Wie unterschied sich der Alltag einer Krankenschwester in der DDR wirklich von dem ihrer Kolleginnen im Westen? Diese fesselnde Analyse enthüllt die ideologischen und gesellschaftlichen Zwänge, die das Berufsbild der Krankenschwester im sozialistischen Deutschland prägten. Weit entfernt von einer rein medizinischen Funktion, war die Krankenschwester ein zentraler Akteur im System, verantwortlich für die Vermittlung sozialistischer Werte und die rasche Reintegration der Patienten in den Arbeitsprozess. Das Buch beleuchtet, wie politische Indoktrination, staatlich verordnete Prinzipien und ein allgegenwärtiger Kontrollapparat den Berufsalltag und das Selbstverständnis der Pflegekräfte formten. Es zeigt, wie die Krankenschwester nicht nur als medizinische Fachkraft, sondern auch als Repräsentantin des sozialistischen Gesundheitswesens agieren musste, stets darauf bedacht, das Vertrauen der Patienten in das System zu stärken. Ein spannendes Zeitdokument, das die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im DDR-Gesundheitswesen aufzeigt und die Rolle der Krankenschwester im Spannungsfeld zwischen Patientenwohl und politischer Ideologie kritisch hinterfragt. Es werden die fünf Prinzipien der Krankenschwester in der DDR (Einfühlungsvermögen, Akzeptieren der Persönlichkeit, Emotionale Zuwendung, Kooperation und Zielorientierung, Eigenaktivität und Individualität) im Kontext der sozialistischen Ideologie analysiert. Abschließend wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese Prinzipien im Alltag der Krankenpflege tatsächlich gelebt werden konnten und welche Auswirkungen die politische Einflussnahme auf die Qualität der Patientenversorgung hatte. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für die Geschichte der Pflegeberufe, die DDR-Geschichte und die Auswirkungen politischer Ideologien auf das Gesundheitswesen interessieren. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der die Krankenpflege mehr war als nur medizinische Versorgung – eine Welt, in der sie zum Instrument politischer Überzeugung wurde. Erfahren Sie, wie das System versuchte, die Krankenschwestern zu formen und welche Strategien eingesetzt wurden, um ihre Loyalität und ihr Engagement für die sozialistische Sache zu gewährleisten. Entdecken Sie die verborgenen Geschichten hinter den Kulissen des DDR-Gesundheitswesens und gewinnen Sie ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Komplexitäten, mit denen Krankenschwestern in dieser Zeit konfrontiert waren.
Udo Höltge
Das Berufsbild der Krankenschwester / des Krankenpflegers in der DDR
Das Berufsbild der Krankenschwester/ des Krankenpflegers in der DDR war im wesentlichen geprägt durch ihre Position im sozialistischen Gesellschaftsgefüge des Staates. Hier unterscheidet sich das Berufsbild der Krankenschwester grundlegend von dem ihrer Kollegen in den westlichen Ländern.
Politisches Engagement, Aktivitäten in den verschiedenen politischen Organisationen wie FDJ, FDGB und Sportverbänden verschafften der Krankenschwester - wie jedem anderen „Werktätigen“ in der DDR - erhebliche berufliche Vorteile.
Im Unterschied zu den Berufskollegen im Westen trugen also nicht allein Ausbildung und Fach- und Weiterbildung zum Berufsbild bei.
Vielmehr gehörte es zum, staatlich verordneten, beruflichem Selbstverständnis, sich mit den politischen Idealen des sozialistischen Staates zu identifizieren.
Auch hieraus resultierten mitunter qualitative Unterschiede im Ausbildungsniveau der Krankenschwester, verglichen mit dem Ausbildungsniveau hierzulande: der Staat, in Person des Ministerium für Gesundheitswesen, legte größten Wert auf positive Außendarstellung. So wurde die Ausbildung der Krankenschwester begrifflich einem Studium gleichgestellt, die Auszubildenden durften sich Studierende nennen und die Ausbildungsstätten hießen Medizinische Fachschulen.
Analog verfuhr der Staat in einer Vielzahl anderer Berufsgruppierungen.
Wer sein Fachstudium zur Krankenschwester absolviert hatte, sollte nicht auf seine Funktion als medizinische Fachkraft „Krankenschwester“ reduziert bleiben. Vielmehr wurde ihm noch ein hohes Maß an ethisch-moralischer, an den Grundfesten der marxistisch-leninistischen Lehren orientierter Edukation verabreicht.„Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nachseinen Bedürfnissen“, dieser von Karl Marx geprägte höchste Anspruch an die sozialistische Gesellschaft sollte von der Krankenschwester in der DDR auf beiden Seiten des Kommas zu 100 Prozent erfüllt werden.
Dieses Prinzip gesellschaftlich normierter Erziehung begann in der DDR freilich schon im Kindesalter: in Kombination mit deutscher Gründlichkeit wurde der kleine DDR-Bürger vom Kindergarten über die Schule bis in die Berufsausbildung hinein für sein Leben in der sozialistischen Gemeinschaft nach marxistisch- leninistis chen Grundregeln konfiguriert. Hatte man mit der sozialistischen Erziehung in der Kindergarten- und der Schulphase noch relativ leichtes Spiel, so änderte sich dies zum Zeitpunkt der Berufsausbildung entscheidend: Die Ausbildung fällt in die post-pubertäre Lebensphase eines Menschen, eine Entwicklungsstufe, in der auch der marxistisch-leninistisch voreingestellte Bürger der DDR hormonellen Schwankungen unterworfen war, die nicht selten in Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des politischen Systems oder zumindest Gleichgültigkeit gegenüber der sozialistischen Gemeinschaft mündeten.
Hier sah sich der Staat in besonderem Maße aufgefordert, einzugreifen. Der in der Regel sechzehn, siebzehnjährige Auszubildende wurde in ein perfekt organisiertes System aus Erziehung und Disziplinierung gepresst, um ihn auf dem Weg sozialistischer Tugenden zu halten und eventuelle, pubertätsbedingte Abweichungen zu korrigieren. Verglichen mit anderen Berufszweigen hatte es der Staat im Fall der Berufe des Gesundheitswesens eher leicht, an ethisch- moralische Grundwerte zu appellieren. Ethik und Moral sind seit jeher als politisch unabhängige Größen immanente Bestandteile des Berufbildes der Krankenschwester, egal ob in Ost-Berlin oder Hamburg. Aber getreu dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, wurde, was den Anteil der sozialistischen Ethik und Moral anbetrifft, von staatlicher Seite nichts dem Zufall überlassen.
So wurden „Allgemeine Prinzipien der Einstellungen und Verhaltensweisen (der
Krankenschwester) in der Krankenpfle ge“ generiert und der Krankenschwester mit auf den Weg in Stationskollektiv gegeben.1
Diese - fünf - Prinzipien
- Einfühlungsvermögen
- Akzeptieren der Persönlichkeit · Emotionale Zuwendung
- Kooperation und Zielorientierung · Eigenaktivität und Individualität
sollen schlussendlich zu einerübergreifenden Grundhaltungführen, die für das Berufsbild der Krankenschwester in der DDR elementare und richtungsweisende Bedeutung erlangt: Die Krankenschwester der DDR hat sich „ mit den humanistischen Zielen des sozialistischen Gesundheitswesens zu identifizieren.“
Sie ist „in allen ihren Handlungen deren Vertreter und Vermittler. Ihr Handeln und ihr Verhalten entscheiden in hohem Maße darüber, ob der Patient die Vorzüge des Gesundheitswesens verspürt oder ob er trotz großzügiger materieller und personeller Mittel und Möglichkeiten mit der Behandlung unzufrieden ist.“.
Ein hoher Anspruch und zugleich ein schweres Los für die Krankenschwester in der DDR: neben der von sich aus schon schweren pflegerischen Tätigkeit als Krankenschwester war sie noch gehalten, dem mitunter ob der großzügigen materiellen und personellen Mittel ungläubig dreinblickenden Patienten zu vermitteln, dass er sich, was das Gesundheitswesen der DDR anbelangt, in paradiesischen Gefilden bewegt. Und sie sollte sich immer vergegenwärtigen, dass allein ihr Verhalten darüber entscheidet, ob die Behandlung für den Patienten dem Himmel oder der Hölle auf Erden gleichkommt. Die Bedürfnisbefriedigung des Patienten nach sozialistischen Maßstäben hatte höchste Prio rität.
Die fünf Prinzipien im einzelnen
Einfühlungsvermögen
Sich in die Lage des Patienten versetzen können ist reine Einstellungssache. Die Schwester muss fähig sein, „ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Bereiche der (sozialistischen) Gesellschaft , insbesondere der zwischenmenschlichen Beziehungen aber auch der Leistungsanforderungen zu haben“.
Akzeptieren der Persönlichkeit
Der Patient ist „gleichberechtigter Mitbürger (der sozialistischen Gesellschaft). Er hat Anspruch auf Achtung seiner persönlichen Würde. Die Achtung der Persönlichkeit(...) ist (...) eine Frage der Einstellung , zu der die junge Schwester erzogen werden (...) muss.“
Emotionale Zuwendung
„Jeder Patient bedarf des Kontaktes und der Geborgenheit. Die Zuwendung der Krankenschwester kann vom Patienten nur angenommen werden, wenn sie der Situation und der Persönlichkeit des Kranken angemessen ist.
Kooperation und Zielorientierung
„Die Zusammenarbeit mit dem Patienten (...) stellt jeweils andere Anforderungen. Dabei muss die Zusammenarbeit auf derAufgaben-Sachebeneund deremotional- kommunikativenEbene gleichzeitig gewährleistet sein. Von der Krankenschwester wird ebenso wie von anderen Berufen einWetteifer um hohe Leistungenerwartet. Dabei dürfen aber keine für den Patienten nachteilig spürbaren Rivalitäten erwachsen.“
Eigenaktivität und Individualität Die Krankenschwester„muss bereit sein, sich für Patienten zu engagieren und deren Interessen im Kollektiv zu vertreten.(...) Dann muss sie als Mittler zwischen Patient und Kollektiv wirken und bei den anderen Verständnis für die besondere Lage des Patienten wecken. (...) Sie entwickelt damit ihre Persönlichkeit und findet ihren eigenen Stil im Umgang mit dem Patienten.“
Diese„in fünf Punkten gefassten Prinzipien sind im Alltag der Krankenpflege eng miteinander verknüpft und in ihrer Verwirklichung voneinander abhängig.“Sie finden auch ihren Niederschlag in dem zu Beginn zitierten Teil desAbsolventengelöbnisses:
„alle Vorzüge der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit zum Wohle der Patienten bewusst zu nutzen und die vertauensvolle Beziehung zwischen den Mitarbeitern des Gesundheitswesens und den Bürgern zu vertiefen.“
Zusammenfassend lässt sich zum Berufsbild der Krankenschwester sagen:
- Das Berufsbild der Krankenschwester begründete sich nicht allein aus einem mehr oder weniger autonomen Prozess innerhalb einer oder mehrerer zusammenwirkender Berufsgruppen (Ärzte, Schwestern, Therapeuten). Vielmehr war es geprägt von einem Überbau staatlich verordneter Leitbilder und Prinzipien, der gesellschaftliche, sprich marxistisch-leninistische Ethik- und Moralvorstellungen in den Vordergrund rückte.
- Individualität und Verantwortungsbewusstsein einer Krankenschwester in der DDR sind weniger das Ergebnis freier Persönlichkeitsreifung als vielmehr staatlich gesteuerter Erziehung.
- Die Krankenschwester in der DDR war in hohem Maße mitverantwortlich dafür, das das dem DDR-Bürger bestimmende Bedürfnis nach Arbeit am Ende eines Genesungsprozesses wieder in den Vordergrund rücken konnte. Der DDR-Bürger als quasi Keimzelle des „Arbeiter- und Bauernstaates“ war von der Krankenschwester als eine Art „Edelware“ zu behandeln, die schnellstmöglich wieder in den Arbeitsprozess zurückzuführen war.
- Da im Gesundheitswesen der DDR alle materiellen und personellen Mittel großzügig verfügbar waren, war die Krankenschwester der DDR im Falle eines Scheiterns dieser Rückführung in den Arbeitsprozess in hohem Maße mitverantwortlich zu machen.
Zu hoffen bleibt nur für den Alltag einer Krankenschwester in der DDR, das sie in einem Kollektiv arbeiten durfte, in dem auch nur mit sozialistischem Wasser gekocht wurde.
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Häufig gestellte Fragen
Was war das Berufsbild der Krankenschwester/des Krankenpflegers in der DDR?
Das Berufsbild war stark durch die Position im sozialistischen Gesellschaftsgefüge geprägt, unterschieden von westlichen Ländern. Politisches Engagement war wichtig, nicht nur Ausbildung. Identifikation mit politischen Idealen war staatlich verordnet.
Wie unterschied sich die Ausbildung zur Krankenschwester in der DDR von der im Westen?
Der Staat legte Wert auf positive Außendarstellung und wertete die Ausbildung begrifflich auf. Es wurde ein hohes Maß an ethisch-moralischer Erziehung, basierend auf marxistisch-leninistischen Lehren, vermittelt.
Wie wurde die sozialistische Erziehung in der Berufsausbildung umgesetzt?
Auszubildende wurden in ein System aus Erziehung und Disziplinierung gepresst, um sozialistische Tugenden zu fördern und pubertätsbedingte Abweichungen zu korrigieren. Im Gesundheitswesen wurde an ethisch-moralische Grundwerte appelliert, aber staatliche Kontrolle war präsent.
Welche Prinzipien wurden den Krankenschwestern in der DDR vermittelt?
Es gab fünf Prinzipien: Einfühlungsvermögen, Akzeptieren der Persönlichkeit, Emotionale Zuwendung, Kooperation und Zielorientierung, sowie Eigenaktivität und Individualität. Diese sollten zur Identifikation mit den humanistischen Zielen des sozialistischen Gesundheitswesens führen.
Was bedeutete "Einfühlungsvermögen" im Kontext der DDR-Krankenpflege?
Es bedeutete, sich in die Lage des Patienten zu versetzen und ein realistisches Bild der sozialistischen Gesellschaft zu haben.
Wie wurde das "Akzeptieren der Persönlichkeit" des Patienten interpretiert?
Der Patient wurde als gleichberechtigter Mitbürger der sozialistischen Gesellschaft angesehen, mit Anspruch auf Achtung seiner persönlichen Würde.
Welche Rolle spielte die "Emotionale Zuwendung"?
Jeder Patient brauchte Kontakt und Geborgenheit. Die Zuwendung musste der Situation und Persönlichkeit des Kranken angemessen sein.
Was bedeutete "Kooperation und Zielorientierung" in der Pflege?
Zusammenarbeit mit dem Patienten, aufgaben- und kommunikationsebene. Es wurde Leistungswettbewerb erwartet, aber ohne Rivalitäten zum Nachteil des Patienten.
Wie wurde "Eigenaktivität und Individualität" gefördert?
Die Schwester sollte sich für Patienten engagieren, deren Interessen vertreten und als Mittler zwischen Patient und Kollektiv wirken.
Wie lässt sich das Berufsbild der Krankenschwester in der DDR zusammenfassen?
Es war geprägt von staatlich verordneten Leitbildern und Prinzipien, die gesellschaftliche Ethik- und Moralvorstellungen in den Vordergrund rückten. Individualität war eher das Ergebnis staatlich gesteuerter Erziehung. Die Krankenschwester war mitverantwortlich, den Patienten schnellstmöglich wieder in den Arbeitsprozess zurückzuführen.
Welche Verantwortung trug die Krankenschwester bei der Rückführung des Patienten in den Arbeitsprozess?
Da materielle und personelle Mittel großzügig verfügbar waren, war die Krankenschwester im Falle eines Scheiterns der Rückführung in den Arbeitsprozess in hohem Maße mitverantwortlich.
- Quote paper
- Udo Höltge (Author), 2001, Das Berufsbild der Krankenschwester/des Krankenpflegers in der DDR, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103997