Gieseckes Buch, soll, wie der Titel schon verrät, eine Einführung in die Pädagogik vornehmen. Damit ist das Zentralthema - wie bereits auch die Einleitung zeigt - die Darstellung von Aspekten des Heranwachsens von Kindern und Jugendlichen. Dabei nähert sich der Autor von zwei unterschiedlichen Perspektiven: der biologisch- psychologischen Dimension und der geschichtlich-gesellschaftlichen Dimension hinsichtlich der Betrachtung von pädagogischen Phänomenen.
Erstmalig veröffentlicht wurde das Buch bereits 1969, also in einer Zeit des (pädagogischen) Umbruchs in der Bundesrepublik. Der Autor war zu dieser Zeit bereits Professor an der Pädagogischen Hochschule Göttingen (heute Universität Göttingen, Pädagogische Fakultät).
Prof. Dr. Hermann Giesecke wurde 1932 in Duisburg-Hamborn geboren und widmete sein Arbeitsleben ganz der pädagogischen Arbeit: 1954 beginnend mit dem Studium des Lehramtes in Münster (Geschichte, Latein, Philosophie und Pädagogik), über Dozententätigkeit am Jugendhof Steinkimmen und seiner Promotion 1964 im Bereich Politische Bildung am Institut für Pädagogik der Universität Kiel bis hin zu seiner Professur für Pädagogik und Sozialpädagogik 1967 an der Pädagogischen Hochschule Göttingen.
Das erste Kapitel „Biologische und psychologische Voraussetzungen des Heranwachsens“ beschreibt dem Menschen als ein „weltoffenes“ Wesen. Er zeigt auf, dass auf der einen Seite die Lernbedürftigkeit des Menschen von seiner Entwicklung, der Ontogenese, abhängt aber die prinzipielle Bildsamkeit und Begabung von seinen natürlichen Erbanlagen bestimmt wird. Damit kann der fundamentale Ansatz in der Erziehung formuliert werden: Der Mensch ist ein „Mängel-Wesen“ und versucht die natürlichen Defizite über seine soziale Umwelt und sein Handeln auszugleichen. Aus der Tatsache, dass Erbanlagen statisch, fest fixiert sind - Begabung und Bildsamkeit dynamisch, abhängig von den Angeboten sind, ergibt sich die Folgerung: Das Bildungswesen ist so zu gestalten, das es diesen Umstand gerecht wird z. B. durch dreigliedriges Schulwesen.
Im zweiten Kapitel „Die geschichtlich-gesellschaftliche Dimension der Pädagogik“ geht der Autor von der pädagogischen Praxis aus und versteht die grundlegenden pädagogischen Begriffe wie Erziehung, Bildung, Sozialisation, Lernen, Didaktik und Methodik usw. als Bezeichnungen für praktische Probleme, die beim beruflichen oder privaten Umgang mit Kindern und Jugendlichen entstehen.
Sein Augenmerk setzt er dabei im bürgerlichen Zeitalter. Er zeigt auf, dass es zur Geschichte der Pädagogik verschiedene Zugänge gibt.
Es wird deutlich, dass durch die unterschiedlichen Fragestellungen ggf. auch in Kombination aktuelle Phänomene vielschichtig/verschiedenartig in erziehungswissenschaftlichen Arbeiten betrachtet werden können
Die praxisorientierte Darstellung der pädagogischen Grundbegriffe verbessert es dem Leser diese Begriffe klarer zu fassen und zu strukturieren. Sein Exkurs in empirische und pädagogische Denkmodelle erweist sich als sehr hilfreich. Insbesondere seine Begriffsbestimmung zur Sozialisation in Abgrenzung zur Pädagogik erscheint leicht verständlich und gut nachvollziehbar: Sozialisation ist der übergeordnete Begriff. Er umfasst alle geplanten pädagogischen Maßnahmen und ungeplanten Wirkungen, die dazu führen, daß Kinder und Jugendliche in die bestehende Gesellschaft und ihre Verantwortungsbereiche hineinwachsen“ (S. 69) Die gut einprägbare Unterscheidung von Bildung als den Anspruch individueller menschlicher Selbstverwirklichung und Erziehung, als ein Gewalt und Führsorgeverhältnis ist dem Autor ebenfalls sehr gut gelungen.
Im dritten Kapitel „Gefährdungen des Heranwachsens“ geht der Autor der Frage nach, warum ist ein Jugendlicher so geworden wie er ist. Dabei geht er praxisorientiert von Kindern und Jugendlichen im bürgerlichen Zeitalter aus, deren Aufwachsen besondere Schwierigkeiten bereitet. Eindrucksvoll zeigt er, wie pädagogische Probleme im gesellschaftlichen (bürgerlichen) Kontext entstehen und wer diese Probleme wie definiert und welche Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen bzw. realisiert werden.
Im vierten und letzen Kapitel „Erziehungswissenschaft“ widmet sich der Autor der Erziehungswissenschaft bzw. der Rolle der Wissenschaften im Rahmen der pädagogischen Praxis. Dabei stellt er fest, dass die Herausbildung der Erziehungswissenschaft und deren Weiterentwicklung zur Sozialwissenschaft ein gesellschaftliches Erfordernis war, da
- die ideologischen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft von Anfang an auf Wissenschaft bzw. auf rationalem wissenschaftlichen Denken beruhten,
- wissenschaftliche Methoden besonders dort nötig waren, wo geplant und entschieden wurde und
- die Erziehungswissenschaft gesellschaftliche Probleme aus der Perspektive von Lernproblemen formuliert.
Der Autor stellt anhand von Beispielen klar heraus, das die Probleme der Pädagogik interdisziplinäre Probleme sind, weist aber der Pädagogik auch eine klare Aufgabe im wissenschaftlichen Gefüge zu:
„Die Pädagogik hat die Aufgabe, Denk- und Informationsmodelle zu entwerfen, Modelle, die der Komplexität und damit dem interdisziplinären Charakter der praktischen Probleme Rechnung tragen; so weit wie möglich auf empirischen Unterlagen basieren;offenbleiben für neue Forschungen und Ergebnisse, also wissenschaftlich diskutierbar bleiben.“ (S. 189)
Das Buch ist sehr gut für Studierende als eine allgemeine Einführung in die Problematik der Pädagogik geeignet. Der logische und gut strukturierte Aufbau des Buches macht es dem Leser leicht, die Gedankengänge des Autors - von Aspekten der pädagogischen Praxis ausgehend zu der Erziehungswissenschaft zu gelangen - nachzuvollziehen. Damit kann das Buch durchaus als ein Standardwerk der Pädagogik - und ein „muss“ für alle Sozialpädagogen - bezeichnet werden.