Überblick über die Verhaltenstherapie
1.1 Vorläufer
Verhaltenstherapie ist als Oberbegriff für einen Kanon an Therapieformen zu se- hen, die alle „ein lerntheoretisches Verständnis für die Genese und die Therapie von Störungen“ haben (Kriz, 1994, S.119). Als geistige Wegbereiter sind daher verschie- dene Ansätze der sog. Lerntheoretiker zu sehen, deren Hauptschaffensperiode in dem ersten Drittel des 20.Jahrhunderts liegt. Insbesondere zu nennen sind:
- Iwan P. Pawlow (1849-1936) und seine Arbeiten zur Klassischen Konditionierung, u.a. zur Entwicklung von experimentellen Neurosen.
- Edward L. Thorndike (1874-1949) und sein 1911 formuliertes law of effect.
- John B. Watson (1878-1958), Hauptvertreter des amerikanischen Behaviorismus, der durch die Versuche mit dem „kleinen Albert“ (1919/20) einen Beleg für die Hypothese, dass Neurosen erlernt sind, lieferte (allerdings scheiterten spätere Replikationsversuche, so dass die Möglichkeit eines reinen Artefaktes in Betracht gezogen werden muss).
- Clark L. Hull (1884-1952), der in seiner Automatentheorie die (behavioristischen) Reiz-Reaktions-Schemata formalisiert hat.
- Edward C. Tolmans (1886-1959) Arbeiten zum latenten Lernen.
- Burrhus F. Skinner (*1904) lieferte mit seinen Arbeiten zum operanten Konditio- nieren einen zentralen Grundstein der frühen Verhaltenstherapie. Als einziger dieser Lerntheoretiker hat er direkt an der Verbreitung und Entwicklung der VT mitgewirkt.
1.2 Anfängliche Entwicklung der Verhaltenstherapie
Die moderne Verhaltenstherapie entwickelte sich in den 40er und 50er Jahren des 20.Jahrhunderts. Vorreiter dieser Entwicklung waren dabei der in Südafrika arbeiten- de Joseph Wolpe (*1915), der am Londoner Maudsley-Hospital arbeitende Hans- Jürgen Eysenck (*1916) sowie der Amerikaner Burrhus F. Skinner. Nach Kriz (1994) konzentrierten sich die Forschergruppen um die beiden erstgenannten auf den „Ab- bau von Ängsten und Neurosen mittels Techniken, die in der Tradition der klassi- schen Konditionierung standen“ (Kriz, 1994, S.134); Skinner dagegen präferierte die von ihm erforschten Methoden der operanten Konditionierung, deren Anwendung schwerpunktmäßig im Aufbau von erwünschten Verhaltensweisen liegt.
1.3 Verhaltenstherapeutische Konzepte
Im Folgenden sind bedeutende verhaltenstherapeutischen Konzepte kurz dargestellt, um den Stellenwert der Reizkonfrontation später einzuordnen.
- Gegenkonditionierung: Hierbei handelt es sich um ein Verfahren, dass bereits in den 20er Jahren von Mary C. Jones angewendet wurde. Grundgedanke ist dabei, Angstzustände, die als Reaktion auf bestimmte Stimuli auftreten, als klassisch konditioniert anzusehen. Bei der Gegenkonditionierung wird nun dieser Stimuli mit einem angenehmen Reiz konditioniert, so dass der alte Konditionierungsvorgang überlagert wird. Eine Optimierung dieses Verfahrens ist möglich, wenn der angenehme Reiz (d.h. der neue unkonditionierte Stimulus) direkt den Angstzuständen entgegenwirkt. Zu diesem Zweck bietet sich insbesondere die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (1929) an.
- Systematische Desensibilisierung: Die Systematische Desensibilisierung wurde von Joseph Wolpe in den 50er Jahren entwickelt und geht auf die beschriebenen Arbeiten zur Gegenkonditionierung zurück. Nach Erstellung einer Angsthierarchie wird der Klient schrittweise, ebenfalls unter Anwendung der Progressiven Muskel- relaxation nach Jacobson, desensibilisiert. Die Reizkonfrontation erfolgt dabei klassischerweise nicht in vivo, sondern nur in der Vorstellung der Patienten. Ver- wendung findet das Verfahren z.B. bei Angststörungen und Neurosen. Das Ver- fahren ist nach Kriz (1994, S.137) gut evaluiert, allerdings herrscht keine Einigkeit bezüglich der Wirkungsweise.
- Token Programme: Auf der Basis der Prinzipien der operanten Konditionierung dienen solche Programme dazu, insbesondere in Kliniken bestimmte erwünschte Verhaltensweisen bei Patienten aufzubauen. Bedeutende Anwendungsbeispiele stammen dabei von Teodore Ayllon und Nathan H. Azrin. Sie zeigten in den 60er Jahren, dass kontingentes Verstärken mittels Tokens („Münzen“), die zum Erhalt von bestimmten Annehmlichkeiten eingetauscht werden konnten, den Aufbau von wünschenswertem Verhalten fördert (vgl. Ayllon & Azrin, 1968); ein dauerhafter Erfolg war aber nach Absetzen des Token-Programmes nicht zu beobachten.
- Selbstkontrolle: Diese Verfahren betonen die Fähigkeit der Patienten, ihr eigenes Verhalten selbst zu steuern, basieren aber letztlich noch auf den Prinzipien des operanten Konditionierens. Beispiele dafür sind: Selbstverstärkung, Stimuluskontrolle und Selbstbeobachtung. Kanfer hat verschiedene Ansätze zu einem Modell der Selbstregulation integriert (vgl. Kanfer & Goldstein, 1979).
Die frühen Formen der Verhaltenstherapie basierten sehr stark auf lerntheoretischen Grundannahmen. In den 60er Jahren wurde diese Grundorientierung zunehmend kritisch beurteilt, „zu sehr [seien] intentionale und andere kognitive Prozesse vernachlässigt [worden]“ (Kriz, 1994, S.134). Arnold Lazarus bezeichnete beispielsweise die therapeutischen Ansätze von Wolpe und Skinner als „simplizistisch, eng und eingeschränkt“ (Lazarus, 1967, zit. nach Kriz, 1994). Es entwickelten sich eklektischere Therapiekonzepte, die kognitive Elemente mit einbezogen:
- Die von Albert Bandura in den frühen 60er Jahren entwickelte sozial-kognitive Lerntheorie (vgl. Bandura, 1962) bildet die Basis für Therapiekonzepte, bei denen Ängste durch die Beobachtung von angstfreien Modellen abgebaut wird; besonderes erfolgreich sind dabei teilnehmende Modelle.
- Ebenfalls auf den Prinzipien des Modelllernes basieren Trainingsprogramme zur Erhöhung von sozialer Kompetenz. Kognitive Elemente enthalten auch Trainings- programme zur Verbesserung der individuellen Problemlösefähigkeit.
- Die Prinzipien der operanten Methoden wurden von Joseph Cautela (1966) auf rein kognitive Ebene übertragen, so dass mit Verstärkung und Bestrafung nur als Vorstellung operiert wird. Donald Meichenbaum betont in seinem kognitiv orien- tiert Ansatz die Rolle von unfunktionaler Selbstinstruktion bzw. -kommunikation (sog. kognitive Desensiblisierung, vgl. Meichenbaum, 1977). Jeweils ähnliche Techniken finden sich interessanterweise im Rahmen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) (vgl. z.B. Robbins, 1995).
- Analog Meichenbaums Ansatz argumentiert auch Aron T. Beck in seinem kogniti- ven Ansatz, dass 5 wesentliche Denkfehler in der Bewertung von Ereignissen potenziell zu emotionalen Störungen führen können. Therapie besteht in diesem Sinne darin, „den Patienten sensibler zu machen gegenüber seinen automatisch ablaufenden Gedanken und den dabei auftretenden selbstzerstörerischen Bewertungen und Denkfehlern.“ (Kriz, 1994, S.157).
- Parallel zu den frühen, lerntheoretisch orientierten Formen der Verhaltenstheorie entwickelte Albert Ellis (*1913) in den 50er Jahren seine Rational-emotive Thera- pie (RET, vgl. Ellis, 1962). Ellis betont die Rolle von dysfunktionalen Kognitionen, sog. irrational belief systems, für die Genese von Störungen des psychischen Wohlbefindens. Unklar ist, ob RET zu den kognitiven Verhaltenstherapien zu zäh- len ist, oder ob hier eine eigenständige, kognitiv orientierte Therapieform vorliegt.
2. Reizkonfrontationsverfahren
2.1 Überblick
Das Reizkonfrontationsverfahren existiert als ein feststehender Therapieplan si- cherlich nicht. Es handelt sich auch hier um einen Sammelbegriff für Therapieformen, bei denen die „Aufhebung von Meidungsverhalten mit Abbau der negativen kognitiv- emotionalen Reaktionen auf bestimmte Situationen, Objekte, Problemfelder oder Personen“ (Hand, 1996, S.139) angestrebt wird. Inhaltlich kann man die Reizkonfron- tation als eine Weiterentwicklung der von Joseph Wolpe in den 50er Jahren entwi- ckelten Systematischen Desensibilisierung (im Folgenden mit SD abgekürzt) betrachten. Die SD ist dabei in ihrer klassischen Form durch 3 Elemente charakterisiert:
- Die Konfrontation mit den vom Patienten als aversiv erlebten Reizen erfolgt in der Regel nur in der Vorstellung (in sensu).
- Die Reizkonfrontation erfolgt schrittweise (graduiert). Anhand einer Angsthierar- chie wird der Patient zuerst mit Situationen konfrontiert, die wenig Angst auslö- sen. Im Laufe der Therapie wird dann die „Schwierigkeit“ der Situation allmählich gesteigert, so dass die Konfrontation mit der angstauslösenden Realsituation erst am Schluss erfolgt.
- Zwischen den Phasen der Reizkonfrontation ist in der Regel eine Entspannungs- phase eingeschaltet. Dabei wird häufig die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson angewendet.
Die SD basiert wie oben erwähnt auf dem Prinzip der Gegenkonditionierung. Im Prinzip soll damit das Auftreten der aversiven Reaktion (Angst, aber auch Panik, Verlangen nach Suchtmitteln, etc.) unterbunden werden. Demgegenüber handelt es sich bei der Reizkonfrontation um ein Reaktions-Management-Training: Geübt werden soll der Umgang mit der Angst (entsprechend der Indikation sind hier im Folgenden auch immer Panikreaktionen, plötzliches Verlangen nach bestimmten Suchtmitteln etc. gemeint). Es zeigen sich folgende charakteristische Merkmale:
- Die Konfrontation erfolgt in der Regel in der Realität (in vivo), d.h. der Patient wird der angstauslösenden Realsituation ausgesetzt.
- Die Reizkonfrontation erfolgt solange, bis ein deutlicher Abfall der Angst beim Pa- tienten erfolgt. Ein völliges Verschwinden der Angst wird nicht angestrebt.
- Während der Reizkonfrontation soll jedes physische oder kognitive Vermeidungs- verhalten eliminiert werden. Nach Hand (1996, S.144) wird „eine kontinuierliche Konzentration auf die äußere und innere (Körperwahrnehmung) Realität ohne Erwartungsphantasien in positiver oder negativer Richtung empfohlen“.
- Das Vorgehen erfolgt eher massiert als graduiert. Wird hierarchisch vorgegangen, so beginnt die Therapie bereits mit einer stark angstauslösenden Situation und schreitet rasch (i.d.R. nach 10 - 20 min.) fort.
- Es erfolgt kein Entspannungstraining. Der Patient soll seine Angst maximal erle- ben.
2.2 Therapieziele und Wirkmechanismen
Als Ziele einer Reizkonfrontationstherapie können angesehen werden:
- Reduktion der Symptomatik, d.h. Abnahme der Reaktionsstärke.
- Handlungsfähigkeit und Selbstanalyse im Zustand hoher emotionaler Erregung (z.B. bei Panik) soll verbessert werden. Der Patient soll lernen, konstruktiv mit seiner Angst umzugehen, die auftretenden Gefühle sollen besser differenziert werden (z.B. Ekel statt Angst).
- Aufbau neuer Verhaltensmuster. Anstelle der Vermeidungsreaktion soll ein kon- struktiver Umgang mit der angstauslösenden Situation bzw. dem angstauslösen- den Reiz erlernt werden.
- Intensivierung der Therapeut-Patienten-Beziehung im Sinne eines gemeinsamen Durchstehens von stark emotionalen Übungen.
Die Reduktion der Symptomatik lässt sich mit Habituations- oder Löschungspro- zessen lerntheoretisch erklären. Unter Habituation ist das „Absinken der Reaktions- stärke [zu verstehen], wenn ein ehemals neuer Reiz wiederholt dargeboten wird“ (Zimbardo, 1992, S.70). Bei einer wiederholten Konfrontation mit dem angstauslö- senden Reiz bzw. der angstauslösenden Situation ist also mit einem Abfall der Ang- streaktion zu rechnen.
Löschung tritt auf, wenn „ein konditionierter Reiz nicht länger mit dem unkonditionierten dargeboten [wird], so wird die konditionierte Reaktion im Laufe der Zeit schwächer, bis sie schließlich ganz ausbleibt“ (Zimbardo, 1992, S.233). Als konditionierter, ehemals neutraler Reiz kann hier z.B. ein Keller gesehen werden, der Panik auslöst (= konditionierte Reaktion), weil der Patient dort von einer Spinne (= unkonditionierter Reiz) überrascht wurde. Macht er dagegen die Erfahrung, dass im Keller keine Spinne mehr sitzt, so sollte die Panikreaktion nachlassen.
Die Reizkonfrontation soll außerdem die Handlungsfähigkeit und die Selbstanaly- se in der angstauslösenden Situation verbessern. Hierbei geht man davon aus, dass durch die Erfahrung, die Situation entgegen der eigenen Erwartung doch gemeistert zu haben, die Bewertung der eigenen Kompetenzen und die Wahrnehmung der rea- len Bedrohung in der Situation realistischer wird. In diesem Zusammenhang hat auch das massierte Vorgehen einen besonderen Stellenwert. Im Gegensatz zur SD lernt der Patient mit dem Auftreten der Angst oder Panik umzugehen. Er ist somit für häu- fig auftretende Rückfälle besser gewappnet und hat bessere Aussichten, trotz Rück- fälle langfristig störungsfrei zu werden.
Wie bereits erwähnt handelt es sich bei der Reizkonfrontation primär um ein Reaktions-Management-Training. Die Reizüberflutung führt zu einer Reaktionsüberflutung, d.h. durch das Unterbinden der Vermeidungsreaktion (insbesondere Flucht) wird die Angst vom Patienten maximal erlebt. In dieser Situation kann dann der Umgang mit der Angst unter Anleitung des Therapeuten geübt werden.
2.3 Indikation und Kontraindikation
Positive Erfahrungen mit Reizkonfrontation gibt es bei der Behandlung folgender Störungen:
- Phobien, auch im Rahmen von sozialer Gehemmtheit
- allgemeine Denk- und Handlungszwänge
- Essstörungen (Bulimie)
- Rückfallprophylaxe bei Suchtkrankheiten
Zu beachten ist dabei, dass auch die Reizkonfrontation immer in einen Gesamt- behandlungsplan eingebunden sein sollte. Letztlich muss der Therapeut im individu- ellen Fall beurteilen, ob eine Reizkonfrontation angebracht erscheint oder nicht.
Kontraindiziert ist die Reizkonfrontation, wenn der Patient unter organischen Stö- rungen (insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen) leidet und er bei der Reizkon-frontation gesundheitlich gefährdet wäre (Gefahr eines Herzinfarktes, Hörsturz, etc.). Hat die zu therapierende Störung selbst eine organische Ursache, so verbietet sich die Reizkonfrontation, da in diesem Fall ja keine Ursachen angegangen werden.
Kritisch für die Behandlung mittels Reizkonfrontation sind außerdem Psychosen oder Traumata in der Vorgeschichte des Patienten, da man mit einem erneuten Aus- brechen unter Stress rechnen muss. Bei geringer Stresstoleranz lehnen Patienten allerdings häufig auch die Reizkonfrontation ab. In diesem Fall kann man alternativ mit der schonenderen SD therapieren. SD scheint ebenfalls indiziert zu sein, wenn die Patienten nicht in der Lage sind, emotionale Ausbrüche zu zulassen. Sie sind dann während der Reizkonfrontation völlig verspannt, erleben die angestrebte Reak- tionsüberflutung aber nicht.
Ebenfalls kritisch zu sehen sind Patienten mit mangelnder Therapiemotivation. Sie sollten nicht künstlich zur Teilnahme bewegt werden (z.B. durch Hypnose, Therapie- verträge). Schließlich ist Reizkonfrontation dann ungeeignet, wenn der Patient nicht über die benötigten Kompetenzen verfügt. Fehlt ihm zum Beispiel soziale Kompe- tenz, so ist nach der Reduktion des Vermeidungsverhaltens (durch eine erfolgreiche Reizkonfrontation) mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Rückfall zu rechnen.
2.4 Durchführung
Nach Bartling et al. (1980) lässt sich eine effektive Reizkonfrontationstherapie anhand von 4 Phasen beschreiben:
- Diagnostische Phase
- Kognitive Vorbereitung
- Intensivphase der Reizkonfrontation
- Selbstkontrollphase
In der diagnostischen Phase findet das Erstgespräch, die Indikation (und ggf. Klassifikation) sowie eine Problem- bzw. Verhaltensanalyse statt. Es wird die Mitarbeit des Patienten bis zur individuellen Belastungsgrenze vereinbart. Als Therapieziel wird das Lernen des Umgangs mit der Angst (Depression, etc.) festgelegt.
Die Phase der kognitiven Vorbereitung bereitet die eigentliche Reizkonfrontation vor. Insbesondere wird hier ein (lerntheoretisch orientiertes) Störungs- bzw. Verände- rungsmodell mit dem Patient zusammen entwickelt. Dabei ist die subjektive Sicht des Patienten immer mit zu berücksichtigen (z.B. Problem durch Gott gegeben, frühe Kindheitserfahrungen, etc.). Da man nicht davon ausgehen kann, dass der Patient hoch motiviert die Therapie beginnt, hängt die Akzeptanz des gesamten Verfahrens entscheidend von der Akzeptanz des Modells ab. Fiegenbaum & Tuschen (1996, S.303) empfehlen daher ein systemimmanentes Vorgehen: „Er [der Therapeut] rei- chert die wissenschaftlichen Erklärungsmodelle so an, dass zentrale Annahmen des Patienten (z.B. religiöse Überzeugungen) damit vereinbar werden“. Dadurch wird ein Modell entwickelt, dass folgende Eigenschaften besitzt (nach Fiegenbaum & Tuschen, 1996):
- Kompatibilität mit dem Konstruktsystem des Patienten;
- nicht durch Einzelerfahrungen des Patienten zu falsifizieren (zu diesem Zweck bedient sich der Therapeut Wahrscheinlichkeitsaussagen oder lässt die Anwend- barkeit des Modells offen);
- günstige Perspektive für Therapieerfolg (wenn möglich soll z.B. die Rolle der ak- tuellen Aufrechterhaltungsbedingungen betont werden, nicht so sehr die Entste- hungsbedingungen (z.B. schwere Kindheit, impliziert langwierige Therapie));
- hohe Plausibilität (z.B. sollte der Patient in die Modellkonstruktion miteinbezogen sein und das Modell möglichst sparsam entwickelt werden).
In der Intensivphase erfolgt eine direkte und längerdauernde Reizkonfrontation bis die Reaktion deutlich nachlässt. Damit insbesondere kognitives Vermeidungsverhal- ten unterbunden wird, sollte der Patient seine aktuelle Wahrnehmung (zumindestens am Anfang) laut verbalisieren. Hierzu ist häufig ein eigenständiges Training nötig.
Der Patient kann selbstverständlich jederzeit die Reizkonfrontation abbrechen. In diesem Fall wird der Abbruch vom Therapeuten begleitet und Konsequenzen disku- tiert. Die Entscheidung zum Abbruch ist nicht prinzipiell schlecht, sollte aber bewusst getroffen werden.
1-3 mehrstündige Therapiesitzungen reichen i.d.R. für eine Besserung der Symptomatik aus. Nach Hand (1996) ist ein Tag Pause zwischen den Übungstagen sinnvoll. In dieser Pause erlebt der Patient häufig erste Depressionen, die ein Training für mögliche Rückfälle darstellen. Die Therapie ist so kein reines euphorisches Kurzzeiterlebnis. Zu lange Behandlungen sind schon deswegen kritisch, weil die Reizkonfrontation zum Ersatzritual für das Symptom werden kann.
Prinzipiell ist die Behandlung in vivo oder in sensu möglich, so dass situationsgebundene oder allgemeine Angstzustände behandelt werden können. Die In-vivo- Behandlung ist, wo durchführbar, der In-sensu-Behandlung vorzuziehen, da hier Vermeidungsverhalten kaum möglich ist. Der Behandlungserfolg ist bei der In-vivo- Konfrontation entsprechend höher. U.U. ist auch eine Konfrontation in vitro möglich, d.h. der Patient wird im Sprechzimmer Reizen ausgesetzt, die den echten Reizen ähneln. Idealerweise aber im erfolgt die Konfrontation im natürlichen Problemfeld, eine stationäre Behandlung ist in der Regel unsinnig.
Bezugspersonen aus dem unmittelbaren Umfeld des Patienten können und müs- sen z.T. miteinbezogen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass dysfunktionale Rol- lenverteilungen (gesund und stark vs. krank und schwach) nicht weiter verstärkt wer- den.
Am Ende der Intensivphase sollte der erreichte Fortschritt evaluiert werden. Dafür bieten sich Selbstratings oder halbstrukturierte Interviews an.
In der Selbstkontrollphase übt der Patient selbstständig weiter. Kontakte mit dem Therapeuten sollten jetzt in immer größeren Intervallen erfolgen. Wichtig bei der Vor-bereitung der Selbstkontrollphase ist insbesondere, die Übungen und das Verhalten des Patienten genau zu planen (Was? Wann? Wo? Wie lange?).
2.5 Diskussion
Im Kanon der am Anfang vorgestellten Therapieformen nimmt die Reizkonfrontati- on eine zentrale Position ein. Für bestimmte Störungen (insbesondere Phobien, Angst- und Zwangsstörungen) „ist die Wirksamkeit der Reizkonfrontation erwiesen und kann als Methode der Wahl bezeichnet werden“ (Fiegenbaum & Tuschen, 1996, S.310).
In Langzeitstudien finden sich bei Angst- und Zwangsstörungen sehr hohe Erfolgsquoten von 60-80% bei geringer Ablehnung (vgl. Hand, 1993). Zu beachten ist dabei, dass eine stabile Verhaltensänderung nur zu erwarten ist, wenn auch kognitive und emotionale Änderungen eintreten. Eine wichtige Rolle spielt außerdem das eigenständige Weiterüben des Patienten nach der Therapie.
Nach Fiegenbaum & Tuschen (1996) ist außerdem eine Symptomverschiebung kaum nachweisbar.
Die Reizkonfrontation ist, wo indiziert, der klassischen SD überlegen, insbesondere bei schweren Phobien und Zwängen mit Panikattacken sowie bei multisymptomatischer Gestörtheit (vgl. Hand, 1996).
Wie bereits oben erwähnt gibt es aber auch eine Reihe von Kontraindikationen. Insbesondere die hohe Stressbelastung des Patienten während der Reizkonfrontati- on ist ein gefährlicher Aspekt in der Behandlung. Die Anwendung dieses Verfahrens sollte auf Grund der potenziellen Risiken erfahreneren Therapeuten vorbehalten sein. Aus meiner Sicht gibt es außerdem die Möglichkeit, trotz der Freiwilligkeit der Behandlung, aus ethischen Gründen Bedenken gegen das Verfahren zu haben.
3. Literaturverzeichnis
Ayllon, T. & Azrin, N.H. (1968). The token economy: A motivational system for therapy and rehabilitation. New York: Appleton-Century-Crofts.
Bandura, A. (1962). Social learning through imitation. In: M.R.Jones (Hrsg.),
Nebraska symposium of motivation. Lincoln: University of Nebraska Press.
Bartling, G., Fiegenbaum, W. & Krause, R. (1980). Reizüberflutung. Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.
Cautela, J.R. (1966). Treatment of compulsive behavior by covert sensitization. Psy- chological Review, 16, 33-41.
Ellis, A. (1962). Reason and emotion in Psychotherapie. New York.
Fiegenbaum, W. & Tuschen, B. (1996). Reizkonfrontation. In: J.Margraf (Hrsg.),
Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band I: Grundlagen, Diagnostik, Verfahren, Rahmenbedingungen. Berlin: Springer.
Hand, I. (1993). Verhaltenstherapie bei Angsterkrankungen. In H.J. Möller (Hrsg.), Therapie psychiatrischer Erkrankungen. Stuttgart: Enke.
Hand, I. (1996). Expositionsbehandlung. In: M.Linden & M Hautzinger (Hrsg.), Ver- haltenstherapie. Berlin: Springer.
Kanfer, F.H. & Goldstein, A.P. (Hrsg.). (1979). Möglichkeiten der Verhaltensände- rung. München: Urban & Schwarzenberg.
Kriz, J. (1994). Grundkonzepte der Psychotherapie: Eine Einführung. Weinheim: Psychologische Verlags Union.
Lazarus, A.A. (1967). In support of technical eclecticism. Psychological Review, 21, 415-416.
Meichenbaum, D.W. (1977). Cognitive behavior modification. New York: Plenum Press.
Robbins, A. (1995). Grenzenlose Energie: Das Power-Prinzip (7.Auflage). München: Wilhelm Heyne Verlag.
Zimbardo, P.G. (1992). Psychologie (5.Auflage). Berlin, Heidelberg: Springer.
- Quote paper
- Marco Haferburg (Author), 2001, Reizkonfrontationsverfahren in der Verhaltenstherapie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103814
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