Franz Werfel: Der Abituriententag
1. Biographie
Franz Werfel, geboren am 10.9. 1891, ist der Sohn einer wohlhabenden, jüdischen Familie in Prag. Er beginnt schon als Schüler Gedichte und Dramen zu entwerfen. Werfel kommt früh mit Dichtern des Prager Kreises, wie Franz Kafka und Max Brod, in Berührung. 1913 begründet er mit Kurt Pinthus und Walter Hasenclever die Sammlung ,,der jüngste Tag" (expressionistische Schriftreihe). Ein Jahr später nimmt er als Soldat am 1. Weltkrieg teil. 1918 zieht er schließlich nach Wien, wo er als freier Schriftsteller lebt. Es werden kritische und pazifistische Texte von ihm veröffentlicht. Seine erste große Erzählung ,,Nicht der Mörder, der Ermordetet ist schuldig" erscheint 1919. 1929 heiratet er Alma Mahler. Da Werfel Jude ist, bring auch für ihn die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 nur Schlechtes mit. Seine Bücher werden verbrannt und er wird auf die Auslieferungsliste gesetzt. Er emigriert zunächst nach Frankreich und dann begibt er sich auf eine spektakuläre Flucht. Mit Alma und einigen Freunden (darunter auch Golo Mann) überquert er zu Fuß die Pyrenäen nach Spanien, dann nach Portugal und von dort per Schiff in die USA. Dort bleibt er auch bis zu seinem Lebensende. 1945 erliegt er seinem schweren Herzleiden.
Werfel gilt als der führende Lyriker des Expressionismus, der sich dann immer mehr zum Romanschriftsteller entwickelte.
Definition von Expressionismus: entwickelte sich Anfang 20. Jhd; zuerst Malerei; oft synonym mit ,,Moderne"; gegen Tradition, Realismus und Impressionismus; während Nazizeit gelten sie als entartet; Grundlegend für Lit. der Gegenwart;
2. Werke
Sehr produktiver Schriftsteller: Gesamtwerk umfasst 15 Dramen, 11 Romane, sehr viele Novellen
Romane:
-,,Die vierzig Tage des Musa Dagh" (historischer Roman)
-,,Das Lied von Bernadette" (Dieses Buch hat er zum Dank für seine Errettung geschrieben)
Novellen:
-,,Nicht der Mörder, der Ermordetet ist schuldig" (Vater-Sohn-Konflikt · beliebtes Thema des Expressionismus)
-,,Der Tod des Kleinbürgers" · ,,Kleine Verhältnisse"
-,,Eine blassblaue Frauenschrift"
3. Inhalt
Ich möchte mit dem Inhalt ca. in der Mitte des Buches beginnen.
Die Hauptperson der Geschichte ist der Untersuchungsrichter Dr. Ernst Sebastian. Eines Abends schreibt er über seine Jugendzeit und die damit verbundenen Erlebnisse: Sebastian kommt neu in die Klasse des Sankt Nikolaus Gymnasiums. Er findet schnell Anschluss an die Gruppe von Knaben, in der Franz Adler, ein Jude, der Intelligenteste ist. Der Neuling bewundert diesen sehr. Gemeinsam unternehmen die Schüler viele Sachen: sie treffen sich um Gedichte vorzutragen, um Geister zu beschwören oder sie schwänzen ganz einfach die Schule und treiben sich stattdessen in Lokalen herum. Sebastian fällt es nicht schwer Adler von seiner Führungsposition zu drängen. Angefangen hat alles mit einer gewonnenen Schlägerei mit dem Juden. Alle anderen der Gruppe nehmen dies zum Anlass Adler fertig zu machen. Er gehört zwar noch zum Freundeskreis, doch man lästert über ihn, stellt ihn bloß und man lässt ihn ständig wissen, dass er der minderwertige Jude ist und sie die bestimmenden Christen sind. Adler wird dadurch immer ruhiger. Aus dem Intellektuellen wird ein zurückhaltender Versager: Schulisch und auch im alltäglichen Leben. Insgeheim fühlt sich Sebastian doch auf eine gewisse Weise zu Adler hingezogen und so will er ihm helfen seine äußerst schlechten Noten in der Schule aufzubessern. Die beiden brechen in das Konferenzzimmer und werden dabei von ihrem Klassenvorstand erwischt. Sebastian schieb hinter dem Rücken Adlers die Schuld auf diesen. Aus Angst, dass das Verbrechen wegen einer Aussage des Juden völlig aufgeklärt wird, möchte er diesen unbedingt wegschaffen. Er setzt ihn enorm unter Druck und es gelingt ihm schließlich, dass Adler nach Deutschland flieht.
25 Jahre später steht das Klassentreffen an. Dort erzählt Sebastian, dass er mit einem Fall eines Prostituiertenmord beschäftig ist, in dem der Angeklagte Franz Adler heißt. Alle sind sich sicher, dass es sich um ihren Ex-Klassenkollegen handelt. Beim nächsten Treffen mit dem Angeklagten sieht Sebastian die Chance sich bei Adler für alles zu entschuldigen, doch es stellt sich heraus, dass dieser Franz Josef Adler heißt und es sich um eine Verwechslung handelt.
4. Werkanalyse
Das Werk ist in 3 Abschnitte gegliedert (Folie). Im 1. ist das 1. Treffen mit Franz Josef Adler und das Klassentreffen, im 2. wird die Jugendgeschichte von Ernst Sebastian niedergeschrieben und im letzten trifft Sebastian zum 2. Mal auf Franz Josef Adler. Der 1. und 3. Teil werden auktorial erzählt, der 2. aus der Ich-Perspektive von Sebastian. Die Geschichte spielt Anfang des 19. Jhd, in einer österreichischen Stadt, also zur Zeit des Autors.
5. Personencharakterisierung
Sebastian:
Obwohl er seinen Vater nicht mag, weil dieser ihn ins ländliche Nikolaus Gymnasium und ihn damit von sich weg geschickt hat, identifiziert er sich mit diesem. Sein Vater verabscheut alles Schwache und hat absolut kein Mitleid mit Verlierern. Genauso geht dann auch Sebastian mit Adler um. Gefühllos. Es kommen zwar immer wieder Empfindungen wie Liebe und Respekt gegenüber Adler vor, doch die Angst vor der Intelligenz des Juden unterdrückt diese Gefühle.
Adler:
Er ist das Opfer der Geschichte. Vom Führungsposten verdrängt, zieht er sich immer mehr zurück. Er wehrt sich nicht gegen seinen Feind, den Christen Sebastian. Am Ende wäre er auch schon zu schwäch dafür gewesen. Die Umstände, dass seine Mutter schwerkrank ist, dass er schulisch plötzlich ein Versager ist und dass er nicht mehr respektiert wird, verkraftet er nicht.
Mitschüler:
Sie ziehen eigentlich nur mit Sebastian mit und machen Adler auch fertig. Sie sind es auch, die es Sebastian erst richtig möglich machen, den Juden so schnell und grausam das Leben schwer zu machen. Eine spezielle Beziehung, wie es sie Sebastian hat, haben sie jedoch nicht.
6. Beziehung zwischen Adler und Sebastian
Der Tatort in dieser Geschichte ist die Klasse. Dort gibt es zwei Schüler, die eine Ausnahmestellung einnehmen: Sebastian und Adler. Der Vorgang des Kräftemessens zwischen dem Christen Ernst Sebastian und dem Juden Franz Adler ist das Hauptthema der Geschichte. Sie stellen die Macht, bzw. ihr Gegenteil die Ohnmacht dar. Sebastians Macht steigt, Adlers sinkt. Den beiden Schülern bleiben zwei Möglichkeiten: Freundschaft oder Feindschaft, Verbindung oder Vernichtung. Sebastian entscheidet sich für die Vernichtung des Juden. Schritt für Schritt wird die Erniedrigung geplant. Am Höhepunkt wird Adler mit dem absolutem Nichts gleichgestellt. Sebastian selbst schreibt, dass er sich nur einem Toten entledigen wollte. So vollzieht er das Vernichtungswerk, indem er Adler in den Zug packt und dieser somit für immer verschwindet.
Aber während dieser langen Quälereien merkt man trotzdem, dass Sebastian etwas für Adler empfindet. Er hat Respekt vor ihm und liebt ihn auf eine gewisse Weise. Der Jude hasst aber den Christen. Er zeigt es nie direkt, doch man merkt ihm die Verachtung an. Sebastian, der Schuldige in der Geschichte, büßt seine Taten durch ein unglückliches Leben. Franz Josef Adler, der anfangs für den Juden gehalten wurde, spielt auch eine bedeutende Rolle: Durch ihn verarbeitet Sebastian seine Vergangenheit erneut und erkennt seine Fehler. Er wird als ,,die Gerechtigkeit" angesehen, die von Gott geschickt wurde.
7. Die Beziehung des Autors zum Werk
Gemeinsamkeiten des Autors mit dem Helden der Geschichte Franz Adler:
- schlechter Schüler
- muss sich durchkämpfen · Schwänzen
- Befassung mit Literatur (Vortragen der Gedichte) · Religion
Im diesem Buch geht es Werfel weniger um die Schule, das Klassentreffen, die pubertierenden Jugendlichen. Er hat auch keinerlei pädagogischen oder psychologischen Nebenabsichten. Er behandelt die furchtbarste Frage im menschlichen Leben: ,,Kann ein Mensch wirklich den anderen Vernichten?" Kein Mord, nein, die Vernichtung ist viel raffinierter und grausamer. Man lässt das Opfer vereinsamen. Der Autor stellt sich aber auch die Frage, ob dieser Vernichtung irgendwelche Grenzen gesetzt sind.
Auf diese Fragen versucht der Autor eine Antwort zu finden. Keine eindeutige Antwort bzw. Lösung des Problems.
Werfel beschäftige das Thema ,,Hass gegenüber Juden" immer wieder.
Am Ende geschieht etwas ganz Überraschendes, das alles irgendwie in ein anderes Licht stellt. Ich möchte euch nun bitten sich das vorzustellen.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Franz Werfels "Der Abituriententag"?
Die Geschichte handelt von Dr. Ernst Sebastian, einem Untersuchungsrichter, der über seine Jugendzeit und seine Erlebnisse im Sankt Nikolaus Gymnasium nachdenkt. Im Mittelpunkt steht seine Beziehung zu Franz Adler, einem jüdischen Klassenkameraden, den er zunächst bewundert, dann aber durch Intrigen und Demütigungen aus der Klasse drängt. 25 Jahre später scheint sich die Vergangenheit zu wiederholen, als Sebastian mit einem Mordfall konfrontiert wird, in dem der Angeklagte den Namen Franz Adler trägt.
Wer sind die Hauptpersonen in "Der Abituriententag"?
Die Hauptpersonen sind:
- Dr. Ernst Sebastian: Der Untersuchungsrichter und Protagonist der Geschichte, der sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt.
- Franz Adler: Ein intelligenter, jüdischer Schüler, der zum Opfer von Sebastians Intrigen wird.
- Franz Josef Adler: Der Angeklagte in einem Mordfall, der fälschlicherweise für den ehemaligen Klassenkameraden gehalten wird.
Was sind die zentralen Themen in "Der Abituriententag"?
Zentrale Themen sind:
- Schuld und Sühne: Sebastian muss sich mit seiner Schuld aus der Jugend auseinandersetzen und versucht, diese zu sühnen.
- Antisemitismus: Die Geschichte thematisiert die Ausgrenzung und Demütigung von Juden.
- Macht und Ohnmacht: Die Beziehung zwischen Sebastian und Adler verdeutlicht das Kräftemessen und die Verlagerung von Machtverhältnissen.
- Vergangenheitsbewältigung: Sebastian verarbeitet seine Vergangenheit und erkennt seine Fehler.
Wie ist "Der Abituriententag" strukturiert?
Das Werk ist in drei Abschnitte gegliedert:
- Erstes Treffen mit Franz Josef Adler und das Klassentreffen.
- Die Jugendgeschichte von Ernst Sebastian (aus der Ich-Perspektive).
- Zweites Treffen mit Franz Josef Adler.
Der erste und dritte Teil werden auktorial erzählt, der zweite aus der Ich-Perspektive von Sebastian.
Welche Rolle spielt Franz Werfels eigene Biographie in dem Werk?
Es gibt Parallelen zwischen Werfels Leben und der Figur Franz Adler: Beide waren schlechte Schüler, mussten sich durchkämpfen, beschäftigten sich mit Literatur und Religion. Werfel thematisiert in dem Buch die Frage, ob ein Mensch einen anderen wirklich vernichten kann, und setzt sich mit dem Hass gegenüber Juden auseinander.
Was ist die Bedeutung des "falschen" Franz Josef Adler am Ende der Geschichte?
Franz Josef Adler, der nicht der ehemalige Klassenkamerad ist, ermöglicht es Sebastian, seine Vergangenheit erneut zu verarbeiten und seine Fehler zu erkennen. Er wird als eine Art "Gerechtigkeit" angesehen, die von Gott geschickt wurde.
Was erfahren wir über die Beziehung zwischen Adler und Sebastian?
Sebastian empfindet einerseits Respekt und Zuneigung für Adler, lässt sich aber von der Angst vor Adlers Intelligenz und den gesellschaftlichen Normen leiten und demütigt ihn. Adler hingegen verachtet Sebastian, obwohl er es nicht direkt zeigt. Die Beziehung ist geprägt von einem Kräftemessen, bei dem Sebastians Macht steigt und Adlers sinkt.
Was ist der historische Kontext der Geschichte?
Die Geschichte spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in einer österreichischen Stadt, also zur Zeit des Autors. Der Antisemitismus war zu dieser Zeit ein weit verbreitetes gesellschaftliches Problem.
- Quote paper
- Rolf Bauer (Author), 2001, Werfel, Franz - Der Abituriententag, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101832