Die Vororte vieler großer französischer Städte stehen immer wieder in den Schlagzeilen. Gewalt, Drogen und Zerstörung dominieren das Bild das viele von den sogenannten Banlieues haben. Eine Internet-Bildersuche unter dem Schlagwort ‚Banlieue‘ zeigt eine Fülle an grauer Tristesse von aneinandergereihten Hochausblocks. Ihre Darstellung in den Medien folgt ähnlichen Mustern. So tauchen sie nur in der Berichterstattung auf, wenn die nächste Negativschlagzeile möglich ist. Folglich gelten sie als Orte der Kriminalität und des sozialen Niedergangs. Allen voran sind dabei die Pariser Vorstädte zu nennen, eben jene sogenannten banlieues parisiennes, in denen sich 2005 die größten Unruhen bis dato ereigneten. Nordöstlich der Pariser Kernstadt starben damals bei einer Verfolgung durch die Polizei zwei Jugendliche in Clichy-sous-Bois. Ihr Tod löste Aufstände in vielen Teilen der französischen Banlieues aus. Bis heute ist die Wirkung der Vorfälle spürbar, und die ohnehin verrufenen Vororte erhielten eine erneute Prägung als Brennpunkte der Gesellschaft. Doch welcher Wahrheitsgehalt steckt hinter diesem weitverbreiteten Bild? Wie konnte ein solches Bild überhaupt entstehen und welche Teile der Vororte sind tatsächlich betroffen?
Die Pariser Banlieue – Die Entstehung eines sozialen Gefängnisses?
Die Vororte vieler großer französischer Städte stehen immer wieder in den Schlagzeilen. Gewalt, Drogen und Zerstörung dominieren das Bild das viele von den sogenannten Banlieues haben. Eine Internet-Bildersuche unter dem Schlagwort ‚Banlieue‘ zeigt eine Fülle an grauer Tristesse von aneinandergereihten Hochausblocks. Ihre Darstellung in den Medien folgt ähnlichen Mustern. So tauchen sie nur in der Berichterstattung auf, wenn die nächste Negativschlagzeile möglich ist. Folglich gelten sie als Orte der Kriminalität und des sozialen Niedergangs. Allen voran sind dabei die Pariser Vorstädte zu nennen, eben jene sogenannten banlieues parisiennes, in denen sich 2005 die größten Unruhen bis dato ereigneten. Nordöstlich der Pariser Kernstadt starben damals bei einer Verfolgung durch die Polizei zwei Jugendliche in Clichy-sous-Bois. Ihr Tod löste Aufstände in vielen Teilen der französischen Banlieues aus. Bis heute ist die Wirkung der Vorfälle spürbar, und die ohnehin verrufenen Vororte erhielten eine erneute Prägung als Brennpunkte der Gesellschaft. Doch welcher Wahrheitsgehalt steckt hinter diesem weitverbreiteten Bild? Wie konnte ein solches Bild überhaupt entstehen und welche Teile der Vororte sind tatsächlich betroffen?
Das Wort Banlieue leitet sich aus juristischen Zusammenhängen ab. Im Mittelalter war die „Bannmeile“ der Bereich um eine Stadt, welcher der Rechtsprechung des Herrschers unterstand. Dieses Umland war jedoch meist spärlich besiedelt. Im 19. Jahrhundert vollzog der Begriff einen Bedeutungswandel und beschreibt seither den geographischen Raum um eine Stadt. Dies geschieht vor allem durch die Industrialisierung. Diese breitet sich ab 1845 in Frankreich aus und sorgt somit für ein nie dagewesenes Wachstum des Pariser Umlands. Der ohnehin an seinen Kapazitäten angekommene Raum innerhalb der Städte, wurde während der Industrialisierung knapper oder war schlicht nicht vorhanden. Fabriken wuchsen oder siedelten sich neu an. Wo der Raum im Stadtzentrum fehlte, siedelte man sich in der nahen Peripherie der Städte an. Dort war ausreichend Platz für ausgedehnte Industriegebiete. Den entstehenden neuen Arbeitsplätzen folgten die Arbeiter. Im Zuge der Landflucht suchen viele Menschen ein Auskommen in den neuen Industrien anstatt der Agrarwirtschaft. Auch der Wohnraum in den Kernstätten wurde knapp, daneben war er teuer. Die Neugestaltung von Teilen der Pariser Kernstadt durch Hausmann sorgte sogar für einen Wohnraumverlust innerhalb der Stadt. Dem Anlegen von Alleen und einheitlichen Stadthäusern mussten die alten verwinkelten Bauten weichen. So siedeln sich die neuen Arbeiter und ihre Familien ebenfalls im Stadtumland an, wo meist auch der Weg zur Arbeit geringer ausfiel. Ein Prozess, der sich so für viele große Städte während ihrer Industrialisierung abspielte, und das Umland formte.
Schon in dieser Zeit entstehen grundsätzlich verschiedene Banlieues. Die banlieues residentielles oder banlieues pavillonnaires bilden die entstehenden Wohnorte. Hier reihen sich bald provisorische Unterkünfte aneinander. Eilig erbaut, sollen sie den großen Andrang an Arbeitsplätzen auffangen und diesen eine Wohnhaft bieten. Hieran lässt sich ein erster Anhaltspunkt für die Entwicklung der Banlieues bis heute erkennen. Durch die Spontanität ihrer Entstehung und damit verbundenen Mängeln in Sachen Bausubstanz und Hygiene, können als Auslöser für die Entstehung der späteren Brennpunkte ausgemacht werden. Daneben stehen die banlieues industrielles, die entstandenen Industriegebiete im städtischen Umland. Industrielle Zonen, bestehend aus Fabriken und Lagern, bilden eine zweite Art der Vororte. Durch die vorhandene Industrie war das Umland durch Lärm- und (Luft)Verschmutzung beeinträchtigt, was den anliegenden bewohnten Vororten einen erneuten Attraktivitätsverlust einbrachte.
Hier zeichnet sich also bereits eine deutliche Differenzierung innerhalb der Banlieues ab, jetzt wird offensichtlich: Von DEN Banlieues zu sprechen, ist zu unpräzise. Ebenso wenig einheitlich war ihre Wertung. Wo der Begriff heute vor allem negative Assoziationen weckt, war er zunächst eher neutraler Konnotation. Tatsächlich lockte das freie Umland mit günstigen Grundstückspreisen und viel Platz. Wer es sich leisten konnte, baute ein Zweit- oder Sommerhaus. Auch die Mittelschicht siedelte, insbesondere aus Kostengründen, um. Man zog also durchaus bereitwillig in die neuen Vorstädte, wobei die Industrienähe nach Möglichkeit vermieden wurde. Insbesondere nördlich und nord- östlich der Kernstadt Paris bildete sich so, auch dank staatlicher Förderung, der große Ballungsraum an Chemie- und Metallindustrie, wobei im Süden und Westen weniger Industrie angesiedelt wurde. Eine Rolle spielte hierbei auch der Wind, so wurden die Abgase nicht über die Stadt geweht, sondern direkt von ihr fort. Erste Prestigevarianzen sind in diesen frühen Einteilungen der Vorstädte also bereits zu erkennen. Sie werden sich festigen und bleiben bis heute in Teilen bestehen.
Die Abwertung der Banlieues
Waren die Banlieues in den ersten Jahren der Industrialisierung durchaus beliebt als günstiger Wohnraum oder Zweitwohnsitz, entwickelte sich dennoch schnell eine erste Abneigung ihnen gegenüber. Wer sich den Wohnsitz in der Kernstadt leisten konnte, betrachtete die Abwanderung mit Skepsis. Viele der von Arbeitern bewohnten banlieues sind durch Notdürftigkeit ihrer Bauweise und eine mangelnde Infrastruktur geprägt und fallen entgegen der ‚edleren‘ Vororte ab. Zudem wurden Strukturen, die man im Stadtinneren weder haben wollte, noch unterbringen konnte, in jene Peripherie verbannt: Kläranlagen, Mülldeponien, Hospize, Psychiatrien und Gefängnisse. Daneben wurden die neuen Vororte auch ein Auffangbecken für jene Personen, die sonst nirgends einen Platz finden konnten. Wer im Zuge der Neugestaltung Paris als seinen Wohnort verlor und auch wen die Agrarindustrie nicht mehr ernähren konnte, fand dort seinen Platz. Das Bild verstärkte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Wirtschaftliche und politische Flüchtlinge siedeln sich in den entsprechenden Banlieues zusätzlich an.
Einen entscheidenden Moment in der Geschichte der banlieues stellen der Zweite Weltkrieg und seine Folgen dar. Die Wirtschaft sollte nach dem Krieg und der vorausgegangenen Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wieder in Schwung gebracht werden. Entsprechend wurde der Großteil der Ressourcen in den Wiederaufbau von Industrieanlagen und Infrastruktur gesteckt. Die Wirtschaft boomte erneut und die Menschen in den banlieues hatten Arbeit. Was sie allerdings nicht hatten, war ausreichender und vor allem angemessener Wohnraum. Der Neubau von Wohnungen wurde kläglich vernachlässigt und die Menschen mussten unter äußerst schlechten Bedingungen leben, die denen des vorausgegangenen Jahrhunderts glichen. Im äußerst kalten Winter 1954 kamen zahlreiche Obdachlose in der Kälte um. Dies veranlasste die Stadt, nach einem Aufruf durch den Priester Abbé Pierre, an einer Lösung zu arbeiten. Der Wohnungsnot soll nun also entgegengewirkt werden und so werden die Großwohnsiedlungen ins Leben gerufen. Diese zeichnen sich aus durch eine schnelle, da industrielle Bauweise. In großen ‚Riegeln‘ werden so zeitnah Gebäude mit mehreren Hunderten oder gar Tausenden Wohneinheiten gebaut. Was heute von den meisten als minderwertiger Wohnraum gesehen würde, galt als probates und gutes Mittel, dem Wohnungsmangel zu begegnen. Die einzelnen Wohneinheiten waren und sind mit eigener Küche und Badezimmer ausgestattet. Moderne Standards des Wohnens werden erfüllt, denen damals auch etliche Gebäude in der Kernstatt Paris nicht „das Wasser reichen“ konnten. Der neue Komfort und die freien Flächen in den Siedlungen locken zusätzlich. Zudem wurde der Baustil als fortschrittlich und modern gesehen. Getreu dem Motto: Je größer, desto besser, galten die größten Wohnungsbauten als am modernsten. In den nächsten Jahren, bis in die 70er hinein, werden so 8,5 Millionen Wohneinheiten geschaffen und damit die sogenannten grands ensembles geboren – Gebäudekollektive, die eine gewisse Einheit bilden und in sich relativ geschlossen stehen. Zu keinem Zeitpunkt sind diese in irgendeiner Form abgeriegelt, aber sie agieren in einer isolierenden Weise und schaffen so eine für sich selbst stehende Gesellschaft.
Zu Beginn ihrer Geschichte waren die neuen Wohnsiedlungen also beliebte Wohnorte. Ihr modernes und komfortables Wohnerlebnis lockt vor allem in den 50er und 60er Jahren verschiedenste Menschen in die Vororte. Auf diese Weise entstehen zunächst sehr divers zusammengesetzte Siedlungen. Die bisherigen Vorurteile waren vergessen; Arbeiter, aber auch Teile der höheren Mittelschicht, wohnten gleichermaßen in den verhältnismäßig günstigen aber sehr modernen neuen Vororten. Mit der Deindustrialisierung in den 1970er Jahren begann allerdings ihr allmählicher Niedergang, der in seiner finalen Konsequenz schließlich zu den heutigen Zuständen in den Problem-Banlieues führte. Zahlreiche Arbeitsplatzverluste im sekundären Sektor ließen etliche der ungelernten Arbeiter, die zu großer Zahl die Banlieues bewohnten, ohne Job und festes Einkommen zurück. Hart getroffen waren besonders die zuvor gekommenen Gastarbeiter, die neben fehlender Ausbildung häufig auch mangelnde Sprachkenntnisse aufwiesen. Zum Faktor der Arbeitslosigkeit fügte sich weiter die mangelnde Infrastruktur der Vororte. Freizeit- und Versorgungsangebote fanden sich in vielen der Vororte eher spärlich, sodass diese hier in eine Abhängigkeit zur Kernstadt gerieten. Leider fehlten oft auch die entsprechenden Anbindungen. Das Pariser Metronetz band nicht alle Banlieues in ausreichendem Maße an. Zudem fehlte eine direkte Verbindung der Vororte untereinander. So kam es zu einer Abgeschiedenheit der einzelnen Vororte, der nicht leicht zu entkommen war. Ein Zustand, der in Teilen heute noch immer anhält. Auch die Bausubstanz offenbart erste Mängel. Manche der großen Bauten in den Wohnsiedlungen der Vororte sind in den 70er Jahren inzwischen 15 bis 20 Jahre alt. Erste Verschleißerscheinungen machen sich bemerkbar. Auch die industrielle Schnellbauweise erweist sich im Nachhinein nicht als die vorteilhafteste für langlebige Gebäude; neben den optischen Verschließ gesellen sich abgenutzte und überholte Sanitäranlagen und Isolationen.
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- Lukas Braun (Author), 2019, Die Pariser Banlieue. Die Entstehung eines sozialen Gefängnisses?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1014204
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