Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Realität, wie wir sie wahrnehmen, nichts weiter als ein Schleier ist, der eine tiefere, unerbittliche Kraft verbirgt: den Willen. Arthur Schopenhauer, ein Denker von messerscharfem Verstand und unerschrockener Ehrlichkeit, entlarvt in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ die Illusionen des Daseins und offenbart eine Philosophie von erstaunlicher Tiefe und erschütterndem Pessimismus. Dieser Essay führt Sie ein in Schopenhauers Leben, seine intellektuelle Entwicklung und die Kernelemente seiner bahnbrechenden Philosophie. Von seiner Auseinandersetzung mit Kant und Platon bis hin zur Inspiration durch die indischen Upanischaden, verfolgen wir die Entstehung eines Weltbildes, das die menschliche Existenz als ein unaufhörliches Streben nach Befriedigung darstellt, ein Streben, das unweigerlich in Schmerz und Leid mündet. Entdecken Sie, wie Schopenhauer die Welt der Erscheinungen von dem wahren Wesen der Dinge, dem blinden, unvernünftigen Willen, trennt. Ergründen Sie seine Erkenntnistheorie, die auf Kants Ideen aufbaut, und seine Ethik, die im Mitleid und der Verneinung des Willens zum Leben ihren Ausdruck findet. Schopenhauers Philosophie ist keine leichte Kost, sondern eine Herausforderung an unser Denken, eine Einladung zur kritischen Auseinandersetzung mit den fundamentalen Fragen des Lebens. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der Kunst und Kontemplation als kurzzeitige Befreiung vom Joch des Willens dienen, und erfahren Sie, wie Schopenhauer den Pessimismus nicht als Resignation, sondern als Ausgangspunkt für eine tiefere Erkenntnis und ein ethisches Handeln versteht. Begleiten Sie uns auf einer Reise durch Schopenhauers pessimistische Weltanschauung, die bis heute nichts an ihrer Brisanz verloren hat und uns dazu anregt, die Natur der Realität, das menschliche Streben und die Möglichkeit der Erlösung neu zu überdenken. Schlüsselwörter: Schopenhauer, Philosophie, Wille, Vorstellung, Pessimismus, Erkenntnistheorie, Ethik, Metaphysik, Kant, Platon, Buddhismus, Kunst, Leiden, Glück, Weltbild, Lebensphilosophie, freier Wille, Determinismus, Subjekt, Objekt, Erkenntnis, Wahrheit, Moral, Mitleid, Selbstaufgabe, Askese, Religion, Transzendenz, Idealismus, Materialismus, Realismus, Sein, Bewusstsein, Existenz, Wahrheitssuche, Sinn des Lebens, Interpretation der Welt, Schopenhauer Interpretation, Welt als Wille und Vorstellung, Pessimismus Überwindung, Schopenhauer Einführung, Deutsche Philosophie, Klassische Philosophie, 19. Jahrhundert Philosophie.
Schopenhauer und die Welt als Wille
a) Lebensabriss
Arthur Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig geboren, wo er aber nich lange blieb, da schon fünf Jahre später seine Familie nach Hamburg übersiedelte. Sein Vater, Heinrich Floris, gehörte zu den königlichen Kaufleuten der Handelsstadt Danzig. Sein Sohn selbst beschreibt ihn als „strengen, heftigen Mann“, der aber zugleich „mit vorzüglicher Einsicht begabt“ war. Er litt oft an Angstzuständen und nahm sich 1805 selbst das Leben. Arthurs Mutter, Anna Henriette, ging als äußerst kluge und begabte Frau in die Geschichte ein. Sie machte sich auch als Schriftstellerin einen Namen. Das spätere Zerwürfnis mit ihrem Sohn lösten ihre Eitelkeit, Oberflächlichkeit und Selbstgefälligkeit aus: die Folge der grundsätzlichen Verschiedenheit beider Charaktere führte zu Erbstreit und Auseinandersetzungen wegen der Lebensführung der Schwester Arthurs, Johanna.
Nach seines Vaters Tod setzt Arthur Schopenhauer vorerst die dessen Handelstätigkeit fort, die ihm jedoch als Qual erscheint. Ab dem Jahre 1808 widmet er sich ganz dem Studium der antiken Philosophen und Dichter in Göttingen, wo er sich erstmals mit Platon und Kant - mit den beiden Denkern also, die seine eigene Philosophie entscheidend prägen sollten - auseinandersetzte. 1813 stellte er seine Dissertation „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ fertig, in der sich schon einige wesentliche Züge seiner Philosophie befinden. Dadurch beginnt Goethe, sich für ihn zu interessieren, und nennt ihn „einen merkwürdigen jungen Mann mit scharfsinnigem Eigensinn“. Schopenhauer beschäftigt sich zuerst in Weimar, später in Dresden, wo er bis 1818 wohnt, mit Goethes Farbenlehre, über die er auch einen Essay schreibt („Über das Sehn und die Farben“), und mit den indischen Upanischaden, das dritte Element seiner Philosophie neben Platons Ideenlehre und Kants Vorstellung des „Ding an sich“. So entsteht in Dresden der erste Band seines Hauptwerks, der „Welt als Wille und Vorstellung“, in dessen Einleitung er selbstbewusst meint, er halte „jenen Gedanken für dasjenige, was man unter dem Namen der Philosophie sehr lange gesucht hat, und dessen Auffindung, eben daher, von den historisch Gebildeten für so unmöglich gehalten wird, wie die des Steines der Weisen.“
Nach der Verlegung des Buches begeht Schopenhauer eine vierjährige Italienreise, bekommt später einen Lehrstuhl an der Universität Berlin, wo seine Vorlesungen aber nie besucht werden, weil er sie aus trotz immer gleichzeitig mit denen Hegels ankündigte, wo her auch seine berühmte Feindschaft mit dem „Philosophaster“ und seiner „Afterphilosophie“ stammt. Erst 1835 erhält er eine öffentliche Anerkennung, als er den Preis der Königlichen Norwegischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Drontheim für seine „Preisschrift über die Freiheit des Willens“, die er zusammen mit einer Abhandlung über die „Quelle und Grundlage der Moral“ im Bändchen „Die beiden Grundprobleme der Ethik“ herausgibt. 1843 folgt der zweite Band seiner „Welt als Wille und Vorstellung“, in dem er weitere Erläuterungen zu den vier Büchern des ersten Bandes bringt. Weiters publizierte er noch mehrere kleinere Schriften, unter allen seine „Parerga und Paralipomena“ zu nennen, in denen er u. a. über die Frau und ihre Vernunft philosophiert.
Inwiefern Schopenhauers Leben sein Werk beeinflusst hat, darüber nachzudenken ist hier Fehl am Platze, da es den Rahmen dieser kurzen Arbeit sprengen würde. Es sei nur gesagt, dass das Werk keines Autors, und insbesondere das dieses Philosophen, unabhängig von seiner Biographie gelesen werden kann, wodurch man zumindest zum Teil den Schopenhauerschen Pessimismus verstehen und erklären kann.
b) Schopenhauers theoretische Philosophie
Schopenhauer geht in seiner Erkenntnistheorie von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ aus und bringt sie zur letzten Konsequenz. Was Kant entdeckt hat, wird oft die ‚Kopernikanische Wende der Philosophie‘ genannt: es ist nämlich nach ihm nicht die menschliche Erkenntnis, die sich nach den Dingen richtet, sondern die Dinge sind, wie wir sie erkennen, d. h. unsere Wahrnehmung ist subjektiv und erfolgt mit Hilfe dreier Kategorien, die Kant a priori nennt: Raum, Zeit und Kausalität. Schopenhauer geht noch einen Schritt weiter, indem er die Kausalität als einzige Kategorie a priori gelten lässt, was er aus folgendem schließt: Der Mensch nimmt im Augenblick, da ihm die Sinne irgendwelche Reize übermitteln, ohne weiteres an, dass diese Reize eine Ursache haben. Indem er diesen Ursachen nahgeht, ermittelt er die Dinge im Raum und in der Zeit. So sind die beiden letzteren Kategorien die Konsequenz der Wahrnehmung in der Kausalität; sie sind das principium individuationis, also jenes Prinzip, aufgrund dessen allein Einzelerscheinungen in unser Bewusstsein treten. Die Kausalität ist dabei das Raum und Zeit Verknüpfende, indem alle durch Ursachen bewirkten Veränderungen der Objekte jeweils nur im Raum und in der Zeit geschehen. Dieses Problem behandelt Schopenhauer eingehend in seiner Dissertation über die „Vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“. Hier bestätigt er Kants annahme, dass die Kausalität ein Prinzip a priori ist, das nur in der Welt der Vorstellungen gilt. Dieses Prinzip drückt Schopenhauer mit dem Satz vom zureichenden Grunde aus: „Nichts ist ohne Grund, warum es sei.“ Dieses Prinzip wirke auch in Raum und Zeit: da die Teile des Raumes durch ihre Lage, die Teile der Zeit durch ihre Folge bestimmt sind, wirken sie aufeinander eben nach dem Gesetz der Kausalität.
So entsteht im Menschen die „Welt als Vorstellung“, indem er von den Re izen auf die Ursachen schließt. Folglich erkennt der Mensch nicht die Dinge selbst, sondern es nehmen sich die Dinge in seinem Gehirn so aus, wie er sie sich aufgrund seines Vorstellungsvermögens vorstellen kann: nämlich in Raum und Zeit und aufeinander wirkend. Das bedeutet, dass „der Mensch keine Sonne kennt und keine Erde, sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, und eine Hand, die eine Erde fühlt.“
So zerfällt die Erkenntnis in Subjekt und Objekt, wobei für das erkennende Subjekt alle anderen Dinge Objekte sind und von ihm subjektiv vorgestellt werden. Daher nennt man die Gesamtheit der Objekte auch Wirk-lichkeit: sie wirkt nach dem Gesetz der Kausalität auf das Subjekt. Dies ist aber nur der ‚äußere‘ Teil der Welt, die einen ganz anderen Kern hat, den Kant als Ding an sich bezeichnet. Dieses Ding an sich fällt aus den drei Kategorien heraus, da diese ja nur Forman unseres Erkenntnisvermögens sind; nach Kant ist es also gänzlich unerkennbar. Schopenhauer wagt hier aber einen entscheidenden Vorstoß: Da wir ja das Ding an sich, das in jedem Objekt als Wesenheit enthalten ist, unmittelbar in uns erleben, da wir ja für uns selber wieder Objekt sind, müsse es uns von vorneherein bekannt sein. Als dieses Ding an sich bezeichnet Schopenhauer aber den Willen, der uns „unmittelbar Erkanntes und so sehr Bekanntes ist, daß wir, was Wille sei, viel besser wissen und verstehen, als sonst irgendetwas, was immer es auch sei.“ Wille bedeutet damit für ihn: latente Energie, die zum Bewusstsein kommt, aber auch ohne Bewusstsein gegeben ist. Das Wort Wille ist somit das „Zauberwort“, das „das innerste Wesen jedes Dinges in der Natur aufschließen soll.“
„Der Wille als Ding an sich ist von seiner Erscheinung gänzlich verschieden und völlig frei von allen Formen derselben, in welche er eben erst eingeht, indem er erscheint“, schreibt Schopenhauer und unterstreicht somit, dass der Wille an sich raum- und zeitlos ist sowie außerhalb der Kausalität steht, dass aber alle Objekte, so wie sie uns erscheinen, als Wesenheit eben den Willen in sich haben, der allen gemeinsam ist. Schopenhauer beschreibt den Willen außerdem noch als „blind“ und „unvernünftig“, als reinen Lebenstrieb.
Der Grundsatz des Willens als allen gemeinsame Wesenheit und der Satz vom zureichenden Grunde sind nun die Basis für Schopenhauers praktische Philosophie.
c) Schopenhauers praktische Philosophie
Als vierte Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde bezeichnet Schopenhauer den „Satz vom zureichenden Grunde des Handelns“. Nach ihm funktioniert der Wille des Menschen allein nach dem Gesetz der Kauslität: gleich wie ein Stein nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung gegen den Erdmittelpunkt hin Kraft ausübt, gleich wie sich eine Pflanze nach dem Gesetz von Reiz und Reaktion zur Sonne hin dreht, so folgen die Tiere dem Gesetz von Motiv und Handlung. Durch ihren Verstand - i. e. die Fähigkeit, Dinge in den drei Kategorien wahrzunehmen - vermögen es die Tiere, anschauliche Vorstellungen als nutzbringend zu perzipieren, d. h. als für ihren Willen, dessen oberstes Ziel ja die Selbsterhaltung ist, förderlich. Ähnlich geschieht es beim Menschen: Seine Entscheidungen sind immer das Produkt aus dem Motiv (im Unterschied zum Tier können für den Menschen auch die Urteile, die durch die Vernunft - i. e. die Fähigkeit, Begriffe, also „Vorstellungen von Vorstellungen“ zu bilden und gesetzmäßige Verbindungen zwischen den Dingen gemäß dem Satz vom Grunde erkennen - gebildet werden, Motive sein) und dem einen, immer gleichbleibenden Charakter des Menschen. In seiner Preisschrift „Über die Freiheit des Willens“ schreibt Schopenhauer, dass der Wille zwar schon frei ist, wir aber an ihn gebunden sind, d. h.: Wir können, ja müssen tun, was wir wollen, können uns aber nicht aussuchen, was wir wollen. Verständlich ausgedrückt: Unser Willen ist es, der uns als Person ausmacht, ja unser Wille ist nichts anderes als unser Charakter. Unsere Entscheidungen sind demnach immer die, die unserem Charakter am meisten entsprechen. Man möchte einwenden, dass wir ja vor jeder Entscheidung überlegen - was aber nur dazu geschieht, dass wir uns aller Möglichkeiten bewusst werden, und dann die auswählen, die unserem Willen entspricht. Dass wir vielleicht eine Entscheidung, die wir vor zwanzig Jahren einmal getroffen haben, nie mehr wiederholen würden, liegt einzig daran, dass sich unsere Erkenntnis, nicht aber unser Charakter weitergebildet hat, und wir nun aufgrund unserer Erfahrung wissen, dass diese Entscheidung nicht die beste für uns gewesen war.
So ist der Wille, wie gesagt, ein „blinder, unaufhaltsamer Drang“, der unseren Intellekt ganz unterwirft und in seinen Dienst stellt. Der Wille besteht für sich, ist ein Primäres, Selbständiges, das Erkennen dagegen ist eine „sekundäre und vermittelnde“ Funktion. Der Willen ist es, der unseren Intellekt beherrscht, und nicht umgedreht; letzterer wird dazu benutzt, ein bestimmtes, erstrebtes Ziel zu erreichen. Das bedeutet zugleich, dass unser Intellekt getrübt und notgedrungen subjektiv wird, wenn es um unsere Interessen geht: Daraus folgt auch die Fruchtlosigkeit so vieler Diskussionen.
Das heißt, dass das Leben selbst mit dem Willen zum Leben identisch ist: Der Mensch ist von einem unstillbaren Drang erfüllt, etwas zu wollen. Die Basis alles Wollens ist Bedürftigkeit, also Schmerz. Fehlt dem Menschen aber ein Objekt des Wollens, so erfüllt ihn Langeweile, eine unglaubliche Leere, und er sucht sich selbst etwas, nach dem er streben kann. Folglich weilt der Mensch notwendig im Schmerz: etwas wollen bedeutet, etwas nicht zu haben, also ein Bedürfnis; wenn dieses Bedürfnis erfüllt ist, wähnt sich der Mensch zwar kurze Zeit glücklich, wird aber sofort von der Langeweile befallen, und sucht sich ein neues Objekt der Begierde. Das Leben ist also erfüllt von Leiden.
Der Einfluss, den der Buddhismus an dieser Stelle auf Schopenhauer ausübt, ist nicht zu übersehen. Doch dies ist nicht der einzige Grund, der Welt mit Pessimismus zu begegnen: Das Prinzip des sich selbst entzweienden Willens, der doch in allen Wesen wirkt, führt zu einem Bruderkrieg aller gegen alle. Besonders die Fleischfresser können ihr Leben nur erhalten, indem sie anderes Leben vernichten - noch dazu steht der Genuss des ‚Mörders‘ in keinem Verhältnis zum Schmerz und zur Todesangst des gerissenen Tieres. Zusätzlich ist für den Menschen das ganze Leben noch mit dem Bewusstsein überschattet, dass das ganze Dasein, das ganze Streben, Ringen und Kämpfen eigentlich umsonst ist: Am Ende steht doch notwendig der Tod, und dabei ist das Dasein für die Menschen alles andere als wert, gelebt zu werden.
So wendet sich Schopenhauer entschieden gegen Leibniz‘ Auffassung, dass es sich bei dieser Welt umd die „beste aller möglichen Welten“ handle, vielmehr sei dies die „schlechteste aller möglichen Welten“, denn wenn sie noch etwas schlechter wäre, wenn Leid und Not noch um ein Geringes größer wären, dann könnte sie überhaupt nicht mehr existieren.
Daraus ergibt sich die einzige Möglichkeit, das Leben erträglicher zu gestalten: zu lernen, dass nur das Leid unmittelbar verspürt wird, die Freude aber nur eine Annullierung vorhergegangenen Leidens sei und notwendig wieder neues Leid zur Folge habe; daher sei es sinnvoll, das Leben nicht darauf auszurichten, möglichst viel Freude zu erlangen, sondern viel mehr, das Leiden an sich möglichst zu vermeiden, denn gerade das Streben nach dem, was man gemeinhin Glück nennt, sei die Ursache des Leidens.
Diesem augenscheinlichen Pessimismus scheint die Tatsache entgegenzustehen, dass die Welt unter bestimmten Voraussetzungen vom Betrachter als ‚schön‘ empfunden wird, d. h. dass beispielsweise eine Baumgruppe sich malerisch ausnimmt, ein besonnter Hügel oder eine sternenbeleuchtete Nacht ein solches Gefühl erzeugen können, dass sich die Meinung breitmacht, dass die Welt durchaus nicht das ‚Jammertal‘ ist, das Schopenhauer in ihr sieht. Er begegnet diesem Widerspruch, indem er sagt, der Mensch könne sehr wohl etwas als schön empfinden, wenn er sich ihm gegenüber ‚rein anschauend‘, d. h., ohne sich selbst und damit seinen Willen zu beteiligen, verhalte. Die Welt erscheine dem Betrachter folglich nur als ‚schön‘, wenn er „zum reinen, willenlosen Subjekt der Erkenntnis“ geworden ist, in der Kontemplation der Welt verweilt, nicht mehr Individuum, sondern „von dich selbst abgelöst“ ist: Das Objekt ist nicht mehr etwas vom Subjekt verschiedenes, das außerhalb von ihm liegt und deutlich von ihm zu unterschieden ist, sondern Subjekt und Objekt halten sich das Gleichgewicht. „Wie das Objekt auch hier nichts als die Vorstellung des Subjekts ist, so ist auch das Subjekt, indem es im angeschauten Gegenstand ganz aufgeht, dieser Gegenstand selbst geworden.“ Das betrachtete Objekt tritt somit aus aller Relation zu anderen Objekten heraus, es ist nicht mehr einzelnes Ding, sondern ‚Idee‘, d. h. es repräsentiert die ‚Urform‘. Der Gegenstand der Betrachtung wurde ‚idealisiert‘, und nur wenn diese ‚Idealisierung‘ stattfindet, erscheint also die Welt als schön. Dabei bezieht sich Schopenhauer ausdrücklich auf Platons Ideenlehre.
Die Kraft zu dieser Idealisierung, zur schmerzfreien Betrachtung der Welt, hat aber auf die Dauer nur das „Genie“, wobei es das Charakteristikum des Genies ist, dass sein Erkenntnisvermögen so groß ist, dass es sich vom Dienste am Willen lösen kann. Auch von der Leidenschaftlichket, von der Heftigkeit seiner Willensakte kann sich das Genie ösen. So macht es der Künstler: er stellt in seinem Werk nur die Idee dar und klammert alles stören zufällige aus. Daraus folgt die „befreiende Wirkung“ der Kunst: sie versetzt die übrigen Menschem in einen Zustand reinen Erkennens, der sie zumindest zeitweise vom „Sklavendienst am Willen befreit“. Das selbe gilt nicht nur für die bildenden Künste, sondern auch für die Dichtung, die in ihrer Darstellung der Charaktere „die Idee der Menschheit“ zum Ausdruck bringt, und insbesondere für das Trauerspiel, das der „Gipfel der Dichtkunst“ ist, da sie „die schreckliche Seite des Lebens“, den „namenlosen Schmerz“ und den „Triumph des Bösen“ darstellt. Eine besondere Stellung nimmt im Rahmen der Künste die Musik ein, da sie das Abbild des Willens selbst ist, sie ist von der Welt der Vorstellungen ganz unabhängig, überholt sogar die Ideen und offenbart somit „das innerste Wesen der Welt“.
Wie soll nun aber der Mensch handeln? Da er, wie gesagt, keine Willensfreiheit besitzt, und notwendig seinem Willen unterworfen ist, gibt Schopenhauer als einzige moralische Richtlinie an: „Neminem laede, immo omnes, quam potes, iuva“. Dieser Satz basiert darauf, dass der Willen in allen Lebewesen identisch íst und daher ein einem anderen Wesen angetanes Leid notwendig auf den Urheber des Leidens selbst zurückfällt. Diese Erkenntnis sollte zumindest verhindern, dass der Schmerz aller Lebewesen nicht noch unnötig vergrößert wird.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt von Schopenhauers Lebensabriss?
Der Lebensabriss beschreibt Arthur Schopenhauers Geburt, seine familiäre Situation, seine Studien in Göttingen, wo er sich mit Platon und Kant auseinandersetzte, seine Arbeit an der Dissertation „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ und seine Beziehung zu Goethe. Es wird auch erwähnt, dass er sich mit Goethes Farbenlehre und den indischen Upanischaden beschäftigte, was zur Entstehung des ersten Bandes seines Hauptwerks, der „Welt als Wille und Vorstellung“, führte. Später erhielt er einen Lehrstuhl in Berlin und veröffentlichte die „Preisschrift über die Freiheit des Willens“ und den zweiten Band seiner „Welt als Wille und Vorstellung“.
Was sind die Kernaussagen von Schopenhauers theoretischer Philosophie?
Schopenhauers Erkenntnistheorie basiert auf Kants Philosophie, wobei er die Kausalität als einzige Kategorie a priori betrachtet. Er argumentiert, dass die Welt als Vorstellung durch die Wahrnehmung von Reizen und die Schlussfolgerung auf deren Ursachen entsteht. Das Ding an sich, das Kant als unerkennbar bezeichnet, identifiziert Schopenhauer mit dem Willen, der als latente Energie sowohl bewusst als auch unbewusst existiert. Der Wille ist raum- und zeitlos und steht außerhalb der Kausalität, ist aber die Wesenheit aller Objekte.
Wie gestaltet sich Schopenhauers praktische Philosophie?
Schopenhauers praktische Philosophie basiert auf dem „Satz vom zureichenden Grunde des Handelns“. Er erklärt, dass der Wille des Menschen nach dem Gesetz der Kausalität funktioniert und Entscheidungen aus Motiven und dem Charakter des Menschen resultieren. Der Wille ist ein blinder Drang, der den Intellekt unterwirft. Das Leben ist durch ein unstillbares Wollen und Leiden geprägt. Schopenhauer wendet sich gegen Leibniz' Auffassung von der "besten aller möglichen Welten" und sieht die Welt als "schlechteste aller möglichen Welten". Der Mensch kann die Welt als schön empfinden, wenn er sich ihr gegenüber 'rein anschauend', also ohne seinen Willen zu beteiligen, verhält.
Welche Rolle spielt die Kunst in Schopenhauers Philosophie?
Schopenhauer betrachtet die Kunst als eine Möglichkeit, sich vom "Sklavendienst am Willen" zu befreien. Der Künstler stellt in seinem Werk die Idee dar und klammert Zufälliges aus. Die Musik nimmt eine besondere Stellung ein, da sie das Abbild des Willens selbst ist und das innerste Wesen der Welt offenbart.
Welche moralische Richtlinie gibt Schopenhauer?
Schopenhauer gibt die moralische Richtlinie „Neminem laede, immo omnes, quam potes, iuva“ (Verletze niemanden, sondern hilf allen, so viel du kannst). Diese basiert darauf, dass der Wille in allen Lebewesen identisch ist und Leid, das anderen zugefügt wird, auf den Urheber zurückfällt. Durch das Motiv des Mitleids kann der Mensch seinen eigenen Willen verneinen und sich dem Leben grundsätzlich entziehen.
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- Andreas Marinello (Author), 2001, Arthur Schopenhauer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102148