Ist Gier tatsächlich ein moralisch verdammenswertes Laster, das in der deutschen Wirtschaft keinen Platz haben sollte? Oder fördern gerade Laster die allgemeine wirtschaftliche Wohlfahrt wie es Bernard Mandeville in seiner „Bienenfabel“ 1705 propagierte?
Die Frage nach den Wurzeln, den Grundwerten und dem Menschenbild der Sozialen Marktwirtschaft, insbesondere nach der Rolle des Eigeninteresses, bildet den Schwerpunkt dieser Arbeit. Zunächst werde ich den ethischen Kontext zu Mandevilles Zeiten darstellen und verschiedene tugendethische Konzepte betrachten, insbesondere von Aristoteles, Thomas von Aquin, der puritanisch-calvinistischen Ethik und von Shaftesbury. Mandeville brach mit seiner „Bienenfabel“ mit der traditionellen Einheit von Individual- und Sozialethik. Neben Mandevilles Menschen- und Gesellschaftsbild, das sich im Wesentlichen auf Thomas Hobbes stützt, werde ich vor allem auf das Mandeville-Paradoxon, wonach es gerade die persönlichen Laster der Menschen sind, die zum Allgemeinwohl führen, ausführlich eingehen. Den nächsten großen Themenkomplex werden die Konzepte des Klassischen Liberalismus (Adam Smith) und des Libertarismus (Friedrich August von Hayek) bilden. Im Anschluss werde ich auf die Entwicklung der Idee der Sozialen Marktwirtschaft eingehen, wie sie ursprünglich angedacht war ausgehend von der Kritik der ordoliberalen Schule am Klassischen Liberalismus. Die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft liegen vor allem im Ordoliberalismus, wie ihn Walter Eucken vertreten hat. Anschließend werde ich das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft betrachten und dabei auf die Ansätze von Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack, dem Namensgeber der „Sozialen Marktwirtschaft“, sowie die Katholische Soziallehre mit ihren Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität als weitere Quelle der Sozialen Marktwirtschaft eingehen. Das der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegende Menschenbild und die dem Staat zugedachte Rolle in der Wirtschaft werde ich besonders hervorheben. Zuletzt werde ich noch die Position der katholischen Kirche, vor allem die Ansichten von Oswald von Nell-Breuning, zur Wirtschaftsordnung erläutern. Im Ergebnis werde ich die Konzepte von Mandeville und der Sozialen Marktwirtschaft abschließend würdigen und den Bezug zur heutigen deutschen Wirtschaft herstellen. Dabei werde ich vor allem auf die aktuellen Probleme und Herausforderungen für die Soziale Marktwirtschaft eingehen und mögliche Lösungen thematisieren.
I. Einleitung
Als Mitte des Jahres 2008 die Blase am Hypothekenmarkt in den USA platzte, wurde eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die letztlich in eine weltweite Wirtschaftskrise mündete. War die Krise zunächst noch auf einige Banken beschränkt, die aufgrund von wertlos gewordenen Wertpapieren und dem daraus resultierenden Milliardenabschreibungsbedarf finanziell in Schieflage geraten waren, so weitete sie sich wegen der starken Vernetzung der Finanzinsti-tute rasch zu einer Krise des gesamten Bank- und Finanzwesens aus. Durch die daraufhin eintretende Kreditklemme gerieten auch Unternehmen aus anderen Branchen in finanzielle Schwierigkeiten: Die Finanzkrise war damit zu einer weltweiten Krise auch der Realwirt-schaft geworden. Um die einbrechende Konjunktur zu stützen und systemrelevante Banken vor der Insolvenz zu bewahren, die weitere Kettenreaktionen von verheerendem Ausmaß zur Folge gehabt hätte, wurden von den Regierungen weltweit gigantische Konjunktur- und Rett-ungspakete auf Kosten der Steuerzahler geschnürt und über neue Staatsverschuldung finanziert. Die Verantwortlichen der Krise schienen schnell gefunden zu sein: Investmentban-ker, die aus persönlicher Gier nach Bonuszahlungen, bei ihren Geschäften immer höhere Risi-ken eingegangen waren, bis diese nicht mehr tragbar waren und zum Zusammenbruch des Systems führten. Wurde nun in der Öffentlichkeit eine Schadensbeteiligung oder zumindest eine Entschuldigung der verantwortlichen Manager erwartet, so wurden diese Erwartungen enttäuscht. Stattdessen bekam die öffentliche Empörung durch Schlagzeilen über weitere Millionenzahlungen an Bankvorstände trotz Milliardenverlusten ihrer Institute neue Nahrung. So erhielt der Vorstand der Dresdner Bank trotz eines Milliardenverlustes insgesamt 58 Millionen Euro und damit mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr.1 Der Leiter der für die Milliardenabschreibungen verantwortlichen Investmentbank Dresdner Kleinwort hat dabei mit 8 Millionen Euro die höchste Abfindung erhalten. Auch der ehemalige Vorstandschef der Hypo Real Estate sorgte für Aufsehen, nachdem er das Institut auf Gehaltszahlungen von 3,5 Millionen Euro verklagte, obwohl die durch die Finanzkrise angeschlagene Bank der Pleite nur durch eine 100 Milliarden Euro-Stütze der Bundesregierung entgangen war.2 Angesichts solcher Meldungen erscheint die öffentliche Empörung über die scheinbar grenzenlose Gier der Manager verständlich. Es drängt sich allerdings die Frage auf, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Ist Gier tatsächlich ein moralisch verdammenswertes Laster, das in der deut-schen Wirtschaft keinen Platz haben sollte? Oder fördern gerade Laster die allgemeine wirt-schaftliche Wohlfahrt wie es Bernard Mandeville in seiner „Bienenfabel“ 1705 propagierte? Die Frage nach der Aktualität von Mandevilles Thesen und seinem Menschenbild stellt einen wichtigen Teil dieser Arbeit dar.
Angesichts der Krise ist es geboten, den Blick erneut auf die Wirtschaftsordnung der Bundes-republik Deutschland, die Soziale Marktwirtschaft, zu richten. Bundespräsident Köhler for-derte in seiner „Berliner Rede“ vom 24.03.09 eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der Sozialen Marktwirtschaft. Er kritisierte das Verhalten der verantwortlichen Manager, denen die Haltung „So etwas tut man nicht“3 abhanden gekommen sei. Jetzt gelte es aus dem Scha-den klug zu werden. Eigennutz im 21.Jahrhundert bedeute „sich umeinander kümmern“.4 Da-mit wandte sich Köhler gegen ein rein egoistisch-gieriges Verhalten ohne Rücksicht auf das Wohl der Mitmenschen. Die aktuelle Wirtschaftskrise sei „das Ergebnis von Freiheit ohne Verantwortung“5. Schrankenlose Freiheit berge Zerstörung. Der Markt brauche Regeln und Moral.6 Ein starker Staat solle dem Markt Regeln setzen und für ihre Durchsetzung sorgen. Köhler verweist auf die Soziale Marktwirtschaft. Sie sei mehr als eine Wirtschaftsordnung. Sie sei eine Werteordnung, die Freiheit und Verantwortung zum Nutzen aller vereinige.7 Auch Paul Kirchhof äußert sich ähnlich: Wir hätten eine gute Chance die gegenwärtige Krise zu bewältigen, „indem wir zur verantwortlichen Freiheit, zum lauteren Wettbewerb, zu einem Markt mit persönlicher Haftung zurückkehren.“8
Die Frage nach den Wurzeln, den Grundwerten und dem Menschenbild der Sozialen Marktwirtschaft, insbesondere nach der Rolle des Eigeninteresses, bildet den Schwerpunkt meiner Arbeit. Der Aufbau ist folgendermaßen gestaltet: Zunächst werde ich den ethischen Kontext zu Mandevilles Zeiten darstellen. Dabei werde ich zuerst das Verhältnis von Indi-vidualethik und Sozialethik behandeln. Anschließend werde ich verschiedene tugendethische Konzepte betrachten, insbesondere von Aristoteles, Thomas von Aquin, der puritanisch-calvi-nistischen Ethik und von Shaftesbury. Mandeville brach mit seiner „Bienenfabel“, die den Untertitel „Private Laster – öffentliche Wohltaten“ trägt, mit der traditionellen Einheit von Individual- und Sozialethik. Neben Mandevilles Menschen- und Gesellschaftsbild, das sich im Wesentlichen auf Thomas Hobbes stützt, werde ich vor allem auf das Mandeville-Paradoxon, wonach es gerade die persönlichen Laster der Menschen sind, die zum Allgemeinwohl führen, ausführlich eingehen. Den nächsten großen Themenkomplex werden die Konzepte des Klassischen Liberalismus, wie er von Adam Smith vertreten wurde, und des Libertarismus nach Friedrich August von Hayek bilden. Die Marktwirtschaft, die sich in der Wirtschaftsordnung des Klassischen Liberalismus herausbildete, ist wichtiger Bestandteil auch der heutigen deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Hayeks Libertarismus entstand paral-lel zum Ordoliberalismus, steht aber dem Klassischen Liberalismus inhaltlich deutlich näher. Vor allem Hayeks Idee einer spontanen Ordnung der Wirtschaft wird an dieser Stelle näher betrachtet werden. Im Anschluss werde ich auf die Idee der Sozialen Marktwirtschaft einge-hen, wie sie ursprünglich angedacht war. Nach einer Einleitung, in der ich die Notwendigkeit einer Rahmenordnung für die Marktwirtschaft und Besonderheiten des Konzeptes der Sozia-len Marktwirtschaft ansprechen werde, werde ich ausgehend von der Kritik der ordoliberalen Schule am Klassischen Liberalismus die Entwicklung der Idee der Sozialen Marktwirtschaft darstellen. Die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft liegen vor allem im Ordoliberalismus, wie ihn Walter Eucken vertreten hat. Anschließend werde ich das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft betrachten und dabei auf die Ansätze von Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack, dem Namensgeber der „Sozialen Marktwirtschaft“, sowie die Katholische Soziallehre mit ihren Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität als weitere Quelle der Sozialen Marktwirtschaft eingehen. Das der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegende Menschenbild und die dem Staat zugedachte Rolle in der Wirtschaft werde ich besonders hervorheben. Zuletzt werde ich noch die Position der katholischen Kirche, vor allem die Ansichten von Oswald von Nell-Breuning, zur Wirtschaftsordnung erläutern. Im Ergebnis werde ich die Konzepte von Mandeville und der Sozialen Marktwirtschaft abschließend würdigen und den Bezug zur heutigen deutschen Wirtschaft herstellen. Dabei werde ich vor allem auf die aktuellen Probleme und Herausforderungen für die Soziale Marktwirtschaft eingehen und mögliche Lösungen thematisieren.
II. Der ethische Kontext zu Mandevilles Zeiten
1. Zum Verhältnis von Individualethik und Sozialethik
Die Unterscheidung zwischen einer Individual- und einer Sozialethik entstand erst in der
Neuzeit. Die Individualethik sieht dabei das Individuum, die Person als Träger und Quelle der Moral an,9 während sich die Sozialethik mit der Bestimmung der sittlichen Form jener Ordnungen befasst, die das Handeln der Gesellschaft regeln.10 Das Handeln des Einzelnen spielt bei der Gestaltung dieser Ordnungen nur eine indirekte Rolle. Die Ethik der Antike und des Mittelalters war eine reine Tugendethik.11 Der tugendethische Ansatz beinhaltet eine Überprüfung der Intentionen, Motive und Verhaltensqualitäten des Individuums auf Tugend-haftigkeit.12 Der Bezug zur Gesellschaft und zum Allgemeinwohl wurde nicht problematisiert, weil davon ausgegangen wurde, dass, wenn sich die einzelnen Individuen tugendhaft verhal-ten, auch das Zusammenleben in der Gesellschaft harmonisch und friedlich verläuft und das Allgemeinwohl gefördert wird. So sagte beispielsweise Aristoteles: „Denn das Beste ist für den Einzelnen und für die Gemeinschaft ein und dasselbe […]“.13 Somit war in der vorneuzeitlichen Tugendethik bereits implizit eine Sozialethik im heutigen Verständnis enthalten. Es gab keine Trennung zwischen Individual- und Sozialethik; beide bildeten eine harmonische Einheit. In der Neuzeit trat zunehmend der Sozialbezug in den Fokus. Es genügte nun nicht mehr eine Handlung per se als gut oder schlecht zu beurteilen, sondern es erfolgte nun auch eine Überprüfung der Handlung unter den gegebenen sozialen Bedingungen.14 Das stellte eine fundamentale Neuerung der Sicht dar und führte zu einer Unterteilung der Ethik in Individualethik, Sozialethik und Umweltethik.15
Diese neue Sichtweise ist vor allem für die Beurteilung des Mandeville-Paradoxons relevant.
2. Konzepte der Tugendethik
2.1 Aristoteles (384-322 v.Chr.) als Vertreter der Antike
Aristoteles sieht den Menschen als biologisches Lebewesen, das aber im Unterschied zu anderen biologischen Lebewesen als einziges mit Vernunft (Logos), ausgestattet ist.16 Der Mensch ist von Natur aus weder Tier noch Gott, sondern ein Zwischenwesen, das grundsätz-lich sowohl zu einer untermenschlichen wie zu einer übermenschlichen Existenz fähig ist, je nachdem, ob sich der Mensch in seinem Tun eher von seinen Trieben oder von der Vernunft leiten lässt.17 Zu den menschlichen Trieben gehört alles, was sich zwischen den Polen „Lust“ und „Unlust“ befindet, die Begierden, Zorn, Angst, Freude, Neid etc..18 Wenn diese Triebe durch die Vernunft in die richtigen Bahnen gelenkt werden, befähigen sie den Menschen zum Erreichen großer Ziele.19 Durch die Vernunft erlangt der Mensch Einsicht in Gut und Böse. Sie ermöglicht dem Menschen die Verfolgung des höchsten Zieles, der Glückseligkeit (eudä-monia).20 Die Glückseligkeit besteht dabei nicht in einem Haben oder Bekommen, denn diese Güter sind auf weitere Ziele gerichtet, sondern Glückseligkeit kann für Aristoteles nur eine Tätigkeit sein.21 Der Mensch erreicht die Glückseligkeit nur in der Verwirklichung der Tugenden.22 Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Tugenden: die ethischen und die diano-etischen Tugenden. Bei den ethischen Tugenden kommt es auf die Kontrolle der praktischen Vernunft über die sinnlichen Triebe des Menschen an23, während die dianoetischen Tugenden Tugenden der theoretischen Vernunft sind: Wissen, Geist und Weisheit.24 Im Gegensatz zu den dianoetischen, angeborenen Tugenden, müssen die ethischen Tugenden erst erlernt und durch ständige Gewohnheit verinnerlicht werden.25 Das Ideal sieht Aristoteles in der Regel des goldenen Mittelweges (Mesotes-Lehre): Demnach ist jede vom Menschen angestrebte Tugend das Mittlere zwischen zwei Extremen, beispielsweise stellt die Tugend der Großzü-gigkeit die Mitte zwischen Verschwendung und Geiz dar.26 Da der Mensch als unvollkom-menes, triebgesteuertes Wesen die perfekte Mitte oftmals verfehlt, soll er, so empfiehlt Aristoteles, wenigstens den Weg wählen, auf dem er das kleinere Übel anrichtet.27 Letztlich haben aber alle Individuen die Chance, das Endziel der Glückseligkeit zu erreichen, wenn sie durch Lernen und Gewöhnen ihre Tugenden am Prinzip der Mitte ausrichten.28
Der Mensch ist von Natur aus ein soziales, auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen (zoon politikon).29 Deswegen kann er sich nach Aristoteles nur innerhalb des Staates dem höchsten Glück nähern.30 Neben dieser natürlichen Begründung der Staatenbildung existiert noch ein weiteres, ein egoistisches Motiv für die Vergesellschaftung: Da das Individuum unfähig ist, autark zu leben, und gleichzeitig das Verlangen nach einem höheren Lebensstandard hat, schließt es sich mit anderen aus einem eigennützigen Nutzenkalkül heraus zusammen.31
Der Staat ist bei Aristoteles kein Zweckverband zur Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern eine Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Weg zur Glückseligkeit.32 Da im Staat viele verschiedenartige Menschen zusammenleben, sieht Aristoteles die Notwendigkeit formeller, von Menschen gemachter Staatsgesetze, die den unvollkommenen Menschen als Orientierungshilfe bei der Tugendausübung dienen sollen.33
Die Gerechtigkeit, die bei Aristoteles eine der wichtigsten Tugenden darstellt, unterteilt er in eine Verteilungsgerechtigkeit und eine vertragliche, ordnende Gerechtigkeit.34 Die Vertei-lungsgerechtigkeit unterliegt dabei dem Maß der Proportionalität: Gleiche bekommen Gleiches und Ungleiche Ungleiches, damit der soziale Friede gewährleistet ist.35 Die vertragliche, ordnende Gerechtigkeit hat ihren Ursprung in der Lust am Gewinn, die in Betrug, Habgier und Eigennutz ausarten kann. Deswegen muss der Staat durch eine gesetzliche Regelung diese Leidenschaft kontrollieren.36
Bei der wirtschaftlichen Ordnung unterscheidet Aristoteles zwischen der natürlichen Erwerbskunst, der Ökonomik, und der unnatürlichen Erwerbskunst, der Chrematistik.37 Aristoteles akzeptiert die Ökonomik, da ihr Ziel lediglich in selbstgenügsamer Bedarfsdeck-ung besteht.38 Die Chrematistik dagegen, deren Ursprung in der Weiterentwicklung des Handels über die Grenzen der Selbstgenügsamkeit hinaus liegt und bei der der Erwerb Selbstzweck ist, lehnt Aristoteles als unnatürlich und unethisch ab.39 Er sieht in jedem Men-schen die Tendenz zum homo chrematisticus, der vom materiellen Wohlstand gelockt wird.40 Nur der Staat kann dieser Tendenz durch Gesetze und Kontrolle Einhalt gebieten.41
2.2 Thomas von Aquin (1225-1274) als Vertreter des Mittelalters
Nach Thomas von Aquin hat der Mensch eine angeborene Disposition zur praktischen Vernunft, die dem Naturrecht entspringt.42 Das Naturrecht repräsentiert die von Gott gegebe-nen Gesetze der Natur, die für alle Menschen kraft ihres Menschseins Gültigkeit besitzen und den Menschen als Vorlage für alle positiven Gesetze dienen.43 Das Gewissen des Menschen stellt die angeborene Erkenntnis der höchsten ethischen Prinzipien dar und ist von Geburt an auf das moralisch Gute ausgerichtet.44 Auch die Sünde ändert daran nichts. Das höchste Gute sieht Thomas von Aquin in der Gottesschau.45 Wie bei Aristoteles erreicht der Mensch das tugendhafte Leben durch stete Ausübung der Tugenden.46 Zentrale Tugenden sind für Thomas von Aquin neben den klassischen Tugenden (Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßi-gung) auch vor allem die christlichen Tugenden (Glaube, Liebe und Hoffnung).47 Die Tugend ist die erworbene Disposition zu ethisch gutem Handeln.48 Allerdings ist auch die Sünde eine erworbene Disposition. Sie besteht im Fehlen der ursprünglichen Gerechtigkeit und in der Begehrlichkeit.49 Der Mensch hat jedoch die Möglichkeit, sich durch die Sakramente, insbesondere durch Taufe und Buße, von der Sünde zu befreien.50
Nach Thomas von Aquin ist der Mensch ein Sozialwesen und lebt in einer Gemeinschaft, die ständisch und arbeitsteilig gegliedert ist.51 Jeder Mensch hat gemäß seiner Begabung in einem bestimmten Beruf durch Arbeit der Gesellschaft zu dienen.52 Als Idealform des Staates sieht Thomas von Aquin die Wahlmonarchie an.53 Der König muss für die Wohlfahrt seiner Bürger Sorge tragen, für ihren Lebensunterhalt, Gesundheit, Ausbildung, Schutz und Religion sor- gen.54 Der Staat ist der Kirche untergeordnet und ist nach dem Naturrecht zum Schutz der Religion verpflichtet.55
Im Gegensatz zu früheren Ansätzen im Mittelalter, wonach Privateigentum als Unrecht galt, weil die private Aneignung die gottgewollte gemeinschaftliche Widmung der Güter verletze56, sieht Thomas von Aquin das Privateigentum aus praktischen Gründen als rechtens an: Wie Aristoteles ist auch er der Meinung, dass der Mensch sich mehr um seinen Privatbesitz als um kollektives Eigentum kümmert.57 Durch Privateigentum wird außerdem z.B. in Haftungsfra-gen für klare Verhältnisse gesorgt und der soziale Friede bleibt gewahrt, wenn jeder Eigentum hat und damit zufrieden ist.58 Thomas von Aquin verweist aber auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, das der Natur nach weiterhin Gemeingut sei und infolgedessen auch Nicht-Eigentümer daraus Nutzen ziehen sollen dürfen.59
2.3 Die puritanisch-calvinistische Tugendethik
Der Puritanismus in England erlebte mit der Thronbesteigung von Jakob I. 1603 eine starke Ausbreitung.60 Die Puritaner sind Calvinisten im weiteren Sinne. Außer ihnen gab es in England noch zahlreiche weitere Untergruppen des Calvinismus.61 Im Menschenbild des Puritanismus hat der Mensch bereits durch die Erbsünde eine schlechte Disposition und Neigung zu weiteren Sünden.62 Ziel des Lebens ist die Seligwerdung, die der Mensch durch einen Gnadenbund mit Gott erreichen kann, vorausgesetzt er verpflichtet sich zu einem guten Leben.63 Der Mensch kann die Gnade Gottes nur erlangen, wenn er aufrichtig bereut, an Christus glaubt, umkehrt und einen neuen Gehorsam leistet.64 Das Ideal des Puritanismus besteht in einer frommen und ethischen Lebensführung, die sich vor allem in der Abkehr von allem Weltlichen und in einem vom Fleiß des Einzelnen geprägten und moralisch einwandfreien Leben zeigt.65 Der Mensch ist verpflichtet gute Werke zu vollbringen, um die göttliche Gnade zu erlangen.66 Er befindet sich dabei in einem ständigen Kampf gegen die lasterhafte Welt.67 Zur Orientierung und Anleitung, was moralisch gutes Handeln ist, steht dem Menschen mit dem Gewissen ein wirksames Instrument zur Verfügung. Das Gewissen als Instanz steht unter Gott, aber über dem Menschen.68 Jede Handlung, die gegen das Gewissen ausgeführt wird, ist Sünde.69 Somit nimmt das Gewissen im Puritanismus eine ebenso zentrale und wichtige Rolle ein wie bei Thomas von Aquin.
2.4 Shaftesbury (1671-1713) als Vertreter der Neuzeit
Shaftesburys Weltbild präsentiert sich als hierarchisch geordnetes System göttlichen Ursprungs, das durch die Harmonie seiner Teile gekennzeichnet ist.70 Tugend definiert sich dabei als die Liebe zu dieser harmonischen Ordnung des Universums.71 Shaftesbury ist somit ein Vertreter des englischen Deismus. Dass es sich bei Shaftesburys Konzept um ein neuzeitliches handelt, zeigt sich darin, dass Shaftesburys Konzept bereits eine Sozialethik beinhaltet: Der Mensch kann angesichts seiner Einbettung ins göttliche Universum nicht isoliert als Einzelindividuum betrachtet werden72, sondern sein Handeln vollzieht sich stets im gesellschaftlichen Kontext, hat also Auswirkungen auf andere, die ebenfalls mitberücksichtigt werden müssen.73 Der neuzeitliche Charakter von Shaftesburys Konzept wird auch darin deutlich, dass Shaftesbury, im Gegensatz zu Thomas von Aquin, die Moral als von der Religi-on unabhängig ansieht.74 Auch ein Atheist kann nach Shaftesbury tugendhaft sein.75
Der Mensch im Menschenbild von Shaftesbury trägt von Natur aus sowohl Altruismus wie Egoismus in sich.76 Moralisch werden diese natürlichen Leidenschaften allerdings unter-schiedlich bewertet: Nur Affekte, die dem allgemeinen Wohl dienen, sieht Shaftesbury als tugendhaft an.77 Zwischen den altruistischen und den selbstischen Neigungen muss eine Balance bestehen.78 Nach Shaftesbury ist das Individuum jedoch in erster Linie der Allge-meinheit verpflichtet. Somit hat bei der persönlichen Handlung das Allgemeinwohl Vorrang vor dem Einzelinteresse.79 Mit Hilfe des „moral sense“, der sich als Gewissen interpretieren lässt, kann der Mensch die Richtigkeit seines Handelns erkennen.80 Der „moral sense“ ist dem Menschen angeboren und wird durch Erziehung, Bildung und Erfahrung rationalisiert.81
Da im Menschen neben dem Egoismus auch der Altruismus angelegt ist, bedarf es zur Verge-sellschaftung keines Sozialvertrages, der die Überwindung des aggressiven Egoismus zum Zweck hätte.82 Die soziale Gemeinschaft beruht nach Shaftesbury nicht auf einem Vertrag, sondern auf dem Herdentrieb.83
In der Wirtschaft sieht Shaftesbury ein Spannungsverhältnis zwischen Eigeninteresse und All-gemeinwohl.84 Gewinnstreben erscheint ihm als bedenklich. Es besteht das Dilemma des Rechtfertigungszwanges des wirtschaftlichen Erfolgs.85 Demnach müssen Reiche ihren Pri-vatbesitz als Gemeinwohl fördernd rechtfertigen. In den frühmittelalterlichen Ansichten bis Thomas von Aquin, der diese Sichtweise revidierte, hatte dem Privateigentum ebenfalls stets der Verdacht angehangen, es sei unrechtmäßig und aus reinem Egoismus erworben worden.
III. Bernard Mandeville (1670-1733): Private Laster – öffentliche Wohltaten
1. Einleitung
Das Spottgedicht „Der unzufriedene Bienenstock“, das 1705 vom niederländisch-englischen Arzt Bernard Mandeville anonym veröffentlicht wurde und von ihm allmählich durch Kommentare, Essays und Dialoge zur heutigen Fassung der „Bienenfabel“ erweitert wurde86, sorgte für einen öffentlichen Skandal. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts herrschte weitgehend Konsens darüber, dass eine Korrelation bestehe zwischen dem Wohlverhalten des Einzelnen und dem der Gesellschaft.87 Moralisch und religiös tadelloses Verhalten des Einzelnen galt als Voraussetzung eines funktionierenden Sozialwesens.88 Unter dem Einfluss des Puritanismus wurde Konsum als verwerflich und als Ausdruck für ungezügeltes Ausleben von Privatinteressen angesehen. Privatinteresse galt als egoistisch, gemeinschaftsschädigend und als Zeichen moralischer Schwäche und Dekadenz.89 In der puritanisch-calvinistischen Sicht kommt gesellschaftlicher Wohlstand durch die Tugenden Sparsamkeit, Genügsamkeit und Fleiß zustande. Mandeville sprengte dieses Dogma, indem er den Tugenden das bessere Laster gegenüberstellte.90 Er attackierte den Puritanismus, indem er die wahren Motive des menschlichen Verhaltens und die Ursachen für gesellschaftlichen Fortschritt und Prosperität aufdeckte.91 Demnach seien gerade die privaten Laster notwendige Bedingung für das Allgemeinwohl.92 Diese Ansichten stießen insbesondere in kirchentreuen und idealistischen Kreisen auf heftige Kritik.93 Die herrschenden Schichten der Gesellschaft, die von Mandeville als besonders lasterhaft und untugendhaft entlarvt worden waren, waren besorgt um die gesellschaftliche Stabilität und ihren eigenen Machterhalt.94 Mandeville wurde von erbosten Zeitgenossen gelegentlich als „man-devil“ bezeichnet.95 Das Obergericht von Middlesex erklärte seine Theorie gar für umstürzlerisch und zwang Mandeville 1724 eine „Rechtfertigung“ zu schreiben.96 Das änderte jedoch nichts daran, dass die „Bienenfabel“ sehr populär war, ein kommerzieller Erfolg wurde und immer wieder um Ergänzungen erweitert neu aufgelegt wurde.97
2. Mandevilles Menschen- und Gesellschaftsbild
Mandevilles Menschen- und Gesellschaftsbild weist in vielen Teilen wesentliche Überein-stimmungen zum Bild von Thomas Hobbes (1588–1679) auf. Wie bei Mandeville liegt auch der Hobbesschen Theorie ein grundsätzlich negatives Menschenbild zugrunde. Das menschli-che Handeln ist immer selbstzentriert.98 Im Naturzustand sind alle Menschen zwar frei und gleich, aber auch gewalttätig und neidisch.99 Da eine Verbesserung der persönlichen Situa-tion nur auf Kosten anderer möglich ist, kann nur Feindschaft entstehen.100 Im Naturzustand herrscht somit ein permanenter Konkurrenzkampf zwischen den Menschen; jeder Mensch ist dem anderen Menschen ein Wolf („homo homini lupus“).101 Es herrscht eine vergiftete zwi-schenmenschliche Atmosphäre, in der eine friedliche Koexistenz nicht möglich ist.102 Die Selbsterhaltung ist das eigentliche Ziel des Menschen.103 Handlungen werden nur danach beurteilt, was dem Selbsterhaltungstrieb nutzt bzw. was ihm schadet.104 Der Selbsterhaltungs-trieb ist es auch, der die Menschen letztlich dazu bringt einen „Waffenstillstand“ in Form eines Gesellschaftsvertrages zur schließen, in dem alle Rechte auf einen Souverän übertragen werden.105 Das entstehende Gemeinwesen (Leviathan) ist dabei größer und stärker als die Summe seiner Mitglieder.106 Der Zustand des Friedens kann nur durch einen starken, autoritären Staat gewährleistet107 und durch Strafandrohung gesichert werden.108 Da die menschliche Natur sozial unverträglich ist und der Mensch keine interne Kontrolle über seine Leidenschaften besitzt, muss der Staat diese Kontrolle übernehmen und die Freiheiten des Individuums beschneiden und regulieren.109
Mandeville möchte die menschliche Natur darstellen, wie sie ist und nicht, wie sie sein sollte.110 Alle Gefühle und Triebe des Menschen sind angeboren111 und der Mensch wird von ihnen abwechselnd und unabhängig von seinem Willen beherrscht.112 Auch die Vernunft kann dem keinen Einhalt gebieten, sondern ist selbst „Sklavin der Leidenschaften“.113 Damit steht Mandeville in einem deutlichen Gegensatz zu Aristoteles, Thomas von Aquin oder John Locke, bei denen die Vernunft eine wichtige Instanz zur Kontrolle der Triebe darstellt. Den Selbsterhaltungstrieb sieht Mandeville wie Hobbes als den wichtigsten menschlichen Trieb an, denn im Menschen gibt es nichts, „was aufrichtiger gemeint wäre als sein Wille, Wunsch und Bemühen, das eigene Selbst zu erhalten.“114 Im Naturzustand kennt der Mensch mit dem Hunger und dem Geschlechtstrieb nur zwei Begierden.115 Er wird wütend, wenn man ihn an der Befriedigung seiner Bedürfnisse hindert.116 Wenn der Mensch nun mit anderen Menschen in einer Gemeinschaft zusammenlebt, vervielfältigen sich seine Bedürfnisse in dem Maße, wie sich seine Kenntnisse erweitern.117 Das führt allerdings dazu, dass der Mensch sich auch schneller bei der Verfolgung eines seiner Bedürfnisse gehemmt sieht, mit dem Ergebnis, dass seine Wut sich steigert.118 Mandeville kommt zu dem Schluss, dass, wenn man den Menschen unbeaufsichtigt ließe, dieser „in kurzer Zeit das schlimmste und verderblichste Geschöpf der Welt werden“ würde.119 Diese pessimistische Einschätzung des Menschen teilt Mandeville mit Hobbes. Die einzige Chance zur Vermeidung eines derartigen Zustands sieht Mandeville darin, dass die staatliche Obrigkeit dafür sorgt, dass die Schaden stiftende Wut des Menschen durch strenge Strafen niedergedrückt wird.120 Wenn die Gesetze streng ausgeübt werden, lehrt der Selbsterhaltungstrieb den Menschen, Frieden zu halten.121 Je mehr sich der Staat die Furcht der Menschen zunutze macht, desto gesitteter und lenkbarer sind die Menschen. Auch diese Ansichten sind bei Mandeville und Hobbes nahezu identisch. Die Furcht des Menschen, seine Neigung zu Ruhe, Frieden und Sicherheit und sein Bedürfnis nach ständiger Verbes-serungen der Lebensbedingungen führen dazu, dass sich der Mensch in seinem eigenen Inter-esse mit dem Zusammenleben mit anderen abfindet.122 Äußere Umstände wie die feindliche Natur, die z.B. Gifte, Naturkatastrophen und wilde Tiere hervorbringt, oder feindliche Mit-menschen beschleunigen dabei den Vergesellschaftungsprozess.123 Auch Aristoteles sah bereits, dass das Eigeninteresse, das auf das Streben nach einem höheren Lebensstandard gerichtet ist, ebenfalls ein Motiv für die Vergesellschaftung darstellen kann. Allerdings unterstellte Aristoteles dem Menschen auch einen natürlichen Geselligkeitstrieb, den Mandeville, genau wie Hobbes, nicht sieht.
3. Das Mandeville-Paradoxon
Das Mandeville-Paradoxon „Stolz, Luxus und Betrügerei /Muss sein, damit ein Volk gedeih’“124 oder, wie es im Untertitel der „Bienenfabel“ heißt, „private Laster – öffentliche Wohltaten“, bildet den Kern von Mandevilles Werk. Darin zeigt sich seine zentrale These, die bei seinen Zeitgenossen auf den größten Widerstand stieß: Es sind nicht die Tugenden, sondern die persönlichen Laster der Menschen, die das Allgemeinwohl fördern. Nach dem Verständnis der traditionellen aristotelischen Tugendlehre bestand das Gemeinwohl im tugendhaften Zusammenleben der Bürger in einem sittlich geordneten Gemeinwesen. Mandeville brach mit dieser Lehre und formulierte einen neuen Begriff des Gemeinwohls, wonach nationale Glückseligkeit, die in Reichtum, Macht, Ruhm und weltlicher Größe be-steht, nicht ohne Habgier, Verschwendung, Stolz, Neid, Ehrgeiz und andere Laster zu erreich-en ist.125 Zum Beweis seiner These führt Mandeville zahllose Beobachtungen lasterhafter Zeitgenossen an und bemüht sich darum, die positiven Seiten des Lasters hervorzuheben. Um seine Ausführungen besser nachvollziehen zu können, empfiehlt sich allerdings erst ein Blick auf die Definitionen der grundlegenden Begriffe der Tugend, des Lasters und des Allgemeinwohls.
Wahre Sittlichkeit besteht für Mandeville in der Aufgabe der selbstischen Neigungen.126 Tugend erfordert somit eine Selbstüberwindung, die nur die wenigsten Menschen erlangen. Jedes Verhalten, durch das sich der Mensch in dem Bestreben gut zu sein entgegen seinem Naturtrieb um das Wohl anderer bemüht, ist Tugend.127 Mandevilles Definition der Tugend ist also sehr eng gefasst, woraus sich im Umkehrschluss für das Laster eine sehr weite Definition ergibt: Alles, was nicht Tugend ist, muss folglich Laster sein. Mandeville geht aber noch weiter, indem er behauptet, dass wahre Tugend in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Die Menschen würden ihre wahre Gesinnung so wenig kennen, dass sie ihre Schwächen, Gefühle und Leidenschaften irrtümlich für Güte, Tugend und Barmherzigkeit hielten.128 In seiner „Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend“ bemüht sich Mandeville um den Nachweis, dass Sittlichkeit lediglich ein sozialpolitisches Erzeugnis aus Schmeichelei und Eitelkeit sei.129 Geschickte Politiker hätten die Tugend eingeführt, um die Menschen sich gegenseitig nützlich und überhaupt lenkbar zu machen.130 Diese These revidiert Mandeville aber im zweiten Band der „Bienenfabel“. Dort stellt er die plausible Hypothese auf, die moralischen Prinzipien seien mit der Sprache und dem Sozialisierungsprozess entstanden.131 Anständiges Betragen resultiert aus Eigenliebe, da jedermann als Person von Wert dastehen möchte.132 Die der gesellschaftlichen Praxis entspringenden Verhaltensnormen verdichten sich mit fortschreitender kultureller Entwicklung der Gesellschaft zu einem Kodex objektiver moralischer Prinzipien.133
Das Laster definiert Mandeville als alles, was ein Mensch ohne Rücksicht auf das Allge-meinwohl zur Befriedigung seiner Begierden unternimmt.134 Moralisch vertritt Mandeville einen Relativismus, wonach „die Dinge gut oder schlecht nur in Beziehung zu etwas an-derem und entsprechend der Stellung und Beleuchtung, die man ihnen gibt“, sind.135 Dieser moralische Relativismus war einer der Hauptansatzpunkte für die zeitgenössische Kritik. Man warf Mandeville vor, die Lasterhaftigkeit zu rechtfertigen und zu empfehlen.136 Dagegen verwahrte sich Mandeville jedoch ausdrücklich: „Die Nützlichkeit des Lasters ändert nichts daran, dass es böse ist“.137
Beim Allgemeinwohl im Sinne von Mandeville handelt es sich hauptsächlich um das Wohl der reicheren Bevölkerungsschichten. Der Mandevillesche Bienenstaat ist in arbeitende Arme und lasterhafte Reiche gespalten.138 Die Armen bilden dabei die Basis für Macht und Reich-tum der Reichen.139 An diesem Zustand will Mandeville auch nichts ändern, denn eine „soziale Gemeinschaft kann nun unmöglich lange bestehen, wenn sie duldet, dass viele ihrer Mitglieder müßiggehen und sich alle erdenklichen Annehmlichkeiten und Genüsse leisten, ohne dass gleichzeitig eine große Masse von Individuen vorhanden ist, die des Ausgleichs wegen […] sich durch rastlose Arbeit daran gewöhnen, im Interesse jener anderen, und ihrem eigenen dazu, tätig zu sein.“140 Zur Wahrung des sozialen Friedens sieht Mandeville es als geboten an, dass sich die Kenntnisse der arbeitenden ärmeren Klasse auf das Gebiet ihrer Beschäftigungen beschränken.141 Zu viel Wissen macht die Armen in Mandevilles Augen ungehorsam und aufsässig den Reichen gegenüber, wie er in folgendem Metapher verkündet: „Verstünde ein Pferd soviel wie ein Mensch, so möchte ich sein Reiter nicht sein“.142 Die Schulbildung von Armenkindern sieht Mandeville als gefährlich an, denn diese Kinder wür-den später keine unqualifizierte Arbeit verrichten wollen und stattdessen den Kindern der Be-güterten Konkurrenz machen.143 Somit sieht Mandeville es als das Beste an, wenn die Arbeiter in Kulturlosigkeit verharren. Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass sie bei aller Not besser leben würden als früher selbst Könige.144
[...]
1 FAZ (28.03.09)
2 FAZ (06.03.09)
3 FAZ.net (25.03.09) (a)
4 FAZ (25.03.09)
5 FAZ.net (25.03.09) (b)
6 FAZ.net (25.03.09) (a)
7 ebenda
8 FAZ (28.05.09)
9 Elisabeth Göbel - Wirtschaftsethik
10 Korff (1999) S.212
11 Korff (1999) S.208
12 ebenda
13 Aristoteles (1998) zit. nach Rembold (2006) S.65
14 Korff (1999) S.213
15 Korff 1999) S.209
16 Hotze (2008) S.29
17 vgl. Hotze (2008) S.30
18 Rembold (2006) S.50
19 ebenda
20 Hotze (2008) S.29
21 Rohls (1999) S.64
22 Hotze (2008) S.30
23 Hotze (2008) S.31
24 Rohls (1999) S.69
25 Rembold (2006) S.54
26 Hotze (2008) S.31
27 Rembold (2006) S.53
28 Rembold (2006) S.69
29 Hotze (2008) S.29
30 Rembold (2006) S.58
31 ebenda
32 Rembold (2006) S.64
33 Rembold (2006) S.70f.
34 Rembold (2006)
35 Rembold (2006) S.76
36 ebenda
37 Rembold (2006) S.78
38 Rembold (2006) S.79
39 Rembold (2006) S.80
40 Rembold (2006) S.83
41 ebenda
42 Rohls (1999) S.205
43 Rohls (1999) S.204
44 Rohls (1999) S.205
45 Rohls (1999) S.207
46 Rohls (1999) S.208
47 Korff (1999) S.208
48 Rohls (1999) S.208
49 ebenda
50 ebenda
51 Rohls (1999) S.215
52 ebenda
53 ebenda
54 ebenda
55 ebenda
56 Korff et al. (1999) S.53
57 Korff et al. (1999) S.54
58 ebenda
59 ebenda
60 Rohls (1999) S.321
61 ebenda
62 Rohls (1999) S.325
63 ebenda
64 ebenda
65 vgl. Rohls (1999) S.321
66 Rohls (1999) S.325
67 Rohls (1999) S.321
68 Rohls (1999) S.325
69 ebenda
70 Rohls (1999) S.361
71 Rohls (1999) S.362
72 Rohls (1999) S.363
73 Rommel (2006) S.58
74 Rohls (1999) S.362
75 Rommel (2006) S.58
76 Rohls (1999) S.363
77 Rommel (2006) S.58
78 Rohls (1999) S.362
79 Rommel (2006) S.61
80 Rommel (2006) S.59
81 ebenda
82 Rohls (1999) S.363
83 ebenda
84 Rommel (2006) S.60
85 Rommel (2006) S.60
86 Euchner (1980) S.11
87 Rommel (2006) S.63
88 ebenda
89 ebenda
90 Stapelfeldt (2001) S.7
91 Rommel (2006) S.64
92 Stapelfeldt (2001) S.7
93 Stapelfeldt (2001) S.1
94 Rommel (2006) S.65
95 Rommel (2006) S.67
96 Stapelfeldt (2001) S.1
97 ebenda
98 Rommel (2006) S.45
99 Korff et al. (1999) S.55
100 Rommel (2006) S.45
101 Rohls (1999) S.330
102 Rommel (2006) S.47
103 Rohls (1999) S.331
104 Rohls (1999) S.334
105 Korff et al. (1999) S.55
106 Rommel (2006) S.47
107 Rommel (2006) S.48
108 Rohls (1999) S.333
109 Rommel (2006) S.49
110 Euchner (1980) S.15
111 Mandeville (1980) S.313
112 Mandeville (1980) S.93
113 Euchner (1980) S.19
114 Mandeville (1980) S.236
115 Mandeville (1980) S.238
116 ebenda
117 Mandeville (1980) S.242
118 ebenda
119 Mandeville (1980) S.242f.
120 Mandeville (1980) S.243
121 ebenda
122 Euchner (1980) S.20
123 ebenda
124 Mandeville (1980) S.92
125 Euchner (1980) S.41
126 Euchner (1980) S.36
127 Mandeville (1980) S.99
128 Mandeville (1980) S.314
129 Mandeville (1980) S.101
130 Mandeville (1980) S.98
131 Euchner (1980) S.39
132 ebenda
133 ebenda
134 Mandeville (1980) S.99
135 Mandeville (1980) S.398
136 Stapelfeldt (2001) S.7
137 Mandeville zit. nach Euchner (1980) S.44
138 vgl. Stapelfeldt (2001) S.4
139 Stapelfeldt (2001) S.2
140 Mandeville (1980) S.318
141 Mandeville (1980) S.320
142 Mandeville (1980) S.322
143 Euchner (1980) S.30
144 Euchner (1980) S.31
- Quote paper
- Janina Serfas (Author), 2009, Geldgier als Säule der Sozialen Marktwirtschaft?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1021759
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.