Personen: Sidonie Adlersburg: vor dem Krankenhaus zu Steyr zurückgelassenes Zigeunermädchen. höflich, hilfsbereit, nett, hat manchmal Konzentrationsstörungen und
Lernschwierigkeiten, geht mit Beschimpfungen auf Grund ihrer Hautfarbe und Herkunft locker um, ist jedoch etwas desorientiert, weil für sie nicht so klar ist, zu wem sie nun eigentlich gehört
Hans Breirather: Sidonies Pflegevater, liebt seine Kinder (sowohl seinen eigenen Sohn, als auch die Pflegetöchter) und würde wohl alles für sie tun; Er ist im Widerstand tätig und gehört einer kommunistisch orientierten illegalen Organisation an.
Hans möchte seine Meinung so gut wie möglich vertreten, möchte nicht einfach alles hinnehmen, was von der Regierung, von Ämtern und von der Gesellschaft vorgeschrieben bzw. praktiziert wird. Der Glaube daran, irgend etwas verändern zu können schrumpft aber mit der Zeit. Er ist enttäuscht und traurig. Den Verlust von Sidonie verkraftet er nicht.
Josefa Breirather: Hans Breirathers Frau und Sidonies Pflegemutter
Sie ist liebevoll und zugleich temperamentvoll, für sie zählt auch in schlechten Tagen nur, daß es ihren Kindern gutgeht und dafür tut sie auch viel.
Sie steht hinter ihrem Mann, verrät seinen illegalen Waffenbesitz nicht und hilft bei der Einbringung von Parteigeldern (Mitgliedsbeiträge etc.)
Sie versucht die jeweilige Lebenslage so gut wie möglich zu meistern und immer das Beste daraus zu machen. Ihre Fürsorge Sidonie gegenüber wird auch vom Jugendamt immer positiv bewertet.
Hilde:zweite Pflegetochter der Breirathers, Sidonies „Schwester“, etwas älter als Sidonie, jedoch erst später zu den Breirathers gekommen, offensichtlich deutschösterreichischer Herkunft.
Manfred: leiblicher Sohn der Breirathers, älter als Hilde und Sidonie, hat seine Schwestern gern, auch er interessiert sich nach dem Krieg weiterhin für Sidonies Schicksal und forscht nach, er bemüht sich, die Geschichte seiner „Schwester“ als Mahnung an die Öffentlichkeit zu bringen, findet jedoch nicht viele Zuhörer.
Cecilia Grimm: Leiterin des Jugendamtes, beurteilt Josefas Fürsorge Sidonie gegenüber immer positiv.
Amalia Derflinger: will Sidonie zuerst als Pflegekind aufnehmen, wird von ihrem Mann aber dazu gezwungen, sie auf Grund ihrer Hautfarbe wieder zurückzugeben.
Maria Berger:Sidonies leibliche Mutter, über deren Identität und richtigen Namen erst gegen Ende Klarheit herrscht, Zigeunerin, etwas desorientiert, kann bis zum Schluß nicht viel mit ihrem Kind anfangen („Was soll ich mit dem Kind anfangen. Es fürchtet sich ja vor mir.“ „Um Gottes Willen, nehmen Sie es wieder mit.“ S. 109)
Anna Adlersburg:schleierhafte Person, die es unter diesem Namen wahrscheinlich gar nicht wirklich gibt, gibt sich am Telefon als Sidonies Mutter aus; möglicherweise ident mit Maria Berger oder deren Mutter.
mehrere Widerstandskämpfer und Kommunisten :
Freunde und Kollegen von Hans, die meisten nicht so hartnäckig wie er verschiedene Nachbarn: nicht alle sind positiv auf Sidonie eingestellt, die Kinder der Umgebung haben sie
jedoch liebgewonnen, Beschimpfungen im Streit, die Sidonies Hautfarbe betreffen, meinen sie gar nicht so böse
Bürgermeister von Sierning: versteht sich eigentlich gar nicht so schlecht mit den Breirathers, findet Sidonie auch lieb und nett, traut sich im richtigen Moment doch nicht, sich für Sidonie einzusetzen und dabei irgend etwas zu riskieren.
Joschi Adlersburg: Sidonies leiblicher Bruder und andere
Aufbau: Erzählung in elf Kapiteln
Am Ende erzählt Erich Hackl die Geschichte noch einmal sachlich und schematisch zusammengefaßt
Sprache: Hochdeutsch, von trocken, emotionslos und sachlich bis zornig, unbarmherzig und anklagend; schlicht
Grundgedanke / Zentrale Themen: Auseinandersetzung mit Rassismus und Menschlichkeit im Alltag der NS-Zeit, politischer Widerstand , Versagen menschlicher Solidarität, soziale und gesellschaftliche Aspekte , Mutterliebe / Liebe zum Pflegekind
Ort und Zeit: Letten, Gemeinde Sierning nahe der Stadt Steyr, Österreich in der Zwischenkriegszeit und im zweiten Weltkrieg ; NS-Zeit, abschließend in der Nachkriegszeit
Referat von Nina Müller am 20. 03. 2000
Erich Hackl : Abschied von Sidonie
Der Autor:
Erich Hackl
geboren am 26.09.1954 in Steyr, Oberösterreich
Gymnasium in Steyr, Hispanistik- und Germanistikstudium in Salzburg, Salamanca und Malaga 1977-1979 Lektor für deutsche Sprache u. österreichische Literatur in Madrid
Seit 1979 zahlreiche Reisen nach Kuba, Uruguay, Argentinien u. a. lateinamerikanische Länder 1979-1980 Lehrer für Spanisch und Deutsch in Wien
1981-1983 Lehrer am Institut für Romanistik der Universität Wien
1982-1983 Zivildienst beim österreichischen Informationsdienst für Entwicklungspolitik Seit 1983 freiberuflicher Schriftsteller, verheiratet, 2 Kinder
Zahlreiche Auszeichnungen und Literaturpreise (vor allem für „Abschied von Sidonie“) Werke: „Abschied von Sidonie“, „Auroras Anlaß“, „König Wamba“,
„Sara und Simón“, „In fester Umarmung“
Inhalt:
Das Buch „Abschied von Sidonie“ handelt von dem Zigeunermädchen Sidonie, das am 18. August 1933, kurz nach seiner Geburt vor dem Krankenhaus zu Steyr ausgesetzt wird, wo es behandelt wird, da es an der „Englischen Krankheit“ leidet. Bald darauf meldet sich eine gewisse Anna Adlersburg, nach eigenen Angaben Mutter der Sidonie, telefonisch und gibt bekannt, nicht für ihre Tochter sorgen zu können.
Nach einiger Zeit soll das Mädchen zu Pflegeeltern kommen. Nachdem Amalia Derflinger die kleine Sidonie, auf Grund ihrer Hautfarbe, die ihrem Mann nicht gefällt zurückbringt, landet diese bei Josefa und Hans Breirather, wohnhaft in Letten, Gemeinde Sierning, die seit der Geburt ihres Sohnes Manfred keine Kinder mehr bekommen können, sich aber noch mehr Kinder wünschen. Sie nehmen das kleine Mädchen freudig und liebevoll auf und kümmern sich sehr darum.
Hans Breirather gehört einer illegalen kommunistisch orientierten Partei an, die gegen den aufkommenden Nationalsozialismus Widerstand leistet und muß deshalb auch einmal eine achtzehnmonatige Haftstrafe absitzen. Probleme haben die Breirathers auch mit der Kirche und mit Manfreds Schule, da sie nur standesamtlich getraut und der Kirche ausgetreten sind und Manfred nicht getauft ist. Wider ihren Willen werden sie zu einer kirchlichen Hochzeit gezwungen, die im Gefängnis stattfindet.
Nach Hans´ Rückkehr aus der Haft nehmen die Breirathers ein weiteres Pflegekind namens Hilde auf, das nur einige Monate älter ist als Sidonie. Sidonie, Hilde und Manfred fühlen sich wie richtige Geschwister, ja man möchte fast meinen, daß sie sich sogar noch lieber mögen, als richtige Geschwister. Sidonie weiß jedoch nicht so genau wo sie hin gehört, einmal erzählt sie, Josefa wäre ihre leibliche Mutter, dann wieder meint sie, die Breirathers hätten sie gefunden. Mit Beschimpfungen ihre Hautfarbe betreffend lernt sie fertig zu werden, die Kinder von denen diese hin und wieder im Streit kommen meinen es aber gar nicht so ernst bzw. wissen gar nicht so genau, wovon sie reden, versöhnen sich bald wieder mit ihr und nennen sie liebevoll Sidi.
Josefa und Hans sind Fremden gegenüber offen, sehen in jedem einen Menschen und nicht nur eine Hautfarbe oder eine Rasse, die in der Gesellschaft als minderwertig angesehen wird. Trotzdem hat Josefa Angst, wenn Zigeuner in der Nähe vorbeiziehen, da sie Sidonie als eine von ihnen erkennen könnten und sie möglicherweise mitnehmen würden. Josefa schämt sich für dieses (falsche) Mißtrauen.
Der Krieg bricht aus und auch Leute, die den Breirathers sonst immer freundlich und gut gesinnt waren werden „vorsichtiger“ , distanzieren sich von ihnen und hegen Vorurteile bezüglich Sidonies Aussehen und Herkunft. Sozusagen vorsichtshalber wird Sidonie gefirmt, sie hat jedoch keinen konkreten Bezug zu diesem Ereignis, freut sich nur über die echte Puppe, die sie als Geschenk erhält.
Nach hartnäckigen Nachforschungen von Seiten des Jugendamtes und dessen Leiterin Cecilia Grimm wird nun endlich Sidonies leibliche Mutter Maria Berger ausfindig, die entweder ident mit Anna Adlersburg oder deren Tochter ist. Um Gründe zu finden, Sidonie zu ihrer richtigen Mutter bringen zu können, was viele offensichtlich aber unausgesprochen als Erleichterung empfinden würden, befragt Cecilia Grimm nun Sidonies Lehrer, den Bürgermeister von Sierning und den Oberinspektor des Bezirks Steyr nach ihrer Meinung zu dieser Angelegenheit. Und obwohl zumindest der Lehrer - der gar nicht so recht weiß, warum er zu Sidonies Verhalten und zu ihrer Entwicklung befragt wird - und der Bürgermeister - der sich lieber nicht für etwas einsetzt, das ihm schaden könnte - die kleine Sidonie lieb und nett finden, kommt - wenn man die Worte so verstehen will - heraus, daß sich alle befragten darüber einig sind, daß Sidonie Adlersburg ihrer Mutter überstellt gehört. Für die Breirathers bricht eine Welt zusammen , Sidonie schwankt zwischen Freude auf die „neue Mutter“ und die weite Reise und tiefer Trauer über die Trennung von ihren liebgewonnenen Pflegeeltern. Cecilia Grimm bringt das weinende Mädchen zu seiner leiblichen Mutter, die in einem Zigeunerlager wohnt, das man nur mit Passierschein verlassen kann, um zur Arbeit zu gehen.
Nach dem Krieg wird Hans Breirather zum Bürgermeister von Sierning ernannt. Als dieser erkundigt er sich über Sidonies Verbleib und erhält die Auskunft, daß sie zusammen mit anderen Zigeunern nach Auschwitz gebracht wurde - er solle den Pflegeeltern nichts davon erzählen. Hans ist wütend und traurig und enttäuscht. Cecilia Grimm macht sich jedenfalls keine Vorwürfe, sie ist in dem Bewußtsein, nichts anderes tun hätten zu können.
Manfred, der leibliche Sohn der Breirathers, bemüht sich Jahre nach dem Krieg um die Erinnerung an Sidonies Schicksal in einer Dorfchronik, in der letztendlich nur kühl und sachlich erwähnt wird, daß Zigeuner während des zweiten Weltkrieges in Konzentrationslagern leben mußten da sie der nichtarischen Rasse der Inder nahestanden. Ähnliche Enttäuschungen erleben auch Manfreds Eltern. Und sie verkraften den Abschied von Sidonie ihr leblang nicht. „So ein Herzweh ist das.“ (S.120)
Ob Sidonie in Auschwitz an Typhus oder an Kränkung gestorben ist, ist nicht klar, erzählt wird beides. Zweiteres von ihrem leiblichen Bruder, der dabei war.
Am Ende erzählt Erich Hackl die Geschichte noch einmal schematisch zusammengefaßt, um zu zeigen, daß dieses oder ein ähnliches Schicksal wohl Millionen von Zigeunern, Nichtariern oder Andersdenkenden widerfahren ist, und doch erwähnt er, daß Joschi Adlersburg, Sidonies leiblicher Bruder, vom Unglaublichen zu erzählen weiß.
„Dieses Mädchen hieß nicht Sidonie, sondern Margit und lebt heute noch (...) und kein Buch muß an ihr Schicksal erinnern , weil zur rechten Zeit Menschen ihrer gedachten.“ (S.128)
Meine persönliche Meinung:
Interessante und ergreifende Erzählung, leicht zu lesen. Es kommen zwar immer wieder viele Namen vor (z.B. von Widerstandskollegen Hans´), die aber nicht verwirren, da meist später nicht auf sie zurückgegriffen wird. Wenn man einmal trotzdem nicht weiß, von wem die Rede ist, erhält man bald Klarheit.
Ich bin der Meinung, daß die gesellschaftliche Situation während der NS-Zeit in diesem Buch sehr gut aufge- zeichnet wird. Es zeigt, wie wenig Menschen allgemein dazu bereit sind, sich für etwas bzw. jemanden einzusetzen, wenn es für sie selbst ein Risiko bedeuten könnte...denn eigentlich findet ja fast das ganze Dorf Sidonie nett, vorsichtshalber entscheidet man sich lieber dafür, sie wegzuschicken, um der Konfrontation mit dem Problem aus dem Weg zu gehen.
Die Unsicherheit der Sidonie, was ihre Herkunft und ihre Unsicherheit betrifft ist meiner Meinung nach sehr gut dargestellt. Charaktere einzelner Personen, besonders aber die der Josefa und des Hans Breirathers werden sehr gut verdeutlicht.
Das Ende, in dem Erich Hackl die Geschichte nochmals als Schema erzählt, hat mir gut gefallen. Es ist wie ein Grundskelett der Geschichte, deutet aber irgendwie darauf hin, daß dieses Einzelschicksal, das einen berührt hat, in Wirklichkeit vielen, vielen Menschen gleich oder ähnlich widerfahren ist und kaum jemand erinnert sich an sie.
„Abschied von Sidonie“ behandelt wichtige Themen und ist außerdem angenehm zu lesen; ein wertvolles Buch.
Kritiken und Kommentare aus Zeitungen:
„Man liest die Geschichte des Zigeunermädchens Sidonie mit angehaltenem Atem, als lese man Ähnliches zum erstenmal, als handelte es sich um ein einmaliges Geschehen, als hätte es nicht millionenfach ähnliche Schicksale gegeben. Aber der Autor weiß und der Leser spürt: Diese Geschichte ist einmalig, so wie jedes Individuum einmalig ist.“ Neue Zürcher Zeitung „Erich Hackl erzählt den authentischen Fall unprätentiös schlicht, wie eine Kalendergeschichte - und erzeugt heilsame Wut gegen Denunzianten“ Stern, Hamburg
„Hackl hält sich an die Aussagekraft der nackten Fakten und vertraut die Geschichte zunächst einem trocken- emotionslosen Erzählton an. Aber dann zerbirst die Chronisten-Gleichmut: Hackl wandelt sich zum zornigen Ankläger. Sidonies Fall gerät zum Exempel für Opportunismus und Gesinnungslumperei.“ Profil, Wien
Zitate der Buchrückseite entnommen,
Erich Hackl „Abschied von Sidonie“, Diogenes Taschenbuch Nr.22428, 1991, Diogenes Verlag Zürich
- Quote paper
- Nina Müller-Ramírez (Author), 2000, Hackl, Erich - Abschied von Sidonie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102763
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