Noch vor dreißig Jahren, will man der damaligen Einschätzung von Manfred Durzak glauben schenken, war der Kampf um den Platz im Kanon der deutschsprachigen Literatur für die Gedichte Stefan Georges unentschieden. Dieses Bild scheint sich heute gewandelt zu haben. Die Lektüre der George-Gedichte hat ihren Platz im Deutschunterricht erhalten, die Verlage bieten Auswahlsammlungen der Gedichte an, in zahlreichen Anthologien sind sie ebenfalls enthalten und einschlägige ‚Leselisten’ geben Hinweise auf einzelne Bände.
Bei genauerer Betrachtung der ausgewählten Gedichte ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Deutlich überrepräsentiert sind die Gedichte, die in scheinbarer Tradition an die „deutsche Innerlichkeitslyrik und Natursymbolik“ anknüpfen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Gedichte aus ihrem ursprünglichen zyklischen Zusammenhang isoliert werden und sich dadurch ganz neue, häufig unverfängliche und reduzierte Deutungsmöglichkeiten ergeben. Es scheint also, als sei ein kleiner Teil der Gedichte Georges kanonisiert worden, während der übrige Teil im öffentlichen ‚Leseraum’ kaum wahrgenommen wird.
Der erwähnte übrige Teil jedoch beschäftigt im verstärkten Maße den fachwissenschaftlichen Diskurs. Die eigentümliche Mischung aus ‚archaischem’ Stil, Mythisierung, Antimodernismus, Elementen der Gewalt und sublimer Sexualität bot und bietet Freiraum für diverse Fragestellungen, aber auch für ideologische Grabenkämpfe. Bestes Beispiel hierfür stellt der 1892 entstandende Gedichtzyklus „Algabal“ dar, von dem Jens Malte Fischer behauptet, es sei Georges „meistinterpretiertes Werk“ . Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit diesem Werk, indem ein zentrales Gedicht herausgegriffen und exemplarisch analysiert werden soll.
Natürlich steht auch diese Arbeit nicht außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses, deshalb muss hier Erwähnung finden, dass die Lektüre von Stefan Breuer: „Ästhetischer Fundamentalismus“ Ausgangspunkt für diese Untersuchung war. Breuer versucht, außerhalb der bestehenden literaturwissenschaftlichen Kategorisierungsbemühungen ein eher soziologisch geleitetes Verständnis für die „antimodernistische“ George-Literatur zu entwickeln. Aus diesem Ansatz ergeben sich auch die Fragestellungen, die der Analyse des Gedichtes zu Grunde liegen: Welches Menschenbild wird in diesem Gedicht transportiert? Welche Bedeutung spielt die Kunst und die Ästhetisierung der Natur? Wie wird die Lebbarkeit eines derartigen Konzeptes im Gedicht selbst thematisiert?
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- 1. Thema und Fragestellung
- 2. Forschungsdiskussion
- II. Analyse ,,Wenn um der zinnen kupferglühe hauben“
- 1. Situierung der Gedichthandlung – Ort, Zeit und Figuration
- 2. Exkurs: Das historische Vorbild,,Heliogabal“
- 3. Ritualisierte Zeit
- 4. Ritualisierter Raum
- 5. Erster Deutungsversuch – Algabal: Priester oder Gott?
- 6. Der Tod als ästhetisches Ereignis
- 7. Rettung durch Deutung
- 8. Fazit
- III. Ausblick
- 1. Ästhetischer Fundamentalismus?
- 2. Die Widmung als Grenze zwischen Fiktion und Realität
- 3. Krise der Ästhetik
- 4. Abschließendes
- IV. Anhang - Gedichttext „Wenn um der zinnen kupferglühe hauben“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Gedichtzyklus „Algabal“ von Stefan George, indem sie ein zentrales Gedicht aus diesem Zyklus exemplarisch analysiert. Das Ziel ist es, das Menschenbild, die Rolle der Kunst und die Ästhetisierung der Natur in diesem Gedicht zu erforschen, sowie die Lebbarkeit dieses Konzepts im Gedicht selbst zu thematisieren.
- Das Menschenbild in Stefan Georges Gedicht
- Die Bedeutung der Kunst und Ästhetisierung der Natur
- Die Lebbarkeit des dargestellten Konzepts
- Die Anwendung der Erzähltheorie in der Lyrikanalyse
- Die Relevanz von Textanalyse für diskursive Methoden
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema und die Fragestellung der Arbeit vor und beleuchtet den wissenschaftlichen Diskurs über Stefan George und den „Algabal“-Zyklus.
Die Analyse des Gedichts „Wenn um der zinnen kupferglühe hauben...“ konzentriert sich auf die Situierung der Gedichthandlung, den historischen Hintergrund, die Gestaltung von Zeit und Raum, und verschiedene Deutungsansätze.
Der Ausblick geht auf die Frage des „Ästhetischen Fundamentalismus“ ein, die Beziehung zwischen Fiktion und Realität und die Krise der Ästhetik.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit Stefan George, dem „Algabal“-Zyklus, Gedichtanalyse, Ästhetischer Fundamentalismus, Menschenbild, Kunst, Natur, Erzähltheorie, antimodernistische Elemente, Zivilisationskritik, Diskursanalyse.
- Quote paper
- Stephan Bliemel (Author), 2001, Stefan George und der Algabal-Zyklus - Eine Beispielanalyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10344