Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Rande einer tiefgreifenden Transformation, einem Übergangsritus, der das Tor zu Wissen, sozialer Akzeptanz und kosmischer Verbundenheit öffnet. Dieses Buch enthüllt die Mysterien des Upanayana-Rituals, einer zentralen Initiation im Hinduismus, die junge Anwärter aus der Dunkelheit der Unwissenheit ins Licht der Weisheit führt. Entdecken Sie die sorgfältigen Vorbereitungen, von der Verehrung der Götter bis zur symbolischen Rasur des Kopfes, und tauchen Sie ein in die Details der Zeremonie selbst, von der Entzündung des heiligen Feuers bis zum Empfang des heiligen Fadens. Erforschen Sie die vielschichtige Bedeutung dieses Rituals, das nicht nur den existenziellen Status des Einzelnen verändert, sondern auch seine Rolle in der Gesellschaft und seine Beziehung zum Kosmos neu definiert. Untersuchen Sie, wie das Upanayana-Ritual die spirituelle Wiedergeburt einleitet, den Körper weiht und die Seele reinigt, um die Vereinigung mit Brahman vorzubereiten. Erfahren Sie, wie die soziale Bedeutung des Rituals durch die Zuweisung zu Kasten und die Betonung der Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zum Ausdruck kommt, und wie die kosmische Bedeutung durch Symbole wie die Länge des heiligen Bandes, die die Einheit von Mensch und Universum verkörpert, offenbart wird. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der Rituale nicht nur Handlungen sind, sondern Tore zu tieferem Verständnis und spiritueller Erfüllung. Begleiten Sie uns auf einer Reise durch die heiligen Traditionen des Hinduismus, die die zeitlose Suche des Menschen nach Sinn und Zugehörigkeit offenbart. Dieses Buch bietet nicht nur eine detaillierte Beschreibung des Upanayana-Rituals, sondern auch eine tiefgründige Analyse seiner existenziellen, sozialen und kosmischen Bedeutung, die für jeden Leser von Interesse ist, der sich für Hinduismus, Initiationsriten, Religionswissenschaft und kulturelle Anthropologie interessiert. Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt der hinduistischen Traditionen und entdecken Sie die transformative Kraft des Upanayana-Rituals, ein Schlüsselerlebnis, das den Weg für ein Leben in Weisheit, Verantwortung und spiritueller Verbundenheit ebnet. Erleben Sie die tiefgreifenden Veränderungen, die dieses uralte Ritual im Leben der jungen Hindus bewirkt, und gewinnen Sie Einblicke in die zeitlosen Werte und Überzeugungen, die diese reiche religiöse Tradition prägen. Eine Erkundung der Symbolik, der sozialen Dynamik und der spirituellen Tiefe eines der bedeutendsten Übergangsriten des Hinduismus, das Einblicke in die Konstruktion von Identität, Gemeinschaft und kosmischer Ordnung bietet und für Studierende und Interessierte gleichermassen von Bedeutung ist.
Gliederung
1. Einleitung
2. Der Ablauf des Upanayana-Rituals
2.1 Vorbereitung auf das Ritual
2.2 Das eigentliche Ritual
3. Die existentielle, soziale und kosmische Bedeutung des Upanayana-Rituals
3.1 Die existentielle Bedeutung des Upanayana-Rituals
3.2 Die soziale Bedeutung des Upanayana-Rituals
3.3 Die kosmische Bedeutung des Upanayana-Rituals
4. Conclusio
1. Einleitung
Der Hinduismus ist eine der grossen Weltreligionen, deren Glaubensgrundsätze, so wie sie in der heutigen Form vorliegen, in etwa um Christi Geburt entstanden sind. Die Wurzeln dieser Religion liegen aber schon um einiges weiter in der Geschichte zurück, denn einige Gottheiten, die von Hindus in der heutigen Zeit verehrt werden, wurden vor circa 4000 Jahren bereits von ihren Vorfahren verehrt. Der Hinduismus entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte auf dem indischen Subkontinent, wobei mehr als 90 % seiner 800 Millionen Anhänger aus der Republik Indien, die den grössten Teil des Subkontinentes ausmacht, stammen. Weitere grosse Hindugemeinden sind in Bangladesch, Sri Lanka, Kenia, Südafrika, Trinidad und Tobago, und Guyana zu finden.
Das Einzigartige an dieser Religion ist ihre Toleranz hinsichtlich Verschiedenheit. Es handelt sich hier um eine total dezentralisierte Religion ohne jegliche Hierarchie unter den Geistlichen und ohne höchste Autorität. Anders als beim christlichen Glauben oder im Islam, gibt es im Hinduismus keinen einzelnen Begründer, dessen Lehre von seinen Jüngern verbreitet wurde.
Im Laufe der Entwicklung des Hinduismus wurden bestimmte Glaubensansätze und -praktiken von den verschiedenen Völkern, mit denen diese Religion in Kontakt kam, ununterbrochen vertieft oder wieder neu beeinflusst und interpretiert, so dass wir heute nicht von einer grossen einheitlichen Religion sprechen können, sondern eher von einer Religion mit grosser regionaler Heterogenität.
Für den Hindu spielt Religion sowohl im Rahmen seines Familienlebens, als auch in den einzelnen Lebensabschnitten des Individuums eine sehr wichtige Rolle. Das Leben ist für den Hindu ein Zyklus aus Ritualen und Zeremonien. Im Leben jedes Menschen gibt es Perioden, die eine grosse Gefahr für ihn darstellen. Diese kritischen Zeiten im Leben eines religiösen Menschen sind Übergangsperioden zu einem neuen Lebensabschnitt, wie z.B. bei der Geburt, der Pubertät, der Heirat oder dem Tod. Die Anthropologistin Mary Douglas beschreibt die Situation folgendermassen:
Danger lies in transitional states, simply because transition is neither one state nor the next, it is undefinable. The person who must pass from one to another is himself in danger and emanates danger to others. The danger is controlled by ritual which precisely separates him from his old status, segregates him for a time and then publicly declares his entry to his new status.1
Damit der Mensch diese Gefahren überwinden kann, muss er einen gewaltigen Sprung machen. Ist dieser Sprung erfolgreich, so betritt der Mensch eine neue Realität. Das Mittel zur erfolgreichen Überwindung der Gefahrenperioden, sind die zahlreichen samskaras (Sakramente). Gemäss dem Glauben der Hindus muss das Individuum mehrere Samskaras durchschreiten, die den Körper gleich von Anfang an, also bereits wenn der Fötus entstanden ist, bis zum Tod der Person hin, weihen sollen. Da der Hinduismus, wie vorhin schon angesprochen, keine einheitliche Religion ist, schwankt die Anzahl der Sakramente, doch offiziell soll es 16 Sakramente geben, die obligatorisch, und 24, die fakultativ sind. Die meisten Hindugemeinden haben diese Zahl aber auf ein halbes Dutzend reduziert.
Traditionsgemäss ist das Upanayana-Ritual, ein Initiationsritual, eines der wichtigsten Samskaras des Hinduismus.
2. Der Ablauf des Upanayana-Rituals
Das Upanayana-Ritual ist im Allgemeinen unter dem Wort munja bekannt und ist für alle Hindus notwendig, die einen Platz in den ersten drei varnas beanspruchen wollen. Diese Zeremonie ist eine Einführung in das Wissen, denn durch dieses Ritual erlangt der junge Hindu das Recht, die heiligen Schriften zu lesen und zu studieren. Bis zum erfolgreichen und vollständigen Abschluss dieser Zeremonie ist der Anwärter nicht wirklich ein Brahman, was für ihn bedeutet, dass er die Regeln und die Verbote seiner Kaste nicht zwingend berücksichtigen muss.
Ein Junge wird dem Upanayana-Ritual in der Regel zwischen dem achten und dem zwölften Lebensjahr unterzogen. Oftmals wird der günstigste Tag dafür mit Hilfe der Sternenkonstellation seines Geburtstages bestimmt. Die Zeremonie selbst findet immer zwischen Sonnenaufgang und Mittag statt, niemals später.
2.1 Vorbereitung auf das Ritual
Zur Vorbereitung werden am Tag vor dem eigentlichen Ritual mehrere andere Rituale durchgeführt. Zuerst einmal werden verschiedene Gottheiten verehrt, wobei die einzelnen Details des Rituals peinlichst genau eingehalten werden, um sie für das grosse Ereignis günstig zu stimmen. Dem Jungen wird dann der Kopf bis auf den obersten Haarknoten vollkommen abrasiert, wenn dies nicht schon regelmässig in dessen Kindheit geschah, dann wird er gebadet und anschliessend in einen grossen Speisesaal gebracht, wo mehrere Anwärter in langen Reihen nebeneinander sitzen und mit Essen versorgt werden. Die Besonderheit hierbei ist, dass auch die Mutter diesem Essen beiwohnt. Sie nimmt ihren Sohn auf den Schoss, füttert ihn und isst dabei auch selber von demselben Teller.
In der Nacht vor der Zeremonie wird der Junge mit einer gelben Substanz eingeschmiert und ein silberner Ring wird im Haarknoten befestigt. Ausserdem muss der Junge sich während der ganzen folgenden Nacht vollkommen ruhig verhalten.
2.2 Das eigentliche Ritual
Der Junge und seine Eltern betreten den Unterstand, der eigens für dieses Ritual aufgestellt wurde, und sie setzen sich auf drei hölzerne Stühle, die auf der bahule, einer dekorierten Tribüne, stehen. Der Vater leitet die Zeremonie ein, indem er etwas Geld hergibt, um sich sozusagen für das Versäumnis, die Zeremonie nicht schon früher durchgeführt zu haben, zu entschuldigen. Der Vater sitzt dann weiterhin auf seinem kleinen Stuhl, mit dem Gesicht nach Osten gewandt, während der Junge sich vor seinen Vater stellt, aber mit dem Gesicht nach Westen gewandt. Der Priester trennt die beiden durch einen zinnoberroten Vorhang. Der Priester sagt nun einige Glücksverse (mangalastakas) auf und die geladenen Gäste bewerfen die beiden mit adsatas (Reis vermischt mit kum kum). In einem günstigen Moment hält der Priester in seinem Sprechgesang inne. Der Vorhang wird nun Richtung Norden weggezogen, und der Junge legt seinen Kopf auf die Füsse seines Vaters. Der Vater segnet ihn und setzt ihn zu seiner Rechten. Dann werden die Gäste fürstlich bewirtet. Im Anschluss daran, werden die Gäste mit ihren Schenkungen an den Jungen beginnen.
Doch jetzt erst beginnt das eigentliche Upanayana-Ritual. Ein vedi (irdener Altar), mit heiligem Gras bedeckt, wird vor dem Vater aufgebaut und darauf wird ein Opferfeuer entzündet. Dann nähert sich der Junge dem acarya, dem obersten Priester, mit der Bitte, aus ihm einen brahmacari (einen Schüler der heiligen Schriften, der Vedas) zu machen. Der acarya gestattet ihm seine Bitte. Er beschmiert einen Gürtel mit Öl und Gelbwurzel, befestigt diesen an der Taille des Jungen und gibt ihm einen Lendenschutz, den er darüber trägt. Dann zieht er ihm noch ein gelbliches kurzes Kleidungsstück über die Taille und ein weisses Kleidungsstück über die Schulter. Daraufhin folgend gibt er dem Jungen das heilige Band und den danda (Stab). Nachdem er nun den Stab, der ihn zu einem Wächter über die Vedas macht und ihm ein langes Leben, Glanz und Heiligkeit beschert, bekommen hat, geht der Schüler zu seinen Verwandten, um um Essen zu betteln. Der Junge muss nun zwischen dem Opferfeuer und seinem Vater hindurchgehen und dabei einige Texte wiederholen. Dann setzt er sich wieder hin. Der Lehrer gibt seinem Schüler jetzt eine Kokosnuss, nimmt ihn an der Hand, führt ihn aus dem Unterstand hinaus und die beiden verbeugen sich vor der Sonne. Wenn sie anschliessend zu ihren Sitzen zurückkehren, nimmt der Lehrer die rechte Hand seines Schülers und fordert ihn dazu auf, seinen Namen zu nennen und zu sagen, wessen Brahmacari er jetzt ist. Wenn er das getan hat, nennt der Lehrer seinem Schüler einige Gebote, die er von nun an zu beachten hat. Der Schüler, der nördlich vom Feuer sitzt, bittet seinen Lehrer jetzt, ihn in die Mysterien der heiligen Schriften einzuführen. Der Lehrer flüstert dem Schüler einige heilige Formeln in sein rechtes Ohr. Der Priester beendet das Ritual mit einer Opfergabe und besprenkelt den Schüler mit heiligem Wasser. Dann wird der Priester mit Geld beschenkt, damit der neueste Schüler der heiligen Schriften und sein Vater gesegnet sind.
3. Die existentiell, soziale und kosmische Bedeutung des Upanayana-Ritual
3.1 Die existentielle Bedeutung des Upanayana-Rituals
Wenn man von Initiation im Allgemeinen spricht, so spricht man in der Regel von mehreren Riten und mündlichen Belehrungen. Der Sinn dieser Riten und Lehren ist es, eine vollkommene Veränderung des religiösen und sozialen Status einer Person anzukurbeln. Initiation ist also gleichzusetzen mit einer grundlegenden Veränderung der existentiellen Bedingungen. Die Person geht aus der Initiation als ein vollkommen anderes Wesen hervor. Somit hat eine Veränderung im Status von einem ontologischen Stadium in ein anderes stattgefunden.
Das Upanayana-Ritual beinhaltet mehrere Beispiele für diese Veränderung im Dasein des Initiierten. Bei der Vorbereitung zur eigentlichen Zeremonie müssen zum Beispiel verschiedene Gottheiten günstig gestimmt werden. In der Nacht vor der Zeremonie wird der Körper des Ritualteilnehmers mit einer gelben Substanz eingeschmiert. Ein Silberring wird in den obersten Knoten seiner Haare gesteckt. Das Kind wird ausserdem angehalten, während der ganzen kommenden Nacht absolut ruhig zu sein. Die gelbe Substanz, wie auch die absolute Ruhe, sollen wahrscheinlich das Embryonalstadium des Kindes symbolisieren, denn was ruhig ist, ist unbestimmt.
Die Hindus glauben, dass jeder Mensch zunächst als Sudra geboren ist. Die Farbe Gelb ist die Farbe des Südens. Der Süden ist symbolisch für die Sudra-Kaste. Ausserdem ist der Süden die Himmelsrichtung für Yama, der der Herr der Toten ist. Gelb ist weiterhin auch noch die symbolische Farbe für die Dämonen, die in Yamas Reich wohnen.
Der hinduistische Gläubige sieht den Übergang als einen Prozess und im Hinblick auf die rites de passage als eine Umwandlung. In dieser Phase des Übergangs ist das Individuum von seiner Struktur her unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit bringt folgende Problematik mit sich: die Initiierten sind auf einmal nicht länger ihrer alten Klasse zugeteilt, und andererseits sind sie auch noch nicht einer neuen Klasse zugeschrieben. Ein typisches Charakteristikum für Wesen, die sich in einem solchen Übergangsstadium befinden, ist, dass sie nichts besitzen. Sie haben weder Status, noch Besitz, Rang oder eine bestimmte Position innerhalb der Verwandtschaft.
Ein weiterer Schritt in der Vorbereitung zum Ritual ist das letzte Mahl des Teilnehmers mit seiner Mutter. Dieses letzte Mahl scheint die Abtrennung von der Nabelschnur der Mutter zu symbolisieren. Dieses letzte Mahl mit der Mutter symbolisiert die letzte Versorgung des Kindes mit Nahrung im Leib der Mutter, bevor es geboren wird. Dieser Teil der Vorbereitung scheint ein Wiederdurchleben der natürlichen Geburt des Kindes zu sein. Wenn also in der Zeremonie das Kind symbolisch in das Embryonalstadium zurückversetzt wird, so soll damit die wirkliche oder spirituelle Geburt des Kindes gezeigt werden. Die Initiation wird also als die zweite Geburt oder als Wiedergeburt angesehen. Diese Wiedergeburt ist wichtig, um den Status eines Brahmana erreichen können.
Man könnte also zusammenfassend sagen, dass der Teilnehmer in der Zeremonie eine spirituelle Umwandlung erfahren hat, in der sein Körper geweiht wurde, und seine Seele von allen Sünden und allem Schlechten in seinem jetzigen Dasein und auch noch nach seinem Tode gereinigt wurde. Auf diese Weise ist nun der Teilnehmer bereit für seine Vereinigung mit Brahman.
3.2 Die soziale Bedeutung des Upanayana-Rituals
Neben der Veränderung im existentiellen Status, kommt es auch noch zu einer Änderung im Sozialstatus des Teilnehmers. Mit dem Ritual verlässt der junge Hindu seinen früheren profanen Zustand aus Ignoranz, Ungleichheit und Unverantwortlichkeit und übernimmt eine höhere soziale Position, die durch Aufklärung, Gleichheit und Verantwortung gekennzeichnet ist. In anderen Worten heisst das, dass der junge Hindu nun in das Kastensystem aufgenommen wird und auf diese Weise die Geheimnisse und die Verhältnisse in der Gesellschaft kennenlernt. Die Bedeutung und die Hierarchie der festgelegten Kastenstruktur wird auch bei der Durchführung des Ritual bemerkbar. So erhält zum Beispiel während des Rituals ein Zughöriger der Brahman-Kaste eine kaupina (Kleidungsstück zum Bedecken des Intimbereiches des Individuums) aus Antilopenleder, während die Kshatriya eine kaupina aus Rotwildleder bekamen oder die Vasiya eine aus Kuh- oder Ziegenleder. Das Antilopenleder symbolisiert hier somit auch die geistliche und intellektuelle Überlegenheit der Brahman-Kaste.
Neben diesem Beispiel gibt es auch noch andere Beispiele für die soziale Bedeutung des Rituals. Nachdem der Hindu einen hölzernen Stab (danda) von seinem Lehrer erhalten hat, geht er hinaus, um um Essen zu betteln. Hierbei soll die Lebensnotwendigkeit und der fast schon heilige Wert der Nahrung hervorgehoben werden, da Essen ja die Grundlage allen Seins ist. Die Nahrung, die der junge Hindu beim Betteln erhält, wird als rein angesehen. Der Schüler bettelt vor allem bei Leuten, die ihm am Tag des Rituals nicht zurückweisen werden, wie zum Beispiel bei seiner Mutter oder bei anderen Verwandten. Das Betteln soll dem Teilnehmer des Rituals verdeutlichen, dass er ein nicht-ökonomisches Dasein führt, dass er abhängig von der Güte und den milden Gaben der Gemeinschaft ist. Ihm soll damit klargemacht werden, dass er seine sozialen Pflichten zu erfüllen hat, wenn er ein volles Mitglied der Gesellschaft werden will.
Das Upanayana-Ritual war ausserdem noch insofern wichtig, dass der junge Hindu ohne die vollständige Ausführung der Zeremonie kein volles Mitglied der Hindugesellschaft werden konnte und somit auch kein arisches Mädchen heiraten konnte. Diese jungen Männer wurden als vratyas bezeichnet. Sie waren von der Gesellschaft ausgestossen und durften den Lesungen der heiligen Schriften nicht beiwohnen.
3.3 Die kosmische Bedeutung des Upanayana-Rituals
Die Hauptbestrebungen des Upanayana-Rituals sind der Erwerb von Wissen und die Ausprägung des Charakters. Hierzu wird der beste Lehrer gesucht, um bestmöglichen Resultate erzielen zu können. Dieser religiöse Lehrer hat ein nahezu göttliches Ansehen. Man sagt, dass nur ein Lehrer, der ein Vorbild an Weisheit, gutem Charakter und Reinheit ist, dazu fähig ist, ein junges Kind zu führen und zu erziehen.
Die weltliche Bedeutung des Rituals kann in dem Teil der Zeremonie gesehen werden, in dem der Lehrer dem Schüler das heilige Band anlegt. Die Länge des Bandes ist abhängig von der Grösse des Teilnehmers. Sie wird indem errechnet, indem man die Länge seiner vier Finger mit der Zahl 96 multipliziert. Die vier Finger symbolisieren die vier Stadien des inneren Kerns eines Menschen. Dieses sind das Wachen, das Träumen, der traumlose Schlaf und die Ruhe. Die drei Falten des gerippten Stoffes repräsentieren die drei Elemente (sattva, rajas, tamas), die die ursprüngliche Materie ausmachen, aus der das Universum erschaffen wurde. Die Kordel aus den drei Bändern soll den Schüler daran erinnern, dass er drei Schulden zurückzuzahlen hat, und zwar diejenige an seine Vorfahren, die an seine alten Propheten und die an die Götter. Der Knoten, der die drei Bänder zusammenhält, wird Brahmagranthi genannt und symbolisiert Brahma, Visnu und Siva.
Das heilige Band dient dazu, die Einheit von Kosmos und Menschheit zu verdeutlichen. Dieses ursprüngliche Bild dient dazu, den Blick auf die Struktur des Universums freizugeben und die spezielle Situation des Menschen innerhalb dieses Universums zu beschreiben. Dabei ist eben dieses heilige Band, die spirituelle Verbindung, die das Universum und alle darin lebenden Wesen zusammenhält. In anderen Deutungen wird gesagt, dass die Sonne mit Hilfe dieses Bandes die Erde an sich bindet. Zudem verbindet eben dieses Band den Menschen an die Quelle allen Lebens, die ihn am Leben erhält, aber auch abhängig macht.
Nachdem der Schüler im Ritual mit Wasser gereinigt wurde und somit in den neuen Zustand hineingeführt wurde, starrt der Lehrer in die Sonne. Die Sonne repräsentiert nämlich das kosmische Gesetz, das über das ganze Universum regiert. Sie ist der Ort aller Unsterblichkeit, die sich-nie-verändernde Quelle aller verzehrender Kraft. Die Sonne soll dem Schüler Vitalität (ojas), physische Kraft (bala) und Schönheit verleihen. Ausserdem soll die aufgehende Sonne den Schüler jeden Tag an die grosse Bedeutung des Rituals erinnern und sie untermauern.
4. Conclusio
In dieser Arbeit wollte ich einen kurzen Einblick in das Upanayana-Ritual geben. Nach einiger Recherche musste ich dann feststellen, dass es sich bei diesem Ritual um ein wirklich komplexes religiöses Phänomen handelt, dass in verschiedenen hinduistischen Gemeinden in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegt. Wie bereits in der Einleitung angesprochen, so wurden eben in manchen Gebieten Abwandlungen vorgenommen, so dass man nicht mehr von einem absolut einheitlichem Ritual sprechen kann.
Sicher ist jedoch eines: das Upanayana-Ritual ist ein Ritual, das im Hinduismus zur Überwindung einer kritischen Phase im Leben eines Kindes dient. Das Kind wird aus dem einen Stadium herausgenommen, von seinem alten Zustand erst einmal vollkommen getrennt und dann in den neuen Zustand hinübergeführt. Wenn der junge Gläubige aus dem Ritual hervorgeht, ist er ein vollkommen neuer Mensch. Durch das Ritual wird der junge Gläubige aus seiner alten Welt der Unwissenheit herausgenommen, und in eine neue Welt, in der ihm das Wissen durch das Lesen der heiligen Schriften geoffenbart wird, aufgenommen. Somit erfährt er eine Veränderung, die ihn von Ungleichheit zu Gleichheit, von Unverantwortlichkeit zu Verantwortlichkeit, von Ignoranz zu Offenheit und vom Chaos seines Daseins in eine geordnete Sozialstruktur bringt.
Bibliographie:
Douglas, Mary: Purity and Danger: An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo (New York: Praeger Publishers, 1966), S. 96
Olson, Carl: The existential, social, and cosmic significance of the upanayana rite, in: Numen 24, 1977, S. 152-160
www.nagpuronline.com/people/rit_hindu.html www.hinduism.co.za/sacramen.htm
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Häufig gestellte Fragen
Was ist das Upanayana-Ritual und welche Bedeutung hat es im Hinduismus?
Das Upanayana-Ritual, auch bekannt als Munja, ist ein wichtiges Initiationsritual im Hinduismus. Es ist für Hindus notwendig, die einen Platz in den ersten drei Varnas (Kasten) beanspruchen wollen. Durch dieses Ritual erlangt der junge Hindu das Recht, heilige Schriften zu lesen und zu studieren. Es markiert den Übergang von der Kindheit zum Schülerstadium (Brahmacari) und gilt als eine zweite Geburt.
Wann und wie wird das Upanayana-Ritual durchgeführt?
Das Ritual wird in der Regel zwischen dem achten und zwölften Lebensjahr des Jungen durchgeführt. Der günstigste Tag wird oft anhand der Sternenkonstellation seines Geburtstages bestimmt. Die Zeremonie findet immer zwischen Sonnenaufgang und Mittag statt. Die Vorbereitung umfasst verschiedene Rituale am Vortag, darunter die Verehrung von Gottheiten und das Abrasieren des Kopfes (bis auf den Haarknoten). Der Junge teilt eine Mahlzeit mit seiner Mutter, was symbolische Bedeutung hat. Die eigentliche Zeremonie umfasst das Anlegen eines heiligen Bandes und das Entzünden eines Opferfeuers. Der Junge erhält Anweisungen vom Lehrer (Acarya) und bittet um Essen, was Demut und Abhängigkeit von der Gemeinschaft symbolisiert.
Welche existentiellen Bedeutung hat das Upanayana-Ritual?
Das Upanayana-Ritual zielt darauf ab, eine vollständige Veränderung des religiösen und sozialen Status des Teilnehmers anzukurbeln. Es wird als eine grundlegende Veränderung der existentiellen Bedingungen angesehen, bei der die Person als ein vollkommen anderes Wesen hervorgeht. Die Vorbereitungen, wie das Einschmieren mit gelber Substanz und die absolute Ruhe in der Nacht vor dem Ritual, symbolisieren das Embryonalstadium und eine Rückkehr zum Ursprung. Das Ritual wird als eine Wiedergeburt betrachtet, die notwendig ist, um den Status eines Brahmana zu erreichen.
Welche soziale Bedeutung hat das Upanayana-Ritual?
Das Ritual verändert den Sozialstatus des Teilnehmers. Er verlässt seinen früheren profanen Zustand und übernimmt eine höhere soziale Position, die durch Aufklärung, Gleichheit und Verantwortung gekennzeichnet ist. Der junge Hindu wird in das Kastensystem aufgenommen und lernt die Hierarchie und Verhältnisse in der Gesellschaft kennen. Das Betteln um Essen verdeutlicht die Lebensnotwendigkeit der Nahrung und die Abhängigkeit von der Gemeinschaft. Ohne dieses Ritual konnte der junge Hindu kein volles Mitglied der Gesellschaft werden und keine arische Frau heiraten.
Welche kosmische Bedeutung hat das Upanayana-Ritual?
Die Hauptbestrebungen des Rituals sind der Erwerb von Wissen und die Ausprägung des Charakters. Der Lehrer (Guru) hat ein nahezu göttliches Ansehen. Das heilige Band (Yajnopavita) verdeutlicht die Einheit von Kosmos und Menschheit. Die Länge des Bandes und seine Bestandteile haben symbolische Bedeutungen, die auf die Elemente des Universums und die Schulden des Schülers hinweisen. Das Band verbindet den Menschen mit der Quelle allen Lebens. Der Blick in die Sonne repräsentiert das kosmische Gesetz und soll dem Schüler Vitalität und Kraft verleihen.
Was ist das Ziel dieser Arbeit über das Upanayana-Ritual?
Das Ziel dieser Arbeit war es, einen Einblick in das komplexe religiöse Phänomen des Upanayana-Rituals zu geben. Es wird betont, dass das Ritual in verschiedenen hinduistischen Gemeinden unterschiedliche Ausprägungen hat und dass im Laufe der Zeit Abwandlungen vorgenommen wurden. Das Ritual dient zur Überwindung einer kritischen Phase im Leben eines Kindes und führt zu einer Transformation, die den jungen Gläubigen aus Unwissenheit in eine Welt des Wissens und der Verantwortung führt.
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- Karin Mueller (Author), 1999, Das Upanayana-Ritual, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103782