Die Arbeit beleuchtet die Selbstanzeige nach § 371 AO. Dieser hebt sich im deutschen Strafrecht durch seinen Ausnahmecharakter hervor, wonach ein Steuerpflichtiger strafrechtlich nicht verfolgt wird, obwohl er den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO erfüllt hat. Damit die Selbstanzeige auch eine strafbefreiende Wirkung entfaltet, muss der Steuerpflichtiger vollständige und richtige Angaben, mithin also "reinen Tisch" machen, worauf in der Arbeit näher einzugehen sein wird.
Damit stellt die in Aussicht gestellte "Wohltat", durch die Selbstanzeige eine Strafbefreiung zu bekommen, den Steuerpflichtigen vor einer folgen- schweren Entscheidung, die aufgrund der Komplexität der Materie gründlich durchdacht sein muss. Mit welchen Risiken und Fallstricken die Abgabe einer Selbstanzeige verbunden ist, kann nicht zuletzt an den prominenten Fällen wie Uli Hoeneß und Alice Schwarzer nachjustiert werden, was sich auch letztlich durch den steten Rückgang der Selbstanzeigen abzeichnet.
Gleichwohl gewinnt das Institut der Selbstanzeige, auch dank der internationalen Zusammenarbeit noch mehr an Bedeutung und dürfte aktueller sein als je zuvor. Eingebettet in dem "Common Reporting Standard" (CRS) sowie im Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen (FKAustG), kommt der Fiskus an Daten von Steuerbürgern. An dem automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten nehmen zurzeit 109 Staaten teil, die Auslandskonten ihrer Bürger auswerten.
Bevor das Institut der Selbstanzeige unter Lupe genommen wird, ist auf die wesentlichen Aspekte der Steuerhinterziehung nach § 370 AO einzugehen. Sodann werden die positiven und negativen Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige eingehend erläutert. Dabei wird das Verhältnis zu anderen Vorschriften, insbesondere zum Strafverfolgungshindernis des § 398a AO näher behandelt. Auf die Folgen einer strafbefreienden Selbstanzeige wird ebenfalls eingegangen.
A. Inhaltsverzeichnis
A. Inhaltsverzeichnis
B. Abkürzungsverzeichnis
C. Literaturverzeichnis
D. Vorwort
E. Allgemeines zur Steuerhinterziehung
1. Objektiver Tatbestand der Steuerhinterziehung
2. SubjektiverTatbestand der Steuerhinterziehung
F. Die strafbefreiende Selbstanzeige
1. Historische Entwicklung der Selbstanzeige
2. Novellierungzum 28.4.2011
3. Novellierungzuml.1.2015
a) Sinn und Zweck der Regelung
b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
c) Rechtsnatur des§371 AO
(1) Persönlicher Strafaufhebungsgrund
(2) Unbeachtlichkeit subjektiver Umstände
4. Die Selbstanzeigevorschrift im Verhältnis zu anderen Normen
a] Abgrenzung zu§ 153 AO
b] Abgrenzungzu§ 24StGB
c] Abgrenzung zu § 46a StGB
d] Verhältnis zu § 398a AO
5. Voraussetzungen einer wirksamen strafbefreienden Selbstanzeige
a] Positive Wirksamkeitsvoraussetzungen des §371 Abs.l AO
b] Die Berichtigungserklärung und Nachholung gern. §371 Abs.l AO
c] FormderSelbstanzeige
d] Anforderungen an den Inhalt
e] DasVollständigkeitsgebot
f] Die Person des Anzeigenerstatters
g] Adressat der Selbstanzeige 3
h] Widerruf der Selbstanzeige und die daraus resultierten Folgen
i] Die fristgerechte Nachentrichtung gemäß § 371III AO
6. Die Ausschlussgründe gemäß § 371 Abs.2 AO
a] Grundgedanke der Regelung
b] Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.l Bst. a] - Bekanntgabe der Prüfungsanordnung
c] Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.l Bst. b
d] Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.l Bst. c
e] Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.l Bst. d
f] Nachschau-Tatbestände gemäß § 371 Abs.2 Nr.l e]
g] Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.2 - Tatentdeckung
(lj ObjektiveVoraussetzungen
(2] SubjektiveVoraussetzungen
(3) Teilentdeckung
(4) Identifizierbarkeit des Täters
h) Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.3 - Hinterziehungsbetragvon mehr als 25.000 EUR
i) Ausschlussgrund des § 371II S.l Nr.4 - Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall
7. Wirkungen und Folgen einer Selbstanzeige
a) Die strafverfahrensrechtlichen Folgen einer Selbstanzeige
b) Steuerrechtliche Konsequenzen einer Selbstanzeige
c) Geltung des Verwendungsverbotes aus § 393 II S.l AO für die Angaben in der Selbstanzeige
d) Folgen einer unwirksamen Selbstanzeige
8. Die Fremdanzeige gemäß § 371 Abs.4
G. Kritische Betrachtung und Ausblick
B. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
c. Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
D. Vorwort
Die Selbstanzeige nach § 371 AO hebt sich im deutschen Strafrecht durch seinen Ausnahmecharakter hervor, wonach ein Steuerpflichtiger strafrechtlich nicht verfolgt wird, obwohl er den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO erfüllt hat. Damit die Selbstanzeige auch eine strafbefreiende Wirkung entfaltet, muss der Steuerpflichtiger vollständige und richtige Angaben, mithin also „reinen Tisch " machen, worauf in der vorliegenden Arbeit näher einzugehen sein wird. Damit stellt die in Aussicht gestellte „Wohltat", durch die Selbstanzeige eine Strafbefreiung zu bekommen, den Steuerpflichtigen vor einer folgenschweren Entscheidung, die aufgrund der Komplexität der Materie gründlich durchdacht sein muss. Mit welchen Risiken und Fallstricken die Abgabe einer Selbstanzeige verbunden ist, kann nicht zuletzt an den prominenten Fällen wie Uli Hoeneß und Alice Schwarzer nachjustiert werden, was sich auch letztlich durch den steten Rückgang der Selbstanzeigen abzeichnet.
Gleichwohl gewinnt das Institut der Selbstanzeige, auch dank der internationalen Zusammenarbeit noch mehr an Bedeutung und dürfte aktueller sein als je zuvor. Eingebettet in dem „Common Reporting Standard" (CRS) sowie im Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen (FKAustG), kommt der Fiskus an Daten von Steuerbürgern. An dem automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten nehmen zurzeit 109 Staaten teil1, die Auslandskonten ihrer Bürger auswerten.
Nach Erhebungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhielten die Steuerbehörden dieser Länderfür das Jahr 2020 Einblicke in 84 Millionen Finanzkonten, die ihre Gebietsansässigen im Ausland eingerichtet hatten - mit einem Gesamtvermögen von zehn Billionen Euro.1
Dieser Erfolg basiert auf einem durchdachten Verfahren, das im praktischen Handbuch derOECD beschrieben ist.2 Nationale Finanzbehörden melden Daten zu sämtlichen Vermögen von Steuerausländern, die auf Bankkonten oder Wertpapier- und Lebensversicherungsdepots liegen, an den Fiskus der jeweiligen Heimatländer. Neben Namen, Adresse, Geburtsdatum, Steuer-ID und Kontonummern ausländischer Bankkunden sind es die Jahresendsalden von Zins- und Dividendeneinnahmen sowie Erlöse aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien, Anleihen, Fonds und anderen Wertpapieren.3
Diese Entwicklung ist nicht nur daran zu sehen, dass sich auch Länder wie die Türkei nunmehr bereit erklären, an dem AIA teilzunehmen, die Millionen Bundesbürger türkischer Abstammung betreffen könnte, sondern auch internationale Unternehmen wie airbnb, die nun die Daten von Steuerpflichtigen Vermietern bekanntgeben, die ausländische oder auch inländische Einkünfte aus Vermietungen nicht erklärt haben.
Ausgangspunkt einer jeden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht ist eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO. Bevor das Institut der Selbstanzeige unter Lupe genommen wird, ist daher auf die wesentlichen Aspekte der Steuerhinterziehung nach § 370 AO einzugehen. Sodann werden die positiven und negativen Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige eingehend erläutert. Dabei wird das Verhältnis zu anderen Vorschriften, insbesondere zum Strafverfolgungshindernis des § 398a AO näher behandelt. Auf die Folgen einer strafbefreienden Selbstanzeige wird ebenfalls eingegangen. Abschließend wird die vorliegende Arbeit im Hinblick auf die ursprüngliche Zwecksetzung und derzeitige Entwicklung einer kritischen Betrachtung unterzogen.
E. Allgemeines zur Steuerhinterziehung
Um die Hintergründe der strafbefreienden Selbstanzeige nachzuvollziehen, sind zunächst die grundlegenden Fragen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO zu erforschen. Hierbei stellt sich die Frage, warum es den Tatbestand der Steuerhinterziehung überhaupt gibt und welches Rechtsgut er schützt.
Dabei ist die Rechtsgutsbestimmung teilweise umstritten. Die Rechtsprechung nennt als Rechtsgut den Anspruch des Staates auf den vollen Ertrag aus jeder einzelnen Steuerart4 oder das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen jeder einzelnen Steuer- bzw. Steuerart.5 Eine sachliche Differenzierung zwischen den beiden Formulierungen besteht nicht.6
Diese Rechtsgutbestimmung wird von der h. L. im Wesentlichen geteilt.7 Gleichwohl wird jedoch auf das Steueraufkommen im Ganzen abgestellt.8 Dies könnte jedoch zu einer ungerechten Lastenverteilung führen. Denn die Strafwürdigkeit der Steuervergehen folgt nicht nur aus einem Ungehorsam gegenüber dem Staat, sondern auch aus der damit verbundenen Schädigung der ehrlichen Steuerzahler.9 Eine gerechte
Steuerverteilung ist nur möglich, wenn gewährleistet ist, dass der Staat die geschuldeten Steuern ebenso gegenüber den anderen durchsetzt. Daher ist im Interesse eines jeden ehrlichen Steuerzahlers, dass der Staat sämtliche Maßnahme trifft, damit alle Steuerpflichtigen ihren gesetzlichen Lastenanteil tragen. § 370 AO schützt damit eine gerechte und gleichmäßige Lastenverteilung.10
Insgesamt besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass die Steuerhinterziehung ein Vermögensdelikt ist.11 § 370 Abs.l AO verlagert die Strafbarkeit jedoch insoweit vor, als der Tatbestand keine Rechtsgutsverletzung im Sinne eines Vermögensschadens voraussetzt.12 Es kommt also nicht auf die tatsächliche Beeinträchtigung des Steueraufkommens an, sondern auf eine Gefährdung der Durchsetzung des Steueranspruchs im Sinne des § 370 Abs.4 AO.13 § 370 Abs.4 S.l AO lässt den tatbestandli- chen Erfolg bereits eintreten, wenn die Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt sind.
Dabei bleibt für die Vollendung des Delikts irrelevant, ob dem Staat durch die unrichtige oder unterbliebene Steuerfestsetzung letztlich tatsächlich ein Steuerschaden entstanden ist.14 Dies wird gemäß § 370 Abs.4 S.3 AO in Gestalt des sog. Kompensationsverbots deutlich. Dabei ist es ohne Bedeutung, wenn die Steuer, die sonst ohne Verkürzungshandlung festgesetzt worden wäre, aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden müssen.15 Folge ist also, dass nachträglich geltend gemachte Ermäßigungsgründe, die steuerlich als neue Tatsachen gern. § 173 Abs.l AO zu berücksichtigen sind, für den Hinterziehungserfolg außer Betracht bleiben. Diese häufig als ungerecht empfundene Regelung wird damit begründet, dass der Täter Tatsachen, die er zu seinen Gunsten unterdrückt hat, nicht durch andere Tatsachen ausgleichen dürfen soll, die - hätte er sie der Steuerbehörde vorgetragen - eine niedrigere Festsetzung des Steueranspruchs begründet hätten.16 Unterfallen steuermindernde Umstände dem Kompensationsverbot, so sind diese im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Täters zu berücksichtigen. Im Rahmen der Strafzumessung greift das Kompensationsverbot nicht, da insoweit nur die verschuldeten Auswirkungen der Tat entscheidend sind.17 Wiegen die steuermindernden Tatsachen - einschließlich derjenigen, die dem Kompensationsverbot unterfallen - und die verschwiegenen steuererhöhenden Faktoren sich gegenseitig auf, kann dies gegen das Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes sprechen, der Steuerpflichtige würde dann möglicherweise einem Tatbestandsirrtum unterliegen.18
1. ObjektiverTatbestand derSteuerhinterziehung
Als Täter einer Steuerhinterziehung kommt jeder in Betracht, der die Tatbestandsmerkmale des § 370 erfüllt. Das muss nicht der Steuerschuldner sein.19 Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun kann also jeder sein, der auf die Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung der geschuldeten Steuer einwirken kann.
Wer den steuerlichen Verkürzungserfolg durch die Abgabe von Erklärungen gegenüber den Finanzämtern herbeiführt, macht sich mit entsprechenden falschen Erklärungen strafbar, auch wenn er nicht erklärungspflichtig ist.20
Dem Begehungstatbestand stellt § 370 Abs.l Nr.2 AO gleich, wenn die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden.
Dabei muss jedoch bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen über das Merkmal der Pflichtwidrigkeit die Verletzung einer Pflicht zur Offenbarung gegenüber den Finanzbehörden hinzutreten.21 Damit können sich auch als Mittäter nur Personen strafbar machen, denen selbst steuerliche Erklärungspflichten bzw. Verwendungspflichten im Sinne des § 370 Abs.l Nr. 2 und Nr.3 AO obliegen.22 Die Ansicht, § 370 Abs.l Nr.2 AO könne nicht nur vom Steuerpflichtigen und Personen, denen sonst in den Steuergesetzen steuerliche Erklärungspflichten auferlegt sind, verwirklicht werden, sondern grundsätzlich von „jedermann", spielteine untergeordnete Rolle.23 Daher dürfte von der Annahme einer ungeschriebenen Garantenpflicht im Sinne des § 13 StGB zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.
2. SubjektiverTatbestand derSteuerhinterziehung
Die Steuerhinterziehung kann nur vorsätzlich im Sinne des § 15 StGB begangen werden.24 Die fahrlässige Begehung der Steuerhinterziehung ist nicht strafbar. Sie stellt jedoch eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO dar.25 Als Vorsatz gilt das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.26 Dazu muss der Täter die nach Gegenstand, Zeit und Ort bestimmte Handlung in allen wesentlichen Beziehungen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten der Ausführung in seine Vorstellung und in seinen Willen aufgenommen haben.27 Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes. Es genügt, wenn der Täter die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Handelt der Täter nur bedingt vorsätzlich, so wirkt sich das gemäß § 46 Abs.2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu seinen Gunsten aus.28 Der Vorsatz wird aber gemäß § 369 Abs.2 AO i.V.m. § 16 Abs.l S.l StGB ausgeschlossen, wenn der Täter auch nur über ein Merkmal des jeweiligen Tatbestands des § 370 Abs.l AO irrt. In diesem Fall verbleibt nur die Möglichkeit einer Bestrafung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 378 AO.
F. Die strafbefreiende Selbstanzeige
1. Historische Entwicklung der Selbstanzeige
Auch wenn das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige in den letzten zehn Jahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und ihre Rechtfertigung Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen geworden ist, so ist doch festzustellen, dass die Möglichkeit der Selbstanzeige in Form der nachträglichen Erklärung steuererheblicher Tatsachen und evtl. Nachentrichtung vorenthaltener Steuerzahlungen keine Neuheit im Steuerstrafrecht ist.29
Schon die Partikulargesetze im 19. Jahrhundert enthielten Regelungen, die eine strafbefreiende Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ermöglichten.30 Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen bestanden insbesondere hinsichtlich der Anforderungen, die an die Freiwilligkeit der Selbstanzeige gestellt wurden, sowie dahingehend, ob Sperrgründe vorgesehen waren, die einer Strafbefreiung entgegenstanden.31 Hintergrund der Regelung sollte die Erschließung solcher Steuerquellen sein, die sonst der Finanzbehörde verborgen blieben, zugleich sollte ein Appell zur Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ergehen.32 Hintergrund war of- fenbarauch die Hilflosigkeit der Finanzbehörde bei der Aufdeckung von Steuerhinterziehungen.33 Mit Schaffung der Reichsabgabenordnung (RAO) vom 13.12.1919 wurden die diversen Vorläufer-Normen erstmalig in § 374 RAO zu einer allgemeinen reichseinheitlichen Vorschrift über Straffreiheit im Steuerstrafrecht zusammengefasst.34
In der Abgabenordnung vom 16.03.197635 wurde die Selbstanzeige in § 371 normiert und erfuhr bis 2011 keine Veränderungen.36
2. Novellierungzum 28.4.2011
Durch Art. 2 des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes v. 28.4.2011, welches mit Wirkung zum 3.5.2011 in Kraft trat, erfuhren § 371 Abs.l und Abs.2 AO eine weitreichende Änderung und Verschärfung.37 Ausdrückliches Ziel der Gesetzesneufassung war, für die Zukunft das planvolle Vorgehen von Steuerhinterziehern nicht mehr mit Strafbefreiung zu belohnen.38 So sollte vermieden werden, dass die Selbstanzeige als Teil einer Hinterziehungsstrategie bewusst eingesetzt werden kann.39
Die Möglichkeit materiell-rechtlicher Strafaufhebung wurde auf einen 50000 EUR nicht übersteigenden Hinterziehungsbetrag beschränkt.
War dieser höher, sah § 398a lediglich die Möglichkeit vor, das Verfahren gegen Zahlung eines Aufschlags von 5 % einzustellen.40 Durch die Neufassung des § 371 Abs.l AO wurde die Teilselbstanzeige per Gesetz abgeschafft und der Umfang der nachzuerklärenden Taten auf die vollständige Berichtigung sämtlicher unverjährter Steuerstraftaten einer Steuerart ausgedehnt. Im Übrigen wurden auch die sog. Sperrgründe verschärft. Neu war beispielsweise der Sperrgrund des Abs.2 Nr.l Bst. a, der eine Selbstanzeige bei Bekanntgabe einer steuerlichen Außenprüfung ausschließt.41 Problematisch ist hier die ausdrückliche Beschränkung des Sperrgrundes auf die Bekanntgabe gegenüber dem Täter oder seinem Vertreter, die z.B. die praktisch relevante Konstellation nicht erfasst, dass eine steuerpflichtige juristische Person Adressat der Prüfungsanordnung, aber nicht Täter einer Steuerhinterziehung sein kann.42
3. Novellierungzuml.1.2015
Bereits zum 1.1.2015 wurde die Selbstanzeige durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 erneut reformiert.43 Erklärtes Ziel des Gesetzgebers der Neuregelung war die noch konsequentere Verfolgung von Steuerhinterziehung, die durch eine weitere deutliche Verschärfung der Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige und der Vorschriften zum Absehen von Strafverfolgung nach § 398a AO erreicht werden sollte.44 Der Grenzbereich für die materiell-rechtliche Straffreiheit wurde auf 25000 EUR gesenkt. Zugleich wurde ein weiterer Sperrgrund in Abs.2 S.l Nr.4 für die benannten besonders schweren Fälle in § 370 Abs.3 S.2 Nr.2-5 eingeführt, beides verbunden mit einer signifikanten Erhöhung des Strafzuschlags im Rahmen des § 398a Abs.l Nr.2, dessen Zahlung Voraussetzung fürdie prozessuale Einstellung ist.45
Besonderer Schwerpunkt dieser Reform war die Erweiterung des Berichtigungsverbundes. So führte der Gesetzgeber mit Abs.l S.2 eine eigenständige Frist „der letzten zehn Kalenderjahre" ein.46 Für den praktisch wichtigen Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen wurde durch die Einführung des Abs.2a in begrenztem Umfang wieder eine Teilselbstanzeige möglich.47 Zudem wurde gemäß § 371 Abs.2 S.l Nr.l Bst. a und c der sachliche Umfang des Sperrgrundes „Außenprüfung" auf den Inhalt der Prüfungsanordnung bzw. den Umfang der Prüfung beschränkt.
a) SinnundZweckderRegelung
Der Sinn und Zweck und damit einhergehend die Rechtfertigung der strafbefreienden Selbstanzeige sind einerseits in der fiskalpolitischen Erwägung zu sehen, dem Staat bisher verborgene Steuerquellen zu erschließen, und andererseits in dem kriminalpolitischen Aspekt, dem Steuerhinterzieher einen Anreiz und einen Weg zu bieten, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren.48
Der fiskalische Zweck der strafbefreienden Selbstanzeige liegt darin, dem Staat zur Mehrung der Steuereinnahmen durch bisher unbekannte Steuerquellen zu verhelfen.49 Durch die Schadenswiedergutmachung wird das Erfolgsunrecht im Sinne eines Ausfalls des Fiskus beseitigt.50 Das Unrecht, das in der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung bzw. in der Nichtabgabe einer Steuererklärung zu sehen ist, wird erst dadurch beseitigt, indem der Steuerpflichtige seinen sich aus den Einzelsteuergesetzen ergebenden Verpflichtungen nachkommt.51
b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Verfassungsrechtlich dürfte das Rechtsinstitut der Selbstanzeige unbedenklich sein.52 Begründet wird dies damit, dass als Ausgleich für die strafbewährte Pflicht des Steuerpflichtigen sämtliche steuerlich erhebliche Umstände vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen, könne der Steuerpflichtige hinsichtlich der Steuerstraftaten nach § 371 AO Straflosigkeit erreichen und werde vor der Verwertung von Umständen hinsichtlich anderer Straftaten nach § 393 Abs.2 S.l AO geschützt.53
Die ganz überwiegende Auffassung hat sich dieser Ansicht angeschlossen und betrachtet das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige als verfassungskonform.54
Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen solchen Rechtsgutsverletzungen, die reparabel sind, und solchen, die nicht reparabel sind.55 Nur bei reparablen Rechtsgutsverletzungen, also bei Eigentums- und Vermögensschäden, stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz der Schadenswiedergutmachung.56 Soll Strafrecht ultima ratio bleiben, gibt es gerade aus strafrechtlicher Perspektive gute Gründe, auf die Sanktionierung zu verzichten.57
Weiterhin liegt es im Interesse der Allgemeinheit, bisher verborgene Steuerquellen für den Fiskus zu erschließen. Weitere angeführte Gründe sind die Zahlung der Steuer, Besserung der Steuermoral und Wirksamkeit des Anreizes zur nachträglichen Entrichtung hinterzogener Beträge. Das Institut der Selbstanzeige bietet mithin einen Ausgleich für die dem Steuerpflichtigen auferlegten Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten.58
Es ist sogar die Frage aufzuwerfen, ob § 371 vielleicht verfassungsrechtlich geboten ist. Ansonsten könnten die Erklärungs- und Offenbarungspflichten gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz verstoßen.59 Der Steuerpflichtige muss seinen steuerrechtlichen Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten nachkommen, auch wenn er sich damit selbst einer Steuerstraftat bezichtigt, aber wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 371 Strafaufhebung eintritt.60 Die Selbstanzeige bietet also einen Ausweg aus der Zwangslage des Steuerpflichtigen, seinen steuerrechtlichen - strafbewehrten - Pflichten nachkommen zu müssen, ohne die Grundlagen seiner eigenen Bestrafung liefern zu müssen. Konkret müsste der Steuerpflichtige sich andernfalls aufgrund der wiederkehrenden Verpflichtung, Steuererklärungen in den Jahreserklärungen anzugeben, selbst belasten, wenn er Einkünfte erklärt, die schon in den vorherigen Steuererklärungen hätten angegeben werden müssen.61 Die Alternative wäre ein umfassendes Verwendungsverbot hinsichtlich der steuerlichen Angaben. Dies wäre für den Steuerpflichtigen sogar günstiger, da er bei der Selbstanzeige grundsätzlich nur dann eine Strafaufhebung erlangt, wenn er die Steuer fristgerecht nachzahlt.62 Daher stellt die Selbstanzeige die Gewährung eines Mindeststandards an Rechtsstaatlichkeit im Steuerstrafverfahren dar und keinesfalls ein Geschenk für den Täter eines Kavalierdelikts.63
Größtenteils besteht jedenfalls Konsens darüber, am Institut der Selbstanzeige festzuhalten.64 Eine Abschaffung dieser Regelung würde bedeuten, dass viele Fälle der Steuerhinterziehung unentdeckt blieben und das Steueraufkommen dadurch insgesamt verringert werden würde.65
Der Sinn und Zweck der Selbstanzeige, neue Steuerquellen zu erschließen und die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zu ermöglichen, sowie die im Steuerstrafrecht bestehende Konfliktsituation zwischen steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten und dem Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung im Strafverfahren gebieten ein Festhalten an dem Rechtsinstitut.66
c) Rechtsnatur des §371 AO
Die Selbstanzeige stellt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar.67
(1) Persönlicher Strafaufhebungsgrund
Grundsätzlich kommt die Selbstanzeige also nur dem Täter oder Teilnehmer zugute, der sie erstattet und der die sonstigen Voraussetzungen des § 371 AO in seiner Person erfüllt.68 Da es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt, sind die Voraussetzungen des § 371 AO bei jedem Beteiligten selbständig zu prüfen.69
(2) Unbeachtlichkeit subjektiver Umstände
Es kommt ausschließlich auf das objektive Vorliegen der positiven bzw. negativen Voraussetzungen des § 371 AO an. Ein Irrtum des Anzeigenden über einen Tatumstand des § 371 AO (zB über das Entdecktsein der Tat) ist unbeachtlich und schließt die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige nicht aus.70 Ebenso kommt es auf ein Verschulden eines beauftragten Vertreters oder auf das Unvermögen zur fristgerechten Nachzahlung der Steuer nicht an.71
Prozessual hat die Rechtsnatur als Strafaufhebungsgrund zur Foge, dass in der Hauptverhandlung das Eingreifen des § 371 AO zum Freispruch des Täters bzw. Teilnehmers führt.72 Schließlich gelten das Gesetzlichkeitsprinzip, insbesondere der Bestimmtheitsgrundsatz und das Analogiegebot gemäß Art. 103 Abs.2 GG73 sowie der Grundsatz „in dubio pro reo .
Aufgrund des Analogieverbots ist eine erweiternde Auslegung der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 371 Abs.2 AO zulasten des Täters unzulässig.74
4. Die Selbstanzeigevorschrift im Verhältnis zu anderen Normen
a) Abgrenzung zu § 153 AO
§ 371 AO und § 153 AO regeln die nachträgliche Korrektur einer unrichtigen oder unterlassenen Steuererklärung.75 § 153 verpflichtet den Steuerpflichtigen zu einer Berichtigung, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Fehlerhaftigkeit der Erklärung erkennt und er die Erfüllung des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung vermeiden will.76 Kommt der Steuerpflichtige seiner Anzeigepflicht nicht nach, kann er sich einer Steuerhinterziehung oder einer versuchten Steuerhinterziehung durch Unterlassen gern. § 370 Abs.l Nr.2 AO schuldig machen.77
§ 371 hingegen eröffnet als Strafaufhebungsgrund die Möglichkeit, bei Vorliegen seiner Voraussetzungen auch nach Vollendung der Steuerhinterziehung durch Korrektur Straffreiheit zu erlangen.78 Wenn sämtliche Voraussetzungen des § 371 erfüllt sind, die Sperrgründe nach § § 371 Abs.2 nicht vorliegen und die erforderliche Nachzahlung gemäß § 371 Abs.3 fristgerecht geleistet worden ist, führt dies unabhängig von der Bezeichnung der Erklärung immer zur Strafaufhebung.79
Kannte der Steuerpflichtige bereits ursprünglich die Unrichtigkeit seiner Erklärung, greift § 153 seinem Wortlaut nach nicht ein; eine Berichtigung kann also nur noch in Form der Selbstanzeige in Betracht kommen.80 Verwirklicht der Steuerpflichtige den Tatbestand der Steuerhinterziehung mit dolus eventualis, wird von der Anwendbarkeit des § 153 AO ausgegangen.81 Konsequenz wäre, dass dann zwar nur hinsichtlich des § 153 eine direkte Pflicht, zugleich jedoch eine einer Pflicht nahekommende Obliegenheit zur Selbstanzeige entsteht.82
Dies bedeutet, dass es nicht genügt, allein die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der ursprünglichen Steuerhinterziehung anzuzeigen.83 Vielmehr muss bereits unmittelbar eine Richtigstellung, also eine Übermittlung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen erfolgen.84 Hinsichtlich der in der Berichtigungserklärung zu offenbarenden Tatsachen soll dann, wenn eine wirksame Selbstanzeige wegen der Steuerhinterziehung nicht mehr möglich ist, ein Beweisverwertungs- oder Verwendungsverbot greifen, um dem verfassungsrechtlich verankerten Nemo- tenetur-Grundsatz Rechnung zu tragen.85
b) Abgrenzung zu § 24 StGB
Die Abgrenzung der Rechtsinstitute Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB und strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, insbesondere das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander ist umstritten.86 Da eine Selbstanzeige gern. § 371 AO auch beim Versuch der Steuerhinterziehung strafbefreiend wirkt, stellt sich die Frage, ob daneben auch der allgemeine Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch gern. § 24 Anwendung findet oder ob § 371 AO als lex specialis § 24 StGB verdrängt.87
Zunächst wird in gebotener Form auf das Institut des Rücktritts vom Versuch eingegangen.
Nach § 24 StGB wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern. Weiterhin ist zwischen dem unbeendeten und beendeten Versuch zu unterscheiden.
Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter glaubt, zur Verwirklichung des Tatbestandes noch weitere Handlungen zu bedürfen. Es genügt demnach, wenn der Täter die weiteren Tätigkeitsakte unterlässt.
Maßgeblich für die Abgrenzung ist die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.88 Beendet ist hingegen ein Versuch, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung desTatbestandes Erforderliche getan zu haben.
In allen Konstellationen ist die Freiwilligkeit des Täters erforderlich. Fehlt es an der Freiwilligkeit, greift § 24 Abs.l StGB tatbestandlich in keiner Alternative. Freiwillig gibt der Täter die weitere Ausführung der Tat auf, wenn er ihr ursprüngliches Ziel noch für erreichbar hält, die Tatvollendung aber aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will.89
Beide Rechtsinstitute knüpfen an unterschiedliche gesetzliche Voraussetzungen an und verfolgen unterschiedliche gesetzgeberische Zielsetzungen; so erfordert der Rücktritt nach § 24 StGB objektiv keine Selbstanzeige, subjektivjedoch explizit Freiwilligkeit.90
§ 371 AO unterscheidet sich von § 24 StGB im Wesentlichen dadurch, dass er die Möglichkeiten, durch Rückkehr zur Steuerehrlichkeit, Straffreiheit zu erlangen, aus fiskalischen Gründen wesentlich erweitert.91 Das bedeutet, dass die Straffreiheit auch dann gegeben ist, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg bereits eingetreten ist. Damit wird quasi der Rücktritt vom vollendeten Delikt ermöglicht. Zudem setzt § 371 AO in subjektiver Hinsicht nichtvoraus, dassderTäterfreiwilliggehandelt hat.
Dennoch stehen beide Vorschriften selbständig nebeneinander, so dass auch § 24 StGB auf den Versuch einer Steuerhinterziehung Anwendung findet und nicht durch § 371 AO als lex specialis verdrängt wird.92
Daher kommt vor Vollendung einer Steuerhinterziehung grundsätzlich ein Rücktritt vom Versuch durch Nachreichen einer zutreffenden Steuererklärung auch dann noch in Betracht, wenn in Geschäftsräumen bereits eine Außenprüfung durchgeführt wird und sowohl die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung als auch das Erscheinen des Prüfers nach § 371 Abs.2 Nr.l Bst. a und Nr.l Bst. c der strafaufhebenden Wirkung einer Selbstanzeige entgegenstehen.93
Praktisch wird es aber in derartigen Situationen an der für die Strafaufhebung erforderlichen Freiwilligkeit des Rücktritts fehlen.94
Ein unbeendeter Versuch, bei dem derTäterschon durch freiwillige Aufgabe der weiteren Ausführung Straffreiheit erlangt, ist bei der Steuerhinterziehung die Ausnahme, da der Versuch in aller Regel mit der Abgabe der unrichtigen Steuererklärung beendet ist.95 Hat der Täter den Versuch der Hinterziehung beendet, muss er die Vollendung der Tat verhindern.
Überschneidungen mit dem dann anwendbaren § 24 Abs.l S.l Alt.2 StGB sind möglich, werden aber kaum praktisch relevant. Denkbar ist, dass der Täter von der versuchten Hinterziehung vor ihrer Vollendung zurücktritt, indem er den zuständigen Amtsträger vor Festsetzung der Steuer über unrichtige Angaben in der Steuererklärung informiert, ohne die Angaben zugleich im Sinne des § 371 zu berichtigen.96
Von Bedeutung ist darüber hinaus, dass der Rücktritt kein Vollständigkeitserfordernis enthält. Daher ist ein Rücktritt von einer einzelnen versuchten Steuerhinterziehung möglich, ohne dass weitere Steuerhinterziehungen offenbart werden müssen.97 Sofern eine Selbstanzeige wegen einer inzwischen eingetretenen Sperre aus § 371 Abs.2 ausgeschlossen ist, fehlt es für den Täter, der den Ausschlussgrund kennt, an der Freiwilligkeit.98 Umgekehrt ist aber § 371 AO immer auch auf den Versuch der Steuerhinterziehung anwendbar, was bei Fehlen der Freiwilligkeit noch die Möglichkeit der Strafaufhebung eröffnen könnte.99
c) Abgrenzung zu § 46a StGB
Während § 371 AO eine zwingende Rechtsfolge, nämlich die Aufhebung der Strafbarkeit enthält, gibt § 46a StGB dem Gericht die Möglichkeit, nach seinem Ermessen von Strafe abzusehen oder ggf. die Strafe zu mildern.100 § 46 a StGB findet über § 369 Abs.2 AO auch im Steuerstrafrecht Anwendung.101 Diese Norm eröffnet für derartige Fälle, in denen die Selbstanzeige scheitert, insbesondere weil sie aufgrund eines Sperrgrundes ausgeschlossen ist oder die vollständige Berichtigung nicht gelingt, die Möglichkeit, das Nachtatverhalten des Täters - konkret die Wiedergutmachung bzw. das Bemühen darum - zumindest strafmildernd zu berücksichtigen.102 Allerdings ist lediglich § 46a Nr.2 StGB anwendbar. § 46a Nr.l StGB ist nicht einschlägig.103
d) Verhältnis zu § 398a AO
§ 398a a.F. wurde durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz im Jahr 2011104 eingeführt. Ausdrückliches gesetzgeberisches Ziel der Regelung war und ist, Steuerhinterzieher wirtschaftlich stärker als säumige Steuerpflichtige zu belasten.105 Der Anwendungsbereich des § 398a erschließt sich nur aus dem im Rahmen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eingeführten Sperrgrund des § 371 Abs.2 S.l Nr.3 a.F.106 Demnach trat - trotz einer im Übrigen wirksamen Selbstanzeige - keine Straffreiheit ein, wenn die verkürzte Steuer einen Betrag von 50.000 EUR überstieg. Damit auch in diesen Fällen einen Anreiz zu Selbstanzeige geschaffen wird, wurde § 398a a.F. eingefügt, der ein Absehen von Strafverfolgung vorsah, wenn zusätzlich zu der Zahlung der hinterzoge- nen Steuer innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist eine weitere Zahlung i.H.v. 5 % des Hinterziehungsbetrages erfolgte.107
Aufgrund des Wortlauts „Täter" war jedoch umstritten, ob die Norm auch auf den Teilnehmer einer Steuerstraftat anzuwenden war.108 Dabei war problematisch, dass der Sperrtatbestand des § 371 Abs.2 Nr.3 AO 2011 keine Einschränkung auf den Täter vornahm, sondern eine umfassende Sperrwirkung für den Täter und Teilnehmer entfaltete.109 Konsequenz wäre, dass eine Selbstanzeige des Teilnehmers gesperrt gewesen wäre, ohne dass er eine Möglichkeit auf ein Absehen von Strafverfolgung gehabt hätte. Dies hätte dazu geführt, dass der Teilnehmer einer Straftat schlechter gestanden hätte als der Täter.110
[...]
1 Börse Online, 21.01.2021, Nr. 3, S. 92 - 93
2 OECD (2020), Standard für den automatischen Austausch von Finanzinformationen in Steuersachen - Praktisches Handbuch - Zweite Ausgabe, OECD, Paris, http://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/imple- mentation-handbook-standard-for-automatic-exchange-of- financial-account-information-in-tax-matters.htm
3 Börse Online, 21.01.2021, Nr. 3, S. 92 - 93.
4 So bereits die Formulierung des RG, Urt.v. 23.5.1938 -3 D 257/38, RGSt 72 S. 184,186; BGH wistra 1989, 226 f.; BGH wistra 1998, 180.
5 BGH, Urt.v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08, BStBl 2009 II S. 934, BGHSt 53 S. 71, 80, Rn. 21; BGH, Urt. v. 9.4.2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58 S.218, 230, Rn. 62.
6 Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, 2012, S.37.
7 Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 370 AO Rn. 43 (11/2013); Rolletschke, in: Rol- letschke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 13 ff. (10/2013).
8 Ransiek, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar, § 370 AO Rn. 55 (10/2008); Joecks, in: Fran- zen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., 2009, § 370 Rn. 14.
9 So schon § 23 des Preußischen Klassensteuergesetzes vom. 6.12.1811, Preuß. Gesetz-Sammlung 1811, S. 361, 367.
10 Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, 2000, S. 97 f..
11 Joecks/Jäger/Randt-Joecks § 370 Rn. 26.
12 Joecks/Jäger/Randt-Joecks § 370 Rn. 26 f.
13 Joecks/Jäger/Randt-Joecks § 370 Rn. 26 f.
14 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 230.
15 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 230.
16 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 230.
17 BGH wistra 2012, 29, 37, juris Rn. 120; Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 363.
18 Vgl. BGH NStZ 1991, 89; wistra 2012, 29, 37, juris Rn. 121.
19 Vgl. BGHSt 23, 319, 322.
20 Vgl. BGH v. 5.9.2017 - 1 StR 198/17; Kohlmann-Ransiek § 370 Rn. 91.
21 BGH MDR 1987, 447 f.
22 BGHSt 48, 52; BGH NJW 2013, 2449, 2451, Rn. 52; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311.
23 BGHSt 58, 218 ff.; Joecks/Jäger/Randt.Joecks § 370 Rn. 237.
24 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 258.
25 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 258.
26 Vgl. BGHSt 36, 1, 9f.
27 Jäger/Klein § 370 Rn. 170.
28 Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Rn. 260.
29 vgl. Hüls/Reichling, § 371 Rn. 1.
30 Vgl. § 63 Abs.2 des Sächsischen Einkommenssteuergesetzes v. 22.12.1874 (GVB1.1874 S. 471): „Die Strafe der Hinterziehung tritt nicht ein, falls der Schuldige, bevor die Sache zur Untersuchung an das Gericht abgegeben ist, seine Angaben an der zuständigen Stelle berichtigt oder vervollständigt."
31 Hübschmann/Hepp/Spitaler-Beckemper § 371 Rn. 1.
32 Hüls/Reichling, § 371 Rn.2.
33 Joecks/Jäger/Randt-Joecks § 371 Rn.3.
34 Ransiek, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn.l.
35 Abgabenordnung vom 16.03.1976, BGBl. IS. 613. In Kraft getreten ist die AO am 1.1.1977.
36 Schmeer, Mareike, Die Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 1.1.2015, S.5 f.
37 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 14.
38 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 14.
39 Beschlussempfehlung und Berichtdes Finanzausschussesv. 16.3.2011, BT-Drucks. 17/5067 (neu).
40 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 371, Rn.7.
41 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 371, Rn.7.
42 NK-WSS-Habetha § 371AO Rn. 10.
43 BGBl. I 2014, 2415.
44 Begründung des Regierungsentwurfs v. 26.9.2014, BT-Drucks. 413/14, S. 1, 5.; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 15.
45 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 8.
46 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371AO Rn. 16.
47 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 8 f.
48 BGHSt 3, 373, 375; BGH wistra 1983,197; Rüping, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 371, Rn.13; Schmeer, Die Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 1.1.2015, S.18.
49 RGSt 57, 313 (315); BGHSt 12, 100 f,; BGH, NJW 1974 S. 2293; BGH wistra 1999, 28.
50 Stahlschmidt, Steuerstrafrecht, S.IOO Rn. 23.
51 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 30.
52 Vgl. BGH Urt. v. 13.5.1983, 3 StR 82/83 wistra 1983, 127 (127); BVerfG, Beschl. 28.6.1983, 1 BvL31/82, BVerfGE 64, 251 (255).
53 Vgl. BGH Urt. v. 13.5.1983, 3 StR 82/83 wistra 1983, 127 (127).
54 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, §371 AO Rn. 20; Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 3; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 37 AO Rn. 37; Wenzler, Die Selbstanzeige, § 1 Rn. 11; Kemper, in: Rolletscke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn.30.
55 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 44.
56 Joecks/Jäger/Randt-Joecks, § 371 Rn. 37.
57 Joecks//Jäger/Randt-Joecks, § 371 Rn. 37.
58 Hübschmann/Hepp/Spitaler-Beckemper § 371 Rn. 20; Kemper DStZ 2014, 832, 833.
59 Vgl. BVerfG, Beschl vom 21.04.1988 - 2 bvR 330/88; BGH NStZ 2011, 432, 435.
60 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 45.
61 Hübschmann/Hepp/Spitaler-Beckemper, § 371 Rn.21.
62 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 45.
63 vgl. Hüls/Reichling, § 371 Rn. 45.
64 Burwitz, NZG 2014, 494 (494 f.); Kemper, DStZ 2013, 538 (541 f.).
65 Kemper, DStR 2014, 928 (931).
66 Schmeer, Die Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 1.1.2015.
67 BGH 8.10.1957 - 1 StR 150/57 nv; Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 39.
68 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 40; Kohler, in: MüKo Band 7, § 371 AO Rn. 12,101.
69 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 40.
70 Vgl. BGH v. 14.12.1976 - 1 StR 196/76, BB 1978, 698; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 31, Rn. 54.
71 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 31, Rn. 54.
72 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 AO S. 232, Rn. 23; OLG Frankfurt NJW 1962, 974, 977; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371AO, Rn. 41.
73 MK-StGB-Kohler, § 371 AO Rn. 14; NK-WSS-Habetha, § 371 AO Rn. 17.
74 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 31, Rn. 54.
75 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 AO S. 227, Rn. 10.
76 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 283, Rn. 812.
77 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 283, Rn. 812.
78 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 227, Rn. 10.
79 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371 Rn. 421.
80 Flore/Tsambikakis-Wessing/Biesgen, § 371 Rn. 214.
81 BGH NJW 2009, 1984 ff.
82 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371 AO, S. 227, Rn. 11.
83 Hüls/Reichling, § 371 Rn. 11.
84 Vgl. Hüls/Reichling, § 371 Rn. 11.
85 BGH NJW 2009, 1984, 1987 (Rn.27).
86 Stahlschmidt, Steuerstrafrecht, S.98, Rn. 1.
87 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO, Rn. 820.
88 Stahlschmidt, Steuerstrafrecht, S.98, Rn. 2.
89 BGHSt 7, 299.
90 BGHSt 37, 340, 345; Joecks/Jäger/Randt-Joecks, § 371 Rn. 415; Rolletscke Rn. 549.
91 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371 Rn. 415; Kottke DStZ 1998,151.
92 FinMin. NRWv. 12.1.2016-S0702-8f-VAl; BGHSt 37, 340 (345)
93 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371S. 228, Rn. 13; Kottke DStZ 1998,151,152
94 Klein-Jäger, § 371 Rn. 6.
95 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, S.229, Rn. 15.
96 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, S.229, Rn. 15.
97 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, S.229, Rn. 15.
98 Hübschmann/Hepp/Spitaler-Beckemper § 371 Rn. 237.
99 Flore/Tsambikakis-Wessing/Biesgen § 371 Rn. 209.
100 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, S. 375, Rn. 423.
101 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, § 371 Rn. 423; Schwedhelm/Spatschek DStR 1995,1449,1450 f.
102 Hüls/Reichling, § 371 Rn. 18.
103 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 18; BGH wistra 2001, 22,23.
104 BGBl. I 2011, 676.
105 BT-Drucks. 17/5067 S. 4.
106 Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 398a Rn. 1.
107 Vgl. Rolletschke, in: Rolletschke/Kemper§ 398a Rn.3.
108 Hunsmann, PStR 2011, 227
109 Schmeer, Die Neuregelung der Selbstanzeige im SteuerStR seit dem 1.1.2015, S. 160.
110 Simon, in: Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 229.
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- Gholam Turkmany (Author), 2021, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO unter Berücksichtigung neuester Rechtsprechung und Literatur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039170
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