Die Arbeit befasst sich mit der Frage, welche unterstützenden und belastenden Erfahrungen Frauen mit Fluchterfahrung erlebt haben und welche Konsequenzen sich daraus für das soziale Unterstützungssystem ableiten lassen.
Die Flucht von Menschen aus Syrien und Irak nach Deutschland ist seit 2015 enorm angestiegen. Bürgerkrieg und unmenschliche Lebensbedingungen haben viele Menschen zur Flucht nach Europa und Deutschland gezwungen. Geflüchtete Menschen kommen mit Belastungen, Problemen und Traumatisierungen nach Deutschland und sind in Deutschland mit asylrechtlichen Begrenzungen konfrontiert. Unter anderem die Sozialwissenschaften als Unterstützungsdisziplin beschäftigen sich aktuell mit hilfreichen und entlastenden Unterstützungsmöglichkeiten.
Das Ziel der Forschung hier ist es, den Hilfebedarf von geflüchteten Frauen aus Syrien und Irak zu bestimmen, indem folgenden Forschungsfragen nachgegangen wird: Welche unterstützenden und belastenden Erfahrungen haben Frauen mit Fluchterfahrung gemacht? Was lässt sich daraus für das soziale Unterstützungssystem ableiten?
Um diese Fragen beantworten zu können, wurden neun Interviews und Gruppeninterviews mit geflüchteten Frauen aus Syrien und Irak geführt, die ab 2015 in Deutschland angekommen sind. Außerdem wurden drei Interviews mit Expertinnen geführt. Die Ergebnisse zeigen, dass geflüchtete Frauen, sobald sie im sozialen Unterstützungssystem ankommen, Entlastung vor allem durch die persönliche Beziehung zur unterstützenden Person erfahren. Außerdem werden Belastungen vor allem durch asylrechtliche Bedingungen erfahren. Ebenso resultiert aus der Befragung, dass Frauenrechte in all ihrer Vielfältigkeit für die geflüchteten Frauen ein wichtiges Thema sind. Dies sollte in den sozialen Unterstützungssystemen Gehör finden und Angebote für geflüchtete Frauen geschaffen werden.
Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. BESCHREIBUNG DES UNTERSUCHUNGSGEGENSTANDES
3. STAND DER FORSCHUNG
3.1 Frauenrechte im Nahen Osten
3.1.1 Gesellschaftspolitische Partizipation von Frauen im Nahen Osten
3.1.2 Persönliche undfamiliäre Teilhabe von Frauen aus dem Nahen Osten
3.1.3 Frauenrechte und Islam
3.1.4 Gewalt gegen Frauen
3.2 Fluchtursachen im Nahen Osten
3.3 Geschlechtsspezifische Fluchtursachen
3.4 Geflüchtete Frauen in Deutschland
4. UNTERSTÜTZUNGS-UND BERATUNGSANSÄTZE IN DEUTSCHLAND
4.1 Grundhaltungen in der Unterstützungvongeflüchteten Menschen
4.2 Interkulturelle Beratung
4.3 Psychosoziale Beratung von Menschen mit Fluchthintergrund
4.4 Sozialräumliche Perspektiven in der Arbeit mit geflüchteten Menschen
5. METHODE UND FRAGESTELLUNG
5.1 Forschungsansatz und Datenerhebungsmethode
5.1.1 Narrative Interviews und Gruppeninterviews
5.1.2 Expertinneninterviews
5.1.3 Transkription
5.2 Auswertungsvorgehen
6. ZENTRALE ERGEBNISSE
6.1 THEMENBEZOGENE DARSTELLUNG
6.2 THEMENBEZOGENE DARSTELLUNG DER EXPERTINNENINTERVIEWS
7. HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
8. FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
Masterarbeit an der Fakultät Sozialwissenschaften
Ankommen in Deutschland - die Perspektive von geflüchteten Frauen aus dem Nahen Osten mit Handlungsempfehlungen für das soziale Unterstützungssystem
Gegenstand / Fragestellung / Zielsetzung:
- geflüchtete Frauen aus Syrien und Irak
- Ankommen in Deutschland mit der Zuflucht ab 2015
- Welche unterstützenden und belastenden Erfahrungen haben Frauen mit Fluchterfahrung erlebt? Was lässt sich daraus für das soziale Unterstützungssystem ableiten?
Vorgehensweise:
- narrative Interviews
- Expertinneninterviews
- qualitative Inhaltsanalyse
Ergebnisse / Schlussfolgerungen:
- persönliche Beziehung mit den Menschen aus dem sozialen Unterstützungssystem sind bedeutsam
- frauenspezifische Themen sollten im Unterstützungssystem verankert sein
Schlüsselbegriffe:
geflüchtete Frauen aus Syrien und Irak, Zuflucht nach Deutschland seit 2015, Frauenrechte, Unterstützung vongeflüchteten Frauen
Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
Thema der Masterarbeit Ankommen in Deutschland - die Perspektive von
geflüchteten Frauen aus dem Nahen Osten mit Handlungsempfehlungen für das soziale Unterstützungssystem
Verfasserin: Sandra Hanika
Abstract
Die Flucht von Menschen aus Syrien und Irak nach Deutschland ist seit 2015 enorm angestiegen. Bürgerkrieg und unmenschliche Lebensbedingungen haben viele Menschen zur Flucht nach Europa und Deutschland gezwungen. Geflüchtete Menschen kommen mit Belastungen, Problemen und Traumatisierungen nach Deutschland und sind in Deutschland mit asylrechtlichen Begrenzungen konfrontiert. Unter anderem die Sozialwissenschaften als Unterstützungsdisziplin beschäftigen sich aktuell mit hilfreichen und entlastenden Unterstützungsmöglichkeiten. Das Ziel der Forschung hier ist es, den Hilfebedarf von geflüchteten Frauen aus Syrien und Irak zu bestimmen, indem folgenden Forschungsfragen nachgegangen werden: Welche unterstützenden und belastenden Erfahrungen haben Frauen mit Fluchterfahrung gemacht? Was lässt sich daraus für das soziale Unterstützungssystem ableiten?
Um diese Fragen beantworten zu können, wurden neun narrativen Interviews und Gruppeninterviews mit geflüchteten Frauen aus Syrien und Irak geführt, die ab 2015 in Deutschland angekommen sind. Außerdem wurden drei Interviews mit Expertinnen geführt. Die Ergebnisse zeigen, dass geflüchtete Frauen, sobald sie im sozialen Unterstützungssystem ankommen, Entlastung vor allem durch die persönliche Beziehung zur unterstützenden Person erfahren. Außerdem werden Belastungen vor allem durch asylrechtliche Bedingungen erfahren. Ebenso resultiert aus der Befragung, dass Frauenrechte in all ihrer Vielfältigkeit für die geflüchteten Frauen ein wichtiges Thema sind. Dies sollte in den sozialen Unterstützungssystemen Gehör finden und Angebote für geflüchtete Frauen geschaffen werden.
Vorwort
Ich habe mich aufgrund meiner Tätigkeit als Sozialpädagogin, die ihren Schwerpunkt in der Arbeit mit Frauen hat, dazu entschieden, meine Masterarbeit über geflüchtete Frauen und deren Belange zu schreiben. Frauen durch eine menschenrechtsbasierte, parteilich - feministische Arbeit in ihren Belangen zu stärken, ist mir in meiner Arbeit als Sozialpädagogin eine Herzensangelegenheit. Frauen, die aufgrund unterschiedlichster Problemlagen in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt sind, möchte ich durch meine ressourcen- und bedürfnisorientierte Arbeit ein Stück hin in Richtung Selbstbestimmung und Selbstverantwortung stärken. Die Ergebnisse der Masterarbeit mit ihrem Schwerpunkt auf die Belange syrischer und irakischer Frauen sollen einen Beitrag dazu leisten, dass diese im sozialen Unterstützungssystem von Menschen begleitet werden, die sie in ihrem Selbstwert und ihrer Selbstbestimmung stärken.
Zusammen mit meiner Betreuerin, Frau Prof. Dr. Simone Pfeffer habe ich die Fragestellung dieser Masterarbeit entwickelt. Gemeinsam mit ihr gelang es mir die qualitative Forschungsarbeit so zu entwickeln, dass ich diese erfolgreich und mit wertvollen Erkenntnissen abschließen konnte. Daher möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Simone Pfeffer für die fortwährende und hilfreiche Unterstützung während des ganzen Prozesses bedanken.
Ebenso bedanke ich mich von Herzen bei den Interviewpartnerinnen, den neun geflüchteten Frauen, die mir ihr Vertrauen geschenkt und mit ihrer Offenheit diese Arbeit erst ermöglicht haben. Außerdem ein herzliches Dankeschön an die Expertinnen von IMEDANA e.V., Elisabeth Schwemmer, Elshaday Haile und Farzaneh Ezati, sowie Katrin Kleemann - Mouhejri und Uta Bauer, für ihre Zeit und fachliche Expertise. Zudem geht der Dank an die Sprachmittlerinnen, die die Interviews begleiteten und an meine Kooperationspartnerinnen Sabine Weimert von JADWIGA Nürnberg, Christina Jungbauer vom Ökumenischen Verein für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migration Hersbruck e.V. sowie an Anne Hanika und Nina Wibmer von mitarbeiten: Kirchliche Beschäftigungsinitiative e.V. Fürth.
Sandra Hanika Nürnberg, 22.11.2019
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen
Abb. 1: Die gebildeten Kategorien der Fraueninterviews
Abb. 2: Die gebildeten Kategorien der Expertinneninterviews
Tabellen
Tab. 1: Auszug aus den genutzten Transkriptionsbausteinen
Tab. 2: Kategoriendefinition anhand eines Kategorienbeispiel
Tab. 3: Das gebildete Kategoriensystem: Codes und Subcodes Fraueninterviews
Tab. 4: Das gebildete Kategoriensystem: Codes und Subcodes Expertinneninterviews
Tab. 5: Das gebildete Kategoriensystem: Subcode Angebote
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Als wäre es, du bist in eine Ort, den du wirklich verloren bist. So wie eine Wüste und du weißt nicht, welche Richtung ist die Richtige, weil alles ist Wüste" (Zitat einer geflüchteten Frau - Interview Januar 2019)
Dieses Zitat aus einem der geführten Interviews mit geflüchteten Frauen aus den Herkunftsländern Syrien und Irak beschreibt sicherlich sehr gut, wie sich Menschen fühlen, die in ein neues Land aus ihrem Heimatland fliehen. Wie in einer Wüste, in der alles gleich aussieht, etwas Bedrohliches hat, weil es keinen Anhaltspunkt gibt, es keine klare Richtung gibt, keinen klaren Weg, der vorgeschrieben ist, an den man sich halten könnte. Gefühle wie Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und wie im Zitat formuliert, ein Gefühl des Verloren seins, drückt dieses Zitat aus.
Seit den Jahren 2015 / 2016 mit der Zuflucht über 1.000.000 schutzsuchenden Menschen (Statistisches Bundesamt, 2019) haben sich vermutlich einige der in Deutschland Ankommenden zunächst wie in der Wüste gefühlt. Die Frage stellt sich, wie können sie sich nicht mehr wie in der Wüste fühlen? Die Sozialwissenschaften als Helferdisziplin beschäftigten sich von jeher mit Fragen, wie geflüchtete Menschen unterstützt und in einem neuen Land gut ankommen können. Mit der Zuwanderung seit 2015 / 2016 sind diese Fragen verstärkt aktuell geworden, neue Forschungsliteratur zum Thema Asylsuchende / Flüchtlinge / Migration ist erschienen. Das Ankommen von geflüchteten Frauen ist in der Literatur zwar immer wieder Thema, doch wird es meist nur als ein Unterpunkt gestreift. Der wissenschaftliche Fokus ist sicherlich für diese Gruppe von geflüchteten Menschen noch ausbaufähig. Deshalb ist die Motivation der Forscherin, mit dieser Arbeit diesen spezifischen Blickwinkel von Frauen und auf Frauen zu schaffen.
Im Fokus stehen daher in dieser Arbeit geflüchtete Frauen aus den Herkunftsländern Syrien und Irak. Es sollen Erkenntnisse gewonnen werden, wie diese Gruppe von geflüchteten Menschen in Deutschland ankommt. Die Arbeit beschäftigt sich damit, welche belastenden und unterstützenden Erfahrungen die geflüchteten Frauen seit ihrer Ankunft in Deutschland gemacht haben, wie und wo sie Hilfe erfahren haben und wie ihnen diese geholfen hat. Vervollständigt sollen die gewonnenen Resultate durch die Expertise und das Erfahrungswissen von Expertinnen aus dem sozialen Unterstützungssystem. Das Ziel des empirischen Teils ist es, die bereits vorhandene Literatur zu ergänzen, indem neues Wissen über syrische und irakische Frauen generiert wird. Ferner soll dieses Wissen einen akademischen Beitrag dazu leisten, Handlungsempfehlungen für die Praxis zu gewinnen und eine neue Basis für weiterführende Analysen zu schaffen.
Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der konkreteren Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes, nämlich mit den geführten narrativen Interviews und Expertinnen Interviews. Anschließend wird ein theoretischer Rahmen für den empirischen Teil geschaffen. Hierbei wird zum einen der Stand der Forschung im Hinblick auf Frauenrechte im Nahen Osten wiedergegeben sowie die aktuelle Literatur zu geschlechtsspezifischen und allgemeinen Fluchtursachen aus den Ländern Syrien und Irak zusammengefasst. Nachfolgend wird ein theoretischer Überblick über aktuelle Unterstützungs- und Beratungsansätze in Deutschland im Bereich Migration und Arbeit mit geflüchteten Menschen gegeben. Im Anschluss wird der theoretische Rahmen mit dem empirischen Teil in Zusammenhang gesetzt, der sich zunächst mit der Methodik und Fragestellung der Studie beschäftigt und sich anschließend der Darstellung der Ergebnisse widmet. Den Abschluss dieser Arbeit bilden die daraus ableitenden Handlungsempfehlungen.
2. Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes
Diese Studie folgt einem qualitativ empirischen Forschungsdesign. Die empirischen Analysen basieren auf narrativen Interviews, die von einer Interviewerin geführt wurden. Die Interviews wurden mit neun geflüchteten Frauen, ausschließlich aus den Herkunftsländern Syrien und Irak, im Zeitraum von Dezember 2018 bis Mai 2019 geführt. Es wurden nur Frauen interviewt, die einen aktuellen Fluchthintergrund haben, das heißt, Frauen, die 2015 oder später nach Deutschland geflüchtet sind. Aus diesen empirischen Vorgaben ergibt sich, dass es sich um Frauen handelt, die aufgrund des Bürgerkriegs und instabiler Lebensbedingungen aus ihren Ländern geflüchtet sind, wie auch um Frauen, die in ihren Heimatländern mehr oder weniger geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt waren.
Mit fünf der neun Frauen wurden Einzelinterviews geführt, zwei davon mit Hilfe einer Sprachmittlerin, da die deutschen Sprachkenntnisse der Frauen nicht ausreichend waren. Drei weitere Interviews wurden mit den Frauen allein geführt, da diese über ausreichend gute Deutschkenntnisse verfügten. Vier der neun Frauen wurden im Rahmen zweier Gruppeninterviews befragt, die von zwei Sprachmittlerinnen begleitet wurden.
Die Gemeinsamkeit der Frauen bezieht sich auf ihre Herkunftsländer Irak und Syrien, ebenso die Zeit ihrer Ankunft in Deutschland. Alle Frauen sind im Zeitraum von 2015 bis 2018 nach Deutschland gekommen. Gleichzeitig sind alle Frauen bei unterschiedlichen sozialen Einrichtungen angebunden und haben dementsprechend Erfahrungen mit dem professionellen Helfersystem in Deutschland. Ebenso haben alle Frauen bereits Unterstützung durch ehrenamtlich Helfende erfahren.
Unterschiede bestehen im Alter der Frauen, dieses liegt zwischen 20 und 42 Jahre. Außerdem gibt es Unterschiede in der Schichtzugehörigkeit, dem Familienstand und in der beruflichen Ausbildung. Es wurden alleinlebende, alleinerziehende, geschiedene Frauen und Frauen mit Familie und Ehemann befragt. In ihren Herkunftsländern waren die Interviewpartnerinnen Hausfrauen sowie drei von ihnen Studentinnen, die das Studium aufgrund des Krieges jedoch nicht beenden konnten. Die meisten Frauen kamen aus traditionell geprägten Familienstrukturen, sowie zwei aus Familien, die eherdem westlichen Lebensstil zuzuordnen sind.
Alle Frauen stimmten freiwillig und über ihre Rechte, nach der Datenschutzregelung der DGSVO aufgeklärt, dem Interview zu. Die Interviews wurden mit Hilfe von Kooperationspartnerinnen ermöglicht und fanden jeweils in den sozialen Einrichtungen statt, in denen die Frauen angebunden waren.
Zusätzlich zu den narrativen Interviews wurden zur Vervollständigung der Studie drei Expertinneninterviews geführt. Die Expertinneninterviews waren leitfadengeführte Interviews. Ziel war es, die Datenlage der Studie durch die Betrachtung der Expertinnen zu vervollständigen. Ein Interview wurde mit drei Mitarbeiterinnen des Vereins IMEDANA e.V. geführt und fand im Mai 2019 mit Elisabeth Schwemmer, Elshaday Haile und Farzaneh Ezati statt. Ferner wurde Uta Bauer vom Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge Nürnberg der Rummelsberger Diakonie im Juli 2019 interviewt. Das dritte Expertinneninterview führte die Forscherin ebenso im Juli 2019 mit Katrin Kleemann - Mouhejri von der Migrationsberatung für Erwachsene der Stadtmission Nürnberg.
3. Stand der Forschung
In diesem Kapitel wird der Literaturüberblick als Basis für die empirische Studie gegeben. Ausgehend von der Forschungsfrage und der aktuellen Problemlage, die darin besteht, dass viele Frauen in Deutschland Zuflucht suchen und Unterstützung des sozialen Helfersystems benötigen, werden zunächst die Frauenrechte im Nahen Osten beleuchtet. Hier ist das Ziel, einen Überblick zu schaffen, wer die geflüchteten Frauen aus Syrien und Irak überhaupt sind, welchen biografischen und soziokulturellen Hintergrund sie nach Deutschland mitbringen und was sich davon als Handlungswissen für das soziale Unterstützungssystem ableiten lässt. Außerdem wird der Frage nach den Fluchtgründen aus Syrien und Irak nachgegangen, welche aktuellen Ursachen zur Flucht nach Deutschland vorhanden sind und welche geschlechtsspezifischen Ursachen es gibt, die eine Flucht in ein anderes Land zur Folge haben können. Hier ist das Ziel, Wissen für die Praxis zu erweitern. Wenn dem soziale Unterstützungssystem fundierte Informationen vorliegen, weswegen Frauen im Speziellen und Menschen im Allgemeinen aus Syrien und Irak fliehen, kann dies nur nützlich für eine zielführende Unterstützung sein. Abschließend wird darauf eingegangen, was der aktuelle Kenntnisstand in Bezug auf die Lage der geflüchteten Frauen bei Ankunft in Deutschland ist. Hier möchte die Forscherin einen Literaturüberblick zum Forschungsthema Ankommen in Deutschland von geflüchteten Frauen verschaffen. Konkret wird auf die Lage der Frauen in Asylunterkünften eingegangen, in denen zunächst und generell das Ankommen stattfindet.
3.1 Frauenrechte im Nahen Osten
Frauenrechte sind Menschenrechte. „Die grundsätzliche Gleichheit von Mann und Frau ist der einzige Weg, der zur Einigkeit der Menschen führen kann" (Stolle & Robben, 2004, Titel). So die Frauenrechtlerin und Zitatgeberin Flora Tristan (1803-1844). In Deutschland ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gesetzlich verankert. Artikel 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) sagt „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin" (Art. 3 Abs. 2 GG). Der Vergleich mit der deutschen Gesetzeslage lässt die Frage aufkommen, wie die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Nahen Osten gesetzlich verankert ist und wie in Ländern des Nahen Ostens Frauenrechte tatsächlich gestaltet und gelebt werden. Hierfür werden unterschiedliche Betrachtungsebenen hinzugezogen. Zunächst wird auf die gesellschaftspolitische Partizipation eingegangen. Danach wird die Teilhabe der Frauen auf individueller Ebene im Bereich von Familie und Beruf betrachtet. Die Grundlage schafft hierbei die Literatur zu Frauenrechten im Nahen Osten, die, wenn es die Literatur zulässt, durch länderspezifische Berichte zu Syrien und Irak konkretisiert wird.
3.1.1 Gesellschaftspolitische Partizipation von Frauen im Nahen Osten
Das aktive und passive Wahlrecht von Frauen ist in allen Ländern des Nahen Osten seit 2015 mit dem Nachzug von Saudi-Arabien, das zuletzt das Frauenwahlrecht verabschiedet hat, gesetzlich verankert (Salah, 2018, S. 45). Syrien hat wie Libanon 1953 das Frauenwahlrecht verabschiedet. Irak zog 1980 nach (UN Women, 2011, S. 124). Die Einführung dessen ging, wie auch in den westlichen Ländern mit dem Erstarken der Frauenbewegung einher, auf die daher kurz eingegangen wird, um einen historischen Überblick zu erhalten, der es möglich macht, die aktuelle Situation der Frauen zu bewerten.
Die erste Welle der Frauenbewegung in arabischen Ländern fand zwischen 1890 und 1950 statt. Sie wird als liberale Phase bezeichnet, ausgegangen wardiese vor allem von den Ländern Ägypten und Libanon (Salah, 2018, S. 45). Der Politikwissenschaftlerin Hoda Salah zufolge war die Frauenbewegung dieser Zeit vor allem gemeinsam mit der Widerstandsbewegung der arabischen Länder gegen die Kolonialherrschaften aktiv. Ziele der Frauenbewegung war zum einen die Einführung des Wahlrechts für Frauen zu erreichen und zum anderen die Privatrechte der Frauen zu verändern (ebd., S. 45). Durch die politischen Veränderungen seit den 1950er Jahren, in denen sich viele arabische Regierungen zu autoritären Staaten entwickelten, veränderten sich auch die Frauenrechte. Sie wurden von staatlicher Seite aus verordnet und flossen in die arabischen Verfassungen ein. Politische Teilhabe, Bildungs- und Arbeitschancen wurden für Frauen rechtlich verankert. Salah geht auf den hierfür in der Forschung benutzten Begriff „Staatsfeminismus" ein.
In der zweiten Welle der Frauenbewegung bis zu den 1970er Jahren wurden den Frauen durch den Staat somit die rechtliche Gleichstellung zu den Männern in den meisten arabischen Ländern, unter anderem auch Irak und Syrien, zugesprochen (Salah, 2018, S. 46).
Ab den 1970er Jahren begann die dritte Welle der arabischen Frauenbewegung, die dem verloren gegangenen Krieg von Syrien, Ägypten und Jordanien gegen Israel 1967 nachfolgte. Das politische System in den arabischen Ländern veränderte sich. Salah spricht dabei von pluralisierten autoritären Systemen. Es wurde sich dem Westen, insbesondere den USA zugewandt und es entwickelte sich eine, mit einer Prägung zwischen sozialer und neoliberaler, Marktwirtschaft. In dieser Phase entstanden in der Frauenbewegung etliche Frauenorganisationen unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Richtungen (Salah, 2018, S. 46).
Frauenrechtsaktivistinnen und Jugendbewegungen läuteten mit Beginn des arabischen Frühlings die vierte Welle der Frauenbewegung ein. Durch den arabischen Frühling und die Mobilmachung einer demokratischen Öffentlichkeit, ging auch eine Veränderung für Frauen einher. Tabuthemen wie Gewalt gegen Frauen wurden öffentlich angesprochen (Salah, 2018, S. 49). Es wurde ein Generationswechsel eingeleitet, der mit einer veränderten Form der Frauenbewegung einherging, der bis heute anhält. Die Frauen der aktuellen Frauenbewegung beziehen erstmalig Männer mit ein, die über ihre Männlichkeit reflektieren und an einer gesellschaftlichen Veränderung von Geschlechterrollen und ebenso wie die Frauen an einer gleichberechtigten, egalitären Gesellschaft interessiert sind. Es findet vor allem ein Umbruch durch kulturelle, soziale und künstlerische Initiativen statt, die sich mit ihren Mitteln gesellschaftskritisch äußern und Veränderungen voranbringen wollen. Ziel der aktuellen Frauenbewegung ist, nach der Errungenschaft des Wahlrechts und der dadurch erreichten politischen Teilhabe, auch Veränderungen im Familienrecht zu erwirken und dadurch langfristig die Geschlechterzuschreibungen in der Gesellschaft zu verändern. Dazu gehört bspw. das Recht als Frau, alleine wohnen zu dürfen (ebd., S. 49). Perspektivisch betrachtet wird es nach der Politikwissenschaftlerin und Soziologin Kreole darum gehen, ob die Frauenbewegung es schafft, soziale Fragen wie Armut und gesellschaftspolitische Repressionen mit neuen individuellen Gestaltungsräumen von Frauen und der Forderung nach sozialen Rechten zu verknüpfen. Eine Frau, die ihre Sicherheit und ihr Überleben in vor Armut bestimmten Strukturen gewährleisten muss, wird sich bisweilen nicht von patriarchal geprägten Kollektivstrukturen lösen können. Frauen aus der Mittelschicht, die eine Pluralisierung der Lebensformen bereits erleben können, schaffen es leichter sich zu individualisieren und zu verwirklichen. Den Spagat zwischen diesen Welten zu schaffen ist nach Kreile die Aufgabe der aktuellen Frauenrechtlerinnen (Kreile, 2003, S. 47f.).
Bei näherer Beleuchtung der Frauenbewegung in den arabischen Ländern wird deutlich, dass die politische Partizipation von Frauen mit der Zeit durch das aktive und passive Wahlrecht gestärkt wurde.
ESCWA beschreibt in ihrer Publikation zur politischen Vertretung von Frauen in der arabischen Region, dass sich auf der einen Seite einiges für Frauen verändert hat. Ein Beispiel hierfür ist die Sichtbarkeit der Frauen in der politischen Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite lässt sich trotzdem sagen, dass Frauen weiterhin sehr unterrepräsentiert in den Parlamenten sind und Frauen ihre politischen Rechte nur bedingt wahrnehmen können (vgl. Bericht von ESCWA 2017). Dies zeigt der Global Gender Gap Index, den das Weltwirtschaftsforum seit 2006 veröffentlicht, der vier Dimensionen der Geschlechter- parität beleuchtet. Im Global Gender Gap Index 2018 wurden 149 Länder weltweit bewertet. Er macht es möglich, in einen länderspezifischen Vergleich zu gehen, mit dem Ziel ein Bewusstsein für Geschlechterungleichheit zu schaffen und einen Beitrag zur Reduzierung von Ungleichheit zu leisten. Folgende vier Dimensionen werden im Index bewertet: Wirtschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit, Bildungsabschluss, Gesundheit und Überleben sowie politische Selbstbestimmung (World Economic Forum, 2018, S. 7 - Übersetzung von S.H.). Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (im Index zusammengefasst) zeigen Fortschritte im Vergleich zur Bewertung im Vorjahr. Sie rangieren jedoch im regionalen Vergleich zu Südasien, Subsahara Afrika, Ostasien und Pazifik, Lateinamerika und Karibik, Osteuropa und Zentralasien, Nordamerika und Westeuropa weiterhin auf dem letzten Platz (ebd., S. 24 - Übersetzung von S.H.). Der Irak liegt in der Gesamtbewertung auf Platz 147 von 149 bewerteten Ländern und Syrien auf Platz 146 (ebd., S. 129 + 263 - Übersetzung von S.H.).
Die UN - Frauenrechtskonvention, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, das am 3. September 1981 mit dem Art. 27 der Frauenrechtskonvention in Kraft getreten ist, liegt allen Staaten seitdem zur Unterzeichnung vor, in Verbindung mit der zwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (Frauenrechtskonvention, Netzwerk Menschenrechte, n.d.).
Irak ist der Konvention 1986 beigetreten, sie ist jedoch bis dato nicht ratifiziert und unterzeichnet. Irak benennt dabei unter anderem folgende Gründe: „Die Genehmigung dieses Übereinkommens und der Beitritt zu diesem Übereinkommen bedeuten nicht, dass die Republik Irak durch die Bestimmungen des Artikels 2 Buchstaben f) und g) oder des Artikels 16 des Übereinkommens gebunden ist. Der Vorbehalt zu diesem letztgenannten Artikel gilt unbeschadet der Bestimmungen der islamischen Scharia über die Rechte der Frauen, die den Rechten ihrer Ehepartner gleichwertig sind, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen ihnen zu gewährleisten" (United Nations, Treaty Series, vol. 1249, S. 6 - Übersetzung deepL.com).
Syrien ist 2003 der Konvention beigetreten, nennt ebenso Gründe, die gegen eine Ratifizierung und Unterzeichnung sprechen: „unter Vorbehalt von Artikel 2; Artikel 9 Absatz 2 betreffend die Gewährung der Staatsangehörigkeit einer Frau an ihre Kinder; Artikel 15 Absatz 4 betreffend die Freizügigkeit und die Freiheit des Aufenthalts und des Wohnsitzes; Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben c), d), f) und g) betreffend die Gleichberechtigung und Verantwortung während der Ehe und bei ihrer Auflösung in Bezug auf die Vormundschaft das Recht, einen Familiennamen, Unterhalt und Adoption zu wählen; Artikel 16 Absatz 2 über die Rechtswirkung der Verlobung und der Ehe eines Kindes, soweit diese Bestimmung mit den Bestimmungen der islamischen Scharia unvereinbar ist, und Artikel 29 Absatz 1 über die Schlichtung zwischen Staaten im Streitfall" (United Nations, Treaty Series , vol. 1249, S. 10 - Übersetzung deepL.com).
Nach USDOS gibt es im Irak und in Syrien zwar eine gesetzliche Gleichstellung zwischen Frau und Mann, jedoch findet eine Diskriminierung der Frau hinsichtlich des strafrechtlichen, familiären, religiösen und persönlichen Status statt. Ebenso werden Frauen in Arbeits- und Erbgesetzen dem Mann nicht gleichgestellt. Frauen im Irak können ohne die Zustimmung ihres männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters kein eigenes Dokument zur Feststellung des Personenstands erhalten (USDOS Dokument #2004254 & #2004226, 2019 - Übersetzung S. H.).
Gebel und Heyne gehen auf konkretere Barrieren ein, die Frauen in Syrien davon abhalten, politisch und im öffentlichen Raum handlungsfähig zu sein. In Syrien braucht die Frau z.B. die Zustimmung ihres Ehemannes, um arbeiten zu dürfen. Ebenso gibt es die Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Dazu kommt, dass die Gefahr, sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit zu erfahren, auch dazu beiträgt, dass Frauen eingeschränkt einer bezahlten Arbeit nachgehen. Müttern, die arbeiten gehen wollen, fehlt es außerdem an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen (Gebel & Heyne, 2017, S. 66ff.).
Der Blick auf tatsächliche gesellschaftspolitische Teilhabe von Frauen macht deutlich, wie sehr, trotz des aktiven und passiven Wahlrechts in Syrien und Irak, Frauenrechte beschnitten werden und Frauen gesellschaftspolitisch nicht gleichberechtigt zu Männern handeln können. Sie sind in ihrem selbstbestimmten und freien Handeln aufgrund der vorherrschenden Gesetzeslage eingeschränkt. Auf soziokulturelle Barrieren, sowie de facto die persönliche und familiäre Teilhabe und Nichtteilhabe von Frauen im Nahen Osten wird im Folgenden eingegangen.
3.1.2 Persönliche und familiäre Teilhabe von Frauen aus dem Nahen Osten
Grundsätzlich gibt es in den meisten Ländern des Nahen Osten kein vergleichbares System eines Wohlfahrtstaates wie in westlichen Ländern. Die Familien sind in der Regel für die soziale Sicherung verantwortlich. Staatliche Unterstützung gibt es z.B. durch eine geringe Besteuerung auf Grundnahrungsmittel (Gebel & Heyne, 2017, S. 30). Die familiären Angelegenheiten werden mit Hilfe des islamischen Rechts staatlich geregelt. Dort werden die geschlechtergetrennten und spezifischen Aufgaben der Frau und des Mannes geregelt und festgelegt (ebd., 2017, S. 38). Die Länder des Nahen Osten sind in ihrer gesellschaftspolitischen und individuell - persönlichen Struktur patriarchalisch. Nach dem Psychologen Kizilhan sind die patriarchalen Strukturen „Grundwissen der Lebensweise" (Kizilhan, 2016, S. 32). In Zusammenhang steht dabei das Annehmen der grundsätzlichen Ungleichheit der Menschen, in der Verhaltensmuster festgelegt sind und nach denen innerhalb des sozialen Gefüges gelebt wird. Jeder einzelne Mensch erfährt dadurch Sicherheit, dies ist die Grundannahme. Diese Sicherheit ist nicht gegeben, wenn sich der Einzelne aus dem ihm vorgegeben Verhaltensrahmen heraus bewegt und diesen überschreitet. Es wird davon ausgegangen, dass die Sicherheit, die durch die vorgegebenen Strukturen und Lebens- und Verhaltensweisen gegeben ist, mehr wiegt als die persönliche Freiheit des Einzelnen (Kizilhan, 2016, S. 32). In der empirischen Sozialforschung von Gebel und Heyne wird ebenso das Patriarchat als vorherrschende Form des Zusammenlebens der Geschlechter benannt. Die Familie wird in dieser Struktur von einem Mann geleitet, in seiner Hand liegt die autoritäre Macht, eine Familie zu führen. Die Großfamilie wirkt dabei auf alle Handlungen der Familienmitglieder ein. Die Frau wird traditionell von der Herrschaft des Vaters in die Obhut des Ehemannes übergeben. Die Modernisierung der einzelnen Länder führt aktuell dazu, dass sich durch wirtschaftliches Handeln mehr außerhalb des privaten Haushalts abspielt und die Bedeutung der Großfamilie abnimmt. DasZusammenleben findet mehr in der Kernfamilie statt. Die patriarchalen Strukturen bleiben trotzdem bestehen. Das heißt, es gibt weiterhin eine Ge- schlechtertrennung im öffentlichen Raum. Der Frau wird weiterhin der private Bereich zugewiesen (Gebel & Heyne, 2017, S. 51f.). Dies stellt ein bedeutsames Wissen dar, um die Stellung der Frau in den Ländern des Nahen Ostens nachvollziehen zu können.
Das Gesetzessystem teil sich in den meisten arabischen Ländern auf in das Zivilrecht, welches sich an westlichen Systemen orientiert und das Privat- oder Familienrecht, welches sich hauptsächlich über eine patriarchal interpretierte Religion definiert. Was heißt das für die arabischen Frauen? Zivilrechtlich verfügen sie über gleiche Rechte wie Männer, wie das Wahlrecht und das Recht, sich zur Wahl aufstellen lassen zu können. Demgegenüber steht eine Ungleichbehandlung durch das Familienrecht (ESCWA, 2017, S. 24). Aus dieser ungleichen Rechtsstellung ergeben sich negative Auswirkungen auf die politische Teilhabe und die Ausübung der politischen Rechte. Die Abhängigkeit von der Einwilligung eines Vormunds der Frau führen unter anderem dazu, dass die vorhandenen politischen Rechte nicht oder nicht ausreichend genug ausgeführt werden können (ebd., S. 24). Es gibt arabische Länder, die das Familienrecht reformiert haben, wie z.B. Tunesien. Dort wurden etliche rechtliche Veränderungen, wie die Abschaffung von Zwangsehe und des Vormundes der Frau, oder auch die Gleichstellung der Ehepartner bei Scheidung, die nur ein Richter auflösen kann, durchgesetzt. Andere Länder bleiben in ihren Traditionen und dem dazugehörigen Frauen- und Familienbild haften (Bessis, 2007, S. 200f.). Gebel und Heyne beschreiben in ihren Analysen zum Familienverständnis in Nordafrika und im Nahen Osten ganz ähnlich die aus dem Familienrecht der Länder entstehende Ungleichberechtigung der Frauen. Die klaren Rollenvorgaben, die darin enthalten sind, ergeben eine geschlechtsspezifische Diskriminierung, in dem z.B. der Vater und die Familie, aber auch ein Sharia-Richter, Einfluss auf die Heirat der Tochter haben (Gebel & Heyne, 2017, S. 38). Wie sieht nun das Familien- und Persönlichkeitsrecht in der Regel in Ländern des Nahen Ostens aus? Nachfolgend werden Eckpunkte davon beschrieben. Dieses Wissen ist sicherlich von Relevanz, um Frauen, die aus dieser Herkunftsstruktur kommen und in Deutschland leben, leichterverstehen und kultursensibel mit ihnen arbeiten zu können.
Ehe und Scheidung
In muslimischen Familien ist die Eheschließung die Regel, alleinstehende Frauen oder Männer sind die Ausnahme. Unter islamischen Gesichtspunkten benötigt es eine Begründung für ein auf Dauer angelegtes Leben ohne Ehepartner. Die Ehe wird durch die islamischen Gesetze empfohlen, wenn die Ehepartner gesund sind, die Brautgabe entrichtet werden kann und der Unterhalt der Ehefrau bestritten werden kann (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 73ff.). Eine gesetzliche Verpflichtung zu einer Ehe gibt es im Land Irak nicht (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). In Syrien ist die Heirat von Minderjährigen unter bestimmten Gesichtspunkten erlaubt. Wenn ein gesetzlicher Vormund einer Heirat zustimmt, kann ein Richter einer Heirat ab einem Alter von 13 Jahren zustimmen (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Eheschließung:
Die Eheschließung wird durch einen Vertrag geschlossen, den in der Regel die jeweiligen Familien aushandeln. Die zukünftige Frau ist dabei nicht in die vertraglichen Bestimmungen involviert, sondern wird durch ihren Vormund, in der Regel ihren Vater, vertreten. Die Frau entscheidet also in der Regel nicht selbständig, ein männlicher Vormund ist involviert und eine Eheschließung ohne dessen Einwilligung ungültig. Der Ehevertrag wird in Anwesenheit eines Imams oder Richters unterzeichnet und ist vergleichbar mit der Eheschließung vor einem deutschen Standesamt (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 77f.).
Brautgabe:
Es gibt eine im Ehevertrag festgelegte Summe für die Frau, die sogenannte Brautgabe, die durch den Ehemann beglichen werden muss, ein Teil zur Eheschließung, die Morgengabe, ein Teil im Falle einer Scheidung, die Abendgabe. Vorteil einer vertraglichen Festlegung für die Frau ist die Möglichkeit im Falle einer Scheidung, den vertraglich festgelegten Betrag einklagen zu können. Die Abendgabe soll die Frau vor Mittellosigkeit im Falle einer Scheidung schützen, da in der Ehe der Ehemann für ihren Lebensunterhalt zuständig ist. Konflikte gibt es über die Höhe der Brautgabe, die mit Prestige und unterschiedlichen Vorgaben verbunden ist (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 81ff.). Mit der gezahlten Morgengabe an die Frau geht das Gewähren des Geschlechtsverkehrs einher. Die Frau darf sich ihrem Ehemann nicht verweigern. Es gibt unterschiedliche Auffassungen und Gesetzesvorlagen in den Ländern, was passiert, wenn der Ehemann die Brautgabe nicht zahlt und zu welcher Zeit Geschlechtsverkehr gestattet ist. Der Zusammenhang zwischen der Brautgabe und der Verfügung über die Frau durch Geschlechtsverkehr wird in muslimischer Auffassung so konstruiert: der Mann bekommt die Nutzung der Geschlechtsorgane der Frau, nicht die Frau selbst (ebd., S. 86f.).
Jungfräulichkeit:
Eine nicht jungfräuliche Frau, die in die Ehe eintritt bedeutet, bei Feststellung und Öffentlich machen dieses Umstandes, eine Schande für die jeweiligen Familien, insbesondere für die der Frau. Die Familie des Ehemannes fühlt sich betrogen, die Familie der Frau muss in der Regel ihre Tochter wieder „zurücknehmen" (Schirrmacher & SpulerStegemann, 2004, S. 87).
Die Ehe an sich:
Die Ehe und Kinder sind ein wichtiger Faktor für eine ehrbare Frau, sie bedeuten die soziale Sicherung und begründen ihre Position in der Gesellschaft (Gebel & Heyne, 2017, S. 75). Die rechtmäßig geschlossene Ehe folgt dem Prinzip Unterhalt und Gehorsam. Der Unterhalt bezieht sich auf die täglichen Bedürfnisse des Lebens, wie Essen, Kleidung und Wohnung. Dies schuldet der Ehemann der Ehefrau. Der Gehorsam bezieht sich auf das Recht auf Sexualität durch den Ehemann, sowie auf die Versorgung der Kinder und das Erledigen des Haushaltes. Dieser kann auch mit Unterstützung einer anderen Frau erbracht werden. Außerdem beinhaltet der Gehorsam den Respekt gegenüber der Familie des Ehemannes. Die Ehe wird in einer gemeinsamen Wohnung vollzogen. Ferner behält die Ehefrau ihren Namen, sowie ihre erhaltene Brautgabe. Der Ehemann behält seine in die Ehe gebrachten Besitztümer sowie die durch ihn erworbenen Besitztümer in der Ehe. Eine Zugewinngemeinschaft wie es das deutsche Recht vorsieht, gibt es nicht. Im Falle einer Scheidung verbleiben die erworbenen Besitztümer des Mannes in seinem Besitz (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 88f.). Minderjährige Kinder sind im Irak dem Vater als gesetzlicher Vormund unterstellt (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). In Syrien gilt dies ebenso. Die Vormundschaft kann jedoch auch durch einen Richter der Mutter übertragen werden (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Scheidung:
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, nach islamischem Recht die Scheidung herbeizuführen. Eine davon ist die Scheidung durch den Ehemann, er kann dabei ohne Gründe zu nennen, die Scheidung einreichen. Das Prozedere ist dabei länderspezifisch, in einigen Ländern reicht das Aussprechen der Scheidung durch den Mann aus, damit die Scheidung vollzogen ist, in anderen Ländern wird ein Gerichtsurteil für eine Scheidung benötigt (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 127ff.) Ein weiteres Vorgehen ist das Einreichen der Scheidung durch die Ehefrau. Im Unterschied zum Vorgehen durch den Ehemann benötigt die Ehefrau Gründe zur Scheidungseinreichung. Diese bringt sie entweder bei ihrer Familie im Wunsch einer Verhaltensänderung ihres Ehemannes an und bittet diese, sie zu unterstützen. Wenn dies nicht gelingt, kann sie ihren Mann bitten, die Scheidung einzureichen. Dieser kann die Scheidung wiederum ohne Öffentlichkeit und Gericht vollziehen. Wenn dies nicht möglich ist, kann die Ehefrau Klage bei Gericht einreichen. Sie benötigt dafür stichhaltige Klagegründe, um eine Scheidung durch das Gericht herbeiführen zu können (ebd., S. 134f.). Durch das Gericht legitimierte Gründe sind z.B. das nicht Nachkommen der Unterhaltspflichten des Ehemannes oder eine längere Abwesenheit (länger als 1 Jahr) des Ehemannes, in der er der Ehefrau keine Unterhaltszahlungen zukommen lässt (ebd., 136f.).
Im Irak wurden 1963 etliche rechtliche Veränderungen vorgenommen, wie die Abschaffung der Zwangsehe, sowie das Recht des Vormunds, einer Frau eine Heirat zu einem volljährigen Partner zu verbieten. Außerdem wurde das einseitige Auflösen der Ehe durch den Ehemann stark eingeschränkt. Im Golfkrieg und in der Folge dessen wurden etliche dieser Gesetze wieder verändert. Die bereits erlangten Freiheiten für die Frauen wurden teilweise wieder zurückgenommen. Seit 2005 ist die Scharia maßgebliche Vorlage für die irakischen Gesetze (Bessis, 2007, S. 202f.). Ehebruch wird im Irak unter Strafe gestellt, er wird mit drei Monaten bis fünf Jahren unter Strafe gestellt. Für Frauen, die vergewaltigt oder sexuell belästigt werden, kann dies dazu führen, dass sie die Tat nicht anzeigen können, aus Angst, diese könnte als Ehebruch und somit als Straftat gewertet werden. Eine Scheidung, für die bestimmte Gründe angeführt werden, steht der Frau im Irak rechtlich zu. Die Frau kann sich auch ohne Grund scheiden lassen, muss dann jedoch auf finanzielle Rechte, wie Mitgift und finanzielle Unterstützung in der Zukunft, verzichten (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Der Mann kann sich auch ohne bestimmten Grund scheiden lassen (UNPD, 2018, S. 17 - Übersetzung S.H.). Dies gilt auch in Syrien, der Mann kann sich eigenständig für eine Scheidung entscheiden. Frauen können auf ihren Wunsch und im gegenseitigen Einvernehmen die Scheidung einreichen. Ebenso ist in Syrien Ehebruch unter Strafe gestellt (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Allerdings ist der Ehebruch für die Frau jederzeit strafbar, für den Mann jedoch nur, wenn der Ehebruch zuhause stattgefunden hat oder wenn der Mann offen eine Geliebte hat. Der Ehebruch kann nur dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn der Ehemann eine Beschwerde zulässt, er nimmt den Status des persönlichen Klägers ein (ebd., S. 14 - Übersetzung S.H.).
Polygamie:
Im Irak ist die Polygamie mit gerichtlicher Genehmigung rechtlich erlaubt (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Mit einer rechtmäßigen Begründung und der Darlegung, dass der Mann für mehr als eine Frau sorgen kann, ist Polygamie auch in Syrien erlaubt (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Berufstätigkeit der Frau
In muslimischen Familien ist die Berufstätigkeit der Frau nicht vorgesehen. Der Lebensunterhalt der Frau wird durch den Vater und nachfolgend durch den Ehepartner bestritten (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 73). Wenn die Ehefrau doch berufstätig ist, ist dies mit Konsequenzen für die Familien verbunden. Eine Berufsausübung der Ehefrau geht einher mit dem Eintreten in die Öffentlichkeit und kann eine Gefahr für die Familienehre sein. Daher gilt in diesem Zusammenhang der Grundsatz, dass die Berufstätigkeit der Frau zum einen nicht die häuslichen Pflichten behindern darf und dass es zum anderen auch ein „ehrbarer" Beruf sein muss, den die Frau ausübt, der die Familienehre nicht gefährdet (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 96f). Unterschiedliche Studien zur Arbeitsmarktintegration von Frauen in Ländern des Nahen Osten, die von Gebel und Heyne ausgewertet wurden, zeigen, dass die Berufstätigkeit der Frauen an den ehelichen und häuslichen „Pflichten" scheitert. Entweder wird das Arbeiten von der Familie verboten oder die Aufgaben des Haushaltes und der Ehe hindern Frauen an der Aufnahme einer bezahlten Arbeit. Die Kindererziehung ist ein weiterer Grund. Die Studien belegen weiter, dass diese Gründe unabhängig einer Schichtzugehörigkeit bestehen (Gebel & Heyne, 2017, S. 71ff.). Im Irak gibt es folgende arbeitsrechtliche Gesetze in Bezug auf Frauen und Berufstätigkeit: Frauen sind den Männern in Bezug auf die Auszahlung des Lohnes gleichgestellt. Das Recht auf gleiches Entgelt ist gesetzlich verankert. Frauen haben ebenso Anspruch auf Mutterschaftsurlaub, der vom Arbeitgeber bezahlt wird. Ein Arbeitgeber darf definieren, welche Arbeiten eine Frau tätigen darf. Wenn es sich um körperlich harte Arbeit handelt, darf diese eine Frau nicht übernehmen. Ebenso ist es ihr verboten, nachts zu arbeiten (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). In Syrien ist ebenso der Grundsatz des gleichen Entgelts von Frau und Mann gesetzlich verankert. Schwangere Frauen dürfen nicht vom Arbeitgeber gekündigt werden. Ebenso haben Frauen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub, dessen Gewährung und Zahlung für den Arbeitgeber verpflichtend ist. Gleiches wie im Irak gilt bei Arbeitsumständen wie Nachtarbeit und dazukommend unmoralische, mühsame und schädliche Arbeit. Diese sind für Frauen in Syrien verboten (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
3.1.3 Frauenrechte und Islam
Der politische Islam hat neben dem Liberalismus und Sozialismus maßgeblichen politischen und gesellschaftlichen Einfluss in den arabischen Ländern. Er prägt das gesellschaftspolitische Leben in den arabischen Ländern (Salah, 2018, S. 48). Die islamischen Gesetze in ihrer Gesamtheit, die Scharia, die durch den Koran, islamische Gelehrte und Juristen sowie islamischen Überlieferungen niedergelegt wurden, bilden in den meisten islamischen Ländern die Grundlage für das Familien-, Ehe- und Erbrecht. Durch die Scharia werden die gesetzlichen Leitlinien für das familiäre und private Leben der Frauen geregelt (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. llff). Die rechtlichen Bestimmungen zu der Ehe- und Familienordnung, in dem die Höherstellung des Mannes dargelegt wird, wird durch religiöse Verse begründet, die diese Höherstellung des Mannes rechtfertigen. Auf etlichen Koranversen, die die höhere Stellung des Mannes über der Frau darlegen, beziehen sich familienrechtliche Bestimmungen. Grundkomponenten sind dabei die Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber seiner Frau und Familie sowie die Gehorsamspflicht der Ehefrau gegenüber ihrem Mann (ebd., S. 12ff.). In den verschiedenen Ländern werden so mit dem Koran und der Scharia die gesetzlichen Gegebenheiten begründet (Bessis, 2007, S. 195). In die Praxis übersetzt heißt das, dass der Mann dazu verpflichtet ist, für den Unterhalt zu sorgen und somit Entscheidungen in Bezug auf Wohnort und andere außerhäusliche Bereiche trifft, die Frau dagegen ihren häuslichen Pflichten nachkommt und zu Gehorsam verpflichtet ist (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 15). Außerdem beschreiben die Wissenschaftlerinnen Schirrmacher & Spuler-Stegemann in den Überlieferungen enthaltende abwertende Aussagen über Frauen, wie über ihre mangelhafte Intelligenz oder über ein unvollkommenes Wesen, das leicht emotional aufgebracht werden kann und angeblich minderwertig ist. Dadurch begründe sich die rechtliche Vertretung der Frau durch den Mann, der in den Überlieferungen als sachlich, rational denkend und mit größerer Verstandeskraft beschrieben werde. Die Frau erhält ihre Ehre durch den Mann. Darüber hinaus werde, so Schirrmacher & Spuler-Stegemann, die Frau in den Überlieferungen als Verführerin dargestellt, deren Handlungen der Mann ausgeliefert sei. Dies bedeute, die Frau sei dafür verantwortlich, nicht Verführerin zu sein. Das passiert im Allgemeinen dadurch, dass die Frau ihren häuslichen Pflichten nachkomme und dadurch die Blicke von anderen Männern außerhalb des Zuhauses vermieden werden können. Weiter heißt das, bei den Tätigkeiten, die die Frau außer Haus zu tun hat, solle sie die Blicke von anderen Männern meiden und keinen Kontakt aufnehmen (ebd., S. 68ff.). Schirrmacher und Spuler-Stegemann geben zu bedenken, dass sich das Handeln nach diesen Vorschriften und die somit eingeschränkte Selbstgestaltung des Alltags der Frau vor allem in ländlichen Gebieten in konservativen Familien vollzieht. In den städtischen Gebieten, vor allem in der Oberschicht, findet ein deutlicher Wandel hin zu Pluralisierung und Selbstermächtigung der Frau statt (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 69).
Die westliche und damit kritische Sichtweise auf die durch die Scharia vorgeschriebene Ungleichbehandlung von Mann und Frau wird nach Schirrmacher und Spuler-Stegemann von vielen Muslimen, Männern wie Frauen, nicht als Ungleichberechtigung und Unterdrückung der Frau angesehen. Die Ungleichbehandlung wird eher damit begründet, dass Mann und Frau gleichberechtigt seien, jedoch nicht gleichartig geschaffen seien. Dies spiegele sich in den unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Mann und Frau wider (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 16). Salah beschreibt dazu die islamische Frauenbewegung, die in den 1990er Jahren den Islam als Religion in ihr Denken und ihre Politik einbezog und dies als „islamischer Feminismus" bezeichnet. Ausgangspunkt dieser feministischen Bewegung ist die Hypothese, der Unterdrückung der Frau liege eine patriarchalen Auslegung der islamischen Religion zugrunde. Ziel ist nicht eine Wegwendung des Islams, sondern seine nicht-patriarchale Auslegung. Der islamische Feminismus möchte also die Lesart der Schriften des Islams hinsichtlich einer gendersensiblen, frauenstärkenden Auffassung verändern. Die islamischen Feministinnen wehren sich, Salah zufolge, den Islam als Ursache der Unterdrückung der Frau anzusehen (Salah, 2018, S. 48).
3.1.4 Gewalt gegen Frauen
In der irakisch - kurdischen Region werden Frauen durch ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt geschützt. Im Irak an sich gibt es dafür kein Gesetz. Das Strafrecht sieht vor, dass die Bestrafung einer Frau durch ihren Ehemann die Ausführung des legalen Rechts ist (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Die zu Gehorsam verpflichtete Frau darf unter diesem Aspekt von ihrem Ehemann bestraft werden (ebd., S. 13 - Übersetzung S.H.). Vergewaltigungen in der Ehe sind kein gesetzlicher Straftatbestand. Vergewaltigungen, die Frauen außerhalb der Ehe im Irak zustoßen, sind strafrechtlich relevant. Der Täter kann jedoch seiner Strafe entkommen, wenn er die vergewaltigte Frau zu seiner Ehefrau macht. Die Anklage wird damit fallengelassen und es gibt dadurch keine strafrechtliche Verfolgung der Tat. Bereits verhängte Strafen werden aufgehoben. Eine mögliche Schwangerschaft, die aus einer Vergewaltigung entstehen kann, muss gesetzlich betrachtet, ausgetragen werden. Schwangerschaftsabbrüche sind im Irak verboten, eine Ausnahme macht das Gesetz, wenn eine Frau aus Scham eine Abtreibung vornehmen lässt (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
In Syrien gibt es kein Gesetz, dies gegen häusliche Gewalt schützen würde. Häusliche Züchtigung von weiblichen Verwandten in einer zulässigen Form ist erlaubt (USDOS a Dokument #2004226, 2019). Vergewaltigungen und häusliche Gewalt in der Ehe sind nicht strafbar. Vergewaltigungen sind in Syrien nur außerhalb der Ehe strafbar. Wenn das Opfer unter 15 Jahre ist, gilt die Todesstrafe. Eine Strafe von zwei Jahren gilt für eine Vergewaltigung als Mindeststrafmaß. Ein Erlass der Strafe durch Heirat des Opfers gibt es in Syrien nicht, allerdings kann dieser Umstand ein milderes Urteil zur Folge haben. Schwangerschaftsabbrüche sind verboten, auch wenn eine Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist. Ebenso wie im Irak können bei einer Tat, die aufgrund der Wiederherstellung der Ehre durchgeführt wurde, mildernde Strafen erlassen werden (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Vergewaltigungen sind dann strafrechtlich relevant, wenn es Beweise dafür in Form einer Körperverletzung gibt (ebd., S. 13 - Übersetzung S.H.).
Eine andere Form der Gewalt gegen Frauen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, ist im Irak strafrechtlich und durch ein Arbeitsgesetz verboten. Es ist untersagt, unanständige Schritte oder Handlungen der Frau gegenüber zu unternehmen, ebenso ist es nicht erlaubt, diese an einem öffentlichen Platz anzugreifen (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). In Syrien gibt es ein solches Gesetz nicht. Strafrechtlich kann unanständiges Berühren geahndet werden (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Schutzeinrichtungen für Frauen, die häusliche Gewalt im Irak erlebt haben, gibt es sehr wenige. In der Regel werden Frauen zum Schutz in Frauengefängnisse geschickt. Mitarbeiterinnen, die die wenigen Frauenschutzunterkünfte betreiben, werden oft Opfervon körperlichen Attacken und Beschimpfungen durch die Täter oder werden durch Regierungsbeamte angefeindet (Human Rights Watch, 2019, S. 7 - Übersetzung S.H.). Juristisches Personal, das sich der Aufklärung von Straftaten der häuslichen Gewalt verschrieben hat, wird schikaniert. Die Bemühungen, die Täter nach Gesetzeslage zu verurteilen ist aufgrund dessen und unter anderem auch aufgrund des nicht ausreichend ausgebildeten Polizei- und Justizpersonals kaum möglich (USDOS Dokument #2004254, 2019 - Übersetzung S.H.).
Familienehre
Die Ehre der Familie ist in nahöstlichen Ländern Teil der kulturell - gesellschaftlichen Werte und Normen, oftmals verwoben und begründet mit islamischen Vorgaben. Die Familienehre und ihr Erhalt, ist bedeutsam und elementarfür das Zusammenleben. Die Ehre gilt es zu bewahren oder ggf. wiederzugewinnen. Innerfamiliäre Konflikte werden daher auch nicht nach außen getragen, damit jeder sein Gesicht wahren kann. Die Frau spielt in dem Konstrukt Ehre eine besondere Rolle. Sie ist innerhalb der Familie für den Erhalt der Familienehre verantwortlich (Schirrmacher & Spuler-Stegemann, 2004, S. 170f.). Der Mann wiederum sorgt dafür, dass die Familienehre im Zweifel verteidigt wird, ihm wird also ebenfalls eine Rolle zugesprochen. Was muss eine Frau nach traditionellen Vorstellungen und Prinzipien der Familienehre tun bzw. lassen, um diese nicht zu gefährden? Sie nimmt keinen Blickkontakt zu anderen Männern auf, sie kleidet und bewegt sich angemessen, sie spricht keine nichtverwandten Männer an, redet nicht laut oder lacht, verhält sich unauffällig. Wenn die Frau dies nicht tut oder mit einem anderen nicht sittsamen Verhalten auffällt und dementsprechend die Familienehre mit ihrem Verhalten gefährdet, muss die Familienehre durch jemand anderen wiederhergestellt werden. Die Frau kann dies nicht selbst tun. Wenn ein Mann innerhalb der Familie vom unehrenhaften Verhalten seiner Ehefrau, Schwester oder Tochter erfährt, ist er dafür verantwortlich, die Familienehre wiederherzustellen. Er muss dies für die Öffentlichkeit sichtbar machen, ansonsten steht er in der Gefahr, seiner Verantwortung nicht nachzukommen und z.B. als schwach zu gelten. Unterschiedliche Gewaltformen bis hin zu Tötung der Frau werden angewandt, um die Familienehre wiederherzustellen (ebd., S. 171f.). Treiner zeichnet die Gewalthandlungen an Frauen im Namen der Ehre als auf traditionell patriarchalen Strukturen basierend, weniger als islamisch begründet, da es vorislamische Belege für Ehre und Vergeltung in Stammesregeln gibt, die auch in christlichen Gemeinden vorhanden waren (Treiner, 2007, S. 81). Die Ehre wird ebenso durch Vergewaltigung der Frau und außereheliche sexuelle Kontakte beschmutzt und geht mit einer Schande für die Familie einher. So wird bei einer Vergewaltigung die Tat bestraft und die betroffene Frau ebenso. Denn durch diese Tat an der Frau wurde Schande über die Familie gebracht, die beispielsweise im Irak mit der Tötung der vergewaltigten Frau einhergehen kann (Hennion, 2007, S. 96f.). Hennion beschreibt, dass Ehrenmorde im Irak „eher die Regel als die Ausnahme" sind, (ebd., S. 97). Das Strafgesetzbuch im Irak sieht verminderte Strafen fürTätervor, die Ehrverbrechen begehen. Ein Mann, derseine Frau oder eine weibliche Verwandte bei einem Ehebruch sieht und sie tötet oder verletzt, kann mit einer mildernden Strafe rechnen (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Es wird rechtlich als Verteidigung der Ehre angesehen und kann strafrechtlich geltend gemacht werden. Dieser Gesetzesartikel wurde 2002 ausgesetzt, trotz dessen finden weiterhin Ehrverbrechen statt (ebd., S. 15 - Übersetzung S.H.). In Syrien gilt der Gesetzesartikel weiterhin. Wenn ein Täter aus „ehrenhaften Gründen" ein Verbrechen begeht, hat der Richter einen großen Ermessensspielraum, Strafen umzuwandeln und sie zu reduzieren (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Genitalverstümmelung
Beschneidungen von Kurdinnen sind im Vergleich zu Beschneidungen in afrikanischen Ländern im öffentlichen Diskurs nicht wirklich bekannt. Doch eine bekannte Studie von Runak Rahim, die eine Feldstudie über einige Jahre ab Ende 1991 durchführte, belegt die durchgeführten Genitalverstümmelungen an kurdischen Frauen. Es wurden einige Tausend Befragungen von Frauen und Medizinern in kurdischen Provinzen im kurdischen Irak durchgeführt. Es waren im Ergebnis der Studie 30.324 von 40.480 Frauen beschnitten. Die Beschneidungen werden meist im Alter der Mädchen von 4 bis 5 Jahren durchgeführt (Hennion, 2007, S. 141f.). Es gibt kein nationales Gesetz im Irak, dass vor einer Genitalverstümmelung schützen würde. In der irakisch - kurdischen Region jedoch wird Genitalverstümmelung unter dem Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt erfasst und ist somit kriminalisiert (UNPD, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.). Trotz dieses Gesetzes werden Genitalverstümmelungen vorgenommen, vor allem in ländlichen Gebieten von Erbil, Sulaimaniyah und Kirkuk (USDOS Dokument #2004254, 2019 Übersetzung S.H.). In Syrien gibt es keine Berichte dazu, dass die Praxis der Genitalverstümmelung durchgeführt wird (UNPD a, 2018, S. 9 - Übersetzung S.H.).
Der Überblick über Familien- und Persönlichkeitsrechte in Ländern des Nahen Ostens und die jeweilige Konkretisierung auf Syrien und den Irak macht sehr deutlich, dass Frauen in diesen Ländern im Bereich von Ehe und Scheidung und bei der Berufs- und Arbeitstätigkeit in ihren Rechten eingeschränkt werden. Sie können in der Regel weder Ehepartner noch Ehelosigkeit noch einen Beruf frei wählen und ihre Rechte sind eingebettet in eine patriarchale Gesellschaftsstruktur. Die vorkommenden Formen der Gewalt gegen Frauen machen die Beschneidung der Frauenrechte und ihre Auswirkungen sehr deutlich.
3.2 Fluchtursachen im Nahen Osten
Dieses Kapitel wird sich nun mit allgemeinen und geschlechtsspezifischen Fluchtursachen beschäftigen. Es soll einen Einblick geben, warum Menschen aus Syrien und Irak aktuell fliehen bzw. geflohen sind, auch geschlechtsspezifische Fluchtursachen spielen hierbei eine Rolle. Im Zusammenhang mit dem vorhergehenden Gliederungspunkt soll deutlich gemacht werden, mit welchen Themen und möglicherweise Belastungen geflüchtete Frauen in Deutschland ankommen.
Krieg bedeutet für Menschen in Kontakt zu kommen mit Gewalt, Sterben und Tod. Es kommt zu Zerstörung und offenen Kriegshandlungen. Die Zivilbevölkerung ist im Krieg gleichsam rechtlos. Für den Einzelnen bedeutet dies das Miterleben von Entführung, Misshandlung, Verwundung oder Tötung von Familienangehörigen. Es gibt keine physische Sicherheit und keine ausreichende medizinische Versorgung. Außerdem kommt es zu einem Verlust der materiellen Sicherheiten der einzelnen Bürger und Bürgerinnen. Plünderungen und Zerstörungen der Häuser sind zwangsläufige Konsequenzen (Maier & Schnyder, 2019, S. 73f.). Flucht aus den Kriegsgebieten ist eine Folge. Flucht ist in der Regel nicht geplant, oft überstürzt und geht mit „Beziehungsabbrüchen, Verlusten und emotionalen Erschütterungen" einher (ebd., S. 77). Nach den Psychiatern Maier und Schnyder zufolge kann die Flucht aus dem Heimatland und der Fluchtweg, der oftmals mit weiterer Lebensgefahr verbunden ist, zu erneutem Erleben oder Miterleben von Gewalt führen. Vor allem kommt es auf den unsicheren und legalisierten Fluchtrouten zu Gewalt an Frauen, durch Vergewaltigungen und Prostitution, die zu möglichen Folgetraumatisierungen führen (ebd., S. 77f).
Nach Kizilhan herrscht in den Ländern des Nahen Ostens seit etlicher Zeit Unruhe und Instabilität (Kizilhan, 2016, S. 36). Es gibt Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Massakern und fortlaufende Unterdrückung zwischen verfeindeten Religionsgruppen. Schiitische Regierungen unterdrücken den sunnitischen Bevölkerungsteil in den arabischen Ländern und andersherum. Ebenso sind religiöse Minderheiten, wie Jesiden, Christen oder Mandäer von Ausgrenzung und Verfolgung betroffen (Kizilhan, 2016, S. 37). Es kommt zu Stellvertreterkriegen, die nach Kizilhan zufolge zwischen Saudi - Arabien und dem Iran in Ländern wie Syrien, Jemen, Irak und Pakistan geführt werden. Die Folgen sind die Bildung von Terrororganisationen, Bürgerkriege, Verfolgung, Ermordung und letztlich Flucht (Kizilhan, 2016, S. 37f.).
Syrien
Der seit 2011 bestehende Krieg in Syrien mit seinen nationalen und internationalen Gegenspielern bedeutet für die Bevölkerung eine humanitäre Krise durch fehlende Nahrungsmittel und medizinische Versorgung. Außerdem besteht keine Sicherheit für das Leben durch Selbstmordattentate, Bombenanschläge, Luftangriffe und militärische Interventionen am Boden (Luft, 2017, S. 27). Der Krieg in Syrien ist der Hauptgrund für die Flucht aus diesem Land (Schuhler, 2016, S. 22). Im Jahr 2016 gab es nach Schuhler 250.000 Tote aufgrund des Krieges, sowie 4 Millionen Syrer auf der Flucht ins Ausland und 7 Millionen innerhalb des Landes (ebd., S 36). Die Hauptgründe nach Women's International League for Peace and Freedom waren Angriffe durch Sprengstoffwaffen auf die zivile Bevölkerung, Zusammenstöße in zivilen Gebieten sowie der Abriss von Häusern, ebenso die Angst vor Vergewaltigungen und Massakern (WILPF, 2016, S. 20- Übersetzung S.H.). Angst vor weiterer Gewalt war 2015 der Hauptgrund für die Entscheidung zur Flucht. Außerdem bestand eine große Angst vor fehlenden Perspektiven und einer Verschlechterung (z.B. Kinderarbeit, Bettelei, Arbeitsverbot) der allgemeinen Situation in den vorhandenen Flüchtlingslagern der Anrainerstaaten von Syrien. Sie brachte syrische Bürger_innen und Familien dazu, sich zur Flucht nach Europa zu entscheiden (Luft, 2017, S. 28). Nach Luft führte außerdem eine sinkende humanitäre Hilfe zu einer Hoffnungslosigkeit, die eine Entscheidung, bis nach Europa zu fliehen, nach sich zog (ebd., S. 29). Explizit für die Frauen aus Syrien bedeutete der Krieg die Verschärfung der bereits vordem Krieg vorhandenen Ungleichbehandlung. Private und die gesetzliche Diskriminierung der Frau in Zivil- und Privatrecht nahmen durch den Krieg zu (WILPF, 2016, S.
16- Übersetzung S.H.). Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung konnte nicht gewährleistet werden, Krankenhäuser wurden systematisch bombardiert. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen war nicht mehr vorhanden und Schulen wurden zerstört. Gerade Mädchen waren davon betroffen, da sie aufgrund ihres Geschlechtes und der Sicherheitslage von ihren Familien nicht mehr in die Schule geschickt wurden (WILPF, 2016, S. 26ff.- Übersetzung S.H.). Der UNHCR weist in seinen Erwägungen zum aktuellen Schutzbedarf von syrischen Geflüchteten (Stand Oktober 2017) darauf hin, dass durch den fortbestehenden bewaffneten Krieg mit „schwerwiegenden und weitverbreiteten Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte" für die Mehrheit der syrischen Geflüchteten weiterhin internationaler Flüchtlingsschutz gewährt werden muss (UNHCR, 2017, S. 5). Weiter wird ausgeführt, dass Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht in Syrien durch „gemeldete rechtswidrige Angriffe aufZivilpersonen und geschützte Objekte, Morde, summarische Hinrichtungen, Folter und sonstige Formen der Misshandlung, Entführung und Vergewaltigungen, sonstige Formen von sexueller Gewalt, Zwangsvertreibungen sowie Rekrutierungen und Einsätze von Kindern" begangen wurden und werden (ebd., S. 7).
Irak
Der Politikwissenschaftler Luft beschreibt Irak als einen klassisch „gescheiterten Staat" (Luft, 2017, S. 32). Der Irak ist in den letzten 35 Jahren geprägt von insgesamt drei Kriegen. Folgen davon sind unter anderem der Zerfall von staatlichen Strukturen. Zudem gab es nach Luft zwischen 2003 und 2011 160. 000 Todesopfer. Außerdem besteht eine humanitäre Krise mit einem Mangel an medizinischer Versorgung und einer nicht ausreichenden Versorgung mit sauberem Wasser. Seit 2014/15 kommt es durch bewaffnete Gruppen wieder zu einer Verschlechterung der Lage. Drei Millionen Menschen wurden innerhalb ihres Land vertrieben (ebd., S. 32).
2004 mit dem Einzug derTruppen des sogenannten Islamischer Staat (IS) gab es brutale Angriffe unter anderem gegen die Minderheiten des Nordiraks, vor allem gegen die jesidische1 Minderheit. Das Ziel des IS war es, diese zu vernichten. Dies bewerkstelligte der IS mit der Ermordung von Männern und der Entführung und Verschleppung von Frauen und Kindern. Es fanden tausende „Zwangskonvertierungen" statt. In der Folge fand im Nordirak eine große Fluchtwelle aus den verfolgten Gebieten statt (Kizilhan, 2016, S. 5). Die Verfolgung dieser religiös definierten Gruppe von Kurden ist nach Kizilhan mehr als 1.000 Jahre alt, es gab immer wieder Verfolgung und „Zwangsislamisierung" von jesidischen Kurden. Durch den IS gab es einen erneuten Angriff mit über 7.000 jesidischen Toten. Mehr als 5.000 Mädchen jesidischer Herkunft wurden auf arabischen Märkten verkauft, vergewaltigt, versklavt und getötet. Die Flucht der Jesiden fand nach Syrien, in die Türkei und in die kurdischen Gebiete des Iraks sowie nach Europa statt (ebd., S. 9). 2015 erreichte der Krieg im Irak einen Höhepunkt, der eine große Flucht der Menschen aus diesem Land auslöste, auch nach Europa. Nach der International Organization für Migration (Iraq Mission) gibt es eine Vielzahl von Fluchtgründen aus dem Irak. Viele derGründe sind dabei nicht neu, z.B. die Korruption im Land und die politische Instabilität, durch die den Menschen im Land ihre Hoffnung genommen wurde. Zuletzt hatte sich zusätzlich die Sicherheitslage verschlechtert und die Wirtschaftskrise verschärft. IOM fasst die drei Hauptgründe für die Verschlechterung folgendermaßen zusammen: die persönliche und allgemeine Sicherheitslage, der Mangel an Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit sowie die politische und wirtschaftliche Instabilität. Darüber hinaus gab es eine große Hoffnungslosigkeit der Menschen, dass sich jemals mehr an den Lebensbedingungen etwas ändern würde (IOM, 2016, S. 2 - Übersetzung S.H.). Obwohl es im gesamten Irak ähnliche Gründe für das Verlassen des Landes gibt, sind auch regionale Unterschiede vorhanden. Zusätzlich ist der Irak für die Menschen kein Land des Schutzes im Sinne von Schutz und Sicherheit durch ein stabiles Gesetzessystem. Es besteht ein Mangel hinsichtlich Gesetzgebung und Strafverfolgung. Die Menschen fühlen sich nicht geschützt durch das Gesetz und durch diejenigen, die die Gesetze ausführen. Gefühle wie Misstrauen, Angst, Wehrlosigkeit sind dadurch für die Menschen im Irak vorhanden. Einher geht das fehlende Vertrauen in Gesetz und Regierung mit dem Vorhandensein größerer sozialer Ungerechtigkeit im Land. Es bestehen ungleiche Zugänge zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsplätzen sowie Dienstleistungen, in Verbindung mit einem Mangel an Fairness, Gerechtigkeit und Gleichheit. Es gibt keine politische Meinungs- und Redefreiheit. Die Menschen im Irak fühlen sich nach IOM nicht frei in ihren Rechten. Die jahrzehntelangen Konflikte und Krisen haben den Menschen eine Hoffnungslosigkeit erzeugt, so dass die Menschen keine Zukunft mehr im Irak sehen (IOM, 2016, S. 8ff. - Übersetzung S.H.).
Die Psychologin Schneck geht darauf ein, was Bürgerkriege und bewaffnete Konflikte mit den Menschen, die diese erleben, macht. Die vorhandenen humanitären Notlagen in diesen Ländern führen zu existenzieller Angst. Der Mensch ist in ständiger Wachsamkeit vor neuen Unruhen und Gewalt und vor neuen Bombenanschlägen, verbunden mit dem miterleben müssen von Sterben und Tod von Familienangehörigen und anderen Personen. Die Menschen erleben sich hilf- und schutzlos und es wird nichts als verlässlich wahrgenommen. In der Folge können diese Erlebnisse zu chronischen Angstzuständen und andern psychischen Belastungssymptomen führen. Diese werden nicht vor der Flucht nach Europa abgelegt (Schneck, 2017, S. 16).
Dies stellt ein bedeutsames Wissen dar, in welchem Zustand geflüchtete Frauen aus Kriegs- und Konfliktgebieten nach Deutschland kommen.
3.3 Geschlechtsspezifische Fluchtursachen
Geschlechtsspezifische Fluchtursachen können Arbeits- und Bildungsverbot, Zwangsheirat, Vergewaltigung, sexualisierte Folter, Zwangssterilisation, Steinigung, Zwangsprostitution, Menschenhandel oder Genitalverstümmelung sein. Frauen fliehen aufgrund dieser geschlechtsspezifischen Ursachen aus ihren Heimatländern (Schneck, 2017, S. 22). Nach der Genfer Flüchtlingskonvention können geschlechtsspezifische Ursachen als Asylgrund geltend gemacht werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine geschlechtsspezifische Verfolgung auch in Deutschland als Asylgrund anerkannt. Diese Voraussetzungen sind sehr hochschwellig, sodass geschlechtsspezifische Fluchtgründe bei Frauen selten als Fluchtgrund anerkannt werden (ebd., S. 33). Sexualisierte Kriegsgewalt kommt als spezifische Gewaltform in Kriegsgebieten zu den vorhandenen Unterdrückungsformen hinzu (ebd., S. 77). Diese Form der Kriegsführung zielt darauf ab, den Gegner zu demütigen. Männer werden bspw. gezwungen bei der Vergewaltigung der Ehefrau zuzuschauen. Folgen von Kriegsvergewaltigungen sind schwere körperliche Verletzungen der vergewaltigten Frauen, psychische Traumatisierung sowie die soziale Schändung der Familie der vergewaltigten Frau durch Ehrverlust. Oftmals resultiert daraus ein Verstoß der Frau aus der Familie, um die Ehre wiederherzustellen (ebd., S. 77f.) Viele betroffene Frauen entwickeln eine Posttraumatische Belastungsstörung und damit einhergehende Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen (Kizilhan, 2016,S.41).
Syrien
US Department of State nennt in seinem Bericht zur Lage in Syrien einen Hauptgrund für die Flucht von Frauen, nämlich erfahrene sexualisierte Gewalt. Regierung und ProRegierungskräfte nutzen Vergewaltigungen von Frauen zur Bestrafung und Terrorisierung von Anhängern von Oppositionsgruppen. Ebenso nutzen terroristische Gruppen wie der IS, Vergewaltigungen von Frauen als Kriegswaffe. Die Terroristischen Gruppen führten außerdem in den von ihnen besetzten Gebieten weitere Einschränkungen für Frauen und Kinder ein. Frauen mussten bestimmte Kleidung tragen, durften nicht mit anderen Männern, außer dem eigenen Ehemann, sprechen. Es wurde ihnen verboten Make - up zu tragen, Frauenzentren wurden verboten, Witwen durften nicht mehr alleine leben. Es wurden geschlechtergetrennte Klassenzimmer in Schulen eingeführt. Außerdem wurden Frauen und Mädchen in Zwangsehen geführt. Zusammenfassend nahm die Gewalt an Frauen aufgrund der vorhandenen Konflikte in Syrien nach USDOS zu (USDOS a Dokument #2004226, 2019). The Syrian Network for Human Rights hat sich mit der geschlechtsspezifischen Gewalt im syrischen Bürgerkrieg befasst. Sie beziffern die Zahl der getöteten Frauen und Mädchen von März 2011 bis Ende Oktober 2015 auf 20.112 (SNHR, 2015, S. 5 - Übersetzung S.H.). Ebenso sind mehr als 7.029 Frauen inhaftiert. In der Regel wird dies dadurch begründet, dass die Frauen mit Oppositionellen oder anderen Aktivisten verwandt sind. Es gibt nach SNHR Erfahrungsberichte und Aussagen über Folter und sexualisierter Gewalt in der Gefangenschaft (ebd., S. 5 - Übersetzung S.H.). Auch SNHR beschreibt eine deutliche Zunahme der Gewalt an Frauen als Mittel der Kriegsführung. Vergewaltigungen wurden als Kriegswaffe eingesetzt, die bei Übergriffen und Einbrüchen stattfand, in Gefängnissen und bei Entführungen (ebd., S. 10f. - Übersetzung S.H.). Die systematischen Vergewaltigungen als Kriegswaffe wurden von Regierungs- und anderen Streitkräften durchgeführt. Einen Schutz der Frauen gab und gibt es durch die syrische Regierung nicht. Die Opfer sind nicht nur schutzlos, sondern sind auch einer enormen Stigmatisierung und Ausgrenzung ausgeliefert. Bis hin zu der Angst durch die Vergewaltigung die Ehre der Familie verletzt zu haben, was ein Ehrverbrechen zur Folge haben kann. Die Vereinten Nationen beziffern im Jahr 2013 38.000
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1 nach Kizilhan wird entweder Eziden, Yeziden oder Jesiden geschrieben
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