BIBLIOGRAPHISCHE ANGABEN
Émile Durkheim wurde am 15. April 1858 in Epinal/ Lothringen geboren und starb am 15. November 1917 in Paris. Der französische Soziologe und Pädagoge studierte in Paris bis er 1885/86 ein Stipendium für Berlin und Leipzig bekam. Ab 1896 war Durkheim Professor an der Universität Bordeaux in den Fächern Erziehungswissenschaft und Soziologie und ab 1902 auch an der Pariser Universität in Pädagogik und Soziologie. Er gilt als einer der Begründer der modernen Soziologie, die er zu einer geschulten Wissenschaft der "sozialen Tatsachen" machen wollte.
Sein Leben stand ganz im Dienste der Wissenschaft und er verfolgte drei Ziele: Erstens die Einrichtung der Soziologie als Fachdisziplin an Frankreichs Universitäten, zweitens erstrebte er eine Diagnose der modernen Gesellschaft und drittens wollte er eine neue Moral entwickeln.
Ausserdem gründete er eine eigene Schule namens "épique durkheimienne" und die Zeitschrift "Année Sociologique", von der es zwölf Jahrgänge gibt.
"DIE ELEMENTAREN FORMEN DES RELIGIÖSEN LEBENS"
Durkheims Werk "Les formes élémentaires de la vie religieuse" bzw. "Die elementaren Formen religiösen Lebens" von 1912 vereint drei Untersuchungsebenen: Eine Studie über primitive Formen der Religion, eine allgemeine Theorie der Religion und einen Beitrag zur Soziologie des Wissens. Ausgangspunkt hierfür ist die Untersuchung des australischen und amerikanischen Totemismus, wobei Totemismus ein Vorgehen ist, das entwickelte Formen religiösen Denkens durch Rückblick auf einfachere Formen zu beschreiben versucht.
Der einführende Text ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt wird der Hauptzweck des Buches angekündigt, nämlich die Analyse der primitivsten Religion, um die elementaren Formen religiösen Lebens näher bestimmen zu können. Mit "primitiv" meint Durkheim den einfachsten sozialen Zustand einer Gesellschaft. Der zweite Teil führt zu einem weiteren Untersuchungsobjekt: Der Entstehung der Grundbegriffe des Denkens und warum sie religiösen und folglich auch sozialen Ursprungs sind.
Aber zurück zum ersten Teil: Durkheim will ein Mittel finden, das die Gründe für die wesentlichen Formen religiösen Denkens und Handelns aufdecken soll. Dabei stellt er fest, dass alle Religionen irgendwo ähnlich sind, weil sie alle von ein und derselben Gattung abstammen. Die Folgerung daraus ist für ihn, dass es deshalb notwendigerweise auch wichtige Elemente geben muss, die alle gemeinsam haben. Er meint bestimmte Grundvorstellungen und Rituale, die den objektiven Inhalt der Religion im allgemeinen verkörpern. Durkheim geht bei seiner Untersuchung von der primitivsten Religion aus, um die religiöse Natur der Menschen zu erläutern, weil er der Meinung ist, dass man die modernen Religionen nur verstehen kann, wenn man historisch verfolgt, wie sie sich nach und nach gebildet haben. Bei primitiven Religionen ist alles auf das begrenzt, was Religion ausmacht. Sie stehen den Ursachen ihrer Handlungen näher gegenüber, weil sie noch nicht durch gelehrtes Überlegen verformt wurden, und auch Fakten und Beziehungen sind leichter wahrnehmbar, weil die Religion noch die Zeichen ihrer Herkunft trägt.
Ausserdem macht Durkheim verständlich, dass primitive Glaubenssysteme den Begriff der Gottheit selten kennen. Die einseitige Analyse von religiösen Formen "hat lange zum Glauben geführt, dass der Gottesbegriff für alles das charakteristisch ist, was religiös ist" (S. 24). Und obwohl diese Art Religion Mächte angebetet hat, die sich von den unseren unterscheiden, können wir durch sie die Entwicklung besser verstehen. Nach und nach wurden die primitiven Gefühle von überarbeiteten Gefühlen verdrängt, die nur ansatzweise deren eigentliche Natur durchscheinen lassen.
Wie schon erwähnt, handelt der zweite Abschnitt der Einführung von der Entwicklung der Grundbegriffe des Denkens, auch Kategorien genannt.
Durkheim behauptet, dass die ersten Denksysteme der Menschen religiösen Ursprungs sind und es keine Religion gibt, "die nicht zugleich eine Kosmologie ist und eine Spekulation über das Göttliche" (S. 27). Weitergehend stellt er fest, dass der Geist des Menschen durch die Religion gebildet wurde. Mit anderen Worten verdankt der Mensch der Religion einen großen Teil seines Wissens und auch, wie sich dieses angereichert hat. Das intellektuelle Leben wird nämlich von einer Anzahl von Kategorien beherrscht, den Kategorien des Urteilsvermögens wie zum Beispiel Begriffe wie "Zeit, Ort, Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Tätigkeit, Leiden, Verhalten, Befinden." (S.27).
Und genau auf diese Kategorien stösst man bei der Analyse der primitiven religiösen Glaubenssysteme, da sie Produkte religiösen Denkens sind. Religion ist eine bedeutende soziale Institution, woraus folgt, dass auch Kategorien aus sozialen Elementen bestehen. Sie verkörpern Produkte kollektiven Denkens und drücken somit Kollektivwirklichkeiten aus, deren Ziel es ist, "bestimmte Geisteszustände dieser Gruppen aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen" (S.28).
Diese These verdeutlicht er anhand des Begriffs der Zeit. Denn was wäre der Begriff der Zeit, wenn man keine objektiven Zeichen hätte, die sie in Jahre, Tage, Stunden und andere Momente einteilt. Man kann die Zeit also nur verstehen, wenn man in ihr verschiedene Zeitabschnitte unterscheidet. Da es sich aber nicht um die Zeit eines einzelnen Individuums handelt, sondern um die von allen Menschen, muss eine derartige Organisation kollektiv sein. Wenn es um die Herkunft von Kategorien geht, standen sich bisher zwei Meinungen gegenüber: die der Aprioristen und die der Empiristen.
Empirisch gesehen sind Kategorien aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt und das Individuum ist ihr Baumeister. Im Gegensatz dazu sagt die Meinung der Aprioristen, dass die Kategorien nicht von der Erfahrung abgeleitet werden können, weil sie von Geburt an ein Teil des Geistes sind, folglich a priori.
Die Ansicht des klassischen Empirismus verlangt den Entzug aller charakteristischen Merkmale. "Sie unterscheiden sich nämlich von allen anderen Erkenntnissen durch ihre Universalität und ihre Notwendigkeit" (S.33). Weil sie sich auf die gesamte Wirklichkeit berufen und trotzdem von keinem einzelnen Gegenstand und Individuum abhängen, verkörpern sie die allgemeinsten möglichen Konzepte. Ausserdem beherrschen sie alle Individuen durch die Vernunft, die die Gesamtheit der Grundkategorien ist und somit auch den Widerstand verkörpert, auf den jeder stösst, der sich von ihr befreien will.
Zum Irrationalismus führt - laut Durkheim - eine andere Variante. Diese fordert, dass Universalität und Notwendigkeit von Kategorien auf Illusionen zurückzuführen sind, womit sie dem durch Kategorien logisch geregelten Leben jede objektive Wirklichkeit verweigern. Aprioristen dagegen sind Rationalisten und sind davon überzeugt, "dass die Welt eine logische Seite hat, die die Vernunft im höchsten Grad ausdrückt" (S.34). Hierfür müssen sie jedoch dem Geist eine Macht zugestehen, die ausserhalb des Erfahrungsbereiches liegt. Sie haben aber keinerlei Erklärung für diese bedeutende Macht. Deshalb wurde eine höhere und dementsprechend auch vollkommenere Vernunft erschaffen, von der die erste durch eine Art mystischen Eingriff ihre Fähigkeit besitzen sollte. Diese göttliche Vernunft ist nicht abänderbar im Gegensatz zur menschlichen, die ständig variieren kann. Aber da die göttliche Vernunft einen übersinnlichen und mysteriösen Beigeschmack mit sich bringt, ist diese Hypothese jeder experimentellen Kontrolle entzogen.
Mit anderen Worten kann es die Vernunft nicht geben, wenn man denkt, dass sie nur eine Form der individuellen Erfahrung ist. Und wenn man ihr Kräfte anerkennt, die man nicht erklären kann, so stellt man sie ausserhalb von Natur und Wissenschaft (vgl.S. 35). Um diesen Gegensätzen zu entgehen, nimmt Durkheim einen sozialen Ursprung der Kategorien an. Er schreibt, dass Kategorien vor allem Kollektivzustände ausdrücken, die widerum bestimmte Vorstellungen haben. Diese kollektiven Vorstellungen sind das Ergebnis von langer und aufwendiger Zusammenarbeit. Weil viele Generationen nach und nach ihr Wissen und ihre Erfahrungen angehäuft haben, hat die Vernunft die Fähigkeit, über empirische Erkenntnisse hinauszugehen.
Diese Fähigkeit verdankt sie dem Menschen, der in sich zwei Wesen vereint: Zum einen ein soziales Wesen, welches ein System ist, das sich auf die Gemeinschaft und ihre Gedanken - sprich religiöse Überzeugungen, Traditionen etc. - bezieht und ein individuelles Wesen, das alle Geisteszustände, die nur uns selbst oder die Ereignisse unseres persönlichen Lebens betreffen - wie zum Beispiel Gefühle und Gewohnheiten - , ausdrückt (vgl. Durkheim É. "Erziehung und Gesellschaft" S.50, in Baumgart F.[Hrsg.] "Theorien der Sozialisation").
Vernunft kann deshalb - rein erkenntnistheoretisch betrachtet - nicht auf individuelle Erfahrung zurückgeführt werden. Da jedes Individuum sehr stark im Denken und Handeln an der Gesellschaft teilnimmt, "transzendiert es sich selbst" ( Durkheim É. , 1981, S.37). Die neue Erkenntnistheorie vereint die Vorteile von beiden Meinungen. Während sie die wichtigsten Prinzipien des Apriorismus behält, lässt sie sich vom Geist der Positivität inspirieren, dessen Befriedigung das Ziel des Empirismus war. Zudem rechtfertigt sie die spezifische Kraft der Vernunft ohne die analysierbare Welt zu verlassen und erklärt die Dualität unseres intellektuellen Lebens durch natürliche Gründe. Die Folge ist, dass die Kategorien als beobachtbare Urfakten angesehen werden und nun durchdachte Denk- instrumente darstellen, die die Menschen von Generation zu Generation entwickelt haben. Durkheim schliesst seine Einleitung mit der Bemerkung, dass man andere Mittel für das Verstehen von Kategorien braucht. Seiner Meinung nach reicht es nicht aus, sein Bewusstein zu befragen; er verlangt auch, dass man die Geschichte beobachtet.
WERK
Durkheim beschreitet mit seinem Werk "Die elementaren Formen des religiösen Lebens" einen anderen Weg als in seinen anderen vorhergehenden Werken, auf die ich später noch zu sprechen komme. Er untersucht hier statt der Strukturformen moderner Gesellschaften die Struktur und Entwicklung von Wertsystemen, wobei er im Hinblick der Religion anscheinend zwei Ziele anstrebte. Er wollte "ein analytisch tieferes und empirisch gehaltvolleres Verständnis von Religion entwickeln" (Müller H.-P. über "Émile Durkheim" in Käsler Dirk [Hrsg.] „Klassiker des soziologischen Denkens“, 1. Band, 1976 München, S.162).
Und anhand dieser Grundlage wollte er die moderne Kultur im Hinblick auf die Umstellung vom moralischen Kollektivismus auf den Individualismus erforschen und hoffte, durch die Konzentration auf die Grundvorstellungen und Riten von Religion die Grundgedanken der religiösen Mentalität entdecken zu können.
Es ist jedoch nicht der Fall, dass Durkheim sich plötzlich mit dem Thema der Religion beschäftigt hätte. Sie spielt schon in seinem Werk "De la division du travail social"/ "Über soziale Arbeitsteilung"(1893) eine bedeutende Rolle: Religion verkörpert zu Beginn Moral, Recht, Tradition und Gemeinschaft. Laut Untertitel ist dieses Werk "eine Studie zur Organisation höherer Gesellschaften". Durkheim untersucht den Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung und sozialer Solidarität und er fordert zugleich "soziale Differenzierung als Strukturprinzip moderner Gesellschaft" (Müller, S.157). Weitergehend erforscht er das Verhältnis von Differenzierung und Integration und die Beziehung von Differenzierung und Individualisierung. An der Arbeitsteilung interessiert ihn vor allem das problemlose Zusammenspiel von Institutionen und ihrer Systemintegration und auch die Integration jedes Individuums in die Gesellschaft. Arbeitsteilung hat eine solidarische Wirkung, die Durkheim mit Hilfe einer Gegenüberstellung von primitiver und moderner Gesellschaftsform zu erfassen versucht. Im Gegensatz zu modernen Gesellschaften bestehen primitive bzw. archaische Gesellschaften aus segmentierten und eigenständigen Einheiten, in denen der Einzelne durch eine mechanische Solidarität - ausgehend von einem starken Kollektivbewusstsein - direkt in die Gemeinschaft integriert wird, zum Beispiel durch gemeinsame Anschauungen und Traditionen. In modernen Gesellschaften herrscht dagegen eine organische Solidarität und die Arbeitsteilung bildet ein Netz von Interdependenzen. Der Einzelne ist nur indirekt an die Gesellschaft gebunden; es gibt ein kaum ausgeprägtes Kollektivbewusstsein, was dem Individuum eine freiere Entwicklung erlaubt.
Das Ergebnis für Durkheim ist, dass die Arbeitsteilung das moralische Grundprinzip der solidarischen Gesellschaftsform ist.
Den Diskurs über den Zustand und Charakter der modernen Gesellschaft setzt Durkheims "Le suicide"/ "Der Selbstmord"(1897) empirisch fort. Selbstmord ist und bleibt die privateste und individuellste Entscheidung überhaupt; würde ein Nachweis seiner gesellschaftlichen Abhängigkeit gelingen, wäre das ein weiterer Beweis für die Existenz des Sozialen und für die Notwendigkeit der Soziologie als Wissenschaft (vgl. Müller, S.159f). Durkheim untersucht Gründe für den Selbstmord, wobei ihn nicht der einzelne Selbstmord interessiert, sondern Selbstmordraten als Indikatoren für Kollektivzustände. Hierfür nimmt er die soziale Selbstmordrate als abhängige Variable und analysiert ihre Schwankungen in Relation zum gesellschaftlichen Kontext. Zuerst bearbeitet er den Einfluss von nicht-sozialen Faktoren wie zum Beispiel Geistesgestörtheit, Rasse und Nachahmung, hält deren Zusammenhang mit den Selbstmordraten jedoch für unbedeutend. Deshalb stellt er im zweiten Teil seines Werkes eine begründende Typologie sozialer Aspekte vor, die die Selbstmordraten nach ihren Ursachen einordnen soll. Er unterscheidet den egoistischen, den altruistischen, den fatalistischen und den anomischen Selbstmord. Die Rate für den anomischen Selbstmord steigt zum Beispiel an, wenn die Integration des Individuums in die Gesellschaft nicht mehr funktioniert oder die Gesellschaft trotz Interdependenz nicht aus der mechanischen Solidarität ausbricht.
Der Grund für den egoistischen Selbstmord ist, dass der Mensch im Leben keinen Sinn mehr sieht, und der für den altruistischen, dass ihm dieser Sinn als ausserhalb des eigentlichen Lebens liegend erscheint (vgl. Durkheim "Der Selbstmord", S.295f).
Ein weiteres großes Werk Durkheims für die Soziologie ist "Les règles de la méthode sociologique"/ "Die Regeln der soziologischen Methode"(1897). Durkheim bemüht sich um eine Begründung der Soziologie als empirische Wissenschaft, ausgehend von dem Gedanken, dass man "soziale Tatsachen", zum Beispiel die Weiterentwicklung von der mechanischen zur organischen Solidarität, mit den Mitteln der positiven Wissenschaft wie reale Dinge behandeln sollte. Allerdings will er hierbei die Soziologie nicht nur auf politische Institutionen begrenzt sehen, sondern fasst darunter alle sozialen Tatbestände zusammen. Soziale Tatbestände sind dem Menschen nicht angeboren und nicht universal, dafür aber zwanghaft und unabhängig (vgl. Müller, S.154). Durkheim hat die These ausgearbeitet, dass "die Entwicklung des Sozialen eine eigene, rationale Struktur hat. Zur empirischen Untermauerung dienten ihm soziale Tatsachen" (Korte H."Durkheims Theorie moderner Gesellschaften", S.39). Seine Meinung war, dass Soziales nur durch Soziales interpretiert werden kann. Man sieht daran deutlich, dass er die Soziologie als selbständige Disziplin gegen konkurrierende Wissenschaften abgrenzen wollte.
Abschliessend lässt sich noch sagen, dass Durkheim immer mehr in Vergessenheit gerät, weil seine Forschungsergebnisse und Thesen durch modernere Soziologen überholt oder auch widerlegt worden sind. So schreibt zum Beispiel Hans-Peter Müller, dass jemand, der das Thema "Individualisierung" aufgreift, wohl eher auf Ulrich Beck zu sprechen kommen wird als auf Durkheim.
Literaturliste
Durkheim É., "Die elementaren Formen des religiösen Lebens", 1981, Frankfurt am Main S. 17 - 42
Durkheim É., "Der Selbstmord", 1983, Frankfurt am Main
Durkheim É., "Erziehung und Gesellschaft", 1984, Frankfurt am Main in Baumgart F.[Hrsg.] "Theorien der Sozialisation", 1997, Rieden
Müller H.-P., "Émile Durkheim" in Käsler Dirk [Hrsg.] „Klassiker des soziologischen Denkens“, 1. Band, 1998, München
Korte H., "Durkheims Theorie moderner Gesellschaften" in Baumgart F. [Hrsg.],
"Theorien der Sozialisation", 1997, Rieden
Referat über Émile Durkheims „Die elementaren Formen religiösen Lebens“. Bevor ich jedoch auf den Inhalt der Einleitung in sein Standardwerk eingehe, möchte ich noch kurz ein paar Worte über den Autor sagen:
Émile Durkheim wurde am 15. April 1858 Epinal/ Lothringen geboren und starb am 15. November 1917 in Paris. Sein Leben stand ganz im Zeichen der Wissenschaft bzw. der Soziologie und er verfolgte 3 Ziele:
1, Einrichtung der Soziologie als Fachdisziplin an Frankreichs Universitäten
2, Diagnose der modernen Gesellschaft
3, Entwicklung einer neuen Moral
Ausserdem gründete er eine eigene Schule „épique durkheimienne“ und die Zeitschrift „Année Sociologique“( 12 Jahrgänge).
Sein Werk „Die elementaren Formen religiösen Lebens“ vereint - ausgehend von der Untersuchung des australischen und amerikanischen Totemismus - 3 Untersuchungsebenen, die er in seinem dreiteiligen Werk der Reihe nach vorbringt. Totemismus bezeichnet ein Vorgehen, das die „höheren“ Formen religiösen Denkens durch Rückgang auf primitivere Formen zu beschreiben versucht.
1, Studie über „primitive“ Formen der Religion
2, allgemeine Theorie der Religion
3, Beitrag zur Soziologie des Wissens
Der einführende Text ist in 2 Teile gegliedert: Im ersten Teil wird der Hauptzweck des Buches angekündigt, nämlich die Analyse der primitivsten Religion, um die elementaren Formen religiösen Lebens bestimmen zu können. Mit „primitiv“ meint Durkheim den einfachsten sozialen Zustand einer Gesellschaft, die Bezeichnung soll also keineswegs abwertend erscheinen. Der zweite Teil führt zu einem weiteren Untersuchungsobjekt: der Entstehung der Grundbegriffe des Denkens und warum sie religiösen und folglich sozialen Ursprungs sind.
I; Durkheim macht also eine Untersuchung, um ein Mittel zu finden, das die Gründe aufdecken soll, von denen die wesentlichen Formen religiösen Denkens und Handelns abhängen. Dabei stellt er fest, dass alle Religionen irgendwo ähnlich sind, da sie alle von ein und derselben Gattung abstammen. Die Folgerung für ihn ist, dass es notwendigerweise wesentliche Elemente geben muss, die alle gemeinsam haben - nämlich bestimmte Grundvorstellungen und Rituale, also beständige Elemente, die den objektiven Inhalt der Religion im allgemeinen verkörpern.
Durkheim geht von der primitivsten Religion aus, um die religiöse Natur der Menschen darzustellen, denn er ist der Meinung, man kann die neuesten Religionen eben nur verstehen, wenn man historisch verfolgt, wie sie sich nach und nach zusammengesetzt haben. Hier ist alles auf das begrenzt, was Religion ausmacht.
Primitive Religionen stehen den Ursachen ihrer Handlungen auch näher gegenüber, weil sie noch nicht durch gelehrtes Überlegen verformt wurden; Fakten und Beziehungen sind leichter wahrnehmbar, weil die Religion noch die Zeichen ihrer Herkunft trägt. Ausserdem macht Durkheim verständlich, dass primitiver Religion der Begriff der Gottheit zum großen Teil fremd ist. Die einseitige Analyse von religiösen Formen hat nämlich lange den Gedanken verbreitet, dass der Gottesbegriff für alles, was religiös ist, charakteristisch ist. Obwohl diese Art Religion Mächte angebetet hat, die sich von unseren unterscheiden, können wir durch sie die Entwicklung besser verstehen.
Nach und nach wurden die primitiven Gefühle durch überarbeitete Gefühle verdrängt. Und obwohl sie von den ersten abstammen, lassen sie nur sehr unvollständig deren Natur durchscheinen.
II;Wie schon erwähnt, handelt der zweite Teil der Einführung von der Entwicklung der Grundbegriffe des Denkens, kurz Kategorien.
Durkheim behauptet, dass die ersten Denksysteme der Menschen religiösen Ursprungs sind und dass der Mensch der Religion nicht nur einen großen Teil seiner Kenntnisse verdankt, sondern auch wie sie sich gebildet haben. Das intellektuelle Leben wird nämlich von einer Anzahl von Kategorien beherrscht; z.B. Zeit, Raum, Verhalten, Relation, Quantität, Qualität... Genau auf diese Kategorien stößt man bei der Analyse der primitiven religiösen Glaubenssysteme, da sie Produkte des religiösen Denkens sind. Religion ist eine bedeutende soziale Angelegenheit. Daraus folgt, dass die Kategorien auch reich an sozialen Elementen sind. Sie verkörpern Produkte kollektiven Denkens und drücken somit Kollektivwirklichkeiten aus. Diese These verdeutlicht er anhand des Begriffs der Zeit: denn was wäre der Begriff der Zeit, wenn es keine objektiven Zeichen geben würde, die sie in Jahre, Tage oder Stunden einteilt. Man kann die Zeit nur begreifen, wenn man in ihr verschiedene Momente unterscheidet. Da es sich aber nicht um die Zeit eines einzelnen Individuums handelt, sondern um die von allen Menschen einer Zivilisation, muss eine derartige Organisation kollektiv sein.
Bisher standen sich zwei Meinungen gegenüber, wenn es um die Herkunft von Kategorien ging: die der Aprioristen und die der Empiristen
1, Empirisch gesehen sind Kategorien durch das Individuum konstruiert, aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt..
2, Die Meinung der Aprioristen ist, dass die Kategorien nicht von der Erfahrung abgeleitet werden können, sie kommen logisch von ihr und sind Teil des Geistes.
Ersteres verlangt den Entzug aller charakteristischen Merkmale. Sie unterscheiden sich von den anderen Erkenntnissen durch ihre Universalität und Notwendigkeit und verkörpern die allgemeinsten Konzepte, die es gibt, da sie sich auf die gesamte Wirklichkeit beziehen und zugleich von keinem einzelnen Gegenstand oder Individuum abhängen. Ausserdem beherrschen sie alle Individuen durch die Vernunft, die die Gesamtheit aller Grundkategorien und somit der Widerstand ist, auf den jeder stößt, der sich von ihr befreien will.
Zum Irrationalismus führt eine andere Variante, die fordert, dass die Universalität und Notwendigkeit von Kategorien auf pure Erscheinungen und Illusionen zurüchzuführen sind und dadurch dem durch Kategorien logisch geregelten Leben jede objektive Wirklichkeit verweigern.
Aprioristen sind Rationalisten und glauben dagegen, dass die Welt eine logische Seite hat, die durch die Vernunft ausgedrückt wird. Dazu müssen sie aber dem Geist eine bestimmte Macht zugestehen, die ausserhalb des Erfahrungsbereiches liegt. Dafür haben sie jedoch keine Erklärung. Deshalb wurde eine höhere und vollkommenere Vernunft eingeführt, von der die erstere durch eine Art mystischen Eingriff ihre Fähigkeit besäße. Diese göttliche Vernunft ist unabänderlich im Gegensatz zur menschlichen, die in keiner bestimmten Form festgelegt ist. Allerdings ist diese Hypothese jeder experimentellen Kontrolle entzogen und sozusagen hinfällig.
Wenn die Vernunft also nur eine Form der individuellen Erfahrung ist, dann gibt es sie nicht. Erkennt man ihr jedoch andere Kräfte an, die man nicht erklären kann, so stellt man sie ausserhalb von Natur und Wissenschaft.
=> Durkheim nimmt stattdessen einen sozialen Ursprung der Kategorien an, weil so eine Haltung möglich wird, die diesen Gegensätzen entgehen kann.
Durkheim schreibt, dass Kategorien v.a. Kollektivzustände ausdrücken. Die kollektiven Vorstellungen sind das Produkt ungeheuerer Zusammenarbeit. Viele Generationen haben nach und nach ihr Wissen angehäuft, deshalb hat die Vernunft die Kraft über die empirische Erkenntnis hinauszugehen.
Dies verdankt sie dem Menschen, der in sich zwei Wesen vereint: Zum einen ein individuelles Wesen, das seine Grundlage im Organismus hat, wodurch sein Wirkungsbereich stark begrenzt ist und zum anderen ein soziales Wesen, das in unserem moralischen und intellektuellen Bereich die höchste Wirklichkeit ausdrückt, die wir durch Erfahrung erkennen können: die Gesellschaft. Erkenntnistheoretisch kann deshalb Vernunft nicht auf individuelle Erfahrung zurückgeführt werden. In dem Maß, in dem jedes Individuum im Denken und Handeln an der Gesellschaft teilnimmt, überschreitet es die Grenzen der Erfahrung und des Bewusstseins.
=> Die neue Erkenntnistheorie vereint die Vorteile von beiden Meinungen: Sie behält alle wesentlichen Prinzipien des Apriorismus und lässt sich zugleich vom Geist der Positivität inspirieren, dessen Befriedigung das Ziel des Empirismus war. Sie lässt der Vernunft ihre spezifische Kraft und rechtfertigt sie ohne die analysierbare Welt zu verlassen. Ausserdem bestätigt sie die Dualität unseres intellektuellen Lebens durch natürliche Gründe. Die Kategorien werden als beobachtbare Urfakten gesehen. Sie erscheinen als durchdachte Denkinstrumente, die die Menschen mühsam im Lauf der Zeit entwickelt haben und in denen sie den besten Teil ihres Wissen und ihrer Erfahrung angehäuft haben.
=> Man braucht andere Mittel für das Verständnis von Kategorien als die Befragung unseres Bewusstseins, nämlich die Beobachtung der Geschichte.
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Durkheim untersucht also die Struktur und die Entwicklung von Wertsystemen. Er widmet sich besonders der Religion und hatte anscheinend zwei Ziele vor Augen:
1, Die Entwicklung eines analytisch tieferen und empirisch gehaltvolleren Verhältnis von Religion.
2, Anhand dieser Grundlage wollte er die moderne Kultur auf Hinblick der Umstellung vom moralischen Kollektivismus auf den Individualismus untersuchen.
Er hoffte, mit der Konzentration auf die Struktur von Religion die Grundzustände für die religiöse Mentalität im allgemeinen entdecken zu können.
WERKE
Es gibt drei weitere große Werke von Durkheim:
- „Über soziale Arbeitsteilung“ (1893): Hier legt er eine Studie zur Organisation höherer Gesellschaften vor. Er untersucht den Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung und sozialer Solidarität und fordert soziale Differenzierung als Strukturprinzip moderner Gesellschaften. Ausserdem fragt er nach dem Verhältnis von Differenzierung und Integration und zum anderen nach der Beziehung von Differenzierung und Individualisierung.
Ihn interessiert also an der Arbeitsteilung ein reibungsloses Zusammenspiel von Institutionen und ihrer Systemintegration (Interdependenz) und die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft. Die solidaritätsstiftende Wirkung von Arbeitsteilung versucht er durch die Gegenüberstellung von archaischen und modernen Gesellschaften zu erfassen. Das Ergebnis ist, dass Arbeitsteilung das moralische Grundprinzip der solidarischen Gesellschaftsform ist.
- „Die Regeln der soziologischen Methode“ (1895): Durkheim bemüht sich, ausgehend von dem Gedanken, dass man „soziale Tatsachen“ mit den Mitteln der positiven Wissenschaft wie reale „Dinge“ behandeln sollte, um eine Begründung der Soziologie als empirische Wissenschaft. Er hat die These ausgearbeitet, dass die Entwicklung des Sozialen eine eigene, rationale Struktur hat. Zur empirischen Untermauerung dienen ihm soziale Tatsachen. Seine Meinung war, Soziales kann nur durch Soziales interpretiert werden. Daran sieht man deutlich, dass er die Soziologie als eigenständige Disziplin gegen konkurrierende Wissenschaften abgrenzen wollte.
- „Der Selbstmord“ (1897): setzt den Diskurs über Charakter und Zustand der modernen Gesellschaft empirisch fort. Selbstmord ist die private und individuelle Entscheidung schlechthin; gelänge ein Nachweis seiner gesellschaftlichen Bedingtheit, wäre das ein weiterer Beweis für die Existenz des Sozialen und für die Notwendigkeit der Soziologie als Wissenschaft. Er untersucht Gründe für den Selbstmord, wobei ihn Selbstmordraten als Indikatoren für Kollektivzustände, und nicht der einzelne Selbstmord interessieren. Er setzt die soziale Selbstmordrate als abhängige Variable und untersucht ihre Schwankungen in Relation zum gesellschaftlichen Kontext. Er bearbeitete zuerst den Einfluss von nicht-sozialen Faktoren wie Geistesgestörtheit, Rasse, Nachahmung etc. und hält deren Zusammenhang mit den Selbstmordraten für unbedeutend. Deshalb stellt er im zweiten Teil seines Werkes eine begründende Typologie sozialer Aspekte vor, die die Selbstmordtypen nach ihren Ursachen einordnen sollte.
Abschliessend möchte ich noch sagen, dass Durkheims Einfluss immer unsichtbarer wird, er mehr und mehr in Vergessenheit gerät. So schreibt z.B. Dirk Käsler, dass jemand, der das Thema „Individualisierung“ aufgreift, eher auf Ulrich Beck als auf Durkheim zu sprechen kommen wird. Ausserdem hat man Durkheim in Frankreich nicht gemocht. Während Auguste Comtes Denkmal vor der Sorbonne thront, ging Durkheim leer aus.
- Quote paper
- Christine Popp (Author), 1999, Durkheim: Die elementaren Formen religiösen Lebens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103795
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