Eine im hohen Grad lebendige Wirkung übt das Kunstmärchen Undine von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) nicht nur auf die Literaturgeschichte von der Romantik bis in die Gegenwart aus, sondern auch auf die Geschwisterkünste Kunst, Musik und Film bis ins 21. Jahrhundert hinein. Zahlreiche literarische Adaptionen, Malereien und Skulpturen, klassische und moderne Kompositionen bis hin zur Rockmusik, Theaterstücke und filmische Interpretationen, zuletzt erst gerade 2020 in einer deutsch-französischen Koproduktion erschienen, werden von dem Undine-Mythos erfasst und durchdrungen.
Diese Kunstmärchen-Sammlung entstand im Textkompetenz-Seminar (Fachdidaktik Deutsch) zum Thema Der Undine-Mythos im europäischen Kunstmärchen von der Romantik bis ins 21. Jahrhundert in Literatur, Kunst, Musik und Film im Wintersemester 20/21 an der FU Berlin.
Vergleichend verstehendes Interpretieren literarischer Texte und Reflexion individueller Rezeptionsprozesse, analysierendes Interpretieren künstlerischer, musikalischer sowie filmischer Adaptionen und Produktion eines eigenen Kunstmärchens im Kontext des Undine-Mythos waren die Schwerpunkte des Seminars mit dem Ziel zu erweiternder Textkompetenzen.
Vorwort
Undinen sind überall.
Eine im hohen Grad lebendige Wirkung übt das Kunstmärchen Undine von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) nicht nur auf die Literaturgeschichte von der Romantik bis in die Gegenwart aus, sondern auch auf die Geschwisterkünste Kunst, Musik und Film bis ins 21. Jahrhundert hinein. Zahlreiche literarische Adaptionen, Malereien und Skulpturen, klassische und moderne Kompositionen bis hin zur Rockmusik, Theaterstücke und filmische Interpretationen, zuletzt erst gerade 2020 in einer deutsch-französischen Koproduktion erschienen, werden von dem Undine-Mythos erfasst und durchdrungen.
Diese Kunstmärchen-Sammlung entstand im Textkompetenz-Seminar (Fachdidaktik Deutsch) zum Thema Der Undine-Mythos im europäischen Kunstmärchen von der Romantik bis ins 21. Jahrhundert in Literatur, Kunst, Musik und Film im Wintersemester 20/21 an der FU Berlin.
Vergleichend verstehendes Interpretieren literarischer Texte und Reflexion individueller Rezeptionsprozesse, analysierendes Interpretieren künstlerischer, musikalischer sowie filmischer Adaptionen und Produktion eines eigenen Kunstmärchens im Kontext des Undine-Mythos waren die Schwerpunkte des Seminars mit dem Ziel zu erweiternder Textkompetenzen.
Die Studierenden setzten sich mit diesem Thema, beginnend mit Friedrich de La Motte Fouqués Undine (1814) , Darstellung einer Utopie der Liebe in literarischen Spiegelungen innerer und äußerer Fremde (Monika Schmitz-Emans, 2003), erstmalig auseinander. Von dort war es nur ein kleiner Schritt zu E.T.A. Hoffmann, dem Komponisten, nicht dem Schriftsteller, zu seiner romantischen Zauberoper Undine mit dem Libretto Fouqués und im Bühnenbild von Karl Friedrich Schinkel, uraufgeführt 1816 am Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin. Sie gilt bis heute als Geburtsstunde der romantischen Oper in der europäischen Musikszene.
Zur Undine- Ouvertüre E.T.A. Hoffmanns übten sich die Studierenden in ersten eigenen Schreibversuchen, um sich dem Text „in Koalition“ aus Musik und eigener Perspektive zu nähern, gefolgt von Albert Lortzings musikalischer Interpretation des Stoffes (Undine -Oper, 1845) – zwischen Undinenzauber und der Suche nach eigener Identität (Alexander Medem, Wien, Opernregisseur, 2015) –, die in Neufassungen der Wiener Staatsoper, konzipiert für ein junges Publikum, bis in die Gegenwart hinein aufgeführt wird.
Nach Andersens Kleine(r) Meerjungfrau (1837), einer Parabel über die ambivalente Macht der Sprache (M. Schmitz-Emans, 2003), sprachwissenschaftlich ausgedrückt, über die Diskongruenz zwischen Semantik und Hermeneutik (Eugen Drewermann, 2003), stand Oscar Wilde’s The Fisherman and his Soul (1891) im Fokus der Betrachtung, das als Antibild zu Andersens Märchen (Volker Klotz, 1985) gelesen werden kann. Abgründe der menschlichen Seele in ironischer Distanz (M. Schmitz-Emans, 2003) bei Gerhart Hauptmanns Alterswerk Meerwunder (1939, erschienen 1953) und Jean Giraudoux‘ Schauspiel Ondine (1939), das vom Dichter selbst als ein literarisches Zitat verstanden wurde, in dem die Dichtung der Moderne als ein Spiel um die Wahrheit begreifbar wird, in dem Undine als Repräsentantin der Wahrhaftigkeit von der Menschenwelt, die die Lüge zur Weltordnung erhoben hat, entfremdet wird, führen zwangsläufig zu Ingeborg Bachmanns Meistererzählung Undine geht (1961), changierend zwischen Lyrik und Prosa, die von der existenziellen Wahrheit des Individuums handelt, von einer Utopia der Sprache mit eigenem Metaphernfeld, korrespondierend mit der Utopie der wahren Sprache bei Giraudoux (Hermann Dorowin, 2000). Dieses Bachmann‘sche Motiv der kommenden und gehenden Undine wird von der Bildhauerin Angela Hampel mit ihren Skulpturen Undine kommt und Undine geht an der Elbe in Dresden aufgegriffen (1998).
Nach romantischen Operninterpretationen dieses Stoffes lernten die Studierenden Hans-Werner-Henzes Ballett-Komposition Ondine (1957), basierend auf Friedrich de la Motte Fouqués Novelle, kennen, was durchaus eine didaktische Herausforderung darstellte: eine getanzte Erzählung für den Deutschunterricht als Initiation und Impuls für eigenes literarisches Schreiben.
Samantha Hunts Roman Nixenkuss (2006, übers. aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell) führte bereits in die eigene jüngere Vergangenheit, ein im Undine-Mythos angesiedelter Bestseller-Roman, der vom unaufhaltsamen Niedergang der amerikanischen unteren Mittelschicht erzählt und sich fast schon poetisch zwischen Wirklichkeit und Vorstellungen von Wirklichkeit bewegt.
Mit Christian Petzolds Spielfilm Undine (2020) sind die Studierenden endlich in der eigenen Gegenwart angekommen. „Undine ist nicht mehr d i e Undine von Fouqué, sondern eine moderne Frau, an der aber noch der Fluch der Vergangenheit klebt. Und sie macht etwas, was im alten Undine-Mythos nicht vorgesehen ist, sie steigt aus. Sie dient nicht dem vergangenen Mythos, sondern sie zerstört ihn.“ (Christian Petzold, 2020)
Gewissermaßen denkt Petzold damit konsequent Ingeborg Bachmann weiter, deren Undine immer noch bis zum Schluss auf die große Liebeserfüllung wartet und nicht wirklich „aussteigen“ kann. Die Schauspielerin Paula Beer verkörpert überzeugend glaubwürdig eine moderne Wasserfrau im Hier und Jetzt, eine moderne Undine, die jederzeit überall wieder „auftauchen“ kann.
In der vorliegenden Ausgabe der Kunstmärchensammlung stelle ich vierzehn Arbeiten von Studierenden dieses Seminars vor, deren Geschichten so unterschiedlich sie auch sein mögen, alle von modernen Undinen erzählen, als lebten sie mitten unter uns, denn Undinen sind tatsächlich überall.
Helmut Otten im Mai 2021
(Lehrbeauftragter für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Freien Universität Berlin.
Regisseur, Schauspieler, Synchronsprecher, Bühnenautor (im MTT Theaterverlag Ratingen), Theaterpädagoge, Rektor a.D.)
Literaturliste (Vorwort)
Primärliteratur
Andersen, Hans Christian: Andersens Märchen, in Drewermann: Liebe, Leiden ..., Knaur, 2012, S. 14-41
Bachmann, Ingeborg: Undine geht, Erzählungen, Nachwort von Christa Wolf, Reclam, 1973
Fouqué, Friedr. de la Motte: Undine, ein romantisches Märchen, Anaconda Köln, 2012
Giraudoux, Jean: Ondine, Theaterstück, in: Stücke nach Märchen, Henschelverlag Berlin, 1967
Hauptmann, Gerhart: Das Meerwunder, Suhrkamp, 1989
Henze, Hans Werner: Undine, Ballett in drei Akten, 1957, Libretto: Frederick Ashton nach Friedrich de la Motte Fouqué, UA 1958
Hoffmann, E. T. A.: Undine, romantische Zauberoper 1816
Hunt, Samantha: Nixenkuss, („The Seas“) Übersetzung ins Deutsche: Bettina Abarbanell, marebuchverlag, 2006
Lortzing, Albert: Undine, romantische Zauberoper, 1845
Lortzing, Albert: Undine, Bearbeitung für Kinder, Wiener Staatsoper, 2015
Petzold, Christian: Undine, Spielfilm, Deutschland, 2020
Wilde, Oscar: The Fisherman and his Soul, Independently published, 2019
Sekundärliteratur
Dorowin, Hermann: Aufsatz über Ingeborg Bachmann, Undine geht. Florenz 2000
Drewermann, Eugen: Liebe, Leiden und Unsterblichkeit: Andersens Märchen von der Kleinen Meerjungfrau, Herder Spektrum, 2003
Klotz, Volker: Das europäische Kunstmärchen. 25 Kapitel seiner Geschichte von der Renaissance bis zur Moderne, Metzler, 2001
Medem, Alexander: Undine, Albert Lortzing, Booklet zur Oper der Wiener Staatsoper, 2015
Petzold, Christian: Booklet-Interview zum Film, 2020
Schmitz-Emans, M.: Seetiefen und Seelentiefen, Literarische Spiegelungen innerer und äußerer Fremde, Königshausen & Neumann, Würzburg, 2003
Syfuß, Antje: Nixenliebe. Wasserfrauen in der Literatur, Haag + Herchen, 2006
Nilam Ali
Undine oder die nasse Grenze
Es kam Martin nun schon wie eine halbe Ewigkeit vor, die er am Bahnsteig stand und die Erde unter seinen Fingernägeln hervorpulte, während er auf die S-Bahn wartete. Der Bahnhof war wie ein Skelett aus Stahl in Bögen und Stützen, die schwerfällig durch die Luft schnitten, die bevölkert waren von Tauben, an denen der ganze Dreck der Stadt zu haften schien und jetzt auf Martin herunterfiel. Wenn er ganz bis zum Ende des Bahnsteigs lief, konnte er hinter den Schienen durch die fleckige, getrübte Glaswand auf die Spree schauen, deren braunes Wasser in der Dunkelheit hin und her schwappte, gegen die Flussmauern schwappte, sich mühsam wiegte wie ein verlassenes, wässriges Wesen in einer ihm fremdgewordenen Stadt. Die Lichter der umliegenden Häuser reflektierten auf den kleinen, zuckenden Wellen, spiegelnde Fenster verformten sich zu einem fleckigen Teppich aus Wasser und Licht. Mit einem Mal war es so, als wäre der Fluss bei der Stadt zu Hause, als wären sie eins und nicht, der eine fließend, die andere starr.
„Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund von Verbindungsschäden ist der Zugverkehr zurzeit leider unterbrochen.“
Die Lautsprecheransage unterbrach Martins Versunkenheit, ganz kurz fühlte er sich schrecklich leer und einsam, während sein Blick durch die Fenster aufs Wasser fiel, bis sein Verstand sich gegen alle Durchlässigkeit verschloss und Martin auf der digitalen Anzeige las: „Ersatzverkehr wird eingerichtet“. Es machte keinen Sinn mehr zu warten, also lief er ganz bis zum Ende des Bahnsteigs, lief die Treppen hinab, schickte sich an, weg vom Fluss dem Lauf der Straße zu folgen, die ihn zu seiner Wohnung bringen würde, als er ein Platschen hörte, das ihn erst schaudern ließ, dann neugierige Aufregung in ihm weckte. Er lief schnell zum Ufer, das eine graue Mauer war und beugte sich über das kalte, metallene Geländer hinunter zum Fluss. Unten auf einer schmalen, steinernen Kante, die nur ein kleines Stück höher als das Wasser lag und auch schon ganz feucht war, stand ein alter Mann mit grauer Kleidung und grauem Bart, der eine Angel in seinen schmutzigen Händen hielt. Wenn Martin blinzelte, schien es ihm nahezu, als würde der Fischer in der feuchten Ufermauer verschwinden, seine dunklen Augen aus der grau-grünen Wand heraus ihn anstarren.
„Entschuldigen Sie, ich habe ein lautes Geräusch gehört, als wäre etwas ins Wasser gefallen. Ich wollte nur sehen, was es war“, sagte er zu dem Fischer.
„Hinein ist nichts gefallen“, antwortete der Fischer, „ich würde mir mehr Gedanken machen, was heraus gekommen ist.“
Martin wusste nichts weiter mit dieser Antwort anzufangen, außer die Hand etwas verwirrt auf den Plastikeimer zu den Füßen des Fischers zu weisen und dann schließlich zu sagen: „Sind die Fische nicht gut, die Sie fangen? Hatten Sie heute keinen guten Fang?“
„Die Fische leben in diesem Wasser, das den Menschen völlig gleichgültig ist. Und ist etwas den Menschen gleichgültig, behandeln sie es schlecht. Und die Fische leben in diesem Wasser, das sich nur noch stockend bewegt, weil es so schwer an dieser Gleichgültigkeit trägt, doch die Fische sind gut, nur ist heute kein guter Tag sie zu fangen.“
Die Verwirrung in Martin wuchs und stapelte sich, hatte er nie verstanden, wer die Menschen waren, die die Spree als Angelplatz nutzten und die Fische aus diesem braunen Wasser zu sich nahmen, so verstand er jetzt noch weniger, warum dieser Fischer so seltsam zu ihm sprach und ob Worte des bärtigen Mannes in ihrer Poesie nicht ohne Sinn und Bedeutung waren. Sein Mund formte sich, um eine Antwort zu geben, doch folgte kein Ton, denn er konnte nur Sprachlosigkeit auf die Worte erwidern, die der Fischer zuvor gesprochen hatte.
Er wandte sich ab, der Straße, die ihn zu seiner Wohnung bringen würde, zu folgen, als er wieder ein Platschen hörte, diesmal leise wie eine ferne Erinnerung. Martins Kopf flog herum und er versank in einem weißen Lächeln, in brauner Haut, in schwarzen Haaren und schwarzen Augen, die Frau, die vor ihm stand, war wie aus dem Wasser getaucht.
„Shit! Du hast mich erschrocken“, brachte er schließlich hervor. „Shit! Ist dir nicht kalt? Es ist Winter! Warum, warum bist du nass?!“
„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Und dann nach einer kurzen Pause fuhr sie mit ihrer fremden Stimme fort und fragte: „Bist du von hier, von der Stadt?“
„Ich… bin hier geboren, also nicht hier, hier an der Spree“, gestikulierte Martin, „bin in einem Krankenhaus am Rand der Stadt geboren.“
„So schön! Ich würde gerne dableiben.“
„Im Krankenhaus?“
„Da, wo du herkommst.“
„Äh…“ Er blinzelte. Die Frau war gar nicht wirklich nass. Es war nur ihr Haar an dem Wassertropfen klebten, als hätte sie in der Spree geduscht und wäre gerade erst herausgestiegen. „Warst du noch nie in Berlin?“
Sie sagte nichts darauf und schaute zur Spree, dann sagte sie: „Weißt du, alles Wasser ist miteinander verbunden und wenn man lange genug wartet, kann man sehen, wie ein einzelner Tropfen um die ganze Welt wandert. Dann ist so viel Zeit vergangen, dass sich kein Mensch mehr erinnert, wo der Tropfen am Anfang war.“
Martin sah die vielen Tropfen auf ihrem Haar und vergaß kurz alle Wörter, die er gekannt hatte, als sein Handy klingelte und ihn daran erinnerte, dass er heute noch eine Verabredung hatte – scheiße. Er hob nicht ab. „Hast du vielleicht Lust… äh, möchtest du auf eine Party gehen, mit mir?“, fragte er und hatte große Angst, sie würde sich nach dieser Frage auflösen und seiner Reichweite entschwinden. „Ich mein, wenn du noch nie hier warst… Ich kann dir ein bisschen die Stadt zeigen.“
Sie lächelte, sagte wieder nichts, aber sie nickte – zum Glück!
Martin pulte an seinen Fingernägeln, während sie in der Schlange standen, warteten eingelassen zu werden. Das Geplapper der anderen wartenden Menschen mischte sich mit dem Rauschen vorbeifahrender Autos und dem dumpfen Tönen der Musik, die aus dem Keller vordrang. Martin durchsuchte sein Inneres nach Worten, blieb dabei immer wieder hängen in glänzenden Haaren, riss sich los und suchte weiter nach Buchstaben, die ein Gespräch werden sollten, aber nicht wollten.
„Alter, da bist du ja! Gehst gar nicht mehr an dein Handy oder was?”
Martins Kopf flog herum und er sah Toni.
„Lass mal was rüberwachsen“, sagte Toni.
„Kannst du nicht warten, bis wir drin sind?“
„Ich hab schon ne halbe Ewigkeit gewartet, Alter. Gib mal jetzt.“
Martin warf einen kurzen Blick auf die schwarzen Locken seiner Begleiterin, nickte und winkte Toni mit einer Kopfbewegung ihm zu folgen, ein wenig abseits von der Schlange zu stehen. Eben als er zurück war, hatte der Türsteher einen Ausweis in der Hand und schaute Martins Begleiterin skeptisch an.
„Was ist das denn?“, fragte der Türsteher. Und dann: „Willst du mir wirklich weismachen, dass das deiner ist? Was ist das für ne Sprache überhaupt? Verstehst du überhaupt, was ich sage, Madame?“, fragte er weiter.
„Sie gehört zu mir“, sagte Martin schnell. „Und überhaupt, du siehst doch, dass sie über achtzehn ist.“
„Ah ja, was ich sehe, ist ein Ausweis, der aussieht als käme er aus Timbuktu.“
Hinter ihnen in der Schlange fingen zwei Männer laut an zu streiten und Martin nahm dem Türsteher schnell den Ausweis aus der Hand und drückte sie und sich mit den Worten an ihm vorbei: „Sie ist alt genug und ich pass auch auf sie auf.“
Rauch und Feuchtigkeit schlugen ihnen entgegen, als sie die Treppen des Clubs hinabstiegen und Martin fühlte sich, als würde er in ein Aquarium steigen, dessen Wasser nicht viel sauberer war als das Wasser der Spree; ganz kurz bekam er keine Luft, doch als er zu der Frau neben ihm herübersah, ihr Lächeln sah, spürte er, wie der feuchte Rauch ihn freundlich empfing und mit einem Mal fühlte er sich wirklich frei auf diesem Abstieg.
Er blickte auf den Ausweis, den er noch in der Hand hielt, sah das Foto und die fremden Buchstaben, nur den Namen neben dem Foto, welches der Frau neben ihm nicht sehr ähnlich sah, konnte er lesen: Undine Mawja.
„Undine heißt du?“, fragte er, reichte ihr den Ausweis, während er gleichzeitig versuchte seinen anderen Arm aus seiner Jacke zu ziehen, denn er schwitzte bereits. Er hatte kurz Sorge gehabt, seine Begleiterin würde sich unwohl fühlen im feuchten und lauten Zigarettennebel der Berliner Clubs, aber sie schien ruhig und zufrieden zwischen den grauen Mauern und bunten Lichtern und wiegte sich kaum merklich zur Musik.
Sie nahm den Ausweis an. „Es ist schön hier“, sagte sie dann. „Danke.“
Er kaufte sich und ihr ein Bier und sie trank es, als wäre es die exotischste, fremdartigste Flüssigkeit der Welt, während er spürte, wie seine Glieder leichter wurden, die Luft weich wurde, sein Körper nach außen und innen sensibel wurde, seine Welt von massiv zu flüssig wurde, seine Pupillen sich weiteten.
„Weißt du, Martin“, sagte Undine. „Dieser Ausweis, er reicht nicht, sie werden mich nicht hierbleiben lassen. Jemand muss mich heiraten, damit ich bleiben kann.“
„Ich heirate dich!“, sagte er sofort und gleichzeitig sagte eine sehr, sehr leise Stimme in seinem Kopf: Auf Ecstasy Entscheidungen zu treffen, war noch nie eine gute Idee! Er ignorierte sie und sagte nochmal: „Ich heirate dich! Willst du mich heiraten?“
Sie schlang die Arme um ihn und er versank in den glänzenden, schwarzen Haaren, in warmem Nass und er dachte, sie und er wären wie zwei Wassertropfen, die sich entschlossen hätten, hier im Berliner Aquarium zu bleiben.
„Ich wusste, dass du Ja sagst“, flüsterte Undine. „Du hast auch zu dem Mann gesagt, dass du auf mich aufpasst. Du darfst mich nur nie im Stich lassen!“
„Niemals lasse ich dich im Stich! Wir gehen morgen früh zusammen zum Amt und machen einen Termin, versprochen!“
Es war schon hell, als sie die Treppen wieder hinaufstiegen, die rauchig feuchte Geborgenheit hinter sich ließen, wieder umgeben waren von einer grauen Stadtlandschaft mit grauen, kantigen Häuserblöcken, Wänden aus Beton, metallenen Zäunen und Taubendreck. Martin hatte sich nie so zu Hause gefühlt. Mit einem Arm über Undines Schulter, mit ihrem Haar an seinem Gesicht folgten sie dem Verlauf der Straße, an deren Ende das Standesamt lag, das gerade aufmachte, als sie davor angekommen waren. Martin steckte seine Nase in Undines Locken, während sie in der Schlange standen, warteten eingelassen zu werden. Keiner der wartenden Menschen sagte ein Wort, nur das Rauschen der Autos, die vorbeifuhren, war zu hören, kein Geräusch drang aus dem Innern des Gebäudes nach außen. Auch Undine und Martin sprachen nicht und auch, wenn Martins Inneres voll war, spürte er nicht die Notwendigkeit zu sprechen, denn alles, was zählte, war bereits gesagt, als sein Handy klingelte und ihn daran erinnerte, dass er heute noch eine Verabredung hatte – scheiße. Er hob ab.
„Ja, ja, sorry, ich hab’s verplant. Ich komme ja!“
Er sah große Sorge in Undines Augen und hörte sie in ihrer Stimme, als sie sagte: „Du hast versprochen, du lässt mich nicht im Stich!“
„Ich bin gleich wieder da, keine Sorge! Warte nur kurz hier. Ich komme sofort wieder!“, erwiderte er, steckte die Nase noch einmal hinter ihr Ohr und lächelte sie an. „Warte nur ganz kurz, ich bin in einer halben Stunde zurück, versprochen.“
Er lief los und verschwand aus Undines Blick zwischen grauen Häuserblöcken, zwischen Wänden aus Beton und metallenen Zäunen und Taubendreck.
„Da bist du ja endlich, Martin! Weißt du, wie lange ich hier schon stehe? Eine halbe Ewigkeit warte ich schon auf dich, Martin!“, fuhr Bea ihn an und während sie hinter jeden weiteren Satz, den sie sagte, wie eine verärgerte Mutter seinen Namen hängte und ihre Stimme bei jedem i zu hoch und zu schrill an sein Ohr klang, dachte er, wie viel schöner Undine war, wie er so lange geglaubt haben konnte, keine Frau könnte schöner als Bea sein.
„Sorry“, murmelte er. „Ich war noch im Club bis gerade… Wieviel willst du?“
„Gib mir zwei“, sagte sie und kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Was hast du denn gemacht so lange im Club? Ich habe dich schon ewig nicht mehr unter Leuten gesehen.“
„Ich habe jemanden kennengelernt. Ich werde sie heiraten, sie liebt mich.“ Er wusste selber nicht genau, warum er das sagte, war sein Körper gerade noch leergespült, gefüllt mit schweigender Verbundenheit, drängten sich die Wörter nun seinen Hals herauf und fielen über seine Zunge heraus in die Welt. Beas Lachen erstickte im Ansatz, als sie merkte, dass er es ernst gemeint hatte.
„Sie braucht einen deutschen Pass“, sagte Martin noch.
„Ist das dein Scheißernst? Du willst eine herbeigelaufene Fremde heiraten, damit sie an dein Geld kommt und sich ein schönes Leben macht? So dumm kannst nicht mal du sein, Martin. Ganz ehrlich. Wer weiß, bestimmt ist sie schon verheiratet mit einem andern und sagt es dir nicht. Du kennst die gar nicht, wie kannst du ihr vertrauen?“ Bea hörte nicht auf zu reden, füllte seinen Körper mit Worten, fütterte die sehr, sehr leise Stimme in seinem Inneren, sodass sie und andere wuchsen, an Kraft gewannen, sein ganzes Bewusstsein verhärteten.
„Ich muss los“, sagte er und drückte Bea das kleine Päckchen in die Hand, sie sah schön aus, während sie ihn verdutzt ansah. „Wir sehen uns.“
Als Martin das nächste Mal auf sein Handy guckte, waren Stunden vergangen, seit er Undine vor dem Amt hatte stehen lassen. Er konnte sich nicht erinnern, wo er nach dem Treffen mit Bea hingegangen war, doch nun wusste er trotz aller Buchstabentürme in ihm drin mit Klarheit, dass er sein Versprechen gebrochen hatte.
Er lief bis zum Ende der Straße, wo das Standesamt war; die graue Stadtlandschaft mit grauen, kantigen Häuserblöcken, Wänden aus Beton, metallenen Zäunen und Taubendreck war überall, Undine war nirgendwo. Er lief durch die Stadt, die nun unnahbar und feindselig schien, lief zur Spree, deren braunes Wasser ihm vorkam wie ein fließendes Bett, dessen Teil er sein wollte, als kleiner Tropfen, der zusammen mit tausenden anderen Tropfen um die ganze Welt wanderte, bis er den Tropfen finden würde, der Undine war.
Martin stand vor dem Bahnhof, von dessen Bahnsteig aus er am Abend zuvor das Wasser beobachtet hatte, wie es an das Ufer, das eine graue Mauer war, schwappte, wie es umschlossen von der Stadt sich wiegte. Es war schon dunkel, als er an der gleichen Stelle stand wie am Tag zuvor, dort, wo der Verlauf der Straße weg vom Wasser zu seiner Wohnung führte, wo das Platschen ihn zum Fluss geführt hatte. Er hörte nichts, als er dieses Mal nah ans Wasser lief und sich über das kalte, metallene Geländer hinunter zum Fluss beugte. Unten auf der schmalen, steinernen Kante, die nur ein kleines Stück höher als das Wasser lag und auch schon ganz feucht war, stand der alte Mann mit grauer Kleidung und grauem Bart, der seine Angel in seinen schmutzigen Händen hielt.
„Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche nach jemandem. Ich dachte, vielleicht finde ich sie hier“, sagte er zu dem Fischer.
„Herausgekommen ist heute nichts“, antwortete der Fischer. „Aber die, die du suchst, es gibt viele von ihr. Mit dem Wasser kommen sie, sie sind fast wie Fische, wenn sie es nur schaffen nicht zu ertrinken.“
Martin versuchte zu verstehen, was der Fischer sagte, während er seine Hände in seinen Taschen vergrub, als könnte ihm das Halt geben, als könnte er sich an Fusseln und zwei Kronkorken festhalten.
„Ich suche nur die eine“, brachte er schließlich hervor und als er blinzelte, sah er, dass der Fischer gar kein Mensch war, dass er nur ein Fleck an der Wand war, mit grünen Algen bewachsen, an den Wasser schwappte. Der Inhalt seiner Taschen konnte Martin keinen Halt mehr geben und er wankte, er fiel und ertrank in der Spree.
Josephine Behlke
Blindflug
weißer Vogel was ist dieses lied
von wahrheit und verderben,
du singst die fremde melodie,
mein herz das liebt
muss sterben.
ich bin geschrieben auf pergament
an deinen leib gebunden.
du bist schon da,
wo ich sein muss,
wenn wellen mich gefunden.
die blaue barke zerreißt die see.
wir beide taumeln am kiel,
gefangen bin ich in dunkelheit,
wo du bist, ist mein ziel.
Mit einer Plane über dem Kopf saß er im Gebüsch. Rinnsale seilten sich an den Säumen ab und bildeten eine tropfende Verbindung zum sandigen Boden. Das Stativ hatte Hannes längst im Rucksack verstaut. Der neblige Feldstecher verwehrte seinem Pflichtgefühl den Dienst. Der Adler war ohnehin über alle Berge.
Dennoch behielt er das blinde Nichts im Auge, als könnte sich auf der nebligen Scheibe plötzlich eine entscheidende Erkenntnis abbilden. Das lasche Blaugrau über den grünen Rändern der Birk, die verschwommenen Flächen, die weder die Nähe der Gegenwart noch die Ferne der Vergangenheit oder Zukunft reden machten, blieben stumm. Wie hatte es ihn hierher verschlagen?
Auf die Landzunge zwischen Birk und See? „Die See“ wie die Alten hier immer noch unverdrossen sagten, als seien sie Figuren in irgendeinem Märchen.
Auf der Suche nach Verbündeten war er auf den Nabu gestoßen. Freiwilligendienst. Ornithologie. Nicht die Naturschutzidioten, nein, die Vögel selbst hatten ihn gelockt.
Der Raum zwischen ihnen und ihm war so schweigsam und weit wie er selbst. Gesellen, die kaum mehr von der Welt wollten als er. Nahrung und der drängende Wunsch klar zu sehen.
Können Vögel nicht die Elemente durchdringen und das große Ganze sehen?
Die Hütte, sein derzeitiges Nest, war ein einfaches Holzhaus mit angemessener Ausstattung.
Klo, Wasserkocher, Bett und Schreibtisch. Letzten Sommer hatte es hier gebrannt.
Der Giebel wurde notdürftig mit Dachpappe geflickt. Nun tropfte es an Regentagen von rechts durch die Ritzen, die man vergessen hatte. Einmal am Tag kam ein alter Fischer aus Falshöft und brachte „dem Jung“ einen Gruß von siner Fru. Hering mit Salzkartoffeln und Sanddornsaft.
Sonst war er mit sich und den Vögeln allein. Aber das machte ihm nichts aus. Er hatte noch nie jemanden gebraucht. Man hatte ihn immer für einen Sonderling gehalten so eine Art Nerd, nur ohne Computer. Dabei hatte er nicht mal ein besonderes Interesse. Er war nur einfach gern allein und setzte sich nicht gern den Leuten und ihren Fragen aus. Fragen hatte er selbst genug, nur eben keine Antworten.
Die graue Fläche bekam helle Risse. Wie ein zerfasertes Tempotaschentuch aus der Hosentasche trockneten sie die letzten Tropfen. Hannes kroch aus seinem Verhau und begann die Plane zu verstauen.
Er machte sich auf den Weg.
Zur Hütte lief er noch eine kleine Strecke am Wasser entlang. Die See zauste düster und zerrissen über den schmalen Sandlauf. Die Wellen wälzten sich gefräßig an Land, leckten zischend und spritzend das flaue Ufer und zogen sich rauschend in die graue Masse zurück. Er ließ die Schuhe zurück und kletterte auf die Kribbe. Er wollte wissen, wohin sich die Teufelszungen zurückzogen, starrte in die See, als wollte er ihr zurufen: „Wohin altes Meerweib?“ Doch während die Möwen kreischend der Brandung entgegenschrien, hatte sich die Frage bereits in seinen Gedanken verfangen und blieb ungesprochen.
Sein Blick suchte das Wasser und blieb an blassblauen Augen hängen, die ihn unverwandt anstarrten. Irritiert nahm er einen schönen lebendigen Körper wahr, der nicht im geringsten daran dachte, an die Oberfläche zu tauchen. Vielmehr schien die stumme Frau dort im Wasser ihn locken zu wollen. Sein Blick folgte ihrem Stromlinienkörper, ihrer pulsierenden Brust hinab bis zur wellenförmigen Taille. Aber als er Anstalten machte, das Bein ins Wasser zu tauchen, löste sich das Bild in einen silbrigen Schwarm kleiner Fische auf, die eilig in alle Richtungen auseinanderstießen. Von der schönen Illusion erfasst, durchströmte ihn ein ungeheuerliches Wogen aus Hitze und Kälte, Lust und Müdigkeit. Lange blieb er auf den hölzernen Stelzen still hin und her wankend zurück.
Den euphorischen Tagen, die er nach diesem eigenartigen Erlebnis durchlebt hatte, folgten trübe und düstere. Jeden Tag, seit er die Wasserfrau gesehen hatte, verbrachte er auf der Kribbe.
Hockend, stehend, seine Füße umspült von der leisen Gischt. In die Tiefe hatte er geblickt und gelauscht. Manchmal waren ihm die kleinen Wellen vorgekommen wie vom Wind zerzauste Haarspitzen, aber ihre Augen wollten ihn nicht wieder anblicken. Die Erinnerung an sie strömte wie ein gedehntes Seufzen durch seinen Körper. Doch nach langen Tagen des Wartens wollte sie sich langsam in die unscharfen Regionen seines Hirns zurückziehen. Was er gesehen hatte, kam Hannes so seltsam und wunderlich vor, dass er beschloss, die letzten Fetzen zu packen und festzuhalten. Er hatte lange genug ins Wasser geblickt, um zu wissen, was keine Kamera ablichten könnte.
Stattdessen begann er in den Abendstunden zu malen. Er saß in der Hütte und versuchte den Ton zu treffen, den er seit der wundersamen Begegnung in seinem Inneren hörte. Nur gehörte Hannes nicht zu den Menschen, die Klänge oder Farben mit Formen assoziierten. So half er sich notdürftig mit den Farbtönen des Meeres, die er unwillkürlich studiert hatte. Gebückt auf dem Boden kniend, ließ er den Pinsel kratzige Wellenlinien aufs Papier bringen. Blautöne neben grau und grün getupft und mit Deckweißhäufchen garniert, füllte sich Blatt um Blatt. Zum Trocknen auf dem Boden ausgelegt, wurden die kleinen begrenzten Versuche ein arhythmischer unübersichtlicher Teppich aus Farbe, Bewegung und sich monoton wiederholenden weißen Klumpen.
Während Hannes darin seine dünne Erinnerung suchte, hörte er von der Tür her ein Geräusch. Durch die ungeöffnete Tür drängten sich kleine Bäche von Wasser in die Hütte. Hannes erkannte deutlich die neckenden Haarspitzen und Zünglein zwischen seinen Füßen. Das Wasser füllte den Boden der Hütte und ließ kleine Gegenstände, die auf dem Boden gelegen hatten, schweben. Doch noch während er im Kopf alle Möglichkeiten zwischen Rohrbruch und Hochwasser durchging, floss das Wasser, als hätte jemand den Stöpsel gezogen, durch die Türritzen wieder ab.
Er folgte dem Fluss und öffnete die Tür.
Doch es war Nichts draußen.
Die Nacht war ruhig und klar.
In der Ferne hörte er den trockenen Wind in den Salzwiesen. Nur eine kleine Wasserpfütze, die sich an der Schwelle gesammelt hatte, wollte nicht so recht ins Bild passen. Am nächsten Morgen waren auch die letzten Spuren des eigenartigen Traums verschwunden. Nur die Papiere auf dem Boden waren wie von getrockneter Feuchtigkeit geformt. Auch die Konturen der Farbflächen waren sämtlich verschwommen und zu vielfarbigen Flächen zusammengeflossen. Die weißen Höhungen waren aufgelöst und hatten sich, wie Meerschaum in transparenten Spritzern auf den Flächen verteilt. Das gewellte Papier störte den Eindruck des Ganzen, doch war die Veränderung, die sich durch das nächtliche Ereignis ins Bild gesetzt hatte, eine Annäherung an seine täglichen Beobachtungen. Deutlich war das Fließen selbst ins Bild gekommen, auch wenn es durch die getrocknete Farbe eben nur eine Fläche blieb. Er entdeckte membranartige Passagen, dünne zerbrechliche Farbschichten, die wie ein Hochzeitsschleier über dem spröden Papier lagen. Auch wenn keineswegs von einem Bild die Rede sein konnte, lag in diesen einzelnen unverbundenen Passagen eine Schönheit, die ihn auf eine komische Art berührte.
Nach dem Frühstück ging er zur Kribbe, um nach der Meerfrau zu sehen und nachzudenken. Als er an die See gelangte, grüßten ihn schillernd wogende Regenbögen auf der Wasseroberfläche. Lustig tanzten die Spektralfarben kreisförmig mit den Wellen ein munteres Ringelreihen. Am Rande klebten einige glänzende, schwarz-fedrige Klumpen. Das Wasser war gar nicht mehr transparent, sondern wie ein magisches Fluid, gleichzeitig kompakt und dennoch flüssig. Hannes hatte verstanden.
Er brauchte andere Farben, Rot, Gelb, Blau, Grün. Neue Substanzen, Ölfarbe, Leinwand, Terpentin. Er verbeugte sich dankbar vor den Wellen, und beschloss, sofort alles Nötige zu besorgen. Es war nicht einfach, brauchbares Material aufzutreiben. Er wusste, dass die meisten Maler Ölbilder malen und das schien ihm der entscheidende nächste Schritt zu sein. Er suchte sich online die wichtigsten Regeln und Techniken der Ölmalerei zusammen. Terpentin zum Verdünnen der Farbe und ganz wichtig -„Fett auf mager“ malen. Das war es im Großen und Ganzen auch schon. Nur die Auswahl der Farben war nicht ganz einfach. Es gab nicht nur ein Blau. Es gab Ultramarin (das klang schon mal richtig), Preußisch Blau, Kobalt, Königsblau, Coelin und Cyan. Ebenso war es mit allen anderen Farben. Zudem waren die öligen Pasten unterschiedlich stark pigmentiert, deckend oder durchscheinend. Er entschied sich spontan für die klangvollsten Varianten und ließ die gesamte monatliche Aufwandsentschädigung dafür im Laden.
Die nächsten Nächte verbrachte er wie im Rausch. Wie ein Alchimist begann er die Farben mit Terpentin anzurühren, Farbmischungen in alten Kaffeebechern herzustellen; hundert verschiedene Farbstufen in allen Konsistenzen tropfte und schichtete er auf den Malgrund. Wenn die Farbe dabei zu dicht wurde, nahm er vorhandenes Küchengerät, um den matschigen Schlamm auf der Oberfläche zu verteilen oder über den Rand der Leinwand zu schieben. Draußen vor der Hütte hatte es begonnen zu stürmen. Dicke Regenwolken formierten sich am Himmel. Das Verdünnungsmittel waberte schwer über den Boden, er sog es ein, zusammen mit dem Bier, das er trank. Die Welt zog sich zusammen und eine ungekannte Gier stieg in ihm auf. Er malte wie besessen, wühlte sich durch die Nacht. In seinem Kopf Bildfetzen. Die Erschaffung von Formen, Schatten und Räumen, allein mit transparenten und fetten Farbspuren. Ein Gefühl von Macht. Er verausgabte sich, ging über jede Grenze, ehe er vertrocknet von den Dämpfen mit silbrig klebenden Schuppen vor den Augen einschlief. … Der Morgen brachte ihm herben Kopfschmerz. Seine Lippen waren zerbissen. Er erhob sich, um die entstandenen Bilder anzusehen. Die Nacht war noch vor dem Frühstück gegangen und hatte nichts zurückgelassen als spröde Trockenheit. Er hatte Durst. Mein Gott, diese Leinwand. Sie wirkte nun, da der Rausch vorbei war, so matt und abgesoffen wie er selbst. Das Chaos auf der Bildfläche sah ihn vorwurfsvoll an. Das Bild erschien ihm wie eine verschlossene Tür. Ein völliges Missverständnis, Ausdruck seiner Begrenztheit. Stereotype Motive, belanglose Formen glotzen ihn an. Ratlos wandte er sich ab. Seine vogelkundlichen Aufgaben warteten.
Die Küstenlandschaft mit ihren verlandeten Schilfsümpfen hatte sich nach dem Regen wieder vollgesogen wie ein Schwamm. Jeder Schritt, den er im Naturschutzgebiet tat, um an einem geeigneten Ort seine Strichlisten fortzuführen, hinterließ kleine wassergefüllte Vertiefungen. Während der Zählung verlor er immer wieder den Faden, die Vögel verschwammen vor seinen Augen zu bedeutungslosen Flecken und Punkten, und er musste wieder von neuem zählen.
Doch die Bilder krochen ihm wie verdorbenes Essen durch den Körper. Er wollte sie loswerden, so ärgerlich schien ihm das Ergebnis der letzten Nacht. Aber gleichzeitig zog und zerrte etwas in ihm, das er nicht abschütteln konnte. Als er die Bilder betrachtet hatte, hatte er neben Ärger und Enttäuschung auch eine Art Widerspruch gespürt, der drängend eine Antwort forderte. Deshalb zog es ihn nach der Arbeit wieder ans Wasser. Als er an der gewohnten Stelle auf der Kribbe stand, hörte er das Meer in seinen Ohren knistern. Das gleichmütige Schlagen und Zischen der Wellen verlangsamte sich, ehe es verstummte. An ihre Stelle trat das Geräusch leise kristallisierenden Wassers. Das Meer gefror in seinen Augen.
Vorsichtig, betrat er die eisige Fläche und tastete sich schrittwärts immer weiter hinaus. Er verließ das Land und das Wasser selbst war ihm die Brücke, um das Meer von innen bis zu seinem Rand zu betrachten. Er lief dem Himmel entgegen, bis das Ufer ebenso weit entfernt war wie der Horizont und legte sich flach auf das Eis. Sein Atem ließ die Eisschicht schmelzen und gab den Blick frei auf eine transparente, undurchdringliche Tiefe segmentierter Eisschichten, die auf jeder Ebene auf dem Weg zum Meeresboden eine Nachricht für ihn bereithielt. Feinschlaufiges Seegras wand sich durch das Eis und ließ ihn in der Tiefe eine eigenartige Landschaft erblicken. Ein Windhauch streifte ihn und eine Handvoll grüner Murmeln klingelte durch das eisige Spiegelkabinett hinab in ein vollkommenes Kristallgewölbe, an dessen scharfem Schliff sich Licht und Schatten in bunten Scherben brachen. Geknicktes Licht flitzte kreuz und quer vor seinen Augen wie Erinnerungen, die nicht zu greifen und nicht abzustreifen sind. In der Tiefe schaukelten Korallenbäume, als spürten sie den aufkommenden Wind im Geäst. Hannes legte sein Ohr an das eisige Fenster und folgte dem mechanischen Kling-Klang der Murmeln, die fern und nah ihren Weg durch die kristalline Zeit suchten. In seinem Kopf zog ein Magnet alles zu einem Strudel zusammen. Er ließ sich treiben und floss im Nebelmeer durch die lachenden Wasser. Auf ihm trieben leichte Boote mit schwerem Schicksal. Männer drängten sich hoffnungslos am Kiel. In ihren Augen spiegelte sich das rettende Ufer, aber das Wasser blickte gleichgültig zurück.
Unter ihm schwammen die Schatten der Meerfrau und ihres Hofstaats, wie unvollkommene Risse, ungelittene Liebe und unvertäute Worte. Die Schwäne sangen ein Märchen aus uralten Zeiten dazu.
Dagegen war der Tumult, den die DLRG verursachte, unerträglicher Krach. Jemand schrie harsche Befehle. Etwas klatschte neben ihm ins Wasser. Ein starker Männerarm umfasste seinen Rumpf und zerrte ihn mit sich.
Das skandinavische Eisschild war vor 14.000 Jahren geschmolzen und er hatte es zu spät bemerkt.
Noch auf dem Boot wurde ihm das Wasser aus der Lunge gedrückt.
Jemand sang ein scheußliches Diskolied und presste ihm rhythmisch seinen Handrücken auf die Brust. Die fremdverbrauchte Zigarettenluft, die ihm abwechselnd in Nase und Mund geblasen wurde, ließen Ekel in ihm aufsteigen.
Er öffnete die Augen.
Man hatte ihn ins Krankenhaus gebracht und dort hatte er jetzt Zeit.
Genug davon, um Nachzudenken.
Er wusste nicht, wie er ins Wasser geraten und warum er Schiffbruch erlitten hatte.
Knapp sei es gewesen, sagte der Arzt.
Und doch, soviel war Hannes klar, hatte er ein Geschenk bekommen, dass es nun auszupacken galt.
Dieser Gedanke zog ihn zurück ins Leben und vor allem in seine Hütte zu den widerspenstigen Bildern, denen er noch immer eine Antwort schuldete.
In den folgenden Wochen führte Hannes einen stummen Dialog mit seinem Bild.
Er behauptete und das Bild widersprach, er versuchte es zu überzeugen, das Bild argumentierte dagegen. Er begann dem Bild zuzuhören und fand langsam eine Sprache, die ihm bis dahin nicht zugänglich gewesen war. Immer feiner wurde das Gespräch zwischen ihm und dem Bild, bis er das Hin und Her zwischen behaupten, zurücknehmen, neu formulieren, ergänzen und weglassen so sehr beherrschte, dass das Bild irgendwann zufrieden verstummte.
Manchmal besuchte er die Meerfrau, die an ruhigen Tagen in den Untiefen der Bucht dümpelte und ihn neugierig anblickte.
Dann und wann traf er Undine, die Tochter des Fischerpaares, die die Semesterferien bei den Eltern verbrachte. Ein eigenartiges Mädchen, das sie nach ihrem seltenen Gendefekt benannt hatten:
Undine, die einen Fehler im zentralen Nervensystem hat,
Undine, die Brillenfrau,
Undine, die nie schläft und die die Welt mit messerscharfen Gedanken wie Zwiebelschalen seziert, Undine, die den Reflex vermisst, im Schlaf Luft zu holen.
Undine muss nachts beatmet werden, wenn ihr Körper vergisst, den ansteigenden Kohlenstoffdioxidgehalt im Blut mit Sauerstoff auszugleichen. Dann ist sie blass und kalt, wie eine die im Eis ertrunken ist, beginnt zu hyperventilieren oder hört einfach ganz auf zu atmen. Deshalb schläft Undine nie allein. Sie schließt die Augen beim Surren der Atemmaschine und muss vergessen, dass irgendeine Alte auf der Bettkante sitzt und die Lämpchen und Zackenlinien auf dem Monitor bewacht.
Das alles aber hielt sie nicht davon ab, trotzdem immer öfter nachts auf der Ausstattungskiste in der Hütte zu sitzen und ihm beim Malen zuzusehen.
Sie schaute die Bilder an und stellte immer genau die Fragen, die den Malprozess wieder in Gang brachten, wenn er in eine Phase von Ratlosigkeit gestolpert war. Obwohl es insgesamt recht gut lief, strandete er regelmäßig auf dieser Sandbank.
Dachte er im Bild über Grenzen und ihre Prinzipien von Ausschluss und Durchlässigkeit nach und führte verschiedene Reihen malerischer Experimente durch, erinnerte sie ihn daran, sich nicht in einem Netz aus formalen Fragen zu verfangen und auch den einfachen Lösungen und Motiven aus dem Weg zu gehen. Ihre Kommentare waren präzise und führten ihn jedes Mal zurück zur Idee von simultaner Gegenwart, die sich in jedem Bild auf neue Art und Weise ausdrückte. So gelang es ihm mehr und mehr, kleine symphonische Kompositionen zu entwickeln, deren vielfache Ebenen einen polyphonen und dennoch geschlossenen Gesamtklang ergaben.
Die Bilder bekamen Tiefe und eine eigenartige Kraft, die sich aus der Farbe schälte wie ein Küken aus dem Ei.
Als das Jahr auf der Birk zu Ende ging, hatte Hannes das Suchen aufgegeben und angefangen zu sehen - und zu finden. Er hatte sich auch an den eigenartigen Rhythmus gewöhnt, der sein Leben auf der Birk bestimmte. Morgens kümmerte er sich um die Dokumentation der Kormoranpopulation und zählte täglich Knäkenten und Ohrentaucher, zweimal in der Woche führte er Naturschutztouristen am Noor entlang und berichtete den Forschungsstand für die Neugierigen. Nachmittags und nachts arbeitete er an seinen Bildern unter den Augen von Undine.
Die Schiffbruchnacht hatte in ihm, das war ihm inzwischen klar, eine Grenze eingerissen. Nicht, dass er die Welt jetzt irgendwie anders wahrnahm, das Malen war zu seiner persönlichen Echokammer geworden. Gewissheiten und Wahrheiten, die ihm früher wie Felsen vorgekommen waren, hatten sich in ein prekäres Element verwandelt, dass die sichtbare Welt in winzige Wassertropfen verwandelte, die nur unter bestimmten Bedingungen zu einer Masse zusammenfließen oder sich in unsichtbare oder undurchdringliche Elemente verwandeln.
An einem Abend stand Undine auf und umarmte ihn wortlos. Das Bild, an dem er seit Tagen arbeitete, beschäftigte sie sehr. Aufgeregt ging sie auf und ab. Ihre Arme kreisten. Etwas in dem Bild ließ sie nicht los. So sieht es aus, brach es aus ihr heraus. Der Zwischenraum, wenn der Atem stillsteht und du nicht weißt, auf welcher Seite du wieder aufwachst.
Sie schüttelte ihn. Er verstand nicht. Er musste ihr versprechen, das Bild für sie aufzuheben. Mehr sagte sie nicht. Dann war sie weg. Sie kam auch nicht wieder. Stattdessen kam Bea.
Es hatte ganz normal angefangen. Führung am Noor, nettes Geplänkel im Anschluss an den Spaziergang. Sie war hübsch und offensichtlich interessiert an seinen Bildern. Er hatte sich angewöhnt, seine Ausführungen über die Küstenlandschaft mit regionalen Legenden anzureichern und dabei scherzhaft erwähnt, dass ihn ein Nixenkuss zum Maler gemacht habe. Bea war eine lässige Großstadtfrau in schwarzen engen Klamotten und hatte ein geerbtes Sommerhaus in Nieby. Sie lud sich selbst in sein „Atelier“ ein und stiefelte mit Expertengesicht durch die Hütte.
Er zeigte ihr seine letzten Bilder. Sie war sofort begeistert. Er musste ihr die „Story“ von der Nixe noch einmal genau erzählen. Das schien sie irgendwie anzumachen.
Dann ging alles ganz schnell. Sie wollte mit ihm Wein in den Dünen trinken, ihn vögeln und ihrem Chef vorstellen. Bea war „Galerina“ in einer Hamburger Galerie. Sie hatte Kunstgeschichte studiert und jobbte nun schon seit 3 Jahren bei „Golden Hands“ in der City. „Ausstellungsorga,
Openings und so“. Klingt gut, sagte er, nickte und verstand nichts. Aber ihr Körper roch gut und ihre Brüste drückten sich an ihn.
Das ist zwei Jahre her.
Die erste Ausstellung hatte krass eingeschlagen. Ein fetter s old out. Danach ging es los. Erst Berlin, dann London. Jetzt arbeitete er unter Hochdruck für New York. Er lebte in Beas Apartment und konnte sich ein Studio im Gängeviertel leisten. Sie hatte ihn in ihr Leben mitgenommen.
Bei der ersten Ausstellung hatte er sich noch wie ein Fremdkörper im Aquarium gefühlt. Um ihn herum wimmelten fremde Leute, die wichtig durch den Glaskasten streiften, Becks tranken und die Luft aus den Betonwänden atmeten. Aber als er sah, wie im Laufe des Abends immer mehr rote Punkte neben seinen Bildern klebten und ihm klar wurde, was das zu bedeuteten hatte, begann er zu wachsen. Seine Muskeln sprengten erst das alte T-shirt, als wäre es ein enges Superheldenkostüm, dann das Aquarium. Alle Leute wollten mit ihm reden, wollten die Geschichte von der Nixe und dem Schiffbruch hören. Jeder meinte, das Außerordentliche in seinen Bildern zu erkennen. Er gewann den Playground Art Prize und ständig neue Frauen.
Bea flippte immer noch jedes Mal aus, wenn er nach einer Eröffnung mit irgendeiner Kunststudentin abzog. Aber was sollte er machen? Die Dinge entwickelten sich eben. Außerdem waren auch immer wieder ein paar interessante Leute dabei, die was für ihn machen konnten. Wie die Kleine, die diesen Sammler aus Norddeutschland angeschleppt hatte. Der Kerl sieht aus wie eine Urgewalt. Ein Körpermassiv mit einem vollendeten Rauschebart. Der hatte sich im Atelier nur einmal umgesehen und schweratmend eine Auswahl von zehn Bildern für seine Ferienhaussiedlung geordert. Sogar einige alte Bilder waren dabei. Und eines von der Birk, dass er lange aufgehoben hatte. Aber klar, ein Maler braucht Platz im Atelier. Er stellte einen Lieferschein aus, attestierte mit einer zackigen Signatur die Echtheit der Werke und wies seinen Mitarbeiter an, alles fachgerecht zu verpacken. Er selbst musste sich noch um die silberne Schuppenjacke kümmern, die er in New York zur Eröffnung tragen wollte…
Es war ein regnerischer Tag. Die Küstenwache verzeichnete Hochwasser im Hafenbecken und in seinem Briefkasten lag eine Todesanzeige.
Undine war eingeschlafen.
Julia Binner
Andenken
Ich weiß nicht genau, wann ich das letzte Mal hier war. Früher bin ich oft am Neptunbrunnen vorbeigegangen – auf dem Weg zu Arbeit und zurück. Ich habe mich oft geärgert. Über die vielen Menschen. Über die Reisebusse, die touristischen Angebote und Verkaufsstände und den grell blinkenden Weihnachtsmarkt – ich musste von Oktober bis Januar immer einen riesigen Umweg laufen. Das hatte mich geärgert.
Ich war wohl auch verärgert an dem Tag im Dezember, als Du in mich reingelaufen bist. Ich weiß, Du erzählst es immer andersherum, aber das ist meine Geschichte. Ich wollte nur schnell zur U-Bahn und Du bist in mich reingerannt. Ich habe zugelassen, dass Du mich in einer dieser riesigen Kaffeeketten auf einen Tee einlädst.
Heute stehe ich vor dem Brunnen und sehe ihn mir genau an: Ein entspannt thronender Neptun, den Dreizack mal eben über die Schulter geworfen, allerlei Getier bespuckt ihn und die umgebenden Putten mit Wasser. Das Wasser sprudelt nur so, es tost und braust. Kaum ein Wort kann man verstehen.
So richtig viel Aufmerksamkeit habe ich dem Brunnen bisher nicht geschenkt. Das riesige Ding stand eben immer auf dem Platz, geeignet als Photohintergrund für Grüße nach Zuhause und zum Andenken. Da werden die Durchreisenden Anlass haben, vom Wetter in Berlin zu erzählen oder von den Menschen, die wenige Meter weiter einfach so auf der Straße leben. Ja, sowas gibt es in Mellinghausen nicht.
Von Mellinghausen hast Du mir hier erzählt. Im Frühjahr war das, das Wasser des Brunnens toste schon und es war so warm, dass wir Eis aßen.
Du erzähltest mir von IHR.
Deine Worte rauschten durch mich durch, kaum hörbar, da der Brunnen so laut war. Ohrenbetörend laut.
Wie auch damals schauen mich heute Neptuns Damen erwartungsvoll an. Als würden Sie mich fragen: Wie wirst Du reagieren? Was wirst Du sagen? Ihre Blicke wandern abwartend an mir vorbei in die Ferne gerichtet auf Menschengruppen mit Handys an Stöckern. I-love-Berlin-T-Shirts. Leihfahrräder, Segways und E-Scooter.
Ich nähere mich einer Nymphe. Komm her, sagt sie. Komm, erzähl mir, was passiert ist. Nichts, sage ich. Es ist nichts passiert. Es hat sich nichts verändert und alles. Sie reicht mir ihre grüne Hand. Ich erzähle ihr von uns. Übergebe ihr meine Erinnerungen. Komm zu mir, setz Dich zu mir.
Ich bin sehr müde. Ich setze mich. Wünschte mir, das Wasser klärte meine Gedanken. Es läuft mir über den Kopf. Sie guckt mich nicht mehr an. Schaut nachdenklich in die Ferne. Wie hätte ich reagieren sollen? Was denkt sie? Was denkt sie über mich?
Das letzte Jahr war für mich wie vorher. Nichts Besonderes. Nichts besonders Erwähnenswertes. Bis ich Dich sah. Mit ihr. Hätte ich anders reagieren sollen? Dir sagen, sie zu verlassen, bei mir zu bleiben, mich nicht allein zu lassen? Hätte das etwas geändert?
Ich weiß nicht, wo ich sein werde, wenn Du das hörst. Sicher ist, wir werden uns nie wiedersehen können. Ich hoffe, Du lebst Deine Träume und wirst glücklich.
Mach es gut.
+++ Tödlicher Polizeieinsatz vor Rotem Rathaus: Eine 31-jährige verwirrte Frau wurde durch den Einsatz einer Dienstwaffe am Dienstag tödlich verwundet und verstarb noch im Rettungswagen. Im Netz kursierender Handyfilm soll den Schuss auf die unbewaffnete Unbekleidete in einem Brunnen zeigen. Die Staatsanwaltschaft Berlin kündigt Ermittlungsverfahren an. ++
Heline Celik
Die Sehnsucht einer Meerjungfrau
Erstes Kapitel
In einem wunderschönen kleinen Vorort in der Nähe von Brighton lebte ein junges Mädchen namens Mairin. Sie war zwölf Jahre alt und kam aus armen Verhältnissen. Ihre Familie besaß nicht viel, aber sie selbst war immer dankbar. Ihr Vater war ein einfacher Fischer, der es nie leicht hatte im Leben. Mairin war fast jeden Tag am Meer und besuchte mit ihrem Vater ab und an auch eines der schönen Cafés in Brighton. Besonders liebte sie die frischen Scones, die sie einmal im Monat kauften. Außerdem durfte sie ihrem Vater oft bei der Arbeit am Meer zusehen. Während der Schulferien wachte sie schon um fünf Uhr morgens auf und begleitete ihren Vater zur Arbeit. Die Fischer trafen sich immer zuerst am Hafen, um dann auf das Meer zu fahren. Mairin konnte ihrem Vater sogar beim Einholen der Netze helfen und war jedes Mal sehr aufgeregt und überrascht, wie viele Fische sie einfing. Außerdem konnte sie zusehen, wie die Sonne aufging und sich der Himmel gelb-orange färbte und die Welt wieder an Farbe gewann. An einem späten Nachmittag fuhr Mairin mit dem Fahrrad ans Meer. Am Hafen angekommen, lief sie hinunter und genoss die frische Meeresluft. Sie setzte sich ganz nah ans Meer und blickte in die Ferne. Mairin liebte es, allein zu sein und für einen Moment einfach nur zu sitzen, das Meer zu beobachten und sich schöne Momente auszudenken. Eines Tages kam ihr die Idee, eine Wanderung zum berühmten See am anderen Ende der Stadt zu unternehmen. Mairin war sich sicher, dass ein wenig Abwechslung der Familie Glück und Freude bescheren würde. Doch der Vater und die Mutter waren nicht begeistert von der Idee. Dennoch überredete Mairin die Eltern und ihre Schwestern an den See zu fahren, über den sie schon viel gehört hatte. Viele Einwohner von Brighton besuchten ihn und erzählten Geschichten von Seemonstern und ungewöhnlichen Lebewesen. Die junge Mairin hatte immer ein offenes Ohr für jede Geschichte und für jede Vermutung, die über den mysteriösen See erzählt wurde. Anders als alle anderen in der Stadt war sie immer sehr interessiert und begeisterte sich für diese schaurigen Erzählungen. Als Mairin am folgenden Tag vom wöchentlichen Marktbesuch nach Hause zurückkehrte, entdeckte sie ihren Vater und ihre Mutter aus der Ferne, die beisammen im kleinen Garten saßen. Sie tranken Tee und beobachteten die singenden Vögel, die wie jeden Nachmittag den Garten erkundeten. Er sah durch die blühenden Rosen und Tulpen aus wie ein Gemälde. Das war Mairins Lieblingsanblick, wenn sie vom Markt kam. Sie wusste, dass diese schöne Erde mit all der Natur und all den schönen Lebewesen mehr als immer nur denselben, eintönigen Alltag zu bieten hatte. „Ich werde es entdecken“, murmelte sie vor sich hin. Der lang ersehnte Tag war gekommen. Am frühen Morgen eines Frühlingstages fuhr sie mit ihrer Familie zum See.
Zweites Kapitel
Der See war einige Kilometer entfernt und sie fuhren mit dem Fahrrad. Nach einer Weile traf die Familie auf zwei Abzweigungen. Sie blieben kurz stehen und überlegten, welchen Weg sie fahren sollten. „Mairin, ich dachte, du hättest dich vorbereitet und wärst dir sicher, welche Strecke wir fahren“, sagte die Mutter. „Ja, das bin ich auch. Keine Sorge, Mutter, wir nehmen den Pfad nach links“, sagte die etwas nervöse Mairin, obwohl sie sich nicht sicher war. Der Wald wurde immer dichter und dunkler. Das muss an den immer enger stehenden Bäumen liegen, dachte Mairin. „Ich weiß nicht so recht, ob das eine gute Idee war, Mairin“, sagte die Mutter etwas besorgt. „Mutter, hör auf! Wir sind doch bald am See und es wird sich lohnen. Du wirst schon sehen“, antwortete Mairin noch voller Aufregung. „Lass uns doch kurz eine Pause einlegen“, schlug der Vater vor. Sie blieben stehen und setzten sich an einen Brunnen. Der Brunnen war sehr alt und das Moos hatte sich schon weit über ihn ausgebreitet. Plötzlich flogen Raben um den Brunnen herum und setzten sich zu Mairin und ihrer Familie. Mairins Schwester fing an, hektisch um sich zu schlagen. Um die angespannte Situation etwas zu beruhigen, holte Mairins Mutter den Proviantkorb hervor und sie aßen ein wenig. Mairin überkam plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil sie sich für all das verantwortlich fühlte. Sie biss noch ein Stück vom Brot ab und stand auf, um vorauszugehen.
Sie schaute in den Himmel und war erstaunt darüber, wie düster und schaurig der Wald wirkte, obwohl der Himmel so klar und hell war. Vielleicht stimmten die Sagen über den See. Also überlegte Mairin kurz, ob es besser wäre zurückzukehren und einer möglichen Gefahr auszuweichen. Sie war aber auch sehr gespannt und hatte doch so lange gebraucht, um ihre Eltern zu dieser Wanderung zu überreden. Sie hoffte jetzt auf ein Zeichen im Wald, um den richtigen Weg zu finden. Da war es, das Zeichen: Ein Singvogel. Er flog ganz in die Nähe von Mairin und die beiden trennte nur ein Schritt. Der Vogel war sehr klein und zierlich. Er schaute Mairin an. Jetzt war sie sich sicher, denn dieser kleine Singvogel war das einzig Schöne und Hoffnungsgebende. Also ging sie freudig zurück zu ihrer Familie und fragte sie, ob sie mit ihrer Pause fertig sei. „Ja, Liebes. Wir können weiterfahren. Uns fehlt ja nicht mehr viel bis zum See“, sagte Mairins Mutter. Also fuhren sie weiter und es wurde plötzlich immer heller im Wald. Die frische Luft schien auch Mairins Vater gutzutun. „Spürt ihr das auch?“, fragte Mairin ihre Eltern. „Nein, was meinst du?“, entgegnete die Mutter. „Na, die frische Luft, die Vögel, die zwitschern, als würden sie im Chor singen, und der Wald, der jetzt so hell erscheint wie der Schnee im Winter“, zählte Mairin überglücklich auf. Die Mutter schaute zu ihr herüber und Mairin konnte ihr die Erleichterung im Gesicht ablesen. Die anfänglichen Sorgen, die sich am Brunnen zugespitzt hatten, waren schnell vergessen. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie den See erreichten. Je näher sie am Ziel waren, umso aufgeregter wurde Mairin. „Seht mal! Ich sehe schon den See. Wir sind ganz bald da!“, sagte Mairin.
Drittes Kapitel
Der See war sehr groß und überraschend klar. Das Wasser funkelte und war so hell, dass man die kleinen Fischchen schwimmen sah. Ringsherum waren Schneeglöckchen zu sehen, die den See wie einen Bilderrahmen schmückten. Die Familie blickte auf den See und war begeistert, wie schön und atemberaubend dieser aussah. „Mairin, das ist so toll“, sagte der Vater. Er ging ganz vorsichtig an den See und schaute auf das Wasser. Sein Gesicht spiegelte sich im funkelnden Nass und ihm wurde ganz wohl dabei. Er schloss die Augen und atmete die warme Frühlingsluft tief ein. Auch die Mutter näherte sich dem See und schaute auf das Wasser. Mairin erinnerte sich an die Schauergeschichten, die über den See erzählt wurden, und konnte gar nicht verstehen, wie an solch einem schönen Ort gruselige Gestalten leben sollten. Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Mairin war zwar sehr oft am Meer in Brighton, aber der See war etwas anderes. Das Wasser war so sauber und so still, dass man meinen konnte, die Fische schwimmen zu hören, wohingegen das Meer und die Wellen so laut waren, dass man kaum irgendetwas anderes wahrnehmen konnte. Es verging ein wenig Zeit und die Familie genoss noch immer den Anblick des Sees. Mairin war sehr zufrieden und glücklich mit dem Ausflug, aber auch ein wenig enttäuscht. Denn insgeheim wünschte sie sich, etwas Mystisches im See zu entdecken, da sie sich darauf vorbereitet hatte. Als alle nach Hause fahren wollten, blieb Mairin noch ein wenig zurück und sah ein letztes Mal auf den See. Überglücklich, aber ein klein wenig enttäuscht, lief sie zu ihrer Familie.
Doch plötzlich erklang eine Stimme. Es war ein leises Kichern und Mairin konnte es hören, weil sie noch als letzte am See war. Sie drehte sich um und schaute auf den See. Und da war es noch einmal, ein Kichern. „Hihihi“. „Hallo, wer ist da?“, fragte Mairin laut. „Ich höre dich. Wer auch immer da ist, bitte zeige dich“, sagte sie bestimmend. Die Schwestern riefen nach Mairin und warteten auf sie. Mairin antwortete, dass sie ruhig ein wenig vorausgehen sollten. Also suchte Mairin nach etwas, was kicherte. Tatsächlich kam das Kichern erneut. „Du bist ganz schön mutig, hihi“, hieß es diesmal. „Wer bist du und warum zeigst du dich nicht?“, fragte Mairin. „Du willst wirklich, dass ich mich zeige? Bist du denn bereit dafür? Du hast es gespürt, stimmt’s?“, gab eine schöne Mädchenstimme von sich. „Ja, ich habe in der Tat gehofft, etwas zu sehen, weil ich schon viele Geschichten über den See gehört habe. Ich dachte aber nicht an etwas wie eine Stimme ohne Erscheinung“, antwortete Mairin. „Du bist nicht nur mutig, sondern auch ziemlich lieb. Ich habe dich und deine Familie die ganze Zeit über beobachtet. Du hast wirklich Glück“, sprach das geheimnisvolle Wesen. „Danke, aber ich will dich sehen. Wie kannst du reden und mich hören, wenn du gar nicht da bist? Bitte zeige dich. Ich habe nicht mehr viel Zeit und meine Eltern und Schwestern warten ein paar Meter entfernt auf mich“, sagte Mairin und hoffte dieses Mal die geheimnisvolle Stimme zu sehen.
Und da war sie. Eine Erscheinung, wie sie Mairin noch nie zuvor begegnet war – nicht einmal im schönsten Märchen. Das Mädchen kam wie aus dem Nichts aus dem See heraus, setzte sich mit ihrem Fischschwanz auf einen Felsen und sah atemberaubend schön aus. Sie hatte langes, rotes und gewelltes Haar. Ihre Augen waren so dunkel und ihr Blick sehr tiefgründig. Den Kontrast ihrer roten Haare zu den dunkelbraunen Augen hatte Mairin so noch nie gesehen. Doch am allermeisten war sie über den Fischschwanz des Mädchens erschrocken. Mairin sah doch tatsächlich eine Seejungfrau! „Du, du bist eine Seejungfrau?“, stotterte Mairin fragend. „Ja, das hast du richtig erkannt. Ich heiße Meredith und lebe hier im See. Du bist seit langer Zeit einer der wenigen Menschen, die den See besuchen. Ich habe dich aus der Tiefe des Sees beobachtet und muss sagen, dass ich ein wenig neidisch war. Du hast so eine tolle und liebenswerte Familie, Mairin. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen“, sprach sie schon fast ein wenig traurig. „Aber du bist ja gar keine schaurige Kreatur“, sagte Mairin. Da fing Meredith an, laut zu lachen, und sagte: „Oh, ich nehme an, das ist ein Kompliment? Ich nehme auch an, dass du dir wahrscheinlich viele schaurige Geschichten über diesen See anhören musstest. Deshalb nehme ich dir das nicht übel, denn genau aus diesem Grund traut sich seit Jahren kaum jemand hierher.“ „Ja, genau. Ich habe viele gruselige Geschichten über diesen See gehört und über Gestalten, die sich hier verstecken. Aber dass ich einem so besonderen Wesen wir dir begegne, hätte ich niemals gedacht! Meredith, wie lange bist du schon hier? Und warum warst du eben so traurig, als du über meine Familie gesprochen hast?“, begann Mairin zu fragen. „Ich lebe schon seit über hundert Jahren, kann dir aber nicht sagen, wie alt ich bin. Ich weiß es selber nicht. Jedenfalls ist dies der einzige Ort, an dem ich mich befinden darf. Mein Vater erlaubt es mir nur, in diesem See zu leben. Eigentlich würde ich viel lieber im Meer leben, weil es viel spannender und größer ist. Umso mehr freut es mich, wenn ich Menschen wie dir begegne, liebste Mairin“, sagte Meredith und schaute Mairin dabei ganz erwartungsvoll an. „Und wie kommen dann diese schaurigen Geschichten zusammen, wenn du kaum auftauchst und so schön bist?“, fragte Mairin. Erneut musste die Seejungfrau lächeln und antwortete: „Auch das ist eine Erfindung meines Vaters. Er ließ bei einem Besuch bei den Menschen einen seiner Wassermänner hinausschwimmen und den Menschen Angst einjagen. Dabei ließen sie den Wald und den See sehr düster und bewölkt aussehen, damit sich das herumspricht und sich keiner mehr hierherwagen könnte. Es ist also äußerst selten, dass sich noch Menschen an den See trauen, und es kam seit über acht Jahren nicht mehr vor. Ich habe dich und deine Familie, bevor ihr hier ankamt, schon im Wald gehört und habe dafür gesorgt, dass es hier einladend wirkt. Tut mir leid, falls dies ein wenig spät geschah, aber ich habe nach solch einer langen Zeit nicht mehr mit Besuch gerechnet.“ „Du hast uns schon gehört, obwohl wir noch gar nicht hier waren? Hast du besondere Gaben? Ich meine, wir waren doch noch so weit weg vom See“, platzte es aus Mairin heraus. „Ja, ich kann alles in einem sehr großen Radius hören und auch sehen. Aber leider bin ich …“ Plötzlich wurde Meredith still und überlegte. „Du wolltest doch noch was sagen. Wieso hast du aufgehört?“, fragte Mairin. „Weißt du, liebste Mairin, ich fühle mich so einsam hier. Mein Vater ist sehr streng und deshalb darf er von unserer Begegnung nichts erfahren. Ich werde dir den Grund nennen, weshalb ich hier eingesperrt bin“, antwortete Meredith. „Jetzt hast du mich neugierig gemacht“, sagte Mairin. Sie konnte noch immer nicht glauben, was hier gerade geschah. „Kann ich dir vertrauen Mairin?“, fragte Meredith. „Ja, wirklich! Ich werde niemandem von dir und unserer Begegnung erzählen. Ich verspreche es dir, wirklich“, sagte Mairin und blickte Meredith dabei tief in die Augen. „Also gut. Ich glaube dir, Mairin, und spüre, dass du einer von den guten Menschen bist. Ich werde dir von meiner bisher schönsten Begegnung in Brighton erzählen“, sagte Meredith.
Viertes Kapitel
„Ich weiß, dass wir schon seit über hundert Jahren an der Küste von Brighton leben. Ich lebte ursprünglich also gar nicht hier im See, sondern im Meer. Ich erinnere mich an die schönen Tage dort. Ach, weißt du, das Meer bot mir so viele Möglichkeiten. Es war nie langweilig und ich konnte schwimmen und schwimmen, nie war ein Ende in Sicht. Das ist hier leider nicht der Fall. Meistens tauche ich hier gar nicht erst hoch, weil ich weiß, dass sich wegen meines Vaters niemand herwagt. Eine Freundin wie dich kennenzulernen war schon immer mein Traum! Ich habe keine Freundin da unten. Nicht mehr. Mein Leben im Meer war so viel interessanter, weil ich oft auftauchte, um Menschen zu beobachten. Eines Sommers entdeckte ich beim Beobachten einen Jungen am Strand. Er hatte blondes Haar und sein Lächeln war unbeschreiblich schön. Menschen haben mich schon immer fasziniert, aber er war nicht einfach nur ein Mensch, sondern ein ganz besonderer.“ Mairin hörte Meredith gespannt zu und blickte in ihre funkelnden Augen, als sie von dem Jungen am Strand sprach. „Ich hatte mich in ihn verliebt und wusste, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit er an den Strand kam. Jeden Samstag und Sonntag kam er zum Schwimmen. Ich hörte ihn sagen, dass er sich wünschte, jeden Tag ans Meer zu kommen. Sogar an seinem Geburtstag kam er an den Strand. Diesmal mit vielen Freunden, denn sie feierten seinen achtzehnten Geburtstag. Menschen feiern den achtzehnten Geburtstag komischerweise besonders ausgiebig. Das verstehe ich bis heute nicht.“ Mairin musste kurz schmunzeln und sagte: „Na, weil man dann erwachsen ist. Man darf dann Auto fahren, legal Party machen und noch vieles mehr.“ Daraufhin antwortete Meredith: „Ja, ja, ich weiß das. Dennoch verstehe ich den Sinn nicht. Nun ja, das geht mir aber bei vielen menschlichen Bräuchen so.“ „Erzähl bitte weiter. Du hast dich verliebt, ihn weiterhin regelmäßig beobachtet und dann?“, fragte Mairin ungeduldig. „Na ja, irgendwann wollte ich meinen ganzen Mut zusammennehmen und ihn treffen. An einem Samstagnachmittag, als er ganz alleine da war, dachte ich mir: Jetzt oder nie! Ich schwamm zu ihm und wagte mich erst einmal nur ganz langsam an ihn heran. Bis dahin sah er noch nicht meinen Fischschwanz, sondern nur meinen Oberkörper. Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, dass er mich sehr lange ansah und mich dann begrüßte.“ Mairin beobachtete Meredith und konnte in ihrem Gesichtsausdruck sehen, wie sehr sie von dem Jungen schwärmte. Meredith machte kurz eine Pause und fuhr fort: „Wir sahen uns an und sprachen miteinander. Wir lernten uns kennen und er verriet mir seinen Namen – Ryan hieß er. Wir trafen uns immer zum Schwimmen und ich tat so, als ob ich schon eine Weile schwimmen war, wenn er kam. Doch lange konnte ich meine wahre Identität nicht mehr verstecken, weil Ryan ungeduldig wurde und weil er die Treffen immer langweiliger fand. Also wusste ich, dass ich ehrlich sein musste, wenn ich ihn nicht verlieren wollte. Eines Tages zeigte ich ihm meinen Fischschwanz. Er war so erschrocken und musterte meinen Körper. Das war mir sehr unangenehm, sehr sogar. Ich hatte solch eine Angst, dass es für ihn ein Grund sein könnte, sich von mir zu entfernen und mich nie wieder sehen zu wollen. Doch ich wusste, dass er sich schon längst in mich verliebt hatte, und spürte, dass er uns nicht aufgeben würde. Ich fragte ihn, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich wollte wissen, was er dachte und ob er sich auch weiterhin mit mir treffen wollte. Er sagte ja und küsste mich. Es war wie im Traum, Mairin. Er zog mich ganz fest an seinen Körper und wir küssten uns mitten im Meer von Brighton. Ich vermisse ihn so sehr, Mairin. Es ist eine Sehnsucht, die ich nicht in Worte fassen kann. Wir haben uns so geliebt. Doch es war nicht leicht, eine Beziehung mit ihm zu führen, denn so vieles blieb mir verwehrt. Dabei wollte ich wie alle anderen mit meinem Freund ins Kino oder in ein Restaurant. Ich wollte mit ihm Fahrrad fahren oder in eines der schönen Cafés in Brighton gehen, von denen er mir immer erzählte. All das konnte ich nicht tun, weil ich das hier bin.“ Sie schaute dabei hinunter auf ihren Fischschwanz. „Ich wollte Ryan nicht verlieren und doch ist genau das passiert“, klagte Meredith traurig.
„Das tut mir sehr leid, Meredith, aber warum hast du ihn verloren? Ist ihm etwas zugestoßen?“, fragte Mairin. „Mein Vater bekam alles mit und sperrte mich hier im See ein. Er möchte nicht, dass dies wieder passiert. Er weiß aber auch nichts von meinen täglichen Beobachtungen der Menschen und wie das alles zustande kam. Er will nur, dass ich keinen Kontakt zu Ryan habe, weil er denkt, dass er mich verletzen könnte.“ „Dein Vater hat euch also getrennt? Und du hast Ryan danach nie wieder gesehen?“, fragte Mairin. „Nein, ich konnte weder mit ihm sprechen, noch konnte ich ihn suchen. Das ging alles sehr schnell, denn mein Vater hatte uns am Strand entdeckt und mich am selben Abend noch hierher gebracht. Ich habe schon mehrere Male versucht, ins Meer zu schwimmen, aber mein Vater war mir natürlich einen Schritt voraus. Er lässt mich von zwei Wassermännern beschützen. Das einzige, was mir bleibt, ist der See hier“, sagte Meredith leise. „Aber ich könnte doch Ryan finden“, sagte Mairin plötzlich. Meredith schaute verwirrt und fing dann an zu lächeln. Ihre funkelnden Augen funkelten nun immer mehr und man sah ihr die Freude an. „Würdest du das wirklich tun?“, fragte Meredith. „Ich bin sehr oft in Brighton und außerdem kann ich deine Trauer sehr gut nachvollziehen“, antwortete Mairin. „Wow, Mairin, du bist der liebste Mensch, den ich treffe. Ich möchte dir auch etwas schenken, denn sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen. Bitte sage mir, was du dir wünschst, und ich erfülle es dir“, sagte Meredith. Doch Mairin erwartete nichts im Gegenzug. Für sie war Meredith einfach ein verliebtes Mädchen, dem sie helfen wollte. Ryan konnte ja nicht weit weg sein, wenn er aus Brighton kam. Mairin müsste sich nur kreuz und quer durchfragen. Außerdem war Mairin keine Unbekannte in Brighton und man würde ihr ganz bestimmt helfen. Sie stellte sich vor, wie schön es wäre, wenn sie zwei Liebende zusammenführte. Meredith strahlte über das ganze Gesicht und schwamm zu Mairin. Die beiden Mädchen umarmten sich.
Fünftes Kapitel
Zuhause erzählte Mairin nichts von ihrer Begegnung. Sie überlegte sich, wie sie die Suche nach Ryan planen sollte. Irgendjemand musste ihn ja kennen, denn so groß war Brighton nicht. Doch niemand konnte ihr sagen, wo er lebte, geschweige denn, wer er sei. Am nächsten Tag fuhr sie mit dem Fahrrad zum See. „Hallo Mairin, da bist du ja! Ich habe schon sehnsüchtig auf dich gewartet“, rief die Seejungfrau. „Hallo Meredith. Ich konnte ihn nicht finden“, sagte Mairin. „Mein Vater, er ist hier!“, unterbrach sie Meredith. Und tatsächlich tauchte ein großer Wassermann mit langen, weißen Haaren und langem Bart auf. Er sah sehr zornig aus und jagte Mairin Angst ein. Mairin sprang zurück. Sie konnte nicht glauben, dass er so groß war, und obwohl er zornig guckte, bewegte er sich nicht. „Meredith, da besuche ich dich einmal und entdecke schon wieder etwas, was mir überhaupt nicht gefällt“, sagte er wütend. „Vater, ich konnte ja nicht ahnen, dass du mich ausgerechnet heute besuchst. Aber bitte sei mir nicht böse, denn das liebe Mädchen hier ist Mairin“, antwortete Meredith. „Soso, du bist also Mairin. Du hast dich an den See getraut, obwohl alle Einwohner der Stadt den See meiden? Das ist mutig. Und was erwartest du von meiner Tochter?“ „Ich bin hier, weil ich Meredith sehr gern habe und mit ihr eine neue Freundin gewonnen habe“, antwortete Mairin und sah dem Wassermann dabei tief in die Augen. Er guckte beide Mädchen irritiert an. „Vater, siehst du? Mairin ist meine Freundin und wir verstehen uns sehr gut. Sie kommt aus der Nähe von Brighton und kennt sich dort sehr gut aus. Ich möchte hier fort und ins Meer zurückkehren. Dort kann ich mich auch mit Mairin treffen und wäre nicht mehr so einsam. Wie lange soll ich denn noch eingesperrt sein? Bitte lass mich doch endlich frei!“ Beide Mädchen sahen ihn erwartungsvoll an und warteten auf eine Entscheidung.
„Also gut, ich lasse zu, dass ihr euch trefft, und gebe euch die Chance für eine Freundschaft. Irgendwie bin ich ja glücklich darüber, dass du eine Freundin gefunden hast, und gebe zu, dass ich oft zu streng war. Mein Kind, du darfst wieder ins Meer schwimmen, aber ich möchte nicht, dass du mich enttäuschst“, sprach er. Die zwei Mädchen umarmten sich fest. Noch am selben Tag durfte Meredith ins Meer hinausschwimmen und war endlich frei. Seit diesem Tag trafen sich die zwei Mädchen regelmäßig an der Küste von Brighton, erzählten sich von ihrem Alltag und wurden zu besten Freundinnen.
Nadija Dizdarevic
Eine Welle
Meine Hand führt den Pinsel in die Farbe Rot. Während meine Hand den Pinsel Richtung Leinwand bewegt, zittert sie. Ich möchte kein Rot. Ich möchte Blau. Ich fordere Blau. Ich fordere das Blau heraus. Komm‘ auf meine Leinwand! Bring’ mir Glück und Geborgenheit und Tiefe und Seele. Aber Blau kommt nicht. Ich führe den Pinsel erneut über die Farbpalette; verschiedene Varianten von Farbkombinationen habe ich bereits ausprobiert. Keine passt. Der von falscher Farbe getränkte Pinsel malt einen Strich auf die Leinwand. Ich warte. Ich blinzle. Ein roter Schweißtropfen bahnt sich seinen Weg über mein Gesicht, über jede einzelne Pore, jede Pore wird umhüllt von ihm - bis ich ganz rot bin. Ich atme tief ein, denn ich atme kaum mehr aus. Ich springe auf und zurück bleibt eine einsame Leinwand. Mein Wellenportrait kommt nicht zu seinem gewünschten Ergebnis. Die Farbe Blau will nämlich nicht. Ich will nämlich nicht. Ich schaue hinunter auf den umgestoßenen Stuhl und warte, dass er sich wieder aufstellt. Er tut es aber nicht. Ich schaue herum. Herum, auf alle meine Gemälde der letzten Monate, wie ich mich in sie gegeben habe, übergeben habe. Aufgegeben habe. Ich warte. Ich höre nur die Pinselstriche, genügsam, bedacht, liebevoll - und plötzlich verzerrt, kreischend, krächzend - ich halte mir die Ohren zu. Es ist still und ich wünsche mir die Farbe Blau. Ich schaue in den Spiegel und bin immer noch rot. Ich brauche Blau, ich brauche Blau. Meine Finger entfernen sich sachte und zeitlupenartig von meinen Ohren. Die Stille ist immer noch da. Doch dann werde ich aus meinen Gedanken geweckt, von vorbeifahrenden Autos und Gehupe. Dies ist nicht meine Muse.
Die roten Schweißtropfen lassen mich nicht los. Sie schreien laut, ich solle raus, ich brauche Ruhe. Ich brauche Blau. Meine Musen sind vergangen. Wenn ich vor dem Gemälde stehe, mit meinem Pinsel in der Hand, schaue ich aus dem Fenster und warte, dass sich was bewegt. In mir bewegt. Aber nichts. Nur Autogehupe, Lärm, Hektik und Ampeln, die von Rot auf Gelb und letztendlich Grün wechseln. Ich zähle die Sekunden, wenn die Ampelfarben wechseln. Und ich warte auf die Farbe Blau. Doch sie kommt nicht. Ob die Ampel auch auf seine Farbe Blau wartet? Ich überlege. Die Ampel wirkt so gemächlich, so in ihrem Trott gefangen, wie sie so von Rot bis Grün wechselt und das jeden Tag, jede Nacht aufs Neue. Ich würde sie gerne fragen, ob sie die Farbe Blau benötigt. Aber sie spricht nicht zu mir. Ich warte da mit meinem Pinsel, kaum Schlaf, kaum Ruhe, nur ich und meine Kuscheltiere. Ich spreche manchmal mit ihnen, doch sie hören nur zu. Und sie erklären mir auch nicht, wie ich an die Farbe Blau herankommen kann. Kann ich sie irgendwo kaufen? Muss ich sie suchen? Kann ich sie finden? Lässt sie sich finden? Zweiundzwanzig verpasste Anrufe. Die kann ich gut finden, in meinem durchgeplanten Telefon, mit dem ich von einem Termin zum andere hetze, ein Gemälde nach dem anderen verkaufe. Ich verkaufe mich. Und ich bin rot. Kein Wunder, dass ich rot bin. Nachts schließe ich meine Augen und werde eine Nuance heller, hellrot. Wie ein ziemlich mildes Erdbeereis. Blaubeereis mag ich aber lieber.
Ich esse genüsslich mein Blaubeereis, unten an der roten Ampel. Sie schaltet auf Grün und ich laufe los, meine Beine tragen mich, doch es fühlt sich an, wie als würde ich durch Wasser gehen. Die Tropfen haften an meinen Hosenbeinen, das Blaubeereis schmilzt und tropft in das Wasser, malt spontane und unbedachte Bilder. Das Eis verschwimmt. Ich schaue hoch und blicke in Menschengesichter, doch sie verschwimmen wie Wellen vor meinen Augen. Sie gleichen der Tiefsee, doch gleichzeitig niedrigen Planschbecken. In was für einem Wasser möchte der Mensch gerne schwimmen? Ich brauche eine Welle. Ich brauche einen Tropfen, der sich zu einer Welle entwickelt, bedacht und behutsam, und dann ganz kräftig. Und ich schwinge meinen Pinsel. Ich knabbere lediglich an meiner Eiswaffel, aber sie schmeckt mir nicht. Ich habe das Blaubeereis genossen.
Und da liege ich nachts in meinem Bett aus hölzernem Gestell und schließe meine Augen. Und öffne sie, um sie dann wieder zu schließen. Immer, wenn ich sie schließe, sehe ich Wellen um mich schlagen, meine weißen Wände werden blau und beginnen, sich wellenartig zu bewegen. Der Raum öffnet sich und vor mir rauscht ein weites, tiefblaues Meer, so, wie ich es mir gewünscht habe. Ganz viel Blau und Wasser und Tiefe und Stille und alles, was meine Seele begehrt. Mitten im tiefblauen Meer schwimmen Fische und andere Lebewesen, die das Meer noch lebendiger erscheinen lassen und ganz weit in der Ferne höre ich einen Wal rufen. Dann öffne ich meine Augen, weiße Wände, hölzernes Bettgestell. Der Ruf des Wals ist das Autogehupe von draußen und es regnet. Ich richte mich aus dem Bett auf und sehe die Tropfen an den Ampeln herunterfließen. Es ist still. Es ist still, aber nicht die Art von still, die ich mir gewünscht habe, ganz tief in mir drin.
Ich stehe mit meinem in die falsche Farbe getränkten Pinsel am Fenster und schaue zu den Autos und der Hektik herüber. Die Farbe tropft auf den Boden. Sie ist rot. Die grauen Fassaden der Innenstadt sind aufeinander abgestimmt, Grau in Grau, ganz ohne Farbe.
Und mittendrin, in all dem Gewusel, schaut eine Frau zu mir herauf. Sie hält mich fest im Blick, ich lasse den Pinsel fallen. Das innerstädtische Grau-in-Grau bewegt sich zu Rot, dann zu Grün und ganz plötzlich und unerwartet, lang ersehnt und liebevoll erträumt, erscheint das Blau. Ganz vage und langsam und vorsichtig und dann ganz mächtig und schnell und kraftvoll. Die Stadt löst sich auf, wird von Wellen überschwemmt, die gesichtslosen Menschen lösen sich auf, wie in Wasser, und letztendlich bleibt ein weites, tiefblaues Meer, direkt vor meinem Fenster. Und mittendrin, die Frau. Sie hält mich fest im Blick und schwimmt, gemächlich und einsam mit den Wellen. Sie ähnelt meinen Träumen. Sie taucht unter und erscheint dann an der Oberfläche, wie vorher, und sucht meinen Blick. Sie lässt mich nicht los. Ich habe den Pinsel aufgehoben und er lässt mich nicht los. Ich möchte meine Haustür öffnen, doch ich lasse nicht los - von der Angst, mich zu finden. Ich möchte meine Haustür öffnen, um ein Stück des tiefblauen Meeres mein Haus erfassen zu lassen, es soll von Wasser getränkt sein, getränkt von Stille und Ruhe und Tiefe. Ich öffne mit meinem Pinsel in der Hand die Tür und stolpere heraus. Kein Meer. Mich begrüßen Autogehupe und von Rot auf Gelb und dann Grün schaltende Ampeln und Hektik und Gewusel und mittendrin: sie, das tiefe Meer.
Sie hat meeresblaue Augen. Ich versinke in ihnen, wie ich in meinen Träumen in den lieblichen Wellen des tiefblauen Meeres versinke. Seit langer Zeit fühle ich mich geborgen.
Eine Woche später sitzt sie in meinem Haus, neben meinem Gemälde aus Rot. Ich nehme den Pinsel in meine Hand, zu ihr herüberschielend. Ganz sachte führt sie meine Hand auf die Farbpalette, ganz ohne Worte. Sie späht zu mir herüber. Und dann spricht sie, und ich antworte, und sie fragt mich, und ich spreche ebenso. Die Worte aus ihrem Mund fühlen sich Blau an, rein und still. Und ich verstehe. Und sie mich. Wir sprechen Tag und Nacht. Und manchmal schweigen wir auch nur und denken. Und fühlen. Und plötzlich, zwischen all meinen stressgeprägten, rotgetränkten Gemälden in meinem Haus, fühle ich mich. Ich fühle mich. Und ich fühle mich ruhig. So ruhig, dass ich das rote Blut in meinen Adern wie tiefblaue Wellen rauschen höre. Meine Gedanken sind wässrig, meine Gefühle tief. Auch zu ihr.
Ich wache neben meinem Gemälde auf, das Pinselglas ist umgekippt. Es präsentiert sich eine Mischung aus verschiedenen Tönen und Farben, zerflossen auf dem hölzernen Tisch, doch ich sehe kein Rot mehr. Nur ganz leicht, Nuancen heller, sogar heller als ein mildes Erdbeereis. Das Autogehupe ist leiser geworden. Mein Pinsel liegt auf dem Fensterbrett. Neben mir sitzt und liegt niemand mehr. Sie ist weg. Aber in mir, da ist sie. Die Welle, das blaue Gefühl der Tiefe und der Stille. Sie ist meine Rettung. Die Welle bringt mich an ferne Orte und auch zu mir zurück. Ich blinzle stark - der auf dem Fensterbrett liegende Pinsel ist blaugetränkt. Ich hebe ihn, umfasse ihn. Beim Anblick meines Gemäldes sehe ich die Farbe Blau. Nach vielen lang ersehnten Träumen und Vorstellungen und Suchen und Hoffen, ist sie nun da. Ich muss sie nicht mehr suchen. Die Farbe Blau hat mich gerettet. Sie hat mich gerettet.
Das Gemälde zeigt eine Welle. Tiefblau. Still. Tief. Blau. Die Welle hat mich eingenommen, aufgesogen. Gerettet. Und nun liegt es da, das Gemälde. Blau und beendet und ich betrachte es mit blauen, ruhigen Augen. Ich drehe den Pinsel zwischen meinen Fingern und denke an sie. Ich habe zur Welle gefunden. Ich habe sie gefunden und auch mich. Sie hat mich gerettet und aufgenommen, mit ihrer tiefen und ruhigen Umarmung, eingenommen, mit ihrem Tiefblau. Ich habe mich verliebt. Blau ist schon immer meine Lieblingsfarbe gewesen, sogar bevor ich sie kennenlernte. Ich habe die Welle gefunden. Mein neues Gemälde starrt mir entgegen, jedoch völlig stressfrei, ich starre zurück. Draußen höre ich Autogehupe und sehe ich innerstädtisches Grau-in-Grau. Doch statt seelenlosem Gesichtsausdruck sehe ich ein kleines Lächeln im Spiegel, während ich mich betrachte. Der Pinsel in meiner Hand ist blaugetränkt und es tropft auf den Boden. Und plötzlich, ganz plötzlich, da sehe ich mich. Nicht mehr Rot, sondern Blau.
Sophie Kelm
Verschlingende Tiefen
Prolog
Ich stand aufrecht am weißen Strand, sah wie das Wasser meine Beine umspülte. Wie automatisch fasste ich an meine Kette, die ich um den Hals trug. Eine Kette aus lauter kleinen weißen Perlen. Ich sah zurück auf das offene Meer und dachte an meine Eltern. Werde ich sie je wiedersehen? Wie wird ein Leben ohne sie aussehen? Meine Gedanken rasten, als ich plötzlich eine Hand auf meinen Rücken spürte. Erschrocken drehte ich mich um und sah in eisblaue Augen. Mein Onkel Kunno stand vor mir, den Blick gegen den dunklen Himmel gerichtet. Er hielt mir merkwürdige Stoffe in verschiedenen Farben und Formen entgegen. Ich runzelte die Stirn. Mit einer tiefen, rauen Stimme sprach er: „Mädchen, du musst dich anziehen, bevor du die ganze Aufmerksamkeit auf dich ziehst.“ Er hielt mir ein großes, sehr schlichtes Stoffstück entgegen: „Das ist ein Handtuch, damit trocknest du dich ab. Das andere ist ein Kleid. Etwas Besseres konnte ich auf die Schnelle nicht auftreiben.“ Er sah ungeduldig über seine Schulter.
Widerwillig nahm ich das Tuch und legte es mir um meinen nackten Körper. Schließlich streifte ich mir das blaue Stoffstück, das Kunno als Kleid bezeichnet hatte, über. Erst als ich angezogen war, sah Kunno mich richtig an. „Du bist dir sicher? Du willst hier bei mir leben?“, während er sprach, runzelte er die Stirn. Ich nickte stumm. „Gut, aber du musst dich an bestimmte Regeln halten. Pass dich an, halte dich vom offenen Meer und den Männern fern“, seine Augen verengten sich. Er sprach in einem Ton, der mich erschaudern ließ. Aber ich war nicht gekommen, um einen Mann zu verführen. Ich war hergekommen, weil mich die Weiten des Landes faszinierten. Die Flora und Fauna, die so vielseitig war und die Lichter, die die Nacht erhellten. Diese Welt war ganz anders als die unsere und doch schienen sie sich gewissermaßen zu gleichen. „Onkel, du machst dir völlig umsonst Sorgen. Ich möchte durch die grünen Felder und dicht bewachsenen Wälder wandern, Berge erklimmen und eine kleine Fellnase streicheln“, ich lächelte bei dem Gedanken. Mir ging es nicht darum einen Mann kennenzulernen, das hätte ich auch daheim gekonnt. „Nun gut, ich vertraue darauf, dass du dein Wort hältst. Jetzt müssen wir dich nur noch unterbringen. Wohnen kannst du bei mir, aber du brauchst auch eine Arbeit“, Kunno brummte bei jenen Worten. Er fragte mich: „Kannst du etwas, worauf wir aufbauen können? Nähen oder etwas anderes?“ Wenn ich etwas nicht konnte, dann nähen. Aber ich lächelte, denn ich kannte die Antwort. „Oh Onkel, ich kann singen und tanzen. Ich liebe es so sehr und daheim kamen die Leute extra angereist, um mich sehen zu können.“ Auf diese Tatsache war ich sehr stolz. Ich war vielleicht nicht die Gebildetste, konnte aber behaupten, ein gewisses Talent zu haben. Kunno strahlte: „Dann weiß ich, wo ich dich unterbringen kann.“ Er griff meinen Arm und zog mich vom Strand weg. Ich warf einen letzten Blick auf das Meer und verabschiedete mich von allem, was ich kannte und liebte.
Hanno
Ich streiche meinen schwarzen Anzug glatt. Es ist mein liebster Anzug und ich trage die Manschettenknöpfe, auf denen unser Familiensiegel geprägt ist. Eine kräftige Schlange umschlingt eine schwarze Tulpe. Die Symbolik verstehe ich nicht, jedoch ist das Motiv anmutig und strahlt vor Kraft. Kraft, die ich gerade gebrauchen kann. Meine lieben Eltern liegen mir seit Wochen in den Ohren, dass ich mit achtundzwanzig immer noch keine Frau an meiner Seite habe. Kurzerhand haben sie ein Blind Date organisiert. Das Mädchen heißt Bea von Bergen. Sie ist die Tochter von Freunden meiner Eltern. Mutter beschreibt sie als entzückendes, hübsches Ding. Ich weiß, dass sie es nur gut meinen, aber wie beschämend ist es, wenn die Eltern einen verkuppeln?
Ich muss mich aufraffen, um aus dem Auto zu steigen und zur Tür der von Bergens zu gehen. Das Haus, in dem sie leben, gleicht einer Villa im Jugendstil. Für viele Menschen wäre dieses Haus eindrucksvoll, aber mich lässt es vollkommen kalt. Ich steige die Treppe empor, klopfe und warte. Die Tür schwingt auf und eine hübsche ältere Frau lächelt mir entgegen. „Guten Tag. Sie sind sicher Frau von Bergen. Ich möchte ihre Tochter Bea abholen, meine Mutter hat Sie sicherlich informiert.“ Meine Stimme strotzt vor Selbstbewusstsein, das weiß ich. Aber wieso auch nicht? Ich bin ein Mann am Ende seiner Zwanziger, der sein Leben im Griff hat. Ich bin der Vizechef einer großen Firma, die ich übernehmen werde, sobald mein Vater sich zur Ruhe setzt. Ich bin gut in Form und nicht gerade unansehnlich. Ein bisschen Selbstbewusstsein muss man sich heute einfach zugestehen. „Ach, natürlich. Du bist der kleine Hanno“, sagt Frau von Bergen lächelnd. „Na ja, so klein dann auch nicht“, antworte ich so charmant wie möglich. Klein bin ich, seitdem ich mit sechzehn einen Wachstumsschub hatte, nicht mehr. Mit meinen ein Meter neunzig bin ich größer als die meisten anderen Männer. „Ja, natürlich. Es ist nur so lange her, dass wir dich gesehen haben. Das letzte Mal warst du zwölf Jahre alt und bist in das Internat gefahren. Das ist schon Ewigkeiten her.“ Im Gegensatz zu Frau von Bergen verbinde ich mit dieser Zeit keine guten Erinnerungen. Bevor jedoch meine Gedanken gefährlich abdriften können, spricht Frau von Bergen bereits weiter: „Ach, da kommt auch schon unsere Bea. Ich wünsche euch einen schönen Abend und genießt das Musical.“ Ich stocke, einen Moment lang verrutscht mein Lächeln. Meine Mutter hat mir einen wichtigen Teil verschwiegen. Sie hat mir lediglich gesagt, ich soll mit Bea essen gehen und dann würde sich der Rest des Abends ergeben. Ich unterdrücke ein Stöhnen. Ich hasse Musicals, ich habe ihnen noch nie etwas abgewinnen können. Ich rücke mein verrutschtes Lächeln zurecht. „Können wir, Bea?“, frage ich und reiche der hübschen Brünetten meinen Arm. Sie ergreift ihn und ich führe sie zu meinem Wagen. Eines muss ich meinen Eltern lassen, die Frau ist wirklich schön und vielleicht kann sich daraus doch etwas entwickeln.
Die Fahrt zum Restaurant verläuft sehr ruhig. Bea sieht aus dem Fenster und schweigt. Vermutlich ist ihr die Situation genauso unangenehm wie mir. Immerhin kennen wir uns so gut wie gar nicht. Ich sehe zu ihr rüber, dabei springt mir ins Auge, dass auf ihrer Schulter ein kleiner Schmetterling tätowiert ist. Ich staune, meine Eltern dulden normalerweise keine Tattoos. Sie sind der Meinung, dass es sich für jemanden aus unseren Kreisen nicht schickt. Daher muss ich ein wenig schmunzeln, denn ich habe selbst zwei Tattoos, die ich vor ihnen verberge. Bea wird immer sympathischer und das, obwohl wir kaum ein Wort miteinander gesprochen haben.
Nach einer fünfzehnminütigen Fahrt erreichen wir das noble Restaurant, das in der Nähe des Hafens liegt. Wir treten ein und werden auf unseren Platz gewiesen. Ich nehme Bea ihre Jacke ab und rücke ihr den Stuhl zurecht. Sie lächelt über diese Geste: „Du bist ja ein Gentleman, Hanno, das habe ich nicht erwartet.“ Nun ist sie an der Reihe zu schmunzeln. Ich gluckse und sage: „Meistens schon, was hast du vermutet?“ „Ich dachte, du bist wieder ein ach, so erfolgreicher Anwalt oder Arzt, den meine Eltern mir aufdrängen wollen und obwohl wir kaum miteinander gesprochen haben, bist du bisher der Erträglichste.“ „Nur erträglich?“, frage ich lächelnd. Sie lacht: „Mehr kann ich unmöglich sagen. Wie lange kennen wir uns? Eine halbe Stunde?“ Nun gut, sie hat recht, mehr kann ich noch nicht erwarten.
Unser Gespräch verläuft ruhig und gesittet. Ich erfahre, dass Bea als Grundschullehrerin arbeitet und ihren Beruf gerne macht. Sie liebt die Kunst und das in jeglicher Form. Daher frage ich sie, während das Essen, das wir bestellt haben, serviert wird: „Das Musical war also deine Idee?“ „Ja“, sie schmunzelt, „heute tritt meine liebste Schauspielerin in einem neuen Stück auf. Du wirst sehen, du wirst Meridia lieben. Sie hat eine Stimme, der man nicht widerstehen kann und sie bewegt sich wie ein Engel.“ So recht kann ich ihr keinen Glauben schenken, aber ich werde mich überraschen lassen. Während Bea von dieser Schauspielerin spricht, leuchten ihre Augen förmlich. Ihre Leidenschaft ist fast greifbar und ich muss zugeben, dass ich mich freue, das Stück zu sehen.
Während des Essens spricht Bea die meiste Zeit, ich höre ihr gerne zu. Außerdem muss ich mich so nicht öffnen und kann den Abend ein wenig genießen. Die Zeit vergeht rasend schnell und wir müssen uns allmählich auf den Weg machen, um pünktlich zur Vorstellung zu erscheinen. Der Weg zum Theater ist unglaublich schön. Wir laufen über eine Brücke, die von Blüten gesäumt ist. Von der Brücke aus kann man in einiger Entfernung das offene Meer erblicken. Ich liebe es so nah am Wasser zu wohnen. Das Rauschen des Wassers ist eines der wenigen Dinge, die meine rasenden Gedanken zur Ruhe bringen. Auch jetzt fühle ich mich beruhigt und etwas gelöster. Bea scheint es ähnlich zu gehen. So laufen wir in einvernehmlichem Schweigen zum Theater.
Erst als wir unsere Plätze eingenommen haben, wechseln wir ein paar Worte miteinander. „Du wirst sehen, dir wird es gefallen. Meridias Gesang wird dich verzaubern“, sagt Bea mit solcher Überzeugung, dass ich ihr nicht widersprechen kann. Das Stück beginnt und der Gesang eines Chors setzt ein. Bisher kann ich Beas Begeisterung nicht ganz nachvollziehen. Es erscheinen vereinzelt Schauspieler, die singen und tanzen und dann zügig die Bühne wieder verlassen. Plötzlich wird es stockdunkel. Die Musik scheint sich aufzubauen und flaut ab, als sich ein Lichtkegel auf einen weißen Punkt auf der Bühne richtet. Dieser Punkt entpuppt sich als wunderschöne Frau. Sie steht auf und beginnt sich zur Melodie anmutig zu bewegen. Sie scheint zu schweben. Ihr Äußeres fasziniert mich. Sie hat fast weißblondes Haar, trägt ein weißes durchschimmerndes Kleid und eine Perlenkette. Als sie zu singen beginnt, setze ich mich aufrecht hin. So etwas habe ich noch nie gehört. Ihr Gesang ist nicht von dieser Welt. Ihre Stimme zieht mich in ihren Bann. Sie ist so ruhig und melodisch wie die Wellen im Wasser, so gefühlvoll und energisch wie ein Sturm. Ich kann mich kaum losreißen, spüre jedoch wie Bea mich anstupst. „Siehst du“, flüstert sie, „ich sagte doch, du wirst sie lieben. Ihre Stimme ist zauberhaft.“ Ich nicke. Ich bin kaum in der Lage etwas zu erwidern, ich befürchte sonst einen Ton des lieblichen Gesangs zu verpassen. Ich lasse mein Blick über die Menge gleiten, sie sind genauso gebannt wie ich. In diesem Moment entscheide ich mich dafür, dem Musical noch eine Chance zu geben. Ich sehe zu Bea und vergleiche sie mit der wunderschönen Sängerin auf der Bühne. Beide sind schön, aber Meridia hat etwas gar Magisches an sich und ich muss wissen, was es damit auf sich hat.
Meridia
Das Tempo der Musik nimmt langsam ab. Ich spüre die Musik, die meinen Körper umspült, wie es einst die Wellen taten. Auch ich werde immer ruhiger, meine Bewegungen verlieren an Energie. Meine Figur, die ich verkörpere, wird jeden Moment sterben und damit das Stück beenden. Ich blicke in die Menge und sehe die faszinierten Blicke unzähliger Menschen. Ich liebe dieses Gefühl. Im nächsten Moment breche ich zusammen und falle zu Boden. Der Vorhang ahmt mich nach. Es gibt tosenden Applaus. Die Crew und ich betreten die Bühne und wir verneigen uns. Wieder bricht Applaus aus und ich strahle.
Hanno
Seit dem Date mit Bea sind zwei Wochen vergangen und ich bin bereits das vierte Mal im Theater. Dieses Mal habe ich Plätze in der ersten Reihe. Ich habe ein Vermögen gezahlt, um so nah an der Bühne sitzen zu können. Ich kann es einfach gar nicht glauben, dass ich freiwillig ins Theater gehe und dann auch noch in ein Musical. Hätte mir das jemand vor drei Wochen gesagt, hätte ich ihn ausgelacht. Solch ein absurder Gedanke. Tja, nun sitze ich hier und sehe mir die gleiche Show zum vierten Mal an. Jedes Mal habe ich versucht, in die Nähe der wunderschönen Meridia zu gelangen. Und endlich ist es mir gelungen, denn ich habe nicht nur eine Karte für die erste Reihe, sondern auch einen Backstagepass. Ich werde nach dem Auftritt die Gelegenheit ergreifen und mich bei dieser magischen Frau vorstellen. Es ist merkwürdig, ich kenne sie gar nicht, aber fühle mich zu ihr hingezogen wie zu keiner anderen. Während ich an sie denke, beginnt die Show und ich werde wie üblich vom Geschehen mitgerissen.
Kaum dass die Show endet, ertönt der Applaus. Nur langsam kann ich mich sammeln. Ich stehe auf und applaudiere, kann meine Augen jedoch nicht von Meridia lösen. Sie trägt auch heute Abend ein weißes Kleid. Ich blicke ihr ins Gesicht und fühle mich ertappt. Sie erwidert meinen Blick und mein Herz beginnt zu rasen.
Meridia
Ich spüre die Blicke der vielen Menschen auf mir und doch ist es heute Abend anders, intensiver. Ich blicke in die Menge und finde schließlich einen jungen Mann in der ersten Reihe. Er scheint mich mit seinen Blicken förmlich auszuziehen. Bei dem Gedanken erröte ich, denn der Mann ist definitiv attraktiv. Ich ermahne mich, dass das Aussehen keine Rolle spielt. Sein Blick wandert an mir hoch. Als er meine Augen erreicht, erwidere ich den Augenkontakt. Ich lächele und will den Blick abwenden, doch da spüre ich es. Wärme, die ich nur aus den Meeren kenne. Sie umspült mich, mir wird warm und meine Knie weich. Was passiert hier nur mit mir?
Hanno
Mit dem Backstagepass ist es ein Leichtes hinter die Bühne zu gelangen und die Darsteller zu treffen. Sie sind alle hinter der Bühne und freuen sich die Meinungen der Zuschauer einholen zu können, um sich zu verbessern. Ich glaube, sie wollen nur Schmeicheleien absahnen, denn was gibt es noch zu verbessern? Ich durchschreite den ganzen Bereich, versuche mich aus den Unterhaltungen rauszuhalten, aber nirgends kann ich Meridia entdecken. Eine der Nebendarstellerinnen kommt direkt auf mich zu. „Hallo, was haben Sie hier hinten verloren? So einen attraktiven jungen Mann sehen wir hier hinten nicht allzu oft“, während sie spricht, streicht sie mir über die Arme und reibt ihren platten Busen an mir. Es ist eindeutig, was sie von mir will und normalerweise wäre ich darauf angesprungen. Sie ist sehr hübsch, etwas zu dünn für meinen Geschmack, aber ich bin wegen Meridia hier. Ich antworte: „Ich suche die Hauptdarstellerin. Ich glaube ... sie heißt Meridia.“ Sie stöhnt. „Alle wollen immer nur zu ihr. Warum sollte ich dir sagen, wo sie ist?“ Ich runzele die Stirn und lege mir eine Antwort zurecht: „Ich möchte gerne das Theaterstück finanziell fördern“, ihre Augen leuchten auf, „also würden Sie mir Meridia vorstellen? Immerhin konnte Sie mich von dieser Kunstform begeistern.“ Sie ergreift meinen Arm und hakt sich wie ein kleines Mädchen unter. „Oh, natürlich,“ sagt sie und wir gehen ein paar Schritte. „Sehen Sie die zweite Tür rechts? Das ist ihr privater Rückzugsort, gehen sie einfach rein.“ Ich nicke und gehe geradewegs zur Tür. Ich denke noch daran, ob ich nicht besser anklopfen sollte, als ich feststelle, dass die Tür keine Tür ist. Die „Tür“ ist ein Wandteppich, der mit Perlen und Muscheln bestickt ist. Langsam schiebe ich mich in den Raum.
[...]
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- Helmut Otten (Editor), 2021, Undinen sind überall. Kunstmärchen im 21. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1038044
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