"Deutschland, das sind auch Ali und Aysche ."
"Frag mich nicht immer, ob ich Türke oder Deutscher"
"Ich lebe nicht in einem Hotel, ich bin in Deutschland seit langem zu Hause." "In der Türkei kämen wir nicht mehr klar."
Die größte Minderheit in Deutschland sind die Türken. Bis 1960 konnten die Türken nur unter großen Schwierigkeiten nach Deutschland reisen. Diese Situation änderte sich in dem 1961 mit dem Inkrafttreten des neuen Grundgesetzes, das jedem Bürger die Freiheit, ins Ausland zu reisen gab. Im Allgemeinen wanderten die meistens Arbeitnehmer nach Deutschland. Der Rest verteilt sich auf vierzehn andere Länder, wie zum Beispiel die Niederlande, Österreich, Belgien und die Schweiz.
Die ersten türkischen Arbeitnehmer in Deutschland wollten nach einer begrenzten Aufenthaltsdauer zwischen vier und sechs Jahren wieder in die Türkei zurückkehren. Aber die Situation ist ganz anders jetzt. Die Türken wollen zwei Pässe zu haben, und in Deutschland ganz normal leben, arbeiten und studieren.
Die Abwanderung von Arbeitnehmern ins Ausland brachte der Türkei neben vielen Vorteilen aber auch Probleme. Wegen fehlender deutscher Sprachkenntnisse fehlten die Türken sich später nicht wehren können. Heute leben in Deutschland 7.3 Millionen Ausländer. Eine große Gruppe deren Integration nur schwer zu verwirklichen ist. Dabei könnten im wesentlichen folgende Argumente aufgezählt werden: die Türken kommen aus einer den Europäern fremden Kultur, sie haben die andere Religion, sie sind Moslems und haben ganz andere Wertmuster, sie hängen sehr stark an eigenen Traditionen. Generell erfordert eine Integration der Türken eine gesetzliche Absicherung. Die Möglichkeit des Erwerbes einer doppelten Staatsangehörigkeit könnte eine Lösung sein.
Wer sind die Deutschtürke?
Wenn es in Deutschland um ,,die Ausländer" geht, geht es inzwischen in erster Linie um ,,die Türken". Und wenn es um ,,die Türken" geht, ist fast noch von Kriminalität die Rede. In Politik wie Medien konzentriert man sich auf Drogendealer, Messerstecher und geschlagene Kopftuchträgerinnen. Natürlich gibt es die. Alle. Und natürlich gibt es die alle auch unter Deutschen (ohne Kopftuch).
Die zweite, die dritte, die junge Generation ,,der Türken" paßt in kein Klischee mehr. Jedoch, mehr und mehr macht eine türkische Jugendkultur von sich reden. Die dritte Generation der Türken in Deutschland gibt sich nicht mehr mit der Stillen Außenseiterrolle zufrieden. Eigene Musik, Clubs und Parties geben diesem Lebensgefühl Ausdruck. Zum Beispiel, bekommt Rafet El Roman, der 29jährige Rapper, einen deutschen Plattenvertrag um englisch zu singen als erster Türkischer Sänger.
Die Deutschtürke sind in Deutschland geboren und haben zwei Pässe. Sie sprechen Deutsch, Türkisch and meistens eine andere Sprache. Sie sind auch gut ausgebildet. Sebnem Seldüz, 22, sagt: ,,Ich denke deutsch. Ich kann türkisch sprechen, ich bin aus Hamburg bei Izmir." Hier geboren, bekam sie den deutschen Paß mit 19:"Das Verfahren hat anderthalb Jahre gedauert. Als sei ich eine Kriminelle oder würde nicht brav zur Schule gehen: polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, ellenlange Bögen ausfüllen."
,,Mit zehn Deutschtürken habe ich vor der Frankfurter Oper die deutsche Nationalhymne gesungen. Von den ,,richtigen" Deutschen hat das niemand getan" sagt Yanki Pürsün, 26. Er war der zweite Türke, der je bei der Lufthansa einen der begehrten Ausbildungsplätze zum Luftverkehrskaufmann bekam - auf 32 Stellen kommen 6000 bewerben. Jetzt jobbt er dort in Teilzeit und studiert. Seit Januar 1998, ist er mit einer Tartarin verheiratet, die Kinder werden wahrscheinlich drei Pässe haben.
Warum möchten sie den deutschen Paß?
Der deutschen Paß ist der Schlüssel zum Erfolg - und die Eintrittskarte in die Gesellschaft. Die Ausländer, die in Deutschland über 8 Jahren gelebt haben, können sich um die deutschen Staatsbürgerschaft bewerben. Aber sie müssen ihren Paß aufgeben. Das Ausländergesetz vom 13. Januar 1999 sagt: ,,Wer hier geboren wird, ist Deutscher, darf auch befristet zwei Pässe haben, muß sich aber mit 18- bis 23- Jahren für einen entscheiden.
Polizeibeamter, nieder gelassener Arzt, Prüfingenieur oder sogar Schornsteinfeger: Wer diesen und viele andere Berufe in Deutschland ausüben will, braucht die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen EU-Paß. Als Türke geht das nicht, selbst wenn man die Berufsausbildung hier absolviert hat. Auch deshalb lassen sich immer mehr der 2,1 Millionen in Deutschland lebenden Türken einbürgern.
Allein in Berlin liegen derzeit über 30000 Anträge auf Einbürgerung. Laut Umfrage der Offenbacher Forschungsgesellschaft "Marplan" sind fast 30 Prozent "sehr interessiert" an Einbürgerung, bei den bis 25jahrigem Türken sogar 43,5 Prozent; weitere 36 Prozent jeden Alters sind "etwas interessiert". Doch das Verfahren ist kompliziert und häufig auch teuer.
Ein Leben mit ständigen Besuchen beim Ausländeramt und mit deutlich schlechteren Berufschancen ist die Alternative zur Einbürgerung. Die Möglichkeiten, als Ausländer in Deutschland zu bleiben, zu leben und zu arbeiten, sind in verschiedensten Vorschriften geregelt.
Kann man Deutscher sein und Türke bleiben?
Eine überflüssige Debatte, findet Eray Korkmaz, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und zwei Söhne hat. ,,Natürlich schlägt unser Herz auch für die Türkei. Die Türken, was sollen die denn sagen? Daß sie die Türkei nicht lieben?". Nur benim Fußball gibt es einen Loyalitätskonflikt. Stets hält Korkmaz zu den Deutschen. Außer wenn sie gegen ein türkisches Team spielen. Er wollte Deutscher werden, ohne seinen türkischen Paß abzugeben, obwohl das die deutschen Gesetze noch nicht vorsehen.
Dogan Izbirak, der Hamburger Arzt aus Istanbul, hatte fünf Jahre lang einen deutschen und einen türkischen Paß. Als das türkische Dokument 1991 ablief, hat er es einfach nicht verlängert. "Was sollte ich damit?" sagt der 49jahrige Internist. "Es bedeute mir nichts mehr. Ich lebe nicht in einem Hotel, ich bin in Deutschland seit langem zu Hause."
Trotzdem glaubt er, daß die doppelte Staatsbürgerschaft für viele Ausländer "eine gute Sache" sei. Denn die meisten empfänden anders als er. Sie seien ängstliche Menschen - auch wenn sie schon so lange in Deutschland lebten wie er. Der Arzt Izbirak nennt es das "Niemandsland-Symptom". Viele seiner türkischen Patienten lebten in einer "Traumwelt", in der die Illusion, irgendwann zurückzukehren in die alte Heimat, noch immer einen festen Platz habe. Für sie sei der türkische Paß eine Beruhigungspille, die das Leben in Deutschland erleichtert. "Mit vielen Jugendlichen ist es ähnlich. Über die Witze in türkischen Fernsehshows können sie nicht lachen, die schauen Lola rennt im deutschen Kino an. Aber sie wollen zwei Pässe."
Vielleicht, hofft Izbirak, ist die doppelte Staatsbürgerschaft für viele Türkeideutsche der beste Weg, um sich von der doppelten Staatsbürgerschaft loszusagen.
Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Deniz Yilmaz vor drei Jahren erhalten und dafür die türkische aufgeben müssen. Die doppelte Staatsbürgerschaft besorgte er sich anschließend, indem er sich durch die Türkei wiedereinbürgern ließ. Das ist illegal, aber verbreitet. "Ich war vier, als meine Eltern nach Deutschland kamen, habe hier Abi gemacht", sagt er, "trotzdem hänge ich am türkischen Paß."
Das zu begründen fällt ihm schwer. Erst spricht er von der "Verbundenheit" mit der Heimat seiner Eltern, dann sagt er: "Man weiß nie, wie sich die Dinge hier entwickeln." Die ständigen Übergriffe auf Ausländer haben ihn beunruhigt, das schlechte Abschneiden der rechtsradikalen Parteien bei der Bundestagswahl wieder ein wenig beruhigt. Der zweite Paß, sagt er garantiere ihm ein Rückzugsgebiet. "Dieses Sicherheitsdenken habe ich nun mal in Deutschland gelernt."
Der Doppelstaatler Attila Kurtuldu ist Soldat der Bundeswehr, Obergefreiter im Sanitätsregiment. Seit seiner Geburt hat er zwei Staatsbürgerschaften. Der Vater ist Türke, die Mutter ist Deutsche. "Ob ich nun Deutscher oder Türke bin, hat mich nie beschäftigt", sagt er, "ich weiß, daß ich gerne in Deutschland lebe und loyal bin zu diesem Land." Mit den Türkeideutschen seiner Einheit diskutierte er neulich, wie man sich wohl verhalten würde, wenn es einen Krieg gegen die Türkei gäbe. "Ziemlich abwegig, diese Frage" sagt er, "aber wenn es tatsächlich sein müßte, würde ich mitmachen." Auf deutscher Seite.
Die Bibliographie
Die Türken kommen, Bettina Schneuer, Stern-Archiv, 18-10-1998.
Immer loyal - nur beim Fußball nicht, Andreas Molitor und Stefan Willeke, Die Zeit Nr. 03 vom 14.1.1999. In der Türkei kämen wir nicht mehr klar, Freuke Hunfeld, Stern-Archiv, 05-11-1998.
Erleichterte Einbürgerung für Ausländer (Doppelpaß)
http://privat.schlund.de/a/auslaenderrecht/do_pass.htm
Sprach-Verwirrung, Stern-Archiv, 09-07-1998.
Ende 1996 lebten rund 7,3 Mill. Ausländer in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Mitteilung für die Presse, 19- 06-1997.
Häufig gestellte Fragen
Wer sind die Deutschtürken?
Die Deutschtürken sind in Deutschland geboren und haben oft zwei Pässe. Sie sprechen Deutsch, Türkisch und meistens noch eine weitere Sprache. Viele sind gut ausgebildet und fühlen sich sowohl der deutschen als auch der türkischen Kultur zugehörig.
Warum möchten Deutschtürken den deutschen Pass?
Der deutsche Pass ermöglicht den Zugang zu bestimmten Berufen (z.B. Polizeibeamter, Arzt) und wird als Schlüssel zum Erfolg und zur Integration in die deutsche Gesellschaft gesehen.
Ist es möglich, Deutscher zu sein und Türke zu bleiben?
Dies ist ein viel diskutiertes Thema. Viele Deutschtürken fühlen sich beiden Ländern zugehörig und wünschen sich die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Gesetzeslage dazu ist jedoch komplex.
Was sagt das Ausländergesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft?
Das Ausländergesetz vom 13. Januar 1999 besagt, dass in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zwar befristet zwei Pässe haben dürfen, sich aber zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Neuere Gesetze können abweichen.
Welche Probleme gibt es bei der Integration von Türken in Deutschland?
Einige Argumente, die oft genannt werden, sind kulturelle Unterschiede, unterschiedliche religiöse Überzeugungen (Islam), andere Wertvorstellungen und eine starke Bindung an traditionelle Bräuche.
Wie viele Ausländer leben in Deutschland?
Ende 1996 lebten rund 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland.
Was sind die Herausforderungen für Türken, die nach Deutschland kommen?
Neben der Sprachbarriere gibt es auch Schwierigkeiten bei der Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft, sowie potenzielle Diskriminierung.
Gibt es eine türkische Jugendkultur in Deutschland?
Ja, es gibt eine türkische Jugendkultur in Deutschland, die sich durch eigene Musik, Clubs und Partys ausdrückt.
Wie hat sich die Situation der Türken in Deutschland im Laufe der Zeit verändert?
Anfangs kamen viele türkische Arbeitnehmer mit der Absicht, nach einigen Jahren wieder in die Türkei zurückzukehren. Inzwischen leben viele Türken dauerhaft in Deutschland und wünschen sich die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie deutsche Staatsbürger.
Was sind die Vorteile und Probleme der Abwanderung von Arbeitnehmern aus der Türkei?
Die Abwanderung von Arbeitnehmern brachte der Türkei Vorteile, verursachte aber auch Probleme, wie z.B. den Verlust von Arbeitskräften und Fachkräften.
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- Faize Akcaba (Author), 2001, Die Deutschtürken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102089