INHALT
EINLEITUNG
1. GRÜNDE FÜR EINE KONVERGENZ DES JOURNALISMUS
1.1 DIE KULTURELLE KONVERGENZ
1.2 KOMMERZIALISIERUNG
1.2 ZUSAMMENFASSUNG UND HYPOTHESENBILDUNG
2. KONVERGENZ IM JOURNALISTISCHEN SELBSTVERSTÄNDNIS - EMPIRISCHE BEFUNDE
2.1 DIE STUDIEN UND IHRE VERGLEICHBARKEIT
2.2 SOZIODEMOGRAPHISCHE MERKMALE UND AUSBILDUNG
2.3 DAS ROLLENVERSTÄNDNIS
2.4 DIE JOURNALISTISCHE ETHIK
3. JOURNALISMUS - GLOBALES ODER NATIONALES PHÄNOMEN?
3.1 BEWERTUNG DER EMPIRISCHEN BEFUNDE
3.2 DER INTERNATIONALE VERGLEICH
ZUSAMMENFASSUNG
LITERATUR
Einleitung
„Was können Mauern gegen elektromagnetische Wellen ausrichten? Wie kann auch eine noch so lückenlose Überwachung des Verhaltens von Menschen das kontrollieren, was eben dadurch und durch die von weltweit einströmenden Beispiele anderer Lebensmöglichkeiten in den Köpfen, in den Gedanken, Sehnsüchten, Träumen vor sich geht? Die weltweite Mediengesellschaft erlaubt keine Zerlegung der Menschheit in langfristig abgetrennte, sich unabhängig entwickelnde Teilkulturen.“1
Wie wird sich die Medienkultur im 21. Jahrhundert entwickeln? Hubert Markl, Präsident der Max-Planck Gesellschaft, glaubt, dass für den Mediennutzer der Zukunft nationale Grenzen keine Rolle mehr spielen werden. Vielmehr wird - so Markls Vorstellung - eine einzige globale Informationsflut über die Menschen hereinbrechen, egal in welchem Land sie leben. Anzeichen dafür, dass sich der Informationsmarkt aus nationalen Kategorien gelöst hat, gibt es viele: Man denke nur an den Krieg im Kosovo, wo alle nationalen Fernsehsender ihr Bildmaterial vom amerikanischen Nachrichtensender CNN bezogen.
In Deutschland hat sich mit Entstehung des dualen Rundfunksystems Mitte der achtziger Jah- re die Medienlandschaft radikal gewandelt. Die Unterwerfung des Rundfunks unter die Marktgesetze hat weitreichende Konsequenzen für die Organisation des Journalismus: Fast kein deutscher Privatsender leistet sich noch ein eigenes Netz von Auslandskorrespondenten. Vielmehr sorgen internationale Kooperationsverträge dafür, dass Bilder und Meldungen aus dem Ausland fast unverändert von den einheimischen Fernsehstationen übernommen wer- den.2
Wird der globale Informationsmarkt einen Journalismus hervorbringen, der alle nationalen Eigenheiten verliert? Entsteht im Zuge der Globalisierung irgendwann der „ globale Journalist “3 ? Diese Hausarbeit soll untersuchen, ob es Anzeichen für eine Konvergenz des journalistischen Selbstverständnisses im internationalen Vergleich gibt. Weiterhin soll die These untersucht werden, ob es Hinweise dafür gibt, dass sich der weltweite Journalismus im Zuge einer vermuteten „Amerikanisierung der Weltkultur“ immer mehr dem Selbstverständnis der amerik anischen Journalisten angleicht.
Grundlage für die Untersuchung des journalistischen Selbstverständnisses sollen Ergebnisse von Journalistenbefragungen sein, die seit Ende der 70er Jahre in vielen Ländern der Erde durchgeführt worden sind.4 Diese haben meist ähnliche Fragestellungen verwendet, um einen internationalen Vergleich zu gewährleisten.
Eine Hausarbeit, die eine Entwicklung im Journalismus darstellen will, kann sich nicht auf eine einzelne Querschnittunt ersuchung stützen; vielmehr muß es möglich sein, das journalisti- sche Selbstverständnis zu mehreren Zeitpunkten abzulesen, um etwaige Veränderungen im journalistischen Selbstverständnis feststellen zu können. Vergleichbare Untersuchungen zu zwei gleichen Meßpunkten liegen jedoch nur für Deutschland, Großbritannien und die USA vor. Daher wird der Vergleich im folgenden auf diese drei Länder beschränkt bleiben müssen. Mit der Einengung auf den Drei-Länder-Vergleich verringert sich auch die Aussagekraft der Ergebnisse: Etwaige Befunde zur Konvergenz des Journalismus lassen aufgrund der struktu- rellen Ähnlichkeit der drei Länder bestenfalls Aussagen über westliche Industriestaaten zu. Eine Einbeziehung von Ländern anderer Kulturkreise wäre wünschenswert, ist aufgrund der Materiallage aber nicht möglich.
Im einzelnen soll wie folgt vorgegangen werden: Im ersten Kapitel soll die These von einer Konvergenz des journalistischen Selbstverständnisses vor dem Hintergrund zweier gesell- schaftlicher Trends entwickelt werden: der eine Faktor ist die Annahme einer allgemeinen Konvergenz der Kulturen und der zweite Faktor eine zunehmende Kommerzialisierung der Medien.
Im zweiten Kapitel soll diese These dann empirisch überprüft werden. Grundlage ist der Ver- gleich deutscher, amerikanischer und britischer Journalistenbefragungen zu Beginn der acht- ziger Jahre mit den Ergebnissen vergleichbarer Untersuchungen zu Beginn der neunziger Jah- re. Zunächst soll anhand der soziodemographischen Merkmale überprüft werden, ob sich der deutsche britische und US-amerikanische Journalismus in diesem Zehn-Jahres-Zeitraum strukturell angenähert haben. Indikatoren für eine Konvergenz des journalistischen Selbstve r- ständnisses sind zum einen die Zustimmung zu abstrakten Rollenbeschreibungen und zum anderen die Akzeptanz bestimmter Recherchemethoden. Natürlich können diese beiden Indi- katoren das journalistische Selbstverständnis nur unzureichend widerspiegeln. Jedoch würde eine Einbeziehung aller relevanten Faktoren wie Berufszufriedenheit, Motivation und Publi- kumsbild den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen. Die Auswahl dieser beiden Indikatoren scheint gerechtfertigt, da Scholl und Weischenberg in einem internationalen Vergleich den „Funktions- und Rollenkontext “5 von Journalismussystemen ebenfalls an diesen beiden Fakto- ren festmachen.
Im dritten Kapitel soll aufgrund der empirischen Ergebnisse, die Frage erörtert werden, ob eine Entwicklung hin zu einen globalen Journalismus festzustellen ist oder ob es weiterhin sinnvoll ist, Journalismus im nationalen Kontext zu untersuchen.
Die vorliegende Hausarbeit blendet einige Probleme bewußt aus: Zum einen verzichtet sie darauf, durch eine Analyse des Mediensystems der untersuchten Länder die dargestellten Ergebnisse zu erklären. Zum anderen wird auf eine Differenzierung der dargestellten Befunde in Bezug auf spezielle Sub-Gruppen. Weiterhin soll nicht auf etwaige Probleme international vergleichender Studien im allgemeinen6 sowie der Vergleichbarkeit von persönlichen und telefonischen Interviews oder etwaige Übersetzungsprobleme eingegangen werden. In der Darstellung der Umfrageergebnisse wird zugunsten der Lesbarkeit der Tabellen ausschließlich die deutschsprachige Übersetzung verwendet.
1. Gründe für eine Konvergenz des Journalismus
In diesem Kapitel soll die These, das journalistische Selbstverständnis nähere sich im internationalen Vergleich an, anhand zweier gesellschaftlicher Trends untermauert werden. Dies sind erstens die zunehmende Angleichung der Kulturen und zweitens die wachsende Kommerzialisierung der Medien.
1.1 Die kulturelle Konvergenz
Die These von der kulturellen Konvergenz wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um eine neue „Welt-Informations-Ordnung“ geprägt7. Die Argumentation geht davon aus, dass die rasante Entwicklung moderner Informationstechnologien den ständigen Informationsaustausch über den gesamten Globus erheblich verbessert hat. Dieser Informationsfluß führt nach Reimann zu weitreichenden Veränderungen in den beteiligten Kulturen:
„Die informationelle Vernetzung mit anderen sozialen Systemen beinhaltet ... eine wechselseitige Einflußnahme auf die beteiligten nationalen oder regionalen Kommunikationssysteme in weiten Bereichen der technischen Infrastruktur, der medialen Institutionen und Professionalisierung, der kulturellen Identität und - in langfristiger Perspektive - auch meist der politischen Kultur.“8
Diese Einflußnahme führt dazu, dass unterentwickelte Gesellschaften sich hin zu Informati- onsgesellschaften bewegen, die sich durch Demokratie, mediale Kommunikation, hohe Mobi- lität, differenzierte Bildungssysteme und einen dominierenden tertiären Sektor auszeichnet. Am Ende dieses „ Ein-Gesellschafts-Modells “ haben dann alle Gesellschaften die Merkmale des fortgeschrittensten Systems übernommen; die „ Verschiedenartigkeit der Kulturen er-scheint ... aufgehoben “9.
Besondere Brisanz erhält diese Diskussion, wenn man den Blick auf die Ungleichheiten im Welt-Kommunikationsfluß richtet: Die internationale Medien- und Kulturindustrie liegt in der Hand einiger weniger westlicher - meist amerikanischer - Konzerne. Diese beherrschen mit ihren Produkten den Weltmarkt und bedrohen durch ihre Wirtschaftskraft die Mediensysteme der kleineren Länder, die die westlichen Produkte kaufen und die entsprechenden Mediensys- teme übernehmen müssen. Alrabaa benutzt für diese Entwicklung den Begriff „ Medien-Hegemonie “:
„The American media hegemony is so established that it has led to a degree of concentration and economy which makes it very difficult for any non-American media system to compete in the global market, and in many cases even to hold its own domestic market.“10
Die These vom „ Kulturimperialismus“ oder die Annahme einer völligen „ Homogenisierung der Weltkultur “ bezieht sich vor allem auf das Verhältnis zwischen den westlichen Industrie- staaten und den Entwicklungsländern und ist heute in ihrer einfachen Form nicht mehr ve r- tretbar11. Trotzdem ist die ihr zugrunde liegende Beobachtung, nämlich die zunehmende Ver- flechtung der Kommunikationsnetze und Austausch der Werte nicht von der Hand zu weisen - so findet zum Beispiel die demokratische Regierungsform weltweit immer mehr Verbrei- tung.
Auch für die westliche Welt spielt die US-amerikanische Dominanz auf dem Mediensektor eine große Rolle. Amerikanische Musik, TV-Produktionen, Filme, aber auch journalistische Produkte wie Dokumentationen bestimmen zu einem großen Teil das Angebot der europäi- schen TV-Anstalten. Nach Stephenson wird die Stärke der amerikanischen Kultur- und Wir t- schaftsmacht nachhaltigen Einfluß auf die europäische Kultur- und Medienindustrie haben: Zum einen wird die Vorherrschaft der englischen Sprache untermauert und zum anderen wer- den sich amerikanischen Werte auf Dauer in den westlichen Medien durchsetzen Einfluß: „Western and Japanese media are becoming more Anglo-American as a result.“12
1.2 Kommerzialisierung
Es ist aber nicht allein die Wertediffusion, die eine Konvergenz des Journalismus vermuten läßt. Da Journalisten nicht als unabhängige „freie Geister“ schreiben, sondern meist als Ar- beitnehmer in ihren Verlag oder ihren Sender eingebunden sind, ist ein Faktor nicht zu ve r- nachlässigen: die Ökonomie. Verschiedene Entwicklungen haben in den letzen Jahrzehnten das Bild der europäischen Medienunternehmen entscheidend verändert:
Deregulierung - Seit Anfang der 80er Jahre sind die Mediensysteme in vielen Staaten Europas für private Rundfunkanbieter geöffnet worden. Aufgrund der Deregulierung verloren die öf- fentlich-rechtlichen Rundfunksysteme ihre Monopolstellung und müssen sich nun dem Kon- kurrenzkampf mit einer Vielzahl an kommerziellen Sendern stellen. Zum Beispiel stieg in Deutschland das Angebot von 40 Radiosendern zu Beginn der achtziger auf 240 in den frühen neunziger Jahren.13 Auch in einem Land wie Großbritannien, in dem es schon seit Jahren ein duales Rundfunksystem gibt, wird der Einfluß des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer geringer.14 Die Deregulierung betrifft aber nicht nur den Rundfunk: Sowohl auf den Publikums- wie auf den Werbemärkten müssen sich die Printmedien im Wettbewerb gegenüber den elektronischen Medien behaupten. Der Wettbewerb wird also in Zukunft in den Mediensystemen Europa eine immer größere Rolle spielen. Da das US-amerikanische System als das kommerziellste der Welt gilt15, sind hier Anpassungen zu erwarten.
Konzentration: Mit der Deregulierung steigt auch in Europa der Einfluß international operierender Medienkonzerne, die in den USA bereits den Medienmarkt unter sich aufteilen16. Das Engagement des „global players“ und Wahlamerikaners Rupert Murdock in Italien und jüngst beim deutschen Privatsender Tm3 ist nur ein Beispiel für die globale Orientierung von Medieneignern. Zusammen mit ihrem finanziellen Engagement werden sie wohl auch ihre Vo r- stellungen von der Medienproduktion in ihre Neuerwerbungen einbringen.
Insgesamt läßt sich diese Entwicklung im Mediensektor mit dem Begriff„Kommerzialisierung “ zusammenfassen: Deregulierung und technischer Fortschritt haben dazu geführt, das der Mediensektor die „zentrale Wachstumsindustrie“ geworden ist17. Hauptbeweggrund des Medienwandels ist die zunehmende kommerzielle Orientierung der Medienunternehmen. Diese Kommerzialisierung bezeichnet laut Heinrich
„ das Bestreben von Medienunternehmen, die produktive und allokative Effizienz ihrer Produktion zu steigern, also billiger zu produzieren und genauer das zu produzieren, was den Wünschen des Publikums entspricht.“18
Die Kommerzialisierung betrifft auch die Journalisten. Sie müssen ihre Arbeit zunehmend an Effizienzkriterien messen lassen. Dies führt dazu, daß sich der Journalismus zu einem neuen Berufstyp hin entwickelt, dem „ market driven journalism“19. Im Vordergrund steht dabei die Rationalisierung der Nachrichtenproduktion. Ausdruck dieser Entwicklung sind unter ande- rem die zunehmende Publikumsorientie rung, Entertainisierung des Medienangebotes20 sowie eine Reduktion der Medienformat auf wenige erfolgversprechende Grundkonzepte21. In den USA ist der Trend zum market driven journalism schon seit den sechziger Jahren festzustellen22. Der zunehmende Wettbewerb auf dem europäischen Markt läßt vermuten, dass sich auch der europäische Journalismus in diese Richtung hin orientiert.
1.2 Zusammenfassung und Hypothesenbildung
Die zunehmende Vernetzung des globalen Informationsflusses führt zu einer gegenseitigen Einflußnahme der Kulturen. Dieser wechselseitige Einfluß führt zu einer kulturellen Konve r- genz. Auf dem globalen Kommunikationsmarkt sind die amerikanischen Medien dominierend. Aus diesem Grunde ist anzunehmen, dass amerikanische Werte einen zunehmenden Einfluß auf die anderen Kulturen haben.
Außerdem gibt es einen globalen Trend zur Deregulierung der Märkte. Im europäischen Rahmen hat das zu einem wachsenden Einfluß privater Rundfunkanbieter und zu einer Verschärfung des Wettbewerbs geführt. Insgesamt bringt die zunehmende Kommerzialisierung eine Anpassung des Journalismus an die Gesetze des Marktes mit sich. Dieser Trend existiert in den USA schon seit Jahrzehnten.
Wir gehen von der Annahme aus, dass diese gesellschaftlichen Trends Auswirkungen auf das Rollenbild von Journalisten haben. Für unseren Vergleich des journalistischen Selbstverständnisses führt dies zu folgenden Hypothesen:
1. Es ist zu erwarten, daß sich das Rollenverständnis von deutschen, britischen und amerika- nischen Journalisten Anfang der neunziger Jahre im Vergleich zu den achtziger Jahren angenähert hat.
2. Da die USA mit ihrem Mediensystem im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich eine Vorreiterrolle spielen, wird diese Konvergenz so aussehen, dass sich das Selbstbild von deutschen und britische n Journalisten an das ihrer amerikanischen Kollegen anpaßt.
2. Konvergenz im journalistischen Selbstverständnis - empirische Befunde
Die These von einer Konvergenz des Journalismus soll im Folgenden anhand Befragungen deutscher, britischer und amerikanischer Journalisten überprüft werden. Zunächst sollen die als Quelle verwendeten Studien kurz vorgestellt werden. Im Folgenden wird dann der Versuch unternommen, anhand der Daten zu zeigen wie sich der Journalismus in den drei Lä n- dern entwickelt hat, und zwar in Bezug auf die soziodemographischen Merkmale der Journalisten, ihre Rollenauffassung und ihre ethischen Standards.
2.1 Die Studien und ihre Vergleichbarkeit
Wie in der Einleitung dargestellt, bietet sich der Vergleich zwischen Deutschland, Großbritannien und den USA in unserem Zusammenhang an, da aus diesen Ländern jeweils fast gleichzeitig Journalistenbefragungen vorliegen, nämlich jeweils von Anfang der achtziger und Anfang der neunziger Jahre. Mit diesen Ergebnissen lassen sich Entwicklungen im journalistischen Selbstverständnisses im Verlauf von zehn Jahren nachvollziehen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die einzelnen Studien23:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: verwendeteUntersuchungen: Überblick
Quellen: Weaver 1998, Weaver/Wilhoit 1996, Köcher 1985
Gleichermaßen beruhen alle Studien auf Stichproben von festangestellten Journalisten von Tages-, Wochen und Nachrichtenmagazinen, Hörfunk und Fernsehen sowie von Nachrichtenagenturen. Freie Mitarbeiter sind - mit Ausnahme der Untersuchung von Weische nberg, Löffelholz und Scholl - bei den Befragungen ausgeschlossen. Der Vergleich der Ergebnisse ist trotz fast identischer Journalistendefinition nur mit Einschränkungen möglich:
Wenig Probleme gibt es beim Vergleich der Studien aus den neunziger Jahren, da sie explizit auf einen internationalen Vergleich hin konzipiert worden sind. Weaver und Wilhoit haben ihre Studie ausdrücklich als Fortschreibung ihrer Studie aus den achtziger Jahren angelegt.24 Schneider et al. weisen ebenfalls darauf hin, dass ihre Studie in Bildung und Zusammenset- zung der Stichprobe der ihrer amerikanischen Kollegen ähnelt.25 Die britische Studie verwen- det dagegen bedauerlicherweise eine abweichende Definition der Grundgesamtheit; in ihrer Stichprobe sind keine Zeitschriftenjournalisten enthalten. Insofern ist die für den internationa- len Vergleich geforderte „ funktionaleÄquivalenz“26 hier nicht ganz gegeben.
Parallel zu der Befragung von Schneider et al. ist Anfang der neunziger in Deutschland eine zweite Journalistenbefragung von Weischenberg, Löffelholz und Scholl durchgeführt worden. Diese verwenden aber eine sehr weitgefasste Journalistendefinition - es werden auch nicht- schreibende Redaktionsmitglieder sowie freie Mitarbeiter erfaßt. Außerdem entspricht die Erhebungsmethode - persönliche Interviews - nicht den anderen Studien aus den neunziger Jahren. Aus diesen Gründen wird Studie von Weischenberg et al. nur in den Fällen herange- zogen, in denen die Befragung von Schneider, Schönbach und Stürzebecher keine ausreiche n- de Vergleichsgrundlage bietet.
Problematischer ist der Vergleich, wenn man die Studie von Renate Köcher mit einbezieht. Während die übrigen Studien Anspruch auf Repräsentativität ihrer Stichprobe erheben, fehlen bei Köcher jegliche Angabe über die Größe der Grundgesamtheit.27 Ebenso berücksichtigt sie nur Redakteure aus den fünf „klassischen“ Ressorts und schließt Zeitschriftenredakteure nur in geringem Maße ein. Eine weitere Einschränkung betrifft die Erhebungsmethoden: Während die Köcher-Befragung auf face-to-face-Interviews beruht, wurden die Interviews der übrigen Studien telefonisch durchgeführt.
Schneider et al. kommen zu dem Schluss, dass die genannten Nachteile nicht generell gegen eine Vergleichbarkeit ihrer Ergebnisse mit denen Köchers sprechen, „ wohl aber erfordern sie eine vorsichtige Interpretation von Unterschieden und Gemeinsamkeiten“28
Die folgende Darstellung der Ergebnisse steht also immer unter dem Vorbehalt einer unzurei- chenden Systematik. Dies ist aber nicht zu vermeiden in einer Hausarbeit, die sich zum Ziel gesetzt hat, neben dem internationalen Vergleich im Querschnitt außerdem noch Aussagen über die zeitliche Entwicklung des journalistischen Selbstverständnisses zu machen. Sollten die Journalistenbefragungen von nun an im regelmäßigen Turnus wiederholt werden - die Untersuchungen von Weaver und Wilhoit in den USA sind ein Beispiel dafür - werden in Zukunft vielleicht systematisch vergleichbare Zeitreihenanalysen möglich sein.
2.2 Soziodemographische Merkmale und Ausbildung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Merkmale der Journalisten
Quellen: Weaver 1998, Weaver/Wilhoit 1996, Köcher 1985, Henningham/Delano 1998, Schneider/Schönbach/Stürzebecher 1993
Die Lücken bzw. unterschiedlichen Darstellungsweisen in Tab. 2 deuten darauf hin, dass die Merkmale der Journalisten sich oft nicht direkt in einen Vergleic h setzen lassen. Dies liegt zum einen daran, dass einzelne Fragbogen-Items der Studien nicht übereinstimmen - das ist zum Beispiel bei den Fragen zur Berufsausbildung bei Köcher der Fall. Das andere Problem betrifft die Ergebnispräsentation: Auch wenn ein Merkmal (zum Beispiel) mit derselben Frage erhoben worden ist, kann das Ergebnis in der Literatur nach völlig unterschiedlichen Katego- rien aufgeschlüsselt sein. Daher sind manche Ergebnisse nur indirekt interpretierbar.
Das Alter der Journalisten: Der deutsche Journalismus stellt sich also zu Beginn der neunziger stark verjüngt dar. War der Journalismus in Deutschland Anfang der achtziger Jahre ein Be- ruf der über 40-jährigen - 57 % der Befragten hatten diese Altersgrenze bereits überschritten - so hat sich das Bild in den neunziger Jahren umgekehrt: 1992 sind 60% der Befragten unter 40 Jahre alt. Selbst wenn man die Volontäre - in Köchers Stichprobe nicht enthalten - herausrechnet, ändert sich dieser Befund nicht wesentlich.29
Gegenläufig der Trend in den USA: Dort hat das Durchschnittsalter der Journalisten sich zwischen den beiden Befragungswellen erhöht - von 32 auf 36 Jahre. Weaver und Wilhoit erklären diese Entwicklung mit einer Konsolidierung des amerikanischen Mediensystems in den Achtzigern.30 Eine Expansion des Mediensektors, wie sie in Deutschland seit Mitte der achtziger Jahre zu verzeichnen ist, hat die USA bereits in den 70er Jahren erfaßt. Die Verjün- gung des Berufs aufgrund von massenhaften Neuanstellungen hatte also in den USA vor dem Vergleichszeitraum stattgefunden. In Großbritannien ist das Durchschnittsalter ebenfalls leicht gestiegen. Es stieg von ungefähr 35 Jahren 1977 auf 38 im Jahre 1995.31
Insgesamt unterscheiden sich deutsche, britische und amerikanische Journalisten hinsichtlich ihres Alters in den neunziger Jahren nicht mehr wesentlich.
In Bezug auf den Anteil von Frauen im Journalismus ist es leider nicht möglich, auf Daten aus der Köcher-Studie zurückzugreifen. Köcher unterläßt nämlich jede Unterscheidung der Befragten nach Geschlecht - vermutlich, weil die Anzahl von Frauen im deutschen und britischen Journalismus 1980 noch sehr gering war. Im Jahre 1992 beträgt der Anteil von Journalistinnen in Deutschland 35 %. Ein Indiz dafür, daß seit Anfang der achtziger Jahre der Frauenanteil gestiegen st, ist der starke Zusammenhang zwischen der Dauer der Berufstätigkeit im Journalismus und dem Geschlecht: Bei den Berufsanfängern sind die deutschen Journalistinnen 1992 relativ stark vertreten, während Frauen in der Gruppe der Befragten, die über 20 Jahre Berufserfahrung haben, den geringsten Anteil mit 14% haben.
Für Großbritannien liegen Zahlen für 1977 vor. Damals betrug nach einer Erhebung der Royal Commission of the Press der Frauenanteil im britischen Journalismus 17%.32 Bis 1995 hat sich der Frauena nteil unter britischen Journalisten zwar erhöht, beträgt jedoch trotzdem nur 25%. Offensichtlich ist Journalismus im Vereinigten Königreich immer noch hauptsächlich ein Männerberuf.
In den USA hat sich der Journalistinnenanteil seit 1982 nicht verändert. Hier konnten Frauen bereits in den 70er Jahren einen stärkeren Berufszugang erreichen, wie der starke Anstieg von 20 auf 34 Prozent zwischen 1971 und 1982 belegt33. Im Frauenanteil gibt es zwischen ameri- kanischem und deutschen Journalismus in den neunziger Jahren keinen Unterschied mehr.
Dagegen hat Großbritannien in diesem Bereich noch Nachholbedarf.
Die Bildung und Ausbildung: Der internationale Vergleich ist in diesem Bereich nicht sehr einfach. Aufgrund der unterschiedlichen Bildungssysteme und Abschlüsse lassen sich hier nur Trends aufzeigen. In Deutschland ist der Anteil der Journalisten mit Hochschulabschluß von 34% auf 45% gestiegen. Ein Studienabschluß ist mittlerweile „ Standard in den meisten Me-dienbetrieben“.34 Der Anteil derjenigen Befragten, die eine Hochschule besucht haben, liegt mittlerweile bei zwei Dritteln. Wie zu Beginn der achtziger Jahre ist auch in den Neunziger das Volontariat immer noch „ quasi-obligatorische“35 Ausbildungsform. Verringert hat sich der Anteil der Seiteneinsteiger.
Im amerikanischen Journalismus ist die formale Bildung der Journalisten - wenn auch frag- lich ist, ob ein College-Degree mit einem Hochschulbesuch vergleichbar ist - deutlich höher. Der Anteil von Journalisten mit College-Degree stieg von 75% im Jahre 1982 auf 82% 1992. Ein deutlicher Unterschied zu Deutschland zeigt sich in der Stellung der hochschulgebunde- nen Journalistenausbildung. Während in den USA 39% „ journalism majors “ sind, hat 1992 nur ein Zehntel der deutschen Journalisten Journalistik oder ein vergleichbares Studium be- sucht.36
In Großbritannien hat 1995 ungefähr die Hälfte aller Journalisten eine akademische Ausbil- dung, nur 4% haben Journalistik oder mass communication studiert. Leider sind diese Zahlen nicht mit denen der Köcher-Studie vergleichbar. Im wesentlichen wird Journalismus in Groß- britannien als ‚Training-on-the-job‘ gelehrt, dies ist eine Kombination aus Volontariat und Collegekursen, für die formal keine Zugangsvorraussetzungen bestehen. Nur Redakteure mit einem College-Abschluß werden von den Medien übernommen.37 Diese Form der Journalis- tenausbildung ist in Großbritannien immer noch dominierend.38 Jedoch hat sich der Anteil der Hochschulabsolventen unter den College-Kursteilnehmern in den letzen Jahren erhöht, so dass der Akademikeranteil auch in Großbritannien steigt: „ [...][T]he preponderance of graduates suggests that higher education qualifications may have become a de facto prereq- uisite.“39
Betrachtet man die demographischen Merkmale der Journalisten, so in diesem Punkt eine Konvergenz zu bestätigen. Hinsichtlich des Alters und des Frauenanteils bewegen sich deut- scher, britischer und amerikanischer Journalismus aufeinander zu. Diese Entwicklung geht eher in Richtung des amerikanischen Journalismus, der die Veränderungen, die in Deutsch- land in den achtziger Jahren stattgefunden haben, bereits zehn Jahre früher durchlebt hat. Im britischen Journalismus gibt es bezüglich dieser Punkte nur geringe Veränderungen. Die Bildung und Ausbildung der Journalisten sind in den drei Ländern weiterhin sehr unter- schiedlich. In allen drei Ländern hat sich jedoch der Anteil der Akademiker unter den Journa- listen erhöht.
2.3 Das Rollenverständnis
Das Rollenverständnis von Journalisten läßt sich über verschiedene Indikatoren ermitteln. Hierzu zählen die Berufsmotivation, Rollenzuschreibungen, Einstellungen zu Rechercheme- thoden und Handlungsdispositionen anhand von vorgegebenen Situationen. Aus Platzgründen ist es nicht möglich, im Rahmen dieser Hausarbeit alle genannten Faktoren zu berücksichtigen. Die folgende Darstellung soll sich daher auf die Rollenzuschreibung als Indikator für das abstrakte Selbstverständnis sowie die Einstellung zu Recherchemethoden als Maß für die Handlungsrelevanz dieser Vorstellungen beschränken. Dies sind die beiden Fak- toren, die Scholl und Weische nberg in ihrem Modell einer ‚ komparativen System-Analyse‘ von Journalismussystemen zum internationalen Vergleich der ‚Funktions- und Rollenkontex- te‘ verwenden.40
Wiederum wird der direkte systematische Vergleich dadurch erschwert, dass nicht zu beiden Meßpunkten in allen drei Ländern die gleichen Fragen gestellt worden sind. Daher soll zum Vergleich der Rollenzuschreibung zunächst einmal die Studie von Renate Köcher herangezo- gen werden, die uns Daten zu britischen und deutschen Journalisten zu Beginn der achtziger Jahre liefert und deren Fragen 1992 von Schneider et al. in Deutschland wiederholt gestellt worden sind.
Köcher stellt 1981 Unterschiede zwischen dem Rollenverständnis britischer und deutscher Journalisten fest: Während die deutschen Journalisten auf die Frage, wie man sich als Journa- list sehen sollte (Tab. 3), den „Kritiker an Mißständen“ deutlich an die Spitze stellen, domi- niert bei ihren britischen Kollegen der „neutrale Berichterstatter“. Faßt man die Ergebnisse grob zusammen, zeigt sich, dass deutschen Journalisten ihre Rolle eher als britische Journalis- ten darin sehen, Partei zu ergreifen („Kritiker“ und „Anwalt der Benachteiligten“), während bei ihren britischen Kollegen eher die Vermittlungs- und Servicefunktion eine Rolle spielt. . Köcher faßt ihre Ergebnisse - extrem polarisierend - wie folgt zusammen:
„Im heutigen deutschen und britischen Journalismus stehen sich damit die beiden Grundpositionen des ‚participant‘- und ‚neutral‘- journalism gegenüber.“41
Haben sich die Rollenbilder seitdem gewandelt? Als Schneider et al. die gleiche Frage ein Jahrzehnt später deutschen Journalisten noch einmal stellten, belegten der „Kritiker an Miß- ständen“, der „neutrale Berichterstatter“, „Wächter der Demokratie“ und „Vermittler ne uer Ideen“ wieder vordere Plätze. Der „Vermittle r neuer Ideen“ hat sogar deutlich aufgeholt. Ebenso zugelegt hat aber auch der „neutrale Berichterstatter“, Indikator für informationsbe- tonten Journalismus.
Daneben betonen deutsche Journalisten in den Neunzigern auch „dienende“, „Service- betonte“42 Funktionen wie „jemand, der die Leute unterhalten sollte“ und „Sprachrohr der Bevölkerung“. Schneider et al. sehen hier Anzeichen für „ weniger»Missionsgeist«als Anfang der 80er Jahre“.43
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 3: Rollenzuschreibungen britischer und deutscher Journalisten (Prozentangaben/Rangplatz)
Frage: Wie sollte man als Journalist Ihrer Meinung nach seine Aufgabe verstehen, als was sollte man sich als Journalist sehen? Sagen Sie mir bitte, ob Sie den folgenden Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen (Vorgaben wurden vorgelesen)
Quellen: Köcher 1985, Schneider/Schönbach/Stürzebecher 1993
Der Vergleich mit dem amerikanischen Journalismus zu Anfang der achtziger Jahre wird er- schwert dadurch, dass Wilhoit und Weaver eine andere Frage und von Köchers Studie abwei- chende Antwortmöglichkeiten vorgegeben haben. Man kann aber sagen, dass auch beim A- merikanischen Journalismus die Informationsvermittlung in Vordergrund steht. An zweiter Stelle steht hier die Recherche von Stellungnahmen der Regierung („to investigate govern- ments‘ claims“), was ein Hinweis auf die Rechercheorientierung des amerikanischen Journa- lismus ist. Bemerkenswert ist, dass die Unterhaltungsfunktion bei den amerikanischen Journa- listen im Gege nsatz zu den britischen Kollegen nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Wie sieht es nun Anfang der Neunziger Jahre aus? Glücklicherweise liegen hier zu den drei Ländern vergleichbare Daten vor, die deutschen stammen von Weischenberg und Scholl. Ein- schränkend ist zu bemerken, dass das deutsche Forscherteam wesentlich mehr Items zur Be- wertung vorgegeben und eine fünf- statt einer vierstufigen Skala verwendet hat als Wea- ver/Wilhoit und Henningham/Delano. Dies könnte eine Erklärung für die insgesamt größere Zurückhaltung der deutschen Journalisten sein. Außerdem weisen die britischen Journalisten durchweg eine höhere Zustimmungstendenz zu allen Items auf. Aus diesem Grund scheint es sinnvoller, anstelle der absoluten Zahlen die Rangordnung der Rollenzuschreibungen zu be- achten.
Die Ergebnisse zeigen, dass bei Journalisten in allen drei Ländern die schnelle Informations- vermittlung die größte Rolle spielt. In den USA und Großbritannien spielt die Recherche von Regierungsstellungnahmen eine fast ebenso große Rolle. Nicht so in Deutschland - hier kommt diese Rollenbeschreibung erst an achter Stelle. Dagegen hat im deutschen Journalis- mus die Analyse („komplexe Sachverhalte erklären und vermitteln“ ) einen wesentlich höhe- ren Stellenwert. Dies kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass in deutschen Redaktionen immer noch die Interpretation einen höheren Stellenwert hat als die knallharte Recherche. Vom investigativen Journalismus der angelsächsischen Kollegen sind die deutschen Medien- macher also noch entfernt. Die eher intellektuelle Haltung der deutschen Journalisten zeigt sich ebenfalls darin, dass der Anspruch, intellektuelle und kulturelle Interessen des Publikums anzusprechen, im Deutschland zu den Rollenbildern mit der größten Zustimmung gehört, während diese Aufgabe in den USA und Großbritannien eine untergeordnete Rolle spielt.
Interessante Entwicklungen zeigen sich in Bezug auf die Unterhaltungsfunktion: In Großbri- tannien spielt die Unterhaltung wie schon in der Köcher-Studie eine sehr große Rolle. Ebenso bestätigen die Zahlen von Weischenberg, Löffelholz und Scholl die von Schneider et al. fest- gestellte steigende Bedeutung der Unterhaltungsfunktion für deutsche Journalisten. Dagegen zeigt sich in den USA, dass im Vergleich zu 1982 die Zustimmung zu diesem Item abge- nommen ha t. Sie ist 1982 sogar unter den Wert von 1971 (damals 17%) gefallen. Hier scheint sich wieder einmal abzuzeichnen, dass die deutschen und britischen Journalisten in den acht- ziger Jahren eine Entwicklung durchgemacht haben, die in den USA zehn Jahre zuvor statt- gefunden hat.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 4: Rollenzuschreibungen von Journalisten (Prozentangaben/Rangplatz)
Prozentangaben geben völlige bzw. weitgehende Zustimmung zu bestimmten Zielen journalistischer Arbeit wieder.
Quellen: Weaver/Wilhoit 1996, Henningham/Delano 1998, Scholl/Weischenberg 1998
Insgesamt zeigt der Vergleich der Rollenzuschreibungen, dass eine Konvergenz in den Ro l- lenbildern teilweise stattgefunden hat. Bei den deutschen Journalisten ist in den Achtzigern die Zahl derer, die der neutralen Informationsvermittlung zustimmen, gestiegen. Außerdem zeigt sich, dass Serviceorientierung und Unterhaltung bei deutschen Journalisten eine steigen- de Rolle spielen.
Trotzdem bleiben zentrale Unterschiede zwischen den Rollenbildern in den drei Ländern bestehen: Die deutschen Journalisten stimmen weiterhin der investigativen Recherche weit weniger zu als die Berufsgruppe in den angelsächsischen Ländern und betonen die Analyse bzw. die Vermittlung ne uer Ideen. Aber auch Briten und US-Amerikaner unterscheiden sich in ihren Rollenbildern. So messen die Briten der Unterhaltung einen viel höheren Stellenwert zu als die amerikanischen Journalisten, außerdem haben sie weniger Skrupel, Nachrichten mit zweifelhaftem Inhalt zu veröffentlichen.
2.4 Die journalistische Ethik
Bezogen sich die Betrachtungen aus dem vorangegangenen Kapitel auf abstrakte Rollenzuschreibungen, so ist im Zusammenhang mit dem journalistischen Selbstverständnis auch die Handlungsrelevanz dieses Selbstverständnisses von Bedeutung, da erst diese Rückschlüsse auf die Arbeit von Journalisten zuläßt. Gerade hier ist eine Konvergenz zu erwarten, da Marktinteressen und journalistische Fairneß oft als unvereinbar gelten Scholl faßt die landläufige Argumentation wie folgt zusammen:
„Wissenschaftler wie Praktiker machen das Diktat der Marktwirtschaft für solche Exzesse verantwortlich und verweisen auf die fortschreitende Kommerzialisierung der Medien. Deshalb würden die [deutschen; J.S.] Journalisten rücksichtslosere Recherchemethoden anwenden, um an Informationen zu gelangen, heißt es. Ethik - moralisch einwandfreies Handeln- spiele in einem vom Wettbewerb geprägten Geschäft keine Rolle.“44
Wie sieht der empirische Vergleich aus? Die „ Handlungsdispositionen in ethischenKonfliktsituationen“45 sind anhand von Einstellungen zu bestimmten umstrittenen Recherchemethoden in allen hier einbezogenen Studien abgefragt worden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 5: Einstellung zu umstrittenen Recherchemethoden
Frage: „Weil es oft sehr schwierig ist, an wichtige Informationen zu kommen, helfen sich Journalisten öfter mit ungewöhnlichen Methoden. Welche der folgenden Methoden halten Sie für vertretbar, und welche billigen Sie auf keinen Fall?“46
Quellen: Weaver/Wilhoit 1996, Köcher 1985, Henningham/Delano 1998, Schneider/Schönbach/Stürzebecher 1993
Wie in Tab. 5 zu sehen, zeigen sich die deutschen Journalisten in den achtziger Jahren zu- rückhalt ender, umstrittene Recherchemethoden zu verwenden als ihre englischsprachigen Kollegen. Lediglich beim Verwenden geheimer Regierungsunterlagen, beim Bezahlen für Informationen und bei der Bereitschaft, sich als andere Person auszugeben, sind die Abwei- chungen gegenüber den amerikanischen Journalisten gering. Die größten Unterschiede zw i- schen deutschen und amerikanischen Journalisten sind festzustellen bei der Bereitschaft, In- forma nten unter Druck zu setzen und sich als Mitarbeiter in Betrieben Zugang zu Informatio- nen zu verscha ffen. Eine wichtige Rolle in allen drei Ländern spielt der Informantenschutz. Ist Verschwiegenheit zugesichert, halten ist die überwiegende Mehrheit der Journalisten bereit, diese auch einzuhalten. Insgesamt am wenigsten Skrupel haben die britischen Journalisten.
Hat sich das Bild in den neunziger Jahren gewandelt? Die Bereitschaft, geheime Regierungsunterlagen zu veröffentlichen, ist seit Anfang der achtziger Jahre stark gestiegen; diese Methode wird mittlerweile von einer überwiegenden Mehrheit der Journalisten in allen drei Lä n- dern akzeptiert. In den USA hat sich die Akzeptanz umstrittener Recherchepraktiken darüber hinaus nur wenig verändert. Lediglich die Bereitschaft, für vertrauliche Informationen Geld zu bezahlen, hat spürbar abgenommen. Die britischen Journalisten sind 1992 weniger bereit, Informanten unter Druck zu setzen. Alle anderen Recherchemethoden werden aber eher akzeptiert als zum Zeitpunkt der Köcher-Studie.
Bei den deutschen Journalisten haben alle genannten Recherchemethoden an Akzeptanz ge- wonnen. Dass diese Zunahme auf die Kommerzialisierung zurückzuführen ist, läßt sich aber nicht bestätigen: Zustimmung zu unlauteren Praktiken findet Scholl sowohl bei Journalisten, die bei Boulevardblättern arbeiten, als auch bei Journalisten „seriöser Zeitungen“. Ebenso kann er keine Kluft zwischen privatem und öffentlichen Rundfunk feststellen.47 Auch beim Einsatz versteckter Kameras und Mikrofone - 1981 noch nicht in der Liste der Antworten - bestätigt sich die Zurückhaltung der deutschen Journalisten. Sowohl bei den Amerikanern als auch bei den Briten ist die Zustimmung doppelt bzw. dreimal so hoch. Insgesamt zeigt sich kein einheitlicher Trend in Bezug auf umstrittene Recherchemethoden. Die Amerikaner haben ihre Recherchepraktiken nur wenig geändert, die Briten sind etwas skrupelloser geworden. Ein paar Skrupel abgelegt haben auch die deutschen Journalisten. Trotzdem liegt bei Ihnen die Akzeptanz auf sehr niedrigen Niveau. Weischenberg bezeichnet die deutschen Journalisten daher als „ brav, braver, am bravsten“:
„[... G]ewiß dienen die englischen Journalisten mit ihrer Vorliebe für die Schlüssellöcher des Buckingham Palace nicht als Vorbild. [...] Nordamerikanische Journalisten sind viel eher dazu bereit, hart, ja brutal zu recherchieren, geheime oder persönliche Unterlage zu verwenden, Informanten unter Druck zu setzen oder sogar versteckte Kameras und Mikrofone einzusetzen, um die Bevölkerung zu informieren. [...] Dass in Deutschland nach alter Sitte des Obrigkeitsstaates immer noch Hemmungen die Beißwut lähmen, zeigen nicht nur Fernsehinterviews mit Politiker. So bleibt dem Spiegel seine investigative Marktlücke erhalten..“48
Von einer Annäherung an den amerikanischen oder gar britischen Journalismus ist die Recherchepraxis der deutschen also noch weit entfernt.
3. Journalismus - globales oder nationales Phänomen?
Nachdem im vorigen Kapitel die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum journalisti- schen Selbstverständnis zusammengetragen worden sind, sollen diese im Folgenden auf die Konvergenz-Hypothese hin bewertet werden. Weiterhin soll die Frage geklärt werden, welche Folgen die Ergebnisse für den Vergleich von nationalen Journalistensystemen haben.
3.1 Bewertung der empirischen Befunde
Kann man nun sagen, dass sich der britische, amerikanische und deutsche Journalismus im Verlauf der achtziger Jahre einander angenähert haben? Zunächst gibt es einige Belege, die auf eine Konvergenz hindeuten: In den soziodemographischen Merkmalen unterscheiden sich die Journalisten der drei Länder kaum noch. Im Verlauf der achtziger Jahre hat sich der deut- sche Journalismus stark verjüngt, der Frauenanteil ist gestiegen und der Anteil der Akademi- ker hat zugenommen. Auch wenn der britische Journalismus weiterhin eine Männerdomaine ist, kann man Annäherungen ebenfalls im Vereinigten Königreich feststellen. Die Struktur der amerikanischen Journalisten hat sich in den achtziger Jahren kaum verändert. Die Entwick- lungen, die in den beiden europäischen Ländern zu beobachten waren, hat der amerikanische Journalismus bereits in den Siebzigern erlebt.
Anzeichen für eine Konvergenz zeigen sich auch im journalistischen Selbstbild: Hatte die neutrale Informationsvermittlung bei deutschen Journalisten im Vergleich zu ihren angelsäch- sischen Kollegen einen geringen Stellenwert, so hat die Zustimmung zur Rolle des „neutralen Vermittlers“ in Deutschland deutlich zugenommen. Auch ist die Bedeutung der Unterhaltung und die Serviceorientierung im deutschen Journalismus gestiegen. Amerikanische und briti- sche Journalisten wiesen dagegen bereits in den achtziger Jahren charakteristische Gemein- samkeiten auf. Diese sind jedoch bis in die neunziger Jahre nicht größer geworden. Eindeutig feststellbare Veränderungen hat zwischen 1980 und 1992 lediglich der deutsche Journalismus erlebt. Er hat sich strukturell dem amerikanischen Journalismus angenähert. Weischenberg et al. konstatieren daher mit Blick auf ihre deutsche n Journalistenbefragung eine „ Konvergenz im Journalismus der Demokratien westlichen Typs“49.
Trotz dieser Annäherungen haben gravierende Unterschiede im Selbstverständnis die Zeit seit Anfang der Achtziger Jahre überdauert. Für deutsche Journalisten rangiert der „Kritiker an Mißständen“ immer noch vor dem „neutralen Vermittler“. Außerdem legen Sie größeren Wert auf Analyse als auf investigative Elemente ihres Berufes. Im Hinblick auf die akzeptierten Recherchemethoden zeigen sie sich weiterhin sehr zurückhaltend. Die „ fehlende Zivilcoura-ge“ die Elitz 1980 den deutschen Journalisten unterstellt50, scheint sich in die neunziger Jahre hinübergerettet zu haben.
Ganz anders ihre angelsächsischen Kollegen. Für sie ist die Recherche ein konstituierendes Element ihres Berufes. Nach der schnellen Informationsvermittlung findet dieses Item die größte Zustimmung amerikanischer und britischer Journalisten. Bei der Recherche stellen sie das öffentliche Informationsinteresse vor die journalistische Ethik. Jedoch gibt es auch zw i- schen den angelsächsischen Ländern Unterschiede: Der amerikanische Journalismus scheint eher die sorgfältige seriöse Recherche zu befürworten, während der britische Journalismus eher unterhaltungsorientiert ist und weniger Skrupel zeigt, sowohl bei der Recherche als auch bei der Präsentation nicht bestätigter Fakten. Obwohl hier ein direkter Vergleich über die Zeitreihe nicht direkt möglich ist, deutet einiges darauf hin, als hätten sich diese Unterschiede seit Anfang der achtziger Jahre eher verstärkt als gemindert.
Hinsichtlich der These von einer Amerikanisierung des Journalismus lassen sich meiner Mei- nung nach keine eindeutigen Aussagen machen. Zwar hat sich der deutsche Journalismus in seiner soziodemographischen Struktur dem US-Vorbild angenähert, diese Anpassung ist aber allein durch die Expansion des Mediensystems seit Mitte der achtziger und den daraus resul- tierenden Neueinstellungen zu erklären.51 Ebenso läßt sich eine stärkere Orientierung an den Wünschen des Publikums sowie ein stärkeres Gewicht auf Unterhaltung auf die wachsende Marktorientierung zurückführen. Ansonsten bleiben die Unterschiede im Rollenverständnis bestehen. Solche Unterschiede bestätigen auch Studien, die Arbeitsweise deutscher und an- gelsächsischer Journalisten untersucht haben52. Die Entwicklung in Deutschland scheint eher in Richtung einer mehr „ganzheitliche n“ Arbeitsweise zu gehen als in Richtung des ange l- sächsischen arbeitsteiligen Modells53. Hier ist also keine Annäherung in Sicht. Auch bei den brit ischen Kollegen ist über die bestehenden Ähnlichkeiten hinaus keine Annäherung an den US-Journalismus festzustellen.
Die USA haben also lediglich insofern Vorbildfunktion für das deutsche Mediens ystem, als dass sie zehn bis fünfzehn Jahre Vorsprung im Hinblick auf die Kommerzialisierung haben54. Für einen generelle Übernahme amerikanischer Werte zeigen sich aber me iner Meinung nach keine Hinweise.
Deutschland, Großbritannien und die USA sind Staaten, die gleichermaßen zu den westlichen Industriestaaten gehören und deren kultureller Hintergrund ähnlich geprägt ist. Um die Frage einer globalen Konvergenz des Journalismus zu klären, hätte man Staaten mit unterschiedli- chen politischen und Wirtschaftssystemen in die Untersuchung einbeziehen müssen. Dies ist aber leider nicht möglich, da in vielen Ländern der Erde Journalistenbefragungen erst seit Anfang der neunziger Jahre durchgeführt werden. Einen international angelegten Überblick über den journalistischen Berufsstand hat Weaver geliefert. In seinem Band „The Global Journalist“ hat er Ergebnisse von Journalistenbefragungen aus über zwanzig Ländern neben- einander gestellt.55 Die Ergebnisse sind nicht leicht in politische oder kulturelle Kontexte ein- zuordnen. Gerade das journalistische Rollenverständnis scheint keinen konsistenten Mustern zu folgen. Zum Be ispiel kommt zur Wächterrolle gege nüber der Regierung zwar die meiste Zustimmung aus demokratischen Staaten wie Australien, Großbritannien und Finnland. Chi- nesische Journalisten stimmen dieser Rolle aber häufiger zu als ihre Kollegen aus Frankreich und Kanada, während die deutschen Journalisten sich hinsichtlich der „ watchdog role“ in ei- ner Reihe mit Algerien wiederfinden.56 Insgesamt findet Weaver sowohl in Bezug auf das Rollenverständnis als auf hinsichtlich der ethischen Standards mehr Unterschiede als Ähn- lichkeiten. Er findet in seinen Ergebnissen keine Hinweise auf einen universellen journalisti- schen Standard:
„Because the similarities and differences among these journalists do not tend to follow geographic, political, and cultural patterns, and because there is not comparable data over time, it is difficult to say, wether journalists around the world are becoming more professional or more ethical. [...] In short, it seems that no country or territory has a monopoly on professionalism among journalists. There is a mixed picture in nearly all of the 21 societies represented in this book."57
Ob dieses Bild in Zukunft einheitlicher wird, muß durch wiederholte Journalistenbefragungen in einigen Jahren geklärt werden. Sicher ist aber, daß Theorien, die versuchen, das journalistische Selbstverständnis allein aus der Ideologie des politische n Systems heraus zu begründen, wie dies Siebert, Peterson und Schramm in den fünfziger Jahren versucht haben58, keine empirische Grundlage haben.
3.2 Der internationale Vergleich
Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass wir zu Anfang der achtziger Jahre von einem „Weltjournalismus“ noch weit entfernt sind. Was bedeutet das für die international vergle ichende Kommunikatorforschung?
Auch Scholl und Weischenberg stellen sich die Frage, ob die globale Vernetzung der Wir t- schafts- und Kultursysteme nicht dazu führt, dass die Wissenschaft Abschied nehmen muß von der „ Nation als Referenz “ für Gesellschaft, wenn es darum geht, den Journalismus zu beschreiben. Sie kommen zu dem Schluß, dass für den Journalismus sich mehr noch als für andere soziale Systeme gilt, dass er sich an regionalen und nationalen Grenzen orientiert:
„Zu beobachten ist ... bis heute, dass der Journalismus bis zu einem gewissen Grade an nationale Normen, nationale Institutionen, nationale Publika und vor allem: nationale Themen gebunden ist. [...] Für theoriegeleitete empirische Forschung erscheint es bis auf weiteres sinnvoller, [..] geographische, nationale oder wirtschaftliche Grenzen zwischen Ge sellschaften zu ziehen, deren jeweilige Journalismus-Systeme zu beschreiben und zu typologisieren - statt das Konstrukt einer ‚Weltgesellschaft‘ als Referenz einzuführen.“59
Der nationale Rahmen ist also weiterhin eine sinnvolle Bezugsgröße für Journalismusstudien. Als Muster für theoriegeleitete Journalismusforschung hat sich der funktionalistische System- ansatz als fruchtbar erwiesen. Dieser Ansatz wurde in Deutschland von Weischenberg entwi- ckelt. Er beschreibt das Journalismussystem eines Landes mit seiner „Zwiebelmetapher“.60 Esser hat dieses Modell für den internationalen Vergleich modifiziert und operationalisiert.61 Die in dieser Hausarbeit untersuchten Medienakteure mit ihren demographischen Merkmalen und Rollenbildern finden sich auf der inneren Schale der Zwiebel und bilden die Individual-ebene. Diesen Kern umschließen mehrere Sphären (von innen nach außen): die Institutions- sphäre (Organisationsebene), die Medienstruktursphäre (rechtlich-normative undökonomi- sche Ebene), und die Gesellschaftssphäre (historisch-kulturelle Rahmenebene). Nach dem Modell wirken die äußeren Sphären in zwei Weisen: Zum einen wird durch sie das journalis- tische Selbstverständnis geprägt, zum anderen wird das Handeln sanktioniert und dadurch der Handlungsrahmen des Subjekts beschränkt.62
Für einen internationalen Vergleich des journalistischen Selbstverständnisses hat das mehrere Implikationen:
Erstens kann das Selbstverständnis der Journalisten eines Landes nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Vielmehr wirken die übrigen Ebenen darauf ein. In einem systematischen Ansatz sollte folglich alle Ebenen verglichen werden. Unterschiede im journalistischen Selbstverständnis können dann mit Unterschieden äußeren den äußeren Sphären erklärt werden. Ein Beispiel dafür hat Esser mit seinem Vergleich des britischen und deutschen Journalismus gegeben63 ; ähnlich verfährt Redelfs bei seiner Beschreibung und Erklärung des investigativen Journalismus in den USA64.
Aus der Interdependenz der verschiedenen Ebenen folgt weiterhin, dass der hier gewählte Ansatz zu kurz greift. Ein „globaler Journalismus“ läßt sich nicht allein aus groben Trends wie Kommerzialisierung und Globalisierung herleiten. Da Journalismus ein „ komplex struktu- riertes und mit anderen gesellschaftlichen Bereichen auf vielfältige Weise vernetztes soziales System “65 darstellt, ist eine Konvergenz des journalistischen Selbstverständnisses vielmehr erst dann zu erwarten, wenn es Synchronisierungen auf allen Ebenen des Systems gibt.
Ziel einer umfassenden Journalismustheorie sollte es sein, unterschiedliche Rollenbilder der Kommunikatoren nicht nur festzustellen, sondern zu erklären. Selbst in anscheinend sehr Ge- sellschaften mit großen Gemeinsamkeiten zeigen sich, wie anhand der deutschen, britischen und US-amerikanischen dargestellt, starke Unterschiede. Sollen die einzelnen Faktoren be- stimmt werden, die den Journalismus eines Landes prägen, ist es sinnvoll, sich zunächst auf diese Unterschiede zu konze ntrieren. Das bedeutet, dass im internationalen Vergleich die Dif- ferenzmethode, die nach Unterschieden in ähnlichen Gesellschaften sucht, „ fruchtbarer und bedeutsamer“ erscheint als die Konkordanzmethode, deren Ziel es ist, Gemeinsamkeiten zu ermitteln.66
Zusammenfassung
In dieser Hausarbeit sollte die Frage untersucht werden, ob die nationalen Grenzen an Bedeutung für das journalistische Selbstverständnis verlieren.
Mögliche Gründe für eine Konvergenz liefert der zunehmende kulturelle Austausch zwischen den Staaten sowie die zunehmende Kommerzialisierung. Der interkulturelle Austausch könnte, unterstellt man eine westliche bzw. US-amerikanische Dominanz in der Kulturindustrie, dass sich die amerikanischen Werte als Standard für den internationalen Journalismus durchsetzen. Die Kommerzialisierung, so wurde angenommen, wird dafür sorgen, dass sich der Journalismus den einheitlichen Gesetzen des Marktes unterwirft. Auch in diesem Bereich wurde der amerikanische Journalismus als mögliches Vorbild ausgemacht, da dort die Kommerzialisierung der Medien am weitesten fortgeschritten ist.
Neben einer Konvergenz wurde daher vermutet, dass sich der Journalismus immer mehr am amerikanischen Vorbild orie ntiert.
Da die Frage einen Ze itvergleich impliziert, erlaubt die Materiallage lediglich einen Vergleich der Ergebnisse von Journalistenbefragungen aus Deutschland, den USA und Großbritannien. Denn hier liegen jeweils Umfragen aus den achtziger und neunziger Jahren vor. Die Ergebnisse dieses empirischen Vergleichs sind zwiespältig: Hinsichtlich der soziodemo- graphischen Merkmale läßt sich eine Konvergenz im Journalismus der drei Länder feststellen: Die deutschen Journalisten der Neunziger sind jünger, ihr Frauenanteil ist höher geworden. Auch der Frauenanteil der britischen Journalisten hat sich erhöht. Dies alles geschah in Rich- tung ihrer amerikanischen Kollegen.
Im Rollenverständnis ist die Sache nicht so einfach: Für deutsche Journalisten spielt Informa- tionsvermittlung, Unterhaltungs- und Service-Orientierung in den neunziger Jahren eine grö- ßere Rolle als zehn Jahre zuvor. Die investigative Komponente ihres Berufs hat aber immer noch einen wesentlich geringeren Stellenwert als in den USA oder Großbritannien. Auch in den Recherchemethoden sind sie wesentlich zurückhaltender. Britische und amerikanische Journalisten haben sich einander nicht wesentlich angenähert. Eindeutige Hinweise auf eine Amerikanisierung des Selbstverständnisses ließen sich weder bei deutschen noch bei briti- schen Journalisten erkennen.
Insgesamt läßt sich feststellen, dass die Kommerzialisierung zu einer gewissen Konvergenz führen kann (Verjüngung, Entertainisierung), dass aber nationale Unterschiede eine unverändert große Rolle für den Journalismus spielen.
Daher ist der nationale Rahmen immer noch der geeignete Maßstab für Journalistenstudien.
Für systematische Journalistenstudien ist die theoretische Orientierung an dem Zwiebel- bzw. Schalenmodell von Weischenberg sinnvoll. Die hier dargestellten Veränderungen und Unter- schiede im Selbstbild deutscher, britischer uns US-amerikanischer Journalisten können den Ausgangspunkt für eine solche Studie bilden. Es wären davon ausgehend alle Sphären des Systems daraufhin gehend zu untersuchen, inwiefern sie etwaige Veränderungen erklären können bzw. inwiefern sie gegenüber Veränderungen resistent sind. Solche Studien, die jede Systemebene untersuchen, sprengen auf jeden Fall den Rahmen einer Hausarbeit.
Wünschenswert wäre weiterhin eine Untersuchung der Journalisten aus anderen Kulturkreisen im Zeitverlauf. Die ähnlich angelegten Studien, die Anfang der neunziger Jahre durchgeführt worden sind, sind der Grundstein für ein solches Vorhaben. Werden sie aneinander angepaßt und in regelmäßigen Zeitspannen wiederholt, wäre es vielleicht eines Tages möglich, eine umfassende Journalismustheorie zu entwickeln, die wesentliche Einflußfaktoren auf den Journalismus eines Landes isolieren und wesentliche Unterschiede und Veränderungen erklären kann. Den inzwischen obsolet gewordenen normativen „ four theories of the press “67 könnte dann vielleicht eine folgen, die weniger bewertet und mehr Erklärungen liefert, wie dies für eine wissenschaftliche Theorie zu fordern ist.
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[...]
1 Markl, Hubert: Was wird aus Menschen, die unter Bildgewittern frühstücken? Von der Mediengesellschaft zur Wissensgesellschaft. In: Frankfurter Rundschau v. 25. Juli 1997, 16
2 Thoma, Helmut: Man hätte die Tagesschau auch in Latein senden können. Helmut Thoma über die Entwicklung des Fernsehens, das Faible der Deutschen für Arztserien und die digitale Zukunft. In: Frankfurter Rundschau v. 27. Oktober 1997, 7
3 Weaver, David H. (Hrsg.): The global journalist: news people around the world. New Jersey 1998
4 Vgl ebd.
5 Vgl. Scholl, Armin/Siegfried Weischenberg: Journalismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und Empirire. Opladen, Wiesbaden 1998, 226-234
6 einen guten Überblick hierzu liefern Gurevitch, Michel/Jay G. Blumler: Comparative Research: The extending Frontier. In: Swanson, Davis L./D. Nimmo (Hrsg.): New directions in political communication. A resource book. Newbury Park 1990, 305-325, sowie Kleinsteuber, Hans J.: Mediensystemen in vergleichender Perspektive. Zur Anwendung komparativer Ansätze in der Medienwissenschaft: Probleme und Beispiele. In: Rundfunk und Fern- sehen (41) 1993, 317-338
7 Vgl. hierzu Winseck, Dwayne: The Shifitng Contexts of International Communication: Possibilities for a New World Information Order. In: Bailie, Mashoed/Dwayne Winseck (Hrsg.): Democratizing Communication? Comparative Perspectives Of Information And Power. Creskill 1997, 343-376
8 Reimann, Horst: Strukturierung einer neuen Welt-Informationsordnung. In: ders. (Hrsg): Transkulturelle Kommunikation und Weltgesellschaft: zur Theorie und Pragmatik globaler Interaktion. Opladen 1992, 332-349, 332
9 Reimann, 337
10 Alrabaa, Sami: Western Mass Media Hegemony over the Third World. In: Communication (12) 1986, 7-19, 16
11 Reimann, 337
12 Stephenson, Robert L.: Global Communication in the Twenty-First Century. New York 1994, 142
13 Schönbach, Klaus/Dieter Stuerzebecher/Beate Schneider: German Journalists in the Early 1990s: East and West. In: Weaver, David H.: The Global Journalist: news people around the world. New Jersey 1998, 213-227, 213
14 Stephenson, 151
15 Stephenson, 182
16 Vgl. Rust, Holger: Internationale Medienkonzentration und publizistische Vielfalt. In: Rager, Günter/Bernd Weber: Publizistische Vielfalt zwischen Markt und Politik: Mehr Medien -mehr Inhalte? Düsseldorf, Wien , New York, Moskau 1992, 27-49
17 Heinrich, Jürgen: Medienökonomie. Bd1. Mediensystem, Zeitung, Zeitschrift, Anzeigenblatt. Opladen 1994, 167
18 Heinrich, 173
19 Vgl. McMagnus, John H.: Market-driven journalism: Let the citizen beware? Thousand Oaks, London, New Delhi 1994.
20 McMagnus, 2
21 Rust, 35
22 McMagnus, 2
24 Weaver, David H./G. Cleveland Wilhoit: The Amercian Journalist in the 1990s. U.S. News People at the End of an Era. Mahwah, New Jersey 1996. Für die achtziger Jahre: dies.: The American Journalist. A portrait of U.S. news people and their work. Bloomington 1986
25 Schneider, Beate/Klaus Schönbach/Dieter Stürzebecher: Westdeutsche Journalisten im Vergleich: jung, professionell und mit Spaß an der Arbeit. In: Publizistik (38) 1993, 5-30, 9
26 Vgl. Weischenberg, Siegfried/Holgert Sievert: Deutsche und französische Journalisten(forschung). Probleme und Potentiale international-komparativer Studien in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - ein empirisches Fallbeispiel. In: Publizistik (43) 1998, 395-410
27 Köcher, Renate: Spürhund und Missionar. Eine vergleichende Untersuchung über Berufsethik und Aufgabenverständnis britischer und deutscher Journalisten. Diss. München 1985.
28 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 9
29 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 12
30 Weaver/Wilhoit 1996, 6
31 Henningham, John/Anthony Delano: British journalists. In: Weaver 1998, 143-160, 147; Die Zahl von 1977 stammt aus einer Erhebung der Royal Commission of the Press.
32 Henningham/Delano, 147
33 Weaver, David H./G. Cleveland Wilhoit: Journalists in the United States. In: Weaver 1998, 396-414, 400
34 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 13
35 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 15
36 Die Zahlen stammen von Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 16. Bei Weaver/Willhoit 1996 werden 40% genannt (S. 39).
37 Vgl. Fröhlich, Romy/Christina Holtz-Bacha: Journalistenausbildung in Europa. In: Kopper, Gerd G.: Europäischen Öffentlichkeit: Entwicklung von Strukturen und Theorie. Berlin 1997, 167-169
38 Ebd.
39 Henningham/Delano, 150
40 Vgl. Scholl/Weischenberg, 226-234
41 Köcher, 133
42 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 23
43 Schneider/Schönbach/Stürzebecher, 24
44 Scholl, Armin: Recherchiermethoden und Ethik: Wie fair sind die Journalisten? In: Sage & Schreibe Special (2) 1994, 22-24, 22
45 Scholl/Weischenberg, 229
46 Köcher, 144
47 Scholl, 23
48 Weischenberg, Siegfried: Brav, braver, am bravsten. Zur Moral der deutschen Journalisten. In: Sage & Schreibe Special (2) 1994, 25
49 Weischenberg, Siegfried/Martin Löffelholz/Armin Scholl: Merkmale und Einstellungen von Journalisten. In: Media Perspektiven (4) 1994, 154-167, 165
50 Elitz, Ernst: Mangelnde Journalistenausbildung - fehlende Zivilcourage: Plädoyer für eine Reform. In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Journalismus & Journalismus. Plädoyer für Recherche und Zivilcourage. München 1980, 34-40, 34
51 Weischenberg/Löffelholz/Scholl, 165
52 Vgl. Donsbach, Wolfgang: Redaktionelle Kontrolle im Journalismus: Ein internationaler Vergleich. In: Mahle, Walter A. (Hrsg.): Journalisten in Deutschland. Nationale und internationale Vergleiche und Perspektiven. München 1993, 143-160
53 Vgl. Weischenberg, Siegfried/Klaus-Dieter Altmeppen/Martin Löffelholz: Die Zukunft des Journalismus: technologische, ökonomische und redaktionelle Trends. Opladen 1994
54 Zur Kommerzialisierung der amerikanischen Medien vgl. Bagdikian, Ben H.: The Media Monopoly. 5. Auflage Boston 1997.
55 Weaver 1998
56 Weaver, David H.: Journalists Around the World: Commonalities and Differences. In: Weaver (1998), 455- 480, 415
57 Weaver 1998a, 479
58 Vgl. Siebert, Fred/Theodore Peterson/Wilbur Schramm: Four Theories of the Press. Urbana 1956
59 Scholl/Weischenberg, 207
60 Vgl. Weischenberg, Siegfried: Journalismus als soziales System. In: Merten, Klaus/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994, 427-454
61 Esser, Frank: Die Kräfte hinter den Schlagzeilen: Englischer und deutscher Journalismus im Vergleich. Freiburg, München 1998, 27
62 Ebd.
63 Ebd.
64 Vgl. Redelfs, Manfred: Investigative reporting in den USA: Strukturen eines Journalismus der Machtkontrolle. Opladen 1996
65 Weischenberg 1994, 427
66 Esser, Frank: Ursachen größerer Recherchebereitschaft im britischen Pressejournalismus. Eine Analyse aus vergleichender Perspektive. In: Rundfunk und Fernsehen (47) 1999, 200-219, 201
67 Vgl. Siebert/Peterson/Schramm
- Quote paper
- Jochen Schmitz (Author), 1999, Konvergenzen im Journalismus? Ein Vergleich des Selbstverständnisses deutscher, britischer und amerikanischer Journalisten in den achtziger und neunziger Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102130
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