Max Weber hat mit seinem „Bürokratiemodell“ seiner Zeit das Idealbild einer jeden Organisation kreiert und definiert. Innerhalb einer Organisation gibt es demnach feste Regeln und Abläufe. Eine feste Hierarchie sowie ein festes unhinterfragbares Regelwerk regeln die Pflichten und Rechte eines jeden Akteurs im jeweiligen Entscheidungsprozess in der Organisation. Die Ziele der jeweiligen Organisation werden von wenigen dafür privilegierten Führungskräften vorgegeben und nie mehr hinterfragt, sondern stur und mit dem vollsten Einsatz aller Beteiligten befolgt und vollbracht. Unlängst ist das Weberianische Paradigma einer Organisation zum Mythos verkommen, das so wie von Weber definiert, kaum verwirklicht wurde. Ende der 50er Jahre fand in der US-amerikanischen und in der norwegischen Literatur bei berühmten Autoren wie zum Beispiel Cyert, March, Olsen, Simon u. a. eine Neuorientierung der Organisationstheorie statt.
Niklas Luhmann hatte 1968 seine systhemtheoretische Reformulierung der Entscheidungslogik und Organisationstheorie konzipiert. Sein Konzept widmet sich den Rationalitätsgewinnen durch Systeme und systematisches Vorgehen. Daraufhin entwickelten March und Olsen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ein Gegenmodell zu Luhmanns Systemtheorie. Es war das non-decision-Modell, das die organisationale Rationalität als garbage can-Prozess charakterisiert. In diesem Modell ist nicht von einem Gewinn der Rationalität durch einen bestimmten geplanten Prozess die Rede. Es geht davon aus, dass rationales Handeln in und von Organisationen mehr oder weniger ein Zufallsprodukt ist, das sich aus dem intentionalen Handeln der Akteure erst herauskristallisiert. Die Akteure werden erst „schlauer“, wenn sie eine Entscheidung getätigt haben und müssen mit den Konsequenzen einer eventuell „falschen“ Entscheidung rechnen und umgehen können. Luhmann sowie March/Olsen problematisieren beide das Entscheidungsverhalten in Organisationen. Luhmann vertritt eine positivere Sichtweise im Hinblick auf eine mögliche Rationalität in Organisationen als March und Olsen. Er verbindet mit dem systematischen Vorgehen einer Organisation einen Rationalitätsgewinn während March und Olsen keinerlei Theorie über Rationalitätsgewinne erstellt haben. Sie sehen, wie bereits erwähnt, Rationalität als eine Art „Zufallsprodukt“ an.
Im Folgenden werden ich beide Theorien dargestellt und erklärt. Nach den Darstellungen der gegenläufigen Theorien werden diese miteinander verglichen.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung
Kapitel 2: Systemische Rationalität und Organisationale R. als Garbage Can-Prozeß
Kapitel 2.1: Rationalitätsgewinne durch das System bei Niklas Luhmann
Kapitel 2.2: Der garbage Can-Prozeß oder das non-decision- Modell von March/Olsen
Kapitel 3: Vergleich der Luhmannschen Systemtheorie mit dem Garbage Can-Mode ll von March/Olsen
Kapitel 4: Schlußwort
Kapitel 5: Literaturhinweis
1)Einleitung
Max Weber hat mit seinem „ Bürokratiemodell“ seiner Zeit das Idealbild einer jeden Organisation kreirt und definiert. Innerhalb einer Organisation nach dem Weberianischen Leitbild gibt es feste Regeln und Abläufe in den organisationalen Abläufen. Eine feste Hierarchie sowie ein festes unhinterfragbares Regelwerk regeln die Pflichten und Rechte eines jeden Akteurs im jeweiligen Entscheidungsprozeß in der Organisation. Die Ziele der jeweiligen Organisation werden von wenigen dafür privilegierten Führungskräften vorgegeben und - einmal vorgegeben - nie mehr hinterfragt, sondern stur und mit dem vollsten Einsatz aller Beteiligten befolgt und vollbracht. Unlängst ist das Weberianische Paradigma einer Organisation zum Mythos verkommen, das so wie von Weber definiert, kaum verwirklicht wurde. Ende der 50er Jahre fand in der US - amerikanischen und in der norwegischen Literatur bei berühmten Autoren wie zum Beispiel Cyert, March, Olsen, Simon u. a. eine Neuorientierung der Organisationstheorie statt.
Niklas Luhmann hatte 1968 seine systhemtheoretische Reformulierung der Entscheidungslogik und Organisationstheorie konzipiert. Sein Konzept widmet sich den Rationalitätsgewinnen durch Systeme und systematisches Vorgehen. Daraufhin entwickelten March und Olsen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ein Gegenmodell zu Luhmanns Systemtheorie. Es war das non - decision - Modell, das die organisationale Rationalität als garbage can - Prozeß charakterisiert. In diesem Modell ist nicht von einem Gewinn der Rationalität durch einen bestimmten geplanten Prozeß die Rede. Es geht davon aus, daß rationales Handeln in und von Organisationen mehr oder weniger ein Zufallsprodukt ist, das sich aus dem intentionalen Handeln der Akteure erst herauskristallisiert. Die Akteure werden erst „schlauer“, wenn sie eine Entscheidung getätigt haben und müssen mit den Konsequenzen einer eventuell „falschen“ Entscheidung rechnen und umgehen können. Luhmann sowie March/Olsen problematisieren beide das Entscheidungsverhalten in Organisationen. Luhmann vertritt eine positivere Sichtweise im Hinblick auf eine mögliche Rationalität in Organisationen als March und Olsen. Er verbindet mit dem systematischen Vorgehen einer Organisation einen Rationalitätsgewinn während March und Olsen keinerlei Theorie über Rationalitätsgewinne erstellt haben. Sie sehen, wie bereits erwähnt, Rationalität als eine Art „Zufallsprodukt“ an.
Im Folgenden werde ich beide Theorien darstellen und erklären. Nach den Darstellungen der gegenläufigen Theorien werde ich diese miteinander vergleichen und schließlich in meinem Nachwort oder Resümee angeben, was mich zu dieser Hausarbeit inspiriert hat.
2) Systemische Rationalität und Organisationale Rationalität als Garbage Can - Prozeß
2.1) Rationalitätsgewinne durch das System als Theorie von Niklas Luhmann
Niklas Luhmann konzeptualisiert in seiner Organisationstheorie eine umfassende Systemrationalität, deren zentrales Mittel die Zwecksetzung ist. Die Subjekte, die Luhmann beschreibt, befinden sich in einer komplexen Welt, die nicht durch objektive Zwecke vorgeordnet ist, sondern durch subjektive Zwecksetzung gedeutet und bearbeitet werden muß. Die Welt ist in den Augen von Luhmann so komplex, daß sie informationell und entscheidungslogisch nicht beherrschbar ist. Das geht aus dem folgenden Zitat hervor:
„ Die Versch ä rfung der Wahrheitsforderungen, vor denen die Zweckwahrheit zerf ä llt, bezeugt ein neuartiges Bewu ß tsein der Komplexit ä t der Welt in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht. Zwecke und Mittel bzw. Entscheidungen, Handlungen und Wirkungen werden als verschiedenartige Stationen eines Geschehens sichtbar, die nicht invariant und notwendig verbunden sind, sondern ihr eigenes Schicksal haben k ö nnen. In die Handauslegung kommt dadurch Beweglichkeit, Variabilit ä t Unsicherheit hinein; andererseits wird eben dadurch die Suche nach Auswegen und neuen Probleml ö sungen, nach Alternativen und neuartigen Kombinationen angeregt. Die Zukunft ist nicht mehr durch vorgegebene wahre Zwecke verstopft; sie ist unendlich offen, enth ä lt mehr M ö glichkeiten, als aktualisiert werden k ö nnen, und mu ß daher durch Pl ä ne (eigene Anmerkung : Zwecksetzung) festgelegt werden. “ (Luhmann 1973, 19f.)
Der gängige Zweckbegriff, der das Bewirken einer Wirkung impliziert, wird nun in die systemtheoretische Fragestellung nach der Funktion von selbstdefinierten Zwecken des Systems für die Gewinnung von Rationalität von Handlungssystemen überführt.
Laut Luhmann bewältigen Systeme die Komplexität der Welt durch eine „ Reduktion von Komplexität.“ Dieser Komplexität wird nicht durch den Versuch entgegnet, den völligen Über- und Durchblick aller für das System relevanter Ereignisse und deren Folgen zu bekommen, sondern durch eine individuelle Problemformulierung des Systems selbst. Diese Problemformulierung oder Zwecksetzung ermöglicht es dem System, seine Strukturen und sein Handeln nur auf sein(e) spezifisches(spezifischen) Problem(e) auszurichten. Probleme sieht Luhmann in der Ambiguität und Überkomplexität von Entscheidungsvorgängen. Er sieht sie als einen „ Komplex begrenzender und disziplinierender Bedingungen“ an. „ Nur das zählt, was in der einen oder anderen Weise zur Lösung des Problems, hier also zur Erreichung des Zwecks beizutragen vermag“ (Luhmann 1973, 260), lautet Luhmanns Vorgabe für das Handeln innerhalb einer Organisation. Zwecke haben für das System insofern eine rationalisierende Funktion, weil ein System erst durch die Zwecksetzung und die daraus folgende Ausrichtung auf ein bestimmtes Problem das Grundproblem eines jeden Systems, nämlich daß der eigenen Bestanderhaltung, anpacken kann. Würde ein System nämlich eine alles bedenkende Rationalität in einer sich ständig veränderten und überkomplexen Welt verfolgen, wäre es nicht entscheidungs- und damit nicht bestandsfähig. Durch die Zweckprogrammierung richtet ein System seine Struktur dauerhaft auf seine Probleme aus. Somit stellt die Zweckprogrammierung laut Luhmann den rationalen Umgang des Systems mit seinen Dauerproblemen dar. Rationalitätsgewinne von Systemen im Umgang mit ihren Problemen stellen sich für Luhmann durch die folgenden beiden wichtigen Vorgänge ein:
1. Die Bildung von Subsystemen
2. Die Ausprägung generalisierter Medien der Problemlösung
Die Zweckprogrammierung im Bezug auf die bereits erklärte Neuinterpretation von Zwecken ermöglicht die Entstehung von lose verknüpften Subsystemen innerhalb des Systems. Durch diese Subsysteme erhält das Gesamtsystem eine strukturelle Elastizität. Zudem herrschen gewisse Indifferenzen zwischen den Entscheidungen einzelner Subsysteme, womit die Bearbeitung eines Gesamtproblems erleichtert wird und sich das System auch auf verschiedene Problemlagen einstellen und diese lösen kann. Somit werden die unüberblickbare Welt und ihre Problemlagen zwischen den lose gekoppelten Subsystemen kleingearbeitet.
Bereits ausdifferenzierte Sozialsysteme bilden s. g. „ generalisierte Medien der Problemlösung“ ( wie z. B. Macht, Freude, Wahrheit, Geld, etc.) aus. Dabei ist Geld das beste Beispiel in diesem Zusammenhang. Es ist ein allgemeines Tauschmittel für alle möglichen Leistungen innerhalb eines sozialen Systems. Es ist somit Voraussetzung einer arbeitsteiligen Problembearbeitung. Damit läßt es gleichzeitig eine hohe Komplexität zu und hilft, diese rational zu verarbeiten. Das Geld hilft dem sozialen System beispielsweise bei den Anstrengungen der sozialen Integration, die unabdingbar für das soziale System ist. Es schwächt diese Aufwendungen, die über eine geteilte Moral - oder Werteordnung entstehen, bedeutend ab, wodurch sich das System auf spezifische Zwecke konzentrieren kann, ohne daß Sein Bestand gefährdet wird.
Durch die Festlegung auf bestimmte Zwecke entsteht normalerweise eine gewisse Einseitigkeit im System im Bezug auf die Problemlösung. Durch die Variabilität und den Einsatz generalisierter Medien der Problemlösung wird dieses Problem kompensiert. Entscheidungsunsicherheiten sind nun weder von der Annäherung an das Ideal vollkommener Information , noch durch eine Opportunitätskosten abwägende Optimierung der Informationsgewinnung, sondern alleine auf die durch den Besitz generalisierter Medien der Problemlösung bestehenden zukünftigen Handlungsoptionen zu begründen. Somit sind innerhalb solcher Systeme, die über generalisierte Medien der Problemlösung verfügen, mangelnde Voraussicht und Information nicht länger grundlegende Probleme des Systems. Das folgende Zitat Luhmanns beleuchtet noch mal die besondere Relevanz der generalisierten Medien der Problemlösung für das System:
„ Ein System, das generalisierte Medien der Probleml ö sung besitzt, hat damit gegenw ä rtig schon die Sicherheit, innerhalb der Reichweite dieser Medien k ü nftige Probleme noch unbekannter, ja unvorhersehbarer Art bew ä ltigen zu k ö nnen. Der Besitz solcher Medien ist mithin ein funktionales Ä quivalent f ü r Information, f ü r Voraussicht - ein Gewi ß heits ä quivalent . Es schirmt das System ab gegen eine (begrenzte) Vielzahl k ü nftiger Ereignisse, die, wenn man ü ber diese generalisierten Probleml ö sungsmedien verf ü gt, keine unl ö sbaren Probleme darstellen und deshalb nicht vorhergesehen zu werden brauchen. Im Besitz dieser Medien kann man sich ohne Voraussicht sicher f ü hlen - und sich deshalb um so einseitiger und um so langfristiger f ü r sehr spezifische Zwecke engagieren. “ (Ebd. , 204 f.)
Die Konsequenz für die Sicherheit, die diese Medien suggerieren ist die, daß die generalisierten Medien der Problemlösung beständig verfügbar und unter den Knappheitsgesichtspunkten, die das System rationalisieren, umkämpft sind. Systemische Rationalität, die den Gewinn an Autonomie, Sicherheit und Flexibilität mit sich bringt, ist nur um den Preis der Sicherung der generalisierten Medien selbst möglich.
Ein weiteres großes Problem dabei ist, daß die systemische Rationalität gerade als systemischer Mechanismus typisch blind ist: wenn die „ Umweltpr ä missen sich ä ndern, werden st ö rende Ger ä usche auftreten; dann wird das System seine Zwecke umdefinieren m ü ssen oder untergehen. “ (ebd., 191)
Luhmann definiert soziale Systeme als rational, weil sie „ unter angebbaren Voraussetzungen und mit angebbaren Folgelasten ihre Bestandsprobleme durch einen Zweck definieren. “ (ebd . , 342) können.
Rationalität bedeutet faktische Kompetenz jedoch nicht primär der Individuen sondern der Handlungssystem, aus deren Konstellationen sich die Rationalitätschancen der Subjekte erst genauer bestimmen lassen. Die Variationsspielräume des Systems sind gewährleistet durch die innersystemische Indifferenz.
Die zentralen Bezugspunkte des Handelns von Systemen sind nicht objektive und von außen gegebene Werte und Wahrheiten, sondern die selbsterzeugten Bearbeitungs- und Reaktionsformen des Systems.
Luhmann stellt die These auf, daß sich soziale Systeme selbst organisieren. Mit dem Autopoiesis- Begriff aus der Evolutionsbiologie fokussiert Niklas Luhmann den Systembegriff und das Verhältnis zwischen Umwelt und System neu :
Handlungssysteme und Organisationen als soziale Systeme erzeugen die Elemente, aus denen sie bestehen - Entscheidungen - selbst und beziehen sich mit ihren Entscheidungen stets auf frühere Entscheidungen, also sich selbst. Der Bezug sozialer Systeme auf ihre Umwelt ist der ihres Selbstbezuges. Die Realität existiert für das System nur in dem Prozeß rekursiver Selbstdefinitionen des Systems. Luhmann geht
„ von der Annahme aus, da ß soziale Systeme ganz allgemein und ohne Ausnahmen sich als selbstreferentielle autopoietische Systeme bilden und da ß dies deshalb auch f ü r organisierte soziale Systeme gelten mu ß . Autopoietische Systeme erzeugen die elementaren Einheiten, aus denen sie bestehen, durch das Netzwerk eben dieser elementaren Einheiten. Sie sind also in dem, was f ü r sie Einheit ist, auf Eigenproduktion eingestellt, obwohl dies nat ü rlich nur in einer Umwelt und auf der Grundlage von Materialien, Reizen und St ö rungen von Seiten der Umwelt m ö glich ist. Auf dieser Theoriegrundlage k ö nnen organisierte Sozialsysteme begriffen werden als Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, durch durch die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, selbst anfertigen. “ (Luhmann 1988, 166)
Information gilt in diesem Kontext immer als Eigenproduktion des Systems. Und darin nur durch Irritation und Anregung von außen entstehen.
Ein Organisationssystem ist durch „ Redunanz“ charakterisiert, sofern eine strukturelle Einschränkung von Entscheidungszusammenhängen vorliegt. Es ist im Gegensatz dazu von „Varietät“ geprägt, sofern eine Verschiedenartigkeit von Entscheidungen ermöglicht wird.
Eine Organisation kann entweder Strukturen kondensieren und damit die Redunanz des Systems erhöhen. Sie kann aber auch auf die Turbulenzen und die strukturellen Veränderungen in der Umwelt aber auch durch eine Erhöhung der Varietät reagieren.
Laut Luhmann sind Organisationen vorzustellen „als beständig oszillierend zwischen Aufnahme und Abweisung von Rauschen und zwischen Verlust und Wiederherstellung von Redunanzen. Beim organisatorischen Handeln gibt es keinen „one best way“, also keine Rationalitätskriterien, die ein eindeutig richtiges ausweisen können. Luhmann meint, daß vielmehr das „ Problem der laufenden Justierung des Verhaltens von System und Umwelt “ im organisationalen Handeln existiert: „ Je nachdem, was im System an Rauschen erfa ß t, an Irritationen wahrgenommen, an Ver ä nderungen gegen ü ber fr ü her registriert wird, mag die eine oder andere Orientierung die F ü hrung ü bernehmen. “ (Luhmann 1988, 182)
Insgesamt erweist sich für Niklas Luhmann die Rationalität von Organisationssystemen darin 1. in der Flexibilität und Kontinuität des Perspektivenwechsels der Bearbeitungsweise von Umweltkomplexität durch das System und 2. in der Reflexivität und Selbstvergewisserung hinsichtlich des konstitutiven Informationsbegriffs:
„ Entscheidend f ü r die Rationalit ä t (wenn diese denn so hei ß en darf) bleibt, da ß das System zu einem F ü hrungswechsel zwischen Redunanz und Variet ä t bef ä higt bleibt. “ (...)
„ Rationalit ä t k ö nnte auch in dem Ausma ß vorliegen, in dem ein System trotz selbstreferentieller Geschlossenheit im autopoietischen Prozessieren von Informationen in der Lage ist, die Differenz von System und Umwelt in das System wiedereinzuf ü hren. Man mag in anderen Zusammenh ä ngen anders denken ü ber Rationalit ä t. Aber f ü r Systeme ist die Unterscheidung zwischen System und Umwelt die identit ä tskonstituierende Differenz; und Systemrationalit ä t kann daher nur in der Paradoxie liegen, diese Differenz zugleich als Differenz und als Einheit, zugleich als ä u ß ere Umwelt und als intern akzeptierte Unterscheidung von System und Umwelt zu handhaben. Systemrationalit ä t ist daher nur zu gewinnen in Form oder Direktiven, mit denen genau diese Paradoxie entparadoxiert werden kann. “ (Ebd.)
Luhmann spricht der Systemrationalität eine umfassende Kompetenz zu. Diese Kompetenz sieht er hauptsächlich in der „Entparadoxierung der Paradoxie“ der System/Umwelt-Differenz durch die wechselseitige Beobachtung aus der Perspektive der unterschiedlichen Positionen, die Beobachter innerhalb der Systeme selbst nur einnehmen können. Um diese Aussage zu konkretisieren bringt er folgendes Zitat ein:
„ Die Rationalit ä t des Systems kann weder aus dem Verborgenen heraus gesichert sein noch im Konsens bestehen. Sie kann nur im Wechsel der Perspektiven und in der Beobachtung des Wechsels der Perspektiven bestehen - und dies nur dann, wenn es dabei um jene Operation des Wiedereintritts der Differenz in das Differenzierte geht. “ (Ebd. 183)
2.2) Der Garbage Can-Prozeß oder das non-decision - Modell von March und Olsen
James March und Johan Olsen können bei ihren Analysen von zahlreichen Organisationen fast keiner Organisation auch nur ein annähernd rationales Wahlverhalten zusprechen. Aus ihrer Sicht sind Entscheidungssituationen oftmals von einem solchen Ausmaß an Unsicherheit und Mehrdeutigkeit geprägt, daß im Endeffekt ein zweckrationales, konsistent zielorientiertes Handeln der Akteure nicht unterstellt werden kann. In diesem Falle gerät die Entscheidungssituation zu einem „ambigous stimulus“ (March/Olsen 1976, 84) durch den die Problemlösungen hochgradig kontingent werden. March/Olsen konfrontieren mit ihrem Ansatz dem rationalen Wahlverhalten in Organisationen ein Entscheidungsmodell, für das ein „non-decision“- Verhalten der Akteure systematisch ist. Mit diesem non decision-Modell stellen sie die absolute Gegentheorie zum Modell der Zweckrationalität auf.
Sie vertreten die These, daß bei die Intentionalität und die Strategiefähigkeit der Akteure in komplexen organisatorischen Entscheidungssituationen mitunter verloren geht. Sie sehen aber solche Entscheidungsszenarien dennoch als theoretisch konzeptualisierbar und präzisierbar an. Beide Wissenschaftler meinen, daß die Theorie intentionaler, zweckgerichteter Rationalität sich zu Theorie „organisierter Anarchien“ wandelt . Genau diese organisationalen Anarchien, wie March/Olsen sie bezeichnen, sind es, die die systemischen Merkmale und Verlaufsformen von garbage can - Prozessen charakterisieren. In Organisationen, in denen diese Prozesse ablaufen, werden Entscheidungen oftmals nicht mehr berücksichtigt, obwohl man für deren Zustandekommen viel Zeit, Energie und Enthusiasmus geopfert hat. Für die Organisation offenbar wichtige Entscheidungen kommen zumeist unter einer geringen Beteiligung der zentralen Entscheidungsträger zustande und die Kämpfe um der Akteure um Beteiligungs - und Mitbestimmungsrechte in Entscheidungssituationen sind bezüglich ihrer Ausübung von einem hohen Maße an Indifferenz und Gleichgültigkeit seitens der Akteure geprägt. March/Olsen stellen die Theorie grundsätzlich in Frage die besagt, daß es sich im Kern des organisatonalen Geschehens um einen zielgerichteten Prozeß des „decision making“, also der Entscheidungsfindung, handelt. Laut March/Olsen ist nämlich das tatsächliche Geschehen in organisationalen Wahlsituationen häufig kaum durch stringentes Entscheidungsverhalten Charakterisiert.
Wahlsituationen stellen für March/Olsen Gelegenheiten dar, in denen standardisierte Prozesse ablaufen und Rollenerwartungen oder früher eingegangene Verpflichtungen erfüllt werden. Häufig seien sie auch erst Gelegenheiten, bei denen die Akteure ihre Interessen erst entdecken und verdeutlichen. Andererseits bieten sie eine gute Gelegenheit um Macht - und Statusfragen aufzuwerfen oder um diverse Vertrauensverhältnisse auf die Probe zu stellen. Zuweilen beteiligen sich einzelne Akteure sogar an Entscheidungssituationen, ohne daß die dort gesuchte Entscheidung für sie eine Bedeutung hat.
Das organisationale Handeln ist in den Augen beider Autoren von „ dramatischer Komplexit ä t “ ( March/Olsen 1976 , 12) bestimmt, die den Ablauf und die tatsächliche Vermitteltheit organisationaler Entscheidungsprozesse undurchsichtig macht. Das Wahlverhalten ist grundlegend durch Ambiguität charakterisiert. March/Olsen haben diese Ambiguität in vier Arten der Mehrdeutigkeit wie folgt unterteilt:
1. die „ ambiguity of intention“, insofern viele organisationale Wahlsituationen durch inkonsistent definierte Ziele bestimmt sind.
2. die „ ambiguity of understanding“, insofern in vielen organisationalen Entscheidungssituationen die tatsächlichen Zweck-Mittel-Zusammenhänge unbekannt, die Technologie einer Zweck-Mittel-Realisierung unklar und die Umwelt der Organisation äußerst schwer zu interpretieren ist.
3. die „ ambiguity of history“, insofern Behauptungen darüber, welche organisationalen Ereignisse warum geschahen oder geschehen mußten, stets eine problematische Interpretation darstellen
4. die „ ambiguity of organization“, insofern die Aufmerksamkeit der Akteure bezüglich des organisationalen Geschehens im Zeitablaufvariiert und die Muster des Teilnehmerverhaltens sich als wechselhaft und unsicher erweisen.
In einer garbage can - Situation finden sich alle Elemente des Entscheidungsprozesses (Probleme, Ziele, Mittel, Lösungen, Teilnehmer und Wahlgelegenheiten) wild durcheinandergemischt im „Mülleimer“ solchen Organisationsgeschehens. Dabei hängt der aktuelle Mix im Mülleimer davon ab, welche Elemente gerade verfügbar sind und in welche anderen „garbage cans“ die vorhandenen Entscheidungsmodelle eventuell sonst noch befördert werden.
Wahl - und Entscheidungssituationen erweisen sich somit als kontingent und entsprechen nicht dem Ideal einer stringenten Problemlösung. Häufig bleiben in Wahlsituationen die Ziele und Präferenzen problematische, die Technologien unklar und die Partizipation der Akteure am Entscheidungsprozeß wechselhaft. Die Ereignisse werden in einer solchen Situation kontextabhängig. Ist die Relevanz der Kriterien und Ziele in einer Wahlsituation unbestimmt und mehrdeutig, wird die „Entscheidung“ zum Resultat von (mindestens) vier voneinander unabhängigen Elementen des Entscheidungsprozesses: der Probleme, der Lösungen, der Teilnahme und der Wahlgelegenheiten. Dieser Sachverhalt wird durch folgendes Zitat von March/Olsen näher verdeutlicht:
“ An organization is a set of procedures for argumentation and interpretation as well as for solving problems and making decisions. A choice situation is a meeting place for issues and feelings looking for decision situations in which they may be aired, solutions looking for issues to which they may be an answer, and participants looking for problems or leisure. ”
“ The garbage can process, as it has been observed, is one in which problems, solutions and participants move from one choice opportunity to another in such a way that the nature of the choice, the time it takes, and the problems it solves all depend on a relatively complicated intermeshing of the mix of choices available at any one time, the mix of problems that have access to the organization, the mix of solutions looking for problems, and the outside demands on the decision makers. ” (Ebd., 36)
Ein wichtiges Merkmal von garbage can-Prozessen ist die partielle Entkopplung der Probleme und des Wahlverhaltens. Das steht im Gegensatz der gängigen Auffassung über organisationales Handeln und Entscheiden als eines Prozesses des Lösens und Abarbeitens gegebener Problemlagen. Die enge Verbindung der Probleme, Ziele und Kriterien mit den Lösungen grundsätzlich in Frage gestellt. Der Akteur als souveräner decision maker wird hinterfragbar, weil March/Olsen in ihrer Theorie einräumen, daß die Annahme der (Prä-) Existenz von Zielen als Voraussetzung und Ausgangspunkt organisationalen Entscheidens und Wählens in einer Vielzahl von Fällen bestritten werden kann: „ It seems to me perfectly obvious that the description that assumes goals come first and action comes later is frequently radically wrong. “ (Ebd., 72)
In ihren zahlreichen organisationssoziologischen Studien haben March und Olsen nachgewiesen, daß Ziele und Zwecke häufig erst durch die nachträgliche Interpretation faktischen Wahlverhaltens definiert und konstituiert werden. Die zentrale These von James March und Johan Olsen lautet, daß Ziele und Zwecke und das faktische Wahlverhalten häufig unabhängige Prozesse darstellen. Die Ziele werden erst entdeckt, nachdem gehandelt und entschieden wurde. Somit werden Ziele bei March/Olsen als expost-Hypothese konzeptualisiert und der Entscheidungsprozeß als eine Zeitspanne von sequentiellen Tests über (interessante und gute) Ziele beschrieben.
Beim Konzept von non decision-Prozessen werden die Ereignisse und Resultate des organisationalen Handelns nicht als Realisation individueller Zwecke begriffen:
„ The outcome is seen as an unintended product of certain processes having dynamics of their own. ´ Decisions ´ in these models is a post factum construct produced by participants or onlookers. ” (March/Olsen 1976, 83)
Entscheidungen indizieren mehr die Fähigkeit des Menschen „post factum theories of his own behaviour“ zu bilden, als das zu unterstellende zielorientierte Entscheiden innerhalb organisationaler Strukturen und Prozesse. Das bedeutet gleichzeitig, daß der Verlauf von garbage can - Prozessen nicht durch ein intendiertes, absolut beabsichtigtes Handeln der Akteure bestimmt ist.
Im folgenden werden die Ansätze einer non-decision-Theorie von March/Olsen dargestellt, die es ermöglichen, die Vorgänge im garbage can prognostizierbar zu machen. Dazu werden einige Kriterien und Variablen organisationaler Wahlsituationen diskutiert, durch deren jeweilige Ausprägungen und Mischungen sich die Charakteristik von Entscheidungsprozessen - insbesondere die von non decision -Modellen - bestimmen lassen.
1.Die Akteure als „ past-time-participants “ und der Proze ß ihrer Aktivierung: Die Zeit, in der die Akteure ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte organisationale Entscheidungen lenken können, ist begrenzt. Sie sind nur Teilzeitakteure und stehen unter dem Zwang zur Allokation knapper Mittel hinsichtlich ihres potentiellen Beitrages zur Entscheidungsfindung.
2.Die Ambiguit ä t der Elemente des Entscheidungsprozesses und der Proze ß der Problemdefinition: Eine Organisation ist eine komplexe Mischung von Problemstellungen, Aktivitäten, Gefühlen und Wahlakten, die wiederum selbst alle von externen Faktoren abhängig sind. Dadurch geht jede Wahlhandlung unbestimmt und mehrdeutig aus. Der Charakter des jeweiligen Entscheidungsmodells ist abhängig von der Komplexität der Problemdefinition (der Vieldimensionalität der Ziele, Werte und Überzeugungen und der Anzahl der Variablen des Entscheidungsprozesses) und von der Stabilität der Problemdefinition im Zeitverlauf. Die Prozesse der Teilnehmeraktivierung und der Komplexitätsgrad der Problemdefinition spannen den Rahmen auf, innerhalb dessen die Charakteristik der grundlegenden Entscheidungsmodelle verortet werden kann. Das non decision-Modell gilt, wo verschiedenste Teilnehmer(zum Test und zur Generierung unterschiedlicher Lösungsvarianten ) aktiviert werden, wo die Problemdefinition komplex ist und vielleicht Vorstellungen und entscheidungsvariablen enthält, so daß die Situation schwierig zu analysieren ist und die Konsequenzen einzelner Entscheidungsalternativen schwer abschätzbar sind. Hinsichtlich der Bedingungskonstellationen und Entwicklungen von garbage can-Prozessen wird zudem auf die Funktion der Zeit, der Handlungsspielräume und auf die (externe) Belastung der Akteure als weitere zentrale Variablen verwiesen.
3.decision-time: Die Zeitdauer, während der Wahlangelegenheiten gegeben sind und Entscheidungsprozesse ablaufen (oder als ungelöste fortgewälzt werden), stellt einen der zentralen Indikatoren von garbage can -prozessen dar. Decision time ist eine unabhängige Variable von Entscheidungsprozessen. Die Zeitdauer der organisationalen Entscheidungsprozesses hängt nicht unmittelbar mit den individuellen Anstrengungen der Akteure in Wahlsituationen zusammen. Mit der ansteigenden Dauer der Entscheidungszeit steigt die Wahrscheinlichkeit, daß sich Entscheidungssituationen zu non-decision-Prozessen entwickeln: Je länger eine Wahlsituation andauert und die Probleme ungelöst bleiben, desto umfangreicher wird die Anzahl der als relevant angesehenen Problemstellungen, desto höher wird die Anzahl der Partizipanten und desto weitgehender ist ihre Verwicklung in den Entscheidungsprozeß. Je mehr Teilnehmer aktiviert sind und je mehr Probleme aufgeworfen werden, desto komplizierter wird die Situation, so das die Akteure dazu tendieren, frühe Festlegungen zu vermeiden, Entscheidungen zu verschieben und die Produktion und Durchsetzung von Lösungsansätzen unter solchen Bedingungen nicht besonders attraktiv zu finden.
Dadurch wird das organisationale Geschehen zur garbage can, in die relativ wahllos die verschiedenen Teilnehmer und Problemdefinitionen geworfen werden.
4. organizational slack : Der „organizational slack“ bezeichnet die Handlungsspielräume im organisationalen Geschehen, die durch überschüssige Ressourcen bzw. durch ausreichende Rücklagen einer Organisation gegeben sind. Je größer der „slack“ über den eine Organisation verfügt, desto einfacher wird es im Allgemeinen sein, eine zufriedenstellende Problemlösung ohne größere Verzögerungen mittels eines routinisierten Entscheidungsverfahrens, in das nur wenige Organisationsmitglieder involviert sind, zu finden. Nicht nur das Ausmaß der Handlungsspielräume, insbesondere auch die „perception of slack“ innerhalb einer Organisation steuert das Entscheidungsverhalten, die Aktivitätslevels und die eventuelle Entwicklung hin zu einer garbage can-Situation. Verfügt eine Organisation über wenig „slack“, werden in Entscheidungssituationen deren „past-time-participants“ aktiviert. Es beginnt ein Prozeß der Reduktion unkonsistenter Problemformulierungen und der Klärung von Wertvorstellungen und Grundüberzeugungen. Insofern sich jetzt viele Akteure mit unterschiedlichsten z.T. sich widersprechenden Wertvorstellungen und Zielen in den Entscheidungsprozeß einbringen und die Ressourcen zur Problemlösung, die bislang verschiedenste (und inkonsistente) Interessen berücksichtigen konnten, abnehmen, kommt es auch in diesem Fall zu einer garbage can-Situation. Das Entscheidungsverhalten verändert sich hin zu einem politischen Entscheidungsstil oder zu einem „non-decision-style“. In dem Ausmaß, in dem die Entscheidungssituation politisiert wird und verschiedenste Akteure und Gruppierungen ihre Vorstellungen ohne klare konzeptionelle und strategische Durchsetzungschancen (und damit ohne ausreichende politische Legitimität )einbringen, tendiert der Entscheidungsprozeß jedoch zur Selbstblockierung. Die „Lösungen“ derart überkomplexer Situation werden weitgehend kontingent.
5. external load: Schließlich bestimmt die aktuelle Belastung der Akteure durch Anforderungen, die sich aus der Teilnahme in anderen Organisationszusammenhängen ergeben, die Muster des Entscheidungsverlaufs in Organisationen. Die Aufmerksamkeit, die Akteure für einen bestimmten Entscheidungsprozeß aufbringen können, hängt mit den Belastungen zusammen, die sich aus Tätigkeiten in anderen organisationalen Zusammenhängen ergeben. Die Akteure sind nun an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Der „external load“ nimmt stetig zu. Dadurch geht dem Akteur die Energie verloren, die ihm in einem bestimmten Zeitraum für eine bestimmte Problemlösungsaktivitäten zur Verfügung steht. Die relative organisationale Entscheidungsbelastung des Akteurs steigt mit dem Grade seiner Belastung (Status) in der Organisation und mit den Problembezügen, die die organisationale Umwelt generieren und sie hängt vom Grade der Autonomie („load of autonoy“) ab, mit dem eine Organisation ihre Probleme erfolgreich bearbeitet, ohne dabei auf andere Organisationszusammenhänge rekurrieren zu müssen. Unterschiede in der organisationalen Belastung beeinflussen die Charakteristik des sich einstellenden Entscheidungsverfahrens und die Entwicklung hin zu „non-decision-Prozessen“. Je höher die organisationale Belastung der Akteure, desto wichtiger ist die verfügbare Information und desto größer wird auch die Möglichkeit für externe Gruppen durch ihre Informationen die Inhalte der Wahl zu beeinflussen. In dem Umfang, in dem die organisationalen Belastungen der Akteure steigen, gewinnen die Probleme der Bearbeitung und Bewältigung von Unsicherheit für die Organisation von Bedeutung.
Entscheidungsprozesse zeichnen sich zusammenfassend durch folgende Merkmale aus: Der Entscheidungsstil ist nicht so sehr durch Problemlösung („by resulotion“ ) über die kontinuierliche Abarbeitung von Problemen gekennzeichnet, sondern „by oversight“ oder „by flight“. Entscheidung „by oversight“ heißt: In einer komplexen Wahlsituation, in der genügend Energie vorhanden ist, um eine schnelle Wahl treffen zu können, wird diese Wahl quasi „aus Versehen“ getroffen. Bestehende Probleme werden nicht hinreichend beachtet und der Einsatz an Zeit und Energie in diesem Entscheidungsprozeß beträgt ein Minimum. Wird eine Entscheidung „by flight“ getroffen, bedeutet dies: Eine Wahlsituation, in der Probleme einige Zeit fortgewälzt wurden, wird durch die flucht der Probleme in einen anderen Entscheidungskomplex beendet, insofern plötzlich und unerwartet neue, attraktive Wahlgelegenheiten auftauchen. Die Entscheidung „by flight“ löst die Probleme nicht, sondern verlagert sie lediglich auf andere Ebenen.
Der Charakter einer Entscheidungssituation hängt von der jeweiligen Belastungssituation (external load) der Akteure ab. Akteure, die eine bestimmte Lösung im Entscheidungsprozeß suchen, auf eine bestimmte Weise an gewisse Probleme gebunden zu sein. Dadurch schleppen sie sich von der einen Wahlsituation in eine andere ohne ein greifbares Ergebnis zu erlangen. Die jeweilige Effizienz hängt von den Wechselbeziehungen der „problem activity“, der „problem latency“ und der „decision-time“ ab. Diese Effizienz ist in garbage can-Situationen eher gering. Die ungelösten Probleme werden zwar durch einige Mechanismen wie z. B. „by flight“ reduziert, daß geht aber auf Kosten der Latenzperiode der Probleme und der Zeit, die ihrerseits erforderlich wird, um die Probleme letztendlich zu lösen. Umgekehrt geht die Reduktion von Problemlatenz auf kosten steigender Problemaktivität und Entscheidungszeit. Der Entscheidungsprozeß hängt vom Zusammentreffen und von der Interaktion bestimmter Wahlangelegenheiten, Problemen und Partizipanten ab. Dabei werden wichtige Probleme eher gelöst, als unwichtige, wobei die Probleme zumeist eher durch eine unwichtige als durch eine wichtige Wahlsituation gelöst werden: wichtige Wahlen werden „by flight“ und „by oversight“ gelöst, unwichtige „by resolution“.
Nun erklären March und Olsen noch das Konzept der Rationalität als “technology of foolishness”:
Organisationale Wahlsituationen finden häufig unter Bedingungen statt, bei denen die Entscheidungszeit lang, der organisationale Handlungsspielraum reduziert, die Belastung der Akteure groß und die Ambiguität der Elemente der Wahlsituation stark ausgeprägt sind. Wenn die Komplexitätsgrade der Problemdefinition hoch und die Elemente der Wahlsituation wie in einem garbage can wild durcheinandergeworfen sind, geht die Intentionalität der Akteure verloren. Die Lösungen der Entscheidungssituation werden kontingent. Ziele und Zwecke stellen sich als nachträgliche Interpretation von Ereignissen dar, weswegen die intentionale Zweckrealisation sowie die rationale Wahl immer mehr zum „Rationalitätsmythos“ wird. Der Begriff organisationaler Rationalität wird substituiert durch die Kennzeichnung der Variablen der garbage can-Situation als eines non-decision-Prozesses. In derartigen Wahlsituationen findet vieles und vor allen Dingen völlig anderes statt als zielgerichtetes organisationales Handeln und Entscheiden. Lösungen können nicht länger als Resultate intentionalen Entscheidens und Zwecksetzens begriffen werden. Sie sind kontingente Ereignisse von Konstellationen in „organisierten Anarchien“.
3) Vergleich der Luhmannschen Systemtheorie mit dem Garbage Can-Modell von March/Olsen
Obwohl Luhmann und March/Olsen beide den Zweckbegriff hinsichtlich seiner Wichtigkeit für das Verständnis organisationalen Handelns betonen, unterscheidet sich Luhmanns Systemtheorie grundlegend vom garbage can-Modell von March/Olsen. Bei Luhmann haben Zwecke und Zweckprogrammierung die rationalisierende Funktion, dem Grundproblem der Bestanderhaltung des Systems überhaupt erst eine bearbeitbare Fassung zu geben. Sie stellen die subjektiven Rationalisierungen im Umgang mit Komplexität und Unsicherheit dar.
March/Olsen stellen die Präexistenz der Zwecke und zielgerichtetes Handeln sowie Entscheidungshandeln (decision-making) prinzipiell in Frage. Die Elemente der Entscheidungssituation in einer garbage can-Situation sind unverbunden und von grundlegender Ambiguität geprägt, weswegen keine vorausgesetzten Zwecke, rationale Problemformulierungen und rationale Entscheidungen über den Einsatz adäquater Mittel und anzustrebender Lösungen, existieren. Im Gegensatz zu Luhmanns Theorie, bei der systemischer Umgang mit den Problemen einer Organisation die Komplexität der Welt reduziert sowie eine rationales Handeln der Handlungssysteme ermöglicht, wird die Komplexität des Entscheidungsprozesses bei March/Olsen extrem erhöht, die Lösung kontingent und das Partizipations- und Entscheidungsverhalten unübersichtlich politisiert. Bei March/Olsen stellen Zwecke im Gegensatz zur Luhmannschen Theorie, bei der die Zwecke eine zentrale und rationalisierende Funktion einnehmen, erst eine nachträgliche Interpretation des Handelns, also ex-post-Hypothesen über bereits stattgefundenes Handeln dar, so daß die beteiligten im Entscheidungsprozeß zumeist erst im „Nachhinein“ schlauer werden und erst nach einer Entscheidung anhand ihrer Wirkung einsehen können, ob es sich um eine rationale oder irrationale Entscheidung handelte. Wie oben bereits geschrieben, reduziert das System einer Organisation im Luhmannschen Sinne die Komplexität der Welt, um rational handeln zu können. Dagegen ist bei March/Olsen gerade die Beschaffenheit der Organisation der Hauptgrund dafür, daß Unsicherheiten und Ambiguitäten im Entscheidungsprozeß auftreten. So stellen die Entscheidungsstile „by flight“ und „by oversight“ häufig zufällige, inkonsistente und unbefriedigende Entscheidungsresultate dar. Bei Luhmann bilden Handlungssysteme „Generalisierte Medien der Problemlösung“ aus, die mangelnde Voraussicht und Information kompensieren und so an Flexibilität und Handlungsopportunismus gewinnen können. March und Olsen schreiben zwar dem „slack“ und der „autonomy load“ (s. Kapitel 2.2) eine ähnliche Bedeutung zu, betonen aber gleichzeitig, daß diese oftmals nur in einem reduzierten, Rationalisierungseffekten nicht zulassenden Umfang vorhanden sind.
Luhmann bezeichnet Entscheidungen als die elementaren Einheiten organisationalen Handelns. Organisationssysteme sind für ihn autopoietische Systeme eines rekursiven Entscheidens, was impliziert, daß Entscheidungen selbsterzeugte und selbstbezügliche systemische Leistungen sind, weil sie sich innerhalb des Netzwerkes von anderen Entscheidungen bilden. In einer non-decision-Situation finden Entscheidungen gar nicht erst statt. Wahlsituationen münden zwar immer in irgendwelche Resultate, diese sind allerdings nicht beabsichtigte und zufällige Ergebnisse eines komplexen Prozesses des Zusammenkommens und Zusammenwirkens unabhängiger und vieldeutiger Elemente von Wahlsituationen. An die Stelle autopoietischer Entscheidungssysteme tritt bei March/Olsen der Versuch zur Bestimmung der Variablen von garbage can-Prozessen(s. Kapitel 2.2). Der Begriff der Rationalität wird bei March/olsen nicht wie bei Luhmann reformuliert auf der Ebene der Rationalität von Handlungssystemen - als Entparadoxierung einer paradoxen System-Umwelt-Differenz umweltoffener Systeme - sondern zum Teil substituiert durch die „technology of foolishness“. Bei diesem Wahl- und Entscheidungsprozeß ergeben sich Rationalisierungschancen organisationalen Handelns aus den Einsichten in den Ablauf von garbage can-Prozessen und aus der Kritik an der Vorstellung präexistenter Ziele: Mit der Idee der „sensible foolishness“ wird ein Verfahren vorgeschlagen, das es erlauben soll, interessante Ziele als folge spontanen organisationalen Handelns zu entdecken. „Playfulness“ ist hierbei der Mechanismus, der es erlaubt, der Logik einer verengten Zweck-Mittel-Rationalität zu entkommen und einem Wahlverhalten zu folgen, das es ermöglicht, wie etwa in kindlichen Spielsituationen, aufschlußreiche Erfahrungen zu machen. Der Anspruch der „technology“ of foolishness besteht nicht wie bei der „technology of rationality“ darin, gesetzte Zwecke durch einen konsequenten Mitteleinsatz umzusetzen, sondern darin, gute und interessante Ziele entdecken zu können. Während Luhmann eine höhere systemische Rationalität verfolgt, suchen March/Olsen in ähnlicher Absicht nach einer „Theorie des brauchbaren Entscheidens“, die die temporäre Suspendierung von Rationalität beinhaltet. Denn erst durch den spielerischen, probierenden und entdeckenden Umgang mit möglichen Zielen und Wertvorstellungen, der ein Komplement zur tatsächlichen Rationalität darstellt, soll ein vernünftiges Entscheidungsverfahren gefunden werden. Diese Rationalität, die mit den Techniken von foolishness und playfulness erreicht werden soll hat zur Folge, daß man quasi immer erst hinterher, nachdem man eine Entscheidung spielerisch getroffen hat, schlauer aus ihr wird. Das erfordert eine gewisse Offenheit für das Zulassen von Verunsicherungen und Erfahrungen.
Die Suspendierung und Ergänzung tradierter Rationalität zielt entgegen der Abpufferung von Unsicherheit und Ungewißheit durch slack, durch generalisierte Medien der Problemlösung oder durch Zweckprogrammierung auf ein relativ ungeschütztes Einlassen und Abfragen von aktuellen gesellschaftlichen Problemkontexten. Während sich in der systemischen Rationalisierung Luhmanns veränderte Problemlagen einen eventuell störenden Effekt haben, soll mit der „technology of foolishness“ die Problemperzeption aktiv und kreativ provoziert werden. Die Rationalität wird somit, wie bereits erwähnt, durch ihr Gegenteil ersetzt und durch diesen Vorgang ergänzt. Im Luhmannschen Modell werden die Anforderungen einer problemsensibilisierenden Rationalität als innersystemisches Designproblem jedes Handlungssystems, das zum Wechsel zwischen Redunanz und Varietät befähigt sein und die „Probleme der Anpassung und des Lernens, wie jedes umweltoffene System“ ( Luhmann,1988, 182 und 1973, 123) lösen muß. Gerade dieses Designproblem ist der Impuls des Ansatzes von James March. Er schlägt „five small things as a beginning“ vor: we can treat goals as hypotheses…intuition as real…hypocrisy as a transition…memory as an enemy…experience as theory.” (March/Olsen 1976, 78f.)
4) Schlußwort
Am 21.11.2000 habe ich die Vorlesung zum Thema „Rationalität als Schlüsselbegriff der Soziologie“ in der Veranstaltung „Denkweisen und Gegenstandsgebiete der Soziologie“ bei Herrn Dr. Helmut Brentel besucht. Da Rationalität ein schwer zu greifendes und ziemlich individuell auslegbares Schlagwort ist, schien der Umgang mit diesem Thema beim Vorbereiten auf die Vorlesung am 21.11.2000 durch die Lektüre des Readertexte von Becker, Albrecht, Willi Küpper und Günther Ortmann(Hg.) zunächst recht schwierig zu sein. Doch durch die Vorlesung des Dozenten sowie durch das anschließende Tutorium konnte mir das Thema schmackhaft gemacht werden. Zuerst wollte keiner das Referat zur nächsten Vorlesung halten wodurch ich bemerkte, daß die anderen sich mit diesem Themenkomplex ähnlich schwer getan haben. Auf die Bitte der Tutorin Tanja Becker hin entschloß ich mich dazu, daß Referat zu übernehmen. Als ich dann zu Hause in Ruhe die Inhalte der Vorlesung und des Tutoriums sowie des Readertextes nochmals bearbeitet habe, habe ich gemerkt, wie ich dann doch noch mehr und mehr in das Thema hereingefunden habe. Als ich am 28.11. 2000 das Referat gehalten habe, stand für mich bereits fest, daß sich meine Hausarbeit an diesem Thema orientieren sollte. Dazu boten sich geradezu die beiden Ansätze von Niklas Luhmann und James March/Johan Olsen an, die zwei absolut gegenläufige Theorien über Rationalitätsgewinne in Organisationen darstellen. Ich finde die Ausführungen aller drei Organisationssoziologen äußerst interessant. Das Modell der systemischen Rationalität von Luhmann und das garbage can-Modell von March/Olsen können zwar als absolute Gegenmodelle aufgefaßt werden, dennoch kann man aber beide Argumentationsweisen nachvollziehen und als rational charakterisieren. Durch diese Hausarbeit habe ich erneut bemerkt, daß ich mich sehr für die Organisationssoziologie interessiere, von der ich auch schon erste Eindrücke durch Herrn Dr. Catteros Proseminar „Einführung in die Industrie- und Organisationssoziologie“ gewinnen dürfte.
5) Literaturhinweis
Brentel, Helmut (1999): Soziale Rationalität, Westdeutscher Verlag, S.228-251;413-418
- Arbeit zitieren
- Sasa Mitrovic (Autor:in), 2001, Organisationale Rationalität. Systemische Rationalität vs. Garbage Can-Modell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103355
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