Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Forschungsüberblick und Abgrenzung des Themas
II. Quelle und Methode
Teil 1: Die jüdische Geldleihe im 14. Jahrhundert
I. Konsortien jüdischer Geldleihe
II. Kundenkreise
III. Höhe der Kreditsummen
IV. Höhe der Zinsen
V. Geographische Distanzen
VI. Die Frau in der jüdischen Geldleihe
Teil 2: Zum Vorwurf des jüdischen Wuchers in Widerspruch zur Akzeptanz bei der christlichen Gesellschaft
I. Gründe der Juden für die Beschäftigung im Geldhandel
II. Wuchertheorien
III. Die Bedeutung des Wucherverbotes für den jüdischen Geldhandel
IV. Gründe der Kreditaufnahme
Literaturverzeichnis
Einleitung
I. Forschungsüberblick und Abgrenzung des Themas
Obwohl die Quellenlage zur Erstellung einer Struktur der wirtschaftlichen Tätigkeit wenig ergiebig ist, wissen wir, dass Juden in sehr vielen Bereichen wirtschaftlich tätig waren1, nicht nur als Ärzte oder Geldleiher, sondern z.B. auch im Dienstleistungsbereich, als Handwerker oder Händler. Da das Thema „Juden im Wirtschaftsleben des Mittelalters“ den Rahmen einer Hausarbeit sprengen würde, beschränke ich mich zeitlich auf das 14. Jahrhundert und thematisch auf die Geldleihe.
Im ersten Teil möchte ich die Geldleihe des 14. Jahrhunderts vergleichend darstellen. Hierzu ist zu klären, wie ein Kreditgeschäft überhaupt abgelaufen ist, welchen Umfang diese Geschäfte erreichten? Ob es wirklich hohe Kreditsummen waren oder ob das Geschäft der Juden im 14. Jahrhundert nur noch im kleinem Pfandleihgeschäft bestand2, wie es noch häufig dargestellt wird. Außerdem werden Methoden der jüdischen Geldleihe untersucht, z.B. Schutzmaßnahmen gegen Nichtzahler, Zinshöhen, Laufzeiten und Kundenkreise. Einen besonderen Aspekt werde ich der Frau als Geldleiherin am Beispiel Reynette von Koblenz widmen.
Der zweite Teil der Arbeit wird sich mit dem Widerspruch zwischen dem kirchlichen Wucherverbot und den dennoch oft beträchtlichen Zinsen der Juden beschäftigen. Dabei wird die Frage unumgänglich, wer bei Juden zu hohen Zinsen Geld lieh und warum. Die Motive der Gesellschaft des Geldleihens sind bis heute noch nicht klar. Früher wurde die These vertreten, dass z.B. Bauern sich aus Not und Hunger, also zur Befriedigung der Grundbedürfnisse, zu einem Juden begeben mussten3. Diese Ansicht hat sich heute gewandelt; auch das werde ich in meiner Arbeit erläutern.
II. Quelle und Methode
Als Basis meiner Arbeit wird eine Krediturkunde des Konsortiums Gottschalks von Recklinghausen in Overijssel aus dem Jahre 1347 dienen4. Es handelt sich hierbei um eine Schuldurkunde, wie sie bei höheren Kreditsummen als Absicherung typisch war.
An ihr werde ich die Methodik der Zinsleihe wie in I. beschrieben erklären. Zur Verdeutlichung werde ich Beispiele aus verschiedenen Städten heranziehen, um die Vielfältigkeit des jüdischen Kreditgeschäftes im 14. Jahrhundert herauszustellen. Vergleichen möchte ich Koblenz, Trier, Straßburg, Overjissel in den Niederlanden und Frankfurt. Zu unterscheiden ist hier zwischen hochfinanzähnlichen und kleingeschäftlichen Kreditvergaben.
Teil 1: Die jüdische Geldleihe im 14. Jahrhundert
I. Konsortien jüdischer Geldleihe
„ [...] pre presentes, Goscalco de Rakelinchusen, Hannen, filie eius, Leoni de Monasterio, Goscalso et hannen, sorori eius, de Werdene et de Berc,, [...]5. Bei dieser Urkunde wie bei vielen anderen tritt nicht ein Kreditgeber, sondern gleich mehrere auf: es handelt sich um ein Geldgeberkonsortium. Diesem stand Gottschalk von Recklinghausen vor, denn er selbst hatte 23 Kreditverträge alleine abgewickelt6. An zweiter Stelle folgte Leo von Münster, mit dem er in sechs weiteren Schuldurkunden genannt wird. Wichtig an solchen Konsortien waren vor allem familiäre Beziehungen. So wird in dieser Urkunde auch Hanna, „ filie eius “ - Gottschalks Tochter, genannt. Auch mit Gottschalk von Werden und seiner Frau Hanna tauchte Gottschalk von Recklinghausen in Urkunden auf, woran wiederum die familiäre Bindung der Geschäftspartner deutlich wird. Diese Art Schuldnerkonsortien waren nicht nur typisch für die Niederlande, sondern auch für anderen Gegenden, wie z.B. in Koblenz. Dort sind im Wesentlichen nach der Wiederansiedlung der Juden vier Namen zu nennen, die sich als Geldleiher profilierten: Jakob von Jülich, Reynette, Moses Bonefant und Leo von Müstermaifeld. Hierbei spielte Reynette die Führungsrolle, was ich in 1.VI weiter ausführen werde. Auch sie unternahm Kreditvergaben, bei denen sowohl ihr Ehemann, als auch ihrer Tochter als Gläubiger auftraten. Die ganze Familie Bonefant hatte eine entscheidende Position in der jüdischen Geldleihe nach 1351. Von Josef Bonefant finden wir den ersten der jüdischen Kredite in Koblenz. Seinen Neffe Moses, Sohn seines Bruders Jakob, habe ich bereits erwähnt7. Auch hier, genauso wie bei Gottschalk von Recklinghausen, zeigt sich, dass das familiäre Geflecht bei der Kreditvergabe eine wichtige Funktion hatte.
Doch nicht nur die Kreditgeber traten in Konsortien auf, ihnen stand of ein Schuldnerkonsortium gegenüber. In der genannten Urkunde aus den Niederlanden werden 9 Namen genannt: “Nos Svderus dominus [de] Voerst, miles, Vredericus de Hekere, Henricus de Essen, miles, Adolphus de Suthem, Gheradus Gruter, Adolphus de Tybencampe, Hillebrandus de Dale, Robertus de Creyenscote et Jacobus de Tyvere “, die als Schuldner auftraten, wobei der erst genannte als Hauptschuldner galt, auch wenn er gleich behandelt wurde.8 Dies hatte für die Kreditnehmer einen unbestreitbaren Vorteil. Zwar konnte eine Zahlung nach Ende der Laufzeit wahrscheinlicher finanziert werden, aber Gottschalk hatte gegen solch ein großes Konsortium, das obendrein aus Adligen, Rittern oder ähnlichem bestand, keine Chance Widerspruch einzulegen, falls sie nicht zahlen wollten oder konnten. Diese Art Schulderkonsortien waren ebenso häufig wie die bereits beschriebenen Kreditgeberkonsortien. So lieh in Koblenz zum Beispiel die ganze Stadt Andernach über eine lange Periode bei jüdischen Geldleihern.9 Obwohl die Juden in Geld nicht immer zurückbekamen, liehen sie dennoch weiter an die gleichen Klienten. So tauchen beispielsweise der genannte Heinrich von Essen und Hildebrand von Dale öfter in den Akten von Gottschalk als alte, säumige Schuldner auf; trotzdem gab er ihnen weiterhin Kredit.
II. Kundenkreise
Kunden der jüdischen Geldleihe variierten von Ort zu Ort, von Geldleiher zu Geldleiher. Man kann aber nicht bestätigen, dass der jüdischen Kredit im 14. Jahrhundert sich auf das „kleine Pfandleihgeschäft“ beschränkte10, was schon die Kunden der jüdischen Geldgeber verdeutlichen. Die Kundschaft eines jeden Geldleihers hing eng mit den Kreditsummen, die er zu vergeben vermochte, zusammen. Die wichtigsten Klienten stellten bei Gottschalk Ritter, Knappen, Burgmannen des Oberstifts Utrecht und Bürger der Stadt Zwolle11. In Konstanz, im 14. Jahrhundert eine Mittelstadt mit stark agraisch geprägtem Umland, waren hingegen die meisten Kunden Bauern; vor allem Weinbauern. Wogegen in Nürnderg, einer Handels- und Gewerbemetropole des 14. Jahrhunderts, die großkaufmännische Oberschicht den höchsten Prozentsatz der Kunden bei ansässigen jüdischen Geldgebern ausmachte. In Frankfurt finden wir hauptsächlich adlige Kreditnehmer, neben dem Erzbischof zu Mainz, dem Domherrn zu Aschaffenburg und Würzburg und Bürgern.12 In Koblenz, wie in jeder anderen Stadt, gab es sehr unterschiedliche Klientel. Erwähnt wurde schon die Stadt Andernach; d.h. Ritter, Schöffen, Bürgermeister, Rat und Bürger liehen bei Moses Bonefant und seiner Familie. Der Sohn des schon erwähnte Jakob Bonefant Moses vergab vor allem kleinere Darlehen an die bäuerliche und kleinstädtische Bevölkerung Oberlahnsteins13. Die beiden berühmten Geldleiher Straßburgs „Simon von Deneuvre“ und „Vivilen der Rote“ gehörten zu hochfinanzähnlichen Kreditgebern, zu deren Kunden z.B. Erzbischof Balduin von Trier oder über weite Beziehungen König Edward II. von England zählten.14 Somit stellt Straßburg in meiner Betrachtung in jeder Hinsicht eine Sonderrolle dar, da sowohl die Kunden gesellschaftlich bessergestellt und die vergebenen Kredite größer waren, als auch in sofern, dass die beiden genannten Geldgeber Straßburgs Kunden in weiterer Entfernung hatten, als sonst üblich. Es stellt aber nochmals deutlich heraus, dass es solche hohen Kredite, auf die im folgenden eingegangen wird, durchaus gab.
III. Höhe der Kreditsummen
Wie schon angedeutet, streut sich das Feld der aufgenommen Kreditsummen von Beträgen unter 2 Mark15 bis 340.000 Goldgulden16. In der ausgewählten Urkunde handelte es sich um einen Betrag von „ centum marcas viginti tres novem solidos brabantinorum deariorum et tres brabentinos “ - um 123 Mark, 9 Schillinge und 3 Brabentinern, die innerhalb von 12 Wochen zurückgezahlt werden sollten. Dies ist ein recht hoher Betrag, wenn man bedenkt, dass die meisten von Gottschalks Konsortium und die von einem anderen bedeutenden Geldgeber der Region namens Vivus von Schüttdorf vergebenen Kredite zwischen zwei und sieben Mark und zwischen 12 und 18 Mark lagen. Zwischen dem Jahr 1332 und 1349 wurden von diesen beiden nur 3 Kredite über 30 Mark vergeben17. Auch die Kreditsummen der Koblenzer Juden reichten von wenigen Mark bis zu Tausenden18. In Frankfurt lagen 90% aller Kredite unter 50 Gulden, in Konstanz waren es 82%. Im Jahre 1400 lagen in Frankfurt 38% unter 4 Gulden, 20% zwischen 5-9 Gulden19. Es zeigt sich, dass sich die meisten Kredite im unteren Bereich befanden. Für diese kleinen Summen gab es normalerweise keine Schuldurkunde, da der Aufwand einer Urkunde viel zu groß war. Außerdem wurden kleinere Summen auch eher wieder zurückbezahlt als größere. Hier verwendete man vor allem das „kleine Pfandleihgeschäft“20. Die Kreditsummen hingen natürlich stark von den Kunden ab; große Kredite wurden meist von gesellschaftlich Bessergestellten aufgenommen.
IV. Höhe der Zinsen
In der Schuldurkunde Gottschalks ist von Zinsen direkt nicht die Rede, sondern nur von „ dampnum “, einem Strafgeld bei Nichtzahlung; dieses betrug drei Brabanter Pfennige pro Mark und Woche, d.h. der wöchentliche Zinssatz betrug 2, 083%. Nach zwölf Wochen trugen diese Zinsen von nunmehr 25% selbst Zinsen; sie wurden also zur Hauptschuld gerechnet. Interessant ist bei Gottschalks Urkunde, dass er die 123 Mark nicht auszahlte, die als Kreditsumme genannt werden, sondern nur 100 Mark, also 80%. Die einbehaltenen 20% berechnete er als Disagio. So bezahlten seine Klientel einen versteckten Zins von 25%. Hieraus ergibt sich ein Jahreszins von 165,5%21. Dieser Zinssatz ist sehr hoch, was vor allem an den Kreditnehmern und der Kredithöhe lag. Es handelte sich, wie schon beschrieben um Adlige, Ritter, Knappen und Schöffen die gemeinsam eine hohe Summe liehen. Je höher die Kreditsumme war und je besser die Kundschaft gesellschaftlich gestellt war, desto höher waren auch die Zinsen. In Koblenz betrug der Jahreszins meist 43,33%; dies war der übliche Zinssatz dieser Zeit. Bei Geschäften mit Andernach nahmen die Kreditgeber oft 72,2%. Außerdem gibt es vor allem bei diesen Geschäften Hinweise auf ein Disagio, also einen versteckten Zins wie bei Gottschalk22. Auch in Straßburg arbeitete Simon von Deneuvre mit verdecktem Zins, da er 20% als Kapitalzinsen berechnete, die er aber als solche in der Urkunde nicht auswies23.
V. Geographische Distanzen
Jüdische Geldgeber wurden normalerweise nicht aufgesucht, sondern sie suchten ihrer Kunden auf. Daraus ergibt sich, dass die Entfernung zwischen jüdischem Leiher und christlichem Kreditnehmer zu bewältigen sein musste.
Dies war meist gewährleistet, zumal wenn es sich um kleinere Kredite handelte. Die beiden Straßburger Kreditgeber stellen hier die Ausnahme dar, da sie, wie schon beschrieben, Verbindungen bis nach England unterhielten24. Die von Koblenz erhaltenen Aufzeichnungen zeigen, dass 19 der 35 Ortschaften, in denen es mehr als 10 Kredite zu verzeichnen gab, in einem Umkreis von 30 km um Koblenz lagen. Die Entfernung der übrigen Orte war mit wenigen Ausnahmen im Radius von 30 bis 80 km25. Dieses war im Vergleich zu Köln, Frankfurt oder Nürnberg ein kleines Einzugsgebiet.26
VI. Die Frau in der jüdischen Geldleihe
In der Urkunde Gottschalks erscheinen als Kreditgeber auch Frauen, nämlich Gottschalks Tochter Hanna, Hanna von Werden und Rosa von Berc27. Die Teilnahme von Frauen am jüdischen Kreditgeschäft war nichts Ungewöhnliches. Ungefähr 25% aller jüdischen Geschäftleute waren Frauen. Es verschaffte ihnen viele Vorteile: so sicherten sie einerseits ihre Existenz, da es oft nur für jüdische Geldgeber und ihren Hausstand eine Aufenthaltsgenehmigung gab, zum anderen bedrohte die Beschäftigung der Geldgeberin nicht die weibliche Ehre; sie konnten diese mühelos mit dem Haushalt vereinbaren. Oft waren es Witwen, die entweder das Geschäft ihres Mannes fortführten, oder aber schon vor dem Tod ihres Mannes mit ihm zusammen in diesem Metier tätig gewesen waren. Der Witwenstand ermöglichte den jüdischen Frauen neben der ökonomischen Autonomie auch die rechtliche. Die Geldleihe der Jüdinnen unterschied sich nicht von der ihrer männlichen Kollegen. Sowohl die Kundenstruktur und die Betriebsweise, als auch die Kapitalausstattung stimmten mit der männlichen Kreditstruktur überein28.
Auch in Koblenz gab es eine bekannte Frau im jüdischen Kapitalmarkt. Wie schon erwähnt hatte Reynette den „ Löwenanteil “ der vier herausragenden Kreditgeber. Von 132 Krediten nach 1349 schloss Reynette 60 Verträge ab. Insgesamt gab es nach 1349 14 Kreditsummen, die zwischen 1000 und 8000 fl. lagen. Von diesen 14 tätigte Reynette zehn alleine. Außerdem gab es einen weiteren über 2500 fl., den sie zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter abschloss. Reynette gehörte nach den Pestverfolgungen neben zwei oder drei Kölner Juden zu den finanzstärksten Kreditgebern im Rheinland29. Die weibliche Geldleihe stand der der Männer in nichts nach.
Teil 2: Zum Vorwurf des jüdischen Wuchers in Widerspruch zur Akzeptanz bei der christlichen Gesellschaft
I. Gründe der Juden für die Beschäftigung im Geldhandel
Der Geldgeber gehörte mit Abstand zu den wichtigsten Berufen im Mittelalter, auch noch im 14. Jahrhundert. Er sicherte den Juden die Existenz, vor allem in städtischen Gemeinden, da er ihnen sowohl die Aufenthaltsgenehmigung als auch Schutzbriefe ermöglichte. Man muss sich nochmals vor Augen führen, dass Juden gerade wegen ihrer Funktion als Kreditgeber in vielen Städten angesiedelt wurden. So nahm der Bischof Rüdiger von Speyer am 13. September 1084 Juden auf, weil er aus dem ländlichen Speyer eine „urbs“ machen wollte. Er glaubte so, die Ehre der Stadt zu erhöhen. Gemeint ist hier das wirtschaftliche Ansehen der Stadt30.
Andere Berufe minderten zudem die Chance der Sättigung. Außerdem nutzen die Juden eine Nische, da es Christen nicht erlaubt war, Geld auf Zins zu leihen31. Die Frage ist nun, ob es Juden generell erlaubt war!
II. Wuchertheorien
Wucher war zum einen „ alles, wasüber die ursprünglich ausgeliehene Summe hinaus zurückbezahlt wurde.“32 Dieser war im Mittelalter verboten, wobei man erwähnen muss, der Unterschied zwischen Sittenvorstellungen und Realität sehr groß war. Hingegen erlaubt war „ census “ und „ reditus “, Pacht-, Leih- und Mietzins für fruchttragende Güter, vor allem Immobilien. Die Kirche verbot vor allem Zinsen auf Darlehen, aber auch den Preiswucher durch überhöhte Preise. Die Wuchergesetzgebung Karls des Großen zielte auf den Schutz und Erhalt der „ kleinen Leute “.
III. Die Bedeutung des Wucherverbotes für den jüdischen Geldhandel
Die christlichen Gebote waren nicht für Juden geschrieben, sie galten für sie nicht33. Das heißt aber nicht, dass jeder Jude Geld auf Zins verleihen durfte. Es gab gesonderte Wucherprivilegien, die ein klares Ausnahmerecht darstellten. Wurde ihnen ein solches Privileg nicht zuteil, so war es ihnen verboten, Geld auf Zins zu leihen. Bei der Vielzahl der Privilegien an jüdische Geldleiher und der hohen Anzahl jüdischer Kreditgeber stellt sich mir jedoch die Frage, ob der jüdische Geldverleih nicht doch einfach üblich war. Auch wenn sie vielleicht der Form wegen eines solchen Privileges bedurften, stand ihnen der Geldhandel doch weithin offen. Er wurde mehr als geduldet, er wurde gefördert34 und benötigt. Hier von Einzelfällen zu sprechen und darauf zu bestehen, dass Juden diese Sonderrechte brauchten, um ihrer Tätigkeit ausführen zu können, halte ich für kleinlich. Juden war das Geldleihen auf Zins erlaubt. Genau dies verdeutlicht meiner Ansicht die Kluft zwischen verschriftlichten Moralvorstellungen bzw. Gesetzen und alltäglicher Verfahrensweise.
IV. Gründe der Kreditaufnahmen
Zum Anfang können wir die Ausführungen von 1.IV. nochmals Revue passieren lassen. Die Zinsen der Juden waren vor allem aus heutiger Sicht beträchtlich hoch. Hinzu kam, dass sie oft nicht als solche auf den Urkunden erschienen. Versteckte Zinsen waren eventuell nicht von jedermann durchschaubar. Bekannt war aber jedem, dass jüdische Kreditgeber hohe Zinsen nahmen, was oft auch zu Anfeindungen führte. Warum also wollte man diese Juden in der eigenen Heimatgemeinde ansiedeln, warum lieh man bei ihnen?
Lange galt die Hungernot als das Hauptmotiv für das Geldleihen. Dieses ist aber häufig wiederlegt worden. Nicht existenzielle Not brachte dem Juden die Kundschaft, sondern die Zunahme der Wirtschaftlichkeit im Mittelalter: die Chance auf ein Handelsgeschäft oder einen besonders günstigen Rohstoffkauf sicherte dem jüdischen Kreditgeber die Existenz. In Straubing in Niederbayern steigerte sich beispielsweise das Kreditbedürfnisse nach der Erntezeit in allen Sozialschichten, d.h. es handelte sich auf keinen Fall um Kreditaufnahmen um zu überleben.35
Trotzdem könnte man sich fragen, warum sich die Menschen kein Geld gespart hatten. Im Mittelalter war sehr wenig Geld im Umlauf, da häufig in Naturalien gezahlt wurde oder schlichte Tauschgeschäfte getätigt wurden. So wurden z.B. auch Kredite mit Naturalien zurückgezahlt. Reynette erhielt von der Andernacher Gemeinde, als sie ihrer Kapitalschuld von 8000 fl. nicht mehr nachkommen konnte, an Stelle der normalen Rate von 1000 fl. Wein im selben Wert36.
Mit der Zunahme der Wirtschaftlichkeit stieg also auch die Nachfrage nach Bargeld, mit dieser wiederum die Nachfrage nach finanzkräftigen Finanziers. Da die Geldleihe den Christen aber sowohl kirchlich als auch weltlich verboten war, brauchte man die Juden. Denen war sie zwar prinzipiell auch nicht gestattet, doch es zeigte sich, wie in 2.II dargestellt, dass die Ausnahmen zur Regel wurden. Außerdem waren die Juden die einzigen, die sich mit Geldgeschäften auskannten. Die damalige Gesellschaft benötigte ihr Wissen und Können im Kreditwesen.
Literaturverzeichnis
I. Quelle:
Westfalica Judaica. Urkunden und Regesten zur Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe, Bd. I:1005-1350, hg. von Bernhard Brilling und Helmut Richterling, Stuttgart u. a. 1967 (Studia Delitzschiana), S. 145 f., Nr. 145
II. Sekundärliteratur:
1.
CARO, Georg: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden im Mittelalter und der Neuzeit, Bd. 1: Das frühe und hohe Mittelalter, 2. Aufl., Frankfurt 1924; Bd.2: Das späte Mitelalter, Frankfurt 1920; 2 Bde.: Neudr. Hildesheim 1964
2.
CLUSE, Chistoph: Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden, Hannover 2000 (Forschungen zur Geschichte der Juden A 10)
3.
Germania Judaica III/3, Wirtschaft
4.
GILOMEN, Hans-Jörg: Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), S. 265-301
5.
MENTGEN, Gerd: Herausragende jüdische Finanziers im mittelalterlichen Straßburg, in: Hochfinanz im Westen des Reiches 1150-1500 [119], hg. von Friedhelm BURGARD, Trier 1996, S. 75-100
6.
SHATZMILLER, Joseph, Shylock Reconsidered. Jews, Moneylending, and Medieval Society, Berkley, Los Angeles, Oxford 1990
7.
TOCH, Michael: Geld und Kredit in einer spätmittelalterlichen Landschaft. Zu einem unbeachteten hebräischen Schuldenregister aus Niederbayern (1329- 1332), in: Deutsches Archiv 38 (1982), S. 499-550
8.
TOCH, Michael: Geldleiher und sonst nichts? Zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden im deutschen Sprachraum des späten Mittelalters, in: Zur Sozial- und Begriffsgeschichte des Mittelalters, hg. von Shulamit VOLKOV und Frank STERN, Gerlingen 1993 (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 22), S. 117-126
9.
TOCH, Michael: Die jüdische Frau im Erwerbsleben des Spätmittelalters, in: Geschichte der jüdischen Frau in Deutschland, hg. von Julius CARLEBACH, Berlin 1993, S. 37-48
10.
TOCH, Michael: Wirtschaft und Geldwesen der Juden Frankfurts im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit, in: Geschichte und Kultur der Juden in Frankfurt, hg. von Karl Erich GRÖZINGER, Frankfurt/M. 1997
11.
WÜRDTWEIN, Nova Subsidia diplomata I, S. 125 f.
12.
ZIWES, Franz-Josef: Zum jüdischen Kapitalmarkt im spätmittelalterlichen Koblenz, in: Hochfinanz im westen des Reiches 1150-1500 [119], hg. von Friedhelm BURGARD, Trier 1996, S. 49-75
[...]
1 Michael TOCH, Geldleiher und sonst nichts? Zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden im deutschen Sprachraum des späten Mittelalters, in: Zur Sozial- und Begriffsgeschichte des Mittealters, hg. von Shulamit VOLKOV und Frank STERN, Gerlingen 1993 (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 22), S. 117-126.
2 Hans-Jörg GILOMEN, Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in. HZ 250 (1990), S. 274; „ ..., denn die Juden sind spätestens im 14. Jahrhundert auf das kleine Pfandleihgeschäft beschränkt worden,... “.
3 GILOMEN, wie Anmerkung 2, S. 290.
4 Westfalica Judaica, hg. von Bernhard BRILLING und Helmut RICHTERING u.a. 1967 (Studia Delitzschiana), S. 145 f., Nr.145.
5 Aus der Urkunde Gottschalks; siehe Anmerkung 4.
6 Das Konsortium Gottschalks von Recklinghausen wurde eingehend von Dr. Christoph Cluse behandelt: Christoph CLUSE, Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden, Hannover 2000 (Forschungen zur Geschichte der Juden A10), S. 124-132.
7 Franz.-Josef ZIWES, Zum jüdischen Kapitalmarkt im mittelalterlichen Koblenz, in : Hochfinanz im Westen des Reiches 1150-1500, hg. von Friedhelm Burgard, S.60-64.
8 CLUSE, wie Anmerkung 6, S. 129.
9 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 60.
10 GILOMEN, wie Anmerkung 2.
11 CLUSE, wie Anmerkung 6, S. 130-131.
12 Michael TOCH, Wirtschaft und Geldwesen der Juden Frankfurts im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Kultur der Juden in Frankfurt, hg. von Karl Erich GRÖZINGER, Frankfurt/M. 1997, S. 27-29; TOCH vergleicht hier Frankfurt mit Konstanz und Nürnberg.
13 ZIWES, wie Anmerkung 7.
14 Gerd MENTGEN, Herausragende jüdisch Finanziers im mittelalterlichen Straßburg, in: Hochfinanz im Westen des Reiches 1150-1500 [119], hg. von Friedhelm Burgard, Tier 1996, S. 77, 79-81.
15 CLUSE, wie Anmerkung 11.
16 MENTGEN, wie Anmerkung 14, S. 85.
17 CLUSE, wie Anmerkung 11.
18 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 54-55.
19 TOCH, wie Anmerkung 12, S. 27.
20 GILOMEN, wie Anmerkung 2.
21 CLUSE, wie Anmerkung 6, S. 127-128.
22 ZIWES, wie Anmerkung 7. S. 69.
23 MENTGEN, wie Anmerkung 14, S. 97.
24 MENTGEN, wie Anmerkung 14, S. 79-81.
25 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 66-67.
26 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 68: Fußnote 65.
27 Wie Anmerkung 4.
28 Michael TOCH, Die jüdische Frau im Erwerbsleben des Spätmittelalters, i: Zur Geschichte der jüdischen Frau in Deutschland, hg. von Julius CARLEBACH, Berlin 1993, S. 40-43.
29 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 64-65.
30 WÜRDTWEIN, Nova Subsidia diplomata I, S. 125 f.: “[ … ] cum ex Spirensi villa urbem facerem, putavi milies amplificare honorem loci nostri, si et iudeos colligerem.”
31 TOCH, wie Anmerkung 1, S. 118-119.
32 GILOMEN, wie Anmerkung 2, S. 269.
33 GILOMEN, wie Anmerkung 2, S. 272 f.
34 Wie Anmerkung 30: Bischöfe siedelten Juden an, wegen ihrer Funktion als Geldleiher, nicht trotz ihrer Bedeutung.
35 Michel TOCH, Geld und Kredit in einer spätmittelalterlichen Landschaft. Zu einem unbeachteten hebräischen Schuldenregister aus Niederbayern (1329-1332), in: DA 38 (1982), S. 514-515.
36 ZIWES, wie Anmerkung 7, S. 72.
- Quote paper
- Sonja Walther (Author), 1999, Die Juden im Wirtschaftsleben: Jüdische Geldleihe im 14. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102711
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