Andreas Gryphius: Abend
Das Gedicht "Abend" von Andreas Gryphius entstand in der Zeit des Barock, im Jahre 1650. Es erzählt vom lyrischen Ich welches sich mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem nahendem Tod auseinandersetzt.
Zwei Quartette die als umarmender Reim verfasst sind, bilden zusammen mit den darauffolgenden zwei Terzetten im Schweifreim, ein Sonett. In den Quartetten bildet die jeweils zweite Zeile zusammen mit der dritten ein Enjambement. Der Wechsel der Strophenform von Quartett zu Terzett markiert auch einen inhaltlichen Wechsel. In der ersten Gedichtshälfte beschreibt das lyrische Ich seine Sicht des Lebens, in der zweiten Hälfte kommt es zur Anrufung Gottes. Die Kernaussage einer jeden Strophe steht im letzten Vers. Schon das allein erregt Aufmerksamkeit. Es wird jedoch noch durch den Reim verstärkt, der die Strophenenden einer Gedichtshälfte akkustisch miteinander verbindet.
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich in einer sehr bildlichen Sprache den Eintritt der Nacht in der Natur. Es wird dunkel, Menschen und Tiere ziehen sich zurück, draußen herrscht die Einsamkeit. Die Nacht bedeutet das Ende für den Tag. Anfang und Ende der Strophe stehen in starkem Zusammenhang ("Der schnelle Tag ist hin, ..." Z.1; "Wie ist die Zeit vertan" Z.4). Der Tag wird durch das Alltagsleben weniger wahrgenommen als die Nacht, in der Stille und Besinnlichkeit einkehren. Der Vergleich mit vertaner Zeit liegt daher Nahe. Gleichzeitig bildet dieser Schlusssatz die Kernfrage die sich Menschen zum Lebensende hin stellen: War mein Leben sinnvoll?
Die zweite Strophe thematisiert die Vergänglichkeit des Lebens. Der erste Vers beschreibt anhand von Emblemen das nahende Ende. Der "Port" (Z.5) oder auch Hafen symbolisiert den Tod während der "Glieder Kahn" (Z.5) für das Leben steht. Auffällig in diesem Vers ist die Annäherung der statischen Komponente - des Hafens, an die mobile - den Kahn. Die Annäherung eines Individuums an ein Objekt geschieht meist durch den eigenen Willen. Bei der Annäherung an das Lebensende erscheint dies jedoch unwahrscheinlich. Gleichzeitig wird der Tod durch dieses Emblem als unausweichliche, feste Größe dargestellt. Irgendwann muss jeder Kahn in einen Hafen einlaufen. Vers zwei und drei der zweiten Strophe beziehen sich wieder auf Strophe eins. Das lyrische Ich vergleicht hier den Lebenszyklus mit dem Ablauf von Tag und Nacht. Erneut steht die wichtigste Aussage im letzten Vers. Das Leben wird mit einer Rennbahn verglichen. Der Tod stellt hier jedoch nicht, wie man zuerst denken mag das Ziel dar. Er erscheint vielmehr als Verfolger der dem Athleten auf dem Weg zum Ziel, der Erfüllung des Lebens, ständig auf den Fersen ist. Die Verbindung zu Vers eins wird somit auch deutlich: Bezogen auf das Ende der Strophe stellt der Hafen den Verfolger des Kahns dar; auf dem Weg zu seiner Bestimmung.
Strophe drei markiert den Anfang der zweiten Gedichtshälfte und eine Veränderung des Inhalts. Hier wird nicht mehr das Lebensende dargestellt. Vielmehr ruft das lyrische Ich Gott um Beistand und Hilfe an. Vers eins steht in direktem Zusammenhang mit Vers vier der zweiten Strophe. Die Bitte sicher durchs Leben zu kommen erscheint aufgrund der Anapher in Vers zwei und der Präzisierung des Wunsches geradezu wie ein Flehen. Ein Fehler oder ein Abweichen kann den Sieg im Rennen um ein erfülltes Leben kosten. In Vers drei wird die Angst vor dem Unbekannten und der Einsamkeit ausgedrückt. Die dritte Strophe bezieht sich vollständig auf das Leben.
Im Gegensatz hierzu steht die vierte Strophe. Auch hier wird Gott direkt angesprochen. Die Bitten beziehen sich jedoch hier auf den Tod selbst. Enthalten ist der Wunsch nach einer unversehrten Seele (Vers 1). Der zweite Vers assoziiert erneut das Ende des Lebens mit dem Ende des Tages. Hier wird der Bezug zu Strophe eins deutlich. Das Gedicht wirkt in sich geschlossen. Wieder erscheint das wichtigste Element im dritten Vers: Die Furcht vor Dunkelheit und Einsamkeit nach dem Tod. Daher erfolgt hier die Bitte um die Aufnahme in den Himmel.
Im oben genannten Gedicht wechseln sich Carpe diem (Strophen 1 und 3) und Memento mori (Strophen 2 und 4) laufend ab. Dies erscheint typisch für das Zeitalter des Barock. Leben und Tod standen hier aufgrund des Dreißigjährigen Krieges, vieler Seuchen und Hungersnöte nah beieinander. Die schon mit dem Titel "Abend" etablierte Symbolik als Zeichen für das Lebensende und der Vergleich des Lebens mit einer Rennbahn ist für den Leser nachvollziehbar. Das Gedicht entbehrt trotz seines Alters keinerlei Aktualität. Im Gegenteil, in der schnelllebigen Zeit von heute erscheinen die Themen Zeit und "Lebenshatz" aktueller denn je.
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