Rautensymbol, tag = Markierung) eine Rolle. Sie können als Markierer oder Schlagwort(-Kette) in den Bildkommentar eingefügt werden und das Bild damit für Nutzer*innen, die nach dem entsprechenden Hashtag suchen, auffindbar machen. Die Häufigkeit der Verwendung bestimmter Hashtags wird gezählt, was die Erstellung von Ranglisten der Nutzungshäufigkeit ermöglicht.
Seit Veröffentlichung des Angebotes ist Instagram zu einem der meistgenutzten Online-Netzwerke weltweit geworden: mit über 800 Mio. monatlich aktiven und über 500 Mio. täglich aktiven Nutzer*innen (vgl. Instagram 2018). Jeden Tag werden etwa 95 Mio. Bilder auf Instagram hochgeladen (vgl. Omnicore 2018). Mit dem Anstieg der Nutzer*innenzahlen stieg auch die Zahl der Stimmen, die nicht nur die Nutzung der Online-Medien als solches, sondern auch die Verhaltensweisen und Mechanismen innerhalb dieser problematisieren. Dabei stehen vor allem die virtuellen Handlungen, etwa das Veröffentlichen eines Textes oder Bildmaterials, immer wieder im Fokus der Diskussion. So wird vor allem die Körperdarstellung von Mädchen als sexualisierte oder übersexualisierte Selbststilisierung kritisiert (vgl. Tillmann 2017b: 25). Eine wesentliche Eigenschaft solcher virtuellen Handlungen ist, dass sie gespeichert einer größeren Anzahl Menschen zugänglich und häufig länger nachweisbar sind. Diese werden auf Basis der gesellschaftlich gegebenen Normen und moralischen Werte hinterfragt und bewertet, wobei der Kommunikationsort Internet ebenfalls Einfluss auf die Reaktion hat. Süss et al. bezeichnen Medien als gesellschaftliche Subsysteme, die mit allen anderen Subsystemen, wie etwa Politik, Bildungs- und Sozialwesen, vernetzt seien und in wechselseitiger Abhängigkeit zu diesen stünden (vgl. Süss et al. 2018: 96). Durch eine Bewusstmachung und Reflektion der Organisationsstrukturen bilde sich eine Medienethik als Organisationsethik heraus (vgl. ebd.). Eine unzureichende Inhalts- oder Organisationsanalyse kann jedoch auch Risiken mit sich bringen. Nach Ansicht von Kulturphilosoph Christian Filk steht die Entwicklung einer „Social-Media-Ethik“, welche die multidirektionale Kommunikation und die dezentrale Netzstruktur berücksichtigt, noch immer aus (vgl. Medienpolitik.net 2014). Des Weiteren finden sich im Diskurs vermehrt auch Stimmen, welche die positiven Aspekte der virtuellen Interaktion betonen (vgl. Schär 2013: 99). So werden moderne Internet-Medien wie Instagram genauso wie klassische Fernsehinhalte mittlerweile dazu genutzt um emanzipatorische und gesundheitliche Themen zu veröffentlichen und zu diskutieren (vgl etw. Süss et al. 2018: 96).
2.2 Sozialisation und Mediensozialisation
Der Sozialisationsbegriff fand (beginnend in den USA) ab der Mitte des 20. Jahrhunderts Eingang in die erziehungswissenschaftliche Debatte (vgl. Kaiser 2015: 49). Grundlegend war nach Kaiser die Annahme eines wechselseitigen Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum, welche auf der Annahme Émile Durkheims beruhte, dass Sozialisationsprozesse als soziale Integration in arbeitsteilig organisierte Gesellschaften durch Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte und Normen zu verstehen seien (vgl. Kaiser 2015: 49). Ein Verdienst Durkheims bestünde in der „Fokussierung auf gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen im Prozess des Aufwachsens“ (ebd.: 49f). Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich aber das Verständnis von Sozialisation „als Übernahme, Prägung und Reproduktion gesellschaftlicher Implikationen“ (ebd.: 50) hin zu einer aktiven, durch das Individuum getragenen Einfädelung in die Gesellschaft gewandelt (vgl. ebd.). Dabei geschieht Sozialisation durch Fremdselektion, etwa in Umwelten, in die das Individuum nur gelangen kann, wenn andere diesen Prozess zulassen, sowie durch Selbstselektion in Umwelten, die selbst gewählt und geschaffen sind (vgl. Krämer 2013: 31f). Daran knüpft der Ansatz Hurrelmanns an, der entwicklungspsychologische und identitätstheoretische Annahmen integriert. Demnach seien Sozialisationsprozesse als Kombination von Einflüssen der sozialen und physischen Umwelt, wie auch des inneren psychischen und körperlichen Erlebens, zu verstehen (vgl. etwa Ecarius et al. 2011: 43, Kaiser 2015: 50).
Als besondere Phase der Vergesellschaftung wird die Jugend angesehen (vgl. Hurrelmann/Bauer 2015: 132ff). Sie symbolisiere, nach Hurrelmann und Bauer, die Spannung zwischen persönlicher Individuation und sozialer Integration (vgl. ebd.: 132). Hurrelmann geht dabei von einer herausragenden Besonderheit des Sozialisationsprozesses im Jugendalter aus, in dem sich eine Ich-Identität ausbilde (vgl. ebd.). Voraussetzung für diesen Prozess sei der Aufbau eines, dem Alter und dem Entwicklungsstand angemessenen, Selbstbildes (vgl. ebd.: 134).
„Voraussetzung [hierfür] ist die Fähigkeit, zwischen der eigenen Person mit ihrer inneren Realität und der umgebenden äußeren Realität unterscheiden zu können. Diese Fähigkeit baut sich im Verlauf der Entwicklung im Jugendalter auf. Die reflexive Beziehung eines Menschen zu seinem Körper und zu seinen Bedürfnissen, Motiven und Interessen wird differenzierter und komplexer und erreicht in der frühen Jugendphase eine qualitativ neue Entwicklungsstufe“ (Hurrelmann/Bauer 2015: 134).
Hurrelmanns Modell der produktiven Realitätsverarbeitung gilt als zentrales Konzept in der Sozialisationsforschung und ist für Kaiser auch für die Begriffsbestimmung der Mediensozialisation von Bedeutung (vgl. Kaiser 2015: 53). Hurrelmann und Bauer betonen in dem Modell die subjektiv-eigenmächtigen Individuationsprozesse (vgl. Hurrelmann/Bauer 2015: 93). In permanenter Eigenleistung fänden aktive, dauerhafte und individuelle Auseinandersetzung und, als Folge daraus, aktives Gestaltungshandeln in der Umwelt statt (vgl. ebd.: 99f). Nach Theunert und Schorb wird ebenfalls die ständige Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft betont (vgl. Röll 2010: 23):
„In jedem Stadium der Subjektwerdung interagiert der Mensch mit der Umwelt, verhält sich gegenüber den Umweltgegebenheiten selektiv, interpretiert das Wahrgenommene aktiv vor dem Hintergrund subjektiver Erfahrungen und Lebensbedingungen, die wiederum Resultat vergangener Sozialisationsprozesse sind, und verändert die Umwelt für sich und andere durch sein Handeln“ (Theunert/Schorb 2004: 206, zit. n. Röll 2010: 23).
Dabei nehmen, so Röll, die Medien – neben Familie, Schule, Peer-Gruppen und beruflichen Institutionen – längst eine Schlüsselfunktion im Sozialisationsprozess ein (vgl. ebd.). Die Relevanz von Medien und deren Einfluss auf moderne Gesellschaften wird in den meisten Quellen sehr hoch eingeschätzt. Eine Verminderung ist auch durch einen Effekt der medialen Ausdifferenzierung nicht zu erwarten (vgl. etw. Krämer 2013: 14). Auf diese Weise rücken die neuen Medien noch stärker in das Blickfeld der Sozialisationsforschung.
Die sozialisationstheoretische Fragestellung hinsichtlich der Wirkung von Medien wird, so Eulenbach, üblicherweise in eine doppelte Frage gefasst: „‚Was machen die Medien mit den Menschen?‘ und ‚Was machen die Menschen mit den Medien?‘“ (Eulenbach 2012: 183). Denn sowohl die medienzentrierte, als auch die rezipient*innenorientierte Perspektive seien mit je eigenen normativen Positionen verbunden (vgl. ebd.). Es sei von Rezipient*innen als aktive Identitätskonstrukteur*innen auszugehen, denen in individualisierten und globalisierten Gesellschaften die Medien in gestiegenem Maße die Bereitstellung von Sinnressourcen ermöglichten (vgl. ebd.: 184). So werden mittlerweile alle Lebensbereiche und Lebensphasen von Medien durchdrungen. Cleppien und Lerche halten fest, dass die momentane gesellschaftliche Entwicklung „nicht ohne die mediale Speicherung und selektive Verbreitung von Informationen sowie sozial differenzierten Nutzungsweisen zu verstehen ist“ (Cleppien/Lerche 2010: 8). Auf diese Weise entstünden durch die technische Entwicklung der Medien und deren Vernetzung neue soziale Muster des Zusammenspiels von Kognition, Kommunikation und Wirklichkeitsverständnis (vgl. Cleppien/Lerche 2010: 8).
Nach Krämer wurden bisher vornehmlich Kinder und Jugendliche von der Forschung zur Mediensozialisation in Verbindung mit medienpädagogischen Interventionen in den Mittelpunkt gestellt (vgl. Krämer 2013: 23). Die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (MPFS) jährlich durchgeführte Studie „JIM-Studie“ ermittelte 2017, dass 97% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland ein Smartphone besitzen (vgl. MPFS 2017: 7). Durch ihre Multifunktionalität ersetzen Smartphones viele Geräte und ermöglichen unter anderem den Zugang zum Internet. Das verdeutlicht, wie eng die Mediennutzung in den Lebensalltag verwoben ist. Damit ist auch die Frage der Mediensozialisation mit allen Bereichen des alltäglichen Lebens eng verbunden und betrifft sowohl das private Sozialgefüge, als auch die pädagogischen Institutionen der Gesellschaft (vgl. Wegener 2016: 13f).
Demnach werden die Orte des Aufwachsens zunehmend zu medialen Räumen und Sozialisation fände zusätzlich in einem nicht mehr durch die Familie und Pädagog*innen kontrollierten Raum statt (Eulenbach 2012: 184). Die Heranwachsenden entziehen sich damit gewissermaßen der Kontrolle der Elterngeneration. Dabei werden auch einige individuelle sowie gesellschaftliche Problemlagen und Risiken, wie etwa Mobbing oder Mediensucht, lokalisiert, die durch die Integration digitaler Medien in die Lebenswelt Heranwachsender (und Erwachsener) entstehen. Mancherorts zeigt sich (wie im Verlauf der vorliegenden Arbeit deutlich werden wird), dass es sich in einigen Fällen um die Verlagerung gesellschaftlicher Probleme in die virtuelle Welt handelt. Es geht also um eine Suche nach der Antwort auf die Fragen des richtigen Umgangs mit dieser Ortsveränderung, auch für (Medien-)Pädagogen (vgl. etw. Schär et al. 2018: 135ff).
Krämer beschreibt Medien als „soziales Phänomen par excellence“ (Krämer 2013: 61). Sie ermöglichten Erfahrungsräume, die nicht unmittelbar in der direkten Umwelt der Individuen liegen (vgl. ebd.). Mediensozialisation lasse sich demnach als ein Prozess des Erwerbs von Dispositionen bezeichnen, „welche auf typische und ausreichend folgenreiche Weise mit Bezug auf die Mediennutzung sozial strukturbildend sind, also die Mediennutzung zum Gegenstand haben (können)“ (vgl. Krämer 2013: 32). Damit sei aber in erster Linie die Sozialisation mit Medien und nicht durch Medien gemeint.
Nach Ecarius et al. stecken die Forschungsbereiche Mediensozialisation und Medienpädagogik aber weiterhin „in den Kinderschuhen“ (Ecarius et al. 2011: 149). Das liege daran, dass ein umfassendes Modell der Medienrezeption Jugendlicher noch ausstehe (vgl. ebd.). Dabei würden, nach Mönkeberg, moderne Medien aber häufig eher aus einer kulturpessimistischen Perspektive betrachtet, welche die Frage nach deren Funktion für die persönliche Identitätsbildung vernachlässigt (vgl. Mönkeberg 2013: 25). Auch für Süss et al. hat die kulturpessimistische Position die längste Geschichte sowie die stärkste Ausprägung und tauche wellenartig in der Diskussion um die Medienwirkung auf (Stichwörter aus der Vergangenheit sind beispielsweise „Schundfilme“, „Lesesucht“ und „Medienverwahrlosung“) (vgl. Süss et al. 2018: 20). Diese Positionen arbeiteten sich an den jeweils aktuellen Leitmedien ab und gingen davon aus, „dass Medien die psychosoziale Entwicklung der Heranwachsenden vor allem gefährden und kaum etwas positives [sic!] dazu beitragen könnten“ (Süss et al. 2018: 20).
Mikos beurteilt die Betonung negativer Einflüsse von Medien auf die Sozialisation ebenfalls kritisch (vgl. Mikos 2010: 28). Medien unterlägen einem Generalverdacht negativer Einflüsse, die bei der Beurteilung von Peers, dem Elternhaus oder der Schule nur bedingt vorhanden seien, da hier eine gesellschaftliche Anerkennung gegeben sei (vgl. ebd.). Dabei werde die Problematisierung der Mediennutzung und deren Einfluss nicht von allen Autor*innen geteilt. Mittlerweile fänden sich auch Positionen, die Mediennutzung differenziert und prozesshaft denken (vgl. ebd.). Auf diese Weise werde berücksichtigt, dass Mediennutzung sich in verschiedenen Lebensphasen unterscheide und sich in den unterschiedlichen Phasen des Aufwachsens ständig verändere. Letztlich sei ein Kompetenzgewinn und eine kritische Distanz im Nutzungsverhalten festzustellen (vgl. ebd: 27f). Kinder und Jugendliche sind häufig darauf angewiesen, sich technische Fähigkeiten selbst oder gemeinsam mit ihren Altersgenoss*innen anzueignen, da diesbezügliche Kompetenzen in der Elterngeneration häufig rückständig oder verzögert seien (vgl. Wegener 2016: 101). Wegener spricht hier von einer eigenständigen Selbstsozialisation (vgl. ebd.). Es lässt sich in Bezug auf die Handlungsfähigkeit in „Online-Sozialräumen“ also von einem Wissensvorsprung der Jüngeren sprechen.
Für Süss et al. entstünden damit, in Bezug auf den Umgang mit Medien, die Anforderung einer wechselseitigen Sozialisation, in der bei Eltern medienpädagogische Kompetenz gefragt sei, ihre Vorbildfunktion aber auch in Frage gestellt werden könne, da die Jugendlichen, dank ihres Wissensvorsprungs, auch ihre Eltern und ältere Familienmitglieder sozialisierten (vgl. Süss et al. 2018: 20).
Begreift man den Bewegungsraum im Internet als Lebenswelt, so kann man davon ausgehen, dass hier ebenfalls nachhaltige Sozialisationseffekte geschehen. Hoffmann und Kutsch etwa zeigen auf, dass die in der Jugend entwickelten ästhetischen Präferenzen ein Leben lang andauern können (vgl. Hoffmann/Kutsch 2010: 234). Zwar hätten Moden und ästhetische Erlebnisse einen Einfluss auf die Änderung dieser Vorlieben, aber es gebe elementare ästhetische Erfahrungen die konsistent vorhanden seien (vgl. ebd.). Die Genese ästhetischer Präferenzen hänge von soziokulturellen und sozialstrukturellen Bedingungen ab und stünden somit mit den kulturellen Ressourcen und Kapitalarten im Sinne Bourdieus in Beziehung (vgl. ebd.: 232). Bei einer verstärkten Selbstsozialisation oder Sozialisation in der Gruppe der Gleichaltrigen ist zu vermuten, dass der Einfluss der Familie, auch in Ermangelung einer anerkannten Kompetenz und Vorbildfunktion, in den Hintergrund tritt.
Auf soziologischer Ebene lassen sich hier Bourdieus Habitustheorie und seine Ausführungen zum Sozialen Kapital heranziehen. So bezeichnet Bourdieu dieses als, „[…] die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen. […] Sozialkapitalbeziehungen können nur in der Praxis auf der Grundlage von materiellen und/oder symbolischen Tauschbeziehungen existieren, zu deren Aufrechterhaltung sie beitragen“ (Bourdieu 1997, zit. n. Treumann et al. 2002: 28).
Nach Treumann et al. ist ein entsprechendes Beziehungsnetz weder naturhaft noch sozial gegeben und setze Beziehungsarbeit voraus, die mit sozialen Investitionsstrategien verbunden seien (vgl. ebd.). Für die „Einarbeitung“ in Social Media sei bestehendes Sozialkapital also vorteilhaft, da soziale Beziehungen bemüht werden könnten, die über entsprechendes Know-How verfügen (vgl. ebd.). Im Umkehrschluss könnte ein Mangel an sozialem und kulturellem Kapital den Erwerb von Medienkompetenz behindern. Es lässt sich also sagen, dass Ressourcenmangel in der „Offline-Welt“ auch in der „Online-Welt“ wirkmächtig sein kann. Wer einmal soziales Kapital angehäuft hat, gewinnt auch in den sozialen Online-Netzwerken schneller an Einfluss. Es ist davon auszugehen, dass für die Erprobung der neuen (Online-)Identitätsentwürfe materielle Absicherung und eine damit verbundene potentielle Partizipation am gesellschaftlichen Leben gegeben sein muss (vgl. Nierobisch: 33).
2.3 Identität und Körperbild
Zwar steht der Kontakt zum individuellen Umfeld auf Instagram im Vordergrund (laut JIM-Studie 2017 interagieren 82 Prozent der 12- bis 19-Jährigen mit Menschen, die sie persönlich kennen, vgl. MPFS 2017: 37), dennoch folgt ein Drittel der Nutzer*innen häufig Prominenten aus Sport und Film, sowie ein Viertel den Internet-Stars, die häufig auch als Influencer bezeichnet werden (vgl. ebd.).
In der Entwicklungspsychologie gilt die Aufgabe, eine eigene Identität in der Geschlechtsrolle zu finden, als eine wesentliche Entwicklungsaufgabe der Jugendphase (Tillmann/Schütt 2014: 21). Abels beschreibt Identität als „das Bewusstsein des Bildes, das Andere von uns haben“ (Abels: 2017: 199). Doch dieses Bild sei weder klar noch konsistent. Es könne von wechselnder Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinflusst sein und unterliege im Laufe der Zeit Anpassungsprozessen in denen Bilder, die Außenstehende von einem Individuum haben (sollen), an das erwünschte Selbstbild angepasst werden (vgl. ebd.). Anknüpfend an eine These Simmels komme Individualität allein dadurch zustande, dass jeder Mensch in einem einzigartigen Schnittpunkt sozialer Kreise stehe, zu denen man gleichzeitig in ihrer Verschiedenheit zugehörig ist (vgl. ebd.) Diese Zugehörigkeit mindere zwar die soziale Kontrolle und verstärke die Möglichkeit, einen individuellen Lebensstil zum Ausdruck zu bringen, aber in Wirklichkeit drohe das Individuum, „von der objektiven Kultur mit ihren Erwartungen, Regelungen und Institutionen überwuchert zu werden“ (ebd.). Damit wird dem Individuum die letztendliche Entscheidungsmacht darüber abgesprochen, wie andere es wahrnehmen sollen oder können. Zusätzlich ist diese Fremdwahrnehmung sich ständig verändernden Umweltprozessen unterworfen.
Für Döring ist die Identität einer Person Bedingung für ihre Individualität (vgl. Döring 1999: 255f). Die inflationäre und teils mit unterschiedlicher Bedeutung versehene Nennung der Begriffe „Selbst“, „Selbstkonzept“ oder „Identität“ in der Literatur verstärke die Tendenz, die Begriffe inhaltlich zu verwässern (vgl. ebd.: 256). Nichtsdestotrotz stehen Identität und ihre Findung im Sinne von „Erkenne dich selbst – durch andere“ seit jeher hoch im Kurs. Sie unterliegt aber durch die Bewertung des Individuums und seines für andere sichtbaren Körpers immer direkten Bewertungsmechanismen. Für Bruder geschieht aber auch das Eingehen auf die Forderung nach Autonomie und das Zugeständnis eines größeren Freiraumes im „neuen Geist des Kapitalismus“ (Bruder 2005: 195). Vorherrschend sei die Auffassung, jede*r könne die gewünschte Identität annehmen, eigenständig Netzwerke bilden und sich flexibel in diesen bewegen (vgl. Bruder 2005: 195). Gleichzeitig entwickelten sich aber neue Erfolgsmaxime und Wertsysteme, welche Einfluss und Urteil darauf ermöglichten, welches Verhalten erwünscht, welche Machtposition legitim sei, und wer Zugang zu diesen erhalten solle (vgl. ebd.). Der gesellschaftliche Wiederholungszwang werde ins Individuum verlegt und dieses damit tiefer in seine Abhängigkeit gestoßen. Bei dem Versuch sich gegen die Forderungen und Zumutungen der gesellschaftlichen Macht zu wehren, sei es schließlich allein gelassen (vgl. ebd.: 199). Damit entstünde eine neue „Moral“ der „Selbstverantwortung“, welche das Individuum als Verursacher seines Leidens verantwortlich mache (vgl. ebd.). Auch für Eulenbach herrscht in den gesellschaftlichen Debatten um die Sozialisationsrelevanz die Vorstellung vom Rezipienten als aktivem Identitätskonstrukteur vor (vgl. Eulenbach 2012: 183). Und in einer individualisierten und globalisierten Gesellschaft seien Medien in gestiegenem Maße an der Bereitstellung von symbolischen Sinnressourcen beteiligt, „die in die kulturellen Selbstbeschreibungen der Subjekte eingehen“ (ebd.: 184). Medienwelten prägten mittlerweile sämtliche Lebensphasen. Die Jugend bilde aber eine Phase, in der die Medienzuwendung zunehme und zu einer Identitätsgenese als individuell herzustellende Biographie innerhalb eines inkonsistent und flexibel verlaufenden Lebenslaufes genutzt werde. Dieser sei zu verstehen als Individualisierungsschub in einer pluralisierten sozialen Umgebung (vgl. Eulenbach 2012: 184f). Vor allem Jugendliche suchten nach Differenzerfahrungen und die Bilder und auch die Erzählungen der Medien bildeten einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild (vgl. ebd.). Vor allem jene Interaktion in „face-to-face-Kontakten“ wird hervorgehoben, die in den sozialen Online-Netzwerken verstärkt gegenüber den TV-Formaten gegeben ist bzw. suggeriert wird. In aktuellen Debatten wird aber nicht mehr von der Vorstellung ausgegangen, dass eine fertige Identität am Ende einer Suchbewegung stehe. Nach Eulenbach gehe die heutige Debatte davon aus, „dass Identität ein fragmentiertes und diskontinuierliches Projekt darstellt“ (ebd.: 186). Abels resümiert, dass man nicht von der (kurs. im Orig.) Identität, sondern immer nur von einer Identität sprechen kann, welche zu der aktuellen Situation passe (vgl. Abels 2015: 200). Diese ist nach Berger et al. „besonders offen“ (Berger et al. 1975: 70, zit. n. ebd.), könne durch diese Qualität aber auch Einfluss auf eine Krise der modernen Identität haben (vgl. ebd.). Der Körper kann dabei als Merkmalsträger gesehen werden, der in ständiger Kommunikation mit der Außenwelt steht und somit als zugewiesene, aber veränderbare Identitätskomponente (vgl. Pöhlmann/Joraschky 2006: 193). Dabei haben (Massen-)Medien wiederum als Sozialisationsagenten Einfluss auf die Vorstellungen körperlicher Attraktivität (vgl. Schemer 2006: 12). Durch öffentlich bekannte Menschen und die Industrie werden Moden und Trends generiert und diese vermitteln einflussreich Körper(vor-)bilder. Die (Selbst-)Darstellung im Netz erlaubt es demnach aber auch, Aspekte an der virtuellen Identität hinzuzufügen oder abzulegen.
Bütow beschreibt, junge Menschen müssten heute, in einer entgrenzten gesellschaftlichen Rahmung, eine sehr viel größere biographische Konstruktionsleistung als früher aufbringen, da Alter und Lebensmodelle als gesellschaftlich normierte Orientierungsfunktionen weniger Bedeutung hätten (vgl. Bütow 2013: 23). Damit rücke die Frage in den Vordergrund, wie es Jugendlichen angesichts diffuser (Geschlechter-)Vorbilder und diffundierender gesellschaftlicher Institutionen gelänge, sich auf individueller und biografischer Ebene stimmig und kohärent zu entwickeln (vgl. ebd: 23f). Für Friemel stellt die Jugendzeit eine psychosoziale Phase im Lebenslauf dar, welche durch „starke Dynamiken und Inhomogenitäten“ (Bonfadelli 1988: 187, zit. n. Friemel 2013: 201) gekennzeichnet ist (vgl. ebd.). Die allgemeine Loslösung vom Elternhaus und die Hinwendung zur Peergruppe stelle eine wesentliche Entwicklungsaufgabe Jugendlicher dar und betreffe damit heute auch die Mediennutzung (vgl. ebd.). Der Peergruppe komme, nach Erkenntnissen aus der pädagogischen, sozialpsychologischen und soziologischen Forschung, eine besonders hohe Bedeutung bei der Ausbildung von Normen und Werten zu (vgl. ebd.).
Die beschriebene Selbstvergewisserung als elementarer Bestandteil der Identitätsgenese ist eng verknüpft mit dem Begriff der Selbstthematisierung. Jungen und Mädchen finden heute im Internet zahlreiche Möglichkeiten zur Selbstinszenierung (vgl. Tillmann 2010: 263). Dabei gehe es häufig auch um die Inszenierung des Körpers und eine Positionierung anhand der Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ (Anfz. Im Orig.) (vgl ebd.).
Dabei sei die reale und die virtuelle Welt nur noch analytisch voneinander zu trennen und die Identitätssuche fände bis heute, online wie offline, über den eigenen Körper als zentralen Austragungsort statt (vgl. ebd.). Auch für Mönkeberg ist das Bestreben, sich selbst zum Thema zu machen, kein neues Phänomen, dass sich erst mit der Etablierung des Internet entwickelt hätte (vgl. Mönkeberg 2013: 26). Vor allem die Phase der Adoleszenz ist für Autenrieth „tatsächlich von einem gewissen Narzissmus bzw. der Selbstbezogenheit geprägt […]“ (Autenrieth 2014: 56). Die Ursache hierfür sieht sie in den jugendspezifischen Entwicklungsaufgaben mit denen sich in dieser Lebensphase auseinandergesetzt werden muss: „Diese umfasst die Loslösung vom Elternhaus, die verstärkte Orientierung an der Peergroup, das Aufnehmen von sexuellen Beziehungen, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht und insbesondere das Herausbilden einer eigenen kohärenten Identität mit individuellen Präferenzen und einem eigenen Stil […]“ (ebd.).
Autenrieth führt den Begriff des „Looking-Glass Self“ an (vgl. ebd.). Es beschreibe damit ein Konzept der Identitätskonstruktion, in dem die Selbstwahrnehmung einer Person maßgeblich von „Spiegelungen“ ihres sozialen Umfeldes geleitet werde (vgl. ebd.). Dabei seien drei Aspekte wesentlich:
- Der Versuch, die eigenen Handlungen aus der Perspektive anderer wahrzunehmen
- Die eigene Vorstellung darüber, wie das eigene Handeln aus der Perspektive der anderen bewertet wird
- Affektive Reaktion, die abhängig vom Ergebnis der Selbstevaluation, zwischen Stolz und Scham variiert und Basis für weitere Identitätsarbeit ist (vgl. ebd.)
Diesbezüglich sei die Adoleszenz quasi eine Phase der Erfassung und Festigung des Selbstbildes durch die Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Technologien wie die Fotografie würden uns dabei helfen, unser eigenes Selbst zu entdecken (vgl. ebd.). Damit bilden Feedbackprozesse eine Basis für nachhaltige soziale Interaktion sowie ein Fundament für Aufbau und Erhalt der eigenen Identität in Online- und Offline-Welten (vgl. Mönkeberg 2013: 28). In einer Zeit der zunehmenden gesellschaftlichen Unsicherheit kann subjektive Unsicherheit damit aber auch eine zusätzlich verstärkende Herausforderung werden.
[...]
1 Das Glossar der Bildphilosophie (GIB) definiert den Begriff Bildhandeln als Zusammenfassung verschiedener Handlungen, im Zuge derer Bilder geschaffen, rezipiert oder für diverse kommunikative Zwecke verwendet werden (vgl. GIB 2018). Es werde in den Handlungstheorien, je nach Erkenntnisinteresse, von unterschiedlichen Fragestellungen ausgegangen, welche dementsprechend verschiedene Aspekte des Bildes und beteiligter Handlungsvollzüge in den Vordergrund stellten (vgl. ebd.). Als Perpektiven, ließen sich im Wesentlichen vier, miteinander verbundene, Diskussionsfelder unterscheiden: Das Bildschaffen und die Rezeption von Bildern, die Verschiedenheit möglicher kommunikativer Zwecke, die Ermittlung des Bildstatus und der -bedeutung anhand des Gebrauchs des Bildes und der Umgang mit interaktiven Bildern und Bildhandeln in virtuellen Realitäten wie Computerspielen und dem Internet (vgl. ebd.).
- Arbeit zitieren
- Matz Sell (Autor:in), 2018, Körperbilder in den sozialen Online-Medien. Selbstdarstellung und Darstellung auf Instagram und Handlungsempfehlungen für die Medienpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043491
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