Das Ziel dieser Arbeit war es, anhand von Literatur einen Gesamtüberblick über die Telemedizin und im Allgemeinen über Videosprechstunden zu erlangen. Der inhaltliche Fokus liegt in der Untersuchung, inwieweit die Videosprechstunde einen Mehrwert zur digitalen Gesundheitsversorgung beitragen kann. Im ersten Teil der Arbeit erfolgt die Einordnung der Telemedizin in das deutsche Gesundheitssystem. Im zweiten Teil werden die theoretischen Grundlagen der Videosprechstunde erläutert, um ein klares Verständnis für den Kern der Arbeit zu erlangen. Im Anschluss wird der Titel der Arbeit verstärkt aufgegriffen, indem die Videosprechstunde aus Sicht der Ärzte und im darauffolgenden Teil aus Sicht des Patienten näher beleuchtet wird. Die Abwägung von Möglichkeiten und Herausforderungen einer Videosprechstunde basierend aus der Sicht von Ärzten und Patienten in der Versorgung konnte ermittelt werden.
In nahezu jedem Lebensbereich findet heutzutage der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien statt. Der Telemedizin und insbesondere dem Anwendungsbereich der Videosprechstunde werden große Potenziale bei der Sicherstellung einer effizienten Versorgung zugesprochen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen der Telemedizin
2.1 Begriff „Telemedizin“
2.2 Anwendungsbereiche und Hilfsmittel
2.3 Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Telemedizin
2.3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.3.2 Anforderungen an den Vertragsarzt
2.4 Finanzierung der Telemedizin in Deutschland
2.5 Status quo der Telemedizin in Deutschland und international
3 Videosprechstunde
3.1 Begriff „Videosprechstunde“
3.2 Entwicklung der Videosprechstunde
3.3 Medizinischer Bedarf und bisherige Rechtslage
3.4 Durchführung der Videosprechstunde
4 Videosprechstunde aus Sicht der Ärzte
4.1 Möglichkeiten der Videosprechstunde
4.1.1 Eignung in medizinischen Bereichen
4.1.2 Vergütung der ärztlichen Leistungen
4.2 Herausforderungen der Videosprechstunde
4.2.1 Investitionen und technische Herausforderungen
4.2.2 Voraussetzungen bei der Wahl des Videodienstanbieters
5 Videosprechstunde aus Sicht der Patienten
5.1 Möglichkeiten der Videosprechstunde
5.1.1 Flächendeckende medizinische Versorgung
5.1.2 Stärkung und Verbesserung der Versorgungsqualität
5.2 Herausforderungen der Videosprechstunde
5.2.1 Vorgehensweise und technische Anforderungen
5.2.2 Digitaler Arztbesuch vs. Konsultation in Präsenz
5.2.3 Akzeptanz
6 Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Abstract
In nahezu jedem Lebensbereich findet heutzutage der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien statt. Der Telemedizin und insbesondere dem Anwendungsbereich der Videosprechstunde werden große Potenziale bei der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und effizienten Versorgung zugesprochen. Das Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit war es, anhand von Literatur einen Gesamtüberblick über die Telemedizin und im Allgemeinen über Videosprechstunden zu erlangen. Der inhaltliche Fokus liegt in der Untersuchung, inwieweit die Videosprechstunde einen Mehrwert zur digitalen Gesundheitsversorgung beitragen kann.
Im ersten Teil der Arbeit erfolgt die Einordnung der Telemedizin in das deutsche Gesundheitssystem. Im zweiten Teil werden die theoretischen Grundlagen der Videosprechstunde erläutert, um ein klares Verständnis für den Kern der Arbeit zu erlangen. Im Anschluss wird der Titel der Arbeit verstärkt aufgegriffen, indem die Videosprechstunde aus Sicht der Ärzte und im darauffolgenden Teil aus Sicht des Patienten näher beleuchtet wird.
Die Abwägung von Möglichkeiten und Herausforderungen einer Videosprechstunde basierend aus der Sicht von Ärzten und Patienten in der medizinischen Versorgung konnte ermittelt und beschrieben werden. Dabei stellt sich heraus, dass sich neben den vielen Argumenten, die für den Einsatz der Videosprechstunde sprechen, auch Risiken und Nachteile sowohl für den Patient als auch den behandelnden Arzt ergeben.
Die Untersuchung zeigt, dass die Videosprechstunde, wenn sie richtig umgesetzt wird, eine sinnvolle und leistungsstarke Erweiterung des deutschen Gesundheitssystems bietet, um bundesweit die Grundversorgung zu garantierten und sogar in der Lage ist diese zu verbessern. Der Arzt muss dabei eine entsprechende Sorgfalt bezüglich der Befunderhebung, der Behandlung, der Beratung, der Dokumentation sowie der Aufklärung des Patienten über die Merkmale der Videosprechstunde und Behandlung gewährleisten. Dabei profitieren Patienten von einer unabhängigen und erweiterten Wahl an Ärzten und können sowohl Zeit als auch Kosten sparen. Dennoch wird auch in Zukunft ein Gespräch über Distanz den traditionellen Arztbesuch nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anwendungsbereiche der Telemedizin
Abbildung 2: Digital-Health-Index eingeteilt nach drei Themenbereichen
Abbildung 3: Vorgehensweise zur Durchführung einer Videosprechstunde
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Abschläge nach Fachgruppen
Tabelle 2: Berechnungsfähigkeit der jeweiligen GOP
Tabelle 3: Erreichbarkeit von Haus- und Fachärzten
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
AU Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BMV-Ä Bundesmantelvertrag-Ärzte
DICOM Digital Imaging and Communications in Medicine Standard
DRG Diagnosis Related Groups
DSGVO Datenschutzgrundverordnung
DVG Digitales-Versorgungs-Gesetz
eAU elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab
eGK elektronische Gesundheitskarte
E-Mail electronic Mail
eRezept elektronisches Rezept
et al. et alia
EU Europäische Union
EUR Euro
G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss
GKV Gesetzliche Krankenversicherung
GKV-Spitzenverband Spitzenverband Bund der Krankenkassen
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GOP Gebührenordnungsposition
GOZ Gebührenordnung für Zahnärzte
Hrsg. Herausgeber
KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung
KIM Kommunikation im Medizinwesen
km Kilometer
KV Kassenärztliche Vereinigung
LKHG Landeskrankenhausgesetz
lR ländliche Region
NFC Near Field Cmmunication
nlR nicht ländliche Region
NUB Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
o. J. ohne Jahr
o. S. ohne Seite
PKV Private Krankenversicherung
PKW Personenkraftwagen
S. Seite
SGB Sozialgesetzbuch
StGB Strafgesetzbuch
TSVG Terminservice- und Versorgungsgesetz
URL Uniform Resource Locator
vgl. vergleiche
vs. versus
WHO Weltgesundheitsorganisation
1 Einleitung
Im Zuge des demografischen Wandels, der damit einhergehenden Alterung der Bevölkerung, der eingeschränkten Mobilität im Alter und durch die Zunahme von chronischen Krankheiten ist der Bedarf an medizinischer Versorgung deutlich gestiegen.1 Hochrechnungen schätzen, dass im Jahr 2060 der Anteil der 67-Jährigen und Älteren bis zu 27,4 Prozent der Bevölkerung ausmachen würden.2 Mit einer steigenden Lebenserwartung erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit der Multimorbidität: Im Schnitt leidet jeder Patienten in Deutschland über 60 Jahre an mindestens fünf Krankheiten.3 Zugleich ist davon auszugehen, dass die Anzahl an Arbeitskräften im Bereich des Gesundheitswesens weiter rückläufig sein wird. Während die Zahl der berufstätigen Ärzte in Deutschland im Jahr 2019 noch bei 402.4534 lag, ist bis 2030 laut Prognosen mit einem Rückgang von bis zu 6.300 Ärzten5 zu rechnen. Vor allem Patienten in ländlichen Regionen stellt die zunehmend schlechtere Versorgung vor große Herausforderungen, nicht zuletzt, da diese Regionen über 90 Prozent der Fläche Deutschlands einnehmen.6 Im Schnitt beträgt die Entfernung zur nächsten Hausarztpraxis 3 Kilometer (km) und zur nächsten Facharztpraxis 8,5 km.7 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist ein Umdenken in der medizinischen Versorgung unabdingbar. Dies führt zu einem Bedeutungszuwachs der Telemedizin. Von Telemedizin ist die Rede, wenn die beteiligten Personen bei medizinischen Leistungen geografisch voneinander getrennt sind, und zur Überwindung der räumlichen Trennung den Einsatz von Kommunikationstechnologien zum Einsatz bringen.8 Dadurch sollen Kosten eingespart werden, eine bessere Versorgung der Bevölkerung gewährleistet werden und Ärzten eine effizientere Arbeit ermöglicht werden.9 Die Videosprechstunde stellt einen wichtigen Anwendungsbereich der Telemedizin dar. So wird Ärzten ermöglicht, ein ortsunabhängiges Behandlungsgespräch mit Patienten zu führen. Das stellt insbesondere für eingeschränkt mobile Menschen einen bedeutenden Mehrwert dar, da sie für nicht zwingend notwendige Arztbesuche eine aufwendige Anreise auf sich nehmen müssten.10
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, einen Gesamtüberblick über die Telemedizin und im Allgemeinen über Videosprechstunden zu verschaffen. Dieser Überblick basiert auf einer wissenschaftlichen Grundlage und ist für die Beantwortung der Forschungsfrage von Relevanz. Der Forschungsgegenstand bezieht sich hierbei auf die Abwägung von Möglichkeiten und Herausforderungen einer Videosprechstunde basierend auf der Sicht von Ärzten und Patienten in der medizinischen Versorgung. Der inhaltliche Fokus liegt dabei auf der Untersuchung, und beantwortet die Frage inwieweit die Videosprechstunde einen Mehrwert zur digitalen Gesundheitsversorgung beitragen kann.
Die vorliegende literaturbasierte Arbeit ist in vier Hauptkapitel untergliedert. Hierzu erfolgt im ersten Kapitel eine Einordnung der Telemedizin in das deutsche Gesundheitssystem. Dabei werden Fragen nach den Anwendungsbereichen und den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme geklärt. Ebenso wird beschrieben, wie sich die Telemedizin finanziert und wie sie in Deutschland und im Vergleich zu anderen Ländern bereits angesiedelt ist. Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen der Videosprechstunde erläutert, um ein klares Verständnis für den Kern der Arbeit zu erlangen. Dabei folgt eine Erläuterung der Begrifflichkeit, ein grober Überblick über die Entwicklungsschritte der Videosprechstunde und inwiefern ein medizinischer Bedarf gegeben ist. Zugleich wird die bisherige Rechtslage geklärt. Mit der detaillierten Erläuterung zur Durchführung einer Videosprechstunde wird das Kapitel abgerundet. Im Anschluss wird der Titel der Arbeit verstärkt aufgegriffen, indem die Videosprechstunde aus Sicht der Ärzte und im darauffolgenden Kapitel, aus der Sicht des Patienten näher beleuchtet wird. Der Hauptfokus liegt dabei auf den Möglichkeiten und Herausforderungen, die sich dabei für Ärzte und Patienten ergeben. Abgerundet wird die vorliegende Arbeit mit einer Schlussfolgerung, in der sowohl die positiven als auch negativen Aspekte der Videosprechstunde kritisch reflektiert und in einem Fazit zusammengetragen werden.
Ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Bachelorarbeit die im Deutschen übliche Sprachform des generischen Maskulin verwendet und auf eine gendergerechte Sprache verzichtet. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind beziehen sie sich auf sämtliche Geschlechter in gleicher Weise.
2 Grundlagen der Telemedizin
2.1 Begriff „Telemedizin“
Bereits lange vor dem Begriff „Telemedizin“ gab es den der „Gesundheitstelematik“. Die Telematik bezeichnet eine Technik, in der die Telekommunikation mit der Informatik verknüpft wird. Demnach stellt die Gesundheitstelematik die Kommunikation von zwei technischen Systemen zum Zweck des Transfers von Gesundheitsinformationen, insbesondere über räumliche Distanzen, dar. Die Telemedizin ist dabei ein Teilgebiet der Gesundheitstelematik mit dem Schwerpunkt auf dem medizinischen Umfeld.11
Für den Begriff „Telemedizin“ existieren unterschiedliche Definitionsansätze. Aus der Sicht der Bundesärztekammer ist die Telemedizin eine ausschließlich ärztliche Angelegenheit: „Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Verzug) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt.“12 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hingegen definiert die „Telemedizin“ als Informations- und Kommunikationstechnologien gestützte Versorgungsform, bei der alle Berufsgruppen involviert sind. In Gärtner befindet sich eine deutsche Übersetzung der Definition für „Telemedizin“ der WHO: Telemedizin ist ein „Sammelbegriff für gesundheitsbezogene Aktivitäten, Dienste und Systeme, die über eine Entfernung hinweg mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie ausgeführt werden: zum Zweck globaler Gesundheitsförderung, Krankheitskontrolle und Krankenversorgung sowie für Ausbildung, Management und Forschung für das Gesundheitswesen“.13 Die Telemedizin erstreckt sich dieser Definition zufolge auch auf die Bereiche der Prävention, Forschung und Ausbildung. Die Definition der WHO beabsichtigt, dass Telemedizin nur dann angewendet wird, wenn die gegebene Entfernung zwischen Arzt und Patient einen bedrohlichen Faktor für die Leistungserbringer darstellt. In diesem Sinne wäre Telemedizin nur eine Art Lückenbüßer für Fälle, in denen die Präsenzmedizin nicht oder nicht ausreichend ausgeübt werden kann. Werden beide Definitionen zusammengefasst, dann erscheint die Telemedizin als eine gestützte Versorgung durch Kommunikations- und Informationstechnologien. Für die Leistungserbringer bleibt die Anwesenheit vor Ort somit entbehrlich, da die Versorgung ortsunabhängig gestaltet werden kann.14 Die Telemedizin unterteilt sich in die Bereiche der Diagnose, der Behandlung und Prävention von Krankheiten und Verletzungen. Ebenfalls gehören auch im Interesse der Gesundheitsförderung der Bevölkerung die Forschung, Evaluation und Fortbildung in allen medizinischen Berufen hinzu. Die Gesundheitstelematik definiert sich als Allgemeinbegriff für die Untersuchung, die Überwachung und auch die Behandlung von Patienten mit Systemen, die es ermöglichen, einen schnellstmöglichen Zugriff auf Expertenwissen zu erhalten, unabhängig von dessen Aufenthaltsort.15
Ein wesentlicher Aspekt von Telemedizin ist – neben der reinen Digitalisierung – die Vernetzung der verschiedenen Akteure. Sie gewährleistet einen sektoren- und systemübergreifenden sowie sicheren Austausch von sensiblen Informationen unter Einbeziehung des Patienten.16 Die digitale Interaktion findet zwischen dem Patienten und den verschiedenen Akteuren des Gesundheitssystems statt, wie beispielsweise Krankenkassen, Kliniken, Apotheken, Arztpraxen und Medizininformatikunternehmen.17
2.2 Anwendungsbereiche und Hilfsmittel
Die Entwicklung der Telemedizin lässt sich durch die technologischen, konzeptionellen und vornehmlich ökonomisch relevanten Herausforderungen in drei Ebenen zusammenfassen.18 Dadurch kann sich der Arzt mit dem Patienten oder mehreren Leistungserbringern miteinander vernetzen und auf den verschiedenen Ebenen der Gesundheitsversorgung, das heißt Diagnose, Therapie und Rehabilitation, relevante Informationen über Distanz (nahezu) zeitgleich austauschen.19 Unter Berücksichtigung der gewachsenen Strukturen im deutschen Gesundheitswesen und in Anlehnung an internationale Definitionen der Telemedizin haben sich die drei Anwendungsfelder Telediagnostik, Homecare und (hoch) spezialisierte Anwendungen herauskristallisiert.20 Bei der Telediagnostik werden unter Anleitung eines entfernt lokalisierten Experten medizinische Untersuchungsdaten erhoben und nach elektronischer Übermittlung auch durch diesen ausgewertet. Im Rahmen einer Zweitbegutachtung kann dies ebenso erfolgen. Dabei werden allerdings Experten wie beispielsweise Universitätskliniken oder andere medizinische Schwerpunktzentren mit eingebunden.21 Der Bereich der Homecare hingegen ist auf die Übertragung von einfach erfassbaren diagnostischen Faktoren aus dem täglichen Umfeld des Patienten an einen Arzt beziehungsweise Experten fokussiert. Hoch spezialisierte Anwendungen zeichnen sich aus durch ein sehr begrenztes telemedizinisches Einsatzfeld und einen hohen technischen Aufwand. Diese werden beispielsweise in der Hochseeschifffahrt oder der Luft- und Raumfahrt eingesetzt.22
Die telemedizinischen Verfahren sind innerhalb des Kategoriensystems von unterschiedlichen informationstechnologischen und prozessualen Zusammenstellungen geprägt:23
- Einsatzort: Der Einsatz am Patienten findet zu Hause, im Krankenhaus oder in der Arztpraxis statt.
- Beteiligte: Die Datenübermittlung findet zwischen Arzt und Patient und die Datenübertragung von Patientendaten jeweils unter den Ärzten statt.
- Ablauf: Synchron treten Sender und Empfänger miteinander in Kontakt; asynchron werden medizinische Daten gesendet, erfasst und später beantwortet beziehungsweise ausgewertet.
- Mobilität: An einem fixen Ort befindet sich der Kommunikationspartner; in einem begrenzten Bereich befindet sich der Partner; Partner ist mobil.
- Modalitäten: Medizinische Datensätze und Audio-/Videodaten werden ausgetauscht.24
Entsprechend dem medizinischen Anwendungszweck und der Disziplin wird eine Kombination aus den unterschiedlichen Kategorien und Dimensionen der Telemedizin gebildet.25
Die untenstehende Abbildung stellt die daraus resultierenden Anwendungsbereiche dar.
Abbildung 1: Anwendungsbereiche der Telemedizin
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenQuelle: In Anlehnung an Dittmar, R. et al. (2009), S. 19; Telemedizin Baden-Württemberg (2021), o. S.
Im Folgenden werden die einzelnen Anwendungsbereiche genauer erläutert. Dabei fallen des Öfteren Begriffe die als Hilfsmittel in der Telemedizin gelten, welche im Anschluss an die Anwendungsbereiche erklärt werden.
Zu den Anwendungsbereichen zählt zum einen die Telechirurgie. Hierbei wird der chirurgische Eingriff über ein Telekonsil unterstützt. Die Operation kann dadurch von einem durch den Arzt kontrollierten Roboter ausgeführt werden. Darüber hinaus kann der Patient ein Foto der betroffenen Hautareale über eine Smartphone-Anwendung an den behandelnden Arzt senden. Die Teleonkologie hingegen ist ein weiteres Anwendungsbeispiel für ein Telekonsil im Bereich der Onkologie. Ärzte können zum Beispiel einen Befund an einem Gewebeschnitt über Telemikroskopie durchführen. Bei der Telepsychiatrie wird eine psychiatrische Therapie über eine Videosprechstunde durchgeführt. Noch dazu können zum Beispiel Abfragen über den emotionalen Zustand des Patienten über eine Anwendung auf dem Smartphone vorgenommen werden. Im Bereich der Teleradiologie werden standardisierte, radiologische Bilder im „Digital Imaging and Communications in Medicine Standard“ (DICOM Standard) digital an einen anderen Ort übertragen.26 DICOM stellt dabei ein Kommunikations- und Interoperabilitätsstandard für medizinische Bilddaten und Videos dar.27 Der Arzt kontrolliert im Anschluss die Bilder auf einem dafür geeigneten Monitor. Bei der Telekardiologie werden Daten online an einen Arzt oder ein Behandlungszentrum übertragen, zum Beispiel von einem implantierbaren Kardioverter-Defibrillator oder einem Herzschrittmacher. Mittels der Telepathologie werden digitalisierte Labor- und Bilddaten in spezialisierten Zentren ausgewertet. Dabei spielen moderne Mikroskope, die die Bilddaten direkt an das pathologische Zentrum übertragen, eine große Rolle. Im Bereich der Teleneurologie werden bei neurologischen Erkrankungen, wie beispielsweise bei Patienten mit einem Schlaganfall, mittels Telekonsile Untersuchungen durchgeführt. Ärzte können über sogenannte Tele-Stroke-Units Patienten bereits im Rettungswagen und auch im Krankenhaus durch Neurologen in Schlaganfallzentren untersuchen und überwachen. Auf diese Weise können auch Krankenhäuser ohne neurologische Abteilung Schlaganfall-Patienten optimal versorgen. Zuletzt gibt es noch die Telerehabilitation, welche im Anschluss an eine ambulante oder stationäre Behandlung eine Nachsorge zu Hause mittels Kommunikationstechnologien, falls eine medizinische Rehabilitation erforderlich ist, durchführt. Dabei kann es sich um eine Online-Therapie handeln oder eine Software, die den Patienten anleitet.28
Als Hilfsmittel zählt zum einen das Telemonitoring, es ermöglicht die Überwachung von Patienten beziehungsweise deren Vitalfunktionen durch den Arzt oder das Pflegepersonal über eine räumliche Entfernung hinweg.29 Bei der Telediagnostik wird eine Diagnose für einen Patienten von einem Arzt festgestellt. Der Arzt ist zum Zeitpunkt der Befundung, Diagnose beziehungsweise Therapie nicht physisch vor Ort am Patienten. Ein Telekonsil findet zwischen zwei oder mehreren Experten der Heilberufe statt. Diese beraten sich zeitgleich über die Diagnose oder den weiteren Therapievorgang eines Patienten.30 Eine Gesundheits-App bezeichnet eine Software, die einen gesundheitsfördernden Lebensstil unterstützt, wie beispielsweise eine gesunde Ernährung. Eine Medizin-App hingegen bezeichnet eine Software, die Patienten oder Angehörigen hilft, eine Krankheit zu bewältigen, wie beispielsweise Neurodermitis oder Diabetes. Medizin-Apps können auch als Unterstützung bei der Behandlung durch medizinisches Fachpersonal dienen. Die Apps können auf dem Smartphone, Laptop, Tablet oder auf dem Desktop-Computer installiert werden. Beide Anwendungen können je nach Bestimmung des Zweckes als Medizinprodukt eingestuft werden. Liegt eine primär medizinische Zweckbestimmung vor, muss die Software ein Konformitätsverfahren in der Europäischen Union (EU) durchlaufen. Als Wearables bezeichnet man am Körper tragbare Computersysteme. Dabei nimmt der Computer in der Regel Daten aus der Umgebung auf, um diese im Nachgang zu verarbeiten. Dazu zählen im Medizinbereich beispielsweise Hörgeräte. Andere Gesundheits-Wearables wie Fitnessarmbänder oder Ähnliches zeichnen den Herzschlag oder die Aktivität auf. Zur Auswertung werden die Daten häufig an eine App auf dem Smartphone gesendet. Zuletzt gibt es noch die Videosprechstunde. Dabei handelt es sich um ein Gespräch zwischen einem Arzt und einem Patienten über einen zertifizierten Videodienstanbieter. Die Videosprechstunde wird beispielsweise bei Kontrollterminen angewendet.31
In den darauffolgenden Kapiteln wird näher auf die Videosprechstunde im Allgemeinen und auf deren Möglichkeiten und Herausforderungen vonseiten der Ärzteschaft und der Patienten eingegangen.
2.3 Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Telemedizin
2.3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
Mittels telemedizinischen Anwendungen werden laufend hochsensible digitale Daten produziert, gespeichert und ausgetauscht Eine Grundvoraussetzung für einen rechtskonformen Umgang mit medizinischen und persönlichen Daten stellt die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), welche am 25.05.2018 neu geregelt wurde, dar.32 Das Ziel der DSGVO liegt dabei auf der Einheitlichkeit in den Rechtsanwendungen, die Stärkung der Rechte von Betroffenen, die Anpassung des Rechts an die technische Entwicklung und zuletzt die Verpflichtung der Verantwortlichen bei der Erstellung von Dokumentationen. Im Vergleich zu EU-Richtlinien muss die DSGVO nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden, sondern gilt unmittelbar in der gesamten EU.33 Durch zahlreiche Öffnungsklauseln kann der jeweilige nationale Gesetzgeber dennoch zusätzliche Regelungen treffen. Unter anderem wird in Deutschland die DSGVO durch spezielle landesgesetzliche Regelungen wie zum Beispiel mit dem Landeskrankenhausgesetz (LKHG) ausgebaut. Die DSGVO enthält eine Vielzahl an neuen Aspekten wie beispielsweise „Privacy-by-Design“ (Datenschutz durch entsprechende Technikgestaltung), „Privacy-by-Default“ (Datenschutz durch benutzer- und datenschutzfreundliche Vorgaben), Recht auf Vergessen, Recht auf Datenübertragbarkeit, -zugriff und -auskunft, Sanktionen bei Verstößen, EU-einheitliche Durchsetzung des Rechts und die Bezeichnung von Ansprechpartnern und Aufsichtsbehörden. Im Fokus steht dabei der Schutz des Einzelnen gegenüber dem Datenverarbeitenden. Ebenso finden genannte Aspekte Ausdruck in den Datenschutzprinzipien. Diese legen fest, welche Grundsätze bei der Datenverarbeitung beachtet werden müssen. Beispielsweise regeln sie die Vorgaben zur Zweckbestimmung von Datenverarbeitung und Datenminimierung gemäß Artikel 5 Abs. 1 DSGVO, die Transparenz und Wahrung der Rechte der Betroffenen laut Artikel 12 DSGVO, das datenschutzkonforme Softwaredesign und die beschränkenden Vorgaben infolge von Artikel 25 DSGVO, die einhergehende risikoorientierte Datensicherheit, die Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Artikel 32, 35 DSGVO und zuletzt die Kontrolle durch die verantwortlichen Stellen, die Betroffenen und die der Aufsichtsbehörden. Gesundheits- und Sozialdaten unterliegen nach der DSGVO einem besonderen Schutz und zählen zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten gemäß Artikel 9 Abs. 1 DSGVO. Zu berücksichtigen sind neben den europäischen Regelungen auch die nationalen Regelungen. Diese betreffen zum einen die Sozialdaten durch das Sozialgesetzbuch (SGB) gemäß § 67 Abs. 1 SGB X und zum anderen auch den Anspruch auf Wahrung des Sozialgeheimnisses nach § 35 Abs. 1 SGB I. Die Gesetze finden ebenso für Akteure des Gesundheitswesens Anwendung wie beispielsweise die Bundesärzteordnung sowie das LKHG für Krankenhäuser. Neben dem Datenschutzrecht sind im Sinne der DSGVO die allgemeinen nationalen Regelungen, zum Beispiel das Bundesdatenschutzgesetz und das SGB auch der Schutz von Gesundheits- und Sozialdaten durch das Strafgesetzbuch (StGB) gemäß § 203 StGB zu befolgen.34
2.3.2 Anforderungen an den Vertragsarzt
Entscheidet sich ein Vertragsarzt für die Erbringung von telemedizinischen Leistungen, so muss dieser eine Genehmigung bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einholen. Eine telemedizinische Versorgung kann nur im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung stattfinden, wenn ein regelmäßiger persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt in einer angemessenen Weise gewährleistet ist. Zugelassene telemedizinische Leistungen wurden durch Anlagen zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) in der vertragsärztlichen Versorgung geregelt und genau erläutert. Zu nennen sind hier die Anlagen 31, 31a und 31b zum BMV-Ä. In den Anlagen wird Bezug darauf genommen, wie ein Arzt-Patienten-Kontakt ausgestaltet und welche Anforderungen für die Erbringung von telemedizinischen Leistungen gestellt werden muss.35
In § 2 Abs. 1 – 4 der Anlage 31 zum BMV-Ä wird aufgeführt, was der behandelnde Vertragsarzt im Rahmen der telemedizinischen Versorgung sicherzustellen hat:
- Für die Behandlung des Patienten muss die Indikation für eine telematische Unterstützung laut des Anwendungsbereiches des jeweiligen Anhangs zur Vereinbarung bestehen.
- Laut dem Anwendungsbereich des jeweiligen Anhangs zur Vereinbarung muss der Patient die infrastrukturelle Voraussetzung für eine telemedizinische Unterstützung erfüllen.
- Der Patient muss körperlich und geistig in der Lage sein an der telemedizinischen Versorgung, sofern erforderlich, aktiv teilzunehmen.
- Eine Zustimmung beziehungsweise Einverständniserklärung für die telemedizinische Versorgung sollte der Patient, sofern erforderlich für den jeweiligen Anwendungsbereich, erteilt haben.36
Die zuständige KV setzt außerdem entsprechend eines Anhangs zur Vereinbarung des jeweiligen Anwendungsbereichs, eine Genehmigung oder Anzeige für die Erbringung telemedizinischer Leistungen voraus. Der telemedizinisch tätige Vertragsarzt muss, sofern in dem jeweiligen Anwendungsbereich des Anhangs für die Mitarbeiter der Praxis, bei der Unterstützung von telemedizinischen Leistungen weiterführenden Qualifikation(en) erforderlich ist (sind), sicherstellen, dass diese Qualifikation(en) für die telemedizinischen Aufgaben betreute Praxismitarbeiter vorliegt(en).37
Entscheidend ist auch, dass bei der Datenübertragung auf die besonderen Voraussetzungen der jeweiligen Anlagen 31a und 31b des BMV-Ä geachtet wird. Es muss gewährleistet sein, dass es sich um Systeme handelt, die besondere Verfahren der Datenübertragung garantieren. Grundsätzlich muss es sich also im Sinne von § 91b Abs. 1e SGB V um ein sicheres Verfahren handeln oder gemäß § 291b Abs. 1b SGB V in Verbindung mit § 291a Abs. 7 Satz 3 SGB V um ein Verfahren der elektronischen Anwendung des Gesundheitswesens. Das letztgenannte Verfahren benötigt allerdings eine Bestätigung der gematik GmbH38. Übergangsweise gestattet es § 3 Abs. 2 der Anlage 31 zum BMV-Ä, dass der Anbieter temporär nachweisen kann, dass er die Anforderungen wie beispielsweise die Gewährleistung der Vertraulichkeit, die Integrität und die Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten erfüllt. Der Paragraf kommt zur Geltung, wenn ein Vertragsarzt umgehend mit der telemedizinischen Behandlung beginnen möchte, er aber noch nicht die Voraussetzungen der Datenübertragung bezüglich der jeweiligen Anlage erfüllen kann. Durch ein Zertifikat von einer der Deutschen Akkreditierungsstellen akkreditierten Stelle über die technische Sicherheit oder ein Zertifikat des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, kann als Nachweis erbracht werden. Um den Datenschutz einzuhalten, ist es erforderlich, ein Gütesiegel vorzuweisen, welches von einer unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörde erteilt beziehungsweise abgesegnet wurde. Alternativ ist ein Datenschutzzertifikat von einer zugelassenen Stelle vorzuweisen.39
In § 5 Abs. 1 der Anlage 31 zum BMV-Ä wird im Einzelnen erläutert was „Vertraulichkeit“, „Integrität“ und „Verfügbarkeit“ in Bezug auf die personenbezogenen Daten bedeutet:
- Vertraulichkeit setzt voraus, dass erhobene, gespeicherte, übermittelte oder anderweitig verarbeitete Daten gewährleistet sein müssen.
- Integrität fordert, dass personenbezogene Daten während der Phase der Verarbeitung vollständig, unversehrt, gültig und widerspruchsfrei bleiben.
- Verfügbarkeit liegt vor, wenn personenbezogene Daten zeitgerecht zur Verfügung stehen und im vorgegebenen Zeitfenster bearbeitet werden.40
2.4 Finanzierung der Telemedizin in Deutschland
Digitale Lösungen haben in Deutschland bislang kaum Eingang in die digitale Regelversorgung gefunden.41 Fehlende Geschäfts- und Finanzierungsmodelle sind unter anderem ein Grund für die geringe flächendeckende Einführung von telemedizinischen Anwendungen in Deutschland. Grundsätzlich ist dessen Einführung im stationären und ambulanten Bereich, über den kompletten Versorgungsprozess hinweg möglich, dennoch erfolgt die Erstattung nach unterschiedlichen Systematiken und sie werden unterschiedlich schnell rückerstattet.42
Die Unterscheidung findet zwischen dem ersten und dem zweiten Gesundheitsmarkt statt. Der erste Gesundheitsmarkt beinhaltet die „klassische“ Gesundheitsversorgung, welche von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der Privaten Krankenversicherung (PKV), der Pflegeversicherung und teilweise auch von der Rentenversicherung getragen wird. Der zweite Gesundheitsmarkt wird dahingegen durch die Summe, der nicht gesetzlich abrechenbaren Leistungen finanziert. Dies ist der Fall, wenn die Privatnutzer für die Leistungen aufkommen.43 Das größte Finanzierungspotenzial bei der GKV für telemedizinische Anwendungen liegt innerhalb des ersten Gesundheitsmarktes. Diese können in stationären und ambulanten Bereichen eingesetzt werden. Allerdings wird hier unterschiedlich erstattet und zwischen sektoraler und übergreifender Vergütung unterschieden. Die Leistungen erfolgen im stationären Bereich überwiegend über diagnosebezogenen Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups; DRG). Die meisten telemedizinischen Anwendungen werden jedoch krankenhaus- oder auch sektorenübergreifend eingesetzt, womit eine Abrechnung über das DRG-System unmöglich ist.44 Allerdings stellt sich die Anpassung des DRG-Kataloges als sehr zeitintensiv dar, weshalb neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) bis zu deren Anpassung getrennt abgerechnet werden können. Zwischen den Sozialleistungsträgern und den Krankenhausträgern werden NUB krankenhausindividuell verhandelt. Wird eine Methode erfolgreich eingeführt, so kann diese von allen Krankenhäusern, nach dem oben genannten Schema, angewandt werden. Dafür ist es notwendig, dass eine hohe Anzahl an Krankenhäuser NUB erbringt, damit dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus eine ausreichende Kalkulationsbasis zugrunde liegt. So kann die Berechnung der neuen Fallpauschalen durchgeführt werden. Damit das jeweilige Krankenhaus eine anerkannte NUB abrechnen kann, muss ein Antrag gestellt werden. Zusätzlich erfordert es Verhandlungen, da die Höhe der Erstattung krankenhausindividuell erfolgen muss.45 Aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) werden ambulante Leistungen mit Abrechnungsziffern abgerechnet. Jedoch dürfen Innovationen erst abgerechnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen positiven Bescheid über den diagnostischen beziehungsweise therapeutischen Nutzen und die Wirtschaftlichkeit ausgestellt hat. Der Beleg der Wirksamkeit im klinischen Bereich beziehungsweise Praxisalltag gilt für die Finanzierung als Grundvoraussetzung. Bis zu drei Jahre kann das gesamte Verfahren von der Beantragung, über die Begutachtung bis hin zur Aufnahme in den EBM-Katalog durch den Bewertungsausschuss dauern. Der Nutzennachweis ist neben dem zeitlichen Aufwand eine weitere Hürde für die Anbieter, um in den EBM mit aufgenommen zu werden.46
Derzeit werden drei telemedizinische Anwendungen über den EBM vergütet. Als erste telemedizinische Leistung wurde am 01. April 2016 die Überwachung von Patienten mit einem Kardioverter/ Defibrillator und dem kardialen Resynchronisationstherapie-System in den EBM aufgenommen47. Seit dem 01. April 2017 und dem 01. Juli 2017 stehen auch für Telekonsile48 und Videosprechstunden (jeweils unter bestimmten Voraussetzungen)49 Vergütungsregeln im EBM fest. Die Integrierte Versorgung gilt als weitere Finanzierungsmöglichkeit in der sektorenübergreifenden Vergütung. Leistungserbringer aller Sektoren und Krankenkassen können im Zusammenhang von Verträgen der integrierten Versorgung, selektiver Verträge über die Versorgung von Versicherten abschließen. Die Einführungsdauer neuer Innovationen wird in diesem Bezug durch die Phase der Vertragsverhandlungen und nicht durch G-BA bedingte Verfahren gesteuert, was wiederum den Einführungsprozess beschleunigen kann. Auf Grund von Vertragsverhandlungen, Verwaltung und Dokumentation stellen selektive Verträge einen größeren Aufwand für Beteiligte dar. Dies führt dazu, dass die Anzahl von möglichen Verträgen begrenzt ist.50
Über den zweiten Gesundheitsmarkt können Anbieter von telemedizinischen Anwendungen, neben der Vergütung über die GKV oder PKV, individuelle Vergütungsvereinbarungen treffen. Hierbei werden in Anspruch genommene Leistungen direkt vom Kunden bezahlt. Diese Geschäftsmodelle variieren je nach telemedizinischer Anwendung sehr unterschiedlich, von einmaligen Zahlungen, über Kombinationsmodelle bis hin zu integrativen Lösungen, bei denen die Leistung einen Teil einer medizinischen Anwendung darstellt und der Leistungserbringer direkt mit dem Kunden abrechnet. Aufgrund der starken Regulierungen im ersten Gesundheitsmarkt versuchen viele Anbieter, ihr Angebot auf dem zweiten Gesundheitsmarkt zu publizieren.51
2.5 Status quo der Telemedizin in Deutschland und international
Die Corona-Pandemie treibt die digitale Transformation des Gesundheitswesens voran. Die Videosprechstunde und weitere telemedizinischen Leistungen sind in vielen Ländern bereits fester Bestandteil in der Regelversorgung und im Alltag viel mehr integriert als in Deutschland.52
Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat die Bonner Gesellschaft für Forschung „empirica Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung“ im Jahr 2018 eine Vergleichsstudie namens „#SmartHealthSystems“ durchgeführt, welche detailliert die Digitalisierungsfortschritte im Gesundheitswesen von 17 Ländern, darunter Deutschland untersucht hat. In der Studie ging es nicht nur darum, den Status quo der Digitalisierung festzustellen und zu beschreiben, sondern auch um die Darstellung gängiger Anwendungen in der Regelversorgung. Speziell für den ersten Teil der Studie hat empirica einen neuen Digital-Health-Index erstellt. Der Fokus lag dabei auf den Strategien der technischen Bereitschaft sowie die genaue Datennutzung in den einzelnen Nationen. Anhand von drei entsprechenden Themenbereichen wurde jedes Land einzeln bewertet und einem entsprechenden Platz im Digital-Health-Ranking zugeordnet. Die drei Themenbereiche umfassen 34 Indikatoren die als Grundlage für den Digital-Health-Index dienen. Zum einen die „Policy-Aktivität“, welche das politisch strategische Vorgehen der Nationen, den gegebenen Rechtsrahmen, die Verankerung von Einrichtungen und die Zuständigkeit beinhaltet. Der zweite Themenbereich impliziert die „Digital-Health-Readiness“ mit der technischen Implementierung und dem digitalen Reifegrad. Und zuletzt wurden Informationen gesammelt über die „tatsächliche Datennutzung“.53
Die untenstehende Abbildung zeigt den Digital-Health-Index der Vergleichsstudie „#SmartHealthSystems“ aus dem Jahr 2018.
Abbildung 2: Digital-Health-Index eingeteilt nach drei Themenbereichen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenQuelle: In Anlehnung an Kostera, T./ Thranberend, T. (2018), S. 3.
Im Ranking54 stehen Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien an den obersten Stellen. Die Interaktion von effektiver Strategie, politischer Führung und einer festverwurzelten Einrichtung zur Koordination des Digitalisierungsprozess vereint die erfolgreichen Nationen. Demgemäß sind diese Länder schneller vorangekommen als Deutschland: Die digitale Übermittlung von Rezepten ist bereits selbstverständlich, in digitalen Akten werden die wichtigsten Gesundheitsdaten von Patienten gespeichert und es besteht bereits die Möglichkeit, dass die Bevölkerung ihre Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten online abrufen kann.55 Im Bereich Politik und Strategie wurden im Rahmen der Studie deutliche Mängel in Deutschland aufgedeckt. Es fehle eine Strategie für die Nutzung von telemedizinischen Anwendungen und es seien kaum finanzielle Anreize für eine flächendeckenden Gebrauch gegeben. Darüber hinaus fehle es an institutioneller Verankerung in Form einer Behörde und einem zweckgebundenen Budget. Zwar wurden Ansätze für rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, aber einheitliche Regelungen liegen zum Veröffentlichungszeitpunkt des Digital-Health-Index nicht vor. Insgesamt schneidet Deutschland daher in einer von zwölf Kategorien gut ab, in fünf durchschnittlich und in sechs mangelhaft.56 Die Daten wurden von einem internationalen Expertennetzwerk aus den 17 Ländern erhoben. Jeweils ein vor Ort ansässiger Korrespondent beantwortete den dafür entworfenen Katalog mit mehr als 150 Fragen zu den 34 Indikatoren. Zusätzlich recherchierten sie nach qualitativen sowie quantitativen Daten. Außerdem überprüften weitere europäische und nationale Experten die erhobene Datenqualität.57
Dennoch sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den digitalen Wandel im deutschen Gesundheitswesen in den letzten Jahren deutlich vorangekommen. Mehrere gesetzliche Maßnahmen wurden beschlossen, um die Digitalisierung voranzutreiben: Im Dezember 2015 wurde das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheitswesen“ dem sogenannten „Electronic-Health-Gesetz“ vom Deutschen Bundestag beschlossen.58 Das Ziel des Gesetzes ist der Ausbau und die Verbesserung der telematischen Infrastruktur im deutschen Gesundheitswesen. Insbesondere soll dabei die Einführung von Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte unterstützen, die Interoperabilität informationstechnischer Systeme zu beschleunigen, telemedizinische Lösungen zu fördern und die Infrastruktur der Gesundheitstelematik aufzubauen. Dadurch sollen die Strukturen der Gesellschaft für Telematik verbessert und deren Kompetenzen erweitert werden. Aus diesem Grund sind unter anderem finanzielle Anreize für eine schnelle Umsetzung telemedizinischer Leistungen und die Etablierung einer sicheren und gleichmäßigen telemedizinischen Infrastruktur mit der Möglichkeit für die Aufnahme weiterer Leistungserbringer vorgesehen.59 Im Mai 2019 wurde das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft gesetzt, im Dezember 2019 das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) und im Oktober 2020 das Krankenhauszukunftsgesetz sowie das Patientendaten-Schutz-Gesetz. Die Gesetze haben Einfluss auf die zentralen Gebiete des Gesundheitswesens: elektronische Patientenakte, Telematikinfrastruktur, Telemedizin, Standardisierung und Konnektivität und Anwendbarkeit der gesammelten Daten von Patienten sowie digitale Gesundheitsanwendungen. Zusätzlich wurden Finanzmittel in Höhe von 4,3 Milliarden EUR bereitgestellt für die Digitalisierung des Krankenhaussektors, Kliniken mit Telemedizinprojekten und die Vernetzung und Cybersicherheit.60
[...]
1 Vgl. Kassel, K. (2020), S. 93.
2 Vgl. Statistisches Bundesamt (2019), S. 22.
3 Vgl. Trill, R. (2018), S. 26.
4 Vgl. Bundesärztekammer (2019), o. S.
5 Vgl. Deutsches Ärzteblatt (2016), o. S.
6 Vgl. Brokman, J. et al. (2014), S. 209.
7 Vgl. Neumeier, S. (2018), S. 44.
8 Vgl. Duftschmied, G. et al. (2005), S. 674.
9 Vgl. Bogdan, B. (2018), S. 194-195.
10 Vgl. Jorzig, A./ Sarangi, F. (2020), S. 185-186.
11 Vgl. Wolff, D. (2018), S. 161.
12 Bundesärztekammer (2021), o. S.
13 Gärtner, A. (2006), S. 17.
14 Vgl. Beckers, R./ Marx, G. (2021), S. 5.
15 Vgl. Craig, J./ Patterson, V. (2005), S. 3-9.
16 Vgl. Lux, T. (2019), S. 2.
17 Vgl. Telemedizin Baden-Württemberg (2021), o. S.
18 Vgl. Beckers, R/ Marx, G. (2015), S. 1053-1055.
19 Vgl. Häckl, D. (2011), S. 68.
20 Vgl. Beckers, R/ Marx, G. (2021), S. 6.
21 Vgl. Häckl, D. (2011), S. 68.
22 Vgl. Dittmar, R. et al. (2009), S. 18.
23 Vgl. Dittmar, R. et al. (2009), S. 18.
24 Vgl. Dittmar, R. et al. (2009), S. 18.
25 Vgl. Dittmar, R. et al. (2009), S. 18.
26 Vgl. Telemedizin Baden-Württemberg (2021), o. S.
27 Vgl. Haas, P. (2006), S. 590.
28 Vgl. Telemedizin Baden-Württemberg (2021), o. S.
29 Vgl. Schmid, J. (2016), S. 13-14.
30 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Telemedizin (2021), o. S.
31 Vgl. Telemedizin Baden-Württemberg (2021), o. S.
32 Vgl. Frielitz, F.-S. et al. (2019), S. 480.
33 Vgl. Dauber, H. (2018), S. 8.
34 Vgl. Frielitz, F.-S. et al. (2019), S. 480.
35 Vgl. Jorzig, A./ Sarangi, F. (2020), S. 174-175.
36 Vgl. Anlage 31 BMV-Ä (2017), S. 2.
37 Vgl. Anlage 31 BMV-Ä (2017), S. 2-3.
38 Die gematik GmbH ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben in § 291b SGB V die Gesellschaft für Telematik. Sie wurde im Jahr 2005 gegründet, um die Einführung, Pflege und Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte und deren Infrastruktur voranzutreiben, zu koordinieren und die Vereinbarkeit der dazugehörigen Komponenten sicherzustellen. Vgl. gematik (2021a), o. S.
39 Vgl. Jorzig, A./ Sarangi, F. (2020), S. 175-176.
40 Vgl. Anlage 31 BMV-Ä (2017), S. 4-5.
41 Vgl. Dittmar, R. et al. (2009), S. 16.
42 Vgl. Leppert, F./ Greiner, W. (2016), S. 101.
43 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2019a), o. S.
44 Vgl. Leppert, F./ Greiner, W. (2016), S. 106-107.
45 Vgl. Hacker, J. et al. (2009), S. 44.
46 Vgl. Schräder, W./ Lehmann, B. (2011), S. 243-245.
47 Vgl. KBV (2021c), o. S.
48 Vgl. KBV (2021e), o. S.
49 Vgl. Anlage 31b BMV-Ä (2020), S. 6.
50 Vgl. Leppert, F./ Greiner, W. (2016), S. 111-112.
51 Vgl. Leppert, F./ Greiner, W. (2016), S. 114.
52 Vgl. Bertelsmann Stiftung (2021), o. S.
53 Vgl. Bertelsmann Stiftung (2021), o. S.
54 Um eine bessere Lesbarkeit zu garantieren wurden die drei Themenbereiche nebeneinander in Balkenformat dargestellt. Die Gesamtlänge der einzelnen Balken dividiert durch 3 ergibt den Gesamtindexwert, dabei liegt der Maximalwert bei 100.
55 Vgl. Bertelsmann Stiftung (2021), o. S.
56 Vgl. McKinsey& Company (2020), S. 14.
57 Vgl. Bertelsmann Stiftung (2021), o. S.
58 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2015), o. S.
59 Vgl. Müller-Mielitz, S./ Lux, T. (2017), S. 126.
60 Vgl. McKinsey& Company (2020), S. 14
- Quote paper
- Verena Sauter (Author), 2021, Mehrwerte einer digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland am Beispiel der Telemedizin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039634
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