Inhalt:
- Einleitung
- Der Autor
- Die Wissenschaftsauffassung
1. Materialismus/ dialektischer Materialismus
2. Karl Marx
- Sozialarbeit von oben
- Theorie der `Sozialarbeit von unten`
- 10 Phasen- Programm
- Praxis der `Sozialarbeit von unten`
Ziele und Inhalte des 10 Phasen- Programms
- Bewertung und Ergänzungen
Einleitung:
Khella schließt mit dem Band `Sozialarbeit von unten/ Praktische Methoden der fortschrittlichen Sozialarbeit und Sozialarbeit`/ 1982 die Lücke in seinem `Handbuch der Sozialarbeit und Sozialpädagogik`, das aus drei Bänden besteht. Mit der `Sozialarbeit von unten` liefert Khella den praktischen Methodenteil als Ergänzung. Dieser Band, mit der praktischen Anleitung zu Khellas dialektisch- materialistischen Theorie, fand großen Zuspruch schon kurz nach seiner Veröffentlichung. Ich werde mich hauptsächlich auf das 3. Kapitel (S.29- 47) dieses Buches stützen, in dem Khella explizit die `Sozialarbeit von unten` vorstellt.
Der Autor:
Khella wird 1934 in Asjut/ Ägypten geboren. Er beginnt 1952 sein Studium der Betriebswirtschaftslehre, um später den Betrieb seines Vaters leiten zu können. Nach einem Jahr bricht er das Studium ab, um Theologie und Sprachwissenschaften in Kairo zu studieren. Khella arbeitet während seines Studiums an zahlreichen Sozialprojekten mit.
Im Rahmen eines Dozentenaustauschprogramms kommt Khella 1958 nach Deutschland, um am Institut für Geschichte und Kultur des vorderen Orients in Hamburg zu unterrichten.
In Stuttgart ist er von 1966- 1969 als Studentenpfarrer tätig und wird dort von Arbeitern für die Arbeiterfrage sensibilisiert.
Nachdem er zur Theologie auf Distanz gegangen ist, studiert er neben seiner Berufstätigkeit Geschichte in Kiel und Medizin in Hamburg. Von 1971- 1982 ist er als Dozent beim Sozialpädagogischen Zusatzstudium, das von einer arbeiterorientierten Wissenschaft getragen werden soll, an der Universität Hamburg tätig.
Dieses Zusatzstudium wird 1982 aus dem Lehrangebot der Hamburger Uni gestrichen, als es während seiner Lehrtätigkeit zu politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Der nun arbeitslose Ägypter soll auf Weisung der Ausländerbehörde die Bundesrepublik verlassen.
Khella kämpft öffentlich für sein Bleiben und das Arbeitsgericht stellt, aufgrund seiner 15- jährigen Tätigkeit im öffentlichen Dienst, seine Unkündbarkeit fest.
Khella kann an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.1
Die Wissenschaftsauffassung:
1. Materialismus
`Sozialarbeit von unten` versteht sich als materialistische Wissenschaftsauffassung. Der Materialismus, der sich philosophisch von der Antike bis in 19 Jh. weiterentwickelte, stellt sich als Lehre von der Alleinwirklichkeit des Stofflichen in Opposition zum Idealismus. Er ist Monismus, Objektivismus und erkenntnistheoretischer Realismus, in dessen Lehre die der Erscheinungswelt zugrundeliegende Wirklichkeit materieller, bzw. raumzeitlicher Substanz ist. Der kritische Materialismus, als spezielle Erscheinungsform, geht davon aus, daß nur von Materiellem exakte wissenschaftliche Aussagen möglich sind. Die historischen Formen des Materialismus entwickelten sich analog zum Begriff der Materie, die auch wenn sie durch die Energie ersetzt wird, den Materialismus als Philosophie nicht aufhebt. Die Stellung des Materialismus zur Psychophysik lehrt, daß Bewußtsein, Geist und Seele an das Gehirn gebunden sind, sie sind allein `Produkt` und `Zustand` dieses Organs. Gesellschaftstheoretisch folgt der historische Materialismus, im speziellen hier der dialektische Materialismus (Diamat), dem Grundsatz: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein.“ Er ist, anders als der Mechanismus, auf psycho- physikalische Kausalität angewiesen und führt nicht Leben und menschliches Bewußtsein auf rein chemisch- physikalische Vorgänge zurück. Menschliches Bewußtsein wird sogar als etwas Unmaterielles anerkannt. Um an diesem Punkt die Paradoxie dieser Erkenntnis aufzuheben und sich nicht selbst zu verneinen, kommt die Dialektik ins Spiel. Da die höheren Bereiche (Überbau) nur ein Produkt der Materie (Unterbau) sind, wird es notwendig zu erklären, wie es möglich ist, daß das Niedrige das Höhere hervorbringt; das Resultat beinhaltet mehr als in der Ursache vorhanden ist. Mit Hilfe der Dialektik ist es nun möglich, durch Überwindung von Widersprüchen im Denken, zu neuen Erkenntnissen aufzusteigen. Dies gilt für den Entwicklungsprozeß der Wirklichkeit und für die menschliche Gesellschaft, die durch das Auftreten und die Überwindung von Problemen vorangetrieben werden soll. Diese Widersprüche darf man im `Diamat` nicht mit logischen Widersprüchen, der Verneinung und Bejahung ein und desselben Gegenstands verwechseln. Hier ist der Kampf von Gegensätzen und entgegengesetzten Kräften gemeint (z.B., Gegensatz von Bürgertum und Proletariat).2
2. Karl Marx (1818 - 1883):
Marx entwickelte Mitte des 19 Jahrhunderts die Theorie vom historischen Materialismus, der die Hegelsche Dialektik `umstülpte` und dem absoluten Geist (Idee) die ökonomischen (materiellen) Tatsachen gegenüberstellte. Im Sinne der in Punkt 1. erörterten Mechanismen wird das tragende Element der Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens dem `Unterbau` zugeordnet, zu dem die geistesgeschichtliche Entwicklung als Produkt den `Überbau` abgibt. Die Herrschaft über die materiellen Daseinsbedingungen ( Boden, Rohstoffe, Arbeitskraft, Maschinen), den sogenannten Produktionsgütern, bedeutet zugleich die Beherrschung der Gesellschaft selbst.
Die herrschenden Klassen haben somit den größten Teil der Menschheit in Armut, Hörigkeit und Sklaverei herabgesetzt. Sowohl rechtliche und staatliche Begründung, als auch Moral und Religion dienen als `ideologischer Überbau`, um das kapitalistische System aufrechtzuerhalten. Diese sogenannte `Bourgeoisie` beutet den `Mehrwert` der produktiven Arbeit der arbeitenden Klassen aus und macht ihn sich zunutze. Den Verlauf der Geschichte sieht Marx im Sinne der historischen Dialektik als eine Folge von Klassenkämpfen, in dem sie vom Urkommunismus (These) über den Kapitalismus (Antithese) zur kommunistisch- klassenlosen Gesellschaft der Zukunft führt. Diese Entwicklung erfolgt mit Hilfe der besitzenden Klassen selbst, da nach Marx` `Akkumulationstheorie` sich das Kapital in immer weniger Händen zusammenballt, der einer immer größeren Zahl von verelendenden Menschen gegenübersteht, die, durch die inneren Machtkämpfe der wenigen Kapitalmagnaten und deren gegenseitige Zersetzung, an die Macht kommen, um über die `Diktatur des Proletariats` die `neue Ordnung` herbeizurufen.
Das Endreich liegt nach Marx` Auffassung im `goldenen Zeitalter` der staat- und klassenlosen Gesellschaft.3
Die historisch Bedeutung Marx` Werke, des Marxismus und der daraus gewonnenen Erkenntnisse liegen im wesentlichen darin, daß sie der Arbeiterbewegung, beginnend im 19. Jahrhundert, den nötigen Rückhalt, die Stoßkraft und den Zukunftsglauben gaben, um in vielfältigen
Organisationsformen ( SPD, USPD, KPD, Gewerkschaften, Spartakusbund) gegen die bestehenden Verhältnisse zu kämpfen; auch wenn sich seine historischen Voraussagen nicht in stringenter Form nachweisen lassen.
`Sozialarbeit von oben`:
„`Sozialarbeit von unten` versteht sich als Antithese zur etablierten, offiziell geförderten, von staatlichen oder freien Trägern getragenen
Sozialarbeit“, schreibt Khella und bezieht sich hier auf die „ Sozialarbeit auf dem Boden der freiheitlich- demokratischen Grundordnung.“ Khella bezeichnet die etablierte institutionalisierte Sozialarbeit als `Sozialarbeit von oben`, weil sie Armut lediglich verwaltet und nicht darauf abzielt die Klienten als autonome Persönlichkeiten wahrzunehmen, sondern sie „mit der Wohlfahrt der Gesellschaft, in der sie leben, in Einklang zu bringen.“ Hier bezieht sich Khella auf ein an Fachhochschulen verbreitetes Lehrbuch von W.A Friedländer.4 In der Sozialstaatsillusion sieht Khella einen weiteren Punkt, an dem die sozialpädagogische Literatur das wirkliche Problem nicht erkennt. „Sozialarbeit braucht ja nur die Klienten zu den sozialen Einrichtungen des Staates (...) hin zu führen.“
Da das Problem der Klienten gerade in der Auseinandersetzung mit der Sozialbürokratie besteht, versagt die institutionalisierte Sozialarbeit dabei `Deklassierte` wiedereinzugliedern. Der Sozialarbeiter braucht ja für den Klienten nur „...grundlegende wirtschaftliche Sicherheit, oder Sozialhilfe zu erlangen.“ Somit kennt `Sozialarbeit von oben` kein `soziales Elend`.
Die von Friedländer angeführten „ Belastungssituationen und Probleme bei der Rollenanpassung...“ bestätigen das Bild einer Sozialarbeit, in der das Individuum durch persönliches Versagen scheitert und mit der Gesellschaft nicht mehr im Einklang steht.
Nach Khellas Einschätzung ist dies alles ein Teil einer „Anpassungstheorie“ innerhalb einer „Anpassungspädagogik“, die als Lernziel das Erlernen einer soziale Rolle anstrebt.5
Theorie der `Sozialarbeit von unten`:
Die Problemstellung der Sozialarbeit sieht Khella darin, daß es Sozialarbeit mit Menschen zu tun hat, die sich in sozialer Not befinden, die an den objektiven Bedingungen und der Lösung ihrer Probleme gescheitert sind. Diese Probleme ergeben sich wiederum aus den Mängeln im System der öffentlichen Versorgung.
Soziale Arbeit beschäftigt sich also mit „Mängeln innerhalb der Gesellschaft“, die in der vorhandenen Armut sichtbar werden. Sie erforscht deshalb die Armut innerhalb der Gesellschaft (z.B. Empirisch). Nach Khella muß nun die Theorie versuchen zu erklären, was die empirischen Erscheinungen festgestellt haben: „ Warum existiert soziale Armut ?“
Diese Erkenntnis erfordert eine Gesellschaftsanalyse, die bei Khella einer `Klassenanalyse` gleich zusetzten ist (Die Arbeiterklasse und das Monopolkapital).
Diese Analyse soll zeigen, ob eine `Deklassierung` ( d.h. Herausfallen aus dem Klassenzusammenhang) an subjektive (selbstverschuldete), oder systemimmanente (gesellschaftlich vorstrukturierte) Faktoren gebunden ist.
Die Klienten sind häufig dem `Selbstverschuldungstheorem` verfallen und erkennen selten, daß ihre `Deklassierung` gesellschaftsbedingt ist. Eine breite Existenz von Armut erfordert die `Parteilichkeit` des Sozialarbeiters; eine Solidarisierung mit dem Klienten ist also notwendig.
Sozialarbeit muß sich nun die Frage stellen:
„ Wie können sich Deklassierte, durch Wiedereingliederung in ihren Klassenzusammenhang zum Kampfpotential zur politisch, ökonomischen und sozialen Befreiung ihrer gesamten Klasse entwickeln?“
Die Beantwortung dieser Frage ist Teil der Praxis der `Sozialarbeit von unten`, die Khella mit einem 10 Phasen- Programm ausstattet, und soll im nächsten Kapitel geklärt werden.6
10 Phasen- Programm der `Sozialarbeit von unten`:
Khella wählt die Aufteilung in 10 Schritte ganz bewußt, um die methodischen Grundlagen für einen therapeutischen Ansatz seiner Sozialarbeit zu schaffen. Einem theoretischen Schritt (< t >) folgt immer ein praktischer Schritt (< p >). Einem jeden Schritt geht die Informierung der Adressaten voraus, die in den Prozeß integriert werden und mit denen nicht `etwas gemacht wird`, sondern die mit Hilfe dieser Methodik selbst zu Machenden werden. Inhaltlich setzt Khella keinerlei Vorgaben, er sagt, „...die inhaltliche und praktische Ausfüllung des Programms kann nur aus der Analyse der konkreten Situation kommen.“ Auch Eigeninitiativen der Adressaten müssen in die Programm- gestaltung aufgenommen werden, um frühzeitig einer passive Rolle der Klienten vorzubeugen.
Eine zeitliche Befristung des Programms und der einzelnen Phasen ist, in Anlehnung an die inhaltlich offen gestaltete Form, ebenfalls nicht sinnvoll, sondern bleibt wiederum der konkreten Situation vorbehalten. Die zehn Phasen7:
1. Sensibilisierung < t >
2. Kollektivierung < p >
3. Aktivierung < t >
3.1. Aktion < p >
4. Reflexion < t >
5. Mobilisierung < p >
6. Orientierung < t >
7. Wiedereingliederung < p >
8. Qualifikation < t >
9. Organisation < p >
10. Veränderung < t > + < p >
Praxis der `Sozialarbeit von unten`:
Ziele und Inhalte des 10 Phasen- Programms :
- Sensibilisierung:
Das erste Ziel, daß der Sozialarbeiter nach Khellas Programm verwirklichen muß, ist die Kontaktaufnahme zu den Adressaten. Khella beschreibt diesen ersten als einen der wichtigsten und für den weiteren Erfolg als einen entscheidenden Schritt.
Der durch Inaktivität und sozialen Rückzug gekennzeichnete Adressat soll „...für seine eigenen Interessen und das Eintreten dafür...“ empfänglich gemacht werden. Der Optimismus und das Vertrauen in die eigene Kraft sollen geweckt werden, um den nächsten Schritt einzuleiten. Überzeugungsarbeit und Informationen, z.B. über die Grundrechte können hier die Inhalte sein.
- Kollektivierung:
Nach Vereinzelung und sozialer Isolation wird durch den Zusammenschluß der Adressaten eine Wiederherstellung der Persönlichkeit erwirkt. Die Vorurteile und das Mißtrauen der Adressaten, als auch der `Entsolidarisierungseffekt`, der durch die Sozialbehörden hervorgerufen wird, kann das Bilden von Arbeitsgruppen stark erschweren.
Khella nennt ein Beispiel, in denen die Gestaltung einer Flurversammlung in einem Obdachlosenlager drei Jahre Arbeit benötigte.
Die ersten Gruppengespräche sollen auf die gemeinschaftlichen Interessen der Gruppe abgestimmt sein und schon hier ist auf eine selbst tragende Komponente zu achten; die Gruppe soll sich selbst verwalten und organisieren können. Vorbereitungsgruppen, Sprecherkomitees und Obdachlosenräte sind mögliche Ansätze dieser Selbstverwaltung. Inhaltlich können Probleme erörtert und nach gemeinsame Lösungen gesucht werden.
- Aktivierung:
In dieser Phase, die eigentlich aus zwei Teilen besteht, sieht Khella den Grundsatz seiner Arbeit besonders anschaulich dargestellt, denn hier wird Theorie und Praxis direkt miteinander verknüpft und deren gegenseitige Wechselwirkung und Bedingtheit können zum Erfolg der `Sozialarbeit von unten` essentiell beitragen.
In der Aktivierung wird die kommende Aktion erkannt, geplant, und umrissen. Das Ziel der „... gesellschaftlichen Belebung einer bisher inaktiven sozialen Gruppe...“ ist in der Aktivierung als erfolgreich zu bewerten, wenn die Aktion als notwendig erkannt wird und die Einzelnen sich bereit erklären bestimmte Aufgaben zu übernehmen.
- Aktion:
Hier steht eine konkrete Handlung der nun gesellschaftlich bewußten Gruppe im Zielpunkt. Khella möchte die Betroffenen zum Protest zu befähigen und „...die Übung im Widerstand als ein Grundanliegen der `Sozialarbeit von unten` ...“ verstanden wissen. Es bieten sich für die noch neue Gruppe inhaltlich eher bescheidene Aktionen an, wie eine Wandzeitung, oder eine Unterschriftenaktion.
„Da ein passiver Mensch einen `Null- Widerstand` leistet, ist jede Regung gegen Unterdrückung eine (gegen Null) unendliche Größe.“ · Reflexion:
Dem alternierenden Prinzip der Theorie und Praxis- Schritten zur Folge, muß dem praktischen Teil nun wieder ein theoretischer Teil folgen. Die Auswertung (-Evaluation) der Aktion zielt auf die Verbesserung des Handlungsvermögens ab.
Kritik und Selbstkritik, Konsequenzen zur Verbesserung und Dämpfung der Euphorie umfassen Reflexion nach positivem, oder negativem Ausgang der Aktion. Die Reflexion deckt somit das gesamte Spektrum der Bewertung einer Auswertung ab.
Die Gruppe sollte sich in dieser Phase stabilisiert haben und das weitere Vorgehen planen können.
- Mobilisierung:
Die Mobilisierung versteht sich als Aktion auf einem höheren Niveau. Khella teilt der Gruppe in diesem Schritt einen `Gang` zu, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen (Mobilisierung- in Bewegung setzten). Durch die Aktionserfahrung wird das Selbstbewußtsein weiter gestärkt und Die Adressaten beginnen damit, „...nicht länger Objekt der Geschichte zu sein.“
- Orientierung
Dem Arbeitsprinzip der Aktion/ Reflexion- Wechsel treu bleibend, folgt auch nach der Mobilisierung die Orientierung, in der die Handlung reflektiert wird, in der aber auch als Lernziel „...die Veränderbarkeit von Situationen...“ anvisiert wird. Die Phasen Aktion/ Reflexion, Mobilisierung/ Orientierung sind nicht einmalig, sie sollen sich, so Khella, „So lange wiederholen, bis der Übergang zur nächsten Phase vorbereitet zu sein scheint.“ Orientierung heißt aber auch, daß sich der Sozialarbeiter von der nun stabilisierten Gruppe, die zur `Bewegung` geworden ist, langsam trennt. Khella nennt das Betreuerverhältnis „ ...kein Bund auf ewig“, und eine Dauerbeziehung von Sozialarbeitern und Klienten wäre „ ...eine falsch verstandene Solidarität.“
- Wiedereingliederung:
Im Zentrum der Betrachtung steht hier „... die Wiederherstellung von tragfähigen sozialen Bindungen“.
Die Klienten sollte sich weitgehend von der Institution `Sozialarbeit` befreit haben, um „ ...sozial und politisch als handelnde Subjekte...“ aufzutreten und die Rückgliederung in den „ ...ökonomischen, gewerkschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhang der Klasse...“ zu erreichen. Hier unterscheidet Khella ganz deutlich zwischen Rückgliederung und Anpassung an Verhältnisse, in denen Klienten lediglich in Arbeitsplätze eingesetzt werden, in denen sie sich objektiv mit ihren Kollegen „ ...entsoli- darisieren müssen.“
- Qualifikation:
Khella unterscheidet in dieser Phase zwischen beruflicher und politischer Qualifikation. Zur beruflichen Qualifikation zählt er Umschulung, Fortbildung und Ausbildung; der politischen Qualifikation ordnet er die gewerkschaftlich Schulung und die „ ... Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen von Deklassierung...“ zu.
Informationen zur Arbeiterbewegung und gewerkschaftliche Integration sollen die Stabilisierung der Adressaten gewährleisten. · Veränderung:
Bei erreichen dieser Phase erfüllt sich für Khella das dialektische Gesetz von der Negation der Negation, d.h. ein Zustand völliger Störung wird selbst zerstört.
„ Aus Deklassierten werden Klassenbewußte.“
„ Aus dem Objekt der Geschichte geht ihr Subjekt hervor.“
Bewertung und Ergänzungen :
An dieser letzten Stelle wird der Bezug auf den dialektischen Materialismus/ Marxismus besonders deutlich, insbesondere wenn man die vorherigen Phasen mit diesen letzten Punkten vergleicht.
Auch Khella baut seine Theorie (entsprechend seiner 10 Phasen) nach dem `Unterbau`/ `Überbau`- Prinzip auf, wie man es in der marx`schen Theorie wiederfindet. Der Unterbau (`Sozialarbeit von unten`) schafft das Produkt, daß den Überbau (selbstbewußte Individuen, die in klassenkämpferischen Verbänden operieren) bildet. Khella will seine Adressaten mit seiner `Sozialarbeit von unten` zu problembewußten und motiviert engagierten Proletariern `machen`, die als Produkt in seinem Überbau neu geschaffenes Kampfpotential, rekrutiert für den schwelenden Klassenkampf, bilden. Unter kritischer Betrachtung scheint Khella `seine` Klienten ebenso für sein gesellschaftstheoretisches Modell (Marxismus/ Materialismus) zu instrumentalisieren, wie der von ihm so angefeindete Friedländer, den er als Teil der `Sozialarbeit von oben` betrachtet.
Es handelt sich jedoch in beiden Fällen wohl kaum um eine neutrale Hilfestellung, sondern um eine Hilfe in Form von zielgerichtetem Dogmatismus, der das jeweilige ökonomische (kapitalistisch/ marxistisch) und soziologische Modell (`Anpassung an die Rolle`/ `gesellschafts- veränderndes Potential`) mit Hilfe der von ihm angesprochenen Gesellschaftsschicht stützen, oder bekämpfen möchte. Die praktische Anleitung Khellas, die Klienten dem schwerfälligen Verwaltungsapparat der Sozialinstitutionen als selbstbewußte und aktive `Kunden` gegenüberzustellen, hat , auch ohne Bezug auf klassenkämpferische Zielsetzungen, aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen seine Berechtigung. Khella spricht sich in seinem Brief8 zwar gegen die Intention zur Revolution durch Sozialarbeit aus, kann aber meiner Meinung nach die ideologische Färbung wohl kaum leugnen und impliziert diese, selbst wenn er sie nicht explizit fordert.
In Hinsicht auf eine ganzheitliche Theorie der Sozialarbeit kann man dieses doch eher praktisch, therapeutisch orientierte Modell, entzieht man ihm die ideologischen Grundlagen, wohl eher als Subtheorie bezeichnen. Der Vorwurf Marburgers9, daß sich nach Khellas Konzeption nicht das Entstehen von auffälligem, oder abweichendem Verhalten „außerhalb der Arbeiterschaft“ erklären läßt, wie z.B. Alkoholismus, Drogensucht und Aggressivität, kann nicht vollkommen ausgeräumt werden, da Khella lediglich darauf verweist, daß auch diese Form von „Dissozialität“ indirekt auf die Produktionsbedingungen zurückzuführen ist.
Ein anderer, von Walter Hollsteins10 verfaßter materialistischer Ansatz, den Khella als „Antisozialpädagogik“ bezeichnet und der die grundlegende Wissenschaftsauffassung mit Khella teilt, aber zu dem Schluß kommt, daß Sozialarbeit als Institution prinzipiell abzulehnen ist ( „Sozialarbeit ist die Krankenschwester des sterbenden Kapitalismus“), wird von Khella abgelehnt, da er die undialektische Herangehensweise bemängelt. Hollstein übersieht, nach Khella, die Errungenschaften der Arbeiterbewegung im Bereich der Sozialpolitik, wie die Einführung der Sozialversicherungen und des Kündigungsschutzes.
Die Theorie Khellas findet anscheinend sowohl Ablehnung bei Gleichgesinnten, als auch bei Wissenschaftlern anderer
Wissenschaftsauffassungen. Das Fehlen eines durch Forschungskonsens verfestigten Paradigma muß man wohl auch dem Ansatz Khellas vorwerfen, das, allgemein formuliert und nicht nur auf den dialektisch- materialistischen Ansatz bezogen, Lukas11 beklagt, wenn er von dem Verhältnis der Sozialarbeitswissenschaft zu etablierten Wissenschafts- disziplinen als „Integrationswissenschaft“ spricht.
[...]
1 Vgl. Festschrift für Karam Khella, D., B. Dottke, 1999
2 Quelle: `Sozialarbeit von unten`/ Khella 1982 `Das moderne Lexikon` / 1988
3 Quelle: Kurze Zusammenfassung/ Störig 1989 `Das moderne Lexikon`/ 1988
4 `Grundbegriffe und Methoden der Sozialarbeit`/ W.A. Friedländer
5 `Sozialarbeit von unten`, Khella, 1982, S.11- 20
6 `Sozialarbeit von unten`, Khella, 1982, S.29- 47
7 Vgl. Sozialarbeit von unten, Khella, S. 32/ 33
8 Brief vom 19.11.99, Khella, ad 2a)
9 `Entwicklung und Konzepte der Sozialpolitik`, Marburger, 1979, S. 150ff.
10 Sozialarbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen`, Hollstein/ Meinholt(Hrsg.), 1973 `
11 `Sozialpädagogik und Sozialarbeit in Wissenschaft und Forschung`, Lukas , 1979, S.160ff.
- Quote paper
- Nehat Helber (Author), 2000, "Sozialarbeit von unten" nach Karam Khella, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101649
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