Dieser Essay befasst sich mit den Grundlagen der Kommunikation. "Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren". Wenn man das Konzept der Übertragung verstehen möchte, ist es hilfreich, dieses erste Axiom des Watzlawick´schen Kommunikationsmodells zu verinnerlichen. Erst wenn man sich dessen bewusst ist, dass Nichtkommunizieren unmöglich ist, ist man bereit, dieses Konzept zu durchschauen. „Die Übertragung umfasst seit Freud im weitesten Sinne alle Phänomene der subjektiven Bedeutungszuschreibung innerhalb einer Begegnung mindestens zweier Personen“. Sie ist also in keiner Weise an das Patient- Therapeut- Setting gebunden, im Gegenteil: Sie ist eine allgemeine Fähigkeit, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Zu kommunizieren. Aber wie machen wir das eigentlich?
Worin besteht die Konzeptualisierung der Ubertragung und Gegenubertragung?
Hat sie sich verandert?
Michael Rauch International Psychoanalytic University
Essay zum Thema Ubertragung und Gegenubertragung "Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren" (Watzlawick, Beavin, & Jackson, 1990).
Wenn man das Konzept der Ubertragung verstehen mochte, ist es hilfreich, dieses erste Axiom des Watzlawick'schen Kommunikationsmodells zu verinnerlichen. Erst wenn man sich dessen bewusst ist, dass Nichtkommunizieren unmoglich ist, ist man bereit, dieses Konzept zu durchschauen. „Die Ubertragung umfasst seit Freud (1985d, 1900a) im weitesten Sinne alle Phanomene der subjektiven Bedeutungszuschreibung innerhalb einer Begegnung mindestens zweier Personen“ (zit. n. Mertens, 2014).
Sie ist also in keiner Weise an das Patient- Therapeut- Setting gebunden, im Gegenteil: Sie ist eine allgemeine Fahigkeit, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Zu kommunizieren. Aber wie machen wir das eigentlich?
Der Prozess der Ubertragung beschreibt das projizieren fruhkindlicher Erfahrungen auf andere Personen. Dabei geht es im speziellen um erlebte Beziehungen zu den Bezugspersonen. Wir Menschen setzen unsere unbewussten, internalisierten Objektbeziehungen im Kontakt mit anderen Personen in Szene. Ist also jegliche Beziehung zu anderen Personen zu jeder Zeit uberlagert von unbewussten Beziehungserfahrungen? Freud unterschied anhand zweier Kriterien, ob es sich um Ubertragung handelt: Erstens die Wiederholung der Vergangenheit in der Gegenwart und zweitens die Verzerrung der Realitat (Mertens, 2014).
Im Kontext einer simplen Begegnung zweier Personen wird nicht klar, wo Ubertragung auf den jeweils anderen anfangt und wo sie aufhort. Sie ist getarnt im Allgemeinen miteinander- und auBerdem unbewusst.
In der Analyse wird jedoch das „ Allgem eine der personlichen Begegnung zum Spezialfall der analytischen Situation“ und zwar im Kontext der analytischen Regeln „der freien Assoziation, gleichschwebenden Aufmerksamkeit und Abstinenz und auch Frequenz und RegelmaBigkeit der Sitzungen. (.) Dadurch kann die Ubertragung systematisch beobachtet, mit ihr gearbeitet und nur hier verandert werden“ (Mertens, 2014,). Die Ubertragung von fruher erlebten Beziehungen wird sich jedoch nicht eher zeigen, bevor zwischen Patient und Therapeut eine fur die Therapie zufriedenstellende Beziehung entstanden ist. Das gesamte AusmaB an dem Therapeuten entgegen gebrachter Ubertragung wird erst von Zeit zu Zeit sichtbar. Freud spricht von verschiedenen, komplementaren Ubertragungen. Zunachst unterscheidet er Ubertragung positiver und negativer Natur. Damit sind Anteile gut oder schlecht erlebter Objektbeziehungen gemeint, welche in der Ubertragung neu in Szenen gesetzt werden. Im Allgemeinen ist es forderlich fur die Therapie, wenn sich eine positive Ubertragung einstellt. Auf den Therapeuten werden dann positive Eigenschaften einer als gut erlebten Objektbeziehung projiziert. Die negative Ubertragung entspricht dem fur den Therapeuten manifesten Anteil der Neurose, welche in der Patient- Therapeuten- Beziehung aktualisiert wird. Zur Arbeit mit und der Rolle von der Ubertragungsneurose schreibt Freud in der 27. der Vorlesungen zur Einfuhrung in die Psychoanalyse folgendes:
Die gesamte Neuproduktion der Krankheit wirft sich auf eine einzige Stelle, namlich auf das Verhaltnis zum Arzt (...) Hat sich die Ubertragung erst zu dieser Bedeutung aufgeschwungen, so tritt die Arbeit an den Erinnerungen des Kranken weit zuruck (.) Die Bewaltigung dieser neuen kunstlichen Neurose fallt aber zusammen mit der Erledigung der in der Kur mitgebrachten Krankheit, mit der Losung unserer therapeutischen Aufgabe. Der Mensch, der im Verhaltnis zum Arzt normal und frei von der Wirkung verdrangter Triebregungen geworden ist, bleibt auch so in seinem Eigenleben, wenn der Arzt sich wieder ausgeschaltet hat. (Sigmund Freud, 1917)
Um zu verstehen, wieso Ubertragung einer kritisch erlebten Beziehung auf andere Personen- und speziell auf den Therapeuten- immer wieder erfolgt, mussen wir uns einem weiteren Konzept Freuds widmen: Dem Begriff des Wiederholungszwangs. Zum ersten Mal begegnet er diesem Phanomen in einer fur ihn enttauschenden Erkenntnis zur Wirksamkeit der Psychoanalyse. Anstatt dem Bewusstwerden bisher unzuganglicher Ereignisse und verdrangter Erinnerung wiederholten die Patienten das Verdrangte „nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholte es, ohne naturlich zu wissen, dass er es wiederholt. (...) Man versteht endlich, dies ist seine Art zu erinnern.“ (Freud, 1914g; zit. n. Mertens, 2014). Dabei fiel Freud die Beziehung dieser Wiederholung zur Unlust auf. Jegliche dieser Taten sind mit einem Konflikt behaftet, wobei Freud deren Wiederholung als einen „Drang zur Wiederherstellung eines fruheren Zustandes“ (Freud, 1929; zit. n. Mertens, 2014) beschreibt. Die auf der Wiederholung infantiler Objektbeziehungen beruhende „Ubertragungsidee“ dringt nach Freud vor allem deswegen zum Bewusstsein vor, „weil die auch dem Widerstande Genuge tut.“ (Freud, 1912b; zit. n. Mertens, 2014). In der Unterscheidung zwischen „unanstoBiger“ und „anstoBiger“ Ubertragung und bewusstseinsfahiger und unbewusster Ubertragung wird in der klassischen Auffassung zwischen den manifesten Anteilen des Widerstands gegen die Therapie (anstoBig und unbewusste Ubertragung) und zwischen den Tragern des Behandlungserfolgs (unanstoBige und bewusstseinsfahige Ubertragung) getrennt (Mertens, 2014). Unter dem Aspekt des Wiederholungszwangs wird deutlich: Die Psychoanalyse schafft nicht die Ubertragung, sondern sie deckt sie auf. Die Analyse dieser ist das Mittel zur Uberwindung des Wiederholungszwangs und zur Heilung des Patienten.
Das Konzept, welches alle Reaktionen einer Person auf die Ubertragung des anderen beschreibt, heiBt Gegenubertragung. Als komplementares Gegenstuck zur Ubertragung ist es daher unabdingbar, beide Konzepte als Gesamtheit zu betrachten. Das bedeutet, dass das Verstandnis des einen, nur unter Berucksichtigung des anderen als vollstandig bewertet werden kann. Ein kurzes Beispiel soll die Beziehung zwischen Ubertragung und Gegenubertragung verdeutlichen: Ein Patient zeigt dem Therapeuten, trotz nun schon langer andauernder Therapie, deutliche Signale des Misstrauens. Dies ware eine klassische Form der Ubertragung. Dies empfindet der Therapeut als Krankung, wo er sich doch so viel Muhe mit dem Patienten gibt. Das ware die Gegenubertragung. Hier wird deutlich: Menschen konnen sich in tiefen Ubertragungskonflikten verstricken.
Auf Seiten des Patienten waren Grunde der Ubertragung dieser Art beispielsweise eine schwierige Beziehung zur Mutter, zu der er auch nie wirklich vertrauen fassen konnte (Dies ware sogleich eine Deutung). Zur Gegenubertragung des Therapeuten zahlen nach Margaret Little vier Dimensionen: Zum einen die unbewussten Haltungen gegenuber dem Analysanden, die Neurotische Ubertragung des Analytikers, auBerdem dessen nicht neurotischen Reaktionen und zuletzt die Gesamtheit seiner Haltungen gegenuber dem Analysanden (zit. n. Mertens, 2014).
Die klassische Fassung des Konzepts der Gegenubertragung zentriert vor allem die unbewusste Haltung gegenuber dem Analysanden. Diese manifestiert sich haufig in „Phantasien, Impulsen, Verhaltensweisen, Einstellungen oder Stimmungen“ (Mertens, 2014), wie im obigen Beispiel in der Krankung des Therapeuten. Die Gegenubertragung, wenn man sie denn als Reaktion auf die Ubertragung des Patienten betrachtet, ist somit immer sekundar. Allerdings hangt diese nicht nur mit der Ubertragung des Patienten zusammen, sondern wird auch durch die eigene neurotische Ubertragung des Therapeuten determiniert. Im Rahmen der psychotherapeutischen Ausbildung gilt es sich in der Lehranalyse dieser bewusst zu werden. Unter diesem Aspekt stellt sich die Frage: ist die Gegenubertragungen des Therapeuten hinderlich fur die therapeutische Arbeit?
Innerhalb dieser Fragstellung schwingt eine Paradigmenrivalitat mit, welche lange und hitzig gefuhrt wurde: Die Konzeptualisierung der Ubertragung auf der Grundlage einer Ein- Personen- oder Zwei- Personen- Psychologie? Dieser Frage mochte ich im Folgenden auf den Grund gehen.
In der psychoanalytischen Konzeptualisierung Sigmund Freuds ruckte die Aktivitat und Gegenwart des Analytikers zunachst in den Hintergrund. Der Therapeut unterliege ahnlichen Prozessen der Ubertragung auf den Patienten. Jedoch betont er die Wichtigkeit, diese zu uberwinden, denn das mache den Therapeuten machtig. Die Gegenubertragung solle im ubertragenen Sinne also als Storfaktor eliminiert werden. (Sigm Freud & Freud, 1996)
Freud unterstreicht die Wichtigkeit, dem Patienten vollig emotionslos entgegenzutreten, das heiBt eigene Regungen vollig auBer Acht zu lassen. Dies veranschaulichte er in seiner Chirurgen- und Spiegel Metapher.
Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich wahrend der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drangt und seinen geistigen Kraften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht als moglich zu vollziehen. (...) Die Rechtfertigung dieser vom Analytiker zu fordernden Gefuhlskalte liegt darin, daB sie fur beide Teile die vorteilhaftesten Bedingungen schafft, fur den Arzt die wunschenswerte Schonung seines eigenen Affektlebens, fur den Kranken das groBte AusmaB von Hilfeleistung, das uns heute moglich ist. (Sigm Freud & Freud, 1996)
Einen besonderen Platz nimmt hierbei der „therapeutische Ehrgeiz“ ein, der, erhalt er uber die Affekte des Therapeuten Eintritt in die therapeutische Beziehung, den Analytiker in eine in Bezug auf die Widerstande des Patienten ungunstige Position bringen wurde. Jedoch hange von diesem „Kraftespiel“ dieser Widerstande der Erfolg der Behandlung ab.
Ubertragung wurde im Sinne Freuds also eher im Sinne einer Ein-Personen-Psychologie begriffen. Lange Zeit dauerte es, um ihr ein dynamisches Verstandnis im Sinne einer Zwei- Personen-Psychologie abzuringen. Einer der Ersten, der zu diesem Verstandnis beitrug, war Sandor Ferenczi. Im Zuge der angestrebten zeitlichen Verkurzung von Behandlungen, sah sich Ferenczi veranlasst, das traditionell passive Verhalten des Analytikers zu aktivieren. Die enge Freundschaft zwischen Freud und dem ungarischen Psychoanalytiker litt unter den technischen Neuerungen Ferenczis, welche Freud als Verrat an der Tiefenpsychologie einschatzte. Tatsachlich ist die aktive Technik heutzutage weltweit verbreitet. (Harmat, 1988)
Ferenczi war einer der ersten Psychoanalytiker, der den Mut hatte, sich offen und ausfuhrlich mit dem jener Zeit fur Psychoanalytiker heiklen Thema der Gegenubertragung zu befassen. Im Zuge dessen trug er maBgeblich zu einem praktischeren Verstandnis der therapeutischen Beziehung zwischen Analytiker und Analysand bei. Dabei kam dem Therapeuten eine deutlich aktivere Position zu: Die Rolle, welche dem Therapeuten in der Ubertragung uberstulpt wurde, sollte von diesem nun zu einem gewissen Grade erfullt werden. Die Wahrnehmung der Gegenubertragungsgefuhle sollten ein besseres Verstandnis der Ubertragung ermoglichen.
Im Gegensatz zu Freud verstand er unter dem Bewaltigen der Gegenubertragung nicht die Vorstellung, man konne die Gegenubertragung als solches nicht wahrnehmen, indem man sie unterdruckt. Viel mehr wird hierbei der positive Nutzen der Gegenubertragung betont, insofern man sie bewusst fuhlt, wahrnimmt und auch aushalt (Harmat, 1988).
Freud erschien die Gegenubertragung zunachst der Widerstand gegen die Therapie auf Seiten des Therapeuten zu sein, weshalb diese lange hinderlich fur die Therapie anmutete. Nimmt der Therapeut jedoch dieses Geschehen in sich war, so kann er daran ablesen, welche Unbewussten Einstellungen der Patient ihm hier entgegenbringt. Daher wird die Gegenubertragung als analytische Technik immer dann sinnvoll, wenn sie dem Therapeuten bewusst ist. Wird der Analytiker von den Gegenubertragungsgefuhlen, die ein Patient in ihm auslost, mitgerissen, so fugt er sich wehrlos in die ihm durch die Ubertragung des Patienten auferlegte Rolle. Genau das sollte nicht passieren, weshalb ich an dieser Stelle noch einmal die besondere Wichtigkeit der Lehranalyse eines jeden Analytikers betonen mochte. Das Bewusstsein um die eigene infantile Neurose ist die Basis des Uberwindens von Gegenubertragungswiderstanden. Das Durchbrechen dieser Widerstande heiBt ebenso das Bewusstwerden der zugewiesenen Rolle. Das Mitspielen dieser Rolle zu einem gewissen Grade, soll nach Firenczi das Verstandnis der Ubertragung des Analysanden unterstutzen. Die Gefuhle die der Therapeut erlebt, konnen nun genutzt werden, um auf die Ubertragung des Patienten zu schlieBen und mit Voranschreiten der Therapie diese zu Deuten.
[...]
- Quote paper
- Michael Rauch (Author), 2016, Ein Konzept in stetiger Veränderung? Ein Essay zur Übertragung und Gegenübertragung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039413
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.