Dieser Essay erläutert die Methode des Theoretical Samplings und ist damit gleichermaßen eine Einführung in die Methoden der empirischen Sozialforschung. Was versteht man überhaupt unter einer theoretischen Stichprobenziehung? Bei dieser von Glaser und Strauss entwickelten Vorgehensweise für qualitative Studien geht es darum, vom Anfang an den Prozess bewusst so zu steuern, bis sich ein "maximaler theoretischer Erkenntniswert" daraus entwickelt. Je nachdem wie die Studie verläuft, lässt sich entscheiden, ob man eventuell mehrere Fälle untersuchen soll, also mehr Personen, Gruppen oder Institutionen bspw. Die Studie lässt sich (im Idealfall) für beendet erklären, sobald genug Informationen für eine Theoriebildung vorhanden sind (theoretische Sättigung).
Essay zum Theoretical Sampling
Was versteht man überhaupt unter einer theoretischen Stichprobenziehung?
„Das Verfahren der Theoretischen Stichprobenbildung („theoretical sampling“), bei dem am Ende eine sog. Theoretische Stichprobe („theoretical sample“) vorliegt, wurde von den Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss […] im Rahmen ihrer Grounded- Theory-Methodologie (GTM) entwickelt, einem umfassenden qualitativen Forschungs- ansatz, der auf eine gegenstandsverankerte Theoriebildung hinausläuft […]“ (Dö- ring/Bortz 2016: 302)
Bei dieser von Glaser und Strauss entwickelten Vorgehensweise für qualitative Studien geht es darum, vom Anfang an den Prozess bewusst so zu steuern, bis sich ein „maxi- maler theoretischer Erkenntniswert“ (ebd.) daraus entwickelt.
Je nachdem wie die Studie verläuft, lässt sich entscheiden, ob man eventuell mehrere Fälle untersuchen soll, also mehr Personen, Gruppen oder Institutionen bspw. Die Studie lässt sich (im Idealfall) für beendet erklären, sobald genug Informationen für eine Theo- riebildung vorhanden sind (theoretische Sättigung). (vgl. ebd.)
Stichprobenziehungen sind für die Sozialforschung von großer Bedeutung. Wenn man zum Beispiel eine Vollerhebung für eine komplette Population plant, ist diese manchmal zum Scheitern verurteilt, da oft die Zeit oder sogar auch Geld fehlt. Mit den Stichproben, oder Samples, wird nur ein Teil eines Ganzen analysiert, es wird sozusagen eine Teiler- hebung durchgeführt. Daraus lassen sich wichtige Merkmale untersuchen, die die For- scher und Forscherinnen am Ende dieses Prozesses auf die ganze Population zurück- führen lassen können. Ja, das kann auch bedeuten, dass dabei viel geschätzt und ein- fach „davon ausgegangen“ wird.
Außerdem gibt es, neben der theoretischen Stichprobenziehung, die sogenannte be- wusste Stichprobenziehung. Im weiteren Verlauf dieses Essays wird es insbesondere darum gehen: inwiefern stellt sie (die theoretische Stichprobenziehung) eine induktive bzw. eine „Bottom-up“ Strategie der bewussten Stichprobenziehung dar? Lassen sich Ergebnisse, die anhand einer solchen Stichprobe ermittelt wurden, verallgemeinern?
„Bei der bewussten bzw. absichtsvollen Stichprobenziehung wird die Stichprobe ge- zielt nach bestimmten Kriterien aus der Grundgesamtheit ausgewählt. Bei Bottom-up- Strategien der bewussten Stichprobenziehung ergeben sich diese Kriterien erst im Un- tersuchungsverlauf.“ (Schreier 2013: 194)
Wie der Name Bottom-up schon verrät (von unten nach oben) geht es hier darum, vom Anfang an Stichproben zu sammeln und damit so lange weiterarbeiten, oder besser ge- sagt hocharbeiten, bis man genügend Material hat, um aus Teilproben eine Gesamtprobe zu erstellen, bzw. um die Daten so zu bearbeiten, bis eine Verallgemeinerung und somit das Kreieren einer Gesamtprobe ermöglicht wird. Im Bottom-up-Verfahren kommt es au- ßerdem bei der Fallauswahl auf die Vorgehensweise an, bestehend aus zwei Prinzipien: das Prinzip der maximalen Ähnlichkeit und das Prinzip der maximalen Differenz.
Glaser und Strauss untersuchten am Anfang der 1960er Jahre die Auswirkungen ster- bender Krankenhauspatienten auf das dort arbeitende Personal. Hier wurde auch die Stichprobenziehung angewendet. Da es sich in diesem Fall um das Prinzip der maxima- len Ähnlichkeit handelt, vermuteten Glaser und Strauss, dass die Verhaltensweise des Personals anders wäre, wenn die Patienten die sie behandelten bereits wussten, dass sie bald sterben werden. Wenn man andersrum eine Gruppe von Patienten betrachtet, die ähnliche Merkmale aufweisen, wie zum Beispiel das nicht wissen ihres Zustands, könnte man feststellen, dass die Interaktionszeit zwischen Personal und Patient eher ver- kürzt war und man beschränkte sich nur auf das Nötigste. (vgl. ebd. 195f.)
Anders würde das Personal reagieren, wenn sie wüssten, dass die Patienten sich dar- über im Klaren sind, dass sie bald sterben würden. Bei Glaser und Strauss war es sogar eher so, dass sie sich auf Interaktionen mit Kranken konzentriert haben, die sich dessen eben bewusst waren, dass sie bald „gehen“ werden. Diese Fallauswahl richtet sich nach dem Prinzip der maximalen Differenz. In solchen Fällen rechnet man mit Daten, die sich sowohl von den Daten der anderen Gruppe (Patienten wissen es nicht) unterscheiden, wie auch untereinander. (vgl. ebd.: 196)
Hier öffnet sich eine weitere „Unterebene“, die die Wahrnehmung und Interaktion des Personals mit den Patienten beeinflussen kann. Es geht mehr darum, wie sterbende Pa- tienten sich selbst sehen. Je nachdem, ob ein Patient sein „Schicksal“ akzeptiert, oder sich doch dagegen wehrt, kann das verschiedene Auswirkungen auf die Umgangsart des Personals haben.
Wenn man diese Prinzipien der maximalen Ähnlichkeit und Differenz beachtet, müsste man als nächstes noch mehr Fälle in Erwägung ziehen, um „voraussichtlich Anhalts- punkte für weitere relevante Einflussfaktoren, wie etwa Dauer der Krankheit, die Anwe- senheit von Verwandten usw.“ (ebd.: 196) zu bekommen.
Was ist also mit diesen Ergebnissen, die anhand solcher Stichproben ermittelt werden? Lassen sie sich verallgemeinern?
Ja, das tun sie. Das ist sogar das Ziel von Theoretical Sampling. Jedoch ist hier die Rede von einer Verallgemeinerung zu wissenschaftlichen Zwecken. Die sogenannte analyti- sche Verallgemeinerung. Auch in der quantitativen Forschung wird diese Methode ver- wendet, um statistisch zu verallgemeinern. Hier wird allerdings eine probabilistische bzw. eine Zufallsstichprobe gemacht. In der qualitativen Forschung geht es andererseits nicht um Stichproben, die per Zufall ausgewählt werden, sondern um bewusste Proben. Diese Technik der absichtsvollen Stichprobenziehung zählt zu den „non-probabilistischen Vor- gehensweisen“. Das Ziel dabei ist es, die analytische Verallgemeinerbarkeit der Stich- probe auf eine Theorie zu erreichen. Wichtig zu erwähnen wäre noch, dass es bei den qualitativen Stichproben gar nicht um die Größe/Menge oder Umfang geht. Wesentlich interessanter ist die Komposition der Stichprobe. (vgl. Schreier 2013: 194f.)
„Theoretical sampling“ kann man also als ein Prozess von Datensammlung bezeichnen, der zur Theoriegenerierung dient. Der/Die Forscher/in sammelt Stichproben, Codes und analysiert die Daten. Sobald dieser Schritt beendet wurde, geht es meistens weiter mit der Sammlung weiterer, anderer Daten, eventuell an einem anderen Ort oder in einer anderen Konstellation.
Vereinfacht gesagt bedeutet theoretische Stichprobenziehung ein Prozess des Sam- melns, Kodierens und Analysierens, und zwar auf so einer Art und Weise, dass sich am Ende daraus eine Theorie bilden kann. Eine weitere Aufgabe des samplings besteht in der Entdeckung von Kategorien, Sub-Kategorien und ihre Elemente, um so die Interakti- onen zwischen ihnen zu entdecken und sie zu begründen.
Wie weiter oben bereits erwähnt, stellt die theoretische Stichprobenziehung eine Bottom- up bzw. eine induktive Strategie der bewussten Stichprobenführung dar, weil ihre Natur eben analytisch induktiv ist.
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- Quote paper
- Bogdan-Constantin Cristescu (Author), 2020, Die Methode des Theoretical Sampling. Eine kurze Einführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1021570