Die Entwicklung vom Personenverbandstaat zum Territorialstaat im hohen Mittelalter
1. Selbsthilfe durch „Rechte Gewalt“
Im Mittelalter entstammten die meisten Verhaltensnormen dem alten germanischen Gewohnheitsrecht und wurden mündlich überliefert.
Im damaligen Denken war es selbstverständlich, dass alles Recht in Gott gegründet sei. Recht und Gerechtigkeit, objektive Rechtsnorm und subjektiver Rechtsanspruch, ideales und positives Rechte waren darin das selbe.
Im Vordergrund stand die Gerechtigkeit. Wurde sie verletzt, war es die Pflicht, Widerstand und Rache zu üben, um Recht und Ehre wiederherzustellen.
Es gab keinen Staat mit legitimem Gewaltmonopol, sondern es wurde selber „Rechte Gewalt“ geübt.
Der einzelne Mensch konnte nur als Mitglied seiner Sippe rechtlich handeln und dies war seine private Angelegenheit. Wer in seinen Rechten verletzt war, hatte die Wahl zwischen Rache oder Klage vor Gericht. Letzteres war kein Gericht im heutigen Sinne, sondern eine Versammlung freier Männer beider Parteien, später ein Richter, meistens der Grundherr, und Vertreter der Gerichtsgemeinde1, die um das Recht stritten.
1.1. Blutrache und Fehde
Auch der Rache musste ein Mindestmaß an Verhandlungen vorausgehen und ein triftiger Grund vorliegen, denn „Mutwillige Rache“ war verboten.
Kam es zu keiner Einigung, verfolgte der Betroffene den Gegner und dessen Sippe durch Tötung des Rechtsbrechers, der sogenannten Blutrache, und durch Schädigung seiner Ländereien durch Raub und Brand, sogenanntes Schadentrachten, bis zu Wiederherstellung des Rechtes.
Dies geschah durch eine Einigung, der Sühne. Letztere bestand entweder aus einer finanziellen Abfindung oder einer sonstigen Vergütung.
Die nach bestimmten Regeln durchgeführte Rache bezeichnete man als Fehde, Feindschaft. Es wurde unterschieden zwischen Blutrache und Todfeindschaft sowie ritterlicher Fehde. Während erstere ausschließlich um Tötung geführt wurde und sich auf alle Schichten erstreckte, war die Fehde allein auf den wehrfähigen Adel sowie auf Wehrfähige Verbände, wie Dorfgemeinden und Städte beschränkt und konnte um alle strittigen Gründe geführt werden.
Wehrlos waren Kleriker, Frauen und Kinder, reisende Kaufleute, Spielleute und Juden. Ihre Rechte mussten durch wehrfähige der Sippe, des Verbandes oder des Grundherren gewahrt werden. Voraussetzung für die „Rechte Fehde“ war die „Absage“.
Sie hob alle Rechts- und Freundschaftsbeziehungen aller daran Beteiligten des Gegners auf und wurde mündlich oder schriftlich bekannt gegeben. Sie war ein wesentlicher Bestandteil des ritterlichen Ehrenkodex.
Als Sonderfriedensgebiete galten Dorf und Stadt, Burg und Haus, denn in ihnen war die Fehde eingeschränkt, in letzteren sogar verboten. Der Friede begann am Dachtrauf und wer ihn verletzte, beging die schwere Missetat der „Heimsuchung“. Die Schädigung von Eigentum und Erbe im Gegensatz zum Lehen war ebenso verboten.
Es bestand für die Bauern auch die Möglichkeit des Freikaufs vor dem Schadentrachten, der „Huldigung“. Hierbei trat der Feind vorübergehend gegen Ablösegeld und Abgaben in das Herrschaftsverhältnis und leistete Schutz. Während dieser Zeit durfte der Bauer seinem eigenen Herren nicht dienen, was von diesem natürlich aber meistens verboten wurde.
Durch Raub und Brand Geschädigte forderten nicht selten von ihren Herren Zinsnachlass und Abgabefreiheit. Ebenso konnten sich Städte durch sogenannte Brandschatzung freikaufen.
Es vermochten Einzelne gegen Verbände, Untertanen gegen ihre Herren, Fürsten gegen Könige und Kaiser oder umgekehrt klagen.
Der Kreis der Fehdeführenden beschränkte sich nicht nur auf den eigenen Rechtskreis, in Dorfgemeinde oder Stadt, Land oder Reich, sondern ging auch über die Grenzen hinaus in andere Länder. Zwischen Fehde und Krieg wurde rechtlich nicht unterschieden, lediglich in den finanziellen und militärischen Dimensionen.
Zur Zeit schwacher Herrscher steigerte sich das Ausmaß der Blutrache und Fehde oft ins unerträgliche Maß. Diese Selbsthilfe und Gewaltanwendung zählte zu den charakteristischen Zügen des Mittelalters und das Bemühen Blutrache und Fehde auszuschalten war ein zentrales Problem dieser Epoche.
Zur Zeit Kaiser Karls des Großen wurden auf dem Reichstag in Aachen 802-803 gesetzliche Regelungen aufgeschrieben, um die Rache durch eine Sühne zu ersetzen. Vermutlich auf seine Veranlassung hin ist auch ein Bußgeldkatalog dafür entstanden.
Seit dem 10. Jahrhundert wandte sich die Kirche aus ethischen und bevölkerungspolitischen Gründen gegen die Fehde. Die Blutrache rottete ganze Familien sowie Dörfer aus und ließ das Land verarmen und verwüsten.
Die Bischöfe setzten in ihren Amtsbezirken einen Text, den sogenannten „Gottesfrieden“ auf, den sie von den dort ansässigen Adeligen beschwören ließen.
Er enthielt Regelungen, die den Personenkreis, Tage und Orte der Fehdehandlung einschränkten.
Weltliche Herrscher, die Könige, erließen aus gleichen Gründen ab dem 12. Jahrhundert die sogenannten „Landfrieden“. Danach war die Fehde nur noch dem Adel erlaubt. Als befriedete Orte galten Kirchen, Friedhöfe und Mühlen. Im Falle der Verletzung verhängte man nun die Todesstrafe. Ein endgültiges Verbot, den „Ewigen Landfrieden“ sprach der Reichslandfriede auf dem Reichstag zu Worms von 1495 aus.
Verbieten ließ sich die Fehde aber noch für lange Zeit nicht, da der glaube an das Recht, auf „Rechte Gewalt“ zu tief verwurzelt war.
1.2. Weistümer und Spiegel
Weistümer waren im frühen Mittelalter mündlich überlieferte Gewohnheitsrechte, die von Rechtskundigen als Rechtssprüche oder Urteile kund getan, gewiesen wurden. Auf Weistümern beruhen zum Beispiel das Fränkische Recht sowie der „Sachsenspiegel“ und „Schwabenspiegel“.
Der Sachsenspiegel wurde zwischen 1220 und 1235 von dem Ritter Eike von Repkow aufgezeichnet und beinhaltete das Gewohnheitsrecht des östlichen Harzlandes.
Er gliedert sich in das Landrecht, das Lehnsrecht und in eine Zusammenfassung des Gewohnheitsrechts der Sachsen aller Stände.
Er wurde das bedeutendste Rechtsbuch des Mittelalters in deutscher Sprache, ohne jemals von einem Herrscher in Kraft gesetzt zu sein.
Er breitete sich im gesamten Osten des Reiches bis weit über die östlichen Grenzen hinweg aus.
Seine Regeln wirken noch bis in unsere Tage hinein.
2. Herrschaft
Staat ist ein Begriff aus der politischen Neuzeit für jedes dauernd geordnete Zusammenleben eines Volkes auf abgegrenztem Gebiet durch hoheitliche Gewalt, Souveränität, zur Wahrung gemeinsamer Güter und Interessen verbunden.
Er unterscheidet sich von seinen Vorläufern durch Trennung von Person und Amt sowie öffentlichen und privaten Gütern. Das Gewaltmonopol stützt sich auf den öffentlichen Stand der Beamten. Die Staatsgewalt wird beschränkt durch die Verfassung und Gewaltenteilung sowie der Demokratisierung und des Parlamentarismus.
In der Merowingischen Zeit hatte das Reich bereits einen institutionellen Charakter, der auf römische Traditionen zurück ging; in der Karolinigischen Zeit verlor sich diese Ordnung wieder.
Im frühen Mittelalter kann nicht von einem Staat, sondern von „Herrschaft“ gesprochen werden, denn es existierte noch kein kodifiziertes Recht. Es gab viele Arten von Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen, über Stämme und Völker, Reiche und Länder, Stadt- und Dorfgemeinschaften, Grund- und Vogtholden. Ihnen allen war gemeinsam, dass Herrscher und Beherrschte dem höheren Gottesrecht gleichermaßen unterworfen waren. Das Band zwischen Ihnen war die gegenseitige Treue, Herr und Untertanen bildeten eine Gefolgschaft, einen Personenverband.
Die Wurzeln der mittelalterlichen Herrschaft gehen auf die
Hausherrschaft, die „Munt“, zurück. Die aus dem germanischen Recht herkommende Hausgewalt des Familienoberhauptes über die Familienmitglieder übte einerseits Gerichtsgewalt, andererseits aber auch Vertretung, Haftung und Schutz aus.
Die führenden weltlichen und geistlichen Herrschaften entstammten vorwiegend dem Adel, sodass auch von einer Adelsherrschaft gesprochen werden konnte. Mit der Form des Lehnswesen fand die mittelalterliche Herrschaft ihren Höhepunkt.
Das gesamte Mittelalter war geprägt vom Nebeneinander und Ineinander verschiedener Herrschaftssysteme und von Privilegienrechten.
2.1. Grundherrschaft
Grundherrschaft war ein Teilbereich adeliger, weltlicher und geistlicher Herrschaft bis zur Bauernbefreiung des 18. Jahrhunderts.
Sie war an Grund und Boden, das Eigen oder Lehen, gebunden und wurde entweder selbst bewirtschaftet, meistens aber an unfreie, hörige, Bauern oder als Leihgabe an freie, aber wirtschaftlich abhängige Bauern, beide „Grundholde“ verpachtet.
Dieser Begriff leitete sich ab von „Hulde“, der Gnade des Herren zum Untertanen bzw. der „Huldigung“, dem Treueid.
Der Herr gab Haus und Hof, Grund und Boden und erhielt dafür vom Holden Zins und Dienste in Geld, Naturalien und Arbeitsleistungen, der Fron. Der Herr leistete „Schutz und Schirm“, der Holde Hilfe mit „Rat und Tat“. Einer war auf den anderen angewiesen, auch wenn der arme und wehrlose Bauer sicher öfter ins Nachteil geriet.
Aber auch im Gebiet des Grundherren siedelnde freie Bauern, sogenannte Landsassen mit Eigenland sowie Bauern anderer Grundherren standen unter seiner Grundherrschaft die als „Vogtei“ bezeichnet wurde.
Zentrum der Grundherrschaft waren Haus, Hof oder Burg, der „Fronhof“, Herrschaftssitz des Grundherrn, an den die Bauern ihre Abgaben und Dienste, den „Fron“, richten mussten. Außerdem verfügte der Grundherr über die Nutzungsrechte der Allmende, zur Gemeinde gehörende Wiesen und Wälder.
Neben diesen sozialen und wirtschaftlichen Grundrechten besaß er auch die Machtbefugnisse der Niedergerichtsbarkeit, der Rechtssprechung für leichtere Straftaten, die sogenannte Patriominalgewalt.
Der Grundbesitz der Grundherren bestand ursprünglich nur aus Streulagen, die sich wohl aber zum Zentrum hin verdichteten. Diese Verdichtung war das Bestreben, den Herrschaftsbereich zusammenzuführen und zu vergrößern.
Diese Tendenz wurde unterstützt durch große Rodungen von Neuland, das im Gegensatz zum Lehen Eigentum, sogenannter Allodialbesitz war. Es entstanden große neue und unabhängige Grundherrschaften und da der hohe Adel meistens die Grafenrechte besaß, wuchs die Macht der Grafschaften bedrohlich an.
Die Klöster, die ebenso einen großen Teil an Neuland erworben hatten und unter der Vogtei des Grafen standen erweiterten seinen Machtbereich noch erheblich.
Kaiser Heinrich VI. sah sich deshalb veranlasst eine Auseinandersetzung mit dem Adel über die Eingliederung in das Reich durchzuführen, scheiterte aber daran.
2.2. Vogtei
Die Vogtei war im Mittelalter das Amt zur Vertretung von kirchlichen Amtsträgern, den Klerikern, und kirchlichen Institutionen wie Gotteshäusern und Klöstern, in weltlichen Angelegenheiten wie zum Beispiel, die Verteidigung der nicht wehrfähigen Geistlichen. Sie bedeutete Herrschaft über dieses Gebiet, wobei die geistlichen Herren selbst Immunität besaßen, also nicht unter die Herrschaft fielen. Hier erfuhr die Grundherrschaft praktisch eine Aufspaltung in Grundeigentum und Hoheitsrechte.
Die Vogtei wurde von Karl dem Großen vorgeschrieben und das Amt des Vogtes als Lehen im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts im Adel erblich.
Im Spätmittelalter waren Vögte auch landesherrliche Verwaltungsbeamte.
In bestimmten Gebieten des Reiches wurde dieses Amt von den ministerialen Reichsbeamten, den Reichsvögten, ausgeübt.
3. Reich und Länder
Das Reich war der Herrschaftsbereich eines Königs oder Kaisers, in der Regel mit großen Ausdehnungen über mehrere Stämme oder Völker. Das in der Völkerwanderung entstandene Fränkische Reich wurde im 10. Jahrhundert in das Westfränkische-Französiche und das Ostfränkische-Deutsche Reich geteilt.
Das ostdeutsche Reich umfasste die Reiche Deutschland, Italien und Burgund und nannte sich in Anlehnung an das antike Römische Reich zunächst „Imperium Romanorum“, ab 1254 „Heiliges Römische Reich Deutscher Nation“.
Das Deutsche Reich war wiederum die übergeordnete Herrschaft über verschiedene Länder, zunächst Stammesländer, später Territorien. Sie alle besaßen eigene unterschiedliche Rechtsordnungen.
3.1. Landrecht
Landrecht war zur Zeit der Germanen ursprünglich Stammes- und Volksrecht, einer auf bestimmtem Gebiet siedelnden Gemeinschaft von landbebauenden und landbesitzenden, also beherrschenden Menschen. Sie schufen zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert zur Zeit der Völkerwanderung politische Strukturen wie Herzog- oder Königtümer. Diese beruhten auf der Herrschaft über einen Verband von Personen und noch nicht über ein fest umrissenes Gebiet.
Die Herrschaft fußte auf einem Abhängigkeitsverhältnis und noch nicht auf der Basis von Institutionen. Deshalb wird diese Gemeinschaft auch als Personenverbandsstaat bezeichnet. Vor dem 13. Jahrhundert lag der Akzent mehr auf den Menschen, danach eher auf dem Gebiet. Im Spätmittelalter wandelte sich das Personalitätenprinzip in das Territorialprinzip durch die Ausbildung der Landesherrschaft.
3.2. Das Königtum
Der König wurde zur Zeit der Germanen von der adeligen Führungsschicht der Stämme gewählt, die ihm zum Gehorsam verpflichtet waren.
Er beherrschte das Reich in räumlicher Hinsicht durch die Besetzung strategisch wichtiger Punkte und Straßen. Er hatte die Aufgabe, den Frieden zu wahren und besaß die oberste militärische Gewalt. Ihm oblag die Verwaltung und Verteilung des Reichsgutes, zu dem auch die Reichskirchen zählten.
Die Ministerialen, seine Reichsbeamten, zunächst unfreie Dienstleute und später Edelfreie, führten diese Aufgaben durch. Ihre Stellung war allerdings noch nicht sehr ausgebaut und gefestigt und es zeigte sich gegen sie bis ins 12. Jahrhundert ein starker Widerstand.
Der König zog bis zum 13. Jahrhundert durch die verschiedenen Länder des Reiches und hielt dort Reichshof- und Gerichtshoftage ab.
Da sich das Königtum aber relativ schwach entwickelt hatte, musste es sich seit dem 9. Jahrhundert von der unmittelbaren Herrschaft über die zerfallenden Stammesländer auf eine überwiegend lehnrechtliche Herrschaft zurückziehen.
3.3. Das Kaisertum
Der Kaiser war der höchste weltliche Herrschertitel in
Anlehnung an den antiken Beinamen Cäsar. Während das antike Kaisertum in der westlichen Reichshälfte 476 erlosch, blieb das oströmische byzantinische Reich noch bis 1453 bestehen. Karl der Große schuf in Rivalität dazu im Westen das abendländische Kaisertum, das an den gewählten deutschen König gebunden war. Der Kaiser war der Beschützer der Christenheit, das Krönungsrecht hatte der Papst in Rom.
3.4. Das Herzogtum
Die Stellung des Herzogs war im Laufe der Zeit einem großen Wandel unterworfen, sodass sich daraus die Struktur und Staatsbildung des Reiches ablesen lässt.
Zunächst waren es die Herzöge, die als Landesherren auftraten. Zur Zeit der Germanen war der Herzog ein von den Stämmen gewählter Heerführer mit vizeköniglicher Gewalt, in der Mehrowingischen Zeit ein hoher, dem Grafen übergeordneter Beamter, der Amtsherzog. Seit dem 7. Jahrhundert entwickelten sich daraus erbliche Stammesherzogtümer, die königliche Macht anstrebten.
Unter Kaiser Otto I. im 10. Jahrhundert begann der Kampf mit ihnen um die Reichsgewalt und ihre Umwandlung in kleinere Amtsherzogtümer mit eingeschränkter Selbständigkeit.
Mit der Zerschlagung des mächtigen Herzogtums Heinrichs des Löwen durch Kaiser Friedrich I., Barbarossa, 1180 wurde dieser Prozess beendet. Der Kaiser hatte den Herzog zunächst noch im friedlichen Kompromiss dazu veranlasst, seine Ostmark Bayerns abzutreten und vermachte sie als selbständiges Herzogtum Österreich, seinem Onkel. Nachdem sich Heinrich weiterhin nicht dem Kaiser unterordnete, legte Friedrich ihn in die Acht.
Hier geschah es zum ersten Mal, dass ein Herzogtum nicht stammesrechtlich, sondern gebietsrechtlich verliehen wurde. Das war der erste Schritt zur Entwicklung der Territorien im deutschen Reich.
3.5. Das Grafenamt
Die Bedeutung des Grafen änderte sich im Laufe der Zeit ebenso sehr. Der Graf war im frühen Mittelalter ürsprünglich ein vom König eingesetzter Amtsträger, der an strategisch wichtigen Punkten königliche Gewalt ausübte, um die Macht der Herzöge zu beschränken. Die Grafen erweiterten allmählich ihren Amtsbereich und ihre Amtsbefugnisse auf gerichtliche und militärische Bereiche.
Bereits im 7. Jahrhundert ging das Grafenamt auf die eingesessenen Grundherren über und war damit nicht mehr vom König ernennbar. Seit dem 9. Jahrhundert wurde das Amt zum königlichen Lehen und erblich.
Mit dieser reichsunmittelbaren Herrschaft waren die Grafen nun nicht mehr den Herzögen untergeordnet. Es lag daher in deren Bestreben, die Grafschaften in ihre Hände zu bekommen.
3.6. Das Fürstentum
Das Fürstentum entsprach ursprünglich dem Stammesherzogtum. Der Fürst war seit dem frühen Mittelkalter ein Angehöriger des höchsten Adels, der sich durch Königsnähe und politische sowie wirtschaftliche Macht auszeichnete.
3.6.1. Landesherrschaft
Nach 1180 erfolgte unter Kaiser Friedrich I. die Erhebung von weltlichen und geistlichen Fürsten in den Reichsfürstenstand, wofür ein reichsunmittelbares Lehen Voraussetzung war. Der übrige Adel wurde den Fürsten untergeordnet, mediatisiert.
Diese Form des Lehensrechtes sollte die Basis für ein monoistsiches Reichsrecht geben. Es stand aber den individualistsichen Rechten des Adels gegenüber, sodass das partikularistische und dualistische System blieb.
Diese Entwicklung wurde noch verstärkt, als Kaiser Friedrich II. 1220 den Fürsten die Fürstenprivilegien verlieh, wie den Besitz der Regalien und der Hochgerichtsbarkeit, den sogenannten Blutbann für schwere Straftaten und Totschlag.
Damit kam den Landesfürsten nun die Herrschaft über die Länder zu.
Zur Landesherrschaft zählten auch die Wahrung des Landfriedens und das Aufstellen und Führen eines Heeres.
Das von Kaiser Karl IV. 1356 erlassene erste mittelalterliche Reichsgesetz, die sogenannte „Goldenen Bulle“, steigerte die Landesherrschaft erheblich und sicherte einem engeren Kreis der Fürsten, den Kurfürsten, die Königswahl zu.
Um ihr Herrschaftsgebiet noch weiter zu vergrößern, veranlassten die Fürsten den Adel, ihnen ihr Eigengut als Lehen zu übertragen, damit es im Falle keines Erbens, ihrem Landesgut, dem sogenannten Kammergut zufiel.
3.6.2. Landesstände
Seit dem 13. Jahrhundert bildete sich das Ständewesen aus, sodass auch von einem Ständestaat gesprochen werden konnte.
Zum ersten Stand zählten die geistlichen, die Prälaten, zum zweiten die Adeligen, danach die Ritter und zum Schluss die Städte. Den beiden letzteren kam auf Grund ihrer Wehrfähigkeit trotz ihres niedrigeren Ranges eine große Bedeutung zu. In einigen Gegenden, wie zum Beispiel in Friesland gab es auch als fünften Stand das freie Bauerntum.
Die Stände versammelten sich im Landtag. Auf Grund der ihrem Landesherren geschuldeten Treue, der „Erbhuldigung“, waren die Stände zur Hilfe mit Rat und Tat verpflichtet, jedoch bedurfte jede außerordentliche Hilfe, wie zum Beispiel außerordentliche Steuern oder Kriegsdienst, ihrer Zustimmung.
Die anfängliche Gemeinsamkeit geriet später immer mehr zum Gegensatz, sodass sich Landesherren und Landesstände gegenüber standen. Wurden ihre Recht verletzt, leisteten sie Widerstand. Auch im Land hatte sich ein dualistisches System herausgebildet.
Die Landeshoheit der Landesherren setzte sich jedoch gegenüber den Sonderrechten der Stände bis 1648 beim Westfälischen Frieden durch.
Die Länder hatten sich zu Territorialstaaten entwickelt, auch wenn sie alleinige Souveränität immer noch beim Kaiser lag.
3.7. Städte
Die frühmittelalterlichen Städte entstanden aus Kaufmannsniederlassungen oder Märkten, sowie aus Siedlungen im Schutz von Klöstern, Bischofssitzen, Burgen oder Königspfalzen.
Sie wurden durch Ummauerung zur Stadt zusammen gefasst und erhielten zur Stadtwerdung eine rechtliche Sonderstellung, die Stadtrechte.
Die Stadt stand ebenso im Treueid unter der Herrschaft eines Stadtherren, entweder dem König oder Kaiser als Reichsstadt oder dem Landesherren.
Die Stadtherrschaft bezog sich auf die Bürgergemeinde als Ganzes, nicht auf den einzelnen Bürger, der als Glied der Gemeinde frei war.
Die Stadt musste Steuern und Kriegsdienst leisten und erhielt dafür den Schutz ihres Herren.
Der Bürger musste wiederum der Stadt Treue schwören. Er zahlte Steuern und leistete Dienste wie Wehrdienst, Wachdienst an den Toren sowie Befestigungsarbeiten an der Stadtmauer. Dafür erhielt er Schutz, zum Beispiel im Falle der Fehde. Allerdings wurde kein Bürger neu aufgenommen, der bereits in Fehde mit jemandem stand.
Die Stadtgemeinde bildete sich auf der Grundlage von Nachbarschaft, Pfarr- und Gerichtsgemeinden der Bürger. Sie besaß ein gewisses Maß an Selbstverwaltung und städtischer Gerichtsbarkeit, die teils durch Privilegien, teils in Auseinandersetzung mit ihren Stadtherren erworben wurden. Der anfänglich herrschaftlichen Frühphase folgte eine mehr genossenschaftlich durch Gilde, Zünfte und Ratskollegien geprägte Hochphase.
Neben diese gewachsenen Städte traten seit dem 13. - 14.
Jahrhundert verstärkt Gründungsstädte im Zusammenhang mit der fortschreitenden Territorialisierung der Länder.
Die Städte waren wegen der Dezimierung der Einwohner durch Seuchen auf Zuwanderung angewiesen und die persönliche Freiheit („Stadtluft macht frei“) und die besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten übten eine große Anziehungskraft auf die Landbevölkerung aus.
Die Leistung der mittelalterlichen Städte bestand im Aufbau von Markt- und Verkehrswirtschaft von Handel und Gewerbe und von der wirtschaftlichen Beherrschung des Umlandes. Ihre politische Bedeutung beruhte auf ihrer überlegenen Finanzkraft.
Die Städtebünde sicherten einen Einfluss auf die Reichs- und Territorialpolitik.
Die Reichsstädte nahmen ab 1489 als geschlossene Kurie an den Reichstagen teil.
3.8. Das Lehen
Als Lehen wurden im Mittelalter die Nutzungsrecht für Grundbesitz und Ämter bezeichnet. Voraussetzung dafür war die Ritterbürtigkeit und Wehrfähigkeit. Später wurden Lehen auch an Städte, Bürger und Frauen abgegeben.
Das Lehnsverhältnis wurde durch den Lehnseid, die „Hulde“ besiegelt und der Lehnsnehmer, der sogenannte Vasall, zur Treue und zum Dienst verpflichtet. Das Lehen wurde auf Lebenszeit gewährt und war später erblich.
Anlass für dieses System gab ursprünglich im 8. Jahrhundert die Ablösung eines Volksheeres durch ein berittenes Berufsheer. Das konnten aber nur die Ritter stellen und deshalb wurden sie durch ein Lehen dazu verpflichtet.
3.8.1 Die Lehnspyramide
Die frühmittelalterliche Gesellschaft war als Personenverband organisiert.
An höchster Stelle stand der König als oberster Lehnsherr, der an die obersten Gefolgsleute, die Kronvasallen Land verlieh, das wiederum weiter an Aftervasallen vergeben werden konnte. In diesem Aufbau der Lehenspyramide war der König durch die Kronvasallen von den übrigen Vasallen und Untertanen getrennt. Während es den westeuropäischen Königtümern gelang durch direkte Herrschaft die Macht zu erhalten, führte dieses System im Deutschen Reich, vor allem auch durch den späteren Verleih von Regalien zur Ausbildung des Partikularismus und zur Landesherrschaft.
Auch das Lehnswesen war durch „Huld und Treue“, „Rat und Tat“, „Schutz und Schirm“ gekennzeichnet. Da aber die Lehnsherren selber wehrfähig waren, traten bei ihnen die persönlichen Bindungen und Verpflichtungen gegenüber dem Nutzen zurück.
Mit dem Nachlassen der Königsmacht wurde das Lehen erblich. Seit dem Ausgang des Mittelalters verlor das Lehnswesen mit der Verdrängung der Ritter durch Söldnerheere und das Vordringen der Bürger in die Ämter und Verwaltungen seine Bedeutung. Bis 1806 war das Deutsche Reich aber verfassungsrechtlich weiterhin ein Lehensstaat.
3.9. Regalien
Regalien waren die dem König zustehenden Reichsrechte. Sie bezogen sich zunächst nur auf das Reichskirchengut, später auch auf das Reichsgut.
Die Regalien beinhalteten die Herrschaft über Wiesen, Wälder, Berge, Straßen sowie reichsunmittelbare Städte und deren finanzielle Nutzung, wie Steuern und Zöllen, Münz-, Markt-, Verkehr-, und Bergwerkswesen. Diese Rechte wurden als Lehen vergeben und später erblich.
Neben der Hochgerichtsbarkeit und der militärischen Gewalt brachte der Besitz der Regalien die volle Herrschaft über ein Gebiet.
4. Schluss:
Der Personenverbandsstaat ruhte weitgehend auf der Persönlichkeit des Führers und jeder Wechsel brachte Unruhe und Unsicherheit mit sich.
Der institutionelle Flächenstaat, auch Territorialstaat genannt, bedeutete in der Staatsentwicklung einen großen Fortschritt. Er war institutionell besser ausgestaltet und deshalb leistungsfähiger und stabiler.
Auch wenn sich das monoistische Prinzip darin nicht ganz durchgesetzt hatte, da der Adel immer noch gewisse eigenständige Vorrechte besaß, die bis ins 19. Jahrhundert dauerten.
Der Übergang vom aristokratischen, dezentralistischen
Personenverband weiter über den zentralistischen feudalen Personenverbandsstaat bis hin zum institutionellen Flächenstaat war der entscheidende Problem der hochmittelalterlichen Verfassungsgeschichte.
Diese Staatsform kam in Reich nicht zum Tragen und trennte das Volk in den verschiedenen fürstlichen Herrschaftsbereichen noch für 150 Jahre bis 1806 zur Reichsgründung.
[...]
1 Schöffen bzw. Geschworene
- Quote paper
- Anne Wandschneider (Author), 2001, Die Entwicklung vom Personenverbandstaat zum Territorialstaat im hohen Mittelalter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101266
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