Die vorliegende Arbeit soll herausstellen, ob Wahlwerbespots nach den Kriterien einer vollständigen Textsortenanalyse als eine eigene Textsorte anzusehen sind. Zu diesem Zweck wird zunächst der Frage nachgegangen, welche gemeinsamen inneren und äußeren Merkmale die untersuchten Spots aufweisen. Sind ähnliche Textfunktionen sowie wiederholt auftretende rhetorische Stilmittel und Kommunikationsstrategien zu beobachten?
Es wird der Versuch unternommen, den Nachweis zu führen, wonach es sich bei Wahlwerbespots um eine eigenständige Textsorte innerhalb der Großtextsorte Werbespot handelt. Dazu werden verschiedene Beispiele auf gemeinsame Merkmale hin untersucht. Diese Analyse erfolgt hinsichtlich: Textfunktion, Kommunikationssituation, thematisch-struktureller sowie formal-grammatischer Merkmale.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden drei Wahlwerbespots näher betrachtet: Spots der SPD aus dem Jahr 1990, der APPD aus dem Jahr 1998 sowie der Partei mut von 2018. Es wird trotz der unterschiedlichen Realisationsformen sowie des abweichenden Zeitraums der Veröffentlichung versucht, einige Gemeinsamkeiten zwischen den untersuchten Spots festzustellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbetrachtung.
2. Der Wahlwerbespot als eigenständige Textsorte
2.1 Methodischer Ansatz und Vorgehen..
2.2 Textsortenanalyse des Werbespots der Partei mut zur bayerischen Landtagswahl
2.2.1 Untersuchung der Kommunikationssituation
2.2.2 Bestimmung von Textsorte und Textfunktion..
2.2.3 Untersuchung der thematisch-strukturellen und formal-grammatischen Merkmale
2.3 Textsortenanalyse des Werbespots der APPD zur Bundestagswahl
2.3.1 Untersuchung der Kommunikationssituation.
2.3.2 Bestimmung von Textsorte und Textfunktion
2.3.3 Untersuchung der thematisch-strukturellen und formal-grammatischen Merkmale..
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
5. Anhang
1. Vorbetrachtung
Bei Wahlwerbung handelt es sich um eine Sonderform der Textklasse Werbung. Die Zielgruppe besteht nicht aus Konsument*innen – wie für (massen-)mediale Werbekampagnen üblich – die dazu animiert werden sollen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen oder eine bestimmte Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Stattdessen zielt eine Wahlwerbung auf wahlberechtigte Bürger*innen ab, die dazu animiert werden sollen, der jeweiligen emittierenden Partei ihre Stimme zu geben.
Da Wahlen in der Bundesrepublik „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“ (Art. 38 GG) stattfinden, ist es jedoch schwierig bis nahezu unmöglich, die realen Auswirkungen von Wahl-werbung auf das Wählerverhalten zu ermitteln. Deshalb scheint bei Wahlwerbung zwangsläufig eher der olympische Gedanke „Dabei sein ist alles!“ im Vordergrund zu stehen: die Verantwortlichen in den Parteizentralen wollen auf dem Werbemarkt nicht unsichtbar bleiben und hintanstehen, wenn vermeintlich alle anderen Bewerber*innen dieses Mittel der Kommunikation für sich nutzen.
Anders liegt der Fall bei Werbemaßnahmen in der freien Wirtschaft: Angenommen, ein Autohersteller würde eine breite Werbeoffensive für ein neues Modell auf sämtlichen verfügbaren Plattformen wie Sozialen Medien, Fernsehen, Radio und Print starten. Eine nachweisbare Steigerung der Verkaufs-zahlen im nachfolgenden Zeitraum würde daher empirisch nachvollziehbar für einen Erfolg der Kampagne sprechen.
Vor allem durch die freie und geheime Stimmabgabe bei einer Wahl ist der Nachweis über den Erfolg einer politische Wahlkampagne nicht ohne weiteres möglich, wenn überhaupt. Ein weit verbreitetes Bonmot hierzu lautet, dass man „Menschen nicht in die Köpfe schauen“ kann – genauso wenig wie in die Wahlkabinen, erfreulicherweise. Deshalb verweist diese Arbeit für die Untersuchung des realen gesellschaftlichen und politischen Einflusses von Wahlwerbung an dieser Stelle auf weitergehende Studien in der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Psychologie und der Medienwissenschaft.
Diese Arbeit konzentriert sich auf die textlinguistische Analyse von Wahlwerbespots. Dazu ist es zuerst notwendig, einen allgemeinen Textbegriff zu definieren. Klaus Brinker versteht unter einem Text „eine sprachliche und zugleich kommunikative Einheit […], eine begrenzte, grammatisch und thematisch zusammenhängende (kohärente) Folge von sprachlichen Zeichen, die als solche eine erkennbare kommunikative Funktion (Textfunktion) realisiert“ (Brinker 2008, 19-20). Da in den untersuchten Werbespots die Konstellation von zwei interagierenden Sprecher*innen zu beobachten ist, beziehe ich mich auf die Definition Brinkers, wonach ein Gespräch zu verstehen ist als „eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist“ (Brinker 2006, 11). Dialogizität wiederum beschreibt Wolgang Imo als „den Ansatz, Sprache grundsätzlich von ihrem tatsächlichen oder möglichen Potential ihrer dialogischen Wirkung her zu denken“ (Imo 2016, 338).
Diese Arbeit soll herausstellen, ob Wahlwerbespots nach den Kriterien einer vollständigen Text-sortenanalyse als eine eigene Textsorte anzusehen sind. Zu diesem Zweck wird zunächst der Frage nachgegangen, welche gemeinsamen inneren und äußeren Merkmale die untersuchten Spots aufweisen. Sind ähnliche Textfunktionen sowie wiederholt auftretende rhetorische Stilmittel und Kommunikationsstrategien zu beobachten?
Da die ausgewählten Exempel zu unterschiedlichen Zeiten sowie für Wahlen auf unterschiedlichen Verwaltungsbenen veröffentlicht wurden, würden Gemeinsamkeiten unter diesen Aspekten für die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Textsorte sprechen.
2. Der Wahlwerbespot als eigenständige Textsorte
2.1 Methodischer Ansatz und Vorgehen
Für die Bestimmung der Textfunktion entscheidend ist laut Brinker „der Sinn, den ein Text in einem Kommunikationsprozess erhält, bzw. der Zweck, den ein Text im Rahmen einer Kommunikations-situation erfüllt“ (Brinker / Cölfen / Pappert 2018, 78). Er unterscheidet dabei fünf Textsortenklassen:
- Informationstexte (u.a. Bericht, Sachbuch und Rezension)
- Appelltexte (u.a. Werbeanzeige, Kommentar, und Gesetz)
- Obligationstexte (u.a. Vertrag, Garantieschein und Gelöbnis)
- Kontakttexte (u.a. Danksagung, Kondolenzschreiben und Ansichtskarte)
- sowie Deklarationstexte (u.a. Testament und Ernennungsurkunde) (vgl. Brinker 1992, 125).
Dieser Unterscheidung folgend, fallen alle untersuchten Wahlwerbespots in die Kategorie Appelltexte. Um die Textfunktion der jeweiligen Spots näher zu bestimmen, erfolgt zudem eine Orientierung an der Klassifikation, welche Christian Fandrych und Maria Thurmair vorgenommen haben (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 29–33). Sie unterscheiden drei Funktionen, welche ein Text erfüllen kann:
- wissensbezogene Texte
- handlungsbeeinflussende / handlungspräformierende Texte
- sowie expressiv-soziale / sinnsuchende Texte.
Die Hauptfunktion wissensbezogener Texte liegt Fandrych und Thurmair zufolge in der Speicherung, Tradierung, Mitteilung und Bereitstellung von Wissenselementen. Sie differenzieren innerhalb dieser Kategorie zwischen Texten mit:
- konstatierend-assertierender, wissensbereitstellender Funktion (wie Lexikonartikel, Wetter-berichte und Reiseführer)
- argumentativer Funktion (zum Beispiel wissenschaftliche Artikel, Leserbriefe und themenbezogene Diskussionsforen)
- sowie bewertender Funktion (etwa Rezensionen, Theaterkritiken, Studienbewertungen und Gutachten) (Fandrych / Thurmair 2011, 29f.).
Nach der Definition der Autor*innen dienen handlungsbeeinflussende / handlungspräformierende Texte hauptsächlich der Festlegung eigener Handlungen seitens des Emittenten oder der Beeinflussung der Handlung der Rezipienten. Dabei klassifizieren sie die Texte in dieser Sparte nochmals nach Texten mit:
- instruktiver Funktion (u.a. Kochrezept, Spiel- oder Bedienungsanleitung)
- reglementierend-direktiver Funktion (wie Ordnungstexte, Gesetze und Satzungen)
- obligativ-sprecherbezogener Funktion (zum Beispiel Wahlprogramme, Gelöbnisse und Hochzeitsformeln)
- deklarierend-performativer Funktion (etwa mündlich durch Trauung und Taufe, sowie schriftlich fixiert bei Ernennungsurkunden oder Zeugnissen)
- appellativer Funktion (beispielsweise politische Werbung; Werbe-, Kontakt- oder Wohnungsanzeigen sowie humanitäre und politische Aufrufe)
- handlungsvorbereitender Funktion (wie Tagesordnungen, Skizzen und Exposés)
- und beratend-moralisierender Funktion (zum Beispiel Predigten, Kummerkästen und Beratungstexte) (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 31f.).
Die Hauptaufgabe expressiv-sozialer / sinnsuchender Texte besteht laut Fandrych und Thurmair darin, die Stellung des Individuums zu seiner sozialen Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Hierbei unterscheiden sie zwischen Texten mit:
- expressiv-sinnsuchender Funktion (u.a. Tagebuch, Blog, persönliche Briefe und E-Mails)
- kollektiv-selbstvergewissender Funktion (etwa Wahlkampfreden, ritualisierte religiöse Texte und Fan-Gesänge)
- phatischer Funktion (beispielsweise Genesungswünsche, Glückwunsch-
- unterhaltend-spielerischer Funktion (dazu zählen Witze, Märchen, zudem Kinder- und Phantasiegeschichten)
- sowie ästhetischer Funktion (zum Beispiel literarisch-ästhetisierende Texte) (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 32f.).
Dabei ist es an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass Texte neben ihrer Hauptfunktion auch weitere nachrangige Funktionen transportieren können.
Um eine Textsortenanalyse durchzuführen, folgt diese Arbeit den von Fandrych und Thurmair vorgeschlagenen Beschreibungsdimensionen. Das zentrale Kriterium ist hierbei neben der Textfunktion die Kommunikationssituation. In der Folge werden besondere Merkmale auf der thematisch-strukturellen sowie der formal-grammatischen Ebene untersucht.
Zur Bestimmung der Kommunikationssituation werden „alle situativ und kontextuell relevanten Parameter“ beschrieben, zum Beispiel:
- [Emittent] und Rezipient
- Kommunikationsbereich
- die Realisationsform (mündlich [oder] schriftlich)
- die Nähe zu konzeptioneller Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit
- Fragen der Reziprozität
- sowie der simultanen beziehungsweise nicht-simultanen Kommunikation (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 33).
Die Untersuchung von Realisation und Konzeption erfolgt im Kontext des Nähe-Distanz-Kontinuums von Koch und Oesterreicher, die einige Kommunikationsbedingungen gegenübergestellt haben, welche in die Analysen einfließen (vgl. Koch / Oesterreicher 2008, 201). Zusätzlich kommt das Modell der Kommunikationskreise von Burger und Lugingbühl zur Anwendung. Sie unterscheiden zwischen dem inneren Kreis des Dialoggeschehens und dem äußeren Kreis der Beziehung der Dialogteilnehmer*innen zum Publikum (vgl. Burger / Lugingbühl 2014, 23).
Bei dem angesprochenen Personenkreis handelt es sich zumeist um ein disperses Publikum. Dieses wird dadurch gekennzeichnet, dass die Rezipient*innen zwar dasselbe (Massen-)Medium benutzen, jedoch räumlich und oft auch raumzeitlich voneinander getrennt sind. Deshalb bleibt das disperse Publikum auch inhomogen, unstrukturiert und weist untereinander keine direkten zwischen-menschlichen Beziehungen auf (vgl. Maletzke 1963, 32).
Unter den Aspekten der thematisch-strukturellen Ebene sind neben der Textarchitektur auch die Vertextungsstrategie sowie die Mittel der Textprogression zu verstehen. Auf formal-grammatischer Ebene „erfolgt die Beschreibung spezifischer sprachlicher Merkmale: etwa (text-)grammatischer Strukturen (wie Passiv, Wortstellung, Tempus, Attribuierung [und] Pronominalisierung), aber auch stilistischer und lexikalischer Kennzeichen in ihrer Funktionalität“ (Fandrych / Thurmair 2011, 34).
Um geeignete Spots für eine Textsortenanalyse auszumachen, wurde eine ausführliche Sichtung verschiedener Wahlwerbespots auf der Videoplattform YouTube durchgeführt. Daraufhin wurden die Werbespots der SPD zur Bundestagswahl 1990, der APPD zur Bundestagswahl 1998 sowie der Partei mut zur bayerischen Landtagswahl 2018 zur näheren Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit ausgewählt. Um die Spots textlinguistisch bearbeiten zu können, war es zuerst notwendig, sie in einem Prozess der Verschriftung in Transkripte zu überführen (vgl. Koch / Oestereicher 2008, 200).
Diese Transkriptionen wurden nach den Konventionen des Gesprächsanalytischen Transkriptions-systems 2 (GAT 2) durchgeführt. Dabei wurden beispielsweise nur Pausen vermerkt, die eine signifikante Länge aufwiesen und Aspirationen nur, wenn sie wirklich deutlich hörbar waren. Während des Transkriptionsprozesses fiel der Umstand auf, dass bei der verwendeten Aufzeichnung des Wahlwerbespots der SPD von 1990 die Eingangsfrage des Interviewers für die Straßenumfrage abgeschnitten war. Aufgrund des Alters des Videomaterials war es nicht ohne größere Umstände möglich, eine vollständige Aufzeichnung beizubringen. Deshalb fiel die Entscheidung für dieses Exempel auf eine Minimaltranskription des vorhandenen Materials, um es trotzdem an passenden Stellen der Arbeit zum Vergleich heranziehen zu können (siehe: Anlage 5). Von den übrigen Spots wurden vollständige Transkripte erstellt, auf welche die beschriebenen kombinatorischen Kriterien einer Textsortenanalyse angewandt wurden.
2.2. Textsortenanalyse des Werbespots der Partei mut zur bayerischen Landtagswahl 2018
2.2.1 Untersuchung der Kommunikationssituation
Zunächst wurde die Kommunikationssituation untersucht, durch die der Wahlwerbespot der Partei mut Bayern gekennzeichnet ist. Beim Kommunikationsbereich handelt es sich hier zweifelsfrei um das Feld der Politik. Bei der Untersuchung der Kommunikationskreise ergibt sich, dass im inneren Kreis der Dialog zwischen den Spitzendkandidat*innen zur Landtagswahl, Claudia Stamm und Matthias Matuschik, abläuft (vgl. Burger / Lugingbühl 2014, 23). Diese befinden sich auf einer Alpenwiese, im Hintergrund sind je nach Sprecher*in abwechselnd eine Kapelle und ein Berg-panaroma zu sehen. Durch die Wahl des Schauplatzes soll mit Klischees und der Erwartungshaltung des vermeintlich idyllischen bayerischen Lebensgefühls (des ikonischen „Mia san mia!“) gespielt werden.
Den äußeren Kreis stellen die 8,3 Millionen Wahlberechtigten in Bayern dar. (vgl. ebenda). Diese fungieren als disperses Publikum, welches durch die Ausstrahlung im Bayerischen Rundfunk, den Sozialen Medien sowie im Kino einen Zugang zu dem Spot erhält (vgl. Maletzke 1963, 32). Eine Mehrfachadressierung des Publikums findet absichtlich, willentlich und bewusst statt (vgl. Kühn 1995, 63). Die Adressierung der Wähler*innen geschieht in den meisten Fällen implizit, da diese durch die Verwendung des Personalpronomens wir (vgl. Anlage 1: Belegstellen 05, 08, 16, 20 und 21) sowie das personifiziert verwendete Bayern (vgl. Anlage 1: Belegstellen 11, 12 und 15) bereits mitgedacht und angesprochen werden. An einer Stelle adressiert Claudia Stamm die Wähler jedoch explizit-averbal: „ ja stimmt aber wir brauchen mUT. und mut <<zur Kamera>> ist wä:hlBAR! “ (Anlage 1: 21).
Nach diesem Bruch der Vierten Wand – einem aus dem post-dramatischen Theater bekannten Stilmittel – befinden sich die Spitzenkandidat*innen in direkter Ansprache zum dispersen Publikum. Dies wird am deutlichsten, wenn Matthias Matuschik in seinem letzten Satz die Wähler explizit-verbal anspricht: „ mUT wÄHln mit bEIden stimmen is des kla::? “ (Anlage 1: 24).
Die Realisationsform ist konzeptionell schriftlich, jedoch mündlich vorgetragen. Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich um einen fingierten Dialog mit inszenierter Spontaneität handelt, dem ein schriftliches Skript zugrunde liegt (vgl. Burger / Lugingbühl 2014, 174). Daraus ergibt sich im Nähe-Distanz-Kontinuum die Einordnung graphisch/gesprochen (vgl. Koch / Oesterreicher 2008, 200f.). Den Kommunikationskriterien zufolge ist das analysierte Gespräch relativ privat, die Kommunikationspartner*innen wirken relativ vertraut, befinden sich in einem Zustand der raum-zeitlichen Nähe sowie relativ hoher kommunikativer Kooperation. Die Dialogizität ist durch die häufigen Sprecher*innenwechsel recht hoch, jedoch kann von Spontaneität keine Rede sein und auch die Themen sind stark fixiert (vgl. Koch / Oesterreicher 2008, 201). Die Wirkung auf den Rezipienten erfolgt zeitversetzt (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 33).
2.2.2 Bestimmung von Textsorte und Textfunktion
Bei der Betrachtung der Textsorte ist festzustellen, dass es sich um einen Text aus dem Bereich der Großtextsorte Werbespot handelt. Er fällt zudem in die vermutete Kategorie der Textsorte Wahlwerbespot. Als Teiltext ist der Dialog der beiden Spitzenkandidat*innen Claudia Stamm und Matthias Matuschik zu betrachten. Daneben handelt es sich bei dem Abspann mit Parteilogo, Spruchband und Domain um einen Subtext. Dazu Fandrych und Thurmair: „Wir sprechen von Teiltexten, wenn die hierarchisch kleineren Einheiten funktional gleich sind und von Subtexten, wenn die Textfunktionen variieren. Subtexte können mehr oder weniger in sich abgeschlossen sein, zentral ist aber, dass ihre kommunikative Funktion und Zweckhaftigkeit wesentlich erst durch die Gesamt-Textfunktion der Großtextsorte bestimmt wird. Sie sind somit Teil eines übergeordneten Funktionsganzen und beziehen sich auch deutlich darauf“ (Fanrych / Thurmair 2011, 26).
Die dominierende Textfunktion ist appellativ, da die Wähler aufgerufen werden, die Partei zu wählen. Der Spot fällt somit in den Bereich handlungsbeeinflussenden und handlungs-präformierenden Texte (vgl. Fandrych / Thurmair 2011, 31f.). Als Nebenfunktionen sind die obligativ-sprecherbezogene Funktion (Darstellung des Wahlprogramms), die unterhaltend-spielerische Funktion (auch wenn die Scherze und Anspielungen ein großes Vorwissen über die handelnden Figuren voraussetzen, die wohl bei den wenigsten Wähler*innen gegeben sein wird) sowie die kollektiv-selbstvergewissernde Funktion (Einblendung des Parteilogos und mehrmaliges Nennen des Parteinamens) festzustellen (vgl. ebenda).
2.2.3 Untersuchung der thematisch-strukturellen und formal-grammatischen Merkmale
Auf der thematisch-strukurellen Ebene ist zu erwähnen, dass der Subtext nahtlos durch die Einblendung des Kameraflugs mit der Drohne an den Dialog angeschlossen ist. Die Textprogression findet weitestgehend durch den Sprecher*innenwechsel statt, bei dem die Dialogpartner*innen die Äußerungen des anderen fortführen oder ergänzen. Es ist an einigen Stellen Simultansprechen zu beobachten, das meist zu einem direkten Sprecher*innenwechsel führt (vgl. Anlage 1):
- 05 CS: wir brauchen neue ideen bei der energiewENDE(.) Konzepte für integration und INklusion öffentlichen nahverkehr sicherheit [ spolitik ] 06 MM:<<abfällig>> [ ratter, ratter, ratter, ratter, ratter ]
- 14 MM: JA. aber die wiesen sind zubetoniert. und das internet draußen aufm land ist zu la::ng [ sa:m. ] 15 CS: [ JA ]
- 19 CS: <<ironisch>> ja, da denkst du an deine fAST schulpflichtige tochter, he:? du ego [ ist ] 20 MM: ((deutet mit dem Zeigefinger auf CS)) [ wÄH! ]
Bei der Untersuchung der formal-grammatischen Ebene fällt auf, dass durch die Verwendung von Umgangssprache Nähe erzeugt werden soll, sowohl zwischen den Dialogpartner*innen im inneren Kommunikationskreis als auch zwischen den Sprecher*innen und dem dispersen Publikum. Bereits in der initialen Ansprache nennt Claudia Stamm ihr Gegenüber bei seinem Spitznamen: „ <<schnippisch>> hey matuschke! was machstn du hier? du wolltest doch auswandern? “ (Anlage 1: 01). Diese Bezeichnung Matuschiks ist durch dessen Radiosendung einem breiten Publikum in Bayern geläufig. Ihre Verwendung soll ein freundschaftliches und nicht nur politisch-professionelles Verhältnis zwischen den Protagonist*innen demonstrieren, aber beiläufig auch den Effekt eines Wissenszuwachses bei den adressierten Wählern hervorrufen, dass der bekannte Moderator jetzt auch für die Partei mut zur Landtagswahl antritt und so in deren Bewusstsein eine Verknüpfung zwischen beruflicher Tätigkeit und politischer Funktion Matuschiks herstellen. Noch deutlicher wird dieser Aspekt, wenn sich Stamm im weiteren Verlauf der Wendung „ politikernEULING mATUSCKE “ bedient (Anlage 1: 07). Dies spricht desweiteren eindeutig für eine fingierte Gesprächssituation, der ein vorgefertigter Text zugrunde liegt: das Kompositum „ politikernEULING “ ist zwar kein direkter Neologismus, wird aber so gut wie nie verwendet, was auch die Korpusrecherche im DWDS belegt, die keine passende Belegstelle liefern konnte (vgl. DWDS, Suchbegriff: „ Politikerneuling “). Es bleibt dennoch festzuhalten, dass sich selbst das Spitzen-personal einer politischen Partei im Alltag niemals so anreden würde.
Ebenso soll durch den fränkischen Lokalkolorit von Matthias Matuschik Nähe zum Publikum hergestellt werden: „ich bin kein egoist und GEnau des brauchen wir in bayern nicht nämlich egoistische Politik! bAH! “ (Anlage 1: 20) sowie „ mUT wÄHln mit bEIden stimmen is des kla::? “ (Anlage 1: 24). Im politischen Betrieb sind die Akteur*innen sonst um die Verwendung der Hochsprache bemüht, weshalb dadurch ein gewisser Kontrast erreicht werden kann.
Als rekurrierendes Stilmittel fallen besonders die Konstruktionen [ Bayern braucht + NP] und [ wir brauchen + NP] auf. An einer Stelle erscheinen die Elemente gar kombiniert zu [ brauchen wir in Bayern + NP]: „ ich bin kein egoist und GEnau des brauchen wir in bayern nicht nämlich egoistische Politik! “ (Anlage 1: 20).
Die Konstruktion [ Bayern + NP] ist an vier Stellen im Spot auszumachen:
- bayern braucht drINGEND neue politik! (Anlage 1: 02)
- bayERN braucht ne gute Polizei, aber sICHER kein neues polizeiaufgabengeSETZ. (Anlage 1: 11)
- bayern braucht (-) perspektI:VEN für alle die hier leben (.) und ganz bestimmt keine_e ANKERzentren und keine Abschiebungen äh in krIEGSgebiete (Anlage 1: 12)
- [JA ] aber bayern braucht nACHhaltige wirtschaft mit gUTer digitaler infrastruktur °h (Anlage 1: 15)
Zudem sind fünf Belege für die Verwendung der Konstruktion [ wir brauchen + NP] im Text auszumachen:
- wir brauchen neue ideen bei der energiewENDE(.) Konzepte für integration und INklusion öffentlichen nahverkehr sicherheit[spolitik] (Anlage 1: 05)
- wir brauchen energie aus sONNE, aus wIND, aus bIOGASanlagen (.) aber wir brauchen ganz bestimmt keine
stRO:mtRASsen und bITTE keine atomkraftwerke. (Anlage 1: 08)
- wir brauchen eine faire landwirtschaft die gut ist zu mensch, natur UND tIER (Anlage 1: 15)
- wir brau:chen (.) faire bezahlung für pflegekräfte bitTE! (Anlage 1: 16)
- ja stimmt aber wir brauchen mUT. (Anlage 1: 21)
Durch die Auslassung von Silben und Buchstaben soll Alltagssprache simuliert werden (Anlage 1):
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- Quote paper
- Falk Kurt Bräcklein (Author), 2019, Klassifizierung von Wahlwerbespots als eigenständige Textsorte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1024667
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