Lernkulturelle Herausforderungen von digitalen Lernformaten im Hochschulwesen in Ägypten


Diploma Thesis, 2021

105 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Neue Lernkultur - zum Wandel des Lernens
2.1.1 Interpretation des Begriffs 'Lernen' in der Pädagogik nach Zirfas und Görlich
2.1.2 Interpretation des „Kulturbegriffs"
2.1.3 Gesellschaftspolitische Faktoren des Lernkulturwandels
2.1.4 Wissenschaftlicher Diskurs der neuen Lernkultur in der Erwachsenenpädagogik
2.1.5 Elemente der neuen Lernkultur nach Kirchhöfer (2003)
2.1.6 Die neue Lernkultur der Selbstorganisation, -Steuerung und -Reflektion
2.1.7 Die neue Lernkultur als Ökonomisierung des Lernens - eine kritische Betrachtung des Selbstlernarrangements
2.1.8 Lernkultur der neuen Lernformen
2.1.9 Lernkultur des digitalen Lernens nach M. Kerres
2.2 Zum Begriff Digitalisierung
2.2.1 Überblick über die Entwicklungen von digitalen Lernformaten
2.2.2 Digitalisierung im Hochschulwesen
2.3 Einführung Ägypten: Daten und Fakten erklärt anhand der drei größten Herausforderungen
2.3.1 Herausforderung 1: Politische Instabilität des Landes und der Region
2.3.2 Herausforderung 2: Bevölkerungswachstum
2.3.3 Herausforderung 3: Bildungssystem
2.4 Digitales Lernen im Hochschulwesen Ägyptens als Lösungsansatz
2.4.1 Zur Erklärung des Human Development Index (HDI)
2.4.2 „Leapfrogging" mit digitaler Bildung im globalen Süden
2.4.3 Digitale Bereitschaft in Ägypten - Vorstellung des Digital Readiness Indexvon Cisco
2.4.4 Reformen im ägyptischen Bildungssystem
2.4.5 Digitale Projekte und Initiativen des ägyptischen Hochschulwesens
2.4.6 Gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen der ägyptischen Hochschulen
2.4.7 Studienergebnisse zu digitalem Lernen und Lehren an Hochschulen in Spanien, Ägypten und Deutschland
2.5 Zwischenfazit

3. Konzeption der qualitativen Forschungsarbeit
3.1 Leitfadeninterview nach Misoch
3.1.1 Methodik des Experteninterviews
3.1.2 Entwicklung des Interviewleitfadens fürExperten
3.1.3 Erklärung des Interview- Leitfadens
3.2 Textinterpretation: Inhaltsanalyse von Mayring
3.2.1 Festlegung des Materials
3.2.2 Analyse der Entstehungssituation 64
3.2.3 Formale Charakteristika des Materials 65
3.2.4 Festlegung der Analyserichtung 65
3.2.5 Kodierung 65
3.2.6 Anwendung der Analyseform der Zusammenfassung 66

4. Ergebnisse der Analyse
4.1 Allgemeine Herausforderungen
4.1.1 Finanzielle Herausforderungen in Ägypten im digitalen Lernen 67
4.1.2 Mangelnde Wertschätzung für digitales Lernen in Ägypten 68
4.2 Didaktische Herausforderungen im digitalen Lernen
4.2.1 Mangelndes technologisches Wissen 69
4.3 Aktuelle Herausforderungen im digitalen Lernen
4.3.1 Allgemeine Überforderung 70
4.4 Vorhandene strukturelle Herausforderungen
4.4.1 Curriculum - Allgemeine Unzufriedenheit 72
4.5 Selbststeuerung und digitales Lernen
4.5.1 Selbstgesteuertes Lernen aus Sicht der Expertinnen 74
4.5.2. Selbstgesteuertes Lernen aus Sicht der Studierenden 74
4.6 Erfahrungen mit neuen Lernformaten
4.6.1 Recherchetätigkeiten 76
4.6.2 Blended Learning Formate 76
4.6.3 Kollaboratives Lernen 77
4.7 Allgemein erwähnte Motive für die Nutzung von digitalen Medien
4.8 Berührungspunkte mit digitalen Technologien in der Kindheit und Jugend
4.9 Gute Praxis für digitales Lehren
4.9.1 Gute Praxis von digitaler Lehre aus Sichtweise der Studierenden 78
4.9.2 Gute Praxis von digitaler Lehre aus der Sichtweise der Expertinnen 79
4.10 Empfehlungen für digitales Lernen
4.10.1 „Live Sessions"
4.10.2 Coachings
4.10.3 Soziale Netzwerke
4.10.4 Trainings
4.11 Digitalisierung der Hochschulen
4.11.1 Administration
4.11.2 Meinungen zur Digitalisierung der Fächer
4.11.3 Digitale Bereitschaft von Studierende
4.12 Zukunftsszenarien von digitalem Lernen in Ägypten

5. Diskussion
5.1 Kann digitales Lernen ein Lösungsansatz für vorhandene Probleme des Bildungssystems in Ägypten sein?
5.2 Wird die neue Lernkultur durch digitales Lernen gefördert?
5.3 Kann digitales Lernen an Hochschulen die ägyptische Wirtschaft stärken?
5.4 Wie hoch ist die digitale Bereitschaft in der Hochschullehre?
5.5 “Good Practice“ Beispiele in der digitalen Lehre

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Einer der positiven Aspekte der Corona- Krise ist sicherlich, dass digitales Lernen von heute auf morgen ins Zentrum der Betrachtung rückte. Während des ersten Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie wurden digitale Lernformate eingesetzt, um den Lernprozess der Studierenden und Schüler*innen nicht für allzu lange Zeit pausieren zu lassen. Für viele pädagogische Institutionen bedeutete es unter Umstän­den, dass digitale Lernformate zum ersten Mal nicht nur als Ersatz oder als Anreiche­rung der traditionellen Lehre betrachtet worden sind.

Dies gilt nicht nur für deutsche Institutionen, sondern insbesondere für jene des glo­balen Südens wie in Ägypten. Als Maßnahme zu Beginn der Corona-Pandemie gab es an Ägyptens Schulen und Hochschulen für Monate ab dem 15.03.2020 keine Prä­senzveranstaltungen. Alternativ musste das jeweils folgende Sommer- und Winter­semester online stattfinden.

Es ist zunächst davon auszugehen, dass die Corona-Pandemie den Prozess hin zu mehr digitalem Lernen in Ägypten beschleunigte, da die Digitalisierung der Bildung aufgrund des Bevölkerungswachstums und der einhergehenden steigenden Zahlen an Schüler*innen und im Nachgang Studierende sowie eines Mangels an Lehrenden ein Grundpfeiler zur Lösung des Problems, wie die nachfolgende Generation beschult, unterrichtet und gebildet werden könnte, sein wird. Ein drohender Bildungsnotstand in Ägypten hätte fatale Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und daraus resultierende gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, eine allgemeine Verarmung und weitere politische Probleme. Somit könnte die Digitalisierung des Lernens in Ägyp­ten ein Teil der Lösung sein, wie die Bildung der nachwachsenden Generation si­chergestellt werden könnte. Gleichzeitig steht Ägypten exemplarisch für viele Län­der des globalen Südens, in denen ähnliche demographische Herausforderungen vor­liegen und wurde aufgrund des persönlichen Bezugs der Verfasserin dieser Arbeit ausgewählt.

Darüber hinaus könnte sie nicht nur eine Lösung des Ressourcenmangels (beispiels­weise an Lehrenden) sein, sondern auch durch die Bereitstellung von aktuellem Wis­sen und der Auseinandersetzung mit modernen Techniken in einer sich schnell ver­ändernden Welt dazu beitragen, dass ägyptische Studierende wissenstechnisch zu Absolvierenden im internationalen Vergleich aufschließen und damit Ägypten im globalen Wettbewerb noch wettbewerbsfähiger machen könnten.

Die weltweit besondere Situation des flächendeckenden, erstmaligen offenbar voll­ständigen Digitalunterrichts an Hochschulen führte zur Forschungsfrage der vorlie­genden Arbeit: Welche lernkulturellen Herausforderungen bezüglich digitalen Ler­nens treten an ägyptischen Hochschulen auf und wie wird damit umgegangen?

Zur Beantwortung dieser Frage in der vorliegenden Arbeit ist es notwendig, sich eingangs mit dem Lernbegriff nach Zirfas und Görlich und dem Kulturbegriff nach Lüdders und Lüddemann auseinanderzusetzen. Anschließend werden Forscher zur Debatte des Hauptbegriffes dieser Arbeit- der neuen Lernkultur- aufgegriffen. In diesem Zusammenhang stellt Kirchhöfer eine Gegenüberstellung von der traditionel­len zur zukunftsorientierten Lernkultur dar. Kerres & Gorhan beschreiben innerhalb der neuen Lernkultur das digitale Lernen. Euler & Seufert haben die Implementie­rung von digitalen Medien an vier Hochschulen untersucht. Mit dem selbstgesteuer­ten und -organisierten Lernen haben sich Wissenschaftler wie Siebert auseinanderge­setzt.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird auf den elementaren Begriff der Digitalisierung eingegangen sowie einhergehend mit der Frage nach digitalem Lernen. Handelt es sich bei den aktuellen Entwicklungen um eine Digitalisierung der Präsenzlehre oder um die Entstehung einer neuen Lernkultur?

Im darauffolgenden Kapitel sollen den Lesenden ein Einblick in das Land Ägypten gegeben sowie dessen Herausforderungen auf Datenbasis aufgezeigt werden. Dabei werden auf die politische Fragilität, den zunehmenden Ressourcenmangel, die wach­sende Bevölkerung und wirtschaftliche Herausforderungen Ägyptens eingegangen. Die generellen Herausforderungen leiten zum Bildungs- und Hochschulwesen und dessen Herausforderungen über. Internationale Studien wie der HDI, die Digital Readiness Studie von Cisco sowie der Global- Competitiveness- Index sollen die Ergebnisse untermauern. Anschließend wird ein Überblick gegeben, welche digitalen Projekte im ägyptischen Bildungswesen bereits realisiert oder geplant wurden wie beispielsweise die (digitalen) Reformen im Bildungswesen. Im Anschluss folgen drei internationale Studien von Untersuchungen der digitalen Lehre an Hochschulen, die zu ähnlichen Erkenntnissen in der Bereitstellung von digitalen Lernformaten führen.

Im dritten Kapitel wird aufgezeigt, welche Methoden für die qualitative Forschung- der Arbeit ihre Verwendung fanden. Für die Erhebung der Daten wurden Leitfaden- und Experteninterviews erstellt und fünf Studierende und Expert*innen von privaten und staatlichen Hochschulen befragt. In den Interviews sollen die lernkulturellen Herausforderungen und die Selbststeuerung der Lernenden im digitalen Lernen an ägyptischen Hochschulen analysiert werden. Für die qualitative Inhaltsanalyse wurde das Modell von Philipp Mayring hinzugezogen.

Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der Interviews vorgestellt und Herausfor­derungen in allgemeine, aktuelle und neu entstanden Herausforderungen eingeteilt. Ebenfalls werden die Motive für digitales Lernen in Ägypten sowie Lösungsvor­schläge für die Digitalisierung der Hochschulen erfasst.

Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse weiter zusammengefasst und Fragen nach der Selbststeuerung der Studierenden beantwortet. Ob digitales Lernen die Probleme des Hochschulwesens in Ägypten zukünftig lösen könnte, wird im Weiteren beant­wortet. Abschließend erfolgt ein Fazit.

2. Theoretische Grundlagen

Das Kapitel zwei hat das Ziel, alle theoretischen Bezüge, die zur Beantwortung der Forschungsfrage benötigt werden, aufzubauen.

2.1 Neue Lernkultur - zum Wandel des Lernens

Der Begriff der Lernkultur wird im wissenschaftlichen Kontext seit Beginn der 1990er Jahre in deutschsprachigen Fachkreisen im Bereich der Erwachsenenbildung und Schulforschung häufig verwendet (vgl. Ricken 2011:55). Ebenfalls ist der Be­griff häufig im Zusammenhang der Weiterbildung in Unternehmen unter agilem Ler­nen und der Lernkultur 4.0. zu finden. Mit der Lernkultur wird eine Beziehung zwi­schen den Begriffen „Lernen“ und „Kultur“ unterstellt, was zur Begriffsinterpretati­on „Lernen“ und „Kultur“ leitet.

2.1.1 Interpretation des Begriffs ‘Lernen‘ in der Pädagogik nach Zirfas und Görlich

Der Begriff des Lernens wurde schon von vielen Wissenschaftlern und Fachdiszipli­nen definiert. „Lernen“ ist zunächst wertneutral und nicht direkt beobachtbar. “Ler­nen“ beziehungsweise Lernprozesse eines Individuums können beispielsweise in der Veränderung des Verhaltens sichtbar werden. „Lernen“ wird als ein lebensnotwendi­ger Vorgang, eine Anpassung an die Umwelt, verstanden (vgl. Zirfas o. D.: 1). Der Mensch muss sich mit seiner Umwelt ändern oder sich dazu befähigen. Siebert be­schreibt diesen (Lern-)Prozess als Erzeugung von subjektiven und individuell spezi­fischen Welten (vgl. Siebert 2010: 21). Für Zirfas ist Lernen ein innerpsychischer Prozess und der äußeren Beobachtung nie gänzlich zugänglich, für den Wissen­schaftler gelten Lernprozesse als schwer rekonstruierbar (vgl. Zirfas 2018: 125).

Damit gilt „Lernen“ als ein Grundbegriff der Pädagogik, denn die Pädagogik als Wissenschaft hat die Aufgabe, die Prozesse des Lernens und die Lernunterstützung zu untersuchen und zu begreifen (vgl. Görlich & Zirfas 2007: 7). Lernen soll nicht aus neurobiologischer Perspektive erklärt werden, sondern soziokulturelle Aspekte des Lernens sollen im Zusammenhang mit der Praxis menschlicher Lernunterstüt­zung zu verstehen sein.

Die Wissenschaftler Göhrlich und Zirfas geben dem Begriff des Lernens eine umfas­sende Definition und sprechen von einem erfahrungsreflexiven Lernen. Die Definiti­on zeigt auf, dass Lernen erfahrungsbezogen, dialogisch sinnvoll und ganzheitlich verläuft (vgl. Zirfas o.D.: 2). Gerade bei der folgenden Definition wird die Ganzheit- lichkeit beschrieben und bezieht das persönliche, erfahrungsbezogene Lernen, als auch das informelle Lernen, auf das im Anschluss eingegangen wird, mit ein. Daher soll sich an diese Definition angeschlossen werden:

„ Lernen ist die erfahrungsreflexive, auf den Lernenden sich auswirkende Gewinnung von spezifischem Wissen und Können. “ (Görlich & Zirfas 2007: 17)

Ein Individuum lernt kontinuierlich und permanent. In dieser Arbeit werden die In­dividuen als Lernende bezeichnet.

2.1.2 Interpretation des „Kulturbegriffs“

Bevor auf den Begriff der Lernkultur eingegangen wird, soll auf den zweiten Bau­stein des Begriffs der Kultur eingegangen werden.

Der Kulturbegriff ist sehr umfangreich mit vielen Auslegungen, die den Rahmen einer Masterarbeit definitiv sprengen würden. Zudem hat der Begriff Hochkonjunk­tur und es gibt beinahe nichts, was nicht unter dem Aspekt der Kultur betrachtet werden könnte, da sie sich keinem bestimmten Thema zuordnen lässt (vgl. Lüdders 2019: 1). Es existiert eine große Bedeutungsvielfalt des Kulturbegriffs. Er findet er Anwendung in den unterschiedlichen Kontexten, der Zugehörigkeit von sozialen Gruppen, Klassen, Religionen oder Organisationen, was die Konsensfindung bei der Definition des Kulturbegriffs erschwert.

Allgemein lässt sich sagen, dass der Begriff ein Gegenbegriff zur „Natur“ ist, eine schöpferische Handlung. So fasst Lüddemann zusammen: „Am Ende ist alles, was der Mensch macht, auch gleichzeitig Kultur. Die Qualität des Schöpferischen lässt sich allen nur denkbaren Dingen und Handlungen beimessen“ (Lüddemann 2015: 55). Allgemein werden mit dem Begriff die Pflege, Veredelung oder Vervollkomm­nung assoziiert (vgl. Gebhardt 2012: 17).

Der historische Kulturbegriff, stammt aus der römischen Antike, aber in jeder Epo­che wurde der Begriff etwas anders ausgelegt. So wurden in der römischen Antike, mit dem Aufkommen des lateinischen Begriffs cultura und cultus, nicht nur die na­turbezogenen Tätigkeiten des Menschen und deren Landwirtschaftlichen Ergebnisse, sondern auch die religiöse Pflege des Übernatürlichen und darin die pädagogische, wissenschaftliche und künstlerische Pflege der individuellen und sozialen Vorausset­zungen des menschlichen Lebens selbst betitelt (vgl. Ort 2008: 19). Im Mittelalter setzt mit der Renaissance der Antike eine Bedeutungsverengung zum lateinischen Begriff „cultura“ ein, dessen erweitertes Bedeutungsfeld betrifft nun die verbesserba­ren insofern historisch Kontingenten - wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen, re­ligiösen - Bedingungen menschlicher Sozialität insgesamt und wird nur durch den Gegenbegriff einer „Natur" begrenzt, die es zu bearbeiten und zu domestizieren gilt (vgl. Ort :19).

Aus der historischen Ermittlung des Kulturbegriffs geht hervor, dass die Kultur zahl­reiche Funktionen innerhalb der Gesellschaft übernimmt. Trotzdem hat die Kultur keinen eigenen inhaltlichen Container, denn Themen werden nur in der Verbindung mit deren Bewertungen betrachtet, was insofern Standards eines Orientierungssys­tems setzt (vgl. Lüdders 2019: 8). In der Arbeit soll sich an dem Kulturbegriff der UNESCO orientiert werden, da von Kultur auch anhand des jeweiligen Wertesys­tems und der Lebensform gesprochen wird, was im nächsten Unterkapitel bei der Thematisierung der neuen Lernkultur beachtet werden muss.

„Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, son­dern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen “ (UNESCO 1982: 1).

Zusammenfassend ist der Kulturbegriff immer an ein Werte- bzw. einem Orientie­rungssystem geknüpft, welches eine Art zu leben, glauben, lernen und vielem mehr zu einem bestimmten Zeitraum betrachtet. Der Kulturbegriff setzt Standards, ist gleichzeitig aber einem ständigen Wandel unterlegen, denn wie Lüddemann sum­miert, kann alles was der Mensch macht, letztlich als Kultur betrachtet werden. Der Kulturwandel bedeutet gleichzeitig einen Wertewandel. Einen Kulturwandel durch­zuführen, bedeutet, den Wandel von bisherigen Annahmen über ein Thema, Stan­dards und Orientierung zu durchbrechen. Ein Beispiel wäre die Annahme, dass nur im Klassenzimmer mit weißen Papier, Stiften und einer Kreidetafel an der Wand gelernt werden kann und sich dies nun bezüglich des Ortes und der Art und Weise ändern könnte, weswegen im Folgenden in die Debatte des Lernkulturwandels einge­stiegen wird.

2.1.3 Gesellschaftspolitische Faktoren des Lernkulturwandels

Die Debatte in der Erwachsenen- und Weiterbildung, welche in Deutschland Mitte der 1990er Jahre startete, hatte zur Grundlage, didaktische und methodische Überle­gungen für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen anzupassen, um der moder­nen Gesellschaft und Arbeitswelt gewachsen zu sein. Die Bund-Länder-Kommission (2004) griff den Lernkulturwandel auf und wollte „Lebenslanges Lernen“ und „in­formelle Lernprozesse“ fördern, damit- insbesondere bei der Übergangsphase von der Berufs- oder Hochschule in das Arbeitsleben- Lebenslanges Lernen ein selbst­verständlicher Teil des alltäglichen Lebens bleibt (vgl. BLK 2004: 24). Dafür sollten Selbstlerntechniken verfeinert werden, insbesondere für das Lernen außerhalb von formalen Bildungsprozessen, um die zunehmende Eigenverantwortung und Selbst­steuerung von Individuen zu gewährleisten (vgl. ebd.: 24).

Es ist davon auszugehen, dass damit eine politische Motivation besteht, Lernen zu popularisieren und in das alltägliche Leben lebenslang einzubinden. Diese Entwick­lung der neuen Lernkultur wurde mit hohen Erwartungen verbunden (vgl. Klingovsky 2009:10). Entsprechenden Anstrengungen müssen Implikationen folgen wie beispielsweise die Zertifizierung von informellem Lernen, die Etablierung von Lernnetzwerken und die Enträumlichung des Lernens durch virtuelle Lernräume (vgl. Forneck 2003: 1). Die Ausgestaltung der neuen Lernkultur soll sich dabei nicht nur auf die Weiterbildung auswirken, sondern auch auf die Vermittlung des Lernens im Hochschulwesen.

„Da sich im jungen Erwachsenenalter das Lernen zu einem großen Teil im Rahmen von staatlichen Bildungsinstitutionen (Berufsschule, Hochschule) vollzieht, kommt der Ausgestal­tung des Unterrichtsgeschehens im Sinne einer neuen Lernkultur besondere Bedeutung zu. Praxisnähe, Transferorientierung und die Einbindung der Lerninhalte in übergreifende Zu­sammenhänge -wirken der Begrenzung auf,, träges Wissen “ entgegen und erhalten die Bereit­schaft zum Lebenslangen Lernen “ (BLK 2004: 26).

Im Diskurs der neuen Lernkultur dominieren bisher Beiträge, die sich weitgehend auf die Weiterbildung fokussieren, jedoch geraten immer mehr die Hochschulen in den Blick. Auch wird die Debatte keinesfalls nur national in Deutschland geführt, sondern sie erstreckt sich auf internationaler Ebene zum Beispiel unter dem Begrif- fen „Learning Culture“ und „Learning Environment“. Insbesondere wird in einigen Schriften die lernförderliche Umgebung betont und bezieht sich auch auf organisati­onal Lernprozesse, worauf in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden soll.

,,A culture of learning is an environment that supports and encourages the collective discov­ery, sharing and application of knowledge” (Gill, 2010: 5).

An die Debatte der neuen Lernkultur ist ebenfalls auch die der eCompentence, der technologischen Kompetenz für digitales Lernen für Dozenten in Hochschulen, ange­lehnt:

„The pedagogical concepts frame and specify the added value of technology use in learning environments in close relation to the needs oflearner groups. (...) Academic teachers need to enhance existing and to acquire new competences. Faculty members need to be aware of and to understand the innovative potential of new technologies which are available to support and enhance their research and teaching activities” (Schneckenberg 2009 :149.)

2.1.4 Wissenschaftlicher Diskurs der neuen Lernkultur in der Erwachsenenpädagogik

Im wissenschaftlichen Sinne wird die neue Lernkultur als Gestaltungskategorie be­zeichnet, denn die Entwicklung um den Begriff verweist auf grundlegende Funkti­onsveränderungen von Bildung- und Kompetenzentwicklung, die Auswirkungen auf Institutionen, pädagogisches Handeln sowie Forschungsperspektiven hat (vgl. Ro- bak, Dörner & Iller et. al. 2016: 10).

Der Wandel der Lehr- und Lernkultur begann in den 1980er Jahren und einherge­hend sind in der Nachbetrachtung schon Veränderungen in den Zugängen und Lern­formen zu erkennen, welche als Vorläufer für den Diskurs der neuen Lernkultur an­gesehen werden können. Im Kontext der „Humanisierung der Arbeitswelt“ wurden neue Lernformen entwickelt. Das Lernen in der Arbeit wurde gezielt gefördert und gleichzeitig entwickelten sich erste Kriterien und Verfahren, um das Lernen für die Arbeitswissenschaft der Arbeits- und Organisationspsychologie und der Berufspäda­gogik zu analysieren (vgl. Dehnbostel 2008: 6). Der Begriff der „neuen“ Lernkultu­ren wurde dann- wie eingangs erwähnt- in der Mitte der 1990er Jahre „geboren“. Prominente Wissenschaftler des Diskurses sind Arnold & Schüßler, Pätzold & Lang, Kerres & Gorhan und Schüßer & Thurnes sowie Forneck.

Für Rolf Arnold steht der Begriff der neuen Lernkultur für eine Trennung von Leh­ren und Lernen, womit zwei folgereiche Konnotationen einhergehen: Zum einen, dass derjenige, der lernt, nicht lehre und zum anderen, dass Lehren eine zwangsläu­fige Bedingung von Lernen sei (vgl. Arnold & Schüßler 1999: 32). Mit dem Lernkul­turwandel verbindet er die Vorstellung, dass erfolgreiche Lernprozesse selbstgesteu­ert ablaufen. Demzufolge müsse sich die Rolle der Lehrenden verändern und von der alleinigen und direkten Wissensvermittlung abweichen (vgl. Arnold, Tutor & Kam- merer 2003:108). Im Bildungssystem kritisiert er die Fixierung auf bestimmte Lern­gegenstände und -inhalte, sowie den einseitigen Methodenbesitz im Lehr- Lern­Prozess, die im selbstgesteuerten und Lebenslangen Lernen aufgebrochen werden müssen (vgl. Arnold 1999: 32). Die Ermöglichungsdidaktik würde für ein solches didaktisches Handeln einen Erklärungsrahmen bilden (vgl. Arnold, Tutor & Kamme- rer 2003:108).

Schüßler und Thurnes (2005) betrachten Lernkulturen als etwas, das- abhängig von der gesellschaftlichen Rahmung- ständig in Bewegung ist. Erwachsene stünden somit vor der Herausforderung, sich zwischen den Lernkulturen hin- und herzubewegen (vgl. Schüßler & Thurnes 2005:16).

„ 'Veränderte Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Beruf führen nun aber dazu, dass an einer traditionellen Lernkultur angelehntes Lehr/Lernhandeln immer öfter nicht mehr den gewünschten Erfolg und die nötige Zufriedenheit bringt. Die Gestaltung von Lernkulturen in der Erwachsenenbildung muss dementsprechend von einer Bewusstmachung der gelebten Lernkultur ausgehen und einerseits nach Möglichkeiten suchen, Lehr-/Lernhandeln so zu un­terstützen, dass sich eine neue Lernkultur entwickeln kann und anderseits begünstigende Rahmenbedingungen schaffen, damit sich neues Lehr/Lernhandeln etablieren kann“ (Schüß­ler & Thurnes 2005:16.

Forneck (2003) bringt eine kritische Betrachtung des Selbstlernarrangements in die Debatte ein. Forneck bezweifelt den Erfolg von selbstgesteuertem Lernen, der neuen Lernkultur für alle Lernende, da dies nicht gerade voraussetzungslos wäre, sondern eine Reihe von Kompetenzen unterstelle, die didaktisch unkonkret sind (vgl. Forneck 2003: 4). Selbstgesteuertes Lernen sei damit sozial exklusiv, da empirische Untersu­chungen zeigten, dass Selbstlernkompetenzen mit dem formalen Bildungsgrad zu­nehmen (vgl. Forneck, Klingovsky & Robak et. al 2005: 10).

„ Es zeichnet sich als ein ehrgeiziges Metabildungsprogramm aus, da es eine Lebensform des reflexiven Selbstlernens intendiert, die in der Mehrheit der Bevölkerung gerade nicht unter­stellt werden kann “ (Forneck 2003: 6).

Kerres & Gorhan (1998) untersuchten die neue Lernkultur anhand der neuen Lern­formen des „multi- und telemedialen“ Lernens in der betrieblichen Weiterbildung und kommen zu dem Resümee, dass die Datenlage zum Status der Nutzung von Mul- ti- und Telemedien in der betrieblichen Weiterbildung als wenig befriedigend zu bewerten sei. Ein Durchbruch oder eine Revolution des mediengestützten Lernens in der betrieblichen Weiterbildung sei nicht gegeben (vgl. Kerres 1998: 6ff.). Die Ar­gumentation, multi- und telemediales Lernen in der betrieblichen Weiterbildung sei gering verbreitet, gilt inzwischen als überholt. Jedoch haben Kerres und Gorhan er­kannt, dass multimediales bzw. digitales Lernen didaktischer Konzepte bedarf.

„Das Innovationspotential geht vielmehr von neuen mediendidaktischen Konzepten und Al­ternativen der Lernorganisation aus: Durch den Einsatz von Medien - vor allem in Kombi­nation verschiedener Medien und Methoden — wird ein räumlich und zeitlich flexibles Lern­angebot realisierbar, das die individuelle und organisationale Weiterbildungsnachfrage bes­ser und schneller adressieren kann (...)“ (Kerres 1998:13).

Euler & Seufert (2005) haben vier Hochschulen genauer untersucht und gehen im Diskurs insbesondere auf die nachhaltige Implementierung von E-Learning auf Hochschulen ein. Dabei kommen sie zu dem Entschluss, dass bei der Implementie­rung besonders auf die sozio- kulturelle Dimensionen eingegangen werden müsse (vgl. Euler & Seufert 2005: 18).

„Innovationsförderliche Organisationsstrukturen alleine sind nicht ausreichend, um die kul­turellen Veränderungen, die der Einsatz von eLearning und Selbstlernformen mit sich führt, zu unterstützen. Die sozio-kulturelle Dimension nimmt die Herausforderung auf, die Innova­tionsbereitschaft der Beteiligten zu erhöhen, da die Integration neuer Medien in eine tradier­te Praxis wie etwa der Hochschullehre mit der Veränderung von Gewohnheiten und Einstel­lungen verbunden ist“ (Euler & Seufert 2005:18).

2.1.5 Elemente der neuen Lernkultur nach Kirchhöfer (2003)

Der Begriff der Lernkultur ist nach Kirchhöfer in kein einheitliches pädagogisches Konzept zu fassen. Er sei dagegen ein Sammelbegriff für das Phänomen des Wan­dels des Lernens, der mit Begriffen des „selbstgesteuerten Lernens“, „Lebenslangen Lernens“ und „informellen Lernen“ umschrieben wird und weit über Veränderungen des schulischen Lernens hinausgeht (vgl. Kirchhöfer 2003: 246).

In Kirchhöfers Abbildung wird deutlich, dass viele Elemente der Lernkultur einer umfassenden Transformation unterliegen: die Lerninhalte, die Vermittlung des Lern­inhaltes, die Lernkooperation, die Aneignungsform, die Vernetzung des Lernens, die Stellung des Individuums im Lernprozess und die Zertifizierung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Unterschiede der neuen Lernkultur, erklärt anhand der Elemente: (Kirchhöfer 2003:248)

Müssen nun weitere Argumente für das Bestehen der neuen Lernkultur gefunden werden? Robak, Dörber, Illner und Pätzold (2016) verneinen dies.

„Angesichts der Dichte der Veröffentlichungen muss nicht mehr für eine „neue“ Lernkultur argumentiert werden, weil sie wahlweise akzeptiert, abgewehrt oder ignoriert werden muss, in jedem Fall aber nicht mehr diskutiert werden muss“ (vgl. Robak, Dörner & Iller et.al. 2016: 9).

Neue Lernmethoden verstehen sich als Gegenpol zu den sogenannten alten (vgl. Schüßler 2004: 10), indem sie dem Lernenden eine neue Autonomie zuschreiben, aber diese auch gleichzeitig abverlangt wird.

„Das Neue ergibt sich daraus, möglichst viele dieser Gestaltungsmerkmale in der Praxis zu implementieren, in die Breite zu tragen und das Ineinandergreifen von informellem und for­mellem Lernen weiter zu fördern. (...) Es zeigt sich aber, dass der Schwerpunkt vor allem auf neuen Veranstaltungsformen mit hohen Selbstorganisationsanteilen liegt. “ (Schüßler &Thurnes 2005:18)

Angesichts des gewaltigen Umfangs des Themas in den oben genannten Elementen und Auswirkungen von der traditionellen Lernkultur, hin zu einer neuen Lernkultur, soll der Fokus weiter auf das selbstorganisierte bzw. selbstgesteuerte Lernen gerich­tet werden.

2.1.6 Die neue Lernkultur der Selbstorganisation, -Steuerung und -Reflektion

Im Zentrum der neuen Lernkultur steht das selbstorganisierte und selbstgesteuerte Lernen. Dieser didaktische Ansatz, zukünftig selbstgesteuert zu lernen, zieht eine weitere Debatte, die der konstruktivistischen Ansätze eines Unterrichts, mit ein. So gehen die Befürworter eines konstruktivistischen Unterrichts davon aus, dass bei der traditionellen Auffassung über Unterricht träges Wissen vermittelt werde und Hand­lungswissen nicht allein instruktionsorientiert durch eine Lehrkraft vermittelt werden könne, da die Integration des neuen Lerninhaltes in die vorhandene kognitive Struk­tur des Lernenden gebracht werden müsse (vgl. Lang & Pätzold 2009: 1).

„Hilfreich ist auch die Unterscheidung zwischen trägem Wissen und nachhaltigem Wissen. Träges Wissen bleibt oberflächlich, äußerlich es ist kein Bestandteil unserer Wirklichkeits­konstruktion, es kann nicht flexibel in Handlungssituationen verwendet werden.“ (Siebert 2005: 84)

Ein populärer Vertreter der konstruktivistischen Pädagogik ist Horst Siebert. Wissen bezeichnet er als eine „identitätsstiftende, nicht abfragbare oder messbare Kompe­tenz“ (vgl. Siebert 2005: 81), die eng mit den individuellen Erfahrungen der Umwelt -also einem ganzheitlichen Prozess- zusammenhinge (vgl. Siebert 2005: 81). Deshalb kommt Siebert auch zu dem Entschluss, dass Erwachsene sich nicht von Päda- gog*innen aufklären und belehren ließen, aber sehr wohl zum selbstverantwortlichen Lernen und zur Selbstaufklärung in der Lage seien (vgl. Siebert 2005: 96).

Die Rolle des Lehrenden löst sich durch einen selbstorganisierten und selbstgesteuer­ten Lernprozess des Lernenden keinesfalls auf, sondern wandelt sich. Sie kann darin bestehen, die Lernenden zur Rekonstruktion ihres Wissens anzuregen, d.h. sie immer wieder mit neuen Perspektiven und Problemen zu konfrontieren, die sie herausfor­dern, ihre Sichtweisen zu überprüfen und zu modifizieren, was immer mit dem Ziel des Aufbaus einer fundierten, elaborierten Wissensbasis zusammenhängen müsse (vgl. Lang & Pätzold 2009: 2).

Infolgedessen ist eine Definition einer Selbstorganisation sowie Selbststeuerung ein­zubringen.

„ Selbstorganisiert ’ ist das Lernen, wenn es im Blick auf relevante Aspekte in eigener Zustän­digkeit in Gang gesetzt und gestaltet wird; ,fremdorganisiert ’, wenn dies , anderen ’ zukommt oder von diesen geleistet wird (eine andere Person, eine andere Gruppe, eine Institution au­ßerhalb des eigenen Zuständigkeits- und Verfügungsbereiches). ,Selbstgesteuert’ ist das Ler­nen, wenn es in einem gegebenen Rahmen oder auf einer vorhandenen Grundlage einzelne, bereits konstituierte Aspekte ausgestaltet; ,fremdgesteuert’, wenn nicht nur die Konstituie- rung, sondern auch die Gestaltung des Lernarragements einschließlich der Ziele einem , an­deren ’ zukommt oder von diesem geleistet wird“ (Knoll 2004: 320f

Laut Faulstich ist der Begriff „selbstorganisiertes“ Lernen der Vorläufer von selbst­gesteuertem Lernen. Als Oberbegriff dieser Prozesse fällt bei ihm der Sammelbegriff selbstbestimmtes Lernen (Faulstich 1999:27). Die Diskussion ist für den Erwach­senenpädagogen auch nicht neu, sondern wurde zuvor in der Erwachsenenbildung unter dem Begriff der Teilnehmerorientierung gefasst.

Arnold, Tutor und Kammerer (2003) gehen nicht davon aus, dass die bislang erwor­benen Fähigkeiten von Lernenden in jedem Fall ausreichen werden, um den Lern­prozess in eine selbstgesteuerte Form zu gestalten. Daher ist die Entwicklung von Selbstlernkompetenzen gefordert (vgl. Arnold, Tutor & Kammerer 2003:110). Es müssten Bereitschaft, Fähigkeit und Fertigkeiten einer Person vorhanden sein, um beim Lernen die Schritte der Planung, Durchführung und der Kontrolle bzw. Evalua­tion selbst aktiv bewältigen zu können (vgl. ebd.). Selbstgesteuerte Lernende zeich­neten sich bei einer Untersuchung durch ein hohes Maß an anschlussfähigem Wissen aus. Sie zeigten methodische Fähigkeiten wie die Planung und Strukturierung des Lernstoffs sowie die tiefenverarbeitende Nachhaltigkeit von Wissen (vgl. ebd.:110f.) und darüber hinaus ein hohes Level an Energien und Konzentration mit einer positi­ven gefärbten Stimmung (vgl. ebd.:111).

2.1.7 Die neue Lernkultur als Ökonomisierung des Lernens - eine kritische Betrach­tung des Selbstlernarrangements

„Das Individuum soll Ziele, Niveau, Inhalte, Organisationsformen, Zeitpunkte und Zeitbedarf seines Lernens bestimmen und eigenverantwortlich steuern, es soll seine Lerninhalte selbst auswählen und zu Lernarrangements zusammenfügen, es soll die Lernerfolge selbst kontrol­lieren, es soll zum »Unternehmer seiner Bildung« werden, der sowohl für den Erwerb, die Reproduktion, die Aktualisierung und die Vermarktung seines Lernens Verantwortung trägt “ (Kirchhöfer 2003:248).

Die neue Lernkultur kann auch als eine Ökonomisierung des Lernens bezeichnet werden und damit einer erhöhten Effizienz und Steigerung der eigenen Wirtschaft­lichkeit im Lernprozess. Es wird nicht darauf eingegangen, ob und inwieweit eine Ökonomisierung des Lernens letztlich zu einer Selbstbestimmung im Lerninhalt führt oder ob der Lerninhalt in der neuen Lernkultur zwar nicht mehr über das Curri­culum bestimmt wird, aber anhand des Arbeitsmarktes seine Bestimmung findet, da eine Entgrenzung zwar die Öffnung von einer Grenze meint und neue Handlungen nach sich zieht, aber aus soziologischer Perspektive wieder neue, andere Begrenzun­gen herstellt.

Der Begriff der neuen Lernkultur kam im Zusammenhang mit den veränderten An­forderungen der Arbeitswelt auf. Er wurde bedingt durch global „entgrenzte“ Markt­gesellschaften, der Vielfalt an Lebensentwürfen sowie der Forderung nach einer Kompetenzentwicklung als Lernziel des Lebenslangen Lernens (vgl. Ricken 2011: 55). Im Sinne von Erpenbeck und Sauter ist daher die neue Lernkultur eine Rückbe­sinnung auf den Lernort am Arbeitsplatz, bedingt durch das aufgekommene digitale Lernen, welches an Bedeutung gewinnt. Dass Arbeiten und Lernen wieder zusam­menwachsen, bezeichnen sie als Social Workplace Learning: einer nahtlosen Vernet­zung vom Arbeitsplatz zum Lernort (vgl. Erpenbeck & Sauter 2019: 123). Kirchhö- fer (2003) bezeichnet das Phänomen der “Vernetzung“ als Entgrenzung, da die neue Lernkultur weit über das formale, schulische Lernen hinausgehe und Lernformen wie das informelle Lernen an Bedeutung gewännen (vgl. Kirchhöfer 2003: 246). Diese Verschiebung von Grenzen bzw. das Verschwimmen von Begrenzungen wurde erstmals von Soziologen aufgegriffen. Prominente Vertreter sind Günther Voß und Karin Gottschall (1998), die die Flexibilisierung und Subjektivierung der Arbeit und des Lebens erörtern. Der Soziologe Voß formte den Begriff des „Arbeitskraft­Unternehmers“: Ein*e Arbeitsnehmer*in, der/die eine systematische Produktion und Vermarktung ihrer/seiner selbst betreibt, um sich mit dessen ausgebauten Fähigkei­ten und Leistungen permanent effizient auf außer- und innerbetrieblichen Märkten vermarkten zu können (vgl. Voß 1998: 478). Die Debatte der Flexibilisierung und Subjektivierung der Arbeit sowie dessen Entgrenzungsprozess und Selbstvermark­tung hat viele Parallelen zur Debatte der neuen Lernkultur, weshalb Kirchhöfer pas­send den Begriff der „Entgrenzung des Lernens“ nutzt. Laut Reinmann et al (2018) werden diese Entgrenzungsprozesse der neuen Lernkultur nur verständlich, indem das Augenmerk auf das zunehmende digitale, informelle Lernen im Web 2.0 gerich­tet wird (vgl. Reinmann et al 2018: 1545).

Im Diskurs kommen auch Wissenschaftler wie Forneck (2003) zur Sprache, die diese Art des Selbstlernarrangements bezweifeln, da es sozial exkludierend wirkt (vgl. Forneck 2003: 4), weil beispielsweise für sozial benachteiligte Lernende mit einem geringeren „Lernhabitus“ durch die neue Lernkultur und den fehlenden Zugang zu neuen Medien bzw. modernen Technologien, die zu einer mangelnden digitalen Kompetenz führen können, neue soziale Ungleichheit geschaffen oder bestehende vertieft wird. Angelehnt an Pierre Bourdieus Habitus- Theorie, ist der Habitus ein soziologisches Konstrukt, das die Art und Weise beschreibt, wie eine Person denkt, handelt, wahrnimmt, urteilt und bewertet (vgl. Bourdieu 1978). Daher ist die Ausei­nandersetzung mit der Welt auch keinesfalls zufällig, sondern anhand des „Kapitals“ einer Person festgelegt: so ist das inkorporierte Kapital, eine der Kapitalsorten von Bourdieu (1978), bereits im Kleinkinderalter ein verleibt und kann als die Art und Motivation zum Lernen bezeichnet werden (vgl. Bourdieu 1978: 121). Weitere sozia­le Ungleichheiten der neuen Lernkulturen oder ein tieferer Einstieg können an dieser Stelle leider nicht gewährleistet werden. Nichtsdestotrotz sind diese Aspekte wichtig und nennenswert bei einer Implementierung der digitalen Lernformate, die eine Selbstorganisation bzw. -Steuerung akzelerieren sollen.

2.1.8 Lernkultur der neuen Lernformen

Die Bezeichnungen „formal“ „non-formal“ und „informell“ dienen der Systematisie­rung und Beschreibung der vielfältigen in verschiedenen Zusammenhängen bewusst oder zufällig stattfindenden und sehr unterschiedlich organisierten Lernprozesse (vgl. Seidel, Bretschneider et. al. 2008 : 8). Anhand von Reinmann 2018, Kirchhöfer 2003, Dehnbostel 2008 ist das zunehmende informelle Lernen Bestandteil der neuen Lernkultur. Lernen kann in der Art und Weise- also wie gelernt wird- kategorisiert werden. Von bewusst herbeigeführten Lernprozessen, welche in Bildungseinrichtun­gen stattfinden, wird in der Regel von formalem Lernen gesprochen, mit dem eine Zertifizierung des „Gelernten“ hervorgeht. Eine Abgrenzung der Begriffe zeigt sich anhand der Definition des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) (2008):

„ Formal learning refers to learning through a programme of instruction in an educational institution, adult training center or in the workplace, which is generally recognized in a qual­ification or a certificate. ”

„Informal learning refers to learning resulting from daily work-related, family or leisure ac­tivities. ”

,,Non-formal learning refers to learning through a programme but it is not usually evaluated and does not lead to a certification” (BMBF: 2008:8).

Von informellem Lernen wird gesprochen, wenn der Lernende implizit, nicht gezielt lernt und das Lernen nicht in einer Institution erfolgt, sondern im Alltag integriert ist. Siebert spricht davon, dass der Erwachsene größtenteils informell, unbewusst und en passant lernt (vgl. Siebert 2010 und Reischmann 2004). Es findet tagtäglich und in fast jedem Umfeld statt, in denen Menschen leben und arbeiten. Daraus kann ge- schlussfolgert werden, dass die meisten nationalen Qualifikationssysteme einen Großteil des Lernens nicht anerkennen könnten (vgl. ebd. S. 32). Die dritte Kategorie non- formalen Lernens basiert zwar auf vorgegebene Lernziele und -zeiten der Bil­dungsinstitute, findet aber nicht in Bildungseinrichtungen statt. Eine Zertifizierung erfolgt ebenfalls nicht.

Es wird darüber diskutiert, diese Lernformen miteinander zu verbinden, sowie auch non-formale und informelle Lernprozesse zu zertifizieren. So stellt Dehnbostel (2008) zur Diskussion, formales Lernen mit informellem Lernen und dem Stellen einer doppelten Infrastruktur zu verbinden: jene der Arbeitsinfrastruktur im Hinblick auf Arbeitsaufgaben -organisation und -umgebung wie auch die der Lerninfrastruk­tur, welche zusätzliche räumliche, zeitliche, sachliche und personelle Ressourcen bereithält (Dehnbostel 2008: 7). Wird über die Lernkultur gesprochen, muss daher auch die Verschiebung der Lernformen aufgezeigt werden.

2.1.9 Lernkultur des digitalen Lernens nach M. Kerres

M. Kerres untersucht im Diskurs der neuen Lernkultur das digitale Lernen oder auch E-Learning genannt. Der Begriff des E-Learning bzw. E-Lernen (dem elektronischen Lernen) hat sich in den vergangen zwei Jahrzehnten durchgesetzt. Es gibt aber noch viele weitere Begriffe wie das Computer based Training (CBT/ auf Deutsch: Compu­ter gestütztes Lernen) sowie telegrafisches, virtuelles oder digitales Lernen. Mit dem Begriff des E-Lernens wird hauptsächlich die erste Generation des digitalen Lernens in den 90er Jahren verbunden und weniger modernere, innovativere Techniken des digitalen Lernens, worüber im späteren Verlauf noch eingegangen wird. Darum soll von digitalem Lernen gesprochen werden:

„Der Begriff E - Learning scheint in die Jahre zu kommen. Manche Autoren schlagen pro­grammatisch vor, auf den Begriff E-Learning zu verzichten “ (Kerres, 2016:1).

Dieser Begriff wird sich vermutlich wieder verflüchtigen, wenn die Digitalisierung in der Bildung abgeschlossen ist und die Adaption von digitalem Lernen in der Lehre selbstverständlich geworden ist. Zunehmend wird von digitaler Bildung, digitalem Lernen und von der digitalen Agenda gesprochen und der Begriff Digitalisierung wird mehr im Kontext von Bildung und Lernen angesiedelt (vgl. Kerres, 2016: 1). Mit dem Begriff des E-Lernens liegt der Fokus mehr auf den technischen Lehr­Lernprozess der ersten Generation, während mit dem Begriff der Digitalisierung die Erkenntnis einhergeht, dass die digitale Technik die Bildungsarbeit in einem sehr viel weiteren Sinne durchdringt und „irritiert“ und kollaboratives Lernen miteinbe- zieht (vgl. Kerres, 2016 :1).

„Der früher dominierende Technikaspekt, das „E“, nimmt eine immer geringere, der Bil­dungsaspekt, das ,, Learning “, insbesondere das ,, Social Learning “, eine immer wichtigere Rolle ein. Diese grundlegende Revolution wird von einer nicht minder revolutionären metho­dischen Entwicklung flankiert“ (Erpenbeck & Sauter 2019:139).

Digitales Lernen kann als Überbegriff oder auch Sammelbegriff für den Einsatz von elektronischen bzw. digitalen Medien im Lernprozess bezeichnet werden. Je mehr elektronische Lernformate in den letzten Jahren entwickelt wurden, desto ungenauer wurde der Begriff.

Daneben können digitale Medien auch in unterschiedlicher Form in die Lehre ein­fließen. Digitales Lernen kann Kompetenzen des problem-, fall- oder projektorien­tierten Lernens, die in der neuen Lernkultur hervorgerufen werden sollen, unterstüt­zen und befördern.

„Ein Lernen, das zeitlich und räumlich flexibel angelegt werden kann, dass das selbstge­steuerte und kooperative Lernen fördert und didaktische Methoden des problem-, fall­oderprojektorientierten Lernens besonders unterstützt“ (Kerres, 2010: 47).

Kerres (2010) zeigt in der Definition des digitalen Lernens einen wichtigen Aspekt für diese Arbeit auf, dass digitale Medien, bestimmte Kompetenzen des problem-, fall- oder projektorientierte Lernen hervorrufen, dies aber nicht zwingend der Fall ist. Es benötigt einen didaktischen Rahmen, denn auch digitales Lernen kann zur bloßen Wissensabfrage und nicht für ein kompetenzorientiertes, selbstgesteuertes Lernen genutzt werden. Daher muss sichergestellt werden, dass digitales Lernen nicht ledig­lich standardisiert wird. Daraus schließend steht nicht nur Lernen, bedingt durch die Verbreitung von digitalen Lernformaten unter einem Wandel, sondern auch die Leh­re selbst: vom Lehren hin zum Lernen.

E- Learning Projekte der letzten 20 Jahre haben wesentlich zur Diskussion über die Gestaltung von Lehren und Lernen an der Hochschule beigetragen und sind ein wichtiger Motor der didaktischen Reform, auch ohne die Digitalisierung der Bildung ein gewisses Level erreicht zu haben (vgl. Kerres 2016: 3).

„ Wenn wir die Chancen digitaler Medien nutzen wollen, so ist dies als ein vielschichti­ger Veränderungsprozess anzusehen, der mit Einstellungs- und Verhaltensänderungen der Akteure einhergeht, der sich über Jahr(-zehnte) erstreckt“ (Kerres 2016:3).

2.2 Zum Begriff Digitalisierung

Digitalisierung muss in ihren Grundzügen zuerst verstanden werden, bevor Maß­nahmen wie das digitale Lernen weiter ausgebaut werden können, denn die Chance des digitalen Lernens kann erst mit einem ganzheitlich pädagogischen Konzept wirk­sam werden. Bei einem vertiefenden Verständnis dafür lässt sich die Digitalisierung als Chance für die Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung durch die Wei­terentwicklung neuer didaktischer Ansätze betrachten (vgl. Ladel, Knopf & Wein­berger 2018: VIII). Daher soll Digitalisierung als Grundbegriff der Arbeit mitaufge- nommen werden.

Die Digitalisierung, welche Dirk Baecker zufolge als vierte Medienepoche gilt, hat im 21. Jahrhundert erheblichen Einfluss in fast allen Lebensbereichen erzielen kön­nen. Die Perspektive der Digitalisierung in der Lebenswelt darf nach Schnell & Dunger (2019) nicht nur als eine Angelegenheit für Informatiker, Ingenieure oder Technologen betrachtet werden (vgl. Schnell & Dunger 2019: 14). Denn unter dem Begriff der Digitalisierung kann auch nicht nur ein technischer Wandlungsprozess, sondern auch ein tiefgreifender kultureller Wandlungsprozess gesehen werden, der an der Hochschule zunehmend die Lehre betrifft (vgl. Kauffeld 2019: 3). Alles ist dabei betroffen: die Wirtschaft, ebenso wie die Gesellschaft sowie nahezu alle Le­bens- und Arbeitsbereiche.

„Die Digitalisierung ist die mit einer Automatisierung verbundene Transformation der Welt in quantifizierbare Daten“ (Schnell & Dunger 2019:13).

Digitalisierung wird in der vorliegenden Master- Thesis in drei Phasen eingeteilt. Die erste Phase der Digitalisierung kann als Umwandlungsprozess bezeichnet werden. Genauer ausgedrückt, geht es um die Umwandlung von analogen Werten in digitale Formate, die sich anschließend informationstechnisch speichern und verarbeiten las­sen (vgl. Lapp & Breidenstein 2020: 1).

Die zweite Phase, eng verbunden mit der Umwandlung, ist der Prozess der Neuaus­richtung bzw. der ganzheitlichen Transformation. Bedingt durch die Umwandlung entstehen auf dem Arbeitsmarkt neue Märkte, andere lösen sich wiederum auf, da sie in der digitalen Welt nicht mehr benötigt werden. Allgemein bedarf es einer teilweise radikalen strategischen Neuausrichtung von Geschäftsbereichen, um in der neuen digitalen Welt bestehen zu können.

Die dritte Phase ist die der intelligenten Vernetzung. Durch die Umwandlung und Digitalisierung von Gegenständen wird es in Zukunft möglich sein, Gegenstände miteinander vernetzen und kommunizieren zu lassen: Individuen mit Individuen und Individuen mit digitalen Geräten oder physischen Gegenständen. Das Stichwort ist hier das Internet der Dinge (auch IoT genannt). Durch die Vernetzung ist es möglich, mit physischen Gegenständen wie Kühlschränken zu kommunizieren. Für die Kom­munikation und Identifizierung ist unter anderem Künstliche Intelligenz (KI) not­wendig, welche in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Ein­satz kommen wird: von der Sicherheit im öffentlichen Raum bis zur Versorgung im Gesundheitswesen (vgl. ebd. Schnell & Dunger 2019: 14).

„Bis zum Jahr 2025 werden bis zu einer Billionen Dinge vernetzt sein und miteinander kommunizieren: Produktionen, Städte, Infrastrukturen, SmartProducts, Autos. Sämtliche Bereiche werden davon betroffen sein und auch davon profitieren. (...) In einem derarti­gen Internet der Dinge verbinden sich die physische und die digitale Welt. Anlagen, Ma­schinen und einzelne Werkstücke tauschen kontinuierlich Informationen aus. Sämtliche Produktions- und Logistikprozesse werden integriert“ (Vollrath 2016: 2).

Zusammenfassend führt die Digitalisierung auf der individuellen Ebene zu Verände­rungen von Arbeits- und Handlungsweisen im beruflichen sowie im privaten Alltag. Auf der Ebene der Organisation lag zunächst der Fokus auf der Effizienzsteigerung von Geschäftsbereichen, also dem „Digitalmachen“ von bisher analogen Prozessen. Heute beeinflusst die Digitalisierung die Vernetzung von Unternehmen untereinan­der sowie zwischen Unternehmen mit Kunden und Lieferanten. Wissensmanagement gewinnt an Bedeutung (vgl. ebd. Ladel, Knopf & Weinberger 2018).

Diese Vernetzung und Interaktion zwischen Menschen und intelligenten Systemen erfordert eine Neudefinition von Expertisen wie beispielsweise die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen und die Nutzung der aufkommenden Daten­mengen (vgl. North & Maier 2018: 7-8).

„Es entsteht ein „Datenkapitalismus“, in dem die Wertschöpfung vorrangig -von der un­ternehmerischen Kompetenz zur Aneignung und Auswertung von Daten abhängt“ (North & Maier 2018: 3).

Die Gewinner im digitalen Zeitalter sind daher diejenigen, welche die Digitalisierung als solches verstanden haben und Daten zur Wertschöpfung nutzen können. Belohnt werden die „digitalen Pioniere“ sowie manche- welche umgangssprachlich gespro­chen- schnell auf den „Zug“ aufspringen konnten und jene, die schnell auf neue digi­tale Entwicklungen reagieren und folgen können. So informiert die Unternehmensbe­ratung McKinsey:

“Digital rewards first movers and some superfast followers (...) Why is that? First mov­ers and the fastest followers develop a learning advantage. They relentlessly test and learn, launch early prototypes, and refine results in real time cutting down the develop­ment time in some sectors from several months to a few days” (Bughin, Catlin & Hirt et al. 2018:1).

Auf Staatenebene gelten jene, die- wie Südkorea- die Digitalisierung in den drei Pha­sen schon großflächiger umgesetzt haben, als fortschrittlich. Die Vernetzung der bü­rokratischen Behörden mit den Einwohner*innen bewies sich als vorbildlich und sehr erfolgreich in der aktuellen Bewältigung der Corona-Pandemie. Durch die schnelle Kommunikation konnte die Virusverbreitung schnell und erfolgreich einge­dämmt werden. Handydaten von Einwohner*innen wurden zur Nachverfolgung der Infizierten genutzt, um potentiell Infizierte aufzuspüren. Je schneller eine digitale Infrastruktur aufgebaut werden kann, desto schneller und effizienter kann das System die digitalen Daten verarbeiten und umso größer ist dabei der individuelle Lernvor­teil des Systems bzw. der Wettbewerbsvorteil.

2.2.1 Überblick über die Entwicklungen von digitalen Lernformaten

Im Folgenden soll ein Überblick über die Entwicklung von digitalen Lernformaten aufgezeigt werden.

Information und Kommunikation sind ohne Technologieeinsatz im digitalen Zeitalter nicht mehr denkbar (vgl. Reinmann 2018:1556). Diese Entwicklungen machen die Entwicklung von neuen, interaktiven, digitalen Lernformaten an Hochschulen immer notwendiger.

Die ersten Entwicklungen von digitalem Lernen kamen Ende der 1980er Jahre auf und konzentrierten sich auf die Potenziale und Möglichkeiten von digitalen Medien in der Lehre wie dem multimedialen Präsentieren. Das Interesse verlagerte sich Ende der 1990er Jahre auf die speziellen Netzpotenziale und die Chancen des Computer Supported Collaborative Learning (CSCL). Dies erste Learning-Management- Software (LMS- Software) kam bereits 1990 unter dem Namen SoftArc auf den Markt. 2002 hat Martin Dougiamas ein open-source internes Netzwerk mit dem Na­men Moodle eingeführt. Im Jahr 2020 zählt Moodle- selbst als die beliebteste Lern­plattform betitelt- 224 Mio. Nutzer in 235 Ländern, welche auf 158.000 Webseiten und 29 Mio. Kursen das Netzwerk in Schulen, Universitäten und Arbeitsplätzen nut­zen (vgl. Moodle 2020:1). LMS- Systeme gelten als ein wichtiges administratives Werkzeug (vgl. Baumgartner et al. 2002; Schulmeister 2003; Dias et al. 2014).

Das Web- Based- Training ist hauptsächlich zur kollektiven Schulung von Mitarbei- ter*innen bekannt, da es sich zur Schulung der breiten Masse eignet und Lerninhalte eines WBTs leicht angepasst werden können. Oftmals enthalten WBTs am Ende des Kurses einen Test oder Übungsmaterial. WBTs können zum Beispiel eingesetzt wer­den, um allgemeine Schulungen kostensparend in ein Online- Format wie einer Compliance Schulung zu bringen. Die Tests oder Prüfungen dienen als Absicherung des Unternehmens, dass der Lerninhalt verstanden wurde und beachtet wird. Der Aufbau eines WBTs ist meist mit einer Startseite versehen, indem ein Überblick über den Lerninhalt gegeben wird. Ein WBT verfügt über interaktive Elemente und es können Audio- und Videosequenzen oder 3D- Darstellungen miteinfließen.

Mit dem „Web 2.0“ wurde die zweite Generation des digitalen Lernens eingeleitet und es entwickelten sich persönliche Lernportale, die von den Lernenden selbst ge­staltet wurden und hauptsächlich dem gegenseitigen Wissensaustausch dienen. Web 2.0 steht insbesondere für die Nutzung der kollektiven Intelligenz wie der Bildung von sozialen Online- Communities, um gemeinsam Wissen zu konstruieren. Online- Communities sind interessensgelagert und werden meist mit Personen geführt, die ähnliche Bildungs- und Unterhaltungsinteressen entwickelt haben (vgl. Kollar & Fischer 2018: 1561). Beispiele für diese Formate sind Wikis, Weblogs, Micro Blogs, soziale Netzwerke, teilweise aber auch MOOCs. Weblogs oder Micro Blogs können sehr verschieden aussehen, es kann ein Video, Bild oder ein Text mit einer “Com­munity“ geteilt werden. Die Blogeinträge sind von einer Person oder einer Gruppe aus Experten eines bestimmten Themas verfasst. Sie dienen insbesondere zur Ver­mehrung, Vernetzung und zum Austausch von spezifischem Wissen. Community­Mitglieder erhalten eine Mitteilung über den neusten Blogeintrag und haben die Möglichkeit, diesen zu kommentieren. Weblogs finden bereits Verwendung in Un­ternehmen, aber auch auf frei zugänglichen Internetplattformen.

Eine weitere Form ist Mikro-Blogging (z. B. Twitter), das Verfassen eines Blogein- trags mit maximal 140 Zeichen. Vorrangig dient das Medium zur Kontaktpflege so­wie der Herstellung von neuen Kontakten. Eine ähnliche Funktion haben soziale Netzwerke wie Facebook. Instagram und LinkedIn haben noch eine weitere Funktio­nen hinzubekommen und dienen auch zur Wissensvermittlung und zum Austausch der Wirtschaftskommunikation.

Nach dem ersten Online- Course in Kanada im Jahr 2008 von Georg Siemens und Stephen Downes (Universität Manitoba) entwickelten sich ab dem Jahr 2010 die ersten MOOCs (Massive Open Online Course). MOOCs werden überwiegend in der Hochschul- und Erwachsenenbildung eingesetzt. Es handelt sich dabei um videoba­sierte Lerninhalte von meist renommierten Universitäten und können sich in Form einer Online-Vorlesung gestalten. Coursera wurde im Jahr 2012 von einem Professor der Stanford University gegründet und gibt auf ihrer Homepage an, dass 60 Mio. Nutzer weltweit aus 2400 Unternehmen lernen würden. Die Plattform bietet MOOCs aus unterschiedlichen Bereichen, über medizinische, geisteswissenschaftliche bis hin zu kulturellen Kursangeboten. Bestandteile von MOOCs sind Lernvideos von 5 - 10 Minuten Dauer, die in Form von Kursen oder Lernpfaden in einer Reihenfolge zuei­nanderstehen. Es gibt asynchrone, wie auch synchrone Kurse, in denen in Diskussi­onsforen Kursteilnehmer diskutieren können. In einigen MOOCs gibt es am Ende eine Prüfung, die zertifiziert wird.

In den letzten Jahren haben sich immer mehr Lernformate entwickelt. Die Lernland­schaft von Lernformaten kann hier nur begrenzt abgebildet werden, denn es hat sich eine ausdifferenzierte Vielfalt herausgebildet. Formales Lernen wird dabei immer mehr mit informellen und non- formalen Lernen verwoben.

Eine der Hoffnungsträger im digitalen Lernen sind Blended- Learning- Formate, wie beispielsweise jene im Jahr 2000 von J. Weskley Baker vorgestellte. Die Grundidee ist eine Vertauschung der Einübung des Lerninhalts mit der Wissensvermittlung. In der Schule wird das Konzept als „Flipped Classroom“ bezeichnet, während es an der Hochschule unter dem Stichpunkt „Inverted Classroom“ bekannt ist. Dabei gilt das digitale Lernen nicht nur als Anreicherung, wie dies in der Präsenzlehre oftmals ge­schieht. Digitale Lernformate haben hier einen höheren Stellenwert und sind qualita­tiv gleichwertig zum Präsenzunterricht, was eine inhaltliche und didaktische Ab­stimmung für ein stimmiges Gesamtkonzept wie in dieser Lehr- und Lernmethode erforderlich macht. (vgl. Euler & Seifert 2005: 14) Bei der Methode soll es nicht zentral um die Wissensvermittlung gehen. Die Idee ist, den Schüler*innen und Stu­dierenden die Möglichkeit zu geben, sich den Lernstoff in Eigenarbeit, beispielswei­se mit Lernvideos, zu erarbeiten. Die Präsenzveranstaltung soll hauptsächlich für kommunikative und kollaborative Aktivitäten genutzt werden (vgl. Fischer und Spannagel 2012: 227). Diese Lehrmethode hat das Ziel, dass Studierende den Lerni­nhalt selbstständig in ihrem eigenen Lerntempo erarbeiten und anschließend für die Präsenzphasen mehr Zeit für gemeinsame Aktivitäten wie Nachfragen sowie das gemeinsame Üben, Vertiefen und Anwenden des Gelernten bleibt. Die Studierenden können ihr Wissen gemeinsam mit der Lehrperson vertiefen, indem die verbleibende Zeit der Präsenzphase für weiterführende Aufgaben, Diskussionen und Gruppenar­beiten genutzt werden kann (vgl. ebd.: 46). Da die Lehrperson zwar weiterhin für Nachfragen zur Verfügung steht, aber nicht mehr die Rolle der aktiven Wissensver­mittlung innehält, kann ein neues Rollenverständnis der Lehrperson entstehen. Die Lehrperson gilt weiterhin als Expert(e)*in, ist aber überwiegend leitend und unter­stützend als Lernbegleiter*in wie ein(e) Tutor*in tätig und moderiert den Diskussi­ons- und Arbeitsprozess. Die Voraussetzung für den Erfolg der Methode ist abhängig von der Selbstständigkeit und Eigenmotivation der Studierenden und stellt hohe An­forderungen an sie. Das Erfolgskriterium ist hier die Verinnerlichung der neuen Lernkultur der Studierenden.

[...]

Excerpt out of 105 pages

Details

Title
Lernkulturelle Herausforderungen von digitalen Lernformaten im Hochschulwesen in Ägypten
College
University of Hamburg  (Erziehungswissenschaften)
Grade
1,3
Author
Year
2021
Pages
105
Catalog Number
V1032053
ISBN (eBook)
9783346455284
ISBN (Book)
9783346455291
Language
German
Notes
Diese Masterarbeit bezieht sich auf die Frage auf die neue Lernkultur in Zeiten der Digitalisierung, angewendet auf die Hochschulen in Ägypten und deren Herausforderungen. Die Autorin geht ausführlich darauf ein, wie die digitale Lehre aussehen muss. Ausführlich wird auf das Land der Praxis eingegangen und es wird ersichtlich, welche Herausforderungen Ägypten zu bewältigen hat, gerade in der Corona Pandemie. Die qualitativen Forschungsergebnisse stammen von renommierten ägyptischen Professor*innen sowie Student*innen aus staatlichen ägyptischen Universitäten.
Keywords
Digitalisierung, Lernkultur, globaler Süden, Corona, Ägypten, Hochschulen, digitales Lernen, Herausforderungen, selbstbestimmt
Quote paper
Miriam Wagner (Author), 2021, Lernkulturelle Herausforderungen von digitalen Lernformaten im Hochschulwesen in Ägypten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1032053

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Title: Lernkulturelle Herausforderungen von digitalen Lernformaten im Hochschulwesen in Ägypten



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