In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich die Intersektion von Behinderung und Sexualität nicht-heterosexueller Orientierung gestaltet. Diese Arbeit begrenzt sich dabei auf die nicht-heterosexuellen Orientierungen homosexuell (lesbisch/schwul), bisexuell und pansexuell.
Der Betrachtung der Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität nähert sich die vorliegende Arbeit schrittweise. In Kapitel 2 werden Sexualität, sexuelle Orientierung und Heterosexismus definiert und thematisiert, in Kapitel 3 Behinderung und Ableismus. Danach werden in Kapitel 4 die Konzepte Mehrfachdiskriminierung, Intersektionalität und Interdependenz vorgestellt. Die Disability Studies und die Queer Studies haben Theorien zu Behinderung und Sexualität hervorgebracht, die in Kapitel 5 behandelt werden. Diese Kapitel bauen ein Vorwissen auf, das für das Verständnis der Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität benötigt wird. Kapitel 6 erläutert diese Intersektion und unterscheidet dabei zwischen Makroebene (Zusammenhang zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen) und Mikroebene (lebensweltliche Auswirkungen auf Personen, die zugleich nicht-heterosexuell und behindert sind).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sexualität, Sexuelle Orientierung und Heterosexismus
2.1 Sexualität
2.2 Sexuelle Orientierung
2.2.1 homosexuell (lesbisch/schwul)
2.2.2 bisexuell
2.2.3 pansexuell
2.3 Heterosexismus
3 Behinderung und Ableismus
3.1 Behinderung
3.1.1 körperliche Behinderung
3.1.2 geistige Behinderung
3.1.3 psychische Behinderung
3.2 Ableismus
4 Mehrfachdiskriminierung, Intersektionalität und Interdependenz
4.1 Konzept der Mehrfachdiskriminierung
4.2 Konzept der Intersektionalität
4.3 Konzept der Interdependenz
5 Disability Studies und Queer Studies
5.1 Exkurs: Behindertenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland
5.2 Exkurs: Diskurs und Norm
5.3 Disability Studies
5.3.1 medizinisches bzw. individuelles Modell von Behinderung
5.3.2 soziales Modell von Behinderung
5.3.3 kulturelles Modell von Behinderung
5.4 Queer Studies
5.4.1 Queer Theory
5.5 Gemeinsamkeiten der Kategorien Behinderung und Sexualität
6 Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität
6.1 Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität auf der Makroebene
6.1.1 Heteronormativität und Able-bodied heterosexuality
6.2 Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität auf der Mikroebene
6.2.1 Behinderte Nicht-Heterosexualität
6.2.2 Diskriminierung in den In-Groups
6.2.3 Schaffung einer eigenen Szene
7 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Zum Sprachgebrauch in dieser Arbeit
Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die Bezeichnung behinderte Menschen statt Menschen mit Behinderung zu benutzen. Meine Entscheidung hat folgenden Hintergrund:
Menschen mit Behinderung ist wie Frau mit Hut – Personen werden Dinge zugeordnet.
Die Bezeichnung vermittelt dadurch den Eindruck, Behinderung sei etwas Gegenständliches, das manche Menschen bei sich haben und andere nicht. Durch diese Verdinglichung unterschlägt die Bezeichnung den „gesellschaftlichen Prozess des Behindert-Werdens“ (Köbsell 2010, S. 19), auf den die internationale Behindertenbewegung und das mit der britischen Behindertenbewegung der 1970er Jahre in Verbindung stehende soziale Modell von Behinderung aufmerksam gemacht haben und machen (vgl. ebd.; vgl. Pohlen 2010, S. 96; vgl. Platte/Vogt/ Werner 2016, S. 124).
Zwar wurde die Person-First Language (Menschen mit Behinderung) vor dem Hintergrund des sozialen Modells von Behinderung eingeführt – allerdings nicht von betroffenen Menschen selbst sondern von der Sozialpsychologin Beatrice A. Wright (Dunn/Andrews 2015, S. 258).
Im Behindertenaktivismus und im Umfeld der Disability Studies wächst mittlerweile die Zahl derer, die sich für den Gebrauch der Identity-First Language (behinderte Menschen) einsetzen (ebd., S. 256).
Die steigende Präferenz für die Identity-First Language und die zunehmende Ablehnung der Person-First Language ist möglicherweise auf die Entwicklung einer „disability culture“ zurückzuführen und mag in Zusammenhang mit einer ausgeprägten „disability identity“ stehen (vgl. ebd., S. 259f.).
Dass ich die Bezeichnung behinderte Menschen verwende, ist also Ausdruck einer eingehenden Beschäftigung mit der Thematik.
Mir ist dabei bewusst, dass ein Teil der betroffenen Menschen auch weiterhin als Menschen mit Behinderung(en) und nicht als behinderte Menschen bezeichnet werden möchte.
In einem Umfeld, in dem dies konkret gilt, sollte darauf Rücksicht genommen und die Bezeichnung Menschen mit Behinderung(en) benutzt werden.
1 Einleitung
Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Intersektionale Perspektiven auf Behinderung und Sexualität.
Die Kategorie Behinderung umfasst in dieser Arbeit körperliche, geistige und psychische Behinderung und ist in Abgrenzung von der Kategorie Nicht-Behinderung zu verstehen. Die zweite Kategorie, Sexualität, ist in Abgrenzung von der Kategorie A-Sexualität zu verstehen. Die Kategorie Sexualität umfasst unter anderem die verschiedenen sexuellen Orientierungen (WHO 2016, S. 2).
In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich die Intersektion von Behinderung und Sexualität nicht-heterosexueller Orientierung gestaltet.
Diese Arbeit begrenzt sich dabei auf die nicht-heterosexuellen Orientierungen homosexuell (lesbisch/schwul), bisexuell und pansexuell.
Zum einen soll gezeigt werden, dass die Kategorien Behinderung und Sexualität nicht-heterosexueller Orientierung miteinander zusammenhängen. Zum anderen geht es um die konkreten Auswirkungen dieser Intersektion auf Personen, die zugleich behindert und nicht-heterosexuell sind. Hierfür werden das Konzept der Intersektionalität und Erkenntnisse der Disability Studies und der Queer Studies herangezogen.
Für die Soziale Arbeit sind nicht nur die Themen Behinderung und nicht-heterosexuelle Orientierung jeweils für sich betrachtet von Relevanz. Auch die Beschäftigung mit deren Intersektion ist relevant.
Sozialarbeiter*innen kommen durch ihre Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit mit behinderten Menschen in Kontakt. Und auch die Chance, durch die Arbeit auf nicht-heterosexuelle Menschen zu treffen, ist hoch. Ebenso ist es wahrscheinlich, dass Sozialarbeiter*innen in ihrem Arbeitsleben mit Menschen zu tun haben, die gleichzeitig behindert und nicht-heterosexuell sind.1
Da Behinderung und nicht-heterosexuelle Orientierung Menschen aller Geschlechter, Ethnizitäten, Nationalitäten, Kulturen etc. und jeden Alters betreffen kann, gilt dies für alle Praxisfelder der Sozialen Arbeit und nicht nur für die Behindertenhilfe und die LGBTQ+2 Beratung. Behinderung und nicht-heterosexuelle Orientierung sind zudem nicht immer sichtbar oder werden mitgeteilt (vgl. Hirschmann 2013, S. 144), weswegen
1 Für alle drei Optionen gilt: Diese Menschen können Klient*innen sein, aber auch Kolleg*innen.
2 LGBTQ+ steht für: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender/Transsexual, Queer und weitere nicht heteronormative Lebensweisen (vgl. Debus/Laumann 2020, S. 10).
Sozialarbeiter*innen bei heterosexuell und/oder nicht-behindert erscheinenden Personen nicht einfach davon ausgehen können, dass diese es tatsächlich sind.
So wie eine „heterosexuelle Vorannahme“ (Rauchfleisch 2002a, S. 161) bei nicht-heterosexuellen Menschen unter Umständen „Minitraumata“ auslöst (Wiesendanger 2002, S. 54f.), so kann die Vorannahme, dass eine Person nicht-behindert sei, schaden.
Die Vorannahme, eine Person sei heterosexuell und nicht-behindert, kann sich negativ auf eine zugleich behinderte und nicht-heterosexuelle Person auswirken (vgl. ebd., S. 55).
Personen, die als behindert oder nicht-heterosexuell sichtbar oder bekannt sind, laufen Gefahr, dafür in Form von Diskriminierung, Stigmatisierung oder anders bestraft zu werden (Hirschmann 2013, S. 144). Menschen, die gleichzeitig als behindert und nicht-heterosexuell sichtbar oder bekannt sind, sind zusätzlich gefährdet, intersektionelle Diskriminierung zu erfahren (vgl. Wollrad/Jacob/Köbsell 2010, S. 7 & S. 11).
Denn sowohl Behinderung als auch Sexualität (bezogen auf die sexuelle Orientierung) zählen zu den „Differenzkategorien“ (ebd., S. 7) und bilden „Differenzlinien“ aus, welche für die Personen auf der ‚falschen‘ Seite der Linie „Benachteiligungen, Diskriminierungen und Ausgrenzung[en]“ hervorbringen (vgl. Leiprecht 2011, S. 19).
Differenzlinien wirken auch in den Köpfen von Sozialarbeiter*innen (und Klient*innen) und erzeugen potentiell Benachteiligungen und Diskriminierungen (vgl. Heite 2010, S. 195). Daher sollten Sozialarbeiter*innen in der Lage sein, dies zu erkennen und kritisch zu reflektieren, damit Abhilfe geschaffen werden kann (ebd.; vgl. Leiprecht 2011, S. 19).
Der Berufsethik des DBSH zufolge sind sie dazu sogar verpflichtet:
„Die Professionsangehörigen haben die Pflicht, jegliche Diskriminierung zu unterlassen und der Diskriminierung durch andere entgegenzuwirken und dies nicht zu dulden“ (DBSH 2014, S. 33).
Auch das Global Social Work Statement of Ethical Principles der International Federation of Social Workers gibt an, dass es Aufgabe der Profession ist, sich gegen Diskriminierung zu stellen und nennt dabei explizit auch Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und aufgrund von Behinderung („physical or mental abilities“):
„Social workers challenge discrimination, which includes but is not limited to age, capacity, civil status, class, culture, ethnicity, gender, gender identity, language, nationality (or lack thereof), opinions, other physical characteristics, physical or mental abilities, political beliefs, poverty, race, relationship status, religion, sex, sexual orientation, socioeconomic status, spiritual beliefs, or family structure” (IFSW 2018).
Seit 2006 gilt zudem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses regelt:
„den Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität durch private Akteure (z. B. Arbeitgeber, Vermieter, Anbieter von Waren und Dienstleistungen)“ (Antidiskriminierungsstelle des Bundes o. J. a).
Da die Soziale Arbeit als Anbieter von Dienstleistungen zu sehen ist (vgl. Oechler 2009), gilt das Gesetz auch für Sozialarbeiter*innen.
In ihrer Declaration of Sexual Rights hat die World Association for Sexual Health 16 sexuelle Rechte festgeschrieben, die für nicht-heterosexuelle und behinderte Menschen genauso gelten, wie für alle anderen Menschen (vgl. WAS 2014, S. 2f.).
Zu diesen Rechten zählt auch „the choice of sexual behaviors, practices, partners and relationships with due regard to the rights of others“ (ebd., S. 2).
Die sexuellen Rechte basieren auf „the inherent freedom, dignity, and equality of all human beings“ und sind „grounded in universal human rights“ (ebd., S. 1).
In der UN-Behindertenrechtskonvention kann das Recht auf selbstbestimmte Sexualität aus Artikel 23 abgeleitet werden (vgl. Köbsell 2013, S. 128).
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in Deutschland seit 2009 in Kraft (Aichele 2015, S. 85).
Für Sozialarbeiter*innen bedeutet dies, dass die Sexualität und die sexuelle Orientierung von behinderten Klient*innen heute mehr als je zuvor eine Rolle in der professionellen Arbeit spielt, da sie nicht mehr ignoriert, geleugnet oder unterdrückt werden darf.
Zwar ist es bislang nicht möglich, eine genaue Angabe dazu zu machen, wie viele Menschen in Deutschland sich als nicht-heterosexuell verstehen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes o. J. b), aber in einer europaweiten Online-Umfrage konnte 2016 unter den Umfrageteilnehmer*innen ein Anteil von 10% für Personen festgestellt werden, die sich nicht als rein heterosexuell verstehen. Laut dem Marktforschungsinstitut Dalia Research, das die Online-Umfrage durchgeführt hat, sei diese repräsentativ (Deveaux 2016).
Der Anteil schwerbehinderter Menschen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands wurde 2018 mit 9,4% angegeben – also 7,8 Millionen Menschen (Statistisches Bundesamt 2018). Diesen Angaben nach ist sowohl die Anzahl behinderter Menschen als auch die Anzahl nicht-heterosexueller Menschen in Deutschland durchaus hoch, da für beide ein Anteil von ca. 10% an der Gesamtbevölkerung angenommen werden kann.
Angaben, wie viele Menschen in Deutschland zugleich behindert und nicht-heterosexuell sind, gibt es nicht.3 Die globale Anzahl wird von manchen Autoren aber mit „many“ angegeben (vgl. Tremain 2000, S. 298; vgl. Whitney 2006, S. 40).
Hieraus lässt sich schließen, dass die Zahl der Menschen, auf die die Intersektion von Behinderung und nicht-heterosexueller Orientierung zutrifft, nicht gering sein kann.
Aus den genannten Gründen ist es wichtig, dass sich Sozialarbeiter*innen mit den Themen Behinderung und nicht-heterosexuelle Orientierung und auch mit deren Intersektion auseinandersetzen. Denn erst das Vorhandensein eines Wissenshintergrundes macht die geforderte Reflexion und Aufhebung von Ungleichbehandlungen möglich.
Um „intersecting inequalities and discrimination“ verstehen und darauf reagieren zu können, muss zusätzliches Wissen erworben werden. Zugleich behinderte und nicht-heterosexuelle Personen besetzen „multiple marginalized positions“ und machen dadurch eigentümliche Erfahrungen. Um zugleich behinderte und nicht-heterosexuelle Klient*innen besser unterstützen zu können, ist es notwendig, über entsprechendes Wissen zu verfügen (vgl. Drummond/Brotman 2014, S. 545).
Auch ganz generell ist die Auseinandersetzung mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen für Sozialarbeiter*innen wichtig, da diese ungerechte und diskriminierende Behandlungen maßgeblich hervorbringen.
Der Betrachtung der Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität nähert sich die vorliegende Arbeit schrittweise. In Kapitel 2 werden Sexualität, sexuelle Orientierung und Heterosexismus definiert und thematisiert, in Kapitel 3 Behinderung und Ableismus. Danach werden in Kapitel 4 die Konzepte Mehrfachdiskriminierung, Intersektionalität und Interdependenz vorgestellt. Die Disability Studies und die Queer Studies haben Theorien zu Behinderung und Sexualität hervorgebracht, die in Kapitel 5 behandelt werden. Diese Kapitel bauen ein Vorwissen auf, das für das Verständnis der Intersektion von Behinderung und Nicht-Heterosexualität benötigt wird.
Kapitel 6 erläutert diese Intersektion und unterscheidet dabei zwischen Makroebene (Zusammenhang zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen) und Mikroebene (lebensweltliche Auswirkungen auf Personen, die zugleich nicht-heterosexuell und behindert sind).
3 Bei der Recherche für diese Arbeit konnten keine Angaben hierzu gefunden werden.
2 Sexualität, Sexuelle Orientierung und Heterosexismus
Sexualität und Sexuelle Orientierung sind nicht dasselbe, auch wenn sie häufig synonym verwendet werden. Beide Begriffe kommen in der vorliegenden Arbeit vor und sind für sie wichtig. Um das Verständnis von beiden Begriffen und deren Unterscheidung sicher zu stellen, werden in diesem Kapitel sowohl Sexualität als auch Sexuelle Orientierung erläutert. Außerdem werden die sexuellen Orientierungen homosexuell (lesbisch/schwul), bisexuell und pansexuell, auf denen der Fokus dieser Arbeit liegt, definiert. Zusätzlich wird auf Heterosexismus und heterosexistische Diskriminierung4 eingegangen.
2.1 Sexualität
Sexualität wird als ein „central aspect of being human“ verstanden, der sich über das gesamte Leben eines Menschen erstreckt. Die Sexualität eines Menschen umfasst Körpergeschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender), Geschlechtsrolle, sexuelle Orientierung, sexuelle Erregung, sexuelle Lust, Intimität und Fortpflanzung.
Menschen erleben Sexualität und drücken Sexualität aus. Dies kann in Gedanken, Fantasien, Begierden, Überzeugungen, Haltungen, Werten, Verhaltensweisen, Tätigkeiten, Rollen und/oder Beziehungen passieren.
Das bei jedem Menschen individuell-spezifische Zusammenspiel von biologischen, psychologischen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, rechtlichen, historischen, religiösen und spirituellen Faktoren nimmt Einfluss auf die individuelle Sexualität jedes Menschen (vgl. WAS 2014, S. 1).
Das Vorhandensein von Sexualität macht Personen zu sexuellen Wesen.
Sexualität kann als Gegenbegriff zu A-Sexualität verstanden werden. A-Sexualität bezeichnet beim Menschen dann meist das Fehlen von Sexualität bezogen auf sexuelle
Orientierung, sexuelle Erregung und sexuelle Lust.
4 Diskriminierung basiert auf der „Konstruktion von Unterscheidungen von sozialen Gruppen und Personenkategorien“, die für die Legitimierung von Hierarchien und Ungerechtigkeiten benutzt werden (vgl. Scherr 2017, S. 42).
2.2 Sexuelle Orientierung
Die sexuelle Orientierung gibt an, auf Personen welchen Geschlechts/welcher Geschlechter sich das sexuelle Begehren einer Person nur beziehen kann – also die „geschlechtliche Orientierung von Begehren“ (Traunsteiner 2018, S. 58).
Zu den sexuellen Orientierungen zählen: heterosexuell, homosexuell (lesbisch/schwul), bisexuell, pansexuell, demisexuell, asexuell5 etc. (vgl. Debus/Laumann 2020, S. 13).
Bei den sexuellen Orientierungen asexuell und demisexuell ist zu beachten, dass kein Geschlecht angegeben werden kann. Für asexuelle Menschen gilt, dass sie kein sexuelles Begehren empfinden (ebd., S. 2). Für demisexuelle Menschen gilt, wenn sie sexuelles Begehren empfinden, dann nur für Personen, zu denen im Vorfeld eine tiefe Bindung aufgebaut wurde - unabhängig vom Geschlecht dieser Personen (vgl. ebd., S. 5).
Ein Resultat der Beschäftigung mit asexueller Orientierung ist die Differenzierung in sexuelle und romantische Orientierung. So kann ausgedrückt werden, Personen welchen
Geschlechts/welcher Geschlechter für jemanden als potentielle Romantikpartner*innen in Frage kommen, ohne dass dies mit dem Geschlecht/den Geschlechtern der gewünschten Sexualpartner*innen übereinstimmen muss. So kann eine Person zum Beispiel asexuell und trotzdem in einer romantischen Beziehung sein oder eine Person kann zum Beispiel heterosexuell und biromantisch sein. Eine Person, die sich sowohl sexuell als auch romantisch nur zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt, wäre diesem Konzept nach homosexuell und homoromantisch (vgl. ebd., S.14).
In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass die sexuelle Orientierung mit der romantischen Orientierung der Person übereinstimmt, da in der verwendeten Literatur keine Unterscheidung von sexueller und romantischer Orientierung vorgenommen wurde.
Da sexuelles Begehren im Inneren von Menschen lokalisiert ist und nicht immer mit dem von außen wahrnehmbaren Verhalten übereinstimmt, sollten Personen sexuelle Orientierungen nicht einfach zugeschrieben werden. Stattdessen sollten Menschen die Möglichkeit „to self-identify as“ (MacNeela/Murphy 2015, S. 802) – sich also selbst als etwas zu begreifen – haben.
5 Die Selbstidentifikation als asexuell kann als sexuelle Orientierung anerkannt werden (vgl. Kaestle 2019, S. 11), oft wird sie es jedoch nicht (vgl. MacNeela/Murphy 2015, S. 803).
Die eigene sexuelle Orientierung sollte durch Selbstidentifikation bestimmt werden, die den eigenen inneren Zuständen gerecht wird.
In Anlehnung an Descartes‘ Grundsatz „Ich denke, also bin ich.“ sollte für die sexuelle Orientierung also gelten: „Ich begreife mich als x-sexuell, also bin ich x-sexuell.“
Voraussetzung hierfür ist, die verschiedenen sexuellen Orientierungen zu kennen.
Die eigene sexuelle Orientierung kann dann zu einem „valued internal component of personal identity“ (ebd., S. 811) werden.
Sexuelle Orientierung ist außerdem unabhängig vom Alter einer Person potentiell fluide. Es ist also durchaus möglich, dass sich die sexuelle Orientierung eines Menschen im Laufe seines Lebens ändert (vgl. Kaestle 2019, S. 2).
2.2.1 homosexuell (lesbisch/schwul)
Die sexuelle Orientierung homosexuell gibt an, dass sich das sexuelle Begehren einer Person nur auf Personen des eigenen Geschlechts beziehen kann.
Lesbische Frauen können sich also nur zu Frauen sexuell hingezogen fühlen und schwule Männer nur zu Männern (vgl. Debus/Laumann 2020, S. 9).
2.2.2 bisexuell
Die sexuelle Orientierung bisexuell macht deutlich, dass eine Person Menschen „mindestens zweier Geschlechter“6 sexuell anziehend finden kann. Eine bisexuelle Orientierung ist dabei nicht zwingend auf Männer und Frauen ausgerichtet (vgl. ebd., S. 4).
2.2.3 pansexuell
Bei der sexuellen Orientierung pansexuell ist das sexuelle Begehren einer Person auf alle Geschlechter6 bezogen beziehungsweise es gibt keine Vorauswahl, die festlegt, Personen welcher Geschlechter als gewünschte Sexualpartner*innen nur in Frage kommen können (vgl. ebd., S. 11f.).
2.3 Heterosexismus
Während unter Homophobie ablehnende Einstellungen, aggressive Haltungen und aggressive Verhaltensweisen gegenüber homosexueller Orientierung und homosexuellen Personen verstanden wird (Möller 2015, S. 15), geht heterosexistische Diskriminierung darüber hinaus.
6 Die Geschlechterbinarität – also die Vorstellung, es gäbe nur zwei Geschlechter – wird hier verworfen.
Heterosexismus bezeichnet zum einen die Vorstellung, dass die heterosexuelle Orientie-
rung allen anderen sexuellen Orientierungen überlegen und die einzig richtige, ‚normale‘ sexuelle Orientierung sei. Auf Basis dieser Vorstellung kommt es zur Abwertung aller anderen sexuellen Orientierungen bis hin zu deren Marginalisierung oder sogar Extermination (vgl. ebd., S. 16).
Gleichzeitig fallen die folgenden Vorstellungen unter den Begriff des Heterosexismus:
(1) dass es nur zwei Körpergeschlechter (sex) und zwei Geschlechtsidentitäten (gender) geben würde: männlich und weiblich.
(2) dass Personen, die dem weiblichen Körpergeschlecht zugeordnet werden, automatisch auch in der Geschlechtsidentität weiblich seien und Personen, die dem männlichen Körpergeschlecht zugeordnet werden, in der Geschlechtsidentität automatisch männlich seien.
(3) dass sich männliche und weibliche Personen deutlich voneinander unterscheiden, z. B. im Verhalten (vgl. ebd.).
Heterosexistische Diskriminierung richtet sich also nicht nur gegen homosexuelle Menschen, sondern auch gegen alle anderen Menschen, die den genannten Vorstellungen nicht entsprechen.
Heterosexismus durchzieht die Strukturebene (Gesetze), die Symbolebene (Werte und Normen) und die Subjektebene (Wahrnehmen und Handeln) heterosexistischer Gesellschaften (vgl. Traunsteiner 2018, S. 62).
In diesen Gesellschaften führt eine erkennbare, bekannte oder vermutete nicht-heterosexuelle Orientierung potentiell immer zu Ausschlüssen und zur „gleichzeitigen Abwertung der Ausgeschlossenen“ (ebd., S. 61). Menschen, die als nicht-heterosexuell erkennbar oder bekannt sind oder von denen vermutet wird, dass sie nicht-heterosexuell seien, sind demnach immer gefährdet, heterosexistische Diskriminierung zu erfahren, wenn sie in einer derartigen Gesellschaft leben. Diese Diskriminierung kann sich in „physical harm, verbal threats, social exclusion, and humiliation“ (Shramko et al. 2019, S. 1) ausdrücken.
Die sexuelle Orientierung gibt bei fast allen sexuellen Orientierungen an, auf Personen welches Geschlechts/welcher Geschlechter sich sexuelles Begehren nur richten kann.
Sie sollte nicht von außen zugeschrieben werden und ist potentiell fluide.
Sexualität hingegen umfasst viele Aspekte und sexuelle Orientierung ist einer dieser Aspekte. Da sich die jeweilige sexuelle Orientierung, wenn sie ohne Restriktionen gelebt werden darf, durchaus auf weitere Aspekte der Sexualität auswirkt (Geschlechtsrolle, sexuelle Erregung, sexuelle Lust, Intimität, Fortpflanzung), macht es aber durchaus auch Sinn, von Sexualitäten (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Pansexualität, Asexualität etc.) zu sprechen.
Die Diskriminierung von nicht-heterosexuellen Menschen ist vor dem Hintergrund des Heterosexismus zu betrachten. In heterosexistischen Gesellschaften wird ausschließlich „Heterosexualität von der Gesellschaft als ‚natürlich‘ und ‚normal‘ angesehen und bewertet“ (Traunsteiner 2018, S. 59) und alle anderen Sexualitäten werden demnach als ‚unnatürlich‘ und ‚abnormal‘ betrachtet, was deren Abwertung zur Folge hat.
Heterosexismus „ist grundlegender Bestandteil und integraler Abwehrmechanismus innerhalb eines heteronormativen Macht- und Ordnungssystems“ (ebd., S. 62).
Heterosexismus steht also immer mit Heteronormativität in Verbindung (mehr hierzu in Kapitel 5.4.1).
3 Behinderung und Ableismus
Um die Intersektion von Behinderung und nicht-heterosexueller Orientierung behandeln zu können, muss im Vorfeld geklärt werden, was unter Behinderung zu verstehen ist.
Aus diesem Grund widmet sich dieses Kapitel der Erläuterung von Behinderung.
Behinderung wird in Deutschland üblicherweise in körperliche, geistige und psychische (seelische) Behinderung aufgeteilt.7 Um klar zu stellen, was genau unter körperlicher, geistiger und psychischer Behinderung jeweils verstanden wird und wie sie sich voneinander unterscheiden, wird dies nachfolgend im Einzelnen erläutert.
Zusätzlich wird in diesem Kapitel Ableismus und ableistische Diskriminierung – im Deutschen oft als Behindertenfeindlichkeit bezeichnet (Waldschmidt 2015, S. 335f.) – behandelt.
3.1 Behinderung
Nach § 3 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) gelten Personen als behindert, wenn sie „körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben“, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“ bestehen und die sie „in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“.
7 Dies schließt eine Gleichzeitigkeit von geistiger, psychischer und/oder körperlicher Behinderung in Personen nicht aus, bedeutet aber, dass diese in der Regel voneinander getrennt betrachtet werden (vgl. ICD-10-GM 2020: „begleitende Zustandsbilder“).
Der im BGG vertretenen Ansicht, dass sich erst aus der Wechselwirkung von Beeinträchtigung und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren eine Behinderung ergebe, liegt die Unterscheidung zwischen Beeinträchtigung (impairment) und Behinderung (disability) zugrunde. Impairment bezeichnet „die funktionale Einschränkung einer Person aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Schädigung“.8/9
Disability bezeichnet die für beeinträchtigte Menschen durch „räumliche(r) und soziale(r) Barrieren“ eingeschränkten oder ganz verweigerten Möglichkeiten zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe. Einstellungen und Umwelt oder Soziales und Raum wirken auf jeden Menschen, aber nur für beeinträchtigte Menschen entstehen daraus Barrieren.
Beeinträchtigung ist in diesem Sinne „die Voraussetzung für den gesellschaftlichen Prozess des Behindert-Werdens“ (vgl. Köbsell 2010, S. 19; mehr hierzu in Kapitel 5.3.2).
Der Anteil schwerbehinderter Menschen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands wurde 2018 mit 9,4% angegeben – also 7,8 Millionen Menschen. Davon galten 59% als körperlich behindert und 13% als geistig oder psychisch behindert (Statistisches Bundesamt 2018). Diese Angaben beachten nicht den Anteil zwar behinderter aber nicht schwerbehinderter Menschen an der Bevölkerung, weswegen der tatsächliche Anteil körperlich behinderter Menschen über 59% und der von geistig und psychisch behinderten Menschen über 13% liegt. Der Gesamtanteil behinderter Menschen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt dieser Logik folgend also weit über 9,4%.
8 Die Einteilung von Schädigungen in körperliche, geistige und psychische ist leicht paradox, da geistige und psychische Schädigungen im Gehirn lokalisiert sind und das Gehirn als Organ Teil des Körpers ist.
9 Da nicht jede „Schädigung“ durch Beschädigung eines vorher als intakt begriffenen Organismus zustande gekommen ist, sind manche „Schädigungen“ eigentlich Ausdruck von biologischer Diversität – z. B. Neurodivergenzen (vgl. Eusebio 2017).
Der Status eines Menschen als nicht-behindert ist zudem nicht in Stein gemeißelt. Der Status behindert kann „jederzeit“ zur „eigenen Lebensrealität“ werden, da für jeden die Möglichkeit besteht (zum Beispiel durch einen Unfall), „‚am eigenen Leib‘ mit Beeinträchtigungen, Funktionsstörungen und Vergänglichkeit konfrontiert zu werden“ – je älter ein Mensch wird, desto wahrscheinlicher ist dies. Der Begriff „ temporarily abled “ verweist auf diesen Umstand (Windisch 2014, S. 16).
3.1.1 körperliche Behinderung
Christoph Leyendecker definiert körperliche Behinderung wie folgt:
„Als körperbehindert wird eine Person bezeichnet, die in Folge einer Schädigung des Stütz- und Bewegungssystems, einer anderen organischen Schädigung oder einer chronischen Krankheit so in ihren Verhaltensmöglichkeiten beeinträchtigt ist, dass die Selbstverwirklichung in sozialer Interaktion erschwert ist“ (Leyendecker 2005, S. 21).
Da die gesellschaftliche Dimension von Behinderung bei Leyendecker nicht auftaucht, stellt dies eigentlich eine Definition für körperliche Beeinträchtigung dar, die noch um die behindernden einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die sich negativ auf die gesellschaftliche Teilhabe auswirken, ergänzt werden muss.
Bei Christian Lindmeier findet sich eine Beschreibung der Behinderung körperlich beeinträchtigter Menschen durch räumliche Barrieren bezogen auf Rollstuhlfahrer*innen:
In der vom Menschen geschaffenen Lebensumwelt existieren für Rollstuhlfahrende zum Beispiel die Hindernisse Treppe und Bordsteinkante. Ohne diese Hindernisse würde mit der körperlichen Beeinträchtigung des Nicht-Laufen-Könnens, der ja bereits durch den Rollstuhl Abhilfe geschaffen wurde, keine Behinderung einhergehen (vgl. Lindmeier 1993, S. 136f.).
Dies lässt sich zwar nicht eins-zu-eins auf organische Schädigungen und chronische Krankheiten übertragen, soziale Barrieren bestehen aber für alle körperlich beeinträchtigten Menschen, da sie Erfahrungen mit Diskriminierungen und Exklusion machen (vgl. Crow 1996, S. 4).
3.1.2 geistige Behinderung
Der Begriff der geistigen Behinderung stellt an sich ein Problem dar, denn es ist nicht wirklich klar, was genau unter geistiger Behinderung verstanden werden soll. Oft wird unter einer geistigen Behinderung eine „Intelligenzschädigung“ verstanden. Dabei wird aber die Dimension des durch andere und die Umwelt Behindert-Werdens ausgelassen. Im US-amerikanischen Sprachraum wird geistige Behinderung heute als „ Intellectual and Developmental Disabilities “ bezeichnet, in Großbritannien als „ Learning Disabilities “ (vgl. Lingg/Theunissen 2017, S. 12f.). Die Änderung in „ intellektuelle Behinderung “ hat in Deutschland Fürsprecher*innen (ebd., S. 15)
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